Wind Beyond Shadows

Normale Version: Dosenfutter - Oder doch lieber Ravioli?
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Es war ein langer Tag gewesen und die Sonne neigte sich bereits am Firmament, zog die langen Schatten der Gebäude der Universität nun in das Unermessliche. Schon bald würde sie untergehen und den Ort wieder in Kühle tauchen, nachdem sie eigentlich den ganzen Tag zumindest ein wenig Trübsal durch die Fenster vertrieben hatte. Kyokos Arm ruckte hinauf und mit einem gehetzten Blick sah sie auf ihre Armbanduhr. Ein leiser Fluch verließ ihre Lippen, als sie nun die Ziffern sah, die ihre Befürchtungen bestätigten - 18:27 Uhr.

Sie hatte schlicht die Zeit vergessen. Verloren zwischen den Stapeln an Büchern von Fachliteratur und den neusten medizinischen Ratgebern, mit denen sie sich die letzten Tage umgeben hatte. Nicht ganz freiwillig. Lief ihr doch das Schicksal des 13-jährigen Jungen auf der Intensivstation des Universitätsklinikums hinterher. Es berührte sie, die verzweifelten Eltern, die um das Leben des eigenen Kindes bangen. Der Junge, der noch sein ganzes Leben vor sich hatte und nur wegen einer dummen Mutprobe nun mit dem Tode rang. Es versetzte ihrem Herzen einen Stoß, wie er dort da lag, angeschlossen an Kabel, Schläuchen und Geräten, die piepsend das wenige an Leben in ihm noch erhielten.

Niemand schien ihn so recht helfen zu können. Und selbst in der Fachliteratur, als auch in den neuesten Studien fand sie nichts zu dem, was sie in der gestrigen Schicht erlebt hatte.

Kyoko sog die kühle Luft des Abend ein, huschte über den Campus. Eine Lösung würde wahrscheinlich gerade sie nicht finden können und doch hatte sie gehofft, zumindest einen Ansatzpunkt zwischen den vielen Wörtern und Buchstaben zu finden, die das Leiden hunderter Menschen beschrieb. Welch ein Hochmut, dass sie hatte glauben können mit ihren 5 Semestern, die sie nun bereits Medizin studierte, zumindest einen Funken Hoffnung zu finden.

Kyoko schüttelte den Kopf und versuchte somit den Gedanken daran zu verscheuchen, während vor ihr sich leise surrend die gläserne Türe zu der Mensa öffnete.

Es war ihr Magen der sie aus den Bergen an Büchern der Bibliothek hervorgezogen hatte. Mit einem lauten, miesmutigen Knurren hatte er sie daran erinnert, dass sie nun fast den gesamten Tag dort verbracht hatte. Natürlich stetig mit der langen Leine des Klinikums, die als schwarzer kleiner Pager an dem Bund ihrer Jeans hing.

Eilig huschte sie den Gang entlang, vorbei an dem kleinen Zeitschriftenkiosk, der nun bereits geschlossen hatte. Ein weiter Schritt und – stockend und verwundert blieb sie vor der Türe der Mensa stehen, die sich nun wie ein gläsernes Schild zwischen sie und die Köstlichkeiten dahinter stellte. „Nein…!“, wimmerte sie schon beinahe fassungslos und sah erneut auf ihre Uhr, dann auf das kleine Schild an der Seite. „Komm schon!“, war ihr leises Kommentar dazu, als sie erkannte, dass sie die Öffnungszeit um 2 Minuten überschritten hatte. Naja, wenigstens war das Personal noch so freundlich und winkte der Hungrigen zu. Selbst ein bittender Blick, als auch ein liebes Lächeln halfen nichts. „Verdammter….“, unterdrückte sie leise ihr Fluchen und ging an der gläsernen Kathedrale der Köstlichkeiten vorbei in der nun fleißig die heißen Theken leergeräumt wurden.

Sie rollte angesäuert leicht die Augen und würde doch an dem allem nichts ändern können. So blieb ihrem Hunger nur das Vergnügen etwas aus den wenigen Automaten beruhigt zu werden.

Unauffällig, am Rande des Durchganges zu dem öffentlichen Speisesaal der Mensa, standen sie. Teils quietschbunt, surrten sie in dem verlassenen Flur vor sich hin. Hier bekam man fast alles, was man für einen Snack oder ein schnelles Essen brauchen konnte. Egal was das Herz begehrte, wenn man es geschickt anstellte vermochte man sich sogar ein kleines Menü zu zaubern. Nun stand Kyoko vor diesen Automaten, beinahe erschlagen von der Fülle an heißen und warmen Getränken, Eis, Süßwaren und auch…“Ramen?“, kritisch beäugte sie den weißen Hightech-Automaten mit dem blinkenden Bildschirm. „YO-KAI Express?“ Ihre Augenbrauen schoben sich hinauf. Das soll schmecken? Leicht schielte sie zur Seite, dann wieder zurück zu dem Automaten. Nun, neben der Auswahl an Maissuppe, Rote Bohnen Suppe und Hühnersuppe, jeweils in Dosen aus dem Automaten daneben, war dies eindeutig die bessere Wahl.

„Wenn das mal gut geht.“, murmelte sie und war erst einmal 5 Minuten allein mit der auf dem Bildschirm gezeigten Auswahl an Ramen beschäftigt und vielleicht gar ein wenig überfordert. Leise piepste es, als sie ihre Wahl traf und sie anschließend ihren Studentenausweis an den Scanner hielt. „Was…?“, blinkte das Feld rot, obwohl der Betrag von 980 Yen, auf dem Bildschirm sichtbar, ihr abgebucht wurde. Frustriert seufzte sie, tippte auf dem Bildschirm herum der nun leise, sich ihrem tippenden Wutausbruch ergebend, und verärgert zu piepsen begann. „Bitte nicht…nicht du auch noch!“, schien sich alles gegen sie verschworen zu haben.
Eigentlich hätte es ein ganz normaler Tag wie jeder anderen sein können. Aber wie heißt es doch so schön? Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt!? Oder so ähnlich, immerhin kann Kawar ja auch nicht alle ausländischen Redewendungen kennen. Kawar fühlte sich traurig, verwirrt, wütend und enttäuscht zugleich. Er hatte, um über die Runden zu kommen, einen kleinen Nebenjob in einem kleinen, privat geführten Café. Die Besitzer waren schon steinalt, aber waren mit ganzem Herzen bei der Sache gewesen. Und das schmeckte man auch in den Kuchen und Torten. Es war ein kleiner Geheimtipp in Kyoto gewesen. Doch als in der Straße nun neben einem Excelsior, einem Dotour nun auch noch ein Tullys Café und ein Starbucks neu eröffnet hatten, war es so gesehen wie ein Todesstoß gewesen. Das ältere Ehepaar konnte das Café nicht mehr halten. Zu wenig Einnahmen, die sich nun die großen Ketten teilten. Es war ein herzzerreißender letzter Tag gewesen und alle hatten zum Schluss mit feuchten Augen das Café verlassen.

Kawar hatte wie jeder der Mitarbeiter noch jede Menge Kaffee, Tee sowie Kuchen und Muffins mitbekommen. Warum er fragte, ob der das kleine goldene Namensschild, auf dem nur sein Vorname stand, unbedingt behalten wollte, wusste Kawar nicht so genau. Aber es hatte ihm immer etwas bedeutet. Er mochte das Ehepaar als Menschen, aber auch als seine Chefs. Und auch die beiden anderen Jugendlichen, die hin und wieder aushalfen, waren immer nett zu ihm gewesen. Doch nun würde er sich etwas neues suchen müssen. Mit langsamen Schritten ging er über das Unigelände. Er nahm die Abkürzung durch das große Gebäude, indem sich auch die gemeinsame Mensa der verschiedenen Unis teilten. Es war still, denn um diese Zeit waren kaum noch Studenten hier unterwegs. Vorbei an der geschlossenen Mensa war nur das Surren der Neonlichter über ihm zu hören. Doch dann konnte er es rappen, piepen und eine Stimme hören. Er zog die Augenbrauen empor und lugte vorsichtig um die Ecke zu den Automaten und ging herum. Dann sprach Sie. „ Ehm, aber ich habe doch garnichts gemacht, wieso ich nicht auch noch?“ Bepackt mit den drei Plastiktüten blickte er Sie fragend und mit großen Augen an. Er stand direkt hinter Ihr. Dann blickte er an Ihr vorbei und sah zu dem Bildschirm. Nun verstand er und schmunzelte.

„Diese Sorte ist leider aus, drunter steht ebenfalls diese Sorte ist aus und ganz unten steht Automat außer Betrieb.“ Dann blickte er die junge Frau fragend an. „Hat er denn das Geld dennoch abgezogen?“ Langsam kam er näher und blickte von einem auf die anderen Automaten, dann wieder zur Ihr zurück und verneigte sich. „Hallo, ich bin Kawar. Kawar Miyata.“ Er versucht Ihr trotz dieses Tages wenigstens ein angedeutetes Lächeln zu geben. „Nachdenklich, hebt er seine Tüten. „Ehm, Sie wollten sich etwas zu essen holen nehme ich an? Ich kann zwar nichts warmes anbieten, aber ich haben noch Kuchen und Muffins aus dem Cafe. Ich kann das alles eh nicht alleine essen. Also wenn Sie möchten? Dann greifen Sie nur zu.“ Er hält Ihr die Tüte mit den Muffins entgegen und lächelt Sie ermutigend an. „Sie können wirklich gerne zugreifen. Ich möchte auch nichts dafür. Ich würde es nur schade finden, denn ich die Muffins, die ich nicht schaffe zu essen, letztlich wegwerfen müßte.“ Noch immer hält er Ihr die offene Tüte entgegen. „Blaubeermuffins, Schokoladenmuffins und die Rechts das sind Muffins mit gerösteten Walnüssen und Honig. Alle von meinen ehemaligen Chefs noch per Hand selbst gemacht. Ich hätte aber auch noch große Cookies mit Nuss oder Schokolade wenn Sie möchten?“ Er blickt noch einmal auf die Automaten. „Die Dinger spinnen eigentlich schon immer. Bei den Studentenausweisen zumindest. Deswegen benutze ich immer die Suica Karte, die grünsilberne mit dem Pinguin drauf, die man überall wieder aufladen und überall damit bezahlen kann. „ Sie können auch alle haben, wie Sie sehen habe ich dann noch zwei Tüten voll.“ Er legt fragend den Kopf schief und grinst.“ Doch ist es ein offnens, freundliches ja fast schon ansteckendes Grinsen.
Es war zum Verzweifeln. Überhaupt schien dies nicht ihr Tag zu sein. Weder war sie fähig auch nur irgendwas in der Bibliothek zu der mysteriösen Erkrankung des Jungen zu finden, noch eben ihren ausgehungerten Körper nun mit Nahrung zu versorgen. Deprimiert senkte sich leicht ihr Kopf. Sie hasste es andere leiden zu sehen und noch mehr hasste sie es, wenn man ihnen nicht helfen konnte. Egal woran es lag. Die Akzeptanz, dass es eben auch Schicksale gab, deren Fäden bereits fest von irgendwem versponnen zu sein schien, diese besass sie noch nicht. Noch nie hatte sie einen Patienten verloren und sie war nicht gewillt, dass der Junge der undankbare Erste sein sollte. Das der Automat nun ebenfalls streikte und ihr gar die Nahrungsaufnahme verwehrte, obwohl nach einem solch langen Tag ihr ihr Magen bis in die Kniekehlen hing, war nun die Spitze des Eisberges und kramte all den Frust hervor, die sich über die Stunden in ihr angesammelt hatten. Ein regelrechter Mist-Tag, dessen Enttäuschung darüber sich nun in ihren Fingerspitzen entlud, die nun über den Touch-Screen des High- Tech- Automaten huschten, in der Hoffnung, wenigstens denn Betrag irgendwie noch retten zu können.

Sie wähnte sich allein, als sie sich dem Anflug ihres Zorns hingab. Letztlich hatten sie ja ebenfalls die Mitarbeiter der Kantine, in ihrem gläsernen Palast im Stich gelassen. Waren diese doch nun mit dem Aufräumen und Säubern der Theken beschäftigt, was ein leises Klirren und Rattern das in der fast leere Halle der Mensa zur Folge hatte. Ebenfalls war es bereits so spät, dass nur noch wenige abendliche Bücherwürmer ihren Weg in die Heiligen Gedärme der Universität fanden. Ein Umstand, der sie nicht im entferntesten daran denken liess, dass jemand nun hinter ihr auftauchen könnte, weswegen sie bei den Worten den jungen Mannes erschrocken herum vor.

Mit ebenso großen Augen, wie er sie anstarrte, starrte sie zurück, blinzelte, ehe ein verstehendes Schmunzeln seine Züge einnahm. „Ich…Entschuldigen Sie. Ich habe nicht gewusst, dass sie hinter mir standen. Ich…“, kam es beinahe wie ein stockender Wasserfall aus ihrem Mund, der wohl immer noch dem Überraschungsmoment geschuldet war.

Erneut blinzelte sie, folgte mit ihrem Blick der Deutung des jungen Mannes und hätte sich selbst dabei am liebsten gegen die Stirn geschlagen. Ja, da stand es, eindeutig in roter Schrift, ehe dies alles abgelöst wurde von einem kleinen, unscheinbaren *Außer Betrieb.* - Schild. Stumm nickte sie, ehe ein kleines, leises „Ja.“, folgte, immer noch den Automaten untersuchend. „Dann wird wohl aus meinem Essen heute wohl nichts.“, zuckte sie beschämt ein wenig mit ihren Schultern und sog enttäuscht Luft. „Ja, dass hat er.“, bestätigte sie erneut und es klang nun mehr wie entschuldigend und sanft. Ihr kleiner Wutausbruch von eben und ihr Verhalten beschämten sie offenbar. „Entschuldigen Sie, bitte.“, erinnerte sie sich wieder ihrer guten Manieren und senkte ebenfalls ihren Kopf. „Ich bin Kyoko. Kyoko Hirosue.“, lächelte sie ihn nun freundlich an und sah wieder nachdenklich zu dem Automaten. „Ich verstehe nicht, warum man ihn dann nicht einfach ausschaltet.“, seufzte sie. Beinahe war dieser auffällige, blinkende Automat wie eine Falle für hungrige Studenten.

„Ja, ich war leider zu spät an für die Mensa.“, kam es schon beinahe entschuldigend von ihr und sie schmunzelte, als sie das kleine goldene Schild an der Brust des jungen Mannes sah. „Sie kommen von ihrem Dienst?“, hinterfragte sie ruhig und schüttelte leicht ihren Kopf. „Ich kann doch nicht jetzt mich einfach über Ihr…“, doch da hatte er bereits die offene Tüte ihr entgegengehalten aus dem ein verführerischer Geruch entströmte. Mit großen Augen sah sie in die Türe und sah erneut blinzelnd zu ihm auf. „Ehemalig? Das tut mir sehr leid.“, verstand sie es wohl, dass ihm gekündigt worden war? „Ich hoffe, es ist nichts schlimmes.“, folgte ehrlich, ehe er sie auf die Suica- Karte aufmerksam machte. „Ich denke, die werde ich mir auch zulegen. Danke für den Rat. Ich nahm an, dass ich problemlos mit dieser hier bezahlen könnte. Offensichtlich nicht.“, hob sie entschuldigend den Studentenausweis hinauf. „Wohl werde ich das Geld auch nicht wieder erhalten.“, kam es nun beinahe schon amüsiert von ihr. Irgendwie war sie in Sachen Essensbeschaffung nicht die Geschickteste, zumindest, wenn sie noch an das Hörnchen-Gate dachte.

„Das ist unwahrscheinlich nett.“, hob sie leicht ihre Hand. „Wenn Sie wirklich teilen möchte, dann nehme ich gerne einen Muffin mit Walnüssen. Sie duften köstlich, doch nicht gänzlich ohne Gegenleistung.“, lächelte sie freundlich und in ihren Augen blitzte warme Freundlichkeit auf. „Vanilleeis, heiße Schokolade oder Kaffee dazu?“, fragte sie lächelnd und deutete auf die entsprechenden Automaten. „Ich versichere Ihnen, es wird von höchster Güte sein. Fein aromatisch. Noch nie haben Sie etwas köstlicheres gekostet.“, konnte sie ein wenig Ironie nicht verbergen und lachte dann verhalten leise. „Entschuldigen Sie. Ich kann Ihnen leider nur Eis, oder etwas Heißes aus dem Automaten anbieten.“, sah sie nun doch fröhlicher zu ihm.