Wind Beyond Shadows

Normale Version: Ist das Kunst oder kann das weg?
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Charlotta Fraser

Ihr Neuanfang in Kyoto war wirklich gut gelungen, fand Lotta. Sie hatte sich recht zügig eingelebt, wobei einleben immer eine Definitionssache war. Sie ging arbeiten, kam mit ihren Kollegen zurecht und hielt den Kontakt zu ihren Geschwistern aufrecht. Technik war etwas, was durchaus ein Segen sein konnte. Vor allem, weil es einen Zeitunterschied zwischen ihnen gab. England hatte eine andere Zeit als Japan. Letztlich war es nur wichtig, dass man sich austauschen konnte. Um mehr ging es Lotta nicht. Sie musste erreichbar sein und mit einem Handy umgehen können. Außerdem musste sie für ihre Arbeitsstelle auch erreichbar sein. Schließlich konnte es immer mal sein, dass sie spontan einspringen musste oder ihre Schicht verschoben wurde.

Das sie direkt Glück hatte mit ihrer Arbeitsstelle war dazu auch noch sehr erfreulich. Sie kam mit ihren Kollegen gut klar, hatte sich zügig dort eingearbeitet und sich im Laufe der letzten Monate einen gewissen Ruf erarbeitet. Die Arbeitszeiten waren für sie vollkommen in Ordnung, sieh atte ohnehin niemanden außer sich selbst zu versorgen und da war es unwichtig, wann sie das Haus verließ oder wieder nach Hause zurückkehrte. Schichtdienst, kein Problem. Normalerweise arbeitete sie in Privathaushalten. Es kam aber durchaus vor, dass sie mit einer Gruppe eingeteilt wurde, um einen Auftrag in Unternehmen zu übernehmen. So wie auch heute. Es gab eine feste Putztruppe die für das Museum zuständig war aber heute wurden mehr helfende Hände benötigt, die zwischendurch einmal für Ordnung sorgten. Es gab wohl eine Sonderausstellung, weswegen es wichtig war, zwischendurch einmal durch zu gehen.

Letztlich interessierte es Lotta auch nicht, warum sie wo sein sollte. Sie brauchte nur das Wichtigste zu wissen: Wann, wo und wie lang ihr Zeitfenster war. Beim heutigen Auftrag war es auch wichtig, wer mit ihr zusammen arbeitete. Die Leitung der Truppe lag heute bei ihr. Heißt, sollte im Museum was zu Bruch gehen oder sonstige Fragen aufkommen, war sie der Ansprechpartner für die Leute vor Ort. Ebenso war sie diejenige, die ihre Kollegen im Auge behalten musste, damit sie den Zeitplan einhalten konnten. Es wäre doch wirklich schade, wenn sie nicht rechtzeitig fertig werden würden. Immerhin war die Aufstellung der heutigen Truppe für den Auftrag recht angenehm. Eine Praktikantin war dabei, die gerade ein Schnupperpraktikum bei ihnen machte. Neben der Praktikantin gab es dann nur noch 3 weitere, die durchaus gesprächig waren aber niemandem ein Brötchen an die Backe quasselten. Sie konzentrierten sich auf die Arbeit und das war es auch, worum es ging.

Beim Museum angekommen, gingen sie einmal die Räume durch und legten fest, welches Zweiergespann wo anfing. Lotta selbst schnappte sich die Praktikantin, bei irgendwem musste sie ja mitlaufen. So hatte sie einen Blick auf sie und konnte sie in die Arbeit miteinbinden. Immerhin sollte auch ein Schnupperpraktikum helfen, das man viel vom Beruf mit auf den Weg bekam und aktiv mitarbeiten konnte. Letztlich war putzen doch etwas, was jeder können sollte. Vor allem, wenn man angeleitet wurde. Die Gestaltwandlerin war nicht ohne Grund in diesem Berufsfeld tätig. Mit ihrem lappigen Abschluss war dies die beste Möglichkeit für sie gewesen. Vor allem, weil sie so in jedem Jahrzehnt Arbeit fand ohne Probleme. Selbst ohne einen Abschluss könnte sie überall eine Putzstelle antreten. Natürlich, als Hauswirtschafterin war ihr Aufgabengebiet meist ein anderes als nur zu putzen. Aber putzen gehörte dazu und da ihr Arbeitgeber auch Putzkräfte zur Verfügung stellte, rutschte sie immer mal mit hinein, wenn man mal eine helfende Hand brauchte.

Im Museum selbst war einiges los. Überall waren Menschen, die hier noch Dinge aufstellten und richtig ausrichten. Andere kümmern sich um die Möglichkeit das die geladenen Gäste etwas zu essen und zu trinken bekamen. Alles Dinge um die sich Lotta nicht kümmern musste. Sie ging mit der Praktikantin ein wenig die Räume durch und hielt hin und wieder an den Kunstwerken an. Es war doch wirklich faszinierend, was die Leute als Kunst betiteln. Kunst… Was war das schon? Sie selbst hatte keine Ahnung von Kunst und interessierte sich nicht unbedingt groß dafür. Kunst war etwas, wofür manche ein Auge hatten. Manche gingen darin voll auf und dann gab es jene, wie sie. Kunst war nun mal nicht ihrs. Es war nichts, womit sie sich ausgiebig auseinandersetzt oder extra dafür in ein Museum gehen würde. Dafür verbrachte sie ihre freie Zeit dann doch lieber mit wichtigeren Dingen wie Essen oder sich im Wald umzusehen. Die Zeit und Ruhe im Wald zu genießen und ihre menschliche Gestalt abzulegen, war ein Segen. Es war das, was sie immer wieder erdete und dafür sorgte, dass sie einen Ausgleich vom hektischen Alltag unter Menschen bekam.

An sich wäre die Arbeit zügig erledigt. Saugen, wischen, abstauben… Alles Dinge, die man zügig durch hatte, wenn man dem Ablaufplan befolgte. Nebenbei noch Müll entsorgen und versuchen den anderen Leuten nicht im Weg zu stehen, die hier noch ein wenig umher eilten und Dinge umstellten. Lotta ging routiniert ihrer Arbeit nach und baute die Praktikantin mit ein, damit diese nicht nur dumm in der Gegend herum stand und auf ihr Handy starrte. “Kaum zu glauben, was alles Kunst ist, oder?” fragte sie die junge Dame und machte eine ausladende Handbewegung, mit der sie sich auf die ganze Ausstellung bezog. “So viel, was Kunst sein soll und bei manchen Dingen frage ich mich, was daran besonders ist. Bilder, wo nur ein Klecks drauf gemalt ist? Das kriege ich auch hin. Das würden selbst meine Nichten und Neffen hinbekommen.” meinte sie leicht scherzend und schüttelte mit dem Kopf.

Für sie war Kunst nichts anderes als ein schönes Bild, etwas was Leute sich durchaus gerne ansahen aber nichts, was mega besonders war. Die meisten Dinge bekamen Leute hin, die talentiert war. Zeichnungen und Portraits war etwas, was jeder konnte und somit würde jeder einen Platz in einer Galerie verdienen, der Herzblut hineinsteckte. Dennoch gab es immer wieder Dinge, die wohl ganz besonders waren und deshalb hier hingen und ausgestellt wurden. Ob sie das je kapieren würde? Vermutlich nicht. Wobei sie sich auch nicht gerade viel Mühe gab, dies verstehen zu wollen. Mit so etwas beschäftigte sie sich nicht unbedingt. Sie ließ ihren Blick über die Dinge schweifen, die im Bereich ausgestellt wurden, in dem sie sich gerade befand und entdeckte einen Mann, der eher wie ein Student wirkte. Vermutlich war er jemand, der hier auch gerade mithalf. “Hey.” sprach sie ihn mit einem frechen Grinsen auf den Lippen an. “Hast du eine Ahnung, ob das hier vorne so gewollt ist oder hat hier jemand seinen Scherbenhaufen vergessen?” fragte sie grinsend. Dabei deutete sie auf ein Konstrukt aus verschiedenen Scherben, die alle wirr aneinander gereiht waren. Es sah nach einem großen Nichts aus. Nach etwas, was man einfach irgendwie befestigt hat.

“Was das wohl sein soll? Kaputte Kunst? Das sieht aus, wie schon mal kaputt gemacht und dann wahllos wieder zusammen geklebt.” murmelte sie und betrachtete eines der Dinge genauer. Es sah nach allem möglichen aus aber nicht nach Kunst oder etwas, was sich Menschen gerne in die Wohnung stellten. Das dieses Konstrukt ein Schattenspiel war und erst wirklich seine volle Schönheit entfaltete, wenn es beleuchtet wurde, wusste sie nicht. Für sie war es gerade nur ein komischer Haufen. “Warum gibt es keine Beschreibung dazu? Irgendwas, was sagt, was das sein soll? Woher sollen Menschen wissen, was das sein soll? Oder ist Kunst etwas, wofür man unbedingt studiert haben muss, um das zu interpretieren?” murmelte sie laut vor sich hin und musterte das Kunstwerk noch einen Augenblick. Mitunter war dies auch eine Logik, die nur Menschen verstanden und von ihr nicht richtig eingeschätzt werden konnte? Letztlich war es auch unwichtig für sie. Sie war nur hier um ihren Job zu machen und das zeigte ihre Arbeitskleidung, die aus einer typischen Putzkleidung bestand.
Tief sog Yul den Atem ein und damit die Atmosphäre die stets vor einem solchen Event herrschte. Diese unterschwellige, prickelnde Nervosität, die mit dem nahenden Termin der Eröffnung der Sonderausstellung einhergehen würde. Es war ihm eine Ehre in dem MoMAK, dem Nationalmuseum für moderne Kunst in Kyoto auszustellen und einer der Künstler zu sein, die für eine Dauerausstellung vorgeschlagen worden waren. Nur wenigen Künstlern, die sich mehr der plastischen Kunst als der bildlichen zugewandt hatten, war dies bisher überhaupt erlaubt worden.

Für Yul selbst hatte es nochmals eine besondere Bedeutung.

Den Kyoto war für ihn in seinem Herzen immer noch die Stadt des Kaisers. Jene, die er vor etlichen Jahrhunderten selbst zuletzt mit seinem Vater regelmäßig besucht hatte. Damals, als dieser noch lebte. So erkannte er einiges wieder und doch, dass musste er sich bedauernd eingestehen, hatte auch die Zeit nicht vor dieser Stadt Halt gemacht. Moderne Gebäude reihten die Straßen, erleuchteten diese hell in der Nacht. Auch wenn die Moderne sich dabei der Tradition fügte und die Tradition der Moderne. So war das Gefühl, wenn er durch die Straßen auf der Suche nach der Vergangenheit wanderte, dennoch vollkommen anders.

Kyoto war anders – so wie er es selbst nun war.

Trotzdem…die rehbraunen Augen des, in einem hochgeschlossenen Hemd und einer einfachen Jeans gekleideten, jungen Mannes wanderte über das Meer der hölzernen Transportkisten, deren Wellen aus seidenen Papier und Styropor sich an der Brandung so manch einer Säule der Ausstellung brachen. Er hatte die Einladung des Museum tatsächlich ohne jegliches Zögern, noch am gleichen Tag, angenommen.

Eine unüberlegte Handlung, die er dennoch nicht bereute. Selbst nicht, wenn er nun auf sein stetig vibrierendes Handy blickte, auf dem nun regelmäßig erzürnte und genervte Nachrichten seiner Managerin Janet aufleuchteten.
Sicherlich, für die Amerikanerin würde es nun schwer, aus der Ferne über mehrere Monate hinweg, ihren Schützling zu betreuen. Etwas, was sie ihm bereits jetzt nachtrug, dass wusste Yul und das nicht erst, seit dem einige „Shit-Emojis“ ebenfalls ihren Weg auf das Display seines Smartphones fanden. Leicht zuckte sein rechter Mundwinkel, schelmisch amüsiert darüber, wie diese vorlaute Blondine wohl erst reagieren würde, wenn sie von seiner Anstellung als Dozent an der privaten Kunsthochschule der Kyōto Zōkei Geijutsu Daigaku erfuhr.

Dem ganzen zum Trotz wirkte Yul zufrieden in all dem Chaos , bestehend aus Keramiken, Skulpturen und Verpackungsmaterial, inmitten eines einzigen Ameisenhaufens an Menschen, der sich darum kümmerte, dass die abendliche Stunde zu der die Eröffnung stattfinden sollte, noch eingehalten werden konnte. Entgegen der Menschen wirkte er ruhig, gelassen gar, als er nun einem scheinbaren Scherbenhaufen weitere Elemente zufügte, deren Positionen er zuvor in seiner Werkstatt fest zugeteilt hatte. Diese Fragmente aus lasierten und unglasierten Ton wirkten zerbrochen. Ein wilder Mix an Scherben, mochte vielleicht ein unwissendes Auge denken. Beinahe hätte Yul laut geschnauft, als ihm einfiel, dass dies auch seine Seele sein konnte. Vorsichtig drückte er den Halterungsdraht eines Stückes tiefer in die dazugehörige Bohrung des hölzernen Sockels.

Ja, Fragmente – Seelenfragmente. Er tauchte aus seiner Arbeit auf und liess erneut seinen Blick nachdenklich über die verschiedenen Werke schweifen. So konnte man seine komplette Ausstellung betiteln, wenn man ihn den kannte und die Geschichte, die doch jegliches dieser ungewöhnlichen Stücke erzählte, verstand. Doch kaum Einer tat dies.

Yul – hinter diesem Namen verbarg er sich. Ein Name der nichtssagend war und selbst in der Kunstwelt vermochte man ihm kein Gesicht zuzuordnen. Ähnlich wie Banksy, war der Name zu einem Pseudonym eines jungen und aufstrebenden Künstlers geworden, den doch niemand kannte.

Eine Wohltat für Yul an sich, der nur zu gerne in dieser Anonymität untertauchte.

Sein Blick blieb an einer Schale hängen, dann an einem anderen Stück. So langsam fügte sich die Ausstellung zusammen, beinahe, als würde er selbst seine Seele offenlegen. So wirkte jegliches Stück, egal ob Vase, Teetasse oder Schale, wie ein herausgebrochenes Stück Fels. Jegliche Oberfläche war rau und unförmig, als wäre das Stück zerbrochen und nur noch die letzten Reste ersichtlich. Während die Glasuren nur hier und da einen Farbtupfer in dem schwarz und dunklen Braun lieferten, von Meisterhand geschaffen. Ihr Innenleben jedoch, war stets makellos, bestückt mit den edelsten und farbintensivsten Glasuren.

Grotesk dagegen wirkten Masken die man auf Säulen errichtet hatte. Überlebensgroß wirkten sie wie das Gesicht eines Mannes, dann einer Frau, oder doch das eines Kindes? Die Züge waren fein gearbeitet, die Augen des Mannes in Trauer geschlossen, während sein Gesicht aus tausender Elemente bestand, die man wie Schuppen zu einem Ganzen zusammenfügt hatte. Lücken taten sich auf, zerfraßen seine linke Wange und Schläfe, wie auch die Gesichter der anderen beiden Masken bis zur Unkenntlichkeit. Ein abstruses Selbstportrait in Indigoblau, Grün und belebenden Schwarz.

So war seine Seele doch wie dieser Scherbenhaufen vor ihm, der beleuchtet mit Licht an der Wand die Szene zwei kämpfender Samurais zeigen würde. Ähnlich wie sein Erschaffer gab dieser Berg an offensichtlich toter Keramik erst mit der Lebendigkeit des Lichtes sein Geheimnis preis.

Nur das er, entgegen dem Scherbenhaufen, jenes Licht in seinem Leben verloren hatte.

Menschen würden an seinen Werken vorbeigehen, würden diese beurteilen, sie hinterfragen. So, wie es nun bereits viele der Aushilfen taten, die nun damit begannen die leeren Kisten wegzuräumen. Er war froh sich den aufgeworfenen Fragen nicht stellen zu müssen.

So hatte ebenfalls der Kurator des Museums hingenommen, dass er offenbar Werke seiner Vorfahren mit entsendet hatte. Es sollte die Tradition der Keramik darstellen. Zwei leicht bauchige, hüfthohe Vasen, kunstfertig mit filigranen Malereien verziert. Dabei waren beide zwar alt, mehrere Jahrzehnte sogar, doch aus seiner eigenen Hand. Eine davon war unzerbrochen geblieben und direkt am Eingang zu der Sonderausstellung nun auf einem kleinen Podest errichtet worden. Die andere, hatte er in einem kleinen, separaten Raum ausstellen lassen.

Eine vorlaute Stimme hallte nun in den doch ruhigen Raum, zog ihn erneut überrascht aus seiner Arbeit heraus. Das freche Grinsen das man ihm entgegenbrachte, liess seine Mundwinkel sich zu einem leichten freundlichen Lächeln heben.

„Du glaubst es kann weg?“, steckte er das letzte Stück dann doch mit Ruhe fest, ehe er sich vollends an sie wandte und sie nun grüßte.

„Keine Ahnung.“, zuckte er amüsiert mit den Schultern und schürzte leicht die Lippen, als er auf sie zukam.

„So manch Einer betitelt sogar eine mit Fett beschmierte Badewanne als Kunst.“, zog er nun erheitert die Nase kraus.

„Vielleicht ist das ja so etwas Ähnliches?“, schob sich sein Blick leicht in die Winkel und schob seine Hände nun in die Hosentaschen.

Ruhig betrachtete er die junge, murmelnde Frau mit den braunroten Haaren, die sich tatsächlich zu fragen schien, ob dies kaputt sei. „Dafür gibt es eine andere Technik.“ , fügte er ruhig an und nun zeigte sich langsam ein Lächeln auf seinen Zügen.

Er empfand diese Unterhaltung als erfrischend und keineswegs als Schmähung oder einer Beleidigung seiner Kunst.

„Nun…vielleicht fügen sie keine Beschreibung hinzu, da es keine Beschreibung benötigt.“, beugte er sich nun leicht hinüber, dabei legte sich seine Hand an einen Schalter, der an der Säule, versteckt an der Seite angebracht war.

Doch bevor er ihn bediente hielt er inne, starrte sie knapp an, während seine Nasenflügel sich vor Überraschung leicht weiteten. Konnte das möglich sein? Es stank nach Putzmitteln, irgendwas mit Essig und Staub. Doch lag diesem Geruch eine Nuance bei, dir er wohl fehlgedeutet hatte. Oder nicht? Verdammter Essig – diese Person konnte doch unmöglich…oder doch?

Leise klickte es und der LED-Spot offenbarte das Schattenbild an der Wand gegenüber. Die detaillierte Darstellung eines gerüsteten, stolzen Samurai erschien. Überlebensgroß gezeichnet mit Licht und Schatten – wie das wahre Leben.

Schmunzelnd richtete er sich erneut auf, betrachtete die Reaktion der vorlauten, jungen Frau mit den rotbraunen Haaren.

„Nun, Kunst liegt ja immer im Auge des Betrachters. Vielleicht ist es mehr wie ein Scherbenhaufen, vielleicht auch nicht.“, schmunzelte er nun gelassen.

Charlotta Fraser

Einen kurzen Moment musterte sie den jungen Mann, der sich mit einem leichten freundlichen Lächeln an sie wandte. “Vielleicht. Wer weiß das schon?” erwiderte sie grinsend. Das der Mann zuvor noch etwas an einem anderen Stück befestigt hat, war ihr nicht bewusst aufgefallen. Sie hat es am Rande mitbekommen, es aber als unwichtig abgetan. Es gab genügend Dinge die sie aufsog, auf die sie sich konzentrierte. Es waren Geräusche und Gerüche, denen sie sich lieber zuwandte als mit den Augen die ganze Umgebung abzusuchen. Meistens war es besser sich auf die andere Sinne zu verlassen, um die ganze Umgebung aufzunehmen. Scheinbar wusste der junge Mann genauso wenig wie sie, ob das wirklich Kunst war oder nur Müll war. Gut, als kompletten Müll würde sie es nicht bezeichnen. Schon gar nicht demjenigen gegenüber, der es gemacht hat. Sie würde für Müll eine andere Beschreibung suchen. Etwas, was ein wenig angenehmer war. Sie besaß eine sehr direkte Art wusste aber dennoch, wie man respektvoll mit anderen umging. Ihre Äußerungen waren nie respektlos, eher vorlaut und unüberlegt. Sie wurden aus einem Impuls heraus ausgesprochen, wenn sie nicht genau darauf achtete, erst nachzudenken bevor sie zu sprechen begann.

“Eine Badewanne mit Fett soll Kunst sein? Würde ich so etwas sehen, würde ich diese Badewanne von ihrem Elend befreien. Das arme Ding kann doch unter Fett nicht richtig atmen.” scherzte sie mit einem gespielten mitfühlenden Ausdruck auf dem Gesicht und deutete mit dem Daumen auf ihre Uniform. “Immerhin ist es mein Job, dafür zu sorgen, dass es ordentlich aussieht. Man müsste wohl ein Warnschild aufstellen, damit ich so ein komisches Kunstwerk nicht aus Versehen zerstöre.” meinte Lotta grinsend. Sie würde so eine Badewanne sicherlich einfach putzen ohne groß darüber nachzudenken. Wer wusste schon, ob das wirklich Kunst war oder ob nur jemand vandaliert hat? Das konnte man doch nie so ganz wissen. “Gut möglich, dass dieser Haufen hier etwas ähnliches ist. Irgendein Haufen von… Schrott, welches irgendwas darstellen soll? Zumindest wird hier für kein Essen verschwendet oder ähnliches. Ist vielleicht eine moderne Art Dinge zu recyclen.” mutmaßte die Gestaltwandlerin und zuckte mit den Schultern. Sie warf einen kurzen Blick über die Schultern, wo sie kurz die Praktikantin musterte, die gelangweilt mit einem Staubwedel in der Gegend stand und immer wieder auf ihr Handy blickte. “Immer diese Handysüchtigen…” murmelte sie und rollte genervt mit den Augen, ehe sie sich wieder auf den jungen Mann konzentrierte, der auf ihr gemurmeltes Selbstgespräch reagierte.

Das man für so etwas keine Beschreibung brauchte, verstand sie nicht. Sie selbst würde es ohne Beschreibung nicht verstehen. Noch ehe sie etwas sagen konnte, betätigte der Kerl einen Schalter und mit einem Mal ging ein Licht an. Mit einem Mal sah es hinter dem Schrotthaufen ganz anders aus. Es ergab ein Bild aus Schatten. Sie trat einen Schritt zurück und man könnte beinahe meinen, dass sie sich zusammen reißen musste, das ihre Mund nicht nach unten klappte. Sie neigte den Kopf ein wenig zur Seite und man konnte förmlich sehen, wie ihr Gehirn das ganze verarbeitete. Ihre Augen wurden vor Faszination ein wenig größer. “What the…?” meinte sie und zog die Augenbrauen ein wenig fragend zusammen. Am liebsten hätte sie hier geflucht, verkniff es sich aber ausnahmsweise Mal. Ihre Finger wanderten zu dem Schalter, den der Mann zuvor betätigt hat und schaltete das Licht aus und dann wieder an. Dies wiederholte sie noch zwei Mal. “Es ist erst Schrott und dann ein Bild aus Schatten?” meinte sie und ließ das Licht nun an.

“Es ist nur dann mehr als ein Scherbenhaufen, wenn man das Licht anmacht. Soll das einem irgendwas sagen?” fragte sie den Kerl, der scheinbar mehr von Kunst verstand als sie. Kurz ruhte ihr Blick auf ihn und sie sog ein wenig den Geruch aus ihrer Umgebung ein. Zwischen alledem, was so typisch nach Museum roch, mischte sich ein anderer Geruch. Ein Geruch, der ein wenig was Vertrautes in ihr hervor rief. “Soll das heißen, wir sollen einfach mal das Licht anschalten? Die Dinge anders betrachten? Das man aus allem was machen kann, wenn man nur will und weiß, wie das geht?” fragte sie und betrachtete nun noch einen Augenblick das Schattenbild. “Also mit Licht an würde ich sagen, dass dies durchaus als Kunst durchgeht.” merkte sie an und sah zur Praktikantin, die immer noch am Handy klebte. “Handy weg, sofort. Du bist zum arbeiten hier und nicht um hier als Deko herum zu stehen.” warnte sie das junge Mädchen, welche nun doch ihr Handy weg steckte und murmelnd an ihre Aufgabe ging.

“Immerhin weiß ich jetzt, wie das Ding funktioniert. Man lernt eben immer wieder was neues dazu. Aber ich denke, für mehr Kunst haben wir keine Zeit. Sonst beschwert man sich am Ende noch darüber, dass wir nicht vernünftig arbeiten.” meinte sie und zuckte mit den Schultern. Sie war schon drauf und dran, sich wieder umzudrehen, als sie doch kurz innehielt und ihn einen Moment ansah und dabei den Kopf etwas zur Seite legte. “Schaust du dir die Ausstellung nachher an oder bist du nur hier um bei den Vorbereitungen zu helfen?” Neugier lag in ihrer Stimme und ein freches Grinsen auf ihren Lippen. Es war ein kurzer Einfall, eine Frage die sie einfach stellen musste. Vielleicht kam man später nochmal ins Gespräch, wenn es sich anbieten würde.
Es waren eben jene Momente die er genoss. Diese Unwissenheit des anderen über seine wahre Identität, die zugleich für ihn doch lebensnotwendiger Schutz geworden war. Letzteres, nun, dass vergaß er gerne. War es doch eben diese Anonymität, die es ihm ermöglicht hatte nach diesem mehr wie einschneidenden Vorfall, zumindest in Teilen wieder auf die Füße zu kommen. Immer noch fühlte er sich zerrissen, beinahe als habe man sein Leben, seine Erinnerungen in den Fleischwolf geworfen, war dort nicht mehr viel von dem einstigen mehr übrig.

Dies zu akzeptieren, diese leeren, leblosen Lücken in seinem Geist nicht zu verfluchen, sondern anzunehmen, dies hatte ihn mehrere Jahre gekostet und gänzlich war dieser Prozess noch nicht abgeschlossen. Man könnte sagen, dass sich gerade einmal Schorf auf den Wunden gebildet hatte, die seiner Seele geschlagen worden waren. Es heilte, doch quälend langsam.

Ein Prozess der sich in seiner Kunst widerspiegelte. Als würde er das Schlachtfeld seines Innersten nach außen kehren. Die verzehrende Wut über die erlittenen Verluste regelrecht in den Ton schlagen, einprügeln, diesen bestrafen, dass er doch letztlich auf seinem Drehteller gelandet war. Dabei war seine Arbeit durchaus ein aufwendiger Prozess. Ein Prozess der Rituale, die ihm einen festen Rahmen vorgegeben hatte. Der Prozess des Erschaffens selbst, hatte ihm geholfen zumindest aus der tiefen Niedergeschlagenheit sich hervorzuziehen. Noch stand er lediglich mit den Zehenspitzen des ersten Beines wieder im wahren Leben. Wohin ihn sein weiterer Weg noch führen würde, nun, dass würde man sehen. Doch wie sagte man so schön; Selbst die weiteste Reise beginnt mit dem ersten Schritt.

Amüsiert über das grinsende Kommentar, dass ihm nun dreist entgegenschlug schmunzelte er. Solch ehrlichen Worte hätte die Rotbraune wohl nicht gefunden, wenn sie geahnt hätte, dass sie dem Künstler selbst diese gerade kackdreist ins Gesicht gesagt hätte. Wobei Yul sich sicher war, zumindest wenn er dieses Funkeln in ihren Augen richtig las, dass diese junge Frau sicherlich kein Problem damit hatte jemanden die Meinung zu geigen, wenn diese denn angebracht sein sollte.

„Genau. Wer weiss das schon?“, biss er sich nun beinahe auf die inneren Wangen, nur damit sich seine Lippen nicht zu einem breiten Grinsen verzogen.

War es doch die eben erwähnte Anonymität seinerseits, die die Menschen ihm gegenüber ehrlich werden ließen, was seine Kunst und Arbeit betraf. Etwas was er hoch achtete und vor allen Dingen respektierte, selbst wenn diese durch eine kleine List herbeigeführt wurde. So würde er niemals es wagen eben diese Äußerung des anderen eben diesem übel zu nehmen. Wozu auch? Waren es doch gerade die Menschen selbst, die sich gegenüber einem scheinbaren Kellner oder Aushilfskraft auf den Ausstellungen über die ausgestellten Keramiken äußerte, ehrlich. Und damit besser als jegliche Kritik aus den hochgelobten Fachzeitschriften.

Als sie nun die berühmte Badewanne von Beuys kritisch hinterfragte, konnte er ein amüsiertes, leises und doch zurückhaltende Lachen nicht unterdrücken.

„Für manche offensichtlich und für andere war es dann wohl eher die Fett-Ecke“, grinste er nun und neigte leicht seinen Kopf ein wenig zur Seite, um sie zu mustern, als sie den Nagel auf den Kopf getroffen hatte und mit dem Daumen auf ihre Uniform verwies.

„Genau das musste sich wohl auch einer der Reinigungskräfte gedacht haben.“, zog er erheitert die Nase unter ihrem Scherz ein wenig kraus. „Auf jeden Fall war sie eines Tages blitzeblank und damit das Museum um ein wertvolles Werk ärmer.“

Bei ihrem Vorschlag, doch ein Warnschild aufgrund der drohenden Zerstörung dieses Scherbenhaufens aufzustellen, entgegnete er eher äußerst sachlich. „Nun. Zur Not kann man es ja erneut zusammenfügen.“, schlug er vor.

„Ein kleines Puzzle, als Geduldsspiel?“

Die Worte flossen nur so aus dem Mund der Rotbraunen und je mehr sie sprach, umso breiter wurde sein Lächeln.

„Vielleicht.“, schloss er sich der Meinung zu dem Recyclen an und folgte ihrem Blick hin zu einer jungen Frau, die offenbar mehr mit der neusten Technik beschäftigt war, als mit ihren eigentlichen Aufgaben.

„Fluch und Segen, was?“, nickte er lediglich in diese Richtung und schüttelte bereits erheitert ein wenig seinen Kopf. Wie hatte die Menschheit nur früher überleben können?

Das leise Klicken, das Aufleuchten der Lampe und das nun sich zeigende Bild brachten nun erneut den Redefluss der Braunroten zum stocken. Vollkommen fasziniert stand sie mit einem Mal da und es fehlte tatsächlich nur noch, dass sich ihr Mund aufklappte. Ihre Augen huschten über die weichen Linien der Schatten, dann erneut über das Gebilde.

„…fuck?“, vollendete er schmunzelnd, leise flüsternd, ihren Satz.

Es war wundervoll diese Faszination bei jemanden zu sehen, der vorher sein Werk als vollkommen belanglos empfunden hatte. Eine Faszination die dem eines Kindes gleichkam, dass zum ersten Mal einen geschmückten und beleuchteten Weihnachtsbaum betrachtete. So war es womöglich diese, als auch schiere naive Neugierde, die sie nun das Licht an und aus knipsen liess. Yul hingegen genoss diese Reaktion, mit einem beinahe schon süffisanten, leichten Lächeln und lehnte sich ein wenig mit der Hüfte gegen das andere Objekt hinter ihm.

„Und somit kein Schrott mehr.“, berichtigte er sie ruhig und biss sich auf die linke Seite der Innenwange. „Oder ist der Scherbenhaufen bereits mehr, ohne dass man es erahnt?“, gab er ihr einen Denkanstoß.

„Mhm…vielleicht das nicht alles so scheint, wie es auf den ersten Blick sich darstellt.“, versuchte er sich an einer Interpretation und trat erneut ein wenig näher. „Oder schlicht. Wo kein Licht, da kein Schatten?“

Ein wenig nickte er nun, als sie offensichtlich den springenden Punkt gefunden hatte. „Offensichtlich. Einfach mal Licht anschalten und die Perspektive wechseln und nicht schnell über einen scheinbaren Scherbenhaufen urteilen.“, konnte man innerhalb dieser Worte beinahe ein Zwinkern von ihm erahnen, dass man jedoch vergeblich in seinen freundlichen Zügen suchte. Immerhin war nun sein Werk richtige Kunst.

Leicht senkte er seinen Kopf, als sie nun die andere dazu anhielt endlich ihr Smartphone wegzupacken und dafür mit ihrer eigentlichen Arbeit zu beginnen. Es waren weniger die Worte, die sie wählte, sondern die Lautstärke dieser Aussage, die nun sämtliche Blicke der Helfer auf sie zogen.

„Geht nur mit ein wenig Druck, mhm?“, schlussfolgerte er und schnaufte verständig erneut unter einem Nicken.

„Nun. Ich muss noch ein wenig puzzeln.“, bog er ein wenig die Wahrheit, da er an sich überhaupt nicht hier sein müsste. Dennoch war es ihm eben wichtig, dass er zumindest anwesend war. So hatte er stets ein Auge auf die Arbeit und konnte bei Problemen mit der Galerie schnell eingreifen.

„Ich glaube kaum, dass sich hier jemand beschweren würde.“, schien er sich sicher und würde sie dann aber ziehen lassen, letztlich war die Zeit bis zur Eröffnung, knapp bemessen.

Mit ihrem erneuten Umdrehen hatte er nicht gerechnet. So strich er sich gerade mit seinen Fingern durch sein Haar, sich abwendend, als sie wohl die Gelegenheit ergriff ihn noch etwas zu fragen. Beinahe spiegelte er nun ihre Kopfhaltung, schmunzelte. Sie war offensichtlich nicht nur vorlaut, sondern auch mutig.

„Sowohl als auch.“, kam seine Antwort nach einem kurzen Moment des Überlegens als wollte er ihre Spannung ausreizen, und erneut zeigte sich dieses verhaltene und doch freundliche Lächeln. Flirtete sie etwa mit ihm?

„Und du?“, wusste er, dass einem jedem Helfer, als auch dem Personal, eine Eintrittskarte ausgegeben wurde. Von jeher war ihm dies wichtig, so dass er als Künstler darauf bestand. Denn ohne diese vielen helfenden Hände würde er sicherlich nicht ein Werk ausstellen können.

Charlotta Fraser

Ja, wer wusste das schon. Letztlich war es doch unwichtig, wer es wusste und wer nicht. Hier ging es um Kunst, etwas was nicht jeder verstand. Etwas, womit nicht jeder was anfangen konnte. Lotta gehörte zu jenen, die keine Ahnung hatten, was man mit der Kunst machen sollte. Natürlich, Zeichnungen wurden aufgehängt, wenn sie von den Jüngsten aus ihrer Familie stammten. Fotos wurden aufgehängt. Aber wer würde sich ein Bild ins Wohnzimmer hängen, mit dem man nichts verband? Was nichts mit einem zu tun hatte? Aber gut, das war wohl immer Ansichtssache. Es gab nun mal auch Menschen, die sich mit Kunst den ganzen Tag umgeben wollten. Letztlich konnte man sich auch über Kunst austauschen, selbst wenn man damit nicht viel anfangen konnte.

Bei der merkwürdigen Fett-Kunst-Badewanne, musste sie dann doch lachen, als sie hörte das eine Reinigungskraft die Badewanne tatsächlich sauber gemacht hat und damit das Kunstwerk zerstörte. “Ich sag ja, eine Reinigungskraft wird für Ordnung sorgen. Aber dafür hat das Museum nun eine saubere Badewanne. Das ist doch auch was. Außerdem denke ich, dass so eine Badewanne die mit Fett bedeckt ist, früher oder später nur gestunken hätte. Irgendwann gerinnt das alles doch und dann riecht die Luft so… säuerlich. Da muss mir niemand damit kommen, dass man das verhindern kann. Sicherlich gibt es Möglichkeiten, für eine ganze Weile dem Ganzen vorzubeugen aber früher oder später verdirbt auch Fett. Außerdem sind Badewannen zum baden da und nicht, damit man sie mit irgendwas beschmiert.” meinte Lotta und schüttelte kurz mit dem Kopf. Sie hatte wirklich kein Verständnis dafür, warum man wirklich eine Badewanne mit Fett beschmierte. Das hatte nichts auf der Badewanne zu suchen. “Außerdem, warum sollte das Kunst sein? Wieso sind solche Dinge Kunst? Das ist doch irgendwie… Stumpf. Gemalte Bilder, okay. Skulpturen okay und Gedichte auch. Aber eine beschmierte Badewanne?” Je mehr sie versuchte das zu verstehen, desto weniger gelang es ihr.

“Puzzle als Geduldsspiel? Dann ist das aber ein sehr komisches Puzzlesystem. Woher soll man wissen, wo was hin kommt, wenn man nichts hat woran man sich halten soll?” sie neigte den Kopf etwas zur Seite und versuchte es zu kapieren. 400 Jahre auf der Welt zu leben war das eine. Die Jahrhunderte brachten einem nur nichts, wenn man sich nicht mit anderen Dingen auseinandersetzte. Es gab Dinge, die sie wusste, aufgrund ihres Alters. Dinge, wo sie mehr Erfahrung hatte. Aber Kunst? Kunst sah in jedem Zeitalter anders aus. Jedes Jahrhundert hatte gewisse Dinge, die typisch für diese Zeit waren und ihr Interesse war noch nie groß für Kunst da gewesen. Hinzukam, dass sie sich wirklich sehr lange aus der Welt der Menschen raus gehalten hat und sich dann, wenn sie mit ihnen Umgang hatte, auf andere Dinge konzentrierte als sich irgendwas künstlerisches anzusehen. Mit unter kam hier auch mit hinein, dass sie viel zu aus der Sicht eines Tieres dachte.

Als der junge Mann, der wirklich ein sympathischen ersten Eindruck hinterließ, von Fluch und Segen sprach, was die Handynutzung anging, nickte sie leicht genervt. “Privat darf jeder so viel sein Handy nutzen, wie er es für richtig hält. Aber wir sind ja nicht aus privatem Vergnügen hier sondern zum arbeiten. Ich frage mich da immer wieder, wie die Leute das früher nur überlebt haben, als es all diesen ganzen Technikkram noch nicht gab.” meinte sie grinsend. Sie war in einer anderen Zeit aufgewachsen, hatte eine andere Kindheit und Teenagerzeit gehabt. Damals gab es noch keine Technik und in der heutigen Zeit nutzte sie ihr Handy selten und nur zum Austausch mit anderen. All dieses ‘Social Media’ - Getue war nicht ihrs und die heutige Generation schien förmlich nur an diesem kleinen Handy zu kleben und danach ihr Leben auszurichten.

Das er ihren fluchenden Satz beendete, ließ sie nur kurz nicken. Genau das wollte sie sagen. Aber das war in dem Moment der Überraschung nicht so möglich gewesen. Besser gesagt, hatte sie andere Gedanken im Kopf. Es brauchte eine Weile bis sie wirklich die Verknüpfung hergestellt hat und verstand, wie das funktionierte. Zumindest zu einem gewissen Teil. Wie man das ganze so zusammengesetzt hat, dass tatsächlich ein Schattenbild entstand, war etwas was sie sich noch nicht so ganz vorstellen konnte. Musste sie auch nicht. Sie musste so etwas ja schließlich nicht machen. Es reichte, wenn sie es sich ansah. Es gab durchaus kleine Dinge, mit denen sie begeistert werden konnte. Dinge, die für andere alltäglich waren, schafften es bei ihr durchaus für eine Überraschung zu sorgen und das sie verblüfft und sprachlos war. Zwar hielt ihre Sprachlosigkeit nicht lange an, sie fand immer zügig zurück zu ihrem vorlauten Mundwerk, dennoch… Es gab diese Momente.

Sie lauschte den Worten des jungen Mannes, der auf ihre Worte einging und ließ sich alles durch den Kopf gehen. “Gut, Schatten ohne Licht funktioniert nicht. Ein Schatten kann nur entstehen, wenn etwas beleuchtet wird. Ohne das gibt es kein Schatten.” erwiderte sie und betrachtete wieder das kleine Schrottgerüst, welches dafür sorgte, dass ein Schattenbild entstand sobald Licht darauf fiel. “Man muss da mitunter differenzieren. Zu sagen, dass es ein Scherbenhaufen ist, ist kein Urteil. Es ist eine Tatsache, eine Feststelleung, etwas was man als erstes davon sieht und es als solches beschreibt, um es einzuteilen. Um es irgendwie einzuordnen. Denn, das hier ist ein Haufen voller Zeug, was scheinbar bunt zusammen gewürfelt wurde.” kam es ihr, mit einem frechen Grinsen, über die Lippen. Es war eine Tatsache, der erste Eindruck und hatte, in ihren Augen, nichts mit zu schnell urteilen zu tun. “Vielleicht soll es nur bedeuten, dass man alles und jedem eine Chance geben soll, zu zeigen, was in einem steckt.” überlegte sie.

Mitunter sollte es genau das ausdrücken. Das der erste Eindruck nicht immer so ist, wie es scheint und in jedem mehr steckt, wenn man ihm die Möglichkeit gab dies zu zeigen. Lotta selbst wurde von vielen direkt abgestempelt, nicht jeder kam mit ihrer Art klar. Dabei besaß sie auch andere Seiten, hatte eine sanftmütige Art an sich und war jemand, der sich immer schützend vor ihre Liebsten stellte. Eine Seite, die nicht jeder von ihr zu sehen und zu spüren bekam, weil sie da genau drauf achtete, wem sie sich richtig zeigte. Vielleicht war sie auch wie so ein Schrotthaufen? Wer konnte das schon so genau sagen.

Das der junge Mann den Kopf senkte, als sie ihre Praktikantin lautstark ermahnte, nahm sie aus dem Augenwinkel war. Das auch alle anderen sie ansahen, meist mit gesenktem Kopf und immer wieder flüchtigen Blicken in ihre Richtung, war eine Tatsache. Sie würde sich dafür nicht entschuldigen. Warum auch? Sie war nun mal so und musste auch dafür sorgen, dass die Praktikantin mit zog. Das war der Unterschied zwischen ihr und den anderen. Während die anderen Kollegen eher sanft und ‘Würdest du Bitte…’ unterwegs waren, machte Lotta kurzen Prozess. Sie war jemand, mit dem man sich nicht anlegen sollte und wo auch große Diskussionen nichts bringen würden, weil sie oftmals bei ihrem Standpunkt blieb. Vor allem den Menschen gegenüber. “Ohne Druck funktioniert es nicht. Jeder muss seinen Teil dazu beitragen und, wer dies nicht tut, bekommt dafür letztlich eine Reaktion.” meinte sie mit einem selbstbewussten Schulterzucken.

“Ein wenig puzzeln? Was soll es werden?” fragte sie neugierig. “Es ist deine Meinung, dass sich niemand groß darüber beschweren würde. Ich sehe diese Dinge etwas anders. Zumindest, solange wie ich meine Arbeitskleidung trage.” meinte sie mit einem leichten Grinsen auf den Lippen. Sie war hier zum arbeiten und würde ihre Arbeit auch dementsprechend machen. Das hieß auch, dass sie sich überlegte, ob man sich beschweren würde oder nicht. Letztlich war es so, dass jede Beschwerde, ihr zur Last gelegt wurde, da sie hier die Leitung inne hatte und dafür sorgen musste, dass alles zur vollsten Zufriedenheit erfüllt wurde. Es war ihre Arbeit und sie war seit einigen Jahrzehnten dabei, hatte ein geübtes Auge und machte nie halbe Sachen. Entweder ganz oder gar nicht.

Sein verhaltenes und freundliches Lächeln, hatte was sympathisches an sich. Es war doch ganz süß anzusehen. Es gab viele, die direkt unverschämt Grinsen würden oder dergleichen. Der Kerl machte sie neugierig. Vor allem, weil sie seinen Geruch immer noch einzuordnen versuchte. Es war was vertrautes und doch ein wenig anders. Aber hier war gerade nicht die beste Zeit um darüber ausführlich nachzudenken oder ungeniert zu schnuppern. Ihrer Neugier war es geschuldet, dass sie nachhakte und das sie dabei ein wenig flirtete, fiel ihr gar nicht so bewusst auf. “Tja, ich schätze Mal, wir sehen uns nachher.” meinte sie und ein leicht charmanter Tonfall lag in ihrer Stimme. “Vergiss bei deinem Puzzle nicht das schöne Fett, man muss die Kunst schließlich auch von weitem schon riechen können.” ergänzte sie schmunzelnd und wandte nun ganz den Blick ab, schob die Praktikantin ein Stück weiter und ging wieder an ihre Arbeit.

Auf die leise Frage, was das denn gerade war, zuckte Lotta nur mit den Schultern und meinte, dass es der jungen Dame nicht anging. Lotta selbst war nur neugierig auf den jungen Mann. Nicht mehr. Außerdem war sie kein Mensch, der sich irgendwo versteckte und den Kontakt zu anderen komplett mied, lieber ganz alleine war und mit niemandem ein Wort wechselte. Sie war extrovertiert, direkt, selbstbewusst und schaffte es immer mit Leuten in Kontakt zu treten. Außerdem schien der junge Mann Ahnung von dem hier zu haben und vielleicht gab es hier noch etwas, was leuchtete und dann nicht mehr nach Schrott aussah. Nach einer gewissen Zeit waren sie mit all den Räumlichkeiten durch und Lotta konnte sagen, dass sie es im Zeitrahmen geschafft haben. Nun hieß es all die Sachen zu verstauen, sich umzuziehen und dann kurz schauen, was bei der Ausstellung so los war.

Immerhin hatten sie Karten bekommen, damit sie das Ganze auch genießen konnten. Es war ein kleines Danke für die Arbeit, etwas was nicht selbstverständlich war. Sie hatte schon an vielen Orten geputzt und selten gab es Freikarten für eine Veranstaltung. Außerdem hatte sie dem jungen Mann zugesichert, dass sie sich später sehen würden. Sie würde also mal schauen, ob er sich wirklich da herum trieb. Mit jeder Minute strömten mehr Leute herein, die sich diese Ausstellung ansehen wollten. Lotta hielt sich etwas im Hintergrund auf, gemeinsam mit ihrer Putztruppe. Ihre Arbeitskleidung hat sie gegen eine Strumpfhose, einen auffallenden hellgrünen Rock und einem schwarzen Langarmshirt getauscht. An ihren Füßen trug sie Stiefel. Die rotbraunen Haare, die zuvor in einem Pferdeschwanz hochgebunden waren, hatte sie geöffnet. Es musste nur noch eröffnet werden, ehe sämtliche Leute sich durch die Ausstellung leiten lassen würden. Lottas Blick schweifte durch die Menge und sie positionierte sich ein wenig vor ihrer Truppe. Ihre Kollegen hatten sogar noch die Zeit gefunden sich ein wenig heraus zu putzen, den Lippenstift nachzutragen oder sich die Nase zu pudern. Alles Dinge, die Lotta nie nutzte. Aber gut, das war auch nicht weiter schlimm. Musste sie schließlich nicht machen, wenn es ihr fern lag.
So war ihre Frage durchaus als erfrischend ehrlich zu betrachten. >Ist das Kunst oder kann das weg.< Yul hätte allein darüber verschmitzt seinen Kopf geschüttelt. So lag eben die Kunst immer noch im Auge des Betrachters. Und ja, seine Meinung diesbezüglich war es, dass Kunst für jeden da sein sollte, jeden irgendwo ansprechen sollte. Ein Punkt, den er offensichtlich mit dem Scherbenhaufen in den Augen der jungen Rotbraunen verfehlt hatte.

Kunst zu definieren war für jedermann schwierig. War der Versuch jenen zu umfassen, bereits so individuell wie jeder einzelne Mensch. Eine schwarze Leinwand, auf die ein Affe seinen Hintern in schleifenden Spuren in Karminrot verewigt hatte, konnte eben genauso Kunst bedeuten, wie eine Treppe, lediglich für ein Foto, mit einem Haufen nackter, liegender Menschen zu bedecken. Kunst war ein schwieriger, dehnbarer Begriff und würde eben dies immer bleiben. Mitunter schrien die Kritiker und Kunstkenner schnell, wie die übelsten Marktschreier, gegenseitig ihre Favoriten in den vielen Fachzeitschriften heraus. Beinahe täglich jagten sie somit dem neusten Trend hinterher, eben nach dem Geschmack der Masse. Mit ein Grund, warum Yul solche überhaupt nicht las, neben dem, dass es ihn überhaupt nicht interessierte, was andere von seinen Werken hielt.

Waren diese Werke doch viel mehr für ihn.

Wenn auch nicht für die Ewigkeit geschaffen, so schlossen sie doch über den Prozess der Entstehung seinen tiefen Hass auf die, die ihn einst sterbend zurückgelassen hatten, und diese allesverzehrende Wut über jene und sich selbst, tief in ihren Poren ein. Wie ein Schwamm schlossen sie seine Gedanken, seine Verbitterung über den Verlustes über den größten Teil seiner Erinnerung, in sich ein. Beinahe wie ein Bildnis seines Inneren standen sie nun da. Rissig, scheinbar bis zur Unkenntlichkeit zerbrochen. Anders, wie der junge Mann nun vor ihr, der ihr mit einem gewissen belustigten Funkeln in den Augen von dem einst so unglücklichen Malheur mit der versauten Badewanne erzählte.

„Eine saubere Badewanne oder eben ein neues Werk.“, neigte sich sein Kopf ein wenig zur Seite, während seine Augen sie bei der stolzen Aussage musterten.

Sie war also stolz auf ihre Arbeit, etwas, was er guthieß. Denn nur weil sie als Reinigungskraft arbeitete, bedeutete das nicht, dass diese junge Frau weniger hart arbeitete oder einen geringeren Intellekt besaß. Eigentlich waren es doch genau diese Personen, egal ob Reinigungskräfte oder Handwerker, ohne die niemals so etwas wie eine Ausstellung möglich wäre. „Ist nicht auch die Reinigung eine Kunst?“

Entwaffnet hob er leicht seine Hände. „Womöglich. Wenn ich ehrlich bin habe ich mir darüber noch nie einen Kopf gemacht.“, erwähnte er, als sie daran erinnerte das Fett auch irgendwann mal ranzig wurde.

„Wohl scheint niemand so recht darüber nachgedacht zu haben und offensichtlich der Künstler selbst nicht.“, war seine Meinung dazu, was noch lange kein Urteil über dieses Werk bedeutete.

„Kunst liegt im Auge des Betrachters…“, kräuselte sich erneut amüsiert seine Nase, als sie nach dem Sinn und Zweck des Ganzen suchte.

„Oder mit einem Affenhintern betupfte Leinwände.“, hustete er dezent in seine Armbeuge, damit man dies kaum hörte. Immerhin beleidigte er höchstens den Affen mit dieser Reaktion.

„Es gibt Vieles wofür manch Einer sehr viel Geld zahlt. Wie eben eine Badewanne mit Fett. Wenn es einem gefällt…“, überlegte er laut und fuhr sich mit seiner Hand über das Kinn.

„Die Frage ist nur, was fängt man mit einem solchen Objekt an? Will man es betrachten, dann sollte man wohl über gute Kühlräume verfügen. Will man es vielleicht sogar nutzen…?“, liess er diesen Gedankengang verschmitzt offen, während seine rehfarbenen Augen auf ihre trafen, getragen von einem dezenten, offensichtlich nicht ganz so harmlosen, Lächeln.

„Man stelle sich nur vor…Man hat die Möglichkeit durch die Nutzung selbst zu einem beschmierten Kunstwerk zu werden.“, fuhr er trocken weiter, als würde er über das Wetter sprechen.

„Mhm…vielleicht kommt es auf den Blickwinkel an.“, schien er ihr bereits jetzt einen kleinen Brotkrummen hinzuwerfen. Doch selbst er, der es erschaffen hatte, konnte diese Bilder, die sich aus Licht und Schatten zusammenfügen, nicht ohne einen Plan aufstellen.

„Man hat uns zumindest eine Anleitung mitgegeben.“, ob dies es unbedingt besser macht? Nicht unbedingt. Man brauchte Erfahrung und das Wissen, wie es auszusehen hatte. Mit ein Grund, warum er selbst diese Bilder nur aufstellte und sonst niemand sonst. Und selbst er verzweifelte regelmäßig über seinen aufgezeichneten Planungen.

„Manchmal hilft auch kein Plan, dann muss man eben improvisieren und schauen wo es passt.“, schien er dies durchaus mit Humor zu nehmen.

Er hörte ihr verständig zu, als sie sich über die Nutzung von Smartphones bei der Arbeit aufregte. Er konnte ihr durchaus zustimmen, weswegen er leicht nickte.

„Nun ja, kleine Pausen sollten erlaubt sein. Aber es stimmt – früher sind wir auch ohne großgeworden. Ohne Likes, Kommentare und dem Druck der dadurch entsteht. Denn ist es das nicht eigentlich? Unnötiger Druck sich präsentieren zu bewerten lassen zu müssen?“, sah er dies durchaus kritisch.

„Eine eigene Welt für sich.“, schnaufte er leicht und lächelte. Das Thema *Social Media* würde sich nie erschließen. Er verstand den Nutzen der schnellen Erreichbarkeit und vor allen Dingen war dieses *Ding* unschlagbar in Sachen Kontaktpflege und Networking. Doch mehr?

„Man sollte sich lieber fragen was alles darunter verkümmert?“, betrachtete er die Kollegin der Rotbraunen.

„Sozialkontakte, die nur noch mit einem Messenger erreichbar sind. 500 Freunde und mehr…Sind das noch Freunde?“, er schüttelte den Kopf.

„Ich kann dem Ganzen nichts abgewinnen. Es ist eine eigene Welt für sich ohne die viele nicht mehr leben können.“


Nun, dass offensichtlich fehlende Satzende war nicht unbedingt schwer zu erraten. Doch noch während sie ihre Gedanken zu sortieren schien, beobachtete er ihre Reaktion zufrieden. Dieses Erstaunen, das eine Weile brauchte, um zu Erfassen was sie sah. Er glaubte förmlich sehen zu können, wie die Faszination für den vermeintlich einfachen Scherbenhaufen wuchs. Es erfüllte ihn mit Freude, wenn er so etwas bei anderen sah. Sie sah zu den Stücken aus Keramik, wo an sich, jedes einzelne Stück von seiner Hand gefertigt worden war. An sah es an den zum Teil abgerundeten Kanten, die das offensichtlich Unperfekte irgendwie perfekt natürlich wirken liessen. In ihrer Überraschung schien sie ihre Sprache gänzlich verloren zu haben und er schien bereits zu ahnen, dass dies bei ihr womöglich nicht häufig vorkam.

„Wo Licht ist, ist auch immer Schatten.“, warf er nur schlicht ein, während sie bereits begann zu interpretieren und zwar besser, wie manch ein Kunstkritiker.

„Eine Tatsache, richtig.“, bestätigte er ihr mit einem Lächeln und nickte. Sie war auf der richtigen Spur, während er nun locker seine Arme vor der Brust verschränkte.

„Ich denke, dass passt gut. Sich nicht zu schnell ein Urteil über jemanden oder etwas bilden, sondern vielleicht so manches aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten um zu erkennen, was sich dahinter verbirg.“, fasste er es erneut zusammen, während er ihrem Grinsen mit einem zufriedenen Lächeln begegnete.
„Aus einem scheinbaren Haufen Müll kann doch viel werden, nicht?“, verzog sich das Lächeln zu einem schelmischen Grinsen.

In die Ermahnung der Praktikantin würde er sich nicht einmischen. Natürlich war dies von Nöten, den es war angebracht. Es war mehr die Art und Weise, wie dieser Tael geäußert wurde, der ihn leicht den Kopf senken liess. Es war unüblich in den Räumlichkeiten des Museums so laut zu sprechen oder gar jemanden so anzupflaumen, dann noch vor allen anderen.

„Verständlich.“, schien sie nicht mit dem Umgangston in diesen Räumlichkeiten vertraut. „Lass das nur nicht die Kuratorin hören.“, riet er ihr in einem ruhigeren Ton.

„Wer weiss? Vielleicht ein neues Kunstwerk? Etwas anderes wie eine Badewanne?“, schlug er vor, als sie sein Kommentar hinterfragte. Erneut wanderten seine Mundwinkel hinauf.

„Was auf jeden Fall für dich und deine Arbeit spricht.“, rutschte er nun auch in das *du*, nachdem sie es bereits frech einfach verwendet hatte.

„Dennoch…ich glaube kaum, dass sich jemand beschwert, wenn man sich eine kleine Pause herausnimmt. Gerade…“, nun wanderten seine Augen wieder zu ihr. „…wenn diese so angenehm ist. Ich danke dir also.“

Vielleicht flirteten sie wirklich ein wenig. Vielleicht auch nicht? Würde man ihn darauf ansprechen, so wüsste er wahrscheinlich selbst nicht einmal, ob dem so war. Dieses Gespräch war ihm einfach nur angenehm und vor allen Dingen erfrischend. Wirkte sie doch so anders, wie diejenigen die gerade in aller Ruhe weiter die Kunstwerke aufbauten. Gedeckte Gespräche, als habe man Angst gefressen zu werden, wenn man nur einmal Lachte. Sie hatte ihn für wenige Minuten Freude geschenkt, weswegen er ihr ehrlich dankte.

„Dann sehen wir uns nachher.“, bestätigte er ihr mit einem Lächeln und einem Nicken und lachte bei dem offensichtlichen Witz. „Wie könnte ich.“, schmunzelte er in sich hinein und wandte sich wieder der Arbeit zu.

Ruhig und unauffällig stand er neben einer Säule mit einer Schale darauf. Leute zogen an ihm vorbei und hielten wohl den in einem einfachen schwarzen Hemd und einer schwarzen Hose bekleideten, jungen Mann als Kellner. Er war unscheinbar und doch, wenn man einen Blick von ihm erhaschte, voller Faszination. Eine blonde Frau stand neben ihm, diskutierte und gestikulierte wild mit ihren Händen. Janet, die eben noch rechtzeitig von dem Flieger hierher geeilt war. Natürlich auffallend gekleidet in einem knalligen, roten Cocktailkleid. Beruhigend hob er eine Hand, schien ihr etwas zu erklären, worauf sie wutentbrannt ihre blonde Mähne arrogant nach hinten warf und kopfschüttelnd ihn verliess. Kein Wort des Gesprächs war über das Gemurmel der Leute zu hören, als Janet nun hervortrat, die Gäste begrüßte und letztlich die Ausstellung eröffnete. Ohne ihn, anders, wie die Blondine es gerne gehabt hätte.

Yul stattdessen schob seine Hände in die Hosentaschen und sah über die Masse der Köpfe hinweg. Er hatte nicht lange gebraucht um sie ausfindig zu machen. Beinahe hefteten sich seine Augen an ihre Gestalt, den rotbraunen, offenen Haaren und dem auffallenden hellgrünen Rock. Er schmunzelte – ja, dass passte zu ihr.

„Bitte einen Champagner.“, näselte eine ältere Dame neben ihm und er zuckte leicht zusammen. Doch das kurze Zögern verflog, als er nun schmunzelte.

„Natürlich.“, nickte er der übertrieben geschminkten Frau zu, die eine parfumgeschwängerte Wolke hinter sich herzog, dass ihm beinahe übel wurde.

Knapp wandte er sich ab, drückte sich durch die Menge, die sich bereits um die ersten Werke sammelten.

„Doch geschafft?“, trat er an ihr lächelnd vorbei, nur um ein Glas Champagner aus dem Meer an Gläsern zu erhaschen, die man neben dem Eingang hergerichtet hatte. Seine Augen hefteten sich an ihre.

„Und? Kann das weg?“, fragte er sie provokant und sein Blick glitt zu den Schattenbildern, die nun, unter dem richtigen Licht, ihre volle Pracht zeigten.

Charlotta Fraser

Kunst war etwas, was man entweder verstand oder nicht. Kunst war etwas, was man liebte oder nicht. Kunst war vielschichtig, vielseitig, lag stets im Auge des Betrachters. So gab es Leute, die beim tanzen keine Kunst sahen, während andere genau diese Kunstform liebten. Tanzen war etwas, wo Lotta sich selbst wiederfand. Einen Tanz zu interpretieren fiel ihr leichter als bei einem Gemälde. Tanzen war ein Lebensgefühl, etwas was einem durchaus die Last von der Schulter nehmen konnte und wo man sich schwerelos fühlte. Es gab wenige Hobbys denen sie nachging. Wenige Hobbys, bei denen sie sich richtig wohl fühlte. Wohlfühlen, schwerelos, so als gehöre sie irgendwo dazu. Sie fiel auf, immer. Gerade in einem Land wie diesem fiel sie auf, weil sie etwas lauter war. Sie war direkter, extrovertierter, vorlaut… Egal, wie sehr sie es auch versuchte, sie passte nicht ganz hinein. Sie war zu wild, zu sehr in den Gesetzen und Verhaltensweisen ihrer tierischen Form gefangen und lebte diese eher aus. Immerhin war und ist dies das, was ihr Leben geprägt hat. Es sah sicherlich anders aus, wenn manch ein Gestaltwandler ihrer Art unter Menschen aufgewachsen war. Lernte man von klein auf an, wie man sich zu verhalten hatte unter Menschen, war es leichter. Ihre Nichten und Neffen waren das beste Beispiel dafür. Sie kannten es nicht anders und dadurch konnten sie sich super anpassen.

“Genau dies wäre eine Aussage von einem puren Optimisten.” meinte Lotta schmunzelnd, als er die Badewanne mit einem neuen Werk verglich. Möglich wäre es. Eine saubere Badewanne war etwas, was sicherlich auch Freude bringen konnte. Bei seiner Frage, ob Reinigung nicht auch eine Kunst wäre, überlegte sie einen kurzen Moment und neigte den Kopf von einer zur anderen Seite, ehe sie dann mit einem Lächeln auf den Lippen nickte. “Je nachdem, was man als Kunst betrachtet. Die Reinigung ist etwas Alltägliches und dennoch kann es einem viel geben.” begann sie und straffte die Schultern noch ein wenig mehr, wodurch ihre Haltung noch stolzer und selbstbewusster wurde. “Eine saubere Wohnung kann der Seele gut tun, das reinigen einer Messie Wohnung kann ein Neuanfang für die Person bedeuten. Die Reinigung kann als Meditation dienen. Musik an, Welt aus und einfach putzen. Es kommt drauf an, auf welche Art der Kunst man sich bezieht. Es kann der Seele gut tun oder, man sieht es als Kunst, genau zu wissen wie man selbst hartnäckige Flecken aus dem teuren Teppich bekommt.” erläuterte die Wölfin ihre Gedanken dazu. Ein wenig Philosophie hing zwischen ihren Worten. Sie selbst war stolz auf ihren Beruf. Gut, sie hatte nicht viele Auswahlmöglichkeiten in ihrem Leben. Aber dennoch… Sie verdiente ihr eigenes Geld, war gut in dem was sie tat und sie hatte stets die Möglichkeit entweder im Team zu arbeiten oder sich zurück zu ziehen. Es gab viele, die diesen Beruf als nichtig abtun und nicht wissen, wie viel Arbeit durchaus darin steckt. Aber so war es nun mal. Manche Berufe wurden in den Himmel gelobt, während andere als unwichtig abgetan wurden. Solange niemand ihr gegenüber beleidigend wurde, konnte sie damit umgehen.

“Mitunter war es ja auch das Ziel, dass die Butter gerinnt und anfängt zu stinken. Was, wenn der Künstler ursprünglich eine Madenwanne haben wollte und nur die Grundlage geschaffen hat? Wenn wir schon dabei sind, uns über komische Dinge der Kunst zu unterhalten, können wir auch so was mit einbeziehen. Manche Dinge ergeben keinen Sinn oder sollen vielleicht auch keinen Sinn ergeben. Fakt ist nur, dass eine Badewanne mit Butter nach etwas klingt, was man dringend sauber schrubben sollte, bevor sich das alles festsetzt und man mehr Arbeit damit hat als es nötig wäre.” meinte sie grinsend. Wann ergab schon etwas kunstvolles einen Sinn? Jene, die darin keinen Sinn sahen, würden diesen nie erkennen. Andere, die irgendwas darin sahen, würden an ihrer eigenen Meinung festhalten und sich sicher fühlen, den Sinn erkannt zu haben. So war es eben. Der gehüstelte Einwurf, dass Kunst auch in einer Leinwand lag, welche mit einem Affenhintern betupft war, musste sie grinsen. “Ich denke, diese Form der Kunst wäre sehr amüsant und eine, die ich durchaus verstehe. Der Affenhintern bezieht eine klare Position und lebt wohl nach dem Motto, man könne ihn kreuzweise. Es trägt eine klare Message. Fast so, als würde man seine Mittelfinger in Farbe tunken und dann auf eine Leinwand übertragen.” witzelte sie und verkniff sich ihr Lachen. “Kunst ist etwas, was jeder anders auslegt. Anstatt sich nur irgendwelche Bilder anzusehen, könnte man sich doch auch tanzende Menschen ansehen. Tanzen ist auch eine Kunstform, eine die leichter zu verstehen ist, weil jeder Tanz eine Geschichte erzählt. Jeder Volkstanz hat eine Tradition, eine Entstehungsgeschichte. Jeder Ausdruckstanz soll etwas anderes wiedergeben und diejenigen, die es fühlen, werden in der Lage sein das auch zu verstehen und sich darin fallen zu lassen.” erwiderte Lotta und ließ ihn damit an ihrem Gedankengang teilhaben. Es gab nichts was sie verbergen musste und das Gespräch, der Austausch mit ihm, sorgte dafür das sie jetzt schon anfing einige Dinge anders zu betrachten und mehrfach darüber nachzudenken.

Seine nächsten Worte ließen sie kurz innehalten und sie kaute auf der Innenseite ihrer Wange herum. Geld war für viele ein Antrieb und viele, würden massig Kohle bezahlen für dummes Zeug. Was man letztlich mit so einem Objekt anfing? Wer wusste das schon? Den Blickkontakt hielt sie aufrecht zu ihm, sie würde nicht weg sehen. Wegsehen war ein Zeichen von Unterwerfung. Auf der anderen Seite, waren seine rehbraunen Augen wirklich hübsch, eine Augenfarbe die man selten zu Gesicht bekam. Letztlich war es wirklich so, dass man dadurch seine eigene Seele verkaufen konnte. Sein trockener Tonfall war etwas, was sie doch etwas überraschte und dafür sorgte, dass sie nicht direkt etwas erwiderte. “Wieso verkaufen Menschen ihre Seele für Geld?” fragte sie und verzog kurz den Mund zu einem leicht verächtlichen Grinsen. “Ein Künstler sollte seine Kunst machen, weil er liebt, was er tut. Nicht, weil irgendwer ihm ein Haufen Kohle dafür gibt, eine Badewanne voller Fett zu beschmieren. Ein beschmiertes Kunstwerk wird man dadurch, weil man nicht mit Herzblut dabei ist. Oder diese Leute haben einst dem Teufel ihre Seele vermacht und reden sich ein, dass Geld sie unfassbar glücklich machen wird und die eigene Arbeit nur so gut sein musste, dass man dafür Kohle bekommt.” warf sie schulterzuckend ein.

Vermutlich kam es immer auf den Blickwinkel an. “Wie in so einem… wie nennt sich das gleich…” sie überlegte kurz und tippte sich dabei zweimal auf die Nasenspitze, als könnte sie dadurch ihren Verstand ankurbeln. “Kaleidoskop, dieses Ding wo man rein schauen kann und wo sich immer wieder neue schillernde Muster ergeben, je nachdem wie man es dreht.” Eine ihrer Nichten hatte so ein Kaleidoskop und sie war so fasziniert davon gewesen, weil es immer wieder anders aussah. “Wer liest denn bitte schon Anleitungen?” fragte sie lachend und verzog den Mund dann kurz zu einem Grinsen. “Eine Anleitung kann sicherlich helfen. Ein Plan, damit man weiß, wie man anfangen soll. Irgendwas, damit man eine Vorstellung bekam. Bei einem Puzzle gibt es ja immer ein Bild vorne drauf, so das man weiß, wie das Ergebnis auszusehen hat. Gut, die Puzzlestücke sind ja auch meist so, dass die ohnehin nur an eine bestimmte Stelle passen.” meinte die jung aussehende Dame, die man durchaus auf Mitte 20 schätzen würde. Das war der Vorteil, man sah ihr die 400 Jahre Lebenszeit nicht an. Wie auch? Ihre Lebenszeit, all ihre Erfahrungen, spiegelten sich eher in ihrem Wissen wieder. Auch, wenn dieses in einigen Punkten begrenzt wirkte, gab es viele andere Dinge die sie in sich aufgesogen hat. Dinge, die mit dem Wandel der Welt zu tun hatte, die Entstehung von modernen Techniken und ähnliches. Selbst, wenn sie nie genau verstand, wie diese Dinge bis ins kleinste Detail funktionierten, so wusste sie aber doch, dass es vor Ewigkeiten nicht mal einen Entwurf für Smartphones und Social Media gab. Daran hat man nie gedacht, da waren andere Werte wichtiger und man hat seine Zeit ganz anders und sinnvoller genutzt.

“Genau, früher sind wir auch ohne klar gekommen. Wozu brauchten wir das auch? Wollten wir wissen, ob jemand Zeit hat, ist man vorbei gegangen. Man hat sich mit Freunden getroffen ohne, dass man ein Handy brauchte und man war ständig draußen unterwegs und das ohne das man ständig erreichbar war. Likes und Kommentare? Wozu braudcht man das? Manche machen sich so abhängig davon… Es ist doch so viel mehr Wert, wenn richtige Menschen auf einen zu kommen und sagen, ‘Du hast das wirklich gut gemacht’ als, wenn es nur leere getippte Wörter auf einer Social Media Plattform sind. In meiner Familie schicken wir uns keine Nachrichten zum Geburtstag, sondern wir nutzen die Möglichkeit des Videoanrufs. Wir leben leider zu weit voneinander entfernt, weswegen ein Besuch nicht so einfach möglich ist. Aber, wir wollen uns eben in die Augen sehen.” gab sie etwas von sich preis. Sie liebte es mit ihrer Familie zu telefonieren und dabei nutzten sie immer den Videochat. Sie mussten sich sehen, sie musste das Gesicht ihrer Familie sehen. Sonst würde sie durchdrehen. Denn, wie es einem ging, merkte man am ehesten, wenn man das Gesicht las und keine zügig hingeklatschten Wörter. “Dieser ganze Social Media Kram lässt einiges verkümmern. Man nutzt viel mehr Zeit online als in der realen Welt. Ist viel mehr damit beschäftigt online gut dazustehen als im eigenen Leben aufzuräumen.” kam es ihr leise über die Lippen, während sie kurz ihre Kollegin betrachtete. Die Praktikantin war noch jung und würde vermutlich erst noch den Ernst des Lebens spüren müssen, bis ein Umdenken stattfand und man begriff, dass das richtige Leben hart und unberechenbar sein konnte, das man mehr Zeit darin investieren sollte die Zeit mit Freunden zu verbringen als nur online herum zu hängen und mit Fremden zu schreiben.

So allmählich stieg sie hinter der Bedeutung des Schattenbildes, zumindest ihrer eigenen Meinung dazu. Es war wirklich ein gutes Sinnbild dafür, dass manche Dinge von Außen anders schienen als sie wirklich waren und ein Blickwinkel ausreichte um ganz anders diese Dinge zu betrachten. “Das ist ein besonderer Müllhaufen, wirklich. Einer, den man nicht weg werfen sollte sondern, der nur ein wenig gutes Licht braucht. Ich sollte dich wohl öfter dabei haben, damit du mir diese ganze Kunst erklärst. Du hast da scheinbar Ahnung von.” meinte sie grinsend. “Immerhin zeigt das ja wirklich gut, dass der erste Eindruck trügen kann und jeder im inneren anders aussehen kann.” erwiderte Lotta und betrachtete noch einen Moment das Schattenbild, während ihre Gedanken anfingen sich auszubreiten und Erinnerungen hervor zu rufen. Manche Menschen strahlten von außen und innen sahen sie anders aus, waren gebrochen. Phil war jemand, der nach außen hin wie ein strahlendes Bild erschien und tief im inneren war er schon lange ein Schrotthaufen. Da hätte auch das Licht nichts gebracht, um das zu verändern. Man hätte ihn reinigen müssen, seine Seele flicken müssen.

Das ihre Ermahnung dafür sorgte, dass andere entweder tuschelten oder den Blick senkten, war okay. Lotta dachte selten daran ihre Stimme zu senken. Ermahnte sie jemanden, dann ermahnte sie denjenigen mit einer gewissen Lautstärke und einem bestimmten Tonfall. Als Wölfin machte sie da immer kurzen Prozess und wies strikt auf Fehlverhalten hin. Sein ruhiger Hinweis darauf, dass sie das nicht der Kuratorin hören lassen soll, ließ sie mit den Schultern zucken. “Die Frage ist, was würde passieren, wenn die Kuratorin das hört?” fragte sie leicht prokant mit einem Grinsen auf den Lippen. Aber gut, Lotta war nun mal Lotta. Sie war zu direkt, vertrug so einiges und würde auf eine hitzige Diskussion durchaus eingehen. Das er ein neues Kunstwerk machen würde oder etwas anderes, wie eine Badewanne, ließ sie dann sanft grinsen. “Wie wäre es mit einem Wascheimer oder einer Dusche? Badewannen hatte man doch schon kunstvoll ausgeschmückt.” erwiderte sie frech. Das er sie nun auch duzte, war vollkommen in Ordnung. Sie selbst tat es ja auch. Wozu siezen? Sie dachte nicht immer daran, schon gar nicht, wenn sie sich mit jemandem so gut verstand und so ein angenehmes Gespräch führte.

Das er ihr Gespräch als angenehm empfand, ließ sie schmunzeln. So ging es ihr ja auch. Seine Art hatte etwas angenehmes und auch was beruhigendes. “Immer wieder gerne.” meinte sie charmant lächelnd und nur wenig später machte sie sich wieder an ihre Arbeit. Ob sie sich wirklich nachher sehen würden? Sie hoffte es. Die Frage war nur, wie viele Leute später kamen und ob man sich in der Menge sehen konnte. Doch letztlich waren all die kurzen Gedanken daran, später unwichtig. Während sie ihren Blick schweifen ließ, entdeckte sie ihn am anderen Ende der Veranstaltung. Kurz sah sie zu ihm, ein Grinsen umspielte ihre Lippen und sie sah wieder nach vorne, wo gerade eine blonde Dame die Veranstaltung offiziell eröffnete und den Leuten viel Spaß wünschte.

Das der gutaussehende und angenehme Gesprächspartner von vorhin, dann an ihrer Seite plötzlich auftauchte, ließ Lotta grinsen, welches dann noch frecher wurde bei seiner Frage. “Das kann ausnahmsweise bleiben, aber nur weil es leuchtet.” begann sie ihm zu antworten und deutete dann auf sein Glas mit Champagner. “Das da kann weg. Mitunter findet man noch andere Dinge, die weg können.” ergänzte sie provokant und bemerkte, wie ihre Kollegen ein wenig kicherten und auf Krampf versuchten sie nicht die ganze Zeit zu beobachten. War es so unfassbar, dass sie sich mit jemandem unterhielt? Oder lag es an der Tatsache, dass es ein Mann war? Letztlich sollte dies keine Rolle spielen. Manche Menschen würden ohnehin tuscheln, weil das eigene Leben nicht interessant genug war. “Und, bist du fertig geworden mit deinem Werk?” fragte sie ihn und musterte neugierig sein Gesicht. Er war ein kleines Stück größer als sie. Seine Rehbraunen Augen passten zu ihm. Sein Geruch stieg wieder in ihre Nase, ein wenig stärker als vorher, weil sie dichter bei ihm stand. Ob sie im Laufe der Veranstaltung noch genau dahinter kam? Ob sie sich in der Zeit erlauben würde daran zu denken, dass er sehr ähnlich wie ihresgleichen roch?
Würde man mit Yul über die Vielschichtigkeit der Kunst sprechen, nun, er würde diesem vollumfänglich zusagen. Doch was womöglich für andere bedeutsam an der Kunst war, die Interpretation und die Freude des Betrachtens, egal, ob dies ein wundervoller Tanz war oder eben das fertige Gericht eines renommierten Koches, was ebenfalls eine hohe Kunst darstellte. Ging es für ihn doch mehr um die Perfektion des Prozesses der Erschaffung an sich. Er liebte es die verschiedenen Techniken miteinander zu verbinden, um seinem Innersten Ausdruck zu verleihen. Ihm war egal, welch ein Ergebnis dieser Prozess hervorbringen würde, solange der Ton ihm eben ein Stückchen seiner Seele in sich aufnahm und damit die Qual und den Schmerz ertragbarer machte. Sicherlich, er war ausgebildet darin perfekte Schalen, Vasen und andere Keramiken herzustellen. Doch das Ziel seiner Arbeit hatte sich im Laufe der Jahrhunderte geändert. So wurde dieser Prozess der Herstellung an sich für ihn zu jenem Lebensfaden, der ihn noch an diese Welt hier band und ihn irgendwie vor der düsteren Finsternis in seinem Inneren bewahrte.

So würde Yul seine Werke noch nicht einmal als Kunst betiteln, sondern lediglich als das was sie waren. Keramik – nicht mehr und nicht weniger und diese noch nicht einmal eine hübsche. Würde man ihn im Vertrauen explizit darauf ansprechen, würde er womöglich zugeben, dass dies mehr Fragmente seiner Seele waren. Doch dies würde er niemals offen zugeben. Die Ausstellung an sich, als auch der Verkauf seiner Werke, war für ihn stets ein notwendiges Übel. Eben eine Quelle, um sich in der heutige Zeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

So fand man ihn – Yul - seinen Zorn, seine Wut und Verzweiflung über den Verlust seiner Erinnerungen und Familie, in jeglichem Fingerbadruck der sich auf der unglasierten, gebrannte Oberfläche eingebrannt hatte.
Überrascht über ihre Aussage, zuckte leicht seine linke, dunkle Augenbraue hinauf. „Ich bin bei weitem kein Idealist, eher ein Realist.“, erwiderte er prompt und musterte mit Freude, wie sie nun über seinen Vorschlag weiter nachdachte. Man konnte das Überschlagen ihrer Gedanken förmlich in den aufgeweckten Augen sehen, wie sie für sich durchging, dass auch eine Reinigung eine Kunst zu sein vermochte. Mit einem Lächeln kam sie dann wohl zu einem Ergebnis und was nun folgte, überraschte ihn.

Es war eine eigene Philosophie der Rotbraunen und doch so wohlüberlegt, dass es ihn nun leicht seine Lippen amüsiert schürzen liess. Es war wundervoll zu sehen, wie jemand selbst seine Meinungen überdachte und so einen vollkommen eigenen Weg zu diesem Thema fand. Ruhig liess er sie ausreden, als hätten sie alle Zeit der Welt. Dabei bemerkte er durchaus, dass die Nervosität mit jeder verstrichenen Minute in dem Raum stieg. Es war eine natürliche Anspannung zu spüren. Man wollte rechtzeitig für die Aufraggeber fertig werden. Er indes genoss diesen Schwall an Wörtern, war gar fasziniert von ihren Erläuterungen und nahm sich die Zeit, die offenkundig andere übel nahmen. So waren es die Blick der anderen Helfer, die ihn mehr wie vorwurfsvoll trafen und die ihm doch gänzlich egal zu sein schienen. Den er hatte in diesem Moment jegliche Zeit nur für sie, ehe er dann zustimmend, beinahe schalkisch lächelte. „Demnach ist eine Reinigung Kunst. Und…spinnen wir mal weiter…Ist dann nicht das ganze Leben Kunst?“, spann er diesen Gedankenfaden weiter. Diese junge Frau war wunderbar.
Ein Grinsen folgte auf seinen Einwurf, dass wohl auch Affen mit ihren Hintern Kunst erschaffen konnten. „Diese Kunst hängt ein Stockwerk höher – in Karminrot und Citringelb.“, wurde aus dem leichten Schmunzeln an leises Lachen, dass dann doch schnell versiegte.

Sein Lächeln jedoch blieb, erst recht, als sie das Beispiel mit dem Mittelfinger brachte. „Nun, es gibt auch andere Körperteile mit denen man sich auf der Leinwand verewigen kann, um zu polarisieren oder seine Meinung kundzutun.“, räusperte er sich erneut unter der Vorstellung, womit der Mensch schon alles experimentiert hat.
„Manch ein Künstler trägt ja seinen Pinselersatz stets festangewachsen mit sich herum.“, kam es erneut äußerst trocken von ihm, während ein beinahe schon zynisches Funkeln in seinen Augen seine Worte begleitete, als er tatsächlich an den einen Kerl dachte, der mit seinem Schwanz Großleinwände mit Farbe bepinselte. „Stets zum Einsatz bereit.“, zuckte bei diesem ironischen Wortspiel lediglich eine Augenbraue hinauf.

Seine Iriden huschten immer wieder über Gesicht, sogen diese winzigen Regungen von ihr in sich auf. Es war schlicht erfrischend. „Vieles kann Kunst sein.“, bestätigte er ihre Gedanken zu dem Tanz und nickte. „Ebenfalls ein gutes Essen oder eben auch die Kunst der Natur…“, gab er ihr einen weiteren Denkanstoß, sie weiterhin beobachtend, wie sie tatsächlich in diesem Thema aufging.

Ihre Frage war durchaus berechtigt und selbst Yul wusste darauf nicht sofort eine Antwort. Immerhin war es inzwischen Gang und Gebe, dass Menschen für Geld alles tun würden. „Ich glaube so manch einer jagt seinen Sehnsüchten und Wünschen hinterher. Der Eine will berühmt werden, während der Andere sich ein protziges Auto leisten möchte. Für Geld und Fame machen viele einiges.“, erinnerte er an die ganzen peinlichen Videos auf den Social Media. „Ein trauriger Trend.“, war er sich sicher, dass sie es unter ihrem verächtlichen Grinsen genauso empfand und würde ihren weiteren Äußerungen zustimmen.
„Könnte man meinen, ja.“, stimmte er ihr lächelnd bei dem Vergleich mit dem Kaleidoskop zu, darauf folgte ein erheitertes, beinahe schon entwaffnendes, leises Lachen. „Diejenigen die es Aufbauen und sichergehen müssen, dass alles an seinem richtige Platz sitzt.“, zog er leicht die Nase amüsiert kraus. „Ich will schließlich nicht wie ein Depp zum Schluss dastehen, der noch nicht einmal eine IKEA-Kommode zusammengebaut bekommt, nur weil man die Anleitung nicht beachtet hat.“

„Du willst also behaupten, dass der Weg das Ziel ist?“, zogen sich seine Mundwinkel weiter hinauf und ein kritischer Blick landete auf dem Haufen. „Lass mal kurz überlegen…“, rieb er sich leicht das Kinn. „…Nein.“, kam es dann erheitert und entschlossen. Für ihn war es einfach unvorstellbar dieses mühevoll zusammengefügte Bild ohne eine Anleitung erneut nach Transport zusammenzufügen. „Ich glaube, in diesem Fall liegst du falsch.“ , fügte er an und seine Augen wanderten zurück zu ihrem Lächeln. „Ändere ich den Weg, ändert sich das Ergebnis und ich glaube, dass würde man mir übel nehmen. Bei aller Liebe zur Kunst.“

Social Media – nichts konnte er weniger verstehen als eben dieses Thema. Er selbst war überhaupt nicht in diesen unterwegs. Zwar besass er Accounts bei allem möglichen, doch wurden diese von Janet, seiner Managerin geführt, er selbst sah dort am wenigsten hinein. „Eigentlich ist es traurig. Man sucht Kontakt darüber und findet doch nichts als Distanz.“, würde er ihren Wortschwall ergänzen, dem er gänzlich zustimmen würde. Sah er es doch nicht anders.

Als sie ihre Familie ansprach änderte sich etwas in seinem Gesicht. Es war, als wenn ein zarter, dunkler Schleier sich über seine Augen legen würde und bevor man es gänzlich wahrnehmen konnte, senkte er seinen Kopf. Familie. Wie wertvoll diese doch war und wie schmerzlich, wenn man wusste, man hatte sie verloren. Doch trauerte er um leere Gesichter, um leere Stimmen, die er nicht zuzuordnen vermochte. „Es ist wichtig seinen Lieben nahe zu sein.“, dass Lächeln auf seinen Lippen versiegte, während sein Blick erneut zu der Praktikantin wanderte, die immer noch mit ihrem Handy beschäftigt war sich dieses erneut in die Tasche zu stecken. Die Rotbraune hatte recht – etwas verkümmerte in einem.

Das Klicken des Lichtschalters endete und das Schmunzeln kehrte langsam wieder auf seine Züge zurück, geboren aus ihrer Faszination, die beinahe dem eines Kindes gleichkam. Unschuldig, ehrlich und doch irgendwie anziehend. Er schnaufte leise, als sie diesem Haufen einen Ehrentitel >besonderer Müllhaufen< verlieh. „Das ist er.“, wanderte nun auch sein Blick knapp zu den weich gezeichneten Linien aus Schatten an der weißen Wand. „Wenn Vieles doch nur so einfach wäre. Nur ein wenig gutes Licht…“, überlegte er laut, ehe er aus seinen Gedanken gerissen wurde. „Eher sollte ich dich dabei haben.“, ruckte sein Kopf zu ihr und sein Lächeln kehrte zurück. „Du erklärst sie besser wie jeder Kunstkritiker.“, gab er seine Meinung kund und meinte dies durchaus ehrlich. Alle Erläuterungen und Ausführungen hatte sie sich selbst erarbeitet. Er hatte lediglich nur ein Gedankenkorn gesät, mehr nicht.

Provokant stand ihm nun die Rothaarige gegenüber und er schmunzelte. Er mochte ihre hitzige Art, diesen Stolz den sie dabei besass, dass sich hinter diesem kecken Grinsen verbarg. Auf die Frage, was denn geschehen würde, ging er nicht weiter ein. Wahrscheinlich würde es eine Beschwerde bei ihrem Chef hageln, nun, wenn sich den jemand beschweren würde. Und wenn, dann wusste er es entsprechend zu unterbinden.

„Eine Dusche wäre sehr angenehm…“, überlegte er laut, ohne weiter auszuführen, wie man den eine Dusche zu einem Kunstwerk machen könnte und lächelte dann verschmitzt. „Vielleicht greift das ja mal jemand auf.“
Tatsächlich, sie lächelte ihn charmant an und er erwiderte es, ohne groß nachzudenken. Ungewöhnlich für den eigentlich verschlossenen, jungen Mann, der kaum mit den anderen Helfern ein Gespräch suchte. Er galt als freundlich, zurückhalten und eher distanziert. Man tuschelte, er sei der Geliebte des Künstlers oder der Managerin. Da er stets immer anwesend zu sein schien. Dies viel zumindest nur Personen auf, die man zwei oder dreimal hintereinander buchte, um als helfende Hand bei diesen Ausstellungen tätig zu sein. Zum Glück kam dies recht selten vor.

Noch am Rande stehend hatte er sich gefragt, ob sie tatsächlich die Einladung annehmen würde. Die junge Rotbraune war ihm sympathisch, mit ihrer ganz eigenen Art, hatte sie ihn fasziniert, dass er nur zu gerne mehr von ihr erfahren wollte. Mitunter auch, da er einfach nicht ihren Duft einzuordnen vermochte. Er war vertraut und doch ihm unbekannt. Es war als würde dieser Geruch etwas in seinen Erinnerungen reizen, wie eine Sehen, die man angezupft hatte und nun unter einem seichten Ton vibrierte. Etwas, was verstummt war und nun durch die tote Leere zu schallen schien. Und doch war da dieses dumpfe Tuch, dass sich über seine Erinnerungen legte, ihn nicht hindurchblicken liess. So das es ihm scheinbar nicht möglich war genau zu erfassen, woher dieser seichte Ton kam.

Zufrieden lachte er nun leise, als sie meinte, dass die Bilder nun bleiben konnten. „Ich glaube, da wird die Kuratorin beruhigt sein, dass keine Gefahr mehr für die Kunstwerke von dir ausgeht.“, grinste er sie frech an, beinahe als wäre sie nun seine Erlösung aus dieser tristen Veranstaltung. Mitunter musste er zugeben, dass dem so war. Er mochte es zwar die Reaktionen zu erfassen, sich unter die unwissenden Menschen zu mischen und ihre Meinungen ehrlich zu erfahren. Doch jegliche dieser Veranstaltungen, bei denen das Who-is-Who der örtlichen Gesellschaft eingeladen wurde, konnte so unverschämt trocken sein, dass der Abend wie zäher Kaugummi an einem vorbeifloss.

„Das kann weg?“, sah er verwundert auf die perlende Flüssigkeit in dem Glas das er hielt. Er schien wohl verwundert nicht gänzlich zu verstehen, was sie meinte. „Mhm…und welche Dinge wären das?“, schien er sie nun provozieren zu wollen erneut ihre Gedanken mit ihm zu teilen, wobei sich bereits leicht seine Mundwinkel erneut zu einem Lächeln hoben. „Nun, hier gibt es sicherlich einige Sachen die wegkönnen. Nicht leuchtend und nicht von einem Wurmfortsatz gemalt.“, fügte er mitunter sehr trocken an, dabei neigte er sich leicht zu ihr hinüber.

Das Getuschel ihrer Kollegen entging ihm dabei nicht, auch nicht das kichern und das Getue. Doch das war ihm gänzlich egal. „Du meinst mit dem Puzzle?“, fragte er und hielt dann doch ein wenig inne. Da war er wieder, deutlicher als noch am Mittag und vor allen Dingen nicht vermischt mit anderen scharfen Gerüchen. Sie roch wie der warme Sommerregen der auf trockenen Waldboden fiel, wundervoll frisch und doch warm, mit der erdigen Note des Waldes, die er so liebte. Wolf…sie war eine Wölfin. Unbewusst starrte er ihr unter dieser Erkenntnis in die fröhlichen Augen, ehe er sich wieder fasste. „Offensichtlich.“ Kehrte das Lächeln auf seine Lippen zurück. Eine Wölfin…

„Und du bist dir sicher, dass du dir diese langweilige Kunst antun willst?“, forderte er sie provokant heraus, während sich seine Augen sich in ihre zu bohren schienen. „Kann ich dir etwas bringen?“, hob er andeutend das Glas Champagner. „Ich verspreche dir auch. Du wirst nicht mit Fett beschmiert finden.“, schürzten sich erneut seine Lippen.

„Nein. Das haben wir ja alles weggemacht.“, lächelte ihn mit einem Mal die brünette Praktikantin von der Seite an. „Schön cool es aus.“, kaute diese Kaugummi und sah sich auffallend um. Yul blinzelte, aufgrund der Unterbrechung. „Ich danke Ihnen.“, blieb er höflich und doch bemerkte man, wie sich sein Lächeln änderte. „Doch das sollten sie vielleicht der Veranstalterin sagen.“, deutete er mit seiner Hand in Richtung Janet, die sich gerade mit jemanden aus der Politik unterhielt. „Interesse an meiner Handynummer?“, platzte diese mit einem Mal heraus und griente ihn mehr wie dämlich an. „Du bist süss und sicherlich willst du mit Frauen mit mehr Stil sprechen, als die!“, knatschte sie weiter Kaugummi. „Außerdem habe ich anderes zu bieten.“, blies sie eine Kaugummiblase, die nun leise platzte. Yul sog unbewusst Luft, seine Augen wurden schmal. „Nein. Entschuldigen Sie, doch dass sollten Sie besser unterlassen.“, blieb er dennoch höflich, doch änderte sich der Ton seiner Stimme, als läge ein verstecktes Knurren darunter, dass ein Mensch nur zu leicht überhören konnte. „Ach, komm schon, Süßer!“, schnurrte die hartnäckige Brünette.

Charlotta Fraser

Das der junge Mann sie einfach reden ließ und geduldig zuhörte, war wirklich schön. Es war etwas, was sie meist nicht so erlebte. Viele hätten sie unterbrochen oder bereits gelangweilt da gestanden. Lotta sprach selten wie ein Wasserfall. Hier war das Thema jedoch interessant und der Austausch mit dem Mann sorgte für weitere Gedankengänge, dafür das sie mehr und mehr darüber nachdachte. Das ganze Leben konnte durchaus auch eine Kunst sein, sofern man wusste, wie man das Leben Kunstvoll gestaltet. “Wusste man, wie man es anstellt, ist sicherlich auch das Leben eine Kunst. Immerhin ist Leben etwas, was jeder individuell gestaltet. Jeder definiert Leben anders und das ist ja bei Kunst auch so. Vermutlich lässt sich vieles als Kunst betrachten, wenn man sich die Zeit nimmt um darüber nachzudenken.” erwiderte sie und ließ ihn an ihren Gedanken weiter teilhaben. Für ihren Bruder Phil war das Leben auch ein Kunstwerk, etwas was er voll ausgefüllt hat und letztlich wurde seine Leinwand immer düsterer, bis es letztlich gänzlich vom schwarzen Nebel umhüllt war. Sein Leben begann bunt und endete, auf tragische Weise. Vermutlich war dies mit ein Grund, warum Lottas ‘Leinwand des Lebens’ immer wieder mit düsteren Flecken durchzogen wäre, wenn man ihr Leben und all die Erinnerungen und Erfahrungen versuchen würde auf einer Leinwand mit Farbe auszudrücken.

Das das Affenbild ein Stockwerk höher hing, notierte sie sich. Vermutlich würde sie da nachher mal vorbei schauen, nur um sagen zu können ‘Ich hab es gesehen!’ Der nächste trockene Einwurf von ihm, der von einem zynischen und ironischen Tonfall begleitet wurde, ließ sie dann doch zweideutig grinsen. “Tja… So was soll es wohl auch geben.” meinte sie immer noch grinsend und schüttelte kurz den Kopf, während sie versuchte die Vorstellung davon aus ihrem Kopf zu verbannen. “Du kannst mir so was doch nicht einfach sagen. Jetzt hab ich Kopfkino? Wie werde ich das wieder los?” fragte sie ihn lachend. Ihr Lachen war definitiv so, wie ihre ganze Art: zu laut, zu ungehalten, zu ehrlich und direkt. Es war kein gespieltes Lachen, sondern etwas was wirklich aus ihrem Herzen kam und ihr gesamtes Auftreten nur noch unterstrich. Sein nächster Einsatz ließ sie kurz nicken und sie schien erneut einen Augenblick darüber nachzudenken, sich seine Worte durch den Kopf gehen zu lassen und Verknüpfungen herzustellen, alles sich wohl zu überlegen um dann ihre Gedanken dazu wiederzugeben. “Die Natur ist ohnehin die schönste Kunst, die man finden kann. Ein Meer aus Blumen, die Ruhe im Wald, der Sternenhimmel in einer wolkenlosen Nacht oder auch nur das Lied der Vögel, welches den neuen Tag begrüßt. Nichts davon ist gestellt oder möchte unbedingt das Schönste überhaupt sein. Sie sind natürlich, so wie sie geschaffen wurden.” erklärte sie ihre Gedanken und wirkte kurz ein wenig verträumt. Sie war in der Natur geboren, in der Natur aufgewachsen und brauchte die Natur um wirklich zu sich selbst zu finden. Sie war ein Teil des Waldes, ein Teil der Welt die ohne Technik klar kam und wusste, wie man draußen unterlebte. Sie war kein Teil dieser künstlichen Welt, wo jeder schöner, dünner, reicher sein wollte.

“Manchmal frage ich mich, warum für viele das Geld so wichtig ist. Als ich ein Kind war…” begann sie und stoppte kurz, kramte in ihrem Kopf nach der Story die sie so oft erzählte, um nicht aufzufallen und dennoch bei der Wahrheit zu bleiben. “Wir hatten nie Geld übrig, hatten lediglich genug um ein Dach überm Kopf zu haben und um nicht zu verhungern. Ich habe nicht das Bedürfnis unbedingt in Geld schwimmen zu müssen oder unbedingt berühmt zu werden oder so etwas. Geld ist nichts anderes als bedrucktes Papier, dem man einen Wert zugeschrieben hat.” meinte Lotta mit einem schulterzuckend. Der Einwurf mit der Ikea Kommode brachte sie zu einem amüsierten Lachen. “Diese Kommoden kriegt man nicht mal mit Anleitung aufgebaut. In meiner Wohnung steht eine, die ist schief und krumm.” scherzte sie wahrheitsgemäß. Hätte sie Phil noch an ihrer Seite, dann wäre die Kommode vernünftig gewesen. Er fehlte einfach sehr und zu Beginn, als sie her gezogen war, erinnerte das ganze Land an ihn, weckte Erinnerungen wo eigentlich keine sein sollten. “Natürlich ist der Weg das Ziel, wobei es wohl darauf ankommt, was das eigentlich Ziel sein soll. Bei Essen kann nie der Weg das Ziel sein, denn der Weg macht hungrig.” kam es amüsiert über ihre Lippen. Das sich am Ende das Ergebnis ändern würde, wenn der junge Mann den Weg ändern würde, ließ sie nachdenklich den Kopf zur rechten Seite legen. “Wirklich? Das heißt, da muss der Weg immer gleich sein?” hakte sie bei ihm nach.

Das dieses ganze Social Media Ding traurig war, lag auf der Hand. Er schien diese Meinung zu teilen. Es war schon erstaunlich, wie viele lieber über Social Media Kontakt hielten als sich mit richtigen Menschen zu unterhalten. Es war doch besser, wenn man Zeit zusammen verbrachte als nur über Textnachrichten sich auszutauschen. Ein Grund mehr, warum sie drauf bestand, ihre Familie wenigstens beim Telefonat zu sehen und ihnen in die Augen zu sehen. Sie lebten einfach zu weit auseinander, dass man sich persönlich gegenüber stehen konnte. Aber gut, man musste dann auf die Technik zurückgreifen. Aber viele Jugendliche waren abhängig von diesem Schrott und jagten einer fiktiven Welt von Likes und Kommentaren hinterher, die nichts zu bedeuten hatten in der richtigen Welt.

Besonderer Müllhaufen, der Titel eines der besten Kunstwerke der Welt. Zumindest würde dieses Schattenbild einen festen Platz in ihren Erinnerungen haben, geknüpft mit dem Gspräch des gutaussehenden jungen Mannes, der ihr das Geheimnis des Müllhaufens gezeigt hat. Bei seinem Kompliment, dass sie die Dinge besser erklärte als jeder Kunstkritiker, senkte sie für einen Moment den Blick und ein zaghaftes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Es hielt zwar nur für wenige Sekunden an, ehe es wieder gegen ihr freches Grinsen eingetauscht wurde, aber es war kurz da gewesen. “Wir machen das einfach zusammen. Du gibst mir den richtigen Denkanstoß, so das ich kapiere wie die Kunst funktoniert und ich gebe meinen Senf dazu. Ich habe absolut keine Ahnung von Kunst. Zumindest nicht von dem Ganzen hier.” meinte sie und deutete mit einer Handbewegung auf die Dinge um sie herum. Es war nichts, was ihr bekannt war. Nichts, womit sie sich zuvor beschäftigt hat. Aber mit seinen Einwürfen, den Denkanstößen und dem Austausch, hatte sie doch tatsächlich dazu gelernt. Das er den Vorschlag mit der Dusche als angenehm empfand, ließ sie unkommentiert. Wobei ihr Grinsen schon aussagekräftig genug wäre.

Die ganze Situation mit dem jungen Mann war unfassbar angenehm gewesen. Lotta selbst hätte nie gedacht, dass sie sich nach ihrer ersten und letzten Beziehung nochmal jemals in irgendeiner Weise wohl in der Nähe von einem Mann fühlen würde. Sie hatte sich eigentlich geschworen, sich vom männlichen Geschlecht fernzuhalten. Jeden auf Abstand zu halten. Aber das ging bei dem Kerl schlecht. Er faszinierte sie, hatte etwas interessantes an sich und seine ruhige Art war… beruhigend. Alles in allem fand sie seine Nähe und das Gespräch mit ihm angenehm und eine willkommene Abwechslung. Sie nickte und erwiderte sein freches Grinsen. “Da kann sie sehr beruhigt sein. Sonst hätten all die Leute hier, nichts zum ansehen.” meinte sie mit einem gespielten traurigen Blick auf dem Gesicht, welches doch zügig wieder verschwand. Seine Frage, bezüglich dem, was weg kann, ließ sie kurz fragend zu ihm aufsehen. Nach seinem nächsten Satz tippte sie auf das Glas. “Die Flüssigkeit muss getrunken werden, sonst erfüllt sie nicht ihren nutzen.” meinte sie und sah sich dann noch einmal kurz um, auf der Suche ob noch was weg kann, während sie seinen Worten lauschte. “Genau, einfach alle Dinge weg, die nicht leuchten und wo kein Affenpo geholfen hat, werden entfernt. Das neuste Gemälde heißt dann ‘leuchtender Affenpo.” scherzte die rotbraune Wölfin, während ihr Grinsen noch breiter und heiterer wurde.

Sie nickte und war dann doch ganz froh, dass er offensichtlich mit seinem Puzzle fertig geworden ist. Ist doch schön, wenn er trotz allem alles geschafft hat. Das er mittlerweile ihren Geruch erkannt hatte, ahnte sie nicht. Ihr Gehirn selbst versuchte immer noch eine Verknüpfung herzustellen. Bei der provokanten Frage von ihm, sah sie ihn gespielt überrascht an. “Aber natürlich, ich bin nur wegen dieser langweiligen Kunst hier her gekommen. Schau mich doch an, ich bin doch genau richtig hier.” scherzte sie über sich selbst. “Außerdem scheinst du dich mit dem ganzen Kram auszukennen. Heißt, du kannst mir sicherlich auch lustigere Kunst zeigen, wenn es zu langweilig wird.” warf sie lächelnd ein. “Ich nehme gerne was.” kam es ihr über die Lippen. Am liebsten hätte sie noch ergänzt ‘Nur, wenn es dir keine Umstände macht’ aber, er hätte es sicherlich nicht angeboten, wenn sie ihm damit Umstände bereiten würde.

Mit einem Mal schob sich die Praktikantin an ihr vorbei und mischte sich mit ins Gespräch. Direkt rollte Lotta mit den Augen und war dann doch recht überrascht von dem, was sie da zu hören bekam. Zum einen machte sich die Praktikantin definitiv an den jungen Mann heran und das auf eine ziemlich anbietende, billige Art und Weise. Der Mann bezog eine klare Stellung und wies sie ab. Die junge Dame schien dies aber nicht verstehen zu wollen. Lotta schaffte es, sich da erst einmal raus zu halten und warf ihr einen kühlen Blick zu, der deutlich zeigte, dass sie mit jedem weiteren Wort eine gewisse Grenze überschritt. Ein leichtes knurren mischte sich bei dem jungen Mann in der Stimme mit ein. Es war ein versteckes Knurren, eines was ein Mensch leicht überhören konnte. Lotta hingegen fing dies auf und so langsam setzte sich ihr Bild im Kopf zusammen, der Geruch wurde näher verknüpft. Als die Praktikantin trotz allem weiter dabei blieb, sich anzubieten, setzte sich Lotta prompt in Bewegung und positionierte sich zwischen dem jungen Mann und der Praktikantin. So, dass diese sie nun direkt ansehen musste. “Er hat kein Interesse, verstanden?” fragte Lotta und die Praktikantin meinte darauf hin nur “Er ist nur schüchtern.” Lotta machte einen Schritt auf die Praktikantin zu, so dass nur wenige Zentimeter zwischen ihnen waren und sah ihr direkt in die Augen. “Er scheint kein Interesse daran zu haben, sich mit dir zu begnügen. Du solltest lieber mal deinen Anstand und Respekt suchen gehen. Glaubst du, dein Vater wäre stolz auf dich, wenn er wüsste, wie du dich hier aufführst?” kam es über Lottas Lippen. Ihre Stimme war bedrohlich ruhig, ein leichtes warnendes knurren schwang darin mit.

Die Praktikantin schluckte und als Lotta einen weiteren Schritt auf sie zu ging, schritt die Praktikantin zurück und senkte den Kopf. Für Lotta war damit die Situation geklärt, sie trat wieder zur Seite, wodurch sie die ganze Situation auflöste und für beendet erklärte. Die Praktikantin ging zurück und stolperte dann über ihre eigenen Beine. Sie verlor das Gleichgewicht und riss eine Vase zu Boden. Mit einem lauten Knall ging diese zu Boden und zersprang fast augenblicklich. Erschrocken legte sich die Praktikantin die Hände auf den Mund und ging noch einige Schritte davon weg und sah sich zu allen Seiten nach einer Fluchtmöglichkeit um.
Da war es wieder, dieses freche Grinsen, dass er bereits am Mittag hatte bewundern können. Lediglich am Mittag gepaart mit einem herzlichen, ehrlichen Lachen über das Kopfkino, dass er ihr beschert hatte. Nur mit einem charmanten und doch wissenden „Gar nicht.“, hatte er ihr geantwortet.

Sicherlich, so manch einer würde dieses Lachen als zu laut, zu aufdringlich empfinden. Es war auch nicht so, dass es ihm darin genauso erging und doch genoss er die ehrliche Art dieses Lachen. Offen, ungehemmt, frei.
Es spiegelte die Art und Weise dieser jungen Frau wieder, die ihn faszinierte. Sie war so gänzlich anders wie er. Sprach frei heraus was sie dachte und das in ganzen Wellen aus Reden, denen er sich kaum mehr entziehen konnte. Wie ein Strom hatten ihre Worte ihn mitgerissen, ihn über so manchen Stein und Wirbel geführt, ehe sie ihn erfrischt entlassen hatten.

Er hatte sich dabei erwischt, dass er tatsächlich während seiner Arbeit immer wieder seine Gedanken zu jener jungen Frau und ihrem gemeinsamen, angenehmen Gespräch geglitten waren. Ungewöhnlich für ihn. Waren Menschen doch bisher nur kurzweilige Wegbegleiter, von denen er sich sonst fernhielt. Die Distanz war ein Schutz, den er sich über die Jahre aufgebaut hatte.

Es sei denn, es handelte sich um eine Ausstellung oder um das Geschäft mit seiner Kunst an sich. Doch selbst letzteres überliess er getrost Janet. Die Blonde hatte einfach ein besseres Verhandlungsgeschick, insbesondere im internationalen Raum.

Gerade als er einen der Scherben, schief erneut in die Bohrung des hölzernen Sockels steckte, tat er es schon wieder. Ein Gedanke huschte erneut zu der Begeisterung der jungen Rotbraunen, wie sie das Ergebnis seiner mühsamen Arbeit betrachtet hatte.

Da war es erneut, sein knappes, kaum merkliches Lächeln das sich auf seine Züge schlich, als er an sie und die Ikea-Kommode dachte. „Dann solltest du sie richten lassen oder es eben als Kunst anerkennen.“, hatte er ihr scherzhaft mit auf den Weg gegeben. Schmunzelnd neigte er den Draht ein wenig, bis das Keramikstück wie nach Plan vorgegeben, endlich im richtigen Winkel stand. Er hatte ein kritisches Auge darauf, denn immerhin drängte die Zeit und dennoch…ihre Worte drängten sich erneut in seine Gedanken, beinahe vermochte er sie gar zu hören.

„Natürlich ist der Weg das Ziel, wobei es wohl darauf ankommt, was das eigentlich Ziel sein soll.“, murmelte er vor sich hin.

Ihr Parabel, dem er zugestimmt hatte. Es stimmte mit jeglichen Wort. Wobei, wenn er sich nicht an seinem Plan hielt, würde das Bild das die Scherben im Licht als Schatten an die Wand warfen, eben ein anderes sein. Eine fehlende Lücke, ein falsch gesetzter kleiner Schatten, vermochte sofort das Bild zu zerstören das es eigentlich erschaffen sollte. So hatte er ihr geantwortet, dass es eben in diesem Fall angebracht war.

„Mhm…ob es den Künstler wohl stören würde, wenn ich kleine unmerkliche Details hinzufüge?“, hatte er dabei amüsiert offen gelassen, dass er selbst der Künstler dieses Werkes war. Wozu sollte er auch seine Maskerade diesbezüglich durchbrechen. Doch schalkisch hatte er sie dabei betrachtet und amüsiert geschnauft, ehe er seinen Blick gehoben hatte. „Ich sollte es wohl einfach mal drauf ankommen lassen, mhm?“, hatte er versucht ein Grinsen sich zu verkneifen.

Zufrieden war er nach seinem Tun von dem Objekt zurückgetreten. Ruhig hatte er, wie sie zuvor, den Lichtschalter erneut betätigt, um das Ergebnis seiner Mühen zu betrachten und zu kontrollieren. Hier und da würde er den Sitz manch eines Keramikstückes noch berichtigen müssen. Doch anders wie sonst, wirkte er nun nicht angespannt bei dieser Arbeit, die durchaus nervenaufreibend sein konnte. Im Gegenteil. Hoben sich ab und zu doch seine Mundwinkel, als er ihr Gesicht sich vor Augen führte, ihre Faszination, als sie den wahren Zweck dieses besonderen Müllhaufens, wie sie es betitelt hatte, erkannte. Es war wohl in jenem Moment, als er realisierte, dass er diese Unterhaltung mit der jungen Frau tatsächlich als sehr angenehm empfunden hatte.

So war es nicht verwunderlich, dass seine rotbraunen Augen immer wieder zu dem Eingang huschten, um zu kontrollieren, ob sie tatsächlich die Ausstellung besuchen würde. Unter den vielen Gesichtern und Häuptern vermochte er jedoch nicht sofort ihres auszumachen. Sah sah man durchaus Freude und auch ein wenig Erleichterung in seinen Augen, als er ihr nun doch gegenüberstand und sie ihm erneut dieses freches Grinsen entgegenwarf.

Knapp glitten seine Augen in die Winkel bei ihrer Annahme, dass die Kuratorin wohl erleichtert sein müsste und schmunzelte.

„Das sollte sie. Ich habe erst heute Mittag einen wilden Putzteufel von all dem *Müll* vertrieben.“ , wagte er es gar zu scherzen und schürzte dabei leicht seine Lippen, als er versuchte sein Lächeln zu unterdrücken.

Ihre Frage, dass das in seiner Hand weg könnte, hatte er tatsächlich nicht gänzlich erfasst, weswegen er nun verwundert knapp auf das Glas blickte, ehe die Einsicht dann doch seine Augenbrauen hob.

„Das muss sie. Doch nicht von mir.“, deutete er knapp mit einem Kopfnicken in die Richtung der aufgetakelten, älteren Dame.

„Ich würde wohl als Kellner engagiert.“, schien er diesen Umstand der Verwechslung doch äußerst amüsant.

„Also…“, neigte er leicht seinen Kopf, während sein Blick doch spitzbübig war. „…was darf ich dir bringen?“, schien er sich in der Rolle nicht unwohl zu fühlen.

„Mhm…verstehe.“, betrachtete er sie nun gespielt kritisch, als sie ihm offerierte das doch am besten alles entfernt werden sollte was nicht leuchtete oder eben ein Körperteil eines Affens dran beteiligt war, und sah sich leicht um.

„Ich glaube, dass könnte schwierig werden.“, dachte er laut nach, während seine Augen erheitert funkelten.

„Außer du betitelst den Künstler als Affen. Dann könnte ich nachfragen, mit welchem Körperteil er all dies gefertigt hat.“, fügte er vollkommen ruhig und trocken an.

Ein kleiner dezenter Wink zu ihrer Unterhaltung am Mittag, bei dem er bereits hatte durchblicken lassen, dass manch ein Künstler gerne auch andere Körperteile als Pinselersatz verwendeten. Ihr Lächeln war ansteckend, langsam übertrug es sich auf ihn, weswegen er sich nun auch sein Grinsen nicht mehr verkneifen konnte.

„Das enttäuscht mich.“, versuchte er ihr gespieltes Entsetzen zu durchbrechen, mit dem sie seiner provokanten Frage überrascht antwortete.

„Ich dachte, dass du mich wiedersehen wolltest.“, schien er ziemlich von sich überzeugt und schmunzelte nun aber dabei, dass klar war, dass dies mehr als Scherz gemeint war. Oder doch nicht?

Er sah wirklich an ihr hinunter und wieder hinauf, als sie ihn dazu aufforderte und schien leicht stolz sein Kinn ein wenig zu heben.

„Du passt hierher. Perfekt sogar.“, murmelte er und beugte sich erneut leicht wieder zu ihr.

„Du siehst gut aus.“, versicherte er ihr leise, ehe er sich erneut wieder erhob. „Besser wie ich.“, gestand er mit einem leicht Nicken des Kopfes ein.

„Immerhin verstehst du diese Werke offenkundiger besser wie ich oder sonst jemand in diesem Raum.“, offerierte er ihr durchaus ehrlich seine Gedanken dazu.

Sowohl das Augenrollen, als auch den kühlen Blick von Lotta wurden gekonnt von der Brünetten ignoriert, die sich versuchte mehr und mehr zwischen die Beiden zu schieben. Etwas, was Yuls Augen immer mehr zu schlitzen zusammenziehen liess. Er hasste ein solches Benehmen. Diese offenkundige Aufdringlichkeit, die beharrlich, trotz seiner Versuche sie freundlich abzuwimmeln, aufrecht erhalten wurde.

Eine Hand, geschmückt mit geknüpften Freundschaftsbändchen und Bändern von Konzerten, legte sich nun vertraut auf seinen Unterarm. Sein Blick ruckte auf diese hinab, dann zurück zu der brünetten Praktikantin.

„Komm schon. Hab dich nicht so. Ich weiss, dass diese Tusse dich langweilt. Du hast was besseres verdient.“, säuselte sie beinahe und unter ihrem Atem verzog Yul leicht das Gesicht. Alkohol.

Wie zum Teufel hatte diese junge Frau es nur geschafft, sich so schnell zu betrinken? Dabei erinnerte er sich, dass sie hier noch nach keinem Glas gegriffen hatte. Sie musste sich also vorher bereits Mut oder eben die Freude auf eine Party angetrunken haben.

„Ich glaube, Sie sollten das nun unterlassen und gehen.“, riete er ihr freundlich und doch grollend und sein Blick liess kaum einen Widerspruch zu, als er nun seinen Arm fortzog.

Er rang um seine Beherrschung. Deutlich sah man dies ihm in seinen Augen an, die einen Schimmer nun in sich trugen, der nichts Gutes erahnen liess.

„Es ist doch nur eine Handynummer.“, wurde er schief angegrinst.

„Sie sind betrunken. Ich denke, der Abend sollte für Sie beendet sein bevor Ihnen in diesem Zustand noch etwas zustößt.“, versuchte er weiterhin die Fassung zu wahren und verblieb freundlich, auch wenn ihm dies, aufgrund des Übergriffes der Hand auf seinem Arm, deutlich schwerer viel.

Seine Kiefermuskulatur trat hervor, als seine Zähne sich nun leicht aufeinanderpressten. Doch bevor er weiter etwas zu sagen oder handeln vermochte, schritt die Rotbraune bereits ein.

Augenscheinlich angetrunken tappte die Praktikantin einen Schritt vor Lotta zurück, die ihr nun direkt gegenüberstand. Erstaunlich wacker hielt sie sich, als sie ihr trotzte.

„Aber mit dir, Bitch. Was?“, schob sie ihr Kinn aufmüpfig noch ein Stück höher.

Der angetrunkene Übermut war gefährlich, den sofort schlugen ihr neue Töne von Lotta entgegen, die sie schlucken ließen. Etwas was Yul lediglich mit zusammengezogenen Augen beobachtete. Beinahe wie eine Säule stand er da, beobachtete dies bewertend. Es war nicht so, dass er normalerweise nicht eingeschritten wäre. Ihm war nur bewusst, dass Lotta die direkte Vorgesetzte dieser aufdringlichen, jungen Frau war. Etwas, was das Ganze durchaus prekärer werden liess, wenn er sich zusätzlich noch einmischte. Er hätte sonst die Praktikantin galant hinausgebeten und der Security übergeben.

Wohl war es ebenso dem Alkohol verschuldet, was anschließend geschah. So durchbrach ein lautes, tönernes Krachen die seichte Musik, die man über die Lautsprecher, als Untermalung hatte einspielen lassen. Die fein gearbeitete, hohe Vase am Eingang zersprang auf dem hellen Boden der Galerie und zerriss somit auch das Gemurmel und heitere Gespräch der betrachtenden Gäste.

Yul indes sog tief Luft. Starrte für einen Moment auf die töpfernen Scherben, dann auf die Praktikantin. Diese Vase war einer seiner wenigen Arbeiten gewesen, die das damalige Massaker an seiner Familie überlebt hatte. Etwas, was nun erneut ihm für immer genommen worden war. Es war nun verletzte Wut, mit der sich seine Iriden auf die junge Frau richteten, die verzweifelt einen Schritt zurücktrat. Wieviel musste er noch ertragen? Wieviel musste ihm noch genommen werden?

„Shit!“, entglitt es Janet, die sich durch die Maße der schaulustigen und entsetzten Menschen hindurchgedrückt hatte. Kein anderes Wort hätte treffender dieses Fiasko beschreiben können, dass die Blonde nun vorfand.

„Janet.“, Yuls Stimme, leise, nachdenklich und doch kontrolliert, als wollte er sie zurückhalten.

Für Menschen mochte dies vielleicht beruhigend wirken, dabei war es eine gefährlich, schon bedrohliche Ruhe, die ihn nun einnahm. So trug dieser Laut keine einzige Emotion in sich, als wäre diese mit dem Zerspringen der Keramik auf dem Grund zerplatzt.

„Wissen Sie eigentlich das diese Vase von einem unschätzbaren Wert war!“, durchbrach die Blonde die gemurmelte Stille.

Nein. Niemand konnte sie nun mehr zurückhalten. Aufgeregt trippelten hohe Stöckelschuhe auf die junge Frau zu.

„Sie ist von einem unschätzbaren Wert. Unbezahlbar!! Sie wissen schon, dass Sei für diesen Mist aufkommen müssen! Sehen Sie sich doch nur an, was sie angerichtet haben?! Jahrhunderte alte Keramik, von Ihnen innerhalb von Sekunden zerstört!!“, entsetzte sie sich und trat auf die Praktikantin zu wie eine in Rot gekleidete Furie.

„Wie kann man so unbeholfen sein?! So unvorsichtig?!“, zeterte sie weiter und hob mahnend ihren Finger, als sie das kleine Bändchen am Arm der Praktikantin sah, die sie als Angestellte des Museums auswies.

„Ich werde dafür persönlich sorgen, dass sie ihren Job verlieren! Das kann ja wohl kaum angehen, dass so etwas wie Sie weiter hier arbeitet!“, schlug sie mit Worten nur so um sich und drängte die Praktikantin immer mehr in eine Ecke zurück.

„Oh…ich werde dafür sorgen, dass Sie nie mehr auch nur einen Fuß sind er Branche fassen können, Schätzchen!“, drehte sie laut gellend schreiend weiter auf, hatte sie doch durchaus das aufdringliche Verhalten der jungen Frau Yul gegenüber beobachtet.
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