Wind Beyond Shadows

Normale Version: instant-ramen for instant regret
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Es war angenehm kühl vor den offenen Kühlmöbeln im KOHYO. Vielleicht etwas zu angenehm, denn ich hing auf meinem Einkaufswagen wie ein sterbender Fisch, während die kalte Luft mir entgegenströmte und ich ausgiebig gähnte. Doch die Temperaturen halfen ein wenig, meinen im Halbschlaf befindlichen Körper etwas in Gang zu bringen, weswegen ich auch die Ärmel meines schwarzen Rollkragenpullovers bis über die Ellenbogen hochgeschoben hatte um die Kühle so gut es ging auszunutzen. Müde war eine Untertreibung, wenn man meinen momentanen Zustand beschreiben wollte. Aber was tat man nicht alles für seinen Job. In aller Herrgottsfrühe hatte ich mich aus meinem Bett gerollt - wortwörtlich - um eine Tour durch halb Kyōto zu machen nur um an ein paar neue Nadeln und Sumi-Sticks heranzukommen. Natürlich könnte man sie einfach online bestellen aber ich besah mir die Ware lieber gern in Person um ihre Qualität zu bewerten, statt mich mit den nervigen Reklamations-Zetteln zu beschäftigen, wenn ich irgendetwas zurückschicken musste. Und inzwischen hatte ich meine zwei, drei Stammgeschäfte, in denen ich Material fürs Tätowieren besorgte und unglücklicherweise war eines davon am anderen Ende von Kyōto.

Mir fragende, neugierige und schlichtweg besorgte Blicke von weiteren Kunden einfangend erhob ich mich schließlich von meinem Einkaufswagen - unterdrückte dabei die Lust auf ein angestrengtes Rentenalter-würdiges Stöhnen - und schleppte mich mit dem Elan eines 6-Jährigen auf dem Weg zum Zahnarzt aus dem Eingangsbereich mit den fertigen Salaten und abgepacktem gekühltem Gemüse weiter in die nächste Abteilung um dort einfach nur gedankenverloren in die Auslage zu starren.
Der initiale Gedanke war gewesen "Wenn ich schon mal hier bin, kann ich auch noch einkaufen", was ja an sich eigentlich sehr vernünftig ist. Doch je länger ich auf die frischen Waren starrte, desto mehr fragte ich mich, wozu ich einkaufen sollte. Kochen war für mich fortgeschrittene Chemie, weswegen ich mich manchmal fragte, wie ich überhaupt so lang allein überlebt hatte. Instant-Gerichte waren wohl die magische Antwort auf diese Frage. Und Restaurants ... oder Schnellimbisse. War 34 schon zu alt um noch das Kochen zu lernen? Wobei, was hieß lernen. Ich konnte Wasser kochen und Tiefgefrorenes irgendwie genießbar machen. Das war ja schon mal die halbe Miete. Dann war ja der nächste Schritt erstmal herausfinden was ich überhaupt kochen wollen würde. Dann wieder etwas finden, das anfängerfreundlich war ... Man, das war zu viel Aufwand nur um sich irgendwas sättigendes ins Gesicht zu stecken.

Mit einer Hand fuhr ich mir durchs Gesicht und unterdrückte ein weiteres Gähnen, bevor ich einfach ziellos ein paar Früchte griff und in den Wagen legte. Mein Alibi, bevor ich mich wieder an den Fertiggerichten vergriff. Und genau dorthin führte mich mein Weg danach. Ein großes Kühlregal voll mit abgepackten Gemüsepfannen. Hier und da mit Fisch, Garnelen oder Fleisch kombiniert und tiefgefroren. Vor der Auswahl stehend entfuhr mir dann doch irgendwie ein Seufzen und ich konnte nicht einmal erklären warum. War es das Wissen, dass ich von so etwas lebte? Die überwältigende Auswahl? Die Limitiertheit jener Auswahl? Was war es, Hirn?! Sag schon! Den rechten Mundwinkel unschlüssig nach hinten gezogen starrte ich die Packungen nieder und hoffte auf ein Zeichen, was ich nehmen sollte. Leider aber wurde mir die Entscheidung nicht abgenommen von irgendeiner göttlichen Intervention. Einkaufen mit mir war sicherlich genauso ereignisreich wie ein Schachturnier für Laien.
Und während ich zwei Packungen mit Gemüse und Garnelen in den Einkaufswagen flattern ließ, nahm ich mir vor, bei Gelegenheit mal das Internet unsicher zu machen um mir irgend ein Rezept rauszusuchen einfach um es auszuprobieren. Mehr als schiefgehen konnte es nicht. Musste nur Feuerlöscher mit auf meine zukünftige Einkaufsliste setzen um ganz sicher zu gehen.

Auch der Rest meines Einkaufs wurde nicht ereignisreicher, stattdessen fühlte ich mich, als ich mich den Kassen näherte, eher als wäre der Inhalt meines Einkaufswagens ein wunderbarer Werbespott für Seelsorge-Hotlines. Einige Becher Instant-Ramen, Kaffeepulver, dazu drei Flaschen Bier, ein paar Energy-Drinks und am Ende gesellten sich noch vier Packungen Zigaretten hinzu, die das Gesamtbild komplettierten. Vielleicht sollte ich einfach aus Jux noch ein paar Heftchen für Erwachsene dazuschmeißen um dem Ganzen den letzten Schliff zu verpassen! Ein Gedanke, der mir tatsächlich selbst in meinem halbwachen Zustand doch ein kurzes Grinsen auf die Lippen zauberte, während ich mir die Blicke der anderen Kunden vorstellte, die dieses Klagebild eines Einkaufs zu Gesicht bekommen würde. Langsam reihte ich mich in die moderate Schlange ein, hob kurz den Kopf um niemandem in die Hacken zu fahren und erblickte vor mir die imposante Gestalt eines blonden Gaijin, dem ich aber nicht weiter Beachtung schenkte. Vermutlich wirkte er auch nur so imposant, weil ich auf meinem Einkaufswagen hing wie ein Schluck Wasser kurz vorm Einschlafen.