Wind Beyond Shadows

Normale Version: Bittersweet Secrets
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Julien Espello

"Hast du etwa vor, dir endlich einen anständigen Job zu suchen? Wobei, wenn ich mir deine Klamotten so ansehe, dann wohl eher nicht."
Julien blickte von dem Zettel in seinen Händen auf, den er gerade noch einmal studierte, um sicher zu gehen, dass er auch wirklich an der richtigen Adresse war. Das Gebäude, zu dem ihn diese geführt hatte, sah auf den ersten Blick nämlich alles andere als ein Hauptsitz für einen Edel-Escort Service aus, doch er wusste selbst nur zu gut, wie sehr der erste Eindruck doch täuschen konnte. Für den Moment konnte er sich jedoch keine weiteren Gedanken dazu machen, denn auch ohne die Person zu sehen, die ihn angesprochen hatte, erkannte er anhand der Stimme, dass es sich um seinen älteren Bruder Adrien handelte, den er schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr gesehen hatte. Ein Umstand, den er nicht sonderlich bedauerte. Dennoch sah er zu ihm, während er den Zettel zurück in die Tasche seiner Lederjacke steckte, und musterte sein Gegenüber von oben bis unten, nur um anhand der Polizeiuniform festzustellen, dass dieser sich im Dienst befand. Lange würde er ihn also vermutlich nicht aufhalten, bevor er weiter seiner Arbeit nachgehen musste.
"Und hast du schon mal daran gedacht, dass ich auch einen wichtigen Teil dazu beitrage, dass das gesellschaftliche Leben funktioniert?"
Die Augen seines Bruders weiteten sich ungläubig, bevor er anfing zu lachen, womit Julien bereits gerechnet hatte, denn er wusste, was der andere davon hielt, dass er nicht nur in einem Bordell hauste, sondern dort auch seit geschlagenen sieben Jahren arbeitete - und fünf davon tatsächlich im horizontalen Gewerbe.
"Du meinst, weil du die Beine für irgendwelche alten Säcke breit machst, die sich dabei nicht nur vorstellen müssen, du wärst Angelina Jolie, weil du ihnen auch noch optisch vorgaukelst, du wärst es? Das nennst du einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Leben?"
Der Neid auf seine Fähigkeit, jede Person kopieren zu können, deren genetisches Material er mit seinem eigenen mischte, war deutlich aus seinen Worten herauszuhören - genauso wie die Ablehnung für seine Tätigkeit, der er nicht etwa nachging, weil er Spaß daran hatte, sich von den besagten alten Säcken, die faktisch den Großteil seiner Kunden ausmachten, begrapschen zu lassen. Adrien wusste, dass er auf diese Weise nach seiner - nein ihrer gemeinsamen - Schwester suchte, auch wenn der andere nicht wahrhaben wollte, dass diese noch immer lebte. Was er ihm im nächsten Moment auch wieder gekonnt unter die Nase rieb.
"Louna würde sich für dich schämen und sich im Grab herumdrehen, wenn sie wüsste, womit du dein Geld verdienst."
"Louna lebt!", fuhr er ihm ins Wort, bevor er noch mehr sagen konnte. "Und sie würde verstehen, dass ich es tue, um sie zu finden. Im Gegensatz zu dir und der Polizei habe ich sie wenigstens noch nicht aufgegeben. Ich spüre jeden Tag, was sie durchmacht, aber davon hast du keine Ahnung. Also wie wäre es, wenn du weiter deiner Arbeit nachgehst, damit du dir am Ende des Tages auf die Schulter klopfen kannst, was für ein guter Cop du doch bist, und mich im Gegenzug meine machen lässt?"
Wie aufs Stichwort stieg ein weiterer Polizist aus dem Fahrzeug, blieb jedoch neben der offenen Tür stehen und lehnte sich lediglich an die Karosserie.
"Komm schon, Ad, wir müssen weiter."
Adrien sah über die Schulter zu seinem Partner, nickte diesem kurz zu, bevor er sich noch einmal zu ihm wandte.
"Im Gegensatz zu dir weiß ich am Ende des Tages zumindest, was ich Gutes getan habe."
Mit diesen Worten wandte er sich ab, ehe Julien noch etwas darauf erwidern konnte. Sonderlich viel Wert legte er jedoch nicht darauf, weshalb er ihn einfach ziehen ließ. Eine weitere Bemerkung wäre die reinste Zeitverschwendung, denn er würde die Meinung seines Bruders bezüglich seines Jobs wohl niemals ändern können und er wollte es auch nicht. Obwohl dasselbe Blut in ihren Adern floss, waren sie sich noch nie besonders grün, was nicht zuletzt daran lag, dass es sich bei seinem Bruder trotz dessen, dass ihr Vater ein Gestaltwandler war, lediglich um einen Menschen handelte. Und das ohne, dass man wusste, woran dies lag.
Dass Julien indirekt wohl auch etwas Gutes tat und das eine oder andere Menschenleben rettete, indem er seinen Kunden ihre Personenwünsche - seien sie noch so abstrakt - erfüllte, wollte Adrien zudem ebenfalls nicht sehen. Seine Gedanken schweiften dabei für einen kurzen Augenblick zu einem ganz besonderen Mann, der regelmäßig zu ihm kam und wollte, dass er sich in ein junges Schulmädchen inklusive passender Uniform verwandelte. Wie er an die Haare kam, die er ihm mitbrachte, hinterfragte er nicht. Genauso wenig wie die Frage, was besagter Mann wohl tat, sollte er nun nicht mehr für ihn bereitstehen. Womöglich sollte er sich Sorgen um das Mädchen machen und sich fragen, ob es moralisch überhaupt richtig war, die pädophile Neigung seines Kunden auch noch zu unterstützen, doch er tat es nicht, denn schlussendlich war er nicht dafür da, um die Probleme anderer zu lösen. Er selbst hatte genug eigene.
Ob zumindest seine Suche nach seiner Zwillingsschwester durch seinen neuen Job langsam Fortschritte machen würde, war ebenfalls fraglich, doch um dies herauszufinden, musste er diesen erst einmal bekommen, weshalb er sich in Bewegung setzte und das unscheinbare Gebäude ansteuerte.
Im Inneren wirkte das Haus wie viele andere Anbieter einer Serviceleistung, was ihn erneut zweifeln ließ, ob er richtig war, auch wenn es ein wenig edler wirkte, als irgendein heruntergekommenes Dienstleistungsunternehmen. Suchend sah er sich um, in der Hoffnung das Büro von Mr. Smith zu finden, dem er als neuer Mitarbeiter vom Betreiber des Bordells empfohlen wurde. Wie viel Geld dabei in dessen Tasche floss, da ihm somit ein großer Anteil seines Umsatzes verloren ging, wusste er nicht und es interessierte ihn auch nicht weiter. Genauso wenig wie die Tatsache, ob es sich bei Smith wirklich um den richtigen Nachnamen handelte, oder ob dieser nur zur Tarnung existierte, weil es ihn wie Sand am Meer gab. Beides interessierte ihn nicht, während er die Schilder an den Türen weiter nach dem Namen absuchte, den er brauchte.

Noelia Alvarez

Hassliebe, anders konnte man ihren Job wohl kaum bezeichnen. Statt Dieben, Mördern und anderen Ganoven durch die Stadt zu jagen und sie der Gerechtigkeit zu zu führen bestand ihr Job darin Männer zu umgarnen und ihnen Geheimnisse zu entlocken. Selbstverständlich nicht zum puren Vergnügen, vielmehr um genug Informationen zu sammeln um endlich genug Beweise gegen die Yakuza zu haben, welche hier in der Stadt verschiedene Etablissements leiteten, selbst verständlich mit sehr viel krummen Geschäften. Nichts destotrotz hätte sie nie daran geglaubt das ihr erster Job sie ausgerechnet in die tiefsten und dunkelsten Gefilde entführen würde.
Seid einem Jahr arbeitete sie nun im Sweet Dreams, dem Geheimtipp wenn man sich ein paar schöne Stunden gönnen und seine Geschäftskollegen vor Neid grün werden lassen wollte. Ein Edel Escort Service, welcher keinen Wunsch seiner Gäste offen liess und das Paradies auf Erden versprach. Ein Jahr in dem sie Nacht für Nacht die Fantasien der Männer erfüllte und ihnen die Perfektion der Weiblichkeit vor spielte. Ein Jahr in dem sie einsamer war als jemals zuvor. Stammte sie doch aus einer Grossfamilie in der man kaum eine ruhige Minute für sich hatte. Ein Umstand der sie in ihrer Jugend oft in den Wahnsinn getrieben hatte und in der sie sich schon glücklich schätzen konnte wenn sie einmal 5 Minuten für sich alleine hatte. Eine Rarität, welche sie heute vermisste. Hatte sie um ihre Familie zu schützen doch sämtliche Kontakte abgebrochen. Schliesslich jagte sie niemand geringerem als der Yakuza nach. Ein berüchtigter Haufen aus Gangstern, Mördern, Vergewaltigern und Psychopathen. Nicht aus zu denken was alles passieren würde, sollte sie ihre Deckung verlieren. War ihre Familie doch schon vor vielen Jahren fast zerbrochen als ihr Vater bei einer Schiesserei ums Leben kam, nur weil er seinen Schützling nicht aufgeben wollte und sich in aller letzten Sekunde in die Schusslinie geworfen hatte. Ein Held auf den man zu Recht stolz sein konnte und doch vermisste sie ihn. Vermisste sein warmes Lächeln und seine aufmunternden Worte. Schien es doch fast so als wüsste er auf jede Frage die Antwort, fast so als hätte er für jedes Problem eine Lösung parat. Ein aufmerksamer Zuhörer, den sie nun mehr als nur dringend gebrauchen konnte.
1 Jahr und doch hatte sie kaum verwertbare Fakten gefunden, von den schmutzigen kleinen Geheimnissen ihrer Kunden einmal abgesehen, doch hinter denen war sie nicht her.

How did I lose control?
I can feel your shadow taking over
Haven't lost anyway, it's all in my head
Laying bruised on the floor
I wonder if I ever learn to love the
Skin that covers my bones, how much is enough?
You have been my friend
But I just can't go down that road again
Starving for perfection
Cause I'm scared of my own reflection staring back
Let me go, I'll be strong
I will find a way to mend my broken soul
And I won't need you anymore
I will tear down the walls
Find a light to guide me home
I've got a long way to go, I won't give up
I'm a warrior deep inside my soul
Weary-eyed, tired smile
I've been under pressure undercover
Pick me up, pull me close I feel so alone
Every page that I turn
I see another pale and skinny body
Beauty is not what they say,…


Trällerte leise im Hintergrund als Noelia sich für das heutige "Tagesgeschäft" parat machte. Jede Locke, jeder Lidstrich, alles musste perfekt sein ... jede Geste, jedes Lächeln musste verführen. Mittlerweile fast schon Routine und doch war sie heute nervöser als auch schon. Hatte es doch lange gebraucht um sich in der Hierarchie ganz nach oben zu arbeiten um endlich an die Kunden heran zu kommen die ihr hoffentlich die dringend benötigten Informationen liefern konnte. Mehr als nur dringend, da ihr Chef langsam ungeduldig wurde und tatsächlich meinte das sie mehr ihrem Vergnügen statt ihrer Arbeit nach kam. Das es aber seine Idee war sie ausgerechnet in einem Escort Service ein zu schmuggeln liess er vollkommen ausser Acht, genauso wie jegliche Handlung die damit verbunden war. Einzig und allein den Erfolg vor Augen würde er alles tun um endlich den grössten Coup der Geschichte Phoenix zu landen.
Doch nicht sein widerlich lüsterner Blick war es der für ihre Nervosität sorgte. Vielmehr war es ihr Chef Mr. Smith vor dem es ihr graute. Soweit sie heraus bekommen hatte war er nur ein kleiner Fisch im ganzen System. Ein schmieriger Psychopath der ohne mit der Wimper zu zucken über Leichen ging und der scheinbar immer und überall zu sein schien. Ein absoluter Widerling, so das sie stehts bestrebt war ihm aus dem Weg zu gehen so weit es irgendwie möglich ist. Dumm nur das sie eine direkten Aufforderung heute Abend zu ihm zu kommen nicht ablehnen durfte. Hatte sie viel zu viel Mühe und Arbeit hinein gesteckt, als das sie sich nun selbst ein Bein stellte. Was genau er wollte wusste sie nicht, hatte er es doch nicht für nötig gehalten. Vielmehr hatte er sie einfach in sein Büro diktiert, als wäre sie nichts anderes als ein hirnloses Püppchen, einzig und allein dafür da ihm zu Gefallen. Während die Zeit oftmals wie zäher Schleim dahin floss zerrann er ihr heute förmlich in den Fingern und der Fahrer, welcher sie ins Büro bringen sollte klingelte viel zu früh. Dennoch straffte sie die Schultern, setzte ihr wohl eingeübtes Lächeln auf und liess sich von Jinjin zu ihm chauffieren.
Angekommen half er ihr galant aus dem Wagen und hielt ihr mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen sogar die Tür auf. Scheinbar der perfekte Gentlemen, sofern man nicht all zu genau hin schaute. Zeigte sein Jackett an seiner Hüfte doch eine leichte Ausbuchtung, welche jedem Kenner sofort verriet das man ihn nicht unterschätzen durfte. Dennoch liess sie sich nichts anmerken und schenkte ihm sogar ein kleines Lächeln, eh sie so schnell wie möglich an ihm vorbei schlüpfte und fast schon erleichtert aufgeseufzt hätte als die Tür hinter ihr zu fiel und so wenigstens der Anschein von Sicherheit sich wieder einstellte.
Klick...Klick....Klick...Klack
Hallte es leise rhythmisch durch die Eingangshalle, während ihre Füsse sie zielsicher zum Büro trugen. Den jungen Mann, welcher scheinbar suchend umher irrte nahm sie nur am Rande war. Zeigte ihr die riesige Uhr doch nur all zu deutlich wie spät es war und ihren Chef durfte man niemals warten lassen. Das letzte Mädchen das sich daran nicht gehalten hatte war einfach von der Bildfläche verschwunden. Angeblich wurde sie gefeuert wegen unüberbrückbarer Differenzen, doch nur weil sie das naive Dummchen spielte, hiess es noch lange nicht das sie diese faustdicke Lüge auch glaubte. So also ignorierte sie den jungen Mann und klopfte kurz an der Tür an, eh sie das Büro betrat.
Wie immer lief es ihr eiskalt den Rücken herunter als sein Blick taxierend über sie glitt und doch zwang sie sich seinem Blick nicht aus zu weichen, während ein kleines Lächeln wie auf Kommando auf ihren Lippen erschien.
"Ich freue mich das du es einrichten konntest mich heute zu besuchen Amelia" setzte er an, während er zu einem Stuhl direkt vor seinen Schreibtisch nickte und sie somit aufforderte sich zu setzen. "Wir bekommen heute einen Neuzugang" kam er ohne Umschweife auf den Punkt "und damit er sich besser zurecht findet wirst du dich seiner annehmen und ihm zeigen wie die Dinge hier laufen" verlangte er ohne sie auch nur nach ihrer Meinung zu fragen. Vollkommen patriarchalisch und hinterwäldlerisch und doch zwang sie sich zu einem leichten Nicken, welchem ein weiteres Lächeln folgte. War es doch vollkommen irrelevant was sie wollte und das sie für die kommende Woche voll ausgebucht war. Was der Chef befahl musste getan werden. Nichts destotrotz wollte sie gerade zu einer Frage ansetzen um wenigstens einen Namen zu erfahren, als ein erneutes Klopfen an der Tür sie unabsichtlich inne halten liess. Kurz zuckte ihre Augenbraue überrascht hoch, als der junge Mann von eben eintrat nachdem er hinein gebeten wurde. Ein Bruchteil einer Sekunde, eh sie sich wieder vollkommen im Griff hatte und ihm freundlich zu lächelte.

Julien Espello

Hast du etwa vor, dir endlich einen anständigen Job zu suchen?
Du meinst, weil du die Beine für irgendwelche alten Säcke breit machst…

Obwohl inzwischen einige Minuten zwischen dem Zusammentreffen mit seinem Bruder und jetzt lagen, hallten ihm die Worte des Älteren doch immer noch in seinen Ohren nach. Eigentlich machte es ihn nichts aus, dass man auf ihn herabsah, ihn lediglich als kleinen Stricher und Schandfleck der Gesellschaft sah und doch konnte er die Situation nicht vollends abschütteln, wie er es sonst einfach konnte, wenn er auf Adrien traf und dieser mal wieder über ihn und seine Tätigkeit herzog. An diesem Tag hatte er einen wunden Punkt getroffen, indem er Louna mit hineinzog. Indem er ihm weiß machen wollte, dass er besser über ihre kleine Schwester Bescheid wusste, als er es tat und das obwohl er auf einer Eben und eine Weise mit ihr verbunden war, die sich kaum ein anderer vorstellen konnte. Lediglich andere Zwillinge könnten wohl nachempfinden, wie es ihm ging, während er jeden Tag aufs neue spürte, wie sie litt. Julien wusste, dass sie eine Kämpferin war. Was ihren starken Willen und ihre Entschlossenheit, ihr Durchhaltevermögen betraf, machte ihr niemand etwas vor. Man mochte sie für ein schwaches Mädchen oder junge Frau halten, weil sie nach außen hin so wirkte. Doch genau wie dieses Gebäude von außen nicht so wirkte, als beherberge es den Hauptsitz eines angesagten Edel Escorts, trog auch bei ihr der Schein.
Ob sie jedoch tatsächlich mit dem, was er tat, vollends einverstanden oder eher erschrocken darüber wäre, konnte er nicht mit Gewissheit sagen. Sollte es jedoch zu dem Ziel führen, das er sich gesetzt hatte, und er sollte sie wirklich finden und von ihren täglichen Qualen befreien, wusste er einfach, dass die Erleichterung alles negative überschatten würde. Schließlich tat er das alles nur für sie
Adrien hingegen schien in diesem Punkt ganz anderer Meinung zu sein. Wenn es nach ihm ging, machte er die Beine breit, weil es ihm so gut gefiel. Dabei sollte er als Cop ganz genau wissen, dass es wohl nur wenige in diesem Beruf gab, die es wirklich freiwillig oder aus dem Grund taten, weil es ihnen gefiel, ihren Körper jede Nacht auf's Neue an schmierige Typen zu verkaufen, die auf normalem Wege keine Frau abbekamen oder auf diese Weise ihre Fantasien ausleben konnten, die in ihrer normalen Beziehung nicht umsetzbar oder von der Gesellschaft nicht akzeptiert wären.
Nur kurz huschten seine Gedanken erneut zu dem Mann, für den er sich oft in das Schulmädchen verwandelt hatte und dem dies nun verwehrt bleiben würde, sollte er den Job in diesem Etablissement tatsächlich bekommen. Julien zweifelte nicht daran, denn er ahnte, dass in diesem Gebäude hinter verschlossenen Türen genauso krumme Geschäfte liefen, wie es in dem Bordell der Fall war, in dem er bislang arbeitete. Zudem schätzte er Mr. Smith, auch wenn er ihn noch nicht kannte, als klug genug ein, sich eine Chance wie die heutige nicht entgehen zu lassen, denn wie oft kam es vor, einen Formwandler für sich arbeiten lassen zu können. Die Möglichkeiten, jemanden wie ihn einzusetzen, waren weit größer als bei anderen, die nur mit dem arbeiten konnten, was ihnen die Natur, die Kosmetik oder die Schönheitschirurgie boten.
Klick...Klick....Klick...Klack
Das Geräusch von Absätzen auf dem marmorverzierten Boden der Eingangshalle lenkte seine Gedanken von all dem weg, worüber er sich den Kopf zerbrochen hatte, und holte ihn wieder ins Hier und Jetzt zurück. Julien sah in die Richtung, aus der die Person kam und blieb mit seinem Blick direkt an ihr hängen. Neben ihr wirkte er in seiner dunklen Jeans und der schwarzen Lederjacke beinahe underdressed. Das blaue Kleid saß perfekt und auch wenn es, wie er feststellen musste, als sie an ihm vorbei lief, besonders am Rücken tief ausgeschnitten war, ließ es doch immer noch genug Spielraum für die eigene Vorstellungskraft und Fantasie der Männer, die sie sahen. Es war ein ungewohnter Anblick für ihn, da die Frauen, mit denen er sonst zu tun hatte und zusammenarbeitete, weit weniger Stoff am Körper trugen und damit sehr viel mehr Einblicke gewährten. Dass sie oftmals der Blickfang schlechthin war, konnte er sich aber dennoch nur zu gut vorstellen. Sie war eine klassische und doch exotische Schönheit, wie man sie an einem derartigen Ort erwarten würde, auch wenn er selbst der Meinung war, dass sie für einen derartigen Job fast zu schade war.
Die Hintergründe kannte er allerdings nicht, weshalb er sich auch nicht erlaubte, sich ein Urteil darüber zu bilden, weshalb sie für so einen Laden arbeitete, anstatt einem anständigen Job nachzugehen. Beinahe hätte er aufgelacht, als ihm bei ihr dieselben Gedanken durch den Kopf gingen, wie sie sein Bruder über ihn geäußert hatte, doch er konnte sich zurückhalten. Ob sie tatsächlich dafür hier war, den zumeist männlichen Kunden den Kopf zu verdrehen, wusste er schließlich nicht. Dennoch ließ er seinen Blick auf sie geheftet, vergaß beinahe, dass er aus einem ganz anderen Grund hier war, bis sie nicht weit entfernt an eine Tür klopfte und kurz darauf in dem dahinterliegenden Raum verschwand.
"Kann ich Ihnen vielleicht weiterhelfen?"
Hätte ihn das Geräusch der Tür, die ins Schloss fiel, nicht aus seiner Starre geholt, hätte es spätestens die Stimme des Mannes getan, der ihn ansprach. Julien wandte sich zu ihm und obwohl sich der perfekt sitzende Anzug über die breiten Schultern spannte und ihn dagegen schmächtig aussehen ließ, ließ er sich dennoch nicht von ihm einschüchtern. Musternd und mit den Händen in den Jackentaschen glitt sein Blick über ihn, wobei er deutlich die Beule an der Seite und auf Höhe des Hosenbundes bemerkte, die nur einen Schluss zuließ - was ihn aber dennoch nicht mit der Wimper zucken ließ.
"Ich habe einen Termin bei Mr. Smith", gab er so höflich, wie es ihm möglich war, von sich, hielt aber an seiner Haltung fest.
Für einen kurzen Moment hob sich die Augenbraue des anderen, als könne er nicht glauben, dass jemand wie er, etwas mit dem Chef dieser Niederlassung zu tun hatte. Schnell brachte er seine Gesichtszüge wieder unter Kontrolle, bevor er in die Richtung und zu dem Raum deutete, in dem auch die Frau verschwunden war. Verwundert sah er in die Richtung und wusste für einen Moment nicht ganz, was er davon halten sollte. Warum sie ebenfalls bei Mr. Smith war, konnte allerdings viele Gründe haben, sodass er sich nicht allzu viele Gedanken darüber machte.
"Vielen Dank auch."
Damit wandte er sich endgültig ab und steuerte die Tür an, auf deren Schild tatsächlich der gesuchte Name stand. Kurzentschlossen und weil er durch seine Suche und die Ablenkung beinahe zu spät dran war, klopfte er an und trat ein, als er herein geben wurde. Im Inneren spiegelte sich an einigen Details der Prunk wider, mit dem sich jemand wie Mr. Smith gerne zu umgeben schien. Seine untersetzte Erscheinung saß bequem in einem teuren Ledersessel hinter einem protzigen Schreibtisch aus Mahagoni. Die beiden Stühle, die davor platziert waren, wirkten dagegen absolut fehlplatziert und schlicht. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass die Frau auf einem davon bereits Platz genommen hatte.
"Mr. Espello, Sie kommen wie gerufen. Nehmen Sie doch Platz."
Mit einer Hand, an deren Fingern ebenfalls deutlich zu sehen war, dass er nicht am Hungertuch nagte, deutete er auf den freien Stuhl, auf den er sich ohne zu zögern setzte.
"Ich freue mich sehr, hier sein zu dürfen, Mr. Smith."
Komplett gelogen war es nicht, auch wenn er sich besseres vorstellen konnte, als in einem Edel Escort zu arbeiten. Zumindest wenn sein Leben so verlaufen wäre, wie er es sich damals vorstellte. In seiner Jugend war es lange sein Wunsch, irgendwann einmal als Dolmetscher zu arbeiten, denn Leute, die viele Sprachen beherrschten, wurden in diesem Bereich immer gesucht. Dass er diese Fähigkeit einmal nutzen würde, um andere möglichst auch in seiner Aussprache perfekt kopieren zu können, hätte er damals wohl nie geglaubt, doch das Leben spielte nach seinen eigenen Regeln und er tat, was getan werden musste, um seine Schwester zu finden.
"Ich bin ebenfalls sehr erfreut darüber. Mein Freund hat Sie bereits in den höchsten Tönen gelobt und ich bin gespannt, ob Sie dem auch gerecht werden."
Das Wort Freund benutzte sein Gegenüber wohl nur, um zu verschleiern, dass es sich lediglich um eine profitable Geschäftsbeziehung handelte, die mit Sicherheit in beide Richtungen funktionierte. Der Druck, den er ihm damit auf die Schultern legte, um zu beweisen, dass er sein Geld auch wert war und dieses in größerem Umfang wieder reinholte, war hingegen weniger gut herauszuhören, für ihn aber dennoch deutlich. Kurz huschte sein Blick zu der Frau neben ihm, bei der er nicht wusste, in wie weit sie eingeweiht war. Allerdings hoffte er, dass sie keine Ahnung von dem hatte, was neben ihr saß, denn auf die Geheimhaltung seiner Fähigkeit legte er sehr großen Wert, während er sich in seiner wahren Gestalt zeigte.
"Ich versichere Ihnen, dass ich mein bestmöglichstes dafür tun werde. Da die wichtigsten Bedingungen bereits im Vorfeld geklärt wurden, stünde nur noch die Frage im Raum, wann ich anfangen soll?"
Bereit wäre er bereits an diesem Abend und ihm wäre es tatsächlich lieber, er könnte sofort anfangen. Nicht nur, weil er keine Zeit bei seiner Suche verschwenden wollte, sondern auch weil ihm die Gesellschaft des Mannes vor ihm unangenehm war. Julien konnte nicht genau beschreiben, was ihn an ihm störte, doch sein Unterbewusstsein warnte ihn deutlich davor, vorsichtig zu sein, wenn es um ihn ging.

Noelia Alvarez

Wie sehr sie diesen schmierigen Typen hasst, liess sich gar nicht in Worte fassen. Schon die ersten Sekunden, ihrer ersten Begegnung hatten gereicht, um eine nicht enden wollende Abscheu gegen ihn zu entwickeln. War es der lauernde, eiskalte Blick ? Seine ständig anzüglichen Bemerkungen, während sein Blick über sie hinweg glitt, einem Raubtier gleich, welches sie gleich anfallen wollte ? Sie konnte es nicht genau sagen, sehr wahrscheinlich war es das Gesamtpaket, welches ihre Abscheu weckte und ihr immer wieder vor Augen rief, wie wichtig ihr Job war. War sie doch nicht hier um des Vergnügen willens, oder wegen dem "leicht" verdienten Geld. Hatte sie doch ein sehr viel höheres Ziel und dies war nichts geringeres als die Yakuza. Mächtig und verschlossen, perfekt organisiert, hatten sie in fast allem ihre Finger drin und doch waren sie schlau genug nie beweise zu hinterlassen, welche sie überführen konnte. Hatte es doch schon Hunderte vor ihr gegeben und würde wohl auch noch viele nach ihr geben, welche versuchten ihre Machenschaften auf zu decken. Abschrecken liess sie sich davon jedoch nicht, auch nicht vor der ständig über ihr schwebenden Gefahr. Sie war durch und durch Polizistin und würde beweisen, das sie genauso gut wie ihre Kollegen war. Sie würde diejenige sein, die endlich Beweise fand, welche die Yakuza fest nagelte und hinter Gittern brachte. Ein mehr als nur hohes Ziel und doch liess sie sich davon nicht abschrecken, sondern vielmehr davon befeuern und antreiben. Da war selbst dieser schmierige Handlanger, nur ein kleiner Stein, welcher überwunden werden musste, um ihrem Ziel ein Stückchen näher zu kommen.
Doch heute hatte sie die Rechnung wohl ohne ihn gemacht. Wurde sie doch nicht einfach nur ohne Grund herbei zitiert, sondern sah sich auch noch einem jungen Mann gegenüber, ohne zu wissen was all dies zu bedeuten hatte. Natürlich war er ihr beim herein kommen schon aufgefallen, allein schon aus dem Grund heraus, welch er wohl kaum zu den hiessigen Kunden gehörte. Kamen diese doch meist mit Limousinen und dem dazu gehörigen Anzügen, nicht so aber er. Daher war sie minimal verdutzt gewesen, doch da die Zeit drängte, hatte sie keinen weiteren Gedanken mehr an ihn verschwendet. Umso mehr nutzte sie die Sekunden der Begrüssung, um ihren Blick so neutral wie nur eben möglich über ihn gleiten zu lassen. Schien er doch noch immer nicht ins Bild zu passen und als schliesslich der Grund seines Auftauchens heraus kam schoss ihre Augenbraue für den Bruchteil einer Sekunde erstaunt in die Höhe. Scheinbar war er einer ihrer neuen Kollegen. Nur was hatte dies mit ihr zutun ? Sie konnte sich wirklich keinen Reim darauf machen.
"Mr. Espello dies ist Amelia" wurde sie auch schon vorgestellt, so das sie sich wieder voll konzentrieren musste. "Sie ist unser bestes Mädchen im Haus und wird dafür sorgen, das sie sich so schnell wie möglich zurecht finden" wurde auch schon weiter erklärt, oder vielmehr fest gestellt, ohne das sie nach ihrer Meinung oder gar Zustimmung gefragt wurde. Innerlich vor sich hin fluchend, da dies die Sachen noch weiter verkomplizieren würde, schenkte sie dem jungen Mann neben sich ein leichtes Lächeln, eh sie zustimmend in Richtung des schmierigen Wurms nickte. Ganz die folgsame und brave Frau, welche von ihr erwartet wurde. "Wenn sie dies wünschen, werde ich mich seiner sehr gerne annehmen" flüsterte sie fast schon demütig leise, während es innerlich in ihr brodelte. Hasste sie es doch zutiefst so vor ihm zu kriechen und schlimmer noch, brachte er sie ordentlich in eine Zwicklage. Wie nur sollte sie ihre eigentliche Absicht verschleiern, wenn dieser Neuling ständig an ihr klebte ??? Fast unmöglich und doch würde ein aufmerksamer Beobachter bemerken, wie sie nach wenigen Sekunden kaum merklich ihre Schultern straffte, fast als machte sie sich für einen Kampf bereit machen.
"Ich hoffe sie besitzen einen Anzug, da Amelia sie gleich im Anschluss mit auf eine Gala nehmen wird. Falls nicht, werden sie einen besorgen und pünktlich erscheinen. Einige unserer wichtigsten Kunden erwarten ihr pünktliches Erscheinen" kam auch schon die nächste Anweisung und ehe auch nur die Möglichkeit für einen Einspruch blieb, wurden sie mit einem wedeln der Hand aus dem Büro geschmissen. Versucht sich ihre Stimmung nicht anmerken zu lassen, erhob sie sich graziös und nickte erst dem jungen Mann zu und dann zur Tür, eh sie leise mit ihren Ansätzen klackernd voran ging. So viel zu einem relativ unkomplizierten Abend. Waren solche Abende doch meist einfach, da sie oftmals nur als Deko zum bestaunen beordert wurde. Wie nun er da hinein passen sollte, nun das würde sich noch zeigen. "Haben sie einen Anzug, oder müssen wir einen besorgen ?" fragte sie, kaum das er die Tür hinter ihnen schliess und musterte ihn eingehend, um sich einen Eindruck von seiner Grösse zu machen. "Ansonsten müssen wir flink zu Vuitton um die Ecke, in einer Stunde müssen wir parat stehen und die Gala findet am anderen Ende der Stadt statt" teilte sie ihm mit, ohne inne zu halten. Drängte doch die Zeit und somit blieb keine Zeit um sich zu beschnuppern, oder gar einander höflich vor zu stellen.

Julien Espello

Julien war schon immer der Meinung, dass eine gute Menschenkenntnis im Leben nicht schaden konnte. Für seinen bisherigen Job war sie im Grunde nicht sonderlich von Belang, denn als Callboy in einem Bordell musste man lediglich die Wünsche der Kunden erfüllen und war aufgrund der Umgebung relativ sicher, sollte sich doch mal jemand unter den Gästen befinden, der etwas anderes im Sinn hatte, als ein rein menschliches Grundbedürfnis zu stillen. Gefahr, an jemand Falschen zu geraten, liefen vor allem die Mädchen, die sich abends auf den Straßen herumtrieben und bei Fremden ins Auto stiegen. Bei einem Escort-Service und seinem Plan, dadurch ein wenig mehr über Lounas Verschwinden und ihren derzeitigen Aufenthaltsort zu erfahren, lag die Sache wiederum ganz anders. Menschen durchschauen zu können und hinter ihre Fassade zu blicken, war hierbei hilfreich und bei seiner Fähigkeit, in die Rolle anderer zu schlüpfen, sogar unabdingbar. Die abscheulichen Fratzen und tiefen Abgründe, die er dadurch bereits zu sehen bekam, waren mitunter nichts für schwache Gemüter, aber auch das war unumgänglich und er hatte gelernt, damit umzugehen.
Der Mann, der vor ihm saß, die teuer beringten Finger vor seinem Gesicht miteinander verflocht und ihm mitteilte, dass die Frau neben ihm Amelia hieß und von nun an eine Art Mentorin für ihn sein würde, bis er sich eingewöhnt hatte, machte es ihm und vermutlich auch jedem anderen aber sehr einfach, ihn zu durchschauen. Viel zu offensichtlich ließ Mr. Smith seine Augen über seine neue Kollegin gleiten, blieb dabei an ihrem Dekolleté einen Moment zu lange hängen, um nur einen flüchtigen Blick zu riskieren, als er sie als sein bestes Mädchen vorstellte. In seinen Ohren klang es so, als wäre er nicht Inhaber eines Edel-Escort sondern eines Rennstalls und Amelia seine beste Stute. Der Ausdruck in seinen Augen hingegen verriet, dass er zu der Sorte Mann gehörte, die trotz ihres wissentlich unkomfortablen Äußeren dachten, sie könnten sich durch ihr Geld alles nehmen, was sie wollten. Beides machte ihn unsympathisch und Julien war für einen Moment froh, dass er hier in seiner eigenen Gestalt und nicht schon als erstes Mädchen, das für ihn arbeiten sollte, aufgetaucht war. Hätte er ihn mit einem derartigen Blick gemustert, hätte er nicht gewusst, ob er seine Deckung vor Amelia tatsächlich hätte wahren können, auch wenn er so etwas eigentlich gewohnt war. In seinem bisherigen Job gehörte es von Seiten der Kunden aber einfach dazu und zumindest sein Chef hatte sich deutlich zurückgehalten, wenn er ihn einmal in einer Arbeitsgestalt sah. Mr. Smith gab sich hierbei deutlich weniger Mühe.
Seiner neuen Kollegin und Mentorin musste er jedoch zugute halten, dass sie sich selbst zurückhielt und lediglich auf das Gesagt einging. Auch wenn er bei einem kurzen Blick in ihre Richtung bemerkte, wie sie sich anspannte.
"Ich fühle mich geehrt, dass Sie mir für die Eingewöhnung Ihre beste Mitarbeiterin zur Seite stellen und ich werde Sie sicher nicht enttäuschen", erwiderte er ebenfalls und lenkte die Aufmerksamkeit des Mannes vor ihm damit zu ihm zurück. Julien wusste nicht genau warum, aber er wollte nicht, dass sein Gegenüber etwas von der inneren Anspannung bemerkte, die bei genauem Nachdenken eine Art des Widerstandes war und auch wenn Mr. Smith in erster Linie wohl ein schmieriger Typ war, sollte man sich ihm und seinen Anweisungen wohl besser nicht widersetzen und auch nicht den Anschein erwecken, man würde dies am liebsten tun wollen.
Daher war es gut, dass sie beide nach einer weiteren kurzen Frage, gefolgt von einer deutlichen Anweisung und seinem ersten Arbeitsauftrag bereits aus dem Büro gescheucht wurden.
"Einen schönen Tag noch", ließ er sich nicht nehmen zu sagen, denn ein wenig gespielte Höflichkeit konnte immerhin nicht schaden, wenn er von nun an für dieses Etablissement arbeiten wollte. Das erleichterte Seufzen hingegen konnte er sich gerade so verkneifen, als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, nachdem er den Raum gemeinsam mit Amelia verlassen hatte. Wenn es nach ihm ging, musste er Mr. Smith so schnell nicht wieder gegenüberstehen. Julien wusste durchaus mit solchen Leuten umzugehen, aber das hieß nicht, dass er es gerne tat.
Das einzige Problem, welches er nun noch hatte, war die Tatsache, dass er mit Amelia jemanden ans Bein gebunden bekam, die er im Grunde nicht gebrauchen konnte. Er verstand, dass Neulinge in diesem Geschäft erst einmal angelernt werden mussten, um die Regeln und die Etikette zu verstehen, doch in seinem Fall war dies eher kontraproduktiv, was sich bereits in der nächsten Sekunde zeigte, als sie ihn ebenfalls bezüglich eines Anzugs fragte. Ein Kleidungsstück, welches er trotz der Anweisung des Chefs nicht brauchen würde, da er weder in dieser Gestalt noch mit demselben Geschlecht auf diese Gala gehen würde - ein Umstand, von dem seine Mentorin jedoch nichts wusste und wovon sie auch nichts erfahren sollte.
"Mr. Espello, entschuldigen Sie die Störung, doch mir wurde aufgetragen, Ihnen noch etwas zu geben", wurde er davon abgehalten, auch nur darüber nachzudenken, was er Amelia sagen sollte. Sein Blick wanderte zu dem Mann, der ihn angesprochen hatte und bei dem es sich um denselben handelte, der ihm bereits half, das Büro zu finden, und anschließend zu dem braunen Briefumschlag, den er ihm entgegenhielt. Ohne darüber nachzudenken, griff er danach und warf einen prüfenden Blick hinein. Viel war darin nicht enthalten, lediglich ein zusammengefalteter Zettel und ein Schlüssel, der genauso aussah wie viele andere auch, die für Schließfächer benutzt wurden. Für einen Moment hatte sich Julien tatsächlich gefragt, wie er an die für ihn noch nötigen Informationen kommen sollte, doch so wie es aussah, hatte Mr. Smith dies bereits bedacht.
"Vielen Dank", gab er kurz angebunden von sich, während er den Umschlag in der Innentasche seiner Lederjacke verstaute und bevor er sich wieder am Amelia wandte.
"Ich besitze bereits einen Anzug. Mir wäre es allerdings lieber, wenn ich den alleine hole. Geben Sie mir die Adresse der Gala und wir treffen uns pünktlich dort."
Oder auch nicht, ging es ihm durch den Kopf, denn auch wenn er zur richtigen Zeit da sein würde und sich vielleicht auch das eine oder andere von Amelia abschaute, wäre sie die Letzte, die wusste, dass er da war.

Noelia Alvarez

Sie hatte absolut keine Ahnung was sie von all dem halten sollte. Natürlich war es nicht das erste Mal, das sie in sein Büro zitiert wurde und seinen lauernden Blicken standhalten musste ohne auch nur mit der Wimper zucken. Hatte sie doch schon beim ersten Treffen bemerkt, das Menschen für ihn nicht sehr viel mehr wert waren, als Vieh welches angepriesen und verkauft werden sollte. Genau genommen mehr als nur zutreffend. Immerhin bezahlte jeder Kunde für die Ware, welche er für eine gewisse Zeit als sein Eigentum sah und doch, selbst nach all den Monaten stiess es ihr bitter auf. Immerhin war sie mehr als nur ein Stück Fleisch, mehr als nur eine hübsch Dekoration, mit der man angeben konnte und doch durfte sie die Tarnung des folgsamen Dummchens nicht aufgeben. Hatte es sie doch enorm Zeit und ja auch Widerwillen gekostet um überhaupt so weit in der Hierarchie auf zu steigen und je höher sie stieg, umso genauer wurde jede noch so kleine Reaktion von ihr unter die Lupe genommen. Das sie nun tatsächlich auch noch mit dem Titel des "besten Mädchens" im Haus gekrönt war machte die ganze Sache nicht besser. Ganz im Gegenteil, wurde ihr doch tatsächlich ein Klotz ans Bein gekettet, welcher alles zu Fall bringen konnte.
Ein kleiner Stein, welcher im Weg lag, so würde es ihr Chef wohl betiteln, welcher sich einen Dreck drum scherte wie sie an die Informationen kam, solange sie sie brachte. In ihren Augen vielmehr eine katastrophale Entwicklung, welche alles ruinieren könnte. Natürlich konnte sie dem jungen Mann daraus kein Vorwurf machen. Wirkte er auf den ersten Blick doch sympathisch, weswegen unweigerlich auch die Frage aufkam, was er hier zu suchen hatte. Schliesslich war der Job alles andere als normal und kaum einer tat es wirklich freiwillig. Die meisten waren auf den Luxus, das schnelle Geld aus und nahmen den Sex einfach als gegeben hin und auch wenn sie sich wissentlich dafür entschlossen, so suchte doch fast jeder einen Ausweg hinaus. Umso mehr war ihre Neugierde geweckt, warum er hier hinein gerutscht war. Konnte er mit seinem Aussehen doch wahrscheinlich locker andere Jobs bekommen, wenn auch kaum so gut bezahlt wie diesen hier. Fragen über Fragen und keine Antwort, welche ihr präsentiert wurde. Vielmehr musste sie so schnell wie möglich eine Lösung finden, schliesslich stand für sie weit mehr als nur der Job auf dem Spiel. War sie doch nicht die Erste, die eingeschleust worden war, nur das sie im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen keine Lust darauf hatte irgendwo in der Wüste verscharrt zu werden, oder schlimmeres. Dafür hatte sie viel zu hart gearbeitete, hatte viel zu viel aufgegeben, als das sie sich nun alles kaputt machen lassen würde.
Das sie auch noch gestoppt wurden und ihm ein mysteriöser Briefumschlag zugesteckt wurde, liess sie nur noch misstrauischer werden. Sagte ihr ihr Bauchgefühl doch nur all zu deutlich, das hier etwas ganz und gar nicht stimmte. Dennoch machte sie gute Miene zum bösen Spiel und wartete leicht lächelnd und scheinbar geduldig ab, fast als könnte sie ihn dadurch überzeugen ihr zu erzählen was in dem Brief stand. Vollkommen bescheuert natürlich, denn kaum das er ihn überflogen hatte, landete er auch schon in seiner Jacke, während sein Gesicht absolut nichts verriet. Fast hätte sie frustriert aufgeseufzt, konnte sich jedoch im letzten Moment noch zusammen reisen und nickte scheinbar gelassen auf seine Aussage hin. "Verspäten sie sich aber bloss nicht und um Gottes Willen benehmen sie sich bloss nicht wie ein Flegel und gaffen alle an" instruierte sie ihn kurz und knapp, während sie in ihrer Clutch nach einer kleinen Visitenkarte kramte und sie ihm gab. "Jeder Unsinn den sie anstellen wird auf mich zurück fallen" setzte sie weiter fort und blickte ihn ernst an " ich lasse mir durch sie nicht alles ruinieren" machte sie ihm mehr als nur deutlich klar. Schliesslich stand dank ihm nun tatsächlich alles am Abgrund und sympathisch hin oder her, sie war niemand der gerne verliert, geschweige denn Fehler machte. "Pünktlich in einer Stunde, sie können den Wagen nehmen" ermahnte sie ihn nochmals eindringlich, eh sie nach einem Blick auf ihre Uhr klappernd durch die Halle eilte. Hatte dieses verdammte Gespräch sie doch sehr viel mehr Zeit gekostet, als sie eingerechnet hatte, so das sie sich beeilen musste. War es ihrem Chef doch vollkommen egal, das ihre Tarnung auffliegen könnte, geschweige denn, das sie zu spät kam, so das sie sich beeilen musste um ihm ihren nächsten Bericht ab zu geben und gleichzeitig auch noch pünktlich zur Gala zu erscheinen. Platz für Geplänkel oder gar Höflichkeiten gab es da nicht.
Wenigstens mit dem Taxi hatte sie Glück, denn kaum das sie ihre Hand ausstreckte, kam auch schon eines herbei. Den verdutzten und teils lüsternen Blick des Fahrers ignorierte sie und nannte ihm ruhig die gewünschte Adresse, nur um dem nächsten unangenehmen Gespräch entgegen zu sehen. Wenigstens verlief dieses ohne unvorhergesehene Komplikationen, wenn man einmal davon absah, das ihr Chef genauso lüstern an ihrem Ausschnitt kleben blieb. Die Zeit ihn dafür zurecht zu weisen nahm sie sich jedoch nicht, sondern rasselte so schnell wie möglich die neuen Fakten herunter, eh es auch schon quer durch die Stadt zur Gala ging. Nichts neues und mittlerweile fast schon Routine für sie und doch war sie heute angespannter, als auch schon. Nicht der Gala, oder den hohen Gäste, sondern vielmehr dem Neuling geschuldet. Hatte sie doch absolut keine Ahnung, ob man sich auf ihn verlassen konnte, geschweige denn ob er sich wirklich benahm. So kam es wie es kommen musste und ihre Befürchtungen bewahrheiteten sich. Stand er doch tatsächlich nicht zu vereinbarten Zeit am Eingang, so das sie düsteren Zeiten entgegen sah. Dennoch setzte sie ihr strahlendes Lächeln auf und eilte scheinbar begeistert auf einen kleinen, untersetzen Mann hinzu. "Schön das du da bist mein kleines Juwel" begrüsste er sie, während sein Blick gierig an ihr entlang glitt und er sich einfach ihren Arm schnappte und unter den seinen unterharkte. Den Widerwillen unterdrückend, welcher selbst jetzt noch immer aufkam, lächelte sie weiter und liess sich von Gruppe zu Gruppe führen, um als das hübsche Dekorationsobjekt zu dienen, welches gebucht worden war. Nur wie nebenbei nahm sie die Blicke und höflichen Floskeln wahr, erwiderte diese vollkommen automatisch, während ihr Blick verstohlen immer wieder durch die Menge glitt um nach ihm Ausschau zu halten.

Julien Espello

"Der Schein trügt. Nur weil du glaubst, etwas im ersten Moment durchschauen zu können, heißt das nicht, dass es auch der Wahrheit entspricht."
Der Moment, in dem er dies zu hören bekam, lag bereits einige Jahre zurück. Es stammte von einem der Polizisten, der zu dem Team gehörte, das nach seiner Schwester suchen sollte. Dieser war der einzige, der nicht hatte aufgeben wollen, doch als junger Police Officer hatte man nicht viel zu sagen, wenn die eigenen Kollegen anderer Meinung waren. Somit musste er sich beugen, denn die Untersuchung alleine fortzusetzen, war ihm verboten und auch wenn Julien bis heute nicht verstand, warum sie Louna einfach aufgaben, und dadurch eine gewisse Abneigung gegen diesen Beruf empfand, hielt er diesem einen Polizisten doch zugute, dass er anders war. Seine Worte hatte er sich zu Herzen genommen, die ihm besonders in der ersten Zeit in Phoenix dabei halfen, nicht den falschen Leuten zu vertrauen. Andernfalls säße er heute wohl entweder vollgepumpt mit Drogen in einem heruntergekommenen Bordell, weil er auf den falschen Besitzer gesetzt hatte, oder als Versuchskaninchen in irgendeinem Labor, ohne zu wissen, wie er dort wieder herauskommen sollte.
Und auch als er das Lächeln auf Amelias Lippen sah, nachdem er den Briefumschlag verstaut hatte, hatte er das Gefühl, dass dieses lediglich aufgesetzt war, um etwas anderes zu verbergen. Allgemein wirkte sie auf ihn wie eine Frau, die vieles zu verstecken hatte. An sich störte und interessierte ihn das herzlich wenig, denn jeder hatte etwas, womit er nicht hausieren ging - der eine mehr, der andere weniger - und gerade er war ein gutes Beispiel dafür, doch es war ihm nur so lange egal, wie es seine eigenen Geheimnisse und seinen Plan nicht gefährdete. Etwas, das er bei Amelia nicht ganz ausschließen konnte. Dafür war sie eine viel zu gute Schauspielerin und zu geschickt darin, anderen das kleine Dummchen vorzuspielen, das zwar gut aussah, aber sonst zu nichts taugte. Wer auf diesen Eindruck allerdings hereinfiel, war Juliens Meinung nach selbst einfach nur dumm, denn er glaubte nicht, dass man es ohne die nötige Intelligenz bis zum besten Mädchen dieses Etablissements schaffte und diesen Titel lange trug, da es mit Sicherheit genug andere gab, die auf diese Stellung neidisch waren, ohne zu wissen, was sie womöglich bedeutete. Er selbst konnte es sich nicht in vollem Umfang ausmalen, doch da er Amelia nicht nur aus dem Grund im Auge behalten würde, weil man sie ihm als Mentorin aufgeladen hatte, würde er es früher oder später wohl erfahren.
Ich lasse mir durch Sie nicht alles ruinieren.
Julien griff gerade nach der Visitenkarte, die sie ihm entgegenhielt, als ihn dieser Satz nach den anderen Anweisungen und besonders nach seinen eigenen Gedanken, die er über sie angestellt hatte, innehalten ließ. Was genau sollte er ihr ruinieren, wenn er sich verspätete oder sich nicht angemessen benahm? Eine Frage, auf die er so schnell wohl keine Antwort erhalten würde, denn er glaubte nicht, dass es ihr nur darum ging, ihren Status zu verlieren. Wobei er auch nicht wusste, was mit denen geschah, die dem Ruf des Unternehmens schadeten, indem sie einen schlechten Eindruck bei den Kunden hinterließen, die sich die gekaufte Begleitung einiges kosten ließen, oder auf andere Art und Weise versagten.
Um seine Gedanken zu überspielen, setzte er ebenfalls ein Lächeln auf und ließ das Kärtchen in dieselbe Innentasche wandern, in die er zuvor bereits den Umschlag gesteckt hatte.
"Nur keine Sorge, ich werde pünktlich da sein. Und auch wenn ich bislang noch bei keinem Escort tätig war, weiß ich mich durchaus zu benehmen", versuchte er, sie beruhigen, auch wenn allein die Tatsache, dass er das Escortgeschäft noch nicht kannte, für Diskussionen sorgen konnte. Zu seinem Glück war die Zeit bis zum Beginn der Gala zu knapp bemessen, um darüber zu reden und zu seiner Verwunderung überließ sie ihm sogar den Wagen. Wie sie selbst zu der Veranstaltung gelangen wollte, ohne für ein Taxi tief in die Tasche greifen zu müssen, wusste er nicht, doch auch dies war ein Punkt, der ihm egal war. Sie war seine Mentorin - sein Klotz am Bein - und nichts weiter.
"Vielen herzlichen Dank", gab er noch von sich, bevor sie sich von ihm abwandte und er ihr noch einen Moment lang hinterher sah - abwartend bis sie verschwunden war und er sich selbst auf den Weg machen konnte. Sobald sie aus der Tür heraus und somit aus seinem Blickfeld verschwunden war, holte er den Briefumschlag hervor und las den Zettel, der sich darin befand. Allzu viel stand nicht darauf. Lediglich das Wort Union Station und die Nummer eines Schließfachs, zu dem der Schlüssel gehörte. Im Augenblick brauchte er jedoch auch keine weiteren Informationen, solange sich alles weitere für ihn wichtige in dem Spind befand. Ob dem so war und Mr. Smith an alles gedacht hatte, würde er sehen, wenn er dort war.
Um keine weitere Zeit zu verschwenden, verließ er ebenfalls den Hauptsitz und wies den Fahrer des bereitstehenden Wagens an, ihn zum Bahnhof zu fahren. Dieser sah ihn kurz irritiert an, da er wohl eher mit Amelia gerechnet hatte, fragte jedoch nicht weiter und tat, was man ihm auftrug. Durch den Feierabendverkehr, der sich inzwischen gebildet hatte, war es alles andere als einfach, schnell an den gewünschten Ort zu kommen und für ihn eher untypisch, blickte Julien immer wieder auf seine Armbanduhr, die ihm unaufhörlich klar machte, dass er immer weniger Zeit für seine Vorbereitungen hatte.
Endlich am Bahnhof angekommen, sagte er dem Fahrer, dass er kurz warten solle. Weitere Erklärungen gab er ihm nicht, denn dafür hatte er partout auch keine Zeit. Stattdessen tauchte er im Getümmel der Reisenden und Ankommenden unter, die den Bahnhof betraten und verließen, um sich in Windeseile einen Weg zu den Schließfächern zu suchen. Dort angekommen, öffnete er den mit der Nummer auf dem Zettel. Sich über die Schulter hinweg umschauend, holte er eine kleine Reisetasche heraus, mit der er zu den Toiletten lief, wo er ohne zu zögern die für die Männer betrat. Auch wenn er diese als Frau wieder verlassen würde, war das Aufsehen, das er erregen würde, sollte er dabei erwischt werden, doch sehr viel geringer, als wenn er sich als Mann in die Damentoilette schleichen würde. Hinter verschlossenen Türen und mit der Tasche auf dem Toilettendeckel, öffnete er den Reißverschluss und förderte den Inhalt zutage. Dieser bestand aus einem weiteren - diesmal größeren - braunen Umschlag, einer kleinen Handtasche, Make Up, einem roten Abendkleid, High Heels, Unterwäsche und doppelseitigem Klebeband, mit dem Mr. Smith doch zumindest einen kleinen Pluspunkt bei ihm sammelte, denn nach dem Schnitt des Kleides zu urteilen, war dieses zwingend notwendig, wenn er nicht plötzlich mehr zeigen wollte, als nötig. Nicht, dass er ein Problem damit hatte, Haut zu zeigen, doch der Anlass war für so etwas doch eher unangebracht. Bevor er sich der Kleidung weiter widmen konnte, war sein eigenes Äußeres jedoch wichtiger, sodass er zuerst den Briefumschlag öffnete. Ein weiterer Zettel war darin enthalten, sowie eine Haarsträhne. Woher sie diese hatten und wer die Frau war, die er verkörpern sollte, wusste er nicht und in der Regel stellte er in dem Punkt auch keine Fragen, denn seine Fähigkeit kam seinen Arbeitgebern zugute, sodass er darauf vertraute, dass das Geld, das lockte, dafür sorgte, dass man ihm niemanden gab, der zu viel Aufsehen erregte.

》Ab sofort werden Sie alle nötigen Informationen und Gegenstände zu Ihren Aufträge in diesem Spind vorfinden. Achten Sie also gut auf den Schlüssel und merken Sie sich die Nummer.
Der Name Ihres heutigen Auftrages lautet Zayn Johnson (...)《


Weitere Informationen und ein Bild zu dem Mann folgten, welches ihn doch eher überraschte. Er hatte damit gerechnet, einen betagten älteren Herren begleiten zu müssen, doch die Person, die auf dem Foto zu sehen war, wirkte genauso alt wie er selbst. Julien runzelte die Stirn, denn junge Leute interessierte so eine Gala in der Regel doch herzlich wenig. Zudem sah er nicht so aus, als würde er auf normalem Wege keine Frau abbekommen. Ganz im Gegenteil. Auch der Rest der Nachricht ließ die Beweggründe offen.
"Das könnte spannend werden", murmelte er, prägte sich noch schnell den Namen Alani ein, der am Ende der Nachricht stand und für ihn bestimmt war, bevor er alles wieder in den Briefumschlag und mit diesem zurück in die Tasche stopfte.

Nur wenige Minuten später stand er verwandelt und fertig umgezogen vor dem Spiegel, der sich über dem Waschbecken befand, und legte ein wenig des Make Ups auf. Dass er eigentlich ein Mann war, merkte man ihm nicht an, denn auch wenn er bisher in einem Bordell gearbeitet hatte, legte man dort doch auch Wert auf ein gewisses Äußeres, sodass er sich das eine oder andere von den Mädchen dort abgeschaut hatte, ohne dabei zu sehr aufzutragen und maskiert zu wirken. Gerade als er fertig war, öffnete sich plötzlich die Tür und ein anderer Mann trat ein, der mitten in der Bewegung stockte und sich wohl fragte, ob er sich nicht doch in der Tür geirrt hatte. Julien steckte den eben benutzten Lippenstift in die Handtasche und schenkte dem Neuankömmling ein unschuldiges und entschuldigendes Lächeln.
"Ich wollte mich nur kurz frisch machen und in der Damentoilette herrscht immer so viel Andrang."
Der andere blinzelte perplex, die Situation noch immer nicht ganz begreifend, doch Julien wartete auch nicht darauf, bis er sich endlich wieder gefangen hatte, sondern schob sich an ihm vorbei ins Freie. Schnell noch die Reisetasche wieder im Spind verstaut, lief er zurück zum Ausgang und dort zum Auto, das auf ihn wartete - wobei er merkte, dass er sich schleunigst an die Höhe der Absätze gewöhnen musste, wenn er sich in den Schuhen nicht die Beine brechen oder diesem Zayn ständig auf der Pelle hängen wollte.
Der Fahrer des Wagens wirkte noch verwirrter als zuvor, als er plötzlich als Frau einstieg und ihn anwies, ihn zu der Gala zu fahren. Es dauerte auch deutlich länger, bis er etwas tat - und das war nicht loszufahren. Stattdessen drehte er sich zu ihm herum.
"Entschuldigen Sie, aber haben Sie sich nicht vielleicht im Fahrzeug geirrt, junge Frau?"
Julien seufzte, denn damit hätte er wohl rechnen müssen, wenn er es mit Personen zu tun hatte, die keine Ahnung hatten. Er konnte dem armen Mann also nicht einmal einen Vorwurf machen.
"Ich arbeite für Mr. Smith und muss wirklich dringend zu der Gala. Es ist nicht mehr viel Zeit, um dort noch pünktlich aufzutauchen. Ich bitte Sie also inständig, loszufahren."
Alleine die Anmerkung, dass er für Mr. Smith arbeitete, bewirkte etwas, sodass er seine Bitte wohl nicht einmal hätte aussprechen müssen. Er war noch gar nicht fertig mit reden, als sich der Fahrer bereits herumdrehte und den Wagen startete, um ihn anschließend durch den Verkehr zu lenken, wobei er gefühlt jede Geschwindigkeitsbegrenzung überschritt und einige rote Ampeln überfuhr, solange kein anderes Fahrzeug ihren Weg kreuzte. Julien musste zugeben, dass ihn das stutzig machte. Dass Mr. Smith auf Pünktlichkeit beharrte, konnte er sich denken, doch die Reaktion des Mannes ließ ihn skeptisch werden, ob da nicht noch mehr dahintersteckte. Fragen würde er ihn nicht, denn zu neugierig zu sein und offensichtlich zu viel zu wissen, konnte in so einem Bereich gefährlich sein. Sich dumm zu stellen, war da wohl die bessere Devise, was ihn zwangsläufig wieder an Amelia denken ließ, bei der er das Gefühl hatte, dass sie es genauso handhabte.
Genau nach dieser suchte auch sein Blick, sobald er am Ziel angekommen war und das Auto verlassen hatte. Seine Augen glitten über die Menge der Anwesenden vor dem Gebäude und er erhaschte noch einen Blick auf ihr blaues Kleid, als sie am Arm eines alten Herren ins Innere lief. Er selbst wurde bereits ebenfalls erwartet. Zayn stand herausgeputzt und in einem schicken schwarzen Anzug am Fuß der Treppe, die zum Eingang führte und blickte direkt in seine Richtung. Sofort setzte Julien ein einstudiertes Lächeln auf und stöckelte zu ihm, wobei er es einmal schaffte, mit den High Heels umzuknicken. Sofort begann sein Knöchel zu brennen, doch er ließ sich nichts anmerken und lächelte stoisch weiter.
"Ich freue mich sehr, dass Sie mich heute begleiten. Mein Name ist Zayn Johnson, aber ich würde mich freuen, wenn wir uns duzen könnten."
Schleimer, das war das erste Wort, das ihm zu Zayn einfiel. Auf seine eigene Art und Weise wirkte er wie ein Mann, der es gewohnt war, zu bekommen, was er wollte. Sympathie war somit das Letzte, was er trotz seines Charismas bei ihm weckte.
"Die Freude ist ganz meinerseits und ich nehme das Angebot gerne an. Nenn mich Alani", erwiderte er dennoch freundlich, darauf bedacht, keinen falschen Unterton in seine Stimme zu legen.
"Das ist ein wirklich sehr schöner Name. Und weil du nicht nur bezaubernd aussiehst sondern auch noch so einen wunderschönen Namen hast, möchte ich ehrlich zu dir sein. Ich will, dass du mir dabei hilfst, jemandem zu zeigen, was sie verpasst."
Diese Information war tatsächlich ungewöhnlich. Julien ging davon aus, dass die meisten, eine nette und hübsch anzusehende Begleitung brauchten, da es zu peinlich oder langweilig wäre, alleine irgendwo aufzutauchen. Dass er dazu benutzt wurde, jemanden eifersüchtig zu machen, passte da eher weniger ins Bild. Zumindest wenn man allgemein an die Tätigkeit des Escorts dachte. Speziell bei Zayn passte es dann aber doch wieder und es bestätigte seine Meinung über ihn.
"Ich lehne mich jetzt mal weit aus dem Fenster und vermute, es ist deine Ex-Freundin, die dich hat sitzen lassen?"
"Leider daneben, aber vielleicht ändert sich das zumindest mit der Freundin nach diesem Abend ja noch. Ich gehe also davon aus, du weißt, was ich erwarte", erwiderte er und legte seinen Arm um ihn, wobei seine Hand auf seiner Hüfte liegen blieb. Julien tat es ihm gleich, den inneren Unwillen darüber herunterschluckend und sich gleichzeitig fragend, worauf er sich da eigentlich eingelassen hatte, denn so ein Abend als Begleitung dauerte doch weit länger, als der Besuch eines Kunden im Bordell. Der Moment für einen Rückzieher war jedoch lange vergangen und im Grunde gab es für ihn nie eine Alternative. Schließlich tat er dies alles für Louna.
Diesen Gedanken im Hinterkopf und ihr Bild vor Augen, lächelte er ihn an und antwortete: "Ich kann es mir denken."
Wen von den Anwesenden, er eifersüchtig machen sollte, wollte Zayn ihm zeigen, sobald sie auf der Bildfläche auftauchte, sodass sich Julien für den Moment darauf konzentrieren konnte, Amelia im Auge zu behalten, als sie das Gebäude ebenfalls betraten und sie somit wieder in sein Blickfeld kam.Als hübsches Anhängsel von diesem Schnösel, der ihm unterschwellig von der Frau vorschwärmte, auf die er es abgesehen hatte, schien diese Aufgabe auch nicht sonderlich schwer zu sein. Mit einem halben Ohr hörte er ihm zu, während der Rest seiner Aufmerksamkeit auf der Frau lag, die ihn nun wohl eher als unzuverlässigen Klotz am Bein sehen würde, da er nach ihrem Wissensstand trotz ihrer Warnung und seiner Versicherung, pünktlich zu sein, nicht aufgetaucht war. Immer wieder sah er, wie ihr Blick suchend durch die Menge glitt, dabei das eine oder andere Mal auch an Zayn hängen blieb, dessen Haarfarbe seiner nicht unähnlich war, nur um bereits Sekundenbruchteile später weiter zu wandern.
"Und wer ist diese bezaubernde Dame?", wurde er mit einem mal aus seinen Beobachtungen gerissen und seine Aufmerksamkeit war schlagartig wieder bei Zayn und dem betagten Herren, der sich von ihm unbemerkt zu ihnen gesellt hatte.
"Das ist Alani. Wir kennen uns noch nicht lange, aber es war Liebe auf den ersten Blick."
Zum Zeichen seiner Zuneigung zog er ihn noch ein Stück näher zu sich und Julien wäre beinahe die Galle hochgekommen. Doch er konnte sich beherrschen, indem er sich daran erinnerte, dass er schon schlimmere Sachen getan hatte, als die Freundin eines derart schleimigen Typen zu spielen, und lächelte den Mann vor ihnen an, den Zayn offensichtlich besser als nur flüchtig zu kennen schien.
"Wirklich hübsch. Du bist ein echter Glückspilz. Deiner Mutter wird sie sicher gefallen."
"Davon gehe ich aus."
Mit jedem Satz, den sein Kunde in diesem selbstgefälligen Ton von sich gab, wuchs Juliens Abneigung, doch er musste gute Miene zum bösen Spiel machen, denn genau wie bei diesem Gespräch ging es ab diesem Moment so weiter. Zayn schien in dieser Gesellschaft mehr Zuhause zu sein, als er anfangs geglaubt hatte. Eine Tatsache, die ihn nicht weiter gestört hätte, wenn die vielen Konversationen nicht dazu führen würden, dass mehr seiner Aufmerksamkeit dabei lag als bei seinem Vorhaben Amelia im Blick zu behalten. So kam es, dass er sie nach dem vierten Gespräch, in dem Zayn den anderen vorgaukelte, er wäre dessen Freundin, vollkommen aus den Augen verloren hatte.
"Fuck", murmelte er so leise, dass weder Zayn noch das Paar, mit dem er sich unterhielt, etwas davon mitbekamen. So unauffällig wie möglich schaute er sich um, fand sie aber nicht. Im Grunde war dies kein Weltuntergang, denn immerhin wusste sie nicht, wie er aussah, doch gerade wegen seinem kleinen Geheimnis wollte er sie lieber im Auge behalten. Dass Zayn und das nächste Gespräch ihn förmlich mit der Nase auf sie stoßen würde, ahnte er nicht und erkannte er auch erst, als erneut eine ältere männliche Stimme an sein Ohr drang - und mit ihr der Name Amelia.
Zu schnell, um als normale Reaktion zu gelten, sah er in ihre Richtung. Für einen Moment hatte er gehofft, sich verhört zu haben, doch sie stand tatsächlich vor ihm.
"Und wer ist Ihre nette Begleitung?", wurde er aus seiner kurzen Starre geholt und bevor Zayn erneut die alte Leier von der Liebe auf den ersten Blick aufsagen konnte, war er es nun, der sich enger an ihn drängte und das Wort übernahm.
"Ich bin Alani, seine Freundin. Sehr erfreut, Sie und Ihre Begleitung kennenzulernen."
Sein Blick wanderte zum Schluss zu Amelia und er schenkte sowohl ihrem Kunden als auch ihr ein Lächeln, das hoffentlich nicht zu aufgesetzt wirkte.
"Sie tragen da ein wirklich sehr hübsches Kleid. Woher haben Sie das?"

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Anm.: äußeres Erscheinungsbild von Marie Avgeropoulos

Noelia Alvarez

Was sie von ihrem neuen Anhängsel halten wollte, wusste Noelia nicht wirklich. Wirkte er auf den ersten Blick doch wie der liebe, nette Nachbarsjunge von nebenan, der einem ab und an gerne kleine Streiche spielte. Gleichzeitig offenbarten seine Augen jedoch eine Reife, welche man selten bei Menschen in jungen Jahren sah. Was also hatte ihn in dieses Milieu getrieben und sehr viel schlimmer noch, ausgerechnet in diesen Escort-Service. Wusste doch jeder, das dieser indirekt der Yakuza unterstand, auch wenn man scheinbar nirgendwo Beweise fand, so war es dennoch ein ungeschriebenes Gesetz. Umso unwillkommener kam ihr diese zusätzliche Last. Hatte es sie doch einiges gekostet, um überhaupt so weit hoch zu steigen, um endlich in die richtigen Kreise auf zu steigen, die sie hoffentlich an die richtigen Personen und Beweise brachte. War ihr das Geld im Gegensatz zu den anderen Mädchen vollkommen egal, einzig und allein die Yakuza ans Messer zu liefern war ihr Ziel und dies wollte sie sich nicht kaputt machen lassen. Waren vor ihr doch schon unzählige andere gescheitert und insgeheim erwartete natürlich jeder, das auch sie scheitern würde. Nur da hatten sie die Rechnung ohne sie gemacht, denn egal welche Steine ihr auch in den Weg gelegt worden waren, bisher hatte sie jedes Hindernis mit Bravour gemeistert und dachte nicht im Traum daran zu scheitern.
Ich lasse mir durch ihn sicherlich nicht alles ruinieren
Ging ihr noch durch den Kopf, als sie aus dem Auto ausstieg, welches sie zur Party gebracht hatte. Routiniert legte sich ein leichtes Lächeln auf ihre Lippen, während sich das Kleid bei jedem Schritt wie eine zweite Haut an ihren Körper schmiegte. Ein sinnliches Versprechen, welches jedoch nie erfüllt werden würde, denn auch wenn sie in einem Escort arbeitete, so war sie doch nie so weit gegangen ihre Kunden nah genug an sie heran zu lassen, wie die anderen Mädchen es taten. Ein mehr als nur riskantes Spiel und doch schienen ihre Kunden darauf zu stehen. Überboten sie sich doch immer wieder in ihren Preisen und umgarnten sie mit Geschenken und anderen kleinen Aufmerksamkeiten, in der Hoffnung die Eiskönigin als Erster zu erobern. Ein hoffnungsloses Unterfangen, doch dies würde sie natürlich nie zugeben und sich so die Tour vermiesen. Hatte es ihr doch geholfen in der breiten Masse hervor zu stechen, warum also sollte sie da ihre Technik verändern ?!
So konzentrierte sie sich voll und ganz auf ihren heutigen Kunden, auch wenn ihr Blick immer wieder suchend umher schweifte und ihre Laune mit jeder verstreichenden Minute immer mehr und mehr sank. Schliesslich hatte sie jetzt die Aufsicht über den Frischling und dieser erdreistete sich doch tatsächlich sich einfach zu verspäten. Doch als ob das nicht reichte, war nach einer halben Stunde noch immer nichts von ihm zu sehen und sie kochte innerlich. Würde jeder Patzer von ihm doch schlussendlich auf sie zurück fallen und ihre Reputation innerhalb der Organisation schwächen.
Na warte, wenn ich dich in die Finger kriege...
Dachte sie sich, als sie auch schon wie eine Trophäe wieder jemandem vorgestellt wurde. Das Gefühl tausendste Mal lächelte sie scheinbar hoch erfreut dem neuen Paar zu, auch wenn ihr Blick musternd über die Begleitung huschte, die ihr für ihren Geschmack viel zu neugierig drein schaute. Für einen kurzen Moment durchzuckte sie ein kleines Déjà-vu, welches sie jedoch schnell wieder beiseite schob. War sie der Frau vor ihr, soweit sie wusste, noch nie begegnet. "Es freut mich sehr ihre Bekanntschaft zu machen Mr. Johnson" gurrte sie lächelnd, eh sie sich seiner Freundin zuwandte. "Da müssen sie Mike fragen" klärte sie sie auf und schmiegte sich gekonnt enger an ihren Kunden. "Er kann es einfach nicht lassen mich immer wieder mit neuen Kleidern und Schmuck zu überraschen" gurrte sie gespielt entzückt, auch wenn sie innerlich die Augen verdrehte. Würde sie sich selbst doch niemals so affektiert und gekünstelt benehmen, geschweige denn sich einem Mann so an den Hals werfen. Dennoch wusste sie, das Mike genau diese Art liebte und dafür gutes Geld bezahlte, da sie diese Rolle scheinbar am besten spielte. "Ihr Kleid steht ihnen aber auch ausgezeichnet, wie für sie gemacht" schob sie noch lobend dazu und lächelte scheinbar freundlich, zu mindestens hoffte sie es, denn heute stand ihr nun wirklich nicht der Sinn danach Small Talk zu halten.
Eh ihre Gedanken jedoch weiter abdriften konnte, legte sich Mikes Hand besitzergreifend auf ihre Hüfte und zog sie viel zu eng an sich, so das sie förmlich an ihm klebte. Nur widerwillig spielte sie mit und achtete penibel darauf sich bloss nicht zu sehr gegen den schmierigen Griff zu wehren. "Scheint als hätten wir heute die schönsten Begleitungen weit und breit", stellte ihr Kunde selbstzufrieden fest und grinste sie besitzergreifend an, so das sie arg an sich halten musste, um ihm nicht einfach die Faust in sein selbstgefälliges Gesicht zu drücken. War sie doch trotz allem ein Mensch und kein Besitz, keine Trophäe. Nur zählte dergleichen in diesen Kreisen hier nicht und so erklang ein leises Kichern, fast als würde sie sich geschmeichelt fühlen. "Wie wäre es, wenn die Herren den Damen etwas zu trinken holen würden ?" schlug sie vor, um wenigstens ein paar Sekunden die Klette los zu werden. Konnte sie doch unmöglich genau Ausschau nach ihrem Mündel halten, wenn ihr Kunde ständig so an ihr klebte. Die junge Frau würde sie schon einfach nebenbei irgendwie mit einer sinnlosen Plauderei ablenken, damit diese nichts bemerkte.

Julien Espello

Mit jeder Minute und jedem weiteren Gespräch, bei dem Julien lächeln und die verliebte Freundin seines Kunden vorspielen musste, fragte er sich mehr, warum er sich all das antat. Schon zu dem Zeitpunkt, als er die Entscheidung traf, bei einem Escortservice anzufangen, war ihm bewusst, dass es schwerer werden würde, in seiner Rolle zu bleiben und nicht aufzufallen, als es bei seiner Arbeit im horizontalen Gewerbe der Fall war, doch wie kompliziert und nervenaufreibend es wirklich war, zeigte ihm erst dieser Abend. Immer wieder musste er sich ins Gedächtnis rufen, für wen er all dies auf sich nahm und der Gedanke an Louna sorgte dafür, dass er auch beim nächsten Gespräch gute Miene zum bösen Spiel machen konnte. Die Dinge, die sie in diesem Moment womöglich durchstehen musste, konnte und wollte er sich nicht einmal ausmalen, doch sein Gefühl sagte ihm, dass sie alles andere als schön waren. Er spürte es tief in seinem Herzen, dass sie litt. Sich schick herauszuputzen, Kunden zu umgarnen - so schmierig sie auch sein mochten - und das hübsche Anhängsel zu mimen, war dagegen wohl der reinste Kindergarten. Zudem wäre er bereit, noch weit mehr zu tun, wenn es ihm half, seine Schwester wiederzufinden - unter anderem sich mit der Yakuza anzulegen. Julien wusste, mit wem Mr. Smith unter anderem zusammenarbeitete. Schließlich hatte er sich im Vorfeld über dieses Unternehmen informiert. Beweise gab es keine, doch mehr als genug Gerüchte und Indizien, die darauf hindeuteten, dass das Sweet Dreams mehr Dreck am Stecken hatte, als es auf den ersten Blick den Anschein machte. Normalerweise gab er nichts auf Gerüchte. Zumindest nicht, wenn sie nur vereinzelt auftraten. Bei dem Umfang, den die bezüglich des Edel-Escorts annahmen, sah die Sache jedoch ein wenig anders aus und er war sich sicher, dass in ihnen ein Funken Wahrheit steckte. Ein Funken, in dem ebenfalls seine Hoffnungen lagen.
Wüsste jemand die Hintergründe für seine Arbeit bei genau diesem Escort-Service, würde man ihn wohl für verrückt erklären, denn niemand legte sich freiwillig mit der Yakuza an, wenn er nicht gerade lebensmüde war - eine Tatsache, die auf ihn nicht zutraf. Anfangs wurde ihm bei diesem Gedanken ebenfalls flau im Magen, doch andererseits hatte er auch keine andere Wahl. Die Polizei fand keinerlei Hinweise auf die Täter, die Louna entführten, oder darauf, dass es überhaupt eine Entführung war, weshalb man schnell zu der Erkenntnis kam, dass sie womöglich einfach abgehauen war. Etwas, das bei Jugendlichen in ihrem Alter damals ganz gerne mal vorkam, wenn sie den falschen Umgang pflegten. Doch Julien glaubte nicht daran und je länger er darüber nachgedacht hatte, kam er mehr und mehr zu dem Schluss, dass es nicht viele gab, die derart gründlich ihre Spuren verwischen konnten. Die Yakuza war eine der wenigen Organisationen, denen er dies zutraute, denn wenn Japaner etwas liebten und beinahe zelebrierten, dann war es Perfektion. Umso auffälliger und unglaubhafter waren die Gerüchte, die er gehört hatte, doch wie überall gab es mit Sicherheit auch bei der Yakuza schwarze Schafe.
Es war ein Spiel mit dem Feuer, auf das sich Julien eingelassen hatte. Das Problem bei einem solchen Vorhaben waren nur die Dinge, die er nicht beeinflussen konnte. Steine, die man ihm in den Weg legte und für die er eine Lösung finden musste, um nicht aufzufliegen. Amelia war einer dieser Punkte, die er zuvor nicht bedacht hatte. Dass man ihn trotz seiner besonderen Arbeitsweise zu Beginn nicht alleine auf die Kunden losließ, die einiges an Geld in ihre Begleitungen investierten, war ihm bewusst. Allerdings hatte er mit jemandem gerechnet, der weniger aufmerksam wirkte. Das dumme Blondchen war eine Beschreibung, die auf seine Mentorin nicht nur wegen der dunklen Haarfarbe nicht im geringsten zutraf. Jedoch zeigte sich in ihrem Fall, dass die meisten nur das sahen, was man ihnen zeigte und was sie sehen wollten - eine Fähigkeit, die sowohl Segen als auch Fluch sein konnte. Julien war hingegen froh, dass er die Gefahr schnell erkannt hatte, die von dieser Frau für ihn ausging, auch wenn es eine Erkenntnis war, die ihn nicht darauf vorbereitete, dass sich ihre Kunden kannten und ins Gespräch kommen würden, sodass er ihr an diesem Abend näher kam, als er beabsichtigt hatte.
Perplex sah er sie an, als sie gemeinsam mit dem Mann, für den sie heute die Begleitung spielte, vor ihm stand. Die Regung dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, bis er seine Gesichtszüge wieder unter Kontrolle hatte, doch für Juliens Geschmack dauerte dies bereits viel zu lange, denn einem aufmerksamen Beobachter könnte sie dennoch aufgefallen sein. Nun hieß es Schadensbegrenzung zu betreiben, ohne auch dabei zu sehr aufzufallen. Der Grat zwischen gespielter Neugier und dem nötigen Desinteresse war schmal und es war ein Spiel für das ihm noch das benötigte Feingefühl fehlte, um weder auf der einen noch der anderen Seite über die Grenze zu treten. Dennoch würde und musste er alles daran setzen, dass auch Amelia ihm die über beide Ohren verliebte Freundin von Zayn abkaufte. Zum Glück ging sie auf seine Frage ein, doch als er sah, wie sie sich ihrem Kunden gegenüber verhielt und sich ihm regelrecht anbiederte, wurde ihm ganz anders. Julien achtete den weiblichen Stolz als hohes Gut, denn er hatte viele Frauen gesehen, die sich diesen trotz ihrer Arbeit im Bordell bewahrten und auch die Dunkelhaarige hatte er an diesem Tag mit einer ordentlichen Portion Selbstbewusstsein und Rückgrat erlebt. Sie nun so zu erleben, wirkte dagegen absolut falsch. Ihr machte er keinen Vorwurf, ihrem Kunden hingegen sehr wohl, dem diese Show mehr als zu gefallen schien. Seine Finger krallten sich für einen kurzen Augenblick fester in das Jackett seiner eigenen Begleitung, bevor er sich selbst zur Ordnung rief und erneut ein freundliches Lächeln aufsetzte.
"Da haben Sie wirklich Glück. So einen aufmerksamen Mann wünscht sich wohl jede Frau an ihrer Seite."
Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, spürte er, wie sich Zayn für einen Moment verkrampfte, als wäre ihm dies nicht bewusst gewesen und als erhielte er gerade eine Lektion in Sachen Frauen. Kurz fragte er sich, wie dieser bisher wohl versucht hatte, das Herz seiner Angebeteten zu erobern, doch er verwarf diesen Gedanken schnell wieder, denn an sich ging es ihn nichts an und es interessierte ihn auch nicht sonderlich. Schlussendlich waren die Versuche nicht von Erfolg gekrönt, weshalb er nun ihn nutzen wollte.
"Wenn du möchtest, kann ich dir gerne ein ähnliches Kleid anfertigen lassen, Prinzessin", bekam er plötzlich von der Seite zu hören und glaubte für einen Moment, er hätte sich verhört.
Prinzessin…
Das war wohl die letzte Bezeichnung, mit der er an diesem Abend von Zayn gerechnet hatte. Am liebsten hätte er die Augen verdreht, doch er beherrschte sich und besann sich darauf, in seiner Rolle zu bleiben.
Für Louna, sagte er sich zum gefühlt tausendsten Mal vor und wandte sich mit seinem Kunden zu.
"Das würdest du für mich tun?", fragte er überrascht. "Damit würdest du mich wirklich glücklich machen. Mir gefällt das Kleid sehr", setzte er nach und drängte sich dabei näher an ihn. Seine Hand fand ihren Weg zu seiner Brust, wo sie direkt über seinem Herzen liegen blieb. Dieses schlug schnell und kräftig. Sein Erscheinungsbild ließ Zayn nicht so kalt, wie dieser es wohl gerne gehabt hätte. Somit atmete nicht nur Julien innerlich durch, als Amelia die beiden Männer dazu brachte, Ihnen etwas zu Trinken zu organisieren, sondern auch sein Kunde, dessen Interesse eigentlich bei jemand vollkommen anderem lag.
Für wenige Sekunden sah er den beiden hinterher, bis ihm bewusst wurde, dass er mit seiner Mentorin alleine war. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn, dass er nun noch mehr aufpassen musste, was er tat und von sich gab. Zu schweigen wäre allerdings ebenso falsch, sodass er sich mit einem Lächeln auf den Lippen zu ihr wandte und das erste fragte, was ihm passend in den Sinn kam.
"Wie haben Sie beiden sich eigentlich kennengelernt? Ein Paar wie Sie sieht man immerhin selten."
Neugierig wartete er darauf, wie sie antworten würde. Es war eine berechtigte Frage, die wohl auch eine normale Frau gestellt hätte. Zugleich war es aber auch eine gute erste Lektion in seinem neuen Job. Immerhin war es wichtig zu wissen, ob man sich prinzipiell als Paar ausgab, wie er es mit Zayn tat, oder ob es durchaus legitim war, einfach nur eine Begleitung zu sein.
"Na sieh mal einer an. Da hat er sich aber ein wirklich billiges Flittchen an Land gezogen. Aber etwas anderes hätte ich von ihm wohl auch nicht erwarten dürfen", hörte er mit einem mal eine Stimme direkt hinter sich sagen. Sie kam ihm nicht bekannt vor und doch war er sich sicher, dass die Frau ihn meinte.
"Meinen Sie zufällig mich?", fragte er dennoch nach, als er sich zu ihr wandte. Ihm gegenüber stand eine Frau mit langen dunklen Haaren und dazu auffälligen blauen Augen - ein Kontrast, der mit Sicherheit einige Aufmerksamkeit auf sie zog. Abschätzig hob sie eine Augenbraue und musterte ihn von oben bis unten.
"Natürlich. Immerhin bist du doch diejenige, die wie eine Klette an Zayn hängt und ihn anhimmelt, als gäbe es keinen Morgen mehr."
Nun war es an Julien sie kritisch zu betrachten, wobei das Verhalten und die Aussagen der Frau vor ihm nur einen Schluss zuließen: Dass es sich dabei um diejenige handelte, die sein Kunde für sich gewinnen wollte. Was er bis auf ihr Äußeres an ihr anziehend fand, konnte er auf den ersten Blick nicht sagen, doch womöglich hatte auch sie ihre Qualitäten. Was er jedoch bemerkte, war die Spur Eifersucht in ihrer Stimme. Eine Reaktion, die ihn grinsen ließ.
"Das wirkt ja fast so, als wären Sie eifersüchtig. Wenn Sie so scharf auf ihn, hätten Sie ihn sich vielleicht eher krallen sollen. Jetzt gehört er mir."
Julien sah sie selbstgefällig und von oben herab an, obwohl sie ihn in dieser Gestalt fast einen Kopf überragte. Die reine Körpergröße spielte in dieser Situation jedoch keine Rolle. Allerdings ermahnte er sich bereits in der nächsten Sekunde, sich auf sein Verhalten als Alani zu besinnen, bevor Amelia stutzig wurde, da diese immerhin direkt neben ihm stand und die ganze Show hautnah verfolgen konnte.