Wind Beyond Shadows

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Mairtin Connolly

In den vergangenen Wochen hatte ich mich mächtig weiterentwickelt und wurde stabiler. Der unverhoffte, ungeplante Einsatz, um Lukes Leben zu retten war nicht ohne gewesen. Psychisch. Die Nummer hatte gezeigt, wer ich wieder werden könnte, aber auch, dass noch einiges an Arbeit nötig war. Doch Hoffnung bestand, wuchs sogar ein wenig und Jeremiah war auf die weitere Entwicklung gespannt. Die Extreme zwischen Panikattacken und Sicherheit beziehungsweise ein mental festes Auftreten waren manchmal ebenso anstrengend. Doch in Xiaos Nähe fand ich immer wieder zur Ruhe. Devilstar sowie mein großer Bruder Max waren mir ebenso sehr wichtig. Doch in meinem Herzen nahm Xiao einen ganz besonderen Platz ein. Diese Liebe war echt, sie war stark, sehr stark um genau zu sein. Der stille Bruder freute sich, denn er ahnte, dass dieser Umstand sehr wichtig war für meine Genesung, die voranschritt. Mir war bewusst, dass Xiao mit dem stillen Bruder immer wieder über meinen Zustand kommunizierte. Ich ließ es zu. Wahrscheinlich blieb mir eh kaum etwas anderes übrig. Xiao war hier immerhin der stellvertretende Leiter und ich bezweiflete, dass mich ein Zickenterror wirklich weiterbringen würde. Ich hatte schon früher gelernt, falschen Stolz abzulegen. Es ging nicht anders. Diese Lektion hatte ich in meinem ersten Einsatz auf die harte Tour gelernt. Die erste Schusswunde, die ich kassiert hatte, hatte ihre Spur aus diesem Grund hinterlassen. Die Erstversorgung war nicht allzu gut gewesen, der Kerl nicht besonders sorgfältig und als sich mein Zustand langsam verschlechterte, hatte ich zunächst nichts gesagt. Es hatte allerdings nur wenige Stunden gedauert, bis ich Fieber entwickelte. Das Ende vom Lied? Ich war auf der Krankenstation gelandet. Der Captain hatte mich damals persönlich hingeschleppt.

Die Fähigkeit, um Hilfe zu fragen, wenn ich sie benötigte, hatte ich Xiao schon an Weihnachten gezeigt. Jeremiah war dieser Vorfall sowie das Erlebnis mit Alec Lightwood bekannt. Xiao wusste Letzteres ebenso und er war nicht wirklich begeistert darüber. Es war diese Fähigkeit sowie der ungeplante Einsatz, der Jeremiah schließlich Xiao die Freigabe zu einem größeren Ausflug geben ließ. ‚Geh es vorsichtig an. Aber es könnte gehen. Er ist bereit, ein paar neue Schritte zu gehen, stärker als er auch weiß. Dieser Schritt ist wichtig. Ich freu mich für euch wirklich.‘ Dem stillen Bruder war bewusst, dass ich hier ordentlich Fortschritte machte. Schneller und mehr als er schon gedacht hatte. Doch es lag auch an dem Vertrauen, welches ich zu Xiao sowie dem Stillen Bruder hatte. Das Training half mir zur Ruhe zu finden. Obendrein wurde ich stärker, nahm weiter zu und die Ausdauer wurde ebenso besser. Die Blutwerte zeigten Ähnliches. Mein Körper erholte sich immer mehr. Trotz all der Fortschritte gab es immer wieder Momente oder Dinge, die Jeremiah weiterhin Sorgen machten. Er ging noch weiterhin davon aus, dass ich noch längere Zeit seine Hilfe benötigte, bis ich wieder vollständig hergestellt und ernsthaft einsatzfähig war. Das letztens war eine Art Test gewesen. Zwar war der Einsatz selbst erstaunlich gut verlaufen, aber die Alpträume waren wieder verstärkt aufgetreten. Ein deutliches Zeichen dafür, dass es doch noch zu viel war, auch wenn ich es zunächst selbst nicht richtig wahrnehmen konnte. Eine typische Verhaltensweise von Patienten mit meinen Problemen.

Ich hatte keine Ahnung, was mich nun erwartete, war aber aufgeregt. Positiv gestimmt. So war es kein Wunder, dass ich eine fröhliche, irische Melodie pfiff. Es war The Rocky Road to Dublin. Es war ein passendes Lied kurz vor einer Reise. Ich hatte einen kleinen Koffer ordentlich gepackt mit allem möglichen. Alles, was Xiao mir verraten hatte, was eventuell benötigt würde. Na ein Glück, dass ich da ein platzsparender Packprofi war – gelernt war gelernt. Es hatte auch immer etwas Meditatives gehabt, ordentlich zu packen. Mein Ordnungssinn war vor allem durch die Zeit beim Militär geprägt. Der Ausbilder war in der Grundausbildung manchmal echt ein Biest gewesen. Er hatte uns manchmal die Matratzen aus den Betten heben lassen, um dort nach Staub zu suchen, oder er hatte sich das Innere einer Kleiderstange ausgewischt.

Bezüglich der Reise hatte ich natürlich auch mit meinem großen Bruder Max geredet. Gott, es war echt so verrückt und surreal, das wir wieder vereint waren. Wir hatten schnell festgestellt, dass uns doch nicht so viel trennte, wie ich einst gedacht hatte. Warum hatten wir so lang gebraucht? Ich war erleichtert, dass er hier ebenso wie ich in Sicherheit war. Wir kamen beide zur Ruhe. Max war mir wichtig. Natürlich. Er war mein Zwillingsbruder. Und ich wusste, dass er ebenso seine Probleme hatte. Für uns beide war gemeinsame Zeit, aber auch hin und wieder Abstand wichtig, damit wir als Individuen lernten zu bestehen. Insofern war es eine Prüfung in vielerlei Hinsicht. Ich hatte ihm natürlich versprochen, gesund zurückzukehren und ebenso mit ihm in die Heimat zu reisen, wenn er es wollte.

Mit meiner Tasche kam ich in die Garage. Hier hatte ich Xiao schon zu unserem ersten Ausflug getroffen. Heute hatten wir allerdings ein Auto anstelle eines Motorrads. Ich grinste ein bisschen. „Hey Xiao, wie geht es Dir?“, fragte ich ihn leise. Wir waren allein in der Garage, aber trotzdem war ich leise. Meine meeresgrünen Augen erschienen in dem Licht hier etwas dunkler, als sie waren. Ich hatte keine Ahnung, was wir wirklich vor hatten, aber vermutete, dass es irgendwie draußen außerhalb der Stadt war. So war ich gespannt, aufgeregt und vor allem hatten Xiao und ich Zeit füreinander. Allein das war schön. So konnte ich dieses kleine, spitzbübische Grinsen, welches sich in meine Mundwinkel grub, kaum verbergen. Es ließ mich geradezu niedlich beziehungsweise süß aussehen, ohne, dass ich davon wusste.
Es war nicht leicht, das alles so zu planen, wie er es haben wollte. Zunächst waren die Zimmer ausgebucht gewesen, dann hatte das eine lokal geschlossen, welches er besuchen wollte und dann hatte die Technik herum gesponnen. Als er aber Schritt für Schritt vorgegangen war, ging es endlich. Zufrieden mit seinem Werk hatte er sich dann an die Überlegungen gemacht, was sie brauchte, wie das Wetter war und hatte sich nur das nötigste dessen rausgesucht, was er an Infos an den Kobold weitergeben konnte, ohne, dass er gleich erriet, wohin es ging.
Xiao war nicht derjenige, der oft in den Urlaub fuhr, aber es war einfach mal Zeit. All zu weit würde es nicht weggehen, aber das musste es für den Anfang auch nicht. Zu fliegen bedeutete nur wieder unnötigen stress, dazu Menschen und vorallem Zeit, die man besser nutzen konnte. Wenn man den Ort also auch mit dem Auto erreichen konnte, das eben das Auto. Genug hatten sie im Fuhrpark. Viele hatten ihr eigenes, da es für Xiao selbst jedoch nicht lohnte ein eigenes zu haben, griff er auf eines zurück, welches für alle zur Verfügung stand. Rund 30 Fahrzeuge unterschiedlicher Art standen bereit.
Die Tage vergingen, in denen er die letzten wichtigsten Arbeiten erledigte, dann ging es ans Packen. Dabei durften leider zwei Tablets nicht fehlen, falls doch etwas Wichtiges vorfallen sollte, wo man seine Meinung bauchte. Dies bedeutete nicht, dass er rund um die Uhr arbeiten würde, aber zum Abend, vor dem Schlafen würde er sicher mal reingucken. Dazu kamen Ladegeräte und natürlich das Handy, an das er sich anfangs nur schwer gewöhnte, nun aber fand er es recht praktisch.
Mit Müh und Not schaffte er es, alles in eine Tasche unterzubringen, die er dann mit ein paar Snacks, die er auf de Rückbank packte, ins Auto räumte. Viel zu verstauen gab es zum Glück nicht, sodass er shcnell fertig wurde. Als er eben den kofferraumschleißen wollte, kam auch schon der Kobold, dessen Tasche er abnahm, sie neben die eigene stellte und ihn anlächelte.
„Gut, und selbst? Bist du bereit oder musst du noch was holen?“ Noch war die Chance da. Wenn sie einmal unterwegs waren, könnte es schwer werden, etwas Bestimmtes zu besorgen. Scheinbar hatte er alles beisammen, sodass sie einsteigen und losfahren konnten.
Zunächst gab es nicht viel zu sehen, als sie durch die Stadt fahren, außer vielleicht Ecken, die der Kobold so noch nicht gesehen hatte. Dessen bewegungskreis wurde noch immer recht klein gehalten, was auch daran lag, dass er die japanische Sprache noch immer nicht lesen konnte. Wenn er sie mal verlief, konnte er nicht einfach eingesammelt werden, da er sich schwerlich orientieren konnte. Vielleicht könnte man das nach dem Urlaub mal in Angriff nehmen, dass er die Stadt Stück für Stück erkundete. Xiao machte sich gedanklich eine Notiz, die er später noch in seinen Kalender eintragen würde.
„Und, bist du bereit für das Abenteuer?“, fragte der Chinese mit einem Schmunzeln, da er nicht wusste, was auf ihn zu kommen würde. Fieser Weise bereitete es ihm schon ein wenig Spaß.

Mairtin Connolly

Die Tatsache, dass wir nun gemeinsam wegfahren sollten, war etwas ganz besonderes. Und es bedeutete mir sehr viel. Wahrscheinlich war es ebenso besonders für Xiao, der vor mir gewiss kaum das Wort Urlaub kannte und gerade mal wusste, wie es buchstabiert wurde. Es sei denn, der Leiter des Instituts kehrte ihn raus. Die Zeit hatte mir geholfen, langsam weiter stabiler zu werden und Jeremiah hieß das hier ebenso gut. Stark genug war ich dafür an Xiaos Seite. Bei jemand anderem sähe es schon anders aus. Der Fuhrpark des Instituts war schon beeindruckend. Gut 30 Fahrzeuge standen hier und keine billigen, das war klar. Außer ein paar wenige, die zu Tarnzwecken eingesetzt werden konnten. Aber das meiste war hochwertig und bestens ausgestattet. Elegant, exquisit und mit Power unter der Haube. Ich hatte ebenso meinen Laptop dabei. Xiao nahm meine Tasche einfach ab. Eigentlich war das nicht der Plan, aber ich sträubte mich nicht. Ich gehorchte Xiao mit einer Leichtigkeit, die Jeremiah beinah neidisch machte. Manchmal zeigte ich nämlich ihm gegenüber hier und da ein paar ganz kleine spitze Bemerkungen. Aber es war gut so, denn es zeigte den Fortschritt der Heilung.

“Danke auch gut” beantwortete ich den ersten Teil der Frage und schüttelte dann den Kopf. “Nein, alles dabei. Wir können los.” Eines war mir schon beim Ausparken klar - Xiao konnte ebenso sicher Autofahren wie er das Motorrad beherrschte. Wir fuhren zunächst durch die Stadt. Einige Ecken kannte ich schon und hier war ich ruhig und entspannt. Ich verstand das Auto als einen geschützten Raum. Erst recht neben Xiao. Zeit genug, neue Dinge wahrzunehmen und mehr Interesse zu zeigen als sonst für mich üblich in der Stadt. So erkannte ich schon bald die Bedeutung eines der Straßenschilder, auch wenn es ein eher leichtes war. Ich zeigte mehr Bereitschaft, mich mit der Umwelt auseinander zu setzen, mehr als im Mangaladen, in den mich Amelia vor einigen Wochen geschleift hatte. Diese Reaktion hatte auch dafür gesorgt, dass man meinen Bewegungsradius außerhalb des Institutsgelände nicht zu groß werden ließ, damit ich notfalls noch selbstständig zurückfand. Die Nummer mit Alec, der mich auch einmal zurückgebracht hatte, war ebenso gravierend. Xiao fragte schmunzelnd ob ich für das Abenteuer bereit sei.

“Jep und Du? Bereit für das Abenteuer namens mit Mairtin Connolly auf Tour?” fragte ich mit einem kecken Grinsen. Ich konnte ihm genau ansehen, wie diebisch er sich freute, wohin es ging und ich nicht. “Dieses Grinsen da steht Dir und wenn Du so weitermachst wirst Du gleich den Wagen anhalten müssen und über die getönten Scheiben SEHR froh sein” sagte ich scherzend. Doch tatsächlich wussten wir beide, dass ich mich das in der Öffentlichkeit kaum wagen würde, selbst wenn da ein Auto mit getönten Scheiben war. Nur in einem Zimmer zu zweit hätte ich dem jetzt tatsächlich Taten folgen lassen und ihn einfach geküsst.

Als wir endlich auf einer Landstraße waren und weit und breit keiner. Jetzt sah ich auch etwas mehr vom Land, Kühe weideten zu Seiten der Autobahn. Es erinnerte mich ein wenig an meine Heimat. Irland war nämlich voller Kühe, Schafe und Pferde! Zum Glück hatte ich warme Kleidung eingepackt.

Der Grund, warum ich krank werden konnte, war inzwischen bekannt und ebenso wer meine Mutter war, wusste ich das noch nicht. Max und ich waren verwandt mit Rosecross und Connolly Doch noch erfuhren wir davon nicht. Erst galt es, weitere Informationen zu sammeln. Doch eines war schon herausgekommen: unsere Mutter hatte während Max und ich in ihrem Bauch waren getrunken. Es gab ein Video, dass dies belegte. Nicht nur einmal. Das Engelsblut hatte uns vor schweren Schäden bewahrt, konnte aber nicht mehr eine gewisse Anfälligkeit vermeiden. So waren auch unsere Allergien möglich. Wie viel Engelsblut in Max und mir steckte, war unklar, der Vater war nicht bekannt. Auf Senior Rosecross gingen wir jedenfalls nicht zurück. Meine Offenbarung, dass ich Luke kannte, hatte den Anstoß zum aktuellen Ermittlungsstand gegeben.

Und wieder einmal wurde klar, warum wir Iren einfach als ein fröhliches Volk galten: Ich ließ ein fröhliches The Rocky Road to Dublin hören. Es passte perfekt zum Reisen. Meine meeresgrünen Augen funkelten. Mit seinem fiesen, frechen Grinsen konnte Xiao mir kaum die Laune verderben. Da musste er sich viel mehr anstrengen.
Zweifel daran, dass der Kobold seine Tasche selbst tragen konnte, hatte er nicht und doch nahm er sie ihm in einer Natürlichkeit ab, über die er nicht weiter nachdachte. Sicher würde es auch andere Tage geben, aber heute war dem nicht so. Gemeinsam gingen sie in die Garage, wo er alles verstaute, das es los gehen konnte.
Obwohl sie noch nicht mal los gefahren waren, hatte Xiao schon Hummeln im Hintern, wollte zu seiner Arbeit zurück, die nie ein Ende nahm. Nun zu wissen, das andere sie für ihn mitmachen mussten, behagte ihm nicht. Sobald man mal an einem Schreibtisch gelandet war, nahm der Stapel an Papier kein Ende mehr. Es lag nicht mal an mangelndem Vertrauen, viel mehr an der Menge, die sich allein nicht reduzieren ließ. Xiao sandte ein Stoßgebet nach oben und das er sich mit dem Urlaub beeilen würde, auch wenn es vollkommen unsinnig schien. Die Tage wurden nicht länger oder kürzer, weil er es so wollte.
Immerhin hatte er noch ein wenig Zeit, sich auf den Urlaub einzustellen und wenn es nur ein paar Stunden waren, die er mit Autofahren verbrachte.
Xiao ließ sich zudem Zeit. Es hätte sicher eine kürzere Strecke gegeben, aber der Kobold sollte sich ruhig ein wenig von dem Ansehen, was sich in seiner Umgebung befand. Die typischen kleinen Ibisse, aber auch diverse Kreuzungen und der damit einhergehenden Menschen, die zwar nicht so zahlreich waren, wie die in Tokio, aber nicht zu verachten waren. Maids, die über all mal zusehen waren und für einen Laden oder Lokal warben. Cosplayer, die zu einer Veranstaltung unterwegs waren... Es gab an jeder ecke etwas zu entdecken und zu sehen.
„Noch nicht ganz, aber wenn wir erst da sind...“ Heute würde nicht mehr viel passieren außer ein gutes, ausreichendes Essen und ein Bad im Onsen, aber das behielt er erst mal für sich. Vielleicht würde sich noch ein Spaziergang ergeben, um wirklich den Stress des Instituts hinter sich zu lassen. Den Dauerstrom los zu werden, der permanent durch ihn floss, war nicht leicht. Aber mit diesen Dingen sollte es ihn passend einstimmen, um los zu lassen.
Xiao schnaubte leise, jedoch belustigt zu seinen Worten und konzentrierte sich vorerst auf die Straße. Den Urlaub mit einem Unfall zu beginnen, lag ihm fern, würde es doch nur noch mehr Papier bedeuten. Immerhin war der Kobold gut gelaunt und konnte es kaum erwarten, das Institut zu verlassen. Da die Straße ruhig vor ihnen lag, nahm er locker dessen Hand, während der mit der anderen lenkte. Eine Kleinigkeit nur und doch...
es war dem Kobold nicht zu verdenken, das er froh war, raus zu kommen. All die Wochen, die Monate, die er hinter Mauern hatte verbringen müssen, waren nicht leicht gewesen. Hier schien sich nun eine ganz andere Welt zu offenbaren, denn Xiao konnte nur vermuten, wie viel er vor all dem Drama von Japan gesehen und mitbekommen hatte. Erinnerte sich der Ire überhaupt an all das, was vorher war?

Mairtin Connolly

Ich konnte sehr wohl sehen wie ungeduldig Xiao war. Möglicherweise war ein Teil von ihm noch gar nicht im Urlaub angekommen oder er steckte noch zu sehr in der Arbeit. Das war nur allzu verständlich. Und er musste schließlich auch fahren, wieder planen und dergleichen. Runterkommen und abschalten konnte er da noch nicht. Ich achtete auf kleine Regungen und die Stimmung. Wahrscheinlich war der Gedanke das er arbeit abgeben musste während er mal nicht daran dachte nicht so angenehm für ihn. Self careing war ihm da nicht ins Blut geschrieben. Ich tat es aktuell ja auch nur durch meine Erkrankung gezwungen. Aber als Europäer war es trotzdem leichter. Beide Lebensweisen hatten ihre Berechtigung und weder das eine noch das andere Extrem war gesund. Die Mischung machte es. Soldaten hatten aber gewisse Tendenzen. Und wir beide waren nun einmal Soldaten. Es würde sich schon noch geben.

Doch kaum das wir draußen auf der Straße waren und ich viele Dinge gleichzeitig sah wurde es auch für mich anstrengend. Offenbar war Xiao sich dessen auch bewusst. Dass er noch nicht ganz im Urlaub war sowie wie anstrengend das hier plötzlich für mich wurde. Eine ziemliche Flut an dauerhaften Reizen mit der ich da fertig werden musste. Er griff nach meiner Hand. Eine kleine Geste die doch etwas bedeutete. Dann wurde mir bewusst das wir wohl einander beruhigen konnten. Tatsächlich glich sich mein Herzschlag dem seinem an. Ich vermutete aber eher das es mehr auf mich wirkte. Sanft schloss sich meine Hand ein wenig mehr um die seine. Diese Geste konnte niemand von außen sehen. Das Auto wirkte wie ein kleiner privater schützender Kokon. Langsam beruhigte sich zudem mein Atem, obwohl ich nun viel neues aufnahm. Mehr als jemals zuvor seit ich im Institut verweilte. "Ist dir eigentlich klar wie gut du aussiehst?" Fragte ich dann. "Deine Ratlosigkeit werfen wir auch noch über Board. Sie darf bleiben wo der Pfeffer wächst."

Als ich mir der schwarzen Mercedes Benz Limousine neben uns gewahr wurde durchfuhr mich eine Erinnerung wie der Blitz und führte zu einem Zittern meines Körpers. Die Angst stand mir ins Gesicht geschrieben. ÜDer Herzschlag beschleunigte sich und das dazugehörige Organ schlug einen wilden Galopp an. Kalter Schweiß stand auf meiner Stirn. Während ich noch immer zitternd Xiaos Hand fest hielt drückte ich mich in den Sitz. Als das hintere Fenster, das uns zugewandt war, schluckte ich und flüsterte "gib Gas. Das sind mein Vater und Nelson." Beziehungsweise der Mann den ich für meinen Vater hielt. Ich hatte sie erkannt. Es war nur die Frage ob sie gerafft hatten neben wem sie hier fuhren. Ich versuchte mich zu beruhigen und auf Xiao zu konzentrieren. "Nelson ist ein rücksichtsloser Fahrer." An das letzte Scharmützel sowie die letzten Tage unter deren Fuchtel konnte ich mich nicht vollständig erinnern. Die Krankheit hatte einiges verschwimmen lassen oder mein Hirn schob hier einen schützenden Riegel vor die Erlebnisse. Vielleicht war es auch gut so. Aber vielleicht hatte ich mich auch Geirrt? Zumindest dachte das ein Teil von mir. Der Soldat allerdings wusste das man trotzdem in sehr vielen Fällen richtig lag. Erst recht wenn es jemand wie ich sagte. Anders sähe die Lage aus wenn ich beispielsweise schon wild Leute erschießen würde um eine vermeintliche Bedrohung auszuschalten.
Beruhigen musste er sich eigentlich nicht, nur abschalten, aber das konnte er nur schwer. Sein Leben brachte es einfach mit sich, ständig auf der Hut zu sein, selbst im Urlaub, da ständig irgendwo etwas auftauchen konnte, was Leben bedrohte. Man könnte es am besten damit beschreiben, dass der Fein überall lauerte, bereit, zuzuschlagen und Leben einzufordern. Zwar befand er sich nicht im Feindessgebiet, dennoch konnte jederzeit was passieren.
„Mir geht’s es gut.“, versicherte er, ließ den Blick hier und auch dorthin huschen, einerseits, um die Straße im Blick zu behalten, aber auch um den Verkehr zu sondieren. Hier lief fast alles in geregelten Bahnen und doch gab es immer mal wieder Querschläger, die nicht auf die Verkehrsregeln achteten. Ein Moment der Unaufmerksamkeit konnte reichen, um einen Unfall zu provozieren und was das vielleicht nach sich ziehen konnte, wollte er nun nicht auseinander klauben. Eine erneute Panikattacke Mairtins wäre da nicht sehr unwahrscheinlich.
Als er jedoch als gut aussehend bezeichnet wurde, gönnte er sich einen kurzen Seitenblick, der von einer amüsiert erhobenen Braue begleitet wurde. „Finde ich zwar nicht, aber wenn du das sagst.“, schmunzelte er und blickte wieder nach vorn. Eine Ampel schaltete auf Rot und zwang ihn kurzzeitig zum Halten, damit die Fußgänger die Straße überqueren konnten. Geduldig wartete er, bis auch die letzte Schülerin auf der anderen Seite angekommen war, ehe er wieder Gas gab und sie ihre Fahrt fortsetzen konnten.
„Wenn du eine Pause brauchst, sag Bescheid.“ Es musste nicht zwingend am Autofahren liegen, wenn der Ire eine Pause brauchte, die Eindrücke, die auf ihn einprasselten, konnten durchaus reichen. Ausländer waren von der schieren Informationsflut, die auf einen einprasselte, schnell mal überfordert. Einmal, als er in Tokio gewesen war, hatte er nicht wenige Europäer mitten auf der Straße stehen sehen, weil sie vergessen hatten, wo sie waren, dank der übergroßen Werbeanzeigen, die sie anstarrten. So was ausblenden zu können, musste gelernt sein.
Dass mit dem anderen eine Veränderung durchging, bemerkte er eher, als dass er es sah. Ihm entging nicht das schwarze Auto, welches nicht so ganz ins Erscheinungsbild der Umgebung passen wollte und doch weigerte er sich, Gas zu geben. Sie waren hier nicht in einem Film, wo es um Leben und Tod ging, auch wollte er nicht glauben, dass besagte Menschen so plump vorgehen würden.
„Beruhig dich, da könnte jeder drin sitzen.“, sagte er ruhig und ließ das Auto nicht aus den Augen, während er gemächlich weiter fuhr. Sie waren hier auf keiner Rennstrecke, nun Hals über Kopf loszufahren, würde nicht nur sie gefährden, sondern auch die Menschen um sie herum.
Das Auto stoppte und Xiao war auf Hochspannung, hatte auch die Hand des anderen los gelassen, bereit, zu handeln, als sich die hintere Scheibe senkte. Sehr langsam nur, dann schob sich ein Kopf nach draußen. Ein Blondschopf, was ihn nur noch lauernder innehielt. Zwar konnte er sich an den Mann damals erinnern, aber den Vater kannte er nur von Bildern...
Der Teenager, welcher sich aus dem Fenster der schwarzen Limousine beugte, kotze eine geballte Ladung aus dem Fenster.
"Ich nehme an, du kennst ihn nicht?", fragte er dennoch nach.

Mairtin Connolly

Dass es durchaus einiges zu verarbeiten galt, sah man meinem Gesicht an. Auch wenn ich einige Male schon in Begleitung unterwegs gewesen und die nähere Umgebung des Instituts kennengelernt hatte, waren wir schnell in Gegenden gekommen, die mir nicht bekannt waren und dementsprechend leicht verunsicherten. Dann waren da auch noch zahlreiche, blinkende Werbeanzeigen, gigantisch groß und schrill. Ich stöhnte leise auf, ein Zeichen dafür, wie anstrengend das ganze für mich war, doch dass es Xiao gut ging beruhigte mich. Langsam sah man mir das auch an. Ein wenig verkroch ich mich in mir selbst, versuchte, wieder herunterzukommen. Xiaos Kommentar brachte mich dennoch ein wenig zum Lachen. „Also ehrlich und ja meine ich. Du kannst Dir also sicher sein, keine Konkurrenz zu haben, doch gut so, hm?“

Da bot mir der Chinese eine Pause an. Ich nickte, wusste die Geste zu schätzen, rieb mir dabei aber trotzdem etwas verschämt über den Nacken, bis die Haut leicht rot war. Bei meiner Haut sah man das direkt, so hell wie ich war, wenn gleich auch nicht mehr so blass wie damals, als Xiao mich ins Institut getragen hatte. „So lang sind wir ja noch nicht unterwegs und früher hätte ich das wohl kaum benötigt. Aber jetzt wird es wohl weise sein.“ Doch kaum war das schwarze Auto neben uns aufgetaucht, durchflutete Angst meinen Körper und das Ganze zeigte sich durch zittern, einen beschleunigten Herzschlag und mir war abwechselnd heiß sowie kalt. Dann versicherte mir der Schwarzhaarige neben mir, dass da jeder drin sitzen könnte und ich mich beruhigen solle. So einfach war das nicht. Entgegen meinem Wunsch nach Flucht blieb er ganz nahe bei dem Wagen, bis sich plötzlich das Fenster öffnete und ein Jugendlicher mit aschfahlem Gesicht seinen Mageninhalt auf die Straße entließ. Jetzt wollte Xiao wissen, ob ich ihn kannte.

„Nein“ sagte ich leise und guckte dabei so wie ein ordentlich verwirrtes wie auch furchtsames Fohlen angesichts etwas völlig Neuem, das potenziell kleine Pferdekinder fressen könnte. Jeremiah registrierte all das und der stille Bruder nahm sich vor, mich so lange mit schwarzen Limousinen und dergleichen zu konfrontieren, bis es wieder ging. Vielleicht wäre auch Autofahren bald genau das Richtige, immerhin musste man mit mir nicht ganz von vorne anfangen, hatte ich früher doch auch ganze Pferdeanhänger gezogen. Langsam verstärkte sich die Scham meinerseits, wie die rote Gesichtsfarbe sowie die Ohren bezeugten. Niedlich würden manche wiederum zu diesem Anblick sagen.

Xiao schaffte es, mich in die Realität zurückzuholen, sodass ich die tatsächlichen Gegebenheiten wahrnahm, und ihnen den nötigen Raum gab. Eben noch wollte ich ein ‚tut mir leid‘ als ich dann doch erkannte, dass es das doch nur verschlimmern und verkomplizieren würde. Dass es in diesem Moment in meinem Kopf ehrlich mächtig arbeitete, war meinem Gesicht anzusehen. Vollkommen erschöpft döste ich ein, ohne es verhindern zu können. Es ging nicht anders. Vielleicht war ich auch ein wenig eingeschlafen. Ein kleines Rumpeln ließ mich erwachen und umsehe, ehe ich leise fragte „was war das?“ Dabei war der nordirische Akzent etwas deutlicher zu hören. Langsam rieb ich mir durch das Gesicht. Interessiert sah ich mich um, wo wir waren, und versuchte, damit die aufkeimenden Kopfschmerzen zu verdrängen. Die Umgebung hatte sich verändert. Eine Tablette wollte ich nicht nehmen, denn es wäre irgendwie peinlich. Dummer männlicher Stolz würden einige Menschen behaupten.

Ich aber wollte mich nicht zu sehr an die Dinger gewöhnen, denn das würde nur erneut einen Brummschädel begünstigen. Ich konnte mir auch sicher sein, dass Xiao längst schon jede Einzelheit registriert hatte. Dem Chinesen entging nämlich nichts. Vielleicht hatten wir einen platten Reifen - möglich wäre es und das würde erst einmal eine Runde Pumpen und einen Reifen zu wechseln bedeuten.
„Du kannst auch eine Schlafmaske haben.“, bot er an, als er mal wieder eine Kurve fuhr. Irgendwo im Koffer hatte er sicher eine dabei, auch wenn er sie nicht nutzte. Man wusste ja nie, wohin es einen verschlug und als Soldat war schlaf sehr wichtig. Ständig konnte irgendwas passieren, was ihn davon abhielt, sodass er es irgendwann nachholen musste gegeben falls auch am Tage. Dann wäre eine Maske Gold wert. Lieber vorbereitet sein, als das nachsehen zu haben.
An seiner Seite wurde es nach ein paar kleinen Turbulenzen dann ruhig und als Xiao zur Seite sah, bemerkte er, das der Kobold eingeschlafen war. Ganz gut, denn so konnte er zur Ruhe kommen und auch Xiao sich besser auf den verkehr konzentrieren. Der Start war schon mal anders verlaufen, als erwartet, auch wenn er direkt keine Vorstellungen hatte. Eher fragte er sich, ob das alles eine gute Idee gewesen war, denn die unbekannte Umgebung war vielleicht nicht so leicht zu verarbeiten, wie er angenommen hatte. Nur weil es ruhiger war, für andere Entspannung bedeutete, konnte es für andere wiederum Stress darstellen.
Kurz spielte er mit dem Gedanken den Urlaub abzubrechen, ihn wieder in die geschützte Umgebung zurück zu bringen, die er kannte. Auch wenn der Ort, wohin er wollte, nicht all zu weit weg war, bedeutete es neue Menschen, Umgewöhnung... aber andererseits... der Kobold war kein rohes Ei. Alle Dinge, die schiefgehen konnten, hatte er einkalkuliert. Was sollte also passieren? Ein Leben hinter den Institutmauern wollte niemand erleben, auch ein Ire nicht, dem so viele Dinge passiert waren.
Nachdenklich folgte er der Straße und übersah dabei ein Loch, welches er mit einem leisen, chinesischen Fluch mitnahm. Sein Gehör fokussierte sich auf das Auto, ob sich etwas verändert hatte, ob er etwas verursacht hatte, was den Urlaub noch ein Stück hinaus schieben würde, aber es schien alles in Ordnung zu sein.
Er nahm eine innere Anspannung wahr, die nichts mit dem drum herum zu tun hatte. Zweifel waren ihm bekannt, aber er war jemand, der dann etwas unternahm, doch hier... War sein Tun richtig? Nur welche Möglichkeiten hatte er? Xiao konnte keinen Weg, als die Umkehr oder weiter zu fahren, entdecken. Ehe er aber weiter suchen konnte, rührte sich die Person neben ihm.
„Ich hab ein Loch mitgenommen. Meine Gedanken waren abgeschweift. Aber es ist alles in Ordnung.“, beruhigte er den anderen. Japaner waren nicht dafür bekannt, etwas lang schleifen zu lassen, vielleicht war das Loch zuvor niemandem aufgefallen. Die Strecke wirkte nicht all zu dicht befahren.
„Jeremaiah war auf mich zu getreten, er meint, er kann nicht mehr viel an deinem Zustand ändern, da du körperlich ausgeheilt bist... er hatte den Vorschlag, das du dich an die menschlichen Ärzte wendest.“, erzählte er, um die Stille nicht weiter auszudehnen. Eigentlich hatte er mit der Information auf einen späteren Zeitpunkt warten wollen, aber dieser war genau so gut, wie der, welcher in ein paar Tagen sein würde.

Mairtin Connolly

„Danke für das Angebot, aber besser nicht. Sonst schlafe ich noch so fest und tief, dass ich kaum aufwache.“ Nicht, dass Xiao mich noch aus dem Auto tragen müsste. Das hatten wir schon einmal und im Gegensatz zu damals wog ich nun ein paar Kilogramm mehr. Dennoch schenkte ich dem Schwarzhaarigen ein Lächeln. „Das Angebot ist trotzdem super süß.“ Ich wusste die Bedeutung der Geste zu schätzen. „Du bist auch die einzige Person in deren Anwesenheit ich mich sicher genug fühle, um zu schlafen.“ Bei meinem Bruder passte ich selbst auf ihn auf. Syraehl war wohl schlichtweg nicht menschlich und das Wort Person nicht ausreichend für ihn. „Lass uns die Zeit genießen und das Beste daraus machen. Inzwischen weiß ich, dass ich mich meinen Ängsten immer wieder stellen muss, sonst bleibe ich stecken. Und das will ich nicht. Ja, es ist mir auch epinlich, dass du mich gerade beim beinahe Durchdrehen gesehen hast. Aber eben dann auch nur beinahe, nicht komplett. Im November hätte ich mit hoher Wahrscheinlichkeit Ping Pong vor lauter Panik gespielt.“ Ich wurde mir der leisen, fremden Worte gewahr, die ich eben nicht ganz richtig verstanden hatte und zunächst davon ausging, ich träumte. „Was hieß das eben?“, fragte ich also neugierig. „Ärgerst Du Dich darüber, das Loch eben mitgenommen zu haben?“ Mein Lachen wurde lauter. „Oh, du würdest angesichts einiger irischer Landstraßen mehr als nur Bauklötze staunen. Diese Straßen können mit unter die reinsten Huckelpisten sein und trotzdem steht da 80 oder sogar 100 Stundenkilometer als Geschwindigkeitsbegrenzung. Ja, das wird dann trotzdem gefahren. Da ist das kleine Loch eben wirklich gar nichts gegen.“

Kurz darauf sprach Xiao weiter. Jeremiah sah aktuell keine weiteren Behandlungsoptionen innerhalb der Mauern des Instituts – sofern ich nicht noch einmal krank wurde und mein Immunsystem vor irgendwelchen Viren oder Bakterien kapitulierte. Auch das war noch möglich, aber ich gewann an Kraft. Ich nickte, denn es hatte auch zwei Tests gegeben – die Gespräche mit Mikail und Akira. Idee war hier wohl gewesen, zu sehen, wie ich reagierte und ob das vielleicht sogar schon ausreichte, mich zu stabilisieren. Das war leider nicht der Fall und all das war Teil meiner Akte. Mit Mikail verband mich zudem der Belgieneinsatz. Damals war ich ein ganz anderer Mann gewesen, viel frecher und wohl ein dezenter Alptraum an nie da gewesener Dreistigkeit im Institut. Wäre ich ein Pferd, so hätte ich kaum etwas gemein mit den großen, ruhigen Shire Horses, sondern wäre eher ein Vollblut oder sehr blütiger Warmblüter, bei dem Genialität und etwas Wahnsinn ganz eng beieinanderlagen. „Manchmal hab ich das Gefühl, auf einem Gebirgspfad unterwegs zu sein, mal ist der Weg relativ breit und recht gerade ohne große Steigungen. Und dann wird es ganz plötzlich deutlich steiler und der Pfad windet sich in schwindelerregende Höhen, bis ich ganz flach an die Felswand gelehnt bin. Mitsamt dem ganzen Marschgepäck ist das kein einfacher Weg. An manchen Tagen hab ich das Gefühl, es wird irgendwann in Ordnung sein und dann gibt es wieder diese, die mich zweifeln lassen. Wenn gleich auch nicht mehr so stark wie früher. Zum Glück werden sie zudem seltener. Diese Hilflosigkeit sowie Schwäche gehen mir unglaublich auf den Sack. Ich bin zu ungeduldig mit mir selbst, ja, das weiß ich. Es ist gerade zu ironisch, bedenkt man die Tatsache, dass Scharfschützen durchaus schon mal mehrere Tage ausharren müssen.“ Dass dabei nicht immer die körperlichen Bedürfnisse in netten Umgebungen gestillt werden konnten, Durst und Hunger oft Begleiter waren, ließ ich außen vor. Kurz um, irgendwas hatte ein Scharfschütze meistens: Hunger, Durst, oder es war ihm zu kalt oder zu warm. Wenn das nicht zutraf, musste man sich schon mal das kleine oder das große Geschäft verkneifen. Manchmal blieb einem auch nichts anderes übrig, als laufen lassen. Das war nicht gerade angenehm. Aber auf keinen Fall galt es, den Posten zu verlassen. Okay wenn man in einem Gebäude verschanzt war, ging das vielleicht noch mal eher. Aber auf dem offenen Feld? Je nach Umgebung fiel das aus. Diese Details ließ ich unerwähnt.

Nachdem wir die Stadt verlassen hatten, ging alles sehr viel schneller, sodass wir nach etwa drei Stunden ankamen. Diese drei Stunden waren deutlich einfacher für mich auszuhalten, da nicht so viele potenziellen Gefahren direkt um mich herum waren und sonst wie viele Anzeigen schreiend nach Aufmerksamkeit forderten. Ich streckte mich und dehnte die Muskeln ein wenig, um sie wieder zu lockern. Anschließend schnappte ich mir das Gepäck, um Xiao den Vortritt zu lassen. Erstaunt darüber, wie anders es hier war, sah ich mich neugierig um. Die Luft war ganz klar, sodass der Blick weit schweifen konnte. Grün war es hier, aber anders als in meiner Heimat. Japan besaß auch noch Wälder, die wiederum historisch bedingt eine Rarität in Irland waren. Die Vielfalt des Landes erstaunte mich immer wieder, so sehr, dass ich mir beinahe deplatziert vorkam. Ich benötigte einen Moment, um die ganzen Eindrücke wirken zu lassen und verarbeiten zu können. Kaum, dass es ins Etablissement ging hieß es auch schon Schuhe ausziehen. Ein Ritual, an das ich mich inzwischen gewöhnt hatte. Das war mir früher gewiss nicht unter gekommen. Erst recht nicht, da ich die Reitstiefel oder Kampfstiefel so sehr gewohnt war, dass ich sie schon mal gern vergaß. Wenn die anderen Hunter und Reiter nicht genau dies so penibel vorleben würden, wäre es mir bestimmt auch eher passiert. Apropos reiten, vor drei Tagen noch, hatte ich neue Reithosen bestellt, da mir die bisherigen langsam etwas eng wurden – ein gutes Zeichen. Ich baute weiter Muskeln auf. Weiße Hosen würde ich vorerst nicht brauchen, es sei denn, es sollte doch noch mal auf Turniere gehen. Es dauerte nicht lange, bis wir den Schlüssel zu unserem Zimmer bekamenKaum das wir es betreten hatten und ich mich umdrehte, blieb ich glattweg am Deckenbalken hängen. „Ouch!“, entfuhr es mir überrascht. Die Stelle war ein wenig gerötet, aber mehr zum Glück nicht, sodass ich nun auch über mich selbst scherzte. „Zum Glück bin ich da nicht mit vollem Karacho gegen gebrettert. Sonst hättest Du jetzt ein Einhorn und ich müsste wohl wiehern.“ Ich hatte schon deutlich Schlimmeres auf den Kopf bekommen. Beim Reiten trug ich immer einen Helm. Aus Sicherheitsgründen. Auch als Soldat war ich im Einsatz niemals auf die Idee gekommen, den verdammten Helm abzulegen. Letzterer hatte mehrfach mein Leben gerettet.
Xiao hatte schon damit gerechnet, das er das Angebot ablehnen würde, daher nickte er nur mit einem leichten lächeln, überzeugt davon, dass wenn er müde genug war, die Augen von allein zufallen würden. Eine Diskussion war es also nicht wert, zumal es ihm relativ war, wie Mairtin die Fahrt verbrachte. Ob er nun aus dem Fenster sah oder schlief, war ihm überlassen, immerhin wusste er inzwischen selbst am besten, wie er was vertragen konnte. Zudem war er erwachsen.
„Ich werde dir nicht das fluchen auf chinesisch beibringen, das macht keinen guten Eindruck.“, schmunzelte er mit einem Augenzwinkern, das würde sich der Kobold, der schon genug schaden anstellen konnte, selbst tun müssen. Dabei kam ihm der absurde Gedanke, das man das Fluchen auf anderen Sprachen oft schneller lernte, als das alltägliche, wobei diese Worte selbst in Sprachkursen vermittelt wurden. Der Reiz am Verbotenen war oft die treibende Kraft, vermutete er.
„Nicht das mitnehmen, stört, sondern das es an meiner Aufmerksamkeit mangelte und das es überhaupt vorhanden ist,“ Untypisch für japanische Straßen, aber nicht wichtig genug, um sich darum zu kümmern, wieder einmal erinnerte er sich daran, das er entspannen wollte. Das Vorhaben wurde wirklich auf eine harte Probe gestellt.
„Warum repariert ihr sie dann nicht, wenn ihr es wisst? Das ist Fahrlässig.“, merkte er an, wissend, das er keinen Straßenbaumeister oder Verantwortlichen vor sich hatte, aber wenn der irische Ire es nicht wusste, warum die Iren so langsam im Reparieren waren, wusste er auch nicht. Typisch, wie wohl jeder Ausländer hatte er endlose grüne weiten im Kopf, wenn er an Irland dachte.
„Du beschreibst das normale Leben.“, schmunzelte er. „für niemanden geht es gerade aus, gleichbleibend, ohne Probleme, aber ich weiß, was du meinst und sagen willst. Hab einfach Geduld.“, antwortete er. Für ihn musste es sich sicher anfühlen, als würde er von einem extrem ins nächste Fallen, ohne die Möglichkeit zu bekommen, mal durchzuatmen.
Die fahrt verging dann ohne weitere Ereignisse, worüber er recht froh war. Hunger regte sich in ihm, passend, denn sie kamen bei dem kleinen Dörfchen an, welches der reine Kontrast zu dem war, woher sie kamen. Das Land. Xiao war kein Japaner, aber das musste er auch nicht sein, ein Dorf erkannte er auch so. Dennoch... er mochte es auf Anhieb, sah es doch besser aus, als auf den Bildern. Heimischer. Fast erwartete er, das eine alte Frau aus dem Haus trat, um ihre Wäsche aufzuhängen oder die Gänse in den Stall zu scheuchen.
„Kulturschock?“, fragte er amüsiert, erging es ihm doch kaum anders, obwohl er das eine oder andere schon kannte. Xiao erledigte alles Formelle und nahm die schlüssel entgehen, von denen er einen Mairtin in die Hand drückte. Sie gingen nach oben und betreten zunächst das Zimmer dessen. Xiao würde wohl kaum anders aussehen.
Wo er aber bequem durch gehen konnte, eckte der andere an und der Chinese musste schmunzeln. Was so ein paar Zentimeter ausmachen konnten. „Ich werde dir ein Pflaster besorgen.“, versprach er. „Mein Zimmer ist gleich rechts von dir. Pack erst mal aus, oder willst du gleich was essen?“, fragte er und sah sich um. Das Zimmer war okay und hier würde es auch nachts ruhig sein. Keine Gefahren, keine Feste, kein Lärm. Perfekt für Entspannung.
Er freute sich auf das begrenzte Landleben.
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