Wind Beyond Shadows

Normale Version: If there is a living nightmare, this is it
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Chelsea Shadowhawk

Wäre ich heute doch bloß im Bett geblieben, ging es Chelsea durch den Kopf, als sie über die Schulter hinweg zurück zu dem Bus schaute, der sie eigentlich nach Hause bringen sollte, aber aufgrund einer Panne, für die selbst der Fahrer keine Erklärung und schon gar keine kurzfristige Lösung hatte, liegen geblieben war. Und das spät abends und mehrere Straßen von der Haltestelle entfernt, an der sie hätte aussteigen müssen. Somit musste sie den Rest des Weges wohl zu Fuß gehen.
Aber das war nicht das einzige, was ihr heute passiert war und den Tag zu dem wohl schlimmsten machte, den sie in der letzten Zeit erlebt hatte. Erst hatte sie heute Morgen ihren Wecker überhört und somit verschlafen, sodass sie sich beeilen musste, noch pünktlich in die Uni zu kommen und dort hatte sie Alice während der Mittagspause abgefangen, um ihr mitzuteilen, dass die Hausarbeit einige gravierende Fehler aufwies, die sie für sie geschrieben hatte. In diesem Moment hatte sie sich gefragt, warum sie ihrer Kommilitonin überhaupt noch half, da sie doch ganz genau wusste, wie sie war und was sie ihrer besten Freundin damals angetan hatte. Zudem hatte der Vorfall mit dem Vampir, der sie sich vor ein paar Wochen als Opfer ausgesucht hatte, scheinbar ebenfalls nichts bewirkt, auch wenn Alice nicht wusste, was er war.
Ein leises Seufzen entwich ihr, denn ein wenig ärgerte sie sich dennoch über ihre eigene Leistung - ganz unabhängig davon, dass Sienna ihr gesagt hatte, dass es der Hexe ganz recht geschah. Dennoch hätte sie lieber etwas ohne Fehler abgeliefert. Der Tag, an dem sie sich an die Arbeit gesetzt hatte, war jedoch ziemlich chaotisch - zumindest auf emotionaler Ebene. Nur einen Tag zuvor hatte Lucy nach einigen Wochen, die sie wieder in Phoenix und mit ihr zusammenlebte, entschieden, dass sie das einfach nicht konnte. Es gab selbst in dieser großen Stadt zu viele Ecken und Stellen, die sie an Jace erinnerten und sie somit immer und immer wieder an den Mann denken ließen, den sie über alles liebte und der sie schlussendlich kurz nach der Hochzeit und vor allem schwanger hatte sitzen lassen. Die einzige Erklärung, die er lieferte, war, dass er sie nicht mehr liebte. Eine offensichtliche Lüge und doch hatte es ihrer Schwester das Herz gebrochen. Schon danach war sie bis zur Geburt zurück zu ihren Eltern nach Seattle geflüchtet und hatte sich erst kurz vor dem Geburtstermin dazu entschieden, sie zu besuchen, was zu der Entscheidung führte, bei ihr zu bleiben.
Dass sie nun doch wieder zurück nach Seattle gegangen war, konnte Chelsea verstehen, doch das änderte nichts daran, dass es sie sehr getroffen hatte, als Lucy mit diesem Entschluss zu ihr kam, denn sie hatte sie bereits die Monate zuvor sehr vermisst. Für sie hatte es sich angefühlt, als würde ein Teil von ihr fehlen, denn immerhin war ihre Schwester auch ihre beste Freundin und die einzige, mit der sie über alles reden konnte. Natürliche hatte sie auch noch Sienna, die gerade in der Zeit nach Lucys erster Flucht für sie da war und sie auf andere Gedanken brachte, doch da sie ihr nicht erzählen konnte, dass sie eine Hexe war, war das einfach nicht dasselbe.
Somit war der Tag, an dem sie entschied, sich um die Hausarbeit von Alice zu kümmern, sehr schwierig für sie, nachdem sie Lucy und ihre Nichte Josy am Flughafen verabschiedet hatte. Sich um den Aufsatz zu kümmern, war somit eine willkommene Ablenkung, doch schlussendlich war sie mit den Gedanken wohl dennoch zu sehr bei ihrer Schwester, um sich vollends darauf konzentrieren zu können und genau das ärgerte sie. Allerdings war es nicht mehr zu ändern und sie sollte sich wohl wirklich überlegen, Alice weitere Hilfe zu versagen. Darüber nachdenkend, welche Konsequenzen das haben könnte, lief sie weiter, um endlich nach Hause zu kommen. Sie wollte nach diesem Tag nur noch in ihre vertrauten vier Wände und in einem Buch versinken, um für kurze Zeit alles andere um sich herum vergessen zu können.
Als sie nur noch zwei Straßen entfernt war, spürte sie allerdings mit einem Mal etwas ungewöhnliches, sodass sie mitten in der Bewegung stockte. Es war ihr schrecklich vertraut und bescherte ihr eine Gänsehaut. Bisher hatte sie dieses Gefühl erst einmal in ihrem Leben gehabt und doch konnte sie sich noch so gut daran erinnern, als wäre es erst gestern gewesen. Chelsea schluckte und wollte zurückweichen, weg von diesem Gefühl, das mit jeder Sekunde stärker wurde und sie dazu drängte, weiterzulaufen, doch es gelang ihr nicht. Angst machte sich in ihr breit, als sich genau wie damals, als sie mit Lucy ihre Antworten der Unis erhalten hatte, eine dunkle Macht ihrer zu bemächtigen schien. Sie war schwer, dunkel und angsteinflößend, wie eine Decke, die sich über sie legte, jedoch nichts warmes oder sicheres an sich hatte und noch immer drängte sie sie dazu weiterzugehen. Es war wirklich genau wie damals und sie hatte Angst davor, dass dieses Etwas sie wieder dazu brachte, etwas zu tun, das sie nicht wollte. Doch sie war auch zu schwach, um sich dagegen dauerhaft zu wehren. Sie versuchte es, scheiterte jedoch nach einigen Minuten, in denen sie nur wie erstarrt an einer Stelle stand. Chelsea spürte regelrecht, wie sie die Kontrolle über ihren eigenen Körper verlor, ihr Bewusstsein zurückgedrängt wurde und etwas anderes an seine Stelle trat.
Verzweifelt versuchte sie etwas dagegen zu tun, dieses Etwas aufzuhalten, als sie sich plötzlich gegen ihren Willen in Bewegung setzte und weiterlief. An einer Weggabelung bog sie in die entgegengesetzte Richtung ab, in die sie eigentlich gehen musste und fand sich kurze Zeit später vor einem Haus wieder, das sie noch nie zuvor gesehen hatte. Es schien seit Jahren verlassen zu sein und sie hatte keine Ahnung, was sie hier sollte, doch das schien die Macht in ihr nicht zu interessieren, denn es drängte sie einfach weiter - ganz egal, wie sehr sie sich auch dagegen wehrte. Stattdessen schien die fremde Kontrolle immer stärker zu werden und ihr Bewusstsein weiter zurückzudrängen, bis sie kurz vor der Haustür vollkommen bewusstlos wurde.

Es war ein berauschendes Gefühl, den Körper der kleinen Hexe zu übernehmen. Berauschend und angsteinflößend zugleich. Es war bei weitem nicht die erste Hülle, die sich die Dämonin nahm. Immerhin war sie schon lange kein Frischling mehr. Und doch war es für sie ein bestimmtes erstes Mal: ihre erste Hexe. Die meisten unter ihnen waren geschützt vor einer derartigen Übernahme. Zumal es zudem gefährlich war, da sie Magie beherrschen konnten, die Mitglieder ihrer Art auslöschen konnte, weshalb sich Dämonen schon aus Prinzip von den Meistern der Magie fernhielten. Doch dieses Exemplar war einfach zu verlockend, um es nicht wenigstens zu versuchen. Wie ein Leuchtfeuer hatte die Hexe sie zu ihr gelenkt und sie war wie eine Motte dem Licht gefolgt, angezogen von der Dunkelheit, die von der Kleinen ausging und von der sie wissen wollte, worum es sich dabei handelte. Somit hatte nicht nur ihre Suche nach einer geeigneten Hülle dazu geführt, dass sie diesen Körper übernahm, es war auch die Neugier, die sie dazu trieb.
Das Gefühl, das sie nun jedoch hatte, war seltsam. Sie wusste nicht, wie es sich normalerweise anfühlen sollte, im Körper einer Hexe zu stecken, doch neben der Euphorie, die die verborgene Magie in der Brünetten in ihr weckte, war da auch noch etwas anderes. Etwas böses und gefährliches. Etwas, das ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Es waren nicht die verzweifelten Versuche, sich ihrer Kontrolle zu entziehen und wieder Herr über den eigenen Körper zu werden, sondern etwas, das sie nicht ganz greifen konnte. Als würde bereits jemand anders diese Hexe für sich beanspruchen, ohne selbst anwesend zu sein. Und mit jeder Minute, die verging und die sie eigentlich brauchte, um sich an einen neuen Körper zu gewöhnen, wurde dieses Gefühl stärker. Es wirkte auf sie, als wollte man sie aus der Hülle vertreiben und sie bekam immer mehr das Gefühl, das es vielleicht doch keine so gute Idee war, sich für sie zu entscheiden. Dabei fühlte sich die Magie, die in ihr steckte, aber allem Anschein nach gut verborgen und versteckt war, noch immer äußerst verlockend an. Sie hatte etwas Dunkles an sich und es juckte ihr regelrecht in den Fingern, sie zu befreien und auszuprobieren. Allerdings war ihr dies wohl nicht vergönnt, denn der Druck, den sie spürte und der sie wieder hinausdrängen wollte, wurde stärker. Sie wehrte sich dagegen, denn so einfach wollte sie nicht aufgeben und wenn sie diesen Körper schon nicht gehalten konnte, wollte sie der Kleinen zumindest einen gehörigen Schrecken einjagen. Ihre Seele fühlte sich gut an, obwohl so viel Böses in ihr versteckt lag, und daher wäre es für sie ein Vergnügen, ihr einen Schock zu verpassen.
Mit einem Grinsen im Gesicht machte sie sich auf den Weg in das Haus, vor dem sie stand. Auch dieses übte eine seltsame Anziehung auf sie aus und verbarg etwas Dunkles. Reste von schwarzer Magie, die sie selbst ohne einen Körper spüren konnte und die sie ebenfalls hierher gelockt hatten. Sie hatte allerdings keine Zeit, um sich Gedanken darüber zu machen, was hier geschehen war oder was es genau mit der Hexe auf sich hatte. Stattdessen blickte sie sich ein wenig um und suchte nach etwas, dass sie nutzen konnte, um ihr Angst einzujagen sobald sie wieder bei Bewusstsein war und das Glück schien zumindest in diesem Punkt auf ihrer Seite zu sein, denn sie fand in einer Kühltruhe einige Blutkonserven und in der Nähe davon eine Matratze, neben der unzählige der Konserven geleert herumlagen. Es sah beinahe so aus, als hätte ein Vampir hier sein Lager aufgeschlagen und zur Kühlung das öffentliche Stromnetz angezapft. Wieso ein Kind der Nacht freiwillig so lebte, war ihr ein Rätsel, aber sie wollte auch nicht weiter darüber nachdenken. Die Blutbeutel kamen ihr jedoch zu Gute und ein weiteres Grinsen schlich sich auf ihre Lippen, als eine Idee in ihrem Kopf Form annahm. Ohne weiteres schnappte sie sich einige der Beutel, riss diese auf und hinterließ mit dem Inhalt eine Nachricht an der Wand. Sie würde sie sehen, das wusste sie, denn die Menschen und auch andere Wesen waren so gestrickt, dass sie allem auf den Grund gehen wollten und somit würde sie früher oder später wieder hier auftauchen. Das sie bei ihrer Aktion die Klamotten komplett einsaute, war ihr egal. Sie musste den Körper ohnehin verlassen und sie spürte, wie der Moment immer näher rückte, an dem sie nicht länger die Kontrolle darüber haben würde. Daher beeilte sie sich auch mit der Nachricht.[


Je heller das Licht, desto dunkler die Schatten. Und auch im Licht entkommt du ihnen nicht.


Ob sie es verstehen würde, war ihr im Grunde egal. Es war kryptisch genug, um nicht direkt dahinter zu kommen, aber auch verständlich genug, um jemandem Angst einzujagen. Nachdem sie fertig war, spürte sie, dass sie immer weiter hinausgedrängt wurde. Mit letzter Kraft und Kontrolle schleppte sie sich wieder hinaus vor die Tür, wo sie die Hexe endgültig verließ, die sofort bewusstlos zu Boden fiel. In ihrer Rauchform schenkte sie ihr noch kurz Beachtung, bedauerte, dass sie sie nicht länger beanspruchen konnte und suchte anschließend das Weite, um sich eine neue Hülle zu schnappen.

Noel Kreiss

Valhalla is calling me to the end
I can hear now the beating hearts of lost friends
Pushing me to not forget them
As the last hunter, I'll find the key


Einer der seltenen Momente war es, den sie hier verbrachten, doch so kurz nach dem Urlaub, wohl das Vernünftigste. Es widerstrebte ihn, sich jetzt schon zurück zu melden, wobei das 'schon' wahrlich untertrieben war. Ganze drei Monate waren es gewesen, die sie sich freigenommen hatten, um zu Reisen, zu Erleben und zu sich selbst zu finden. Ein Stückchen Freiheit, welches er Ryan hatte zeigen wollen, um zu verdeutlichen, warum es ihm so wichtig war.
Seinen Gedanken nachhängend, bemerkte Noel das er es nicht mochte, hier zu sein. Die ganzen Gänge, die ganzen Räume, in denen man sich gern mal verlief. Ihre Schritte hallten von den weißen wänden wider. Als würde das nicht ausreichen, um ein bedrückendes Gefühl von Enge zu vermitteln, sah hier auch alles gleich aus. Steril, war das erste, was ihm in den Sinn kam. Es traf einen Nerv in ihm. Immer wenn er hier war, kam er nicht umhin, die Gänge in Gedanken einzurichten, Bilder aufzuhängen, mit Szenen, die er auf seinen Reisen erlebt hatte. Dabei war ihm fast schon alles recht. Hauptsache irgendwas, das Farbe hinein brachte! Wäre da nicht die Abwesenheit von Sterilikum, hätte man annehmen können, in einem Krankenhaus zu sein. Innerlich schüttelte es ihn.
„Unbegreiflich, wie man hier leben kann...“, murmelte er und freut sich auf ihre Hütte. Hier gab es zwar mehr platz und mehr Möglichkeiten, wenn man etwas wissen wollte, doch das wog die Bequemlichkeit nicht auf, die sie zuhause hatten. Leise seufzte er, sich beherrschend, Ryan nicht zur Eile zu drängen, um hier raus zu kommen. Das Gefühl, gefangen zu sein, spürte er hier am deutlichsten, wobei er sich nicht erklären konnte, woher es rührte. Als Kind war er doch auch öfter in einem Institut gewesen...
Kurz runzelte er die Stirn, als ihm was in den Sinn kam, doch war das Bild zu flüchtig, als das er es bewusst wahrnahm oder danach hätte greifen können. Nur ein unbestimmtes Gefühl blieb zurück, welches man mit Leere vergleichen konnte und doch keine war....
Wie gern wäre er wieder in Japan, auf der Suche nach einem guten Platz zum übernachten oder im Tempel, aus dem sie fast geflogen wären. Da schien alles so licht, so einfach zu sein. Ein Trugschluss, das wusste er selbst und doch hatte er sich freier gefühlt. Er dachte an den älteren Mönch, der stets ein orangenes Band um den kahl rasieren Schädel getragen hatte. Dieser war an sich ganz nett gewesen und doch hatte ihn irgendwas gestört, ohne das Noel es benennen konnte. Sie hatten sich höflich und Rücksichtsvoll benommen, wie immer, doch irgendwas... Sowohl Ryan als auch er waren getrennt gut mit ihm ausgekommen, doch wehe, sie beide trafen gleichzeitig auf ihn. Die Garstigkeit, die er dann an den Tag legte, machte Noel selbst jetzt noch sprachlos. Seltsamer Kauz, wie er fand. Das Verhalten konnte man nicht mal mit dem Alter schön reden, wo die meisten ja seltsam wurden... Wäre er sich dessen nicht sicher, das es keine Vollmondphase gewesen war, hätte man darauf zurück schließen können, das es an Ryans Art lag, doch so... blieb es ein Rätsel, das sie so nicht mehr aufklären würden.
Und doch war es alles in Allem ein erlebnisreiches und aufregendes Abenteuer gewesen, welches er nur zu gern wiederholte. Sie hatten in Wäldern übernachtet, den nächtlichen fremden und doch vertrauten Geräuschen gelauscht... Oft an geschwiegen und genau sooft Geschichten erzählt, die selbst ihm ein schaudern über den Rücken wandern ließ. Es hatte aber auch Momente gegeben, die persönlicher nicht hätte sein können. So oder so, die Reise hatte sich gelohnt und er würde sie gern wiederholen. Vielleicht würden sie dann vom Ziel zum Start gehen? Die Reise rückwärts gesehen, erneut zu machen, wäre wirklich spannend.
„Kannst du nun eigentlich verstehen, warum ich sooft unterwegs bin?“, fragte er in die Stille hinein, ehe sie in die Küche gelangten, wo sie sich was zu essen machen wollten. Eigentlich hätten sie längst etwas im Magen haben können, doch man hatte sie aufgehalten. Ihre Reise war so ungewöhnlich, das es immer wieder jemand gab, der mehr darüber wissen wollte. Allein die frage nach dem 'Warum' war sooft gefallen, das Noel es bereute, keinen Dollar dafür zu verlangen. Schnell wäre die nächste Reise finanziert gewesen. Schließlich gab das eine das andere und Noel verhungerte derweil, weil sich keiner abschütteln ließ.
Ein Umstand, der einzutreten schien, denn ehe sie dazu kamen, die verheißungsvolle Tür zu öffnen, die ihnen eine kleinere Version des Schlaraffenlands bot, schrillte der Alarm los.
„Ich werde verhungern....“, murrte er. Der erste Gedanke war, das sich jemand anders darum kümmern konnte, doch der Zweite ließ sein Pflichtgefühl aufschrecken. Noel seufze und wandte sich um, wissend, das Ryan ihm im Schlepp folgen würde. Je eher die Sache erledigt war, desto schneller bekam er etwas zwischen die Zähne.... „Hoffentlich kein Dämon...“ Ein netter Gedanke, denn was sollte sonst die Ruhe stören?

Ryan Ravenscar

Erst nachdem wir alles verloren haben,
haben wir die Freiheit,
alles zutun


Wochen, gar Monate waren vergangen, seitdem sich das tatsächliche Ausmass dessen, was seine Eltern getan hatten offenbart hatte. Wochen, in denen er tatsächlich frei gewesen war. Wochen in denen es nicht um Verpflichtungen und Aufgaben gegangen waren. Einzig und allein was er wollte, vielmehr was sie wollten war relevant gewesen. Rings herum nichts ausser Natur, menschliche Bekanntschaften, nur wenn ihnen der Sinn danach stand. Vollkommen absurd und verrückt, für den sonst so pflichtbesessenen Shadowhunter und doch war es genau das gewesen, was er gebraucht hatte.
Zeit um zu verarbeiten was geschehen war. Zeit um zu verarbeiten, was mit ihm passiert war. Zeit um den Scherbenhaufen wenigstens halbwegs wieder zusammen zu setzen, welcher entstanden war, als er heraus fand, das er nichts weiter als ein Experiment war. Als Kleinkind dazu verdammt eine tödliche Waffe zu sein, ohne auch nur das geringste zu ahnen. Vollkommen allein gelassen mit dem, was er geworden war. Nun gut, vollkommen allein war dann doch übertrieben. War ihm Noel doch keine Sekunde von der Seite gewesen und wäre er nicht schon seit Jahren hoffnungslos in ihn verliebt gewesen, so hätte er sich wohl spätestens nun in ihn verliebt. Egal wie zickig und übellaunig er auch gewesen war, egal wie hitzig die Diskussionen vielleicht auch worden ... stets war er an seiner Seite geblieben und hatte mit ihm den Scherbenhaufen wieder zusammen gesetzt. War die Verlockung einfach zu bleiben da gewesen und doch wussten beide, das sie sich nicht ewig verstecken konnten und über kurz oder lang zurück kehren mussten. Immerhin waren sie Shadowhunter, Auserwählte der Engel, einzig und allein geschaffen um die Menschen zu beschützen und die Dämonen in ihre Schranken zu verweisen. Ein Erbe, welches ihn damals stolz gemacht hatte, welches dafür sorgte, das er das Wohl aller grundsätzlich über sein eigenes gestellt hatte, ohne auch nur eine Sekunde an sich zu denken. Sich langsam einem Abgrund nähernd und sich selbst zerstörend. Nicht aus Absicht, sondern einfach dem Grund geschuldet, das er nie nein sagen konnte. Eigentlich eine gute Eigenschaft und doch hätte sie ihn über kurz oder lang vollkommen ausgezehrt und vernichtet. Etwas, was ihm immer wieder und wieder gepredigt worden war und doch, erst die Reise hatte ihn begreifen lassen wie Recht Noel gehabt hatte. Hatte ihn erkennen lassen, wie sehr er sich verbogen und gewunden hatte, bis er sich selbst nicht mehr erkannte. Nun gut, wer er wirklich war, wusste er bis heute noch immer nicht und doch war er nicht mehr bereit zu allem ja und amen zu sagen und sich darüber hinaus wieder selbst zu vergessen.
Umso beklemmender war die Rückkehr in die starre Monotonie, die Rückkehr in das, was einmal sein Leben gewesen war. Das Institut, eigentlich der Dreh- und Angelpunkt seines Lebens schien plötzlich in sich zusammen geschrumpft zu sein. Gänge, die eigentlich ausladend breit waren, so das locker 2 Personen nebeneinander gehen konnten, schienen plötzlich zueinander gerutscht zu sein und drohten ihn zwischen sich zu zerquetschen. Vollkommen hirnrissig und verrückt und doch, nach der grenzenlosen Freiheit der vergangenen Wochen nur all zu verständlich. Das, das Tier in ihm unruhig in seinem Käfig hin und her lief, immer wieder gegen die Stangen seines Käfigs rebellierend, machte die ganze Situation nur noch unangenehmer und vertieften das Gefühl der plötzlichen Enge, so das er tatsächlich leicht zuckte, als Noel ihn aus seinen Gedanken heraus riss. "Definitiv" murmelte er, eh sein Blick umher schweifte um sich zu vergewissern, das sie auch wirklich alleine waren. "Der Katze gefällt die Enge hier nicht" gestand er leise flüsternd ehrlich ein. "Scheint als würdest du deinen Willen bekommen und wir werden mehr unterwegs sein" beschloss er, denn auch wenn er mittlerweile halbwegs Frieden mit der Mietze geschlossen hatte und sie sogar ein recht gutes Team geworden waren, so wollte er sich nicht ausmalen, was passierte, wenn er eine gereizte Katze aus ihrem Käfig liess. "Wir müssen uns unbedingt was überlegen wo wir den nächsten Vollmond hin verschwinden können" setzte er noch weiter fort, eh der Alarm jedwede weitere Unterhaltung zunichte machte.
"Tja so viel zu ein paar ungestörte Minuten und etwas zwischen den Zähnen" stellte er resignierend fest, während sein Magen lauthals knurrend protestierte. "Wir treffen uns unten in der Garage, ich hole vorsichtshalber schnell noch meinen Koffer" wies er ihn vollkommen routiniert an und lief auch schon, ohne eine Antwort ab zu warten in die entgegengesetzte Richtung, um seinen Koffer aus der Pathologie zu holen. Irgendwie war es fast schon ein wenig amüsant, als er seinen Blick für ein paar Sekunden durch sein Herrschaftsgebiet streifen liess. Alles lag wie immer an seinen angestammten Platz, die Luft war durchdrungen von Desinfektionsmittel und nirgendwo lag auch nur ein Krümel Staub. Fast als wäre alles so wie immer und doch war nichts mehr so, wie es einmal gewesen war. Zeit darüber nach zu denken nahm er sich jedoch nicht, stattdessen griff er sich seinen Koffer und rannte auch schon wieder zurück in die Garage. Nur kurz stoppte er, bis er Noel entdeckte. "Wenn wir Glück haben sind wir schnell fertig und dann koche ich was für dich" schlug er vor, während er den Koffer schnell verstaute und wie selbstverständlich auf den Beifahrersitz rutschte. War Noel doch schon immer der bessere Fahrer von ihnen gewesen, so das er ihm gerne den Vortritt liess und ihn stattdessen souverän durch die Strassen, mitten in eine ruhige Wohngegend navigierte.
"An der nächsten Ecke müssen wir links" wies er ihn an, nur um im nächsten Moment verdutzt auf den Sensor zu schauen, der plötzlich keinen Mieps mehr von sich gab. "Was verdammt nochmal...." setzte er an, während er flink das Gerät neu kalibrierte, um das Signal erneut zu empfangen, nur um nichts zu erreichen. "Scheint als wären wir zu spät" vermutete er, nur um im nächsten Moment leise zu knurren, als sie um die Ecke bogen und sich ihm wortwörtlich sämtliche Nackenhaare aufstellten. "Irgendwas stimmt hier ganz und gar nicht" murmelte er leise und blickte ihn ruhig an. "Die Katze faucht und windet sich, obwohl der Sensor nichts anzeigt." teilte er ihm fast schon ruhig mit und wartete ab, bis er endlich seitlich ran fuhr und er aussteigen konnte. War es doch nicht das erste Mal, das die Katze sie vor Gefahr warnte und auch wenn es immer noch komisch war, so hatten sie nach einem Bärenangriff doch gelernt darauf zu hören und sich auf ihren Instinkt zu verlassen. Daher zögerte er auch nicht lange und folgte einfach der kaum wahrnehmbaren Fährte und liess sich vollkommen von der Katze leiten, sich darauf verlassend, das Noel direkt hinter ihm war und ihm somit den Rücken deckte. Weit mussten sie nicht laufen, denn je näher er einem ,auf den ersten Blick, herunter gekommenem Haus kamen, umso wilder gebärdete sich die Katze, bis ein unverkennbarer Geruch ihm entgegen wehte und sämtliche Alarmglocken zum schrillen brachte. "Blut...sehr viel Blut..." teilte er ihm mit, automatisch auf die Telepathie zurück greifend, um mögliche Angreifer nicht vor zu warnen. Ohne auch nur den geringsten Laut zu verursachen zog er seine Klingen, warf kurz einen Blick über die Schulter zu ihm, um sich zu vergewissern, das auch er bereit war und bog direkt um die Hecke ein, welche die Sicht auf das Haus versperrt hatte. Das riesige, unbewohnte Haus nahm er nur am Rande wahr und erfasste sofort die in sich zusammen gesunkene Person, welche vor dem Eingang der geöffneten Haustür lag. Weiter nahm er nichts wahr und doch näherte er sich nur vorsichtig, während sein Blick immer wieder umher schweifte, damit sie nicht überrascht werden konnten. "Der Geruch kommt von ihr" meinte er kurz bevor er nah genug an ihr war, um es auch selbst zu sehen. Lag da doch tatsächlich eine junge Frau, von oben bis unten mit Blut besudelt, ohne sich zu rühren.

Chelsea Shadowhawk

Kaum etwas war im Leben eines Menschen so kostbar und unersetzlich wie der eigene freie Wille. Man konnte einer Person wirklich alles nehmen. Das Dach über dem Kopf, die Arbeit, geliebte Menschen oder auch die gesamte Lebensgrundlage. Manche mochten daran zerbrechen, doch andere rappelten sich wieder auf die Beine, sammelten die Scherben ihres Lebens ein und fügten sie zu einem neuen zusammen - auch wenn dieses sichtbare und unsichtbare Narben hatte. Für diejenigen, die dies nicht konnten und einen anderen Weg wählten, war aber selbst der Tod nicht so schlimm wie die Tatsache, einem anderen willenlos ausgeliefert zu sein, ohne etwas dagegen tun zu können.
Das Gefühl, nicht Herr über den eigenen Körper zu sein. Mit ansehen zu müssen, was andere mit einem anstellten oder in der eigenen Gestalt womöglich auch mit anderen… Chelsea konnte sich nichts schlimmeres vorstellen. Besonders vor Letzterem hatte sie Angst, denn sie kannte es. Sie wusste ganz genau, wie es war, wenn man die Kontrolle über sich verlor. Wenn man sie an jemand oder etwas anderes abgeben musste, weil man nicht stark genug war, um sich dagegen zu wehren, um schlussendlich dabei zusehen zu müssen, wie ein Unbekannter das eigene Leben auf den Kopf stellte.
Sie erinnerte sich noch gut daran, als es das erste Mal passierte. Damals als die Antworten der Universitäten im Briefkasten lagen, bei denen sie sich mit ihrer Schwester beworben hatte. Sie hatten sich schon sehr früh versprochen, zusammen auch diesen Weg zu gehen und sich für keine Uni zu entscheiden, die eine von ihnen nicht aufnahm. Gemeinsam wollten sie auch die Briefe öffnen und anschließend ihre Entscheidung der Treffen. Der Tag begann ganz normal. Lucy war bereits vor ihr wach, da die Nacht alles andere als gut war. Sie hatte Probleme einzuschlafen, da sie viel zu nervös aufgeregt dafür war. Daher kam sie nur schwer aus dem Bett, doch die Drohung ihrer Schwester, sie notfalls mit Wasser aus dem Bett zu holen, zeigte Wirkung, auch wenn sie wusste, dass die andere dies niemals tun würde. Anschließend machten sie es sich mit einer Tasse Kaffee und ihrem Cappuccino auf dem Sofa bequem, um die Briefe zu öffnen. Auch dieser Prozess verlief normal. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Antworten der Arizona State University - ihrer bevorzugten Uni - dran waren. Schon beim Öffnen des Briefs hatte sie ein seltsames Gefühl, schob es jedoch auf die Nervosität, da sie ganz genau wusste, wie gerne Lucy auf diese Uni wollte, deren Umschlag jedoch weit dünner ausfiel als ihr eigener. Ihre Hoffnung, ihre Befüchtung, die diese Tatsache in ihr auslöste, würde sich nicht bestätigen, zerplatzte wie eine Seifenblase und das ungute Gefühl in ihrem Bauch wurde zu einem Druck, der mit jeder Sekunde stärker wurde. Chelsea lief es eiskalt den Rücken herunter und bevor sie wusste, was geschah, sah sie, wie sich ihr Körper selbständig machte. Ohne ihren Willen griff sie nach dem Antwortschreiben, das ihrem Brief beilag, und füllte es aus, um die Aufnahme an der Uni zu bestätigen - und damit ihr Versprechen zu brechen...
Alles in ihr rebellierte dagegen. Sie kämpfte und versuchte alles, um das Böse, das sie spürte, daran zu hindern, alles kaputt zu machen, doch es gelang ihr nicht. Als Lucy registrierte, was sie tat, zerbrach etwas in ihr. Sie sah es ihr an, konnte aber nichts dagegen tun. Der Anblick schnürte ihr Herz zusammen und da sie keine Ahnung hatte, wie sie das erkläre sollte und ohnehin noch keine Kontrolle wieder über ihren Körper hatte, flüchtete sie sich in ihr Zimmer, wo sie selbst zusammenbrach.
Die Jahre danach waren von Einsamkeit geprägt, da Lucy nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte. Zu tief saß die Enttäuschung und sie traute sich nicht, den ersten Schritt zu tun, aus Angst abgewiesen zu werden. Und das obwohl sie ihre Schwester, die gleichzeitig ihre beste Freundin war, jeden Tag aufs Neue vermisste. Chelsea konnte nicht sagen, wie froh sie darüber war, dass sich irgendwann doch noch alles zum Guten wendete, da dies bis dahin der schlimmste Tag in ihrem Leben war. All die Jahre hatte sie zudem geglaubt, dass es sich um ein einmaliges Ereignis handelte, denn schon damals hatte sie Panik gehabt, die fremde Macht, die von ihr Besitz ergriff, könnte Lucy, dem Rest ihrer Familie oder auch anderen Leuten etwas antun und sie dabei zum Zusehen verdammen. Zum Glück hatte sie nie wieder etwas davon gespürt. Bis heute…
Chelsea kämpfte selbst dann noch gegen die Macht dieses unbekannten Etwas an, als dieses bereits vollständig von ihr Besitz ergriffen hatte. Doch alles, was sie versuchte, brachte nichts und war zum Scheitern verurteilt. Wieder einmal war sie zum zusehen verdammt und konnte nichts dagegen tun. Verzweifelt wehrte sie sich dennoch, bis sie noch etwas spürte, das sich in sie hinein schlich und mit aller Kraft ihr Bewusstsein noch weiter unterdrückte, bis sie dieses vollständig verlor…

Der Geruch nach Blut lag in der Luft und stieg ihr in die Nase. Sie kannte die metallische Note nur zu gut, da sie in der Notaufnahme des Krankenhauses oft genug mit blutenden Patienten zu tun hatte und diese auch selbst versorgte, solange die Verletzungen nicht zu schlimm waren. Die Intensität des Geruchs ließ darauf schließen, dass es sich um eine ganze Menge handelte, was dazu führte, dass sie langsam aber sicher das Bewusstsein wieder erlangte. Nur schwerfällig öffneten sich ihre Augen, sodass sie einige Anläufe brauchte, um sie wirklich offen zu halten. Dabei wurde der Geruch immer stärker, doch sie war noch nicht so weit, zu erfassen, woher er kam, denn ihr Kopf fühlte sich an, als wäre er mit Watte ausgestopft. Gleichzeitig schmerzte ihr ganzer Körper und sie fühlte sich ausgelaugt, ohne im ersten Moment zu wissen, wieso. Erst einige Sekunden später merkte sie auch, dass sie auf dem Boden lag, was sie sich ebenfalls nicht erklären konnte. Langsam setzte sie sich auf und als ihr Blick auf ihre Kleidung und ihre Hände fiel, hielt sie mitten in der Bewegung inne. Alles war mit Blut beschmiert…
Woher…, ging es ihr durch den Kopf, doch sie schaffte es noch immer nicht, einen klaren Gedanken zu fassen. Ihr Unterbewusstsein hingegen schien die Situation viel schneller zu realisieren. Ihre Hände begannen zu zittern und ihr lief es kalt den Rücken hinunter. Ihr ganzer Körper versteifte sich und langsam sickerte die Erinnerung in ihr Bewusstsein. Die Erinnerung an das Böse, das sie auch damals befallen hatte, und die Erinnerung an das andere Wesen, das sich ihrer ebenfalls bemächtigte. Beides führte dazu, dass sie den Blutgeruch noch deutlich stärker wahrnahm und obwohl sie bei ihrer Arbeit im Krankenhaus keine Probleme damit hatte, Blut zu sehen, drehte sich ihr nun doch der Magen herum und sie müsste gegen das Gefühl ankämpfen, sich übergeben zu müssen.
Was war nur passiert?
Was hatte sie getan?
Wieso war überall Blut?
All diese Fragen schwirrten durch ihren Kopf. Fragen, auf die sie keine Antwort hatte und bei denen sie auch nicht wusste, ob sie diese wirklich haben wollte. Was, wenn sie jemanden verletzt hatte? Von ihr selbst schien das Blut nicht zu kommen, bis auf ihre Gliederschmerzen spürte sie nicht, dass sie verletzt war. Woher kam es also?
Bevor sie auch nur anfangen konnte, darüber nachzudenken - auch wenn ihr noch immer benebelter Verstand ihr keine große Hilfe war - nahm sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Ihr Blick huschte sofort in die Richtung und zu den beiden Männern, die ganz in ihrer Nähe standen. Im zweiten Moment erfasste sie die Waffe, die einer der beiden in den Händen hielt, und ganz automatisch rutschte sie ein Stück zurück.
"Bitte… Bitte tun Sie mir nichts…", war das Erste, was ihr in den Sinn kam. Dass sie mit all dem Blut wohl ein grausiges Bild abgab und man denken könnte, sie hätte jemandem etwas getan, wurde ihr erst danach bewusst.
"I-Ich… habe nichts getan…", fügte sie noch hinzu, obwohl sie keine Ahnung hatte, ob dies wirklich stimmte. Innerlich hoffte sie jedoch, dass es nicht gelogen war, denn alleine der Gedanke daran, sie könnte jemanden verletzt oder gar schlimmeres angetan haben, lag wie ein schwerer Stein in ihrem Magen und ließ sie erneut am ganzen Körper zittern.

Noel Kreiss

Manchmal musste man jemand zu seinem Glück zwingen, auch wenn es noch nicht abzusehen war, ob es tatsächlich dem Glück entsprach, welches man im Sinn hatte. Ryan hatte man wirklich dazu zwingen müssen, damit er sich mit der Situation und auch sich selbst auseinander setzen konnte, in einer Umgebung, wo er keinen Schaden anrichten konnte. In der Natur konnte er sich bewegen, und das unbekannte Land verhinderte eine Flucht.
Es war nicht nur für Ryan eine... aufregende zeit gewesen, denn auch Noel hatte die eine oder andere Seite entdeckt, die er so wohl nie gefunden hätte. Seine Geduld wurde oft auf die Probe gestellt, doch hatte er an seinem Plan nie gezweifelt. Er war da, wenn Ryan sich abreagieren musste. War da, wenn er Gedanken sortieren oder diskutieren wollte, ja selbst dann, wenn es nicht so viel zu sagen gab, da er die Ungerechtigkeit verteufelte. Er war Ansprechpartner, Tröster und eben all das, was benötigt wurde, so absurd es auch gewesen sein mochte. Es hatte sie zu einem Team zusammengeschweißt, von dem er angenommen hatte, das es nie besser hätte miteinander hatte arbeiten können. Man hatte ihm eines besseren belehrt. Der Reise hatten sie zu verdanken, das sie wohl jeder für sich gewachsen waren und glücklicher Weise auch beide in die gleiche Richtung, was sie näher gebracht hatte. Noel konnte ihn besser verstehen, besser lesen und würde ihm die Ohren langziehen, sollte er sich wieder so ausnutzen lassen, wie zu vor.
„Mir gefällt sie auch nie.“, pflichtete er bei und bei ihm war es sicher was anderes, als das innere Tier, welches nach Freiheit verlangte. Noel fühlte sich in recht wenige Gebäuden wohl, um sich so weit zu entspannen, wie es eben sein Wesen zu ließ. Soweit, sich nur noch außerhalb zu treffen, war es jedoch noch nicht. Diese Schrulligkeit behielt er sich für das Rentner Dasein auf.
Eine Antwort, auf die Vollmond-Sache, konnte er nicht geben, behielt es aber im Kopf, als sie sich auf den Weg nach unten machten, den Ursprung des Alarms. Er mochte es nicht. Weder das Geräusch, noch das hetzen durch die Gänge, um sich mit etwas konfrontiert zu sehen, mit dem sie nicht rechnete. Und doch war es genau ihr Job.
Er nickte Ryan kurz zu, holte schon mal den Wagen und wartete, bis dieser wieder da war. An Ort und stelle eine Leiche zu sezieren, war sicher nicht die Absicht, doch besser man war vorbereitet. Es konnte ja nicht jeder so gut im improvisieren sein, wie er. Der Gedanke ließ ihn grinsen, zum Glück genau passend zu dem Vorschlag zu kochen, sodass man es auch recht gut als Antwort ansehen konnte. Noel würde ein Teufel tun und ihn aufklären. Nun war nicht die passende Situation.
„Wir sind nicht zu spät!!“, widersprach er, obwohl er sich des mangelnden Geräusches durchaus bewusst war. Er fuhr rechts ran, parkte und stieg aus dem Wagen aus, den Blick auf die Umgebung gerichtet. Da sich Ryan um das Offensichtliche zu kümmern schien, sah er sich um. Sein Blick huschte sondierend in alle Ecken, wo sich etwas verbergen könnte, doch nichts wies darauf hin, was passiert sein könnte. Es kam ihm mehr als Suspekt vor.
Sie folgten dem Gespür, welches ihnen von Kindesbeinen an antrainiert wurde und sie zu einem Haus brachte. Schon lang hatte es dort kein Leben mehr gegeben, entschied er, vergaß aber nicht die Umgebung im Auge zu behalten. Ein eingespieltes Vorgehen, ein blindes verlassen auf den anderen. Der eine ging dem Geschehen nach, der andere behielt alles andere im Blick. Dieses vorgehen hatte sich immer wieder als das richtige erwiesen.
Noel nickte und ließ einen letzten Blick umherwandern, ehe er ihn auf die Frau richtete. Diese rührte sich, wider erwarten, setzte sich zwar wacklig und langsam auf, aber sie schien wieder bei sich zu sein. Was war hier passiert? Alles schien nicht zusammen zu passend, doch das würde sie nicht abschrecken.
„Ganz ruhig... können Sie uns sagen, was passiert ist? Geht es Ihnen gut?“, wollte er wissen und ahnte selbst, wie unangebracht diese Fragen eigentlich waren. Jemand, der grade zu sich gab, konnte wohl kaum klare, präzise und ausführliche Antworten geben und doch war es das, was sie wissen mussten, um die Situation zu klären. So viele Möglichkeiten, was hatte passiert ein können, prasselten auf ihn ein. Von Überfall bis Mord, auf beider Seiten, ob Opfer oder Täter, war möglich.
„Wir sind hier, um zu helfen.“, meinte er dann noch wesentlich beruhigender, mit einer sanften Tonlage in der Stimme, dennoch war er auf der Hut. „Keine Angst...“

Ryan Ravenscar

Obwohl er sich im Institut auf gewohntem Terrain befand, fühlte es sich plötzlich fremd und beengend an, so das er Noel gut verstehen konnte und dessen Drang immer wieder auf Reisen zu gehen. Schienen die Wände einen doch schier zu erdrücken, wenn man wochenlang in der Natur umher gestreift war. Nichts auf der Welt war damit zu vergleichen, wenn man seinen Blick umher schweifen liess und nichts ausser Natur zu sehen bekam. Da war ihre Rückkehr schon fast ein Kulturschock gewesen und auch wenn er nur zu gerne sofort seinen Rucksack wieder gepackt hätte, so plagte ihn das schlechte Gewissen. War er sein Leben lang ein treuer und loyaler Soldat gewesen, welcher brav alle Befehle befolgt hatte. Eigentlich der krasse Gegensatz zum freiheitsliebenden Noel und doch hatte ihre Reise bewiesen, das sie ein perfektes Team waren. Konnten sie sich schon vorher blind aufeinander verlassen, so hatte die Reise und seine neuen Fähigkeiten dafür gesorgt, das sie synchron agieren konnte, ohne gross miteinander zu reden. Selbst die telepathische Verständigung klappte immer besser, nachdem sie heraus gefunden hatten, das sich diese nicht nur auf den Vollmond beschränkte. Eine Fähigkeit, die ihnen gepaart mit den Instinkten der Katze durchaus zum Vorteil gereichen würde.
Umso mehr verwirrte ihn auch die plötzliche Stille, die vom Sensor ausging. Nahm die Katze doch deutlich eine Bedrohung wahr und warnte ihn, während das Wunderwerk der Technik keinen einzigen Mucks von sich gab. Nichts destotrotz verliess er sich auf den tierischen Instinkt, da die Katze mehr wahr nahm, als er mit seinen menschlichen Sinnen. Dennoch verliess er sich nicht einzig und allein auf sie, sondern beobachtete jeden Winkel gründlich und penibel, so wie er es schon seit seiner Jugend getan hatte. Sollte man sich doch nie vollkommen auf einen Sinn verlassen, sondern immer auf sämtliche Eventualitäten vorbereitet sein.
Doch was sie diesmal vor fanden, schien eher aus einem schlecht geschriebenen Teeniehorrorfilm zu stammen. Eine uralte, verlassene Villa samt überwucherten Garten und mitten drin eine junge Frau, die scheinbar in Blut gebadet zu haben schien. Innerlich schnaubte er fast schon amüsiert auf, denn noch mehr Klischee ging nun echt nicht mehr, ausser wenn vielleicht noch irgend ein durchgeknallter Typ mit Maske und Messer um die Ecke gerannt kommen würde. Doch hier befanden sie sich in der Realität, so das bei ihm sämtliche Alarmglocken hellauf schrillten. Ruhig, scheinbar entspannt stand er hinter Noel, während die junge Frau sich langsam zu regen begann. "Kommt mir irgendwie vor, wie in einem dieser schrägen Horrorfilme, bei denen man einfach nur einen Lachanfall bekommen will" teilte er seine Gedanken ruhig mit ihm, ohne auch nur die Miene zu zucken. Konnten sie doch hinterher noch immer über die Absurdität lachen, jetzt mussten sie erst einmal heraus finden, was geschehen war.
Erst als die Frau vollends erwacht war und ihre Unschuld beteuerte schob er die kleinen Randgedanken beiseite und hockte sich beruhigend neben sie. "Mein Name ist Ryan und mein Kollege hinter mir heisst Noel. Dürfen wir erfahren wie sie heissen ?" fragte er mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen und versuchte zu ignorieren, wie verführerisch das ganze Blut an ihr roch. Brachte es doch absolut nichts sie mit Fragen zu bestürmen, solange sie sich zu Tode ängstigte. Somit musste erst eine Bindung aufgebaut werden, was scheinbar funktionierte, da sie ihren Namen verriet. "Freut uns sehr sie kennen zu lernen Chelsea" führte er ruhig und gelassen das gerade begonnene Gespräch fort, während er langsam aus seiner Jacke schlüpfte und sie behutsam um ihre Schultern legte. War ihre Gänsehaut mittlerweile fast schon in Granit gemeißelt und Gespräche mit klappernden Zähnen führte niemand sehr gerne. "Möchten sie uns erzählen was passiert ist ?" fuhr er ruhig fort, als die Jacke um ihre Schultern lag und ihr so wenigstens ein wenig Wärme spenden konnte. "Erinnern sie sich daran, wie sie hier her gekommen sind ?" harkte er direkter nach, ohne gleich auf das offensichtliche Blut hin zu weisen.

Chelsea Shadowhawk

Das Gefühl der Angst war wohl etwas, das jeder kannte und schon einmal in seinem Leben verspürt hatte. Selbst Kinder, die wohlbehütet und sorgenfrei aufwuchsen, wussten, was Angst ist - und wenn es nur die Furcht vor dem berühmten Monster unter dem Bett oder im Schrank war. Auch Chelsea hatte eine solche Phase durchlebt, bis sie irgendwann alt genug war, um zu wissen, dass es keine Monster unter dem Bett oder im Kleiderschrank gab. Mutig genug, um sich dieser Angst zu stellen und auf diese Weise zu sehen, dass sie unnötig war, war sie nie, genauso wenig wie in vielen anderen Situationen. Doch zum Glück war zumindest dies eine Angst, aus der man irgendwann herauswuchs, wenn man nicht mehr an Geister glaubte, sodass dieser Schrecken der Nacht verflog.
Angst einjagen konnten einem Monster und Geister dann nur noch in Form von Vergnügungsparks und Filmen, wenn die Mitglieder der Unterhaltungsindustrie mit dieser Urangst spielten, um den Menschen einen Adrenalinkick zu verpassen. Chelsea war nie ein Fan davon, auch wenn sie wusste, dass es nicht echt war, doch sie konnte Horrorfilmen und dergleichen noch nie etwas abgewinnen - noch weniger seit sie sich selbst vor ein paar Jahren in einer Situation befand, die gut solch einem Film entsprungen sein konnte. Und heute ein weiteres Mal. Nur mit dem Unterschied, dass es sich hierbei um die Realität und nicht um Fiktion handelte. Sowohl Geister als auch andere Wesen waren real und wer wusste das besser als Chelsea, die selbst ein Teil davon war.
Abrupt wurde sie aus diesem Gedanken gerissen und für einen kleinen Moment war sie froh darüber - bis sie spürte, was der Auslöser dafür war. Es war, als würden eiskalte Hände nach ihr greifen. Die Gänsehaut vergrößerte sich, wo sie sie berührten. Chelsea zitterte noch mehr, was nicht an der Kälte lag, die ihr unter die Sachen und in die Knochen kroch, sondern viel mehr an der Macht, die mit ihr einherging. Sie zog an ihr, wollte sie näher zum Haus und weg von den Männern bringen und genau diese Tatsache ließ die frösteln. Im Normalfall war sie nicht für übernatürliche Energien empfänglich, doch diese spürte sie ganz genau. Ihr Mund wurde trocken und ihr Puls und ihre Atmung beschleunigten sich. Die Panik, die sie in diesem Moment ergriff, war beinahe übermächtig. So sehr, dass sie für einen Moment vergaß, dass sie blutbesudelt auf dem Gehweg saß. Sie fuhr sich mit den Händen über ihre Oberarme, verteilte unbewusst das noch nicht getrocknete Blut auf ihrer Haut, und blickte vorsichtig über die Schulter zurück zum Haus. Dunkel, verlassen und still lag es vor ihr, sodass Passanten ihm nur einen flüchtigen Blick widmeten, doch sie spürte das Böse, das von ihm ausging. Dasselbe Böse wie damals. Das Böse, das sie ihres freien Willens beraubte und ihr Leben vollkommen auf den Kopf stellte...
Starr verharrte ihr Blick auf den dunklen Fenstern, die für sie in diesem Moment wie schwarze Augen wirkten, die sie beobachteten. Als würde das Haus leben. Chelsea schluckte trocken und war nicht imstande sich abzuwenden. Bis zu dem Moment, in dem einer der Männer das Wort an sie richtete, sie beide vorstellte und nach ihrem eigenen Namen fragte.
Noel…
Alleine der Klang des Namens brachte in ihr etwas zum schwingen und vertrieb die Kälte aus ihren Gliedern. Auch die Angst flachte ab und obwohl ihr Verstand wusste, dass es nicht dieser Noel war und sein konnte, löste sich ihr Blick von dem Haus und heftete sich auf den Mann, der noch immer vor ihr stand. Für den Bruchteil einer Sekunde spürte sie trotz allem Hoffnung in sich aufsteigen. Hoffnung, die bereits einen Augenblick später wie eine Seifenblase vor ihr zerplatzte, als sie ihm ins Gesicht blickte und dabei einen völlig Unbekannten sah.
Wieso hast du auch auf ihn gehofft? Er ist weg.
Chelsea wusste, dass ihre innere Stimme recht hatte. Alleine der Gedanke daran, zu hoffen, er könnte jetzt hier sein, war sinnlos und doch sehnte sich ein kleiner Teil von ihr danach, er wäre jetzt hier und würde die Schatten vertreiben. Warum sie glaubte, dass er das könnte, konnte sie nicht erklären, denn sie kannte ihn kaum. Sie hatte ihn lediglich während der Ermittlungen rund um das Verschwinden einer Kommilitonin kennengelernt und doch hatte sie während dieser Zeit immer ein tiefes Gefühl der Sicherheit bei ihm verspürt. Andere mochten sie dafür für verrückt erklären, wenn man bedachte, dass es sich bei Noel nicht nur um einen Polizisten sondern auch um einen Höllenhund handelte, doch das war ihr egal. Für sie war er eine Person, bei der sie spürte, dass sie ihm vertrauen konnte. Bei ihm wäre es ihr wohl leicht gefallen, ihm zu erzählen, was geschehen war.
Doch er war es nicht, der vor ihr stand...
"Chelsea…", murmelte sie leise, während sie enttäuscht den Kopf senkte. Kaum hatte sie dies getan, wurde sie sich ihrer Situation wieder bewusst. Die Kälte und die Panik, die der Gedanke an Noel vertrieben hatte, kehrten zurück und ließen sie erneut frösteln. Eine Gänsehaut lief über ihren Rücken, als sie auch das Böse wieder hinter sich spürte und der Drang in ihr aufkam, hier zu verschwinden. Nur am Rande bekam sie Ryans Geste mit, der ihr seine Jacke über die Schultern legte.
"Danke…", antwortete sie automatisch, während das Bedürfnis mit jeder Sekunde und jedem Atemzug immer größer wurde. Dass die beiden wissen wollten, was geschehen war und ihr versicherten, dass sie nur helfen wollten, hörte sie, doch sie war kaum imstande einen klaren Gedanken abseits einer Flucht zu fassen. Nur wo sollte sie hin? Nach Hause? Schon bei der Vorstellung sperrte sich alles in ihr dagegen, denn dort war sie alleine. Kurz tauchte das Bild von Sienna vor ihrem inneren Auge auf und ihr kam die Idee, zu ihr zu gehen. Doch auch diese verwarf sie sofort wieder. Chelsea wollte ihre beste Freundin nicht in Gefahr bringen. Zudem würde sie in ihrem Zustand nur Fragen aufwerfen. Fragen, die sie ihr gegenüber nicht beantworten konnte, ohne sie anlügen zu müssen, denn Sienna in die übernatürliche Welt zu ziehen oder sie womöglich sogar zu verletzen, war das Letzte, was sie wollte.
Trotz all dieser Überlegungen und der fehlenden Alternativen wurde der Drang nicht kleiner. Kurz blickte sie zu den beiden Männern - erst zu Noel und anschließend zu Ryan. Sie wollten ihr helfen, doch konnten sie das überhaupt? Konnte sie ihnen erzählen, was geschehen war, ohne dass diese sie für verrückt erklärten? Ob sie Menschen oder Wesen waren und ob sie wussten, dass es mehr zwischen Himmel und Hölle gab, konnte sie nicht sagen. Doch egal, was zutraf, auch die beiden wollte sie nicht in Gefahr bringen, denn war es überhaupt möglich ihr zu helfen, wenn diese Macht wieder Besitz von ihr ergriff?
Chelsea wusste auch das nicht. Nur eines war ihr bewusst: Sie wollte hier weg und Abstand zu dem Haus bekommen.
"Ich muss hier weg…", gab sie von sich, krallte ihre Finger in die Lederjacke und zog sie damit enger um sich. Neben dem Geruch ihres eigenen Blutes stieg ihr auch ein anderer in die Nase, bei dem sie nicht auf Anhieb sagen konnte, um was es sich dabei handelte. Er erinnerte sie an frühere Besuche im Zoo, doch was dies zu bedeuten hatte, war im Moment nicht weiter wichtig, weshalb sie nicht weiter darüber nachdachte.