Wind Beyond Shadows

Normale Version: Never give up on a dream
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Warum sich Ita hatte mitschleppen lassen, wusste er selbst nicht. Ein Psychiater in einem Bordell! Nun gut, vielleicht nicht ganz so ungewöhnlich für andere Kollegen, wohl aber für einen schwulen Psychiater. Dennoch konnte er vor seinen Freunden auch nicht kneifen, immerhin wollte Minato unbedingt noch einen unvergesslichen Abend verbringen, eh er nächste Woche in den sicheren Hafen der Ehe steuerte. Daran, was Minatos Zukünftige von der Abendgestaltung halten würde, wollte er gar nicht denken. Wahrscheinlich wäre sie noch weniger begeistert von dieser Schnapsidee, als er es war.
Kneifen, ohne eine handfeste und vor allem glaubwürdige Erklärung konnte er nicht, also hiess es wohl Zähne zusammen kneifen und irgendwie den Abend hinter sich bringen. Insgeheim war er dennoch ein klein wenig neugierig. Nicht wegen der Frauen, die dort arbeiteten, sondern eher auf die Umgebung. Seinen Recherchen nach hatten die Besitzer sich nicht lumpen lassen und Unsummen an Geld in die Hand genommen, um das alte Anwesen wieder zu restaurieren. Somit wäre der Abend vielleicht keine komplette Zeitverschwendung und vielleicht half ihm dies ja beim ein oder anderen Kunden in Zukunft. Wirklich daran glauben tat er nicht, aber immerhin beruhigte es ein klein wenig sein Gewissen. Kam es ihm doch irgendwie wie ein Betrug vor, auch wenn Kaito schon vor Jahren gestorben war und er nicht zu seinem persönlichen Vergnügen herkam.

So oder so, egal wie er es auch drehte, schlussendlich stand er pünktlich mit seinen Freunden zur verabredeten Zeit vor der Tür des Bordells. Wie gewohnt hielt er sich im Hintergrund, während den anderen schier die Augen aus dem Kopf zu fallen drohten. Kein Wunder, wurden sie doch sofort von zahlreichen, sehr knapp bekleideten Damen umringt, die alle um ihre Aufmerksamkeit, oder vielmehr ihr Geld buhlten. Nur mit Müh und Not konnte sich Ito ihren Bemühungen entziehen und ging lieber die erste Runde an der Bar holen.
„Können sie mir etwas empfehlen?“, fragte er höflich, da er bei dem riesigen Angebot hoffnungslos überfordert war. „Mein Freund feiert seinen Junggesellenabschied und will einen unvergesslichen Abend“ entschuldigte er sich, obwohl es eigentlich keinen Grund dafür gab. Dennoch erschien es ihm irgendwie als wichtig, damit der Barkeeper keinen schlechten Eindruck von ihm bekam. Warum? Nun ja, Ito wollte in allem perfekt sein und niemandem auf die Füsse treten, auch wenn es hirnrissig war, wenn man bedachte, wo er gerade war. Diskret und dennoch etwas neugierig musterte er den jungen Mann etwas länger, als eigentlich schicklich wäre, nur um ertappt den Blick zu senken, als auch schon die nächste Dame des Hauses auf ihn zu stöckelte und um seine Aufmerksamkeit buhlte.
Gestern gerade den ersten Tag probeweise nach jener Nacht wieder auf Arbeit erschienen - wenn auch nur für ein paar Arbeiten auf Lager - hatte sich Chuya gegen seine Vernunft entschieden und war die Spätschicht angetreten. Hatte den halben Tag gedöst, doch war dennoch nicht zu viel Energie gekommen, es schlief sich wirklich beschissen, wenn jeder Atemzug im Liegen schmerzte und man als Seitenlieger jedes Mal im Halbschlaf vom Schmerz durchzuckt wurde, wenn man sich aus Gewohnheit versehentlich vom Rücken auf die Seite drehte.
Doch heute war er weitaus genauer mit seiner Maskerade. Das Make-Up verbarg seine geschundene Lippe, das Pflaster an der Stirn war klein und unterm Haar verborgen, auch der Hals erneut unterm Rollkragen eines schwarzen Pullovers versteckt, über dem er ein lockeres Hemd gleicher Farbe trug. Sah man ihn ohne weiteres Vorwissen, würde man wohl nicht vermuten, was vor wenigen Tagen vorgefallen war. Inzwischen war er gut darin, zu verstecken was es eben zu verstecken galt. All das, was die Außenwelt nicht zu interessieren hatte ...
Auch die Augenringe waren mit Concealer verborgen und die Energie mit Koffein hochgeputscht, damit er funktionierte. Dazu eingies an Schmerzmitteln, damit er sich überhaupt bewegen konnte, denn wie er gestern gelernt hatte, wara allein das Vorbeugen oder Heben von Gegenständen schon problematisch. Doch alles war besser als die eigenen vier Wände, in denen er sich momentan weder sicher noch willkommen fühlte.

Die Arbeit an dieser Bar unterschied sich drastisch von seiner eigenen, damals in den USA. Nicht unbedingt in der Qualität der Getränke, doch aber im Angebot und seiner Möglichkeiten. Dies war allem voran eben ein Bordell, keine High-End Bar, somit gab es keinen Grund, exzessiv Cocktails zu mischen. Diese Bar bot alle wichtigen Mainstream-Cocktails an, hin und wieder mal saisonale Specials, und alles Nötige an Spirituosen, die für das Klientel wichtig waren - noch dazu in unterschiedlichen Preisklassen. Und auch wenn der Job soweit erfüllend genug war, fehle ihm doch immer ein wenig die Freiheit, die er damals gehabt hatte.
Statt also hausgemachtes Soda oder Kräutermischungen vorzubereiten vertrieb er sich die Zeit mit dem Schneiden von Früchten, dem Zupfen von Minzblättern und dem Abwasch von Gläsern. Man stand schließlich nie still an einer Bar. Sein Kollege beschäftigte sich mit dem Aufstocken der Vorräte im Kühlschrank, sodass immer Softdrinks, Säfte und gekühlter Alkohol vorratig waren, wenn danach gefragt wurde.

Aus dem Augenwinkel konnte Chuya erkennen, dass eine Gestalt auf den Tresen zukam und legte das kleine Messer weg, um sich dem Gast zu widmen, noch bevor jener um die Aufmerksamkeit des Barkeepers hätte bitten müssen. »Guten Abend«, kam es mit einem Lächeln von ihm, während er seine Hände an dem kleinen Geschirrtuch an seinem Gürtel abwischte und die Hände auf dem Tresen ablegte. Aufmerksam lauschte er dem, was er für eine Bestellung hielt, doch schnell stellte sich heraus, dass der Herr vor ihm gar nicht so recht wusste was er wollte. Oder sie - immerhin sprach er von mehreren. »Oh, wie aufregend!«, entgegnete er, noch immer das professionelle, kundenfreundliche Lächeln auf den Lippen, während sein Blick sich kurz von seinem Gegenüber losriss und durch den Raum schweifen ließ um zu schauen, ob er besagte Person - oder Gruppe an Personen - ausfindig machen konnte, gab es aber bei dem Licht und der Menge an Menschen schnell auf. »Ich wusste nicht, dass dies auch hier in Japan Tradition ist.« Ganz im Gegenteil, seine Mutter hatte nach einer Einladung in den USA einmal erwähnt, dass sie erstmals dort Bekanntschaft mit diesen Feierlichkeiten gemacht hatte. Wie verbreitet es wirklich in Japan war, wusste er nicht. Alles, was an ihm japanisch war, waren der Geburtsort und ein Teil seiner DNA, er wusste weit weniger über sein Geburtsland, als er manchmal ahnen konnte.
Kurz überlegte Chuya, was er auf die Anfrage über eine Empfehlung hin antworten könnte, fehlte es ihm doch noch immer etwas an Erfahrungen in japanischer Kultur. Was er und seine amerikanischen Freunde bei solchen Treffen trinken würden, hätte er sofort auflisten können, doch hier waren nicht nur die Geschmäcker anders, sondern auch die Trinkkultur als Allgemeines. Er konnte sich also nur auf Aussagen zweiter Hand und die Kundschaft hier berufen.

»Das kommt ganz darauf an, was die Herrschaften bevorzugen. Mit einem kühlen Bier kann man nicht viel falsch machen, ein guter Starter, der die Gemeinschaft stärkt und die Stimmung hebt.« In der Hinsicht waren sich die Japaner und Amerikaner recht ähnlich, Bier schien in Gesellschaft gern und viel getrunken zu werden, vor allem bei Männern im heiratsfähigen Alter. Doch was darauf folgen könnte, unterschied sich schließlich meilenweit. In den USA wurde zum Teil wild alles durcheinander getrunken, ob das hier auch der Fall war, konnte er nicht mit Bestimmtheit sagen, da gab es unterschiedliche Meinungen. Einige tranken gern, wollten aber Kater vermeiden, weswegen sie sich auf Bier und ein favorisiertes Getränk begrenzten. Andere erzählten von wilden All-you-can-drink Erlebnissen. Doch alles begann hier anscheinend mit Bier, daher hatte er es zuerst empfohlen.
»Ich kann dazu noch einen kühlen Sake empfehlen, für den Moment, an dem ihr etwas zum Anstoßen braucht. Vielleicht einen regionalen Junmai Daiginjo-shu?«
Er stützte sich ein wenig mehr auf den Tresen und wartete geduldig auf eine Antwort vom Gegenüber, als sie Gesellschaft von einer der Damen des Hauses bekamen, die Chuya mit einem etwas persönlicheren Lächeln kurz begrüßte, als den Herrn im dunklen Anzug zuvor. Sie wirkte, als hätte sie Gefallen am Anzugträger gefunden und Chuya konnte es ihr nicht verübeln, der Kunde war ein Herr in gutem Alter und mit attraktivem Gesicht, guter Statur und anscheinend teurem Geschmack.
Erst als die sanfte Stimme des jungen Mannes erklang, bemerkte er, wie angespannt er tatsächlich war und lächelte leicht betreten. Hatte er bei all der Aufregung doch tatsächlich die Höflichkeit vollkommen ausser Acht gelassen, was ihm schon ein wenig peinlich war. Schliesslich war sein überaus korrektes Benehmen oftmals der Grund für zahlreiche Scherze seiner Freunde, welche meinten, dass er endlich mal locker werden musste. Locker werden? Keine Ahnung was dies bedeuten sollte und an diesem Ort wollte er es bestimmt nicht herausfinden.
„Guten Abend“ schob er etwas verlegen nach und lächelte leicht entschuldigend, obwohl dies hier wohl eher fehl am Platz war. Immerhin befand er sich in einem Bordell, auf Höflichkeit wurde hier wohl kaum allzu gross wert gelegt. Dennoch wollte er keinen schlechten Eindruck hinterlassen, auch wenn er diesen Ort wohl nie wieder freiwillig betreten würde oder sich der Barkeeper wohl an diesen kleinen Fauxpas erinnern würde. Immerhin war das Bordell gut besucht, sodass er dutzende von Gesichtern sah und sich wohl kaum jedes davon merken würde.
„Minato war lange Zeit in Amerika und fand diese Art von Feier so interessant, dass er sie selbst auch haben wollte, wenn er heiratet“, erklärte er ruhig, denn Junggesellenabschiede dieser Art gab es wahrlich nicht in Japan. Dennoch machte ihn die Formulierung seines Gegenübers ein klein wenig stutzig. Optisch war er zweifellos Japaner und doch liess die Art seiner Formulierung auf anderes schliessen. „Waren sie schon einmal dort?“, fragte er höflich und natürlich insgeheim neugierig. Musste er den meisten doch erst einmal erklären, was ein Junggesellenabschied war. Zudem würde dies vielleicht Aufschluss über die leicht merkwürdige Formulierung seines Gegenübers geben. Dass es zudem eine gute Ablenkung von all dem Treiben rings um ihn herum war, war nur ein weiterer Pluspunkt, den der junge Barkeeper jedoch nicht wissen konnte.

Geduldig wartete er auf die Vorschläge des Barkeepers, auch wenn er es ihm wohl nicht allzu leicht machte. Nicht gerade die feine englische Art, doch bis auf den Ort hatte Minato alles offen gelassen und da er nicht gerade oft Alkohol trank, verliess er sich vollkommen auf das Urteil seines Gegenübers. Wusste dieser bestimmt besser, was gerne getrunken wurde und was dem Anlass wohl angemessen genug war. „Vielen Dank für ihre Empfehlung. Ich werde mich gerne auf ihren Rat verlassen und ihm folgen“, stimmte er erleichtert zu, als keine allzu seltenen oder gar verrückten Ideen angeboten wurden. Eh er jedoch mit einer weiteren Bitte herausrücken konnte, wurde er auch schon wieder Opfer eines der Damen des Hauses. Im Gegensatz zu den anderen Damen hatte diese es aber scheinbar gezielt auf ihn abgesehen, da sie sich frech einfach an ihn lehnte und ihre Hand auf seinen Unterarm legte. Innerlich fluchend ratterte sein Hirn wie wild auf der Suche nach einem Ausweg, der nicht als unhöflich angesehen werden konnte. Doch wie wurde man eine Frau im Bordell los? Ito hatte absolut keine Ahnung und fragen konnte er auch nicht. Verlegen verlagerte er langsam und möglichst unauffällig seinen Arm, um wenigstens ihrem Griff ein wenig zu entfliehen. Viel mehr fiel ihm gerade nicht ein und musste somit erst einmal reichen. Vielleicht verzog sie sich ja von alleine, wenn sie nicht die gewünschte Aufmerksamkeit bekam. Schliesslich gab es mehr als genug Besucher, die sich über ihre Gesellschaft mehr freuen würden, als er es tat.
Chuya hatte sich an das etwas andere Klientel der Bar gewöhnt, viele die hier ein- und ausgingen waren oft schon nicht mehr nüchtern, daher erwartete er selten das volle Maß an japanischer Höflichkeit, weswegen die nachgeschobene Begrüßung des Gastes ihn ein wenig schmunzeln ließ, auch wenn es daraufhin in der verletzten Unterlippe ein wenig zog. Das Lächeln zuvor war da ein wenig harmloser gewesen.
Dass er offensichtlich etwas von sich preisgegeben hatte, auf das hin der Fremde nachhakte, störte Chuya nicht wirklich. Gespräche mit Gästen hier waren ungezwungener als in den USA - wenn den mal welche zustandekamen, die meisten Leute kamen für die Damen - und Herren - des Hauses, nicht um an der Bar einen netten Abend zu verbringen. Jene, die sich länger hier bei ihm aufhielten, hatten entweder Interesse, das er nicht erwidern konnte, oder waren unschlüssig, wen sie hier aufreißen wollten.
Und da Chuya nicht wirklich viel dazu kam, sich mit anderen zu unterhalten, war es eine willkommene Abwechslung, etwas das er vermisste, doch gab es keine wirkliche Lösung für ihn.

»Den Großteil meines Lebens wohnte ich in den USA, ja«, antwortete er also wahrheitsgemäß, wobei er den "Großteil" nicht genauer definierte, schließlich war er nun gerade mal fast das erste Jahr außerhalb seiner Heimat. »Es ist das erste Mal, dass ich hier einen Junggesellenabschied miterlebe, ich hoffe wirklich, dass ihr einen gelungenen Abend habt!« Insgeheim fragte er sich natürlich, wie die Dame des Nicht-mehr-Junggesellen auf seine Idee reagiert hatte. Ob die Frauen hier auch so verständnisvoll waren, was diese merkwürdige Tradition anging oder ob die Gründe dafür, dass sowas in Japan nicht stattfand vielleicht genau dort lagen? Für ihn als homosexueller Mann natürlich nochmal weitaus schwerer in Erfahrung zu bringen, da er selten mit Frauen verkehrte - die meisten femininen Kontakte waren die Damen hier, mit denen er hin und wieder private Gespräche führte, viel mehr Input in das Leben der Frauen in Japan hatte er nicht - außer eben noch die Erzählungen seiner Mutter, die aber schon eine Weile zurücklagen.

Leicht neigte er den Kopf als seine Empfehlungen angenommen wurden. »Wenn Sie mir sagen, für wie viele Leute es ist, kann ich eine Runde Sake und Bier vorbereiten damit es der Runde serviert werden kann.« Sein Blick fiel auf die junge Frau, die sich dem Gast näherte, anscheinend wirklich direkt interessiert an ihm. Chuya erlaubte sich selten Blicke, die über das professionelle Maß hinausgingen. Er merkte sich Gesichter während der Arbeit, um Stammkunden identifizieren und Bestellungen zuordnen zu können, doch gestattete er sich selten Gedanken über die Gesichter und Gestalten die er sah. Nur selten ertappte er sich, wie eine wertende Meinung seinen Kopf durchzog und Chuya musste zugeben, während er nun etwas mehr Zeit hatte, seinen Gegenüber zu betrachten, war genau das der Fall. Jener wirkte nicht, als wäre er jemand der einen Ort wie diesen frequentierte. Eher das Gegenteil, sehr gepflegt und gut gekleidet. Ein Gesicht, das sicherlich die Damenwelt im Sturm eroberte. Doch viel weiter trauten sich seine Gedanken nicht, gezügelt durch das Wissen, das es sich nicht ziemte, weder von seiten seiner Profession noch aus Sicht eines vergebenen Mannes.

»Und falls die werten Herren die hiesige Damenwelt begeistern wollen, die meisten hier trinken gern leichte Getränke wie Shōchū mit Saft oder Tee.« Inzwischen kannte Chuya die meisten Arbeiter und Arbeiterinnen und wusste, wem er Alkohol auf der Fläche ausschenken durfte und wer lieber das Trinken fakte, um nüchtern zu bleiben und gleichzeitig den Gast nicht vor den Kopf zu stoßen. Und bei Mischgetränken mit Fruchtsaft oder Soda fiel es meist noch weniger auf, wenn kein alkoholischer Anteil darin war.
Chuyas Blick war derweil an der Dame hängengeblieben, die wohl versuchte, Nähe bei dem Herrn zu suchen, doch konnte er nicht recht einschätzen ob jener dem zu- oder abgeneigt war. Die Körpersprache, so subtil sie auch war, verriet nichts komplett eindeutiges, doch zumindest ihrem Griff hatte er sich entzogen. Ob es nur zufällig war? Warum dachte er darüber überhaupt nach? ... immernoch, weil der Mann nicht wirkte wie jemand, der hier Gast sein würde?
Ito war es vollkommen egal, wo er befand, für Höflichkeit sollte sich immer Zeit genommen werden. Eine Seltenheit hier an diesem Ort und doch konnte er jahrelange Gewohnheiten nicht ausschalten. Ausserdem hatte ein wenig Freundlichkeit noch niemandem geschadet. Dass es ihm zudem ein kleines Schmunzeln vom Barkeeper einbrachte, machte die ganze Situation etwas erträglicher und angenehmer. Hatte der junge Mann doch ein durchaus hübsches Gesicht, welches er gerne ein paar Sekunden länger betrachtete, als es schicklich wäre. Eventuell war es aber dem Umstand geschuldet, dass er nur selten aus dem Haus ging und der junge Mann ihm ein Gefühl von Normalität innerhalb dieses schrägen Ortes gab.
Aufmerksam lauschte er seinen Worten und schmunzelte leicht, als er ihnen einen gelungenen Abend wünschte. „Nun, dies werden die wahrscheinlich haben, bis Minatos Zukünftige herauskriegt, wo er heute Abend war“, gab er zu bedenken und lächelte leicht schelmisch. Zwar konnte er sie gut leiden, doch wenn ihr etwas nicht passte, konnte sie zu einer wahren Kratzbürste werden, die sich nicht davor scheute, ihren Unmut auch lauter kundzutun. Doch mit ein wenig Glück würde er die Auseinandersetzung gar nicht mitbekommen, sofern alle brav den Mund hielten und nichts verrieten. Immerhin könnte es auch dem ein oder anderen in der Gruppe schaden, sodass Verschwiegenheit wohl die oberste Regel war.

„Leider hatte ich noch nicht das Vergnügen, obwohl ich mir Amerika schon immer einmal anschauen wollte“, fokussierte er sich dann aber doch lieber auf das Gespräch, auch wenn sich sein Blick für den Bruchteil einer Sekunde kurz verdüsterte. Kaito und er hatten schon immer reisen wollen und insbesondere Amerika hatte es ihnen angetan. Doch dummerweise kam ihnen immer etwas Wichtiges dazwischen, sodass sie ihre Reiseziele immer mehr und mehr nach hinten schoben, bis der Traum in tausende Scherben zersprang, als Kaito starb. „Wenn sie nichts dagegen hätten, würde ich gerne mehr über Amerika erfahren“, wagte er dennoch einen kleinen Vorstoss, eh ihm der eigentliche Zweck seines Besuches wieder einfiel. „Vielleicht später, wenn die anderen versorgt sind und von den Damen des Hauses genug abgelenkt sind“, schob er hinterher und liess sich erst einmal passende Empfehlungen geben, von denen er hoffte, dass sie seine Freunde genug ablenkten, damit sie nicht bemerkten, dass er sich hübsch fern von all dem hier hielt.

Ein durchaus guter Ansatz, der zunichtegemacht wurde, da ihm eine der Damen des Hauses zu dicht auf die Pelle rückte, zumindest für seinen Geschmack. So nickte er nur leicht zustimmend zum Angebot des Barkeepers, während sein Gehirn fieberhaft nach einem Ausweg, aus dieser unangenehmen Situation, suchte. Zu seinem Pech missdeutete die Dame seine Zurückhaltung als Schüchternheit und liess einladend ihre Fingernähgel leicht seinen Oberschenkel entlang streichen, um ihre Absichten noch deutlicher zu machen. Eine durchaus verständliche Geste, doch Ito wurde es nun doch viel zu aufdringlich, sodass er bewusst die Hand der Dame wegschob, welche ihm natürlich ein hübsches Schmollgesicht zeigte. Scheinbar wollte sie ihn damit wohl um den Finger wickeln, doch da war sie bei ihm an der falschen Adresse. „Wahrscheinlich haben sie bei einem anderen Gast mehr Glück und bekommen die Aufmerksamkeit, welche sie suchen“, murmelte er entschuldigend und wusste nicht, wohin er blicken sollte.
Da ein Junggesellenabschied in Japan kaum Brauch war, lebte dieser Minato wohl ziemlich gefährlich mit dieser abenteuerlichen Nacht, wie auch die Aussage seines Kunden an der Bar bestätigte. Ein Lachen seinerseits folgte auf die Worte, das er sich nicht hatte verkneifen können. »Dann hoffen wir, dass es ein Geheimnis bleibt ... oder sie Gnade walten lässt.« Chuya wollte sich gar nicht vorstellen, wie er in der Situation der Verlobten reagieren würde, würde er hören, dass Nobu sich mit anderen herumgetrieben hatte und es womöglich gar eskaliert war. Gerade vor so etwas wie einer Eheschließung konnte das wirkliche Risse in eine Beziehung bringen. Umso mehr noch, wenn es lang geheimgehalten wurde - vielleicht gar von mehreren Personen denen man vertraute - und dann plötzlich irgendwann ans Licht kam. Glücklicherweise aber war er nicht in den Schuhen der jungen Dame.

Chuyas Lächeln wurde eine Spur größer, als er die etwas ungewöhnliche Bitte des Gastes hörte, die ihm an diesem Abend aber irgendwie nur Recht war.
»Natürlich, sehr gern. Wenn es Sie nicht stört, dass ich dabei nebenher meine Arbeit verrichten muss. Hin und wieder könnte es zu Unterbrechungen des Gesprächs kommen«, warnte er lieber vor. Die Bar war zwar nicht der Anlaufpunkt schlechthin in dem Bordell, aber wenn es voller und später wurde, kamen doch einige zu ihm um sich und den Damen noch einen Drink oder zwei zu besorgen, bevor sich die Entscheidungen machen ließen, ob man die Nacht verbrachte oder nicht. Wenn man sich Mut antrank und die letzten Zweifel ertränken wollte ...
Ob sein Gast hier irgendwann ebenjenen Punkt erreichen würde? Die passende Dame dazu hatte er bereits, die sich anbiederte um ja keiner anderen die Chance zu lassen, sich den gutaussehenden Kerl unter den Nagel zu reißen. Chuya beobachtete die Mitarbeiter des Bordells gern beim Männerfang. Es war irgendwie amüsant zu betrachten, auch wenn man sich keine tieferen Gedanken über all das machen durfte, denn dann wurde das Amüsante schnell grotesk and bekam einen bitteren Beigeschmack.

Während er sich mit dem Rücken zu beiden darum kümmerte, einen guten Sake aus dem Regal zu holen, konnte er nur leise Worte des Gastes hören, wenn er auch nichts wirklich verstand, bevor er im Umdrehen nach einem Tablett griff und von dem schmollenden Blick der Dame des Hauses begrüßt wurde, die ihm ein kurzes ungewolltes Schmunzeln auf die Lippen zauberte, das er aber direkt versuchte zu unterdrücken, indem er die Lippen zusammenpresste und den Blick auf den Tresen senkte. Warum nur freute ihn dieser Blick? Vielleicht die Aussicht auf einen guten Gesprächspartner, den er nicht an sie und ihren Charme verlor ...
Er ließ das Tablett beinahe geräuschlos auf den Tresen gleiten und stellte den Sake darauf mittig ab, bevor einige Gläser folgten. Die genaue Anzahl wusste er noch nicht, da die Frage zuvor entweder untergegangen oder vergessen worden war, weswegen sein Blick sich wieder von den Tätigkeiten hob und den Gast fixierte. »Wie viele befinden sich denn in der Runde?«, fragte er, bevor er sich der Dame widmete. »Wie wärs, wenn du seinen Freunden Gesellschaft leisten gehst und ihnen direkt die Getränke mitbringst, sie werden sich bestimmt erkenntlich zeigen.« Vielleicht konnte er sie so loswerden, damit sie nicht weiter an dem Herrn klebte und sie sich demnächst dem Gespräch widmen konnten. Irgendwie wirkte sie auf ihn gerade etwas störend und das war der einfachste Weg, ihre Aufmerksamkeit umzulenken.
Mit ein paar Griffen hatte er Biergläser bereitgestellt, wenn auch immernoch nur eine ungenaue Menge, bereit sie mit den Bierflaschen auf dem Tablett abzustellen. Das Einschenken würden die Damen übernehmen; alternativ konnten die Herren das auch untereinander tun, so wie es Brauch war. Für Chuya klang das in der Runde passender als dass er bereits jetzt an der Bar das Bier einschenkte, denn so konnten sie den vollen Service der Frauen genießen.
Sobald er wusste, wie der Abend verbracht werden sollte, hatte er sich natürlich seine Gedanken gemacht und mittels Vernunft versucht Minato von seiner überaus gewagten Idee abzubringen. Immerhin waren sie hier in Japan und auch wenn der ein oder andere westliche Brauch seinen Weg hierher gefunden hatte, so hiess es noch lange nicht, dass diese auch jeder tolerierte oder gar akzeptierte. Doch all seine Versuche waren gegen eine sture Mauer geprallt, sodass er es schliesslich aufgab. Dass er jedoch ausgerechnet hier jemanden fand, der seine Bedenken verstand, überraschte ihn ehrlich gesagt doch ein klein wenig. Immerhin arbeitete der junge Mann hier und wusste genau, was vor sich ging und doch traf der den Nagel auf den Kopf. "Gnade wird er wohl nicht bekommen, somit muss er hoffen, dass keiner etwas versehentlich ausplaudert", gestand er daher unumwunden und schüttelte leicht den Kopf. Wirklich nachvollziehen konnte er diese Aktion hier nicht, doch wer war er schon. Schliesslich war dies hier nicht sein Leben, somit musste Minato für sich selbst entscheiden und schlussendlich auch mit den Konsequenzen leben, wenn der Ausflug ans Licht kam.

Immerhin konnte er sich irgendwie aus der Affäre ziehen, indem er sich vom Rest der Gruppe absondert. Mit den Frauen konnte er eh nichts anfangen und für seinen Geschmack hatte es heute schon genug unwillkommene Annäherungsversuche gegeben, sodass er sich dankbar an die Bar flüchtete und dort hoffentlich ein klein wenig Ruhe fand. Scheinbar wohl ein fataler Fehler, da eine der Damen geradezu an ihm klebte und somit das aufkeimende Gespräch störte, welches ihn durchaus interessieren könnte. "Lassen Sie sich von mir bitte nicht bei ihrer Arbeit stören", entschuldigte er sich indirekt, denn daran hatte er in all dem Trubel natürlich nicht gedacht. Natürlich war er nicht hier angestellt um zu plaudern und doch hoffte er, dass sich vielleicht doch die ein oder andere Möglichkeit ergab und er somit einen triftigen Grund hatte sich hier aufzuhalten. Wäre es doch mehr als nur unhöflich ein Gespräch mittendrin zu verlassen, obwohl hier wohl kaum gross Wert draufgelegt wurde.
Selbst wenn der junge Mann keine Zeit zum Plaudern finden würde, so war er doch durchaus zufrieden einfach nur hier am Rande zu hocken und zu beobachten, ohne selbst Teil der wild gemischten Runde zu werden.
Somit war es nicht weiter verwunderlich, dass er mehr als nur erleichtert war, als der Barkeeper ihn indirekt endlich aus den Klauen der Dame befreite, die einfach nicht aufgeben wollte. "Fünf", antwortete er daher knapp an ihn gerichtet und lenkte geschickt den Blick der jungen Frau auf die entsprechende Herrengruppe. "Abgesehen von Minato, dem im weissen Hemd, sind alle Single und werden sich sicherlich über ihre Aufmerksamkeit freuen" lockte er sie, darauf hoffend, dass sie der Versuchung Geld zu machen nicht widerstehen konnte. Den letzten schmollenden Blick von ihr ignorierte er einfach und hätte fast erleichtert auf geseufzt, als sie tatsächlich das Tablett ergriff und gekonnt verführerisch zur Runde stöckelte, wo sie mehr als nur eifrig willkommen geheissen wurde.
Leicht schüttelte er den Kopf und wandte sich wieder seinem Gesprächspartner zu. "Ich vermute mal, dass sie nun für ein Weilchen beschäftigt sein wird" gab er zu und lächelte leicht entschuldigend. Denn auch wenn er ihr keinen Vorwurf zu ihrem Benehmen machen konnte, so war ihm die ganze Szenerie doch mehr als nur peinlich. "In welchen Teil der USA haben sie gelebt und wie lange?", versuchte er das Gespräch endlich in die Richtung zu bringen, die ihm mehr behagte und hoffentlich ein klein wenig vergessen liess, wo er sich befand. Zudem war er wirklich neugierig und wollte mehr erfahren.
Mit einem kurzen, verständnisvollen Nicken bestätigte er die Aussage des Gastes. Es sprach ja doch einiges dafür, dass dies ein Geheimnis bleiben würde, schließlich würde wahrscheinlich keiner der Männer aus der kleinen Gruppe gern offenbaren, dass auch er zu jener Zeit in einem Bordell gewesen war - je nach Familienstand konnte es ja doch riskant werden. Und auch der Ruf konnte daran leiden, wenn es sich um Singles handelte, die noch auf dem "Markt" waren für Beziehungen und eine Zukunft. In den USA war es weniger ein Problem, wenn man Etablissements wie dieses frequentierte, doch konnte sich Chuya lebhaft vorstellen, dass es hier eher als problematischer galt, besonders durch das Anti-Prostitutions-Gesetz, das sich ihm sehr prominent präsentiert hatte, nachdem er erforscht hatte, in welch eine Hölle er sich hier begeben würde, nachdem Nobu ihm diesen Job besorgt hatte. Nur weil Besuche in Hostess Clubs gesellschaftlich akzeptiert waren, hieß es nicht, dass diese Art von Besuch ebenso behandelt wurde...

»Keine Sorge«, versuchte er die anscheinend aufkommenden typisch japanischen Zweifel in seinem Gast im Keim zu ersticken. Er würde keinesfalls stören, dazu war die Atmosphäre hier am Tresen zu anders als in "normalen" Bars, wo es durchaus zu gehäuften Bestellungen kam. Hier bestellte eine Gruppe und verzog sich dann für eine Weile in den Raum, manchmal kamen die Damen des Hauses und bedienten sich selbst oder gaben eine kleine informelle Bestellung bei ihm auf und hin und wieder kam ein Kunde für eine Stärkung oder Mut, doch der Fokus lag auf anderen Angeboten des Bordells, nicht auf dem Alkohol.
Flink berichtigte er die Anzahl an Gläsern und stellte noch drei größere Bierflaschen auf dem Tablett bereit, die für zwei oder drei runden Bier reichen sollten, bevor er es der abservierten Damen zuschob und ihr noch mit auf den Weg gab, mit den Gläsern vorsichtig zu sein. Vier volle Flaschen Alkohol hatten immerhin schon ein wenig Gewicht. Mit aufmerksamem Blick verfolgte er ihre Balancierversuche, bis sie das Gewicht ordentlich verteilt hatte, dem werten Gast der an der Bar zurückblieb noch ein Zwinkern schenkte und sich in das Zwielicht zurückzog.

Chuya verkniff es sich, erleichtert durchzuatmen, auch wenn er spürte, wie seine Anspannung verschwand. Er hatte einen Gesprächspartner. Ablenkung. Jemand, der seine Gedanken in andere Richtungen steuern konnte.
Der Kunde schien keinerlei Zeit verlieren zu wollen und kam mit seinen Fragen direkt zur Sache, doch konnte Chuya es ihm kaum verübeln, er wirkte hier irgendwie gänzlich fehl am Platz. Dass er, statt seinen Freunden und den Damen Gesellschaft zu leisten, lieber vorzog Gespräche mit dem Barkeeper zu führen, war für ihn auch ein mehr als klares Zeichen, dass dieser Ort etwas war, das er vermutlich eher meiden würde, wenn er konnte.
»Ich bin in Arizona aufgewachsen, verbrachte meine Kindheit in Phoenix, bevor ich nach Scottsdale zog. Tatsächlich bin ich erst vor nicht ganz einem Jahr hierhergezogen«, erzählte er also bereitwillig und doch nicht zu ausschweifend. Er wollte dem Gast die Chance lassen, das Gespräch in eine Richtung zu lenken, die ihm zusagte, anstatt ihn einfach ungezielt in Details zu ertränken die ihn vielleicht nicht einmal interessierte.