Crispin Cipriano
21.06.2021, 22:45
Destroyed…
》A broken heart is the worst.
It's like having broken ribs.
Nobody can see it but the pain is unbearable every time you breath…《
》You don't die from a broken heart… you only wish you did.《
_____________________________________
Komm sofort in die Praxis. Ich muss mit dir reden.
Hope
》A broken heart is the worst.
It's like having broken ribs.
Nobody can see it but the pain is unbearable every time you breath…《
》You don't die from a broken heart… you only wish you did.《
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An manchen Tagen hatte man bereits nach dem Aufstehen das Gefühl, man wäre lieber liegen geblieben und hätte weitergeschlafen. Es beschlich einen das Gefühl, dass etwas passieren würde, dass einem nicht gefiel. Etwas, dass das ganze Leben verändern könnte. Einem den Boden unter den Füßen wegriss und einen anschließend gebrochen und blutend dort zurückließ, ohne dass es einen Weg gab, um wieder aufzustehen, sodass man kraft- und hoffnungslos einfach liegen blieb und aufgab.
Genau dieses Empfinden saß auch in Crispins Bauch, seit er am Morgen von Cookie geweckt wurde, indem sie sich schnurrend an ihn kuschelte, als wollte sie ihm sagen, dass es Zeit war, langsam aufzustehen. Zum Teil missmutig aber auf der anderen Seite auch äußerst bereitwillig kam er ihrer Aufforderung nach und rutschte aus dem Bett. Gähnend fuhr er sich mit den Händen übers Gesicht, um auch noch den letzten Rest Schlaf wegzuwischen, bevor er sich komplett erhob und langsam Richtung Tür lief. Dort angekommen ging sein Blick noch einmal zurück und blieb an der leeren Seite des Bettes hängen. Seine Finger krallten sich automatisch in das Holz der Tür und das Gefühl in ihm wurde stärker, dass etwas nicht stimmte. Bereits seit zwei Wochen war August nun schon unterwegs, um einen Dämon zu jagen. Eigentlich wollte er seiner Arbeit als Jäger nicht mehr nachgehen, da es seltsam war, diese Wesen zu jagen, wenn er am Abend zu ihm zurückkehrte. Eine gewisse Heuchelei lag darin und auch wenn es mit Sicherheit nicht viele Dämonen gab, die wie er waren, so konnte man doch nie sagen, ob es auf den, den man jagte, nicht ebenfalls zutraf. Die Jagd auf Dämonen war es im Grunde aber nicht, die ihn an der jetzigen Situation so unglaublich störte. Es war seine eigene Unfähigkeit, die ihn dazu verdammte, zurückzubleiben und tatenlos zu warten, bis sein Freund hoffentlich unbeschadet zurückkehrte. Diese Tatsache nagte schon bei seinem letzten Auftrag an ihm, der so kurz nach ihrer Versöhnung stattfand. Zu gerne hätte er ihn begleitet, doch er wäre nur eine Last gewesen und hätte vermutlich im Weg gestanden. Der kleine aber feine Unterschied zu jetzt war nur, dass er damals einen gewissen Zeitrahmen hatte, bei dem er wusste, dass August zurückkommen würde. Vier Tage. Diese waren die Hölle für ihn. Vor allem da es keine Möglichkeit gab, mit ihm in Kontakt zu treten.
Nun allerdings waren es bereits vierzehn Tage und er hatte keine Ahnung, wie lange er noch fort sein würde. Anfangs hatten sie abends noch telefoniert, doch nach einigen Tagen hatten sie mitbekommen, dass es die Sehnsucht nur noch vergrößerte, die Stimme des anderen zwar hören zu können, ihn aber nicht bei sich zu haben und so hatten sie die Telefonate eingestellt. Stattdessen wollte sich sein Freund voll und ganz auf den Auftrag konzentrieren, um ihn so schnell wie möglich beenden zu können. Auch das war bereits zehn Tage her und mit jedem weiteren, der verging, wurden die Sorge und die Sehnsucht größer. Er wollte einfach nur noch, dass er zurückkam...
Bei diesem Gedanken erhöhte er den Druck auf die Tür, bis das Holz anfing zu knarzen. Dieses Geräusch holte ihn jedoch auch ins Hier und Jetzt zurück und er ließ wieder locker.
“Es bringt nichts, darüber nachzudenken…”, murmelte er seufzend und ließ die Hand genauso sinken wie seinen Blick. August kam bestimmt bald zurück. Er musste einfach.
Einige Stunden später saß Crispin an seinem Laptop und versuchte, daran zu arbeiten. In der letzten Zeit hatte es ihn mehr abgelenkt und seinen Kopf besser beschäftigt, als das Klavier spielen. Doch heute wollte auch das einfach nicht klappen. Immer wieder gingen seine Gedanken zu August und der Frage, was er gerade machte und wie es ihm ging. Auf keine dieser Fragen würde er eine Antwort erhalten, denn Hope gab ihm keine Informationen darüber. Angeblich, um ihn im schlimmsten Fall nicht zu beunruhigen, aber ihm wäre es im Grunde um einiges lieber, zu wissen, was los war. Zudem verstärkte sich das ungute Gefühl in seinem Bauch mit jeder Stunde und gefühlt auch mit jeder Minute, die an diesem Tag verging. Ganz so, als wollte es ihm sagen, dass etwas Schreckliches geschehen war oder noch passieren würde.
Für einen kurzen Augenblick schloss er die Augen und biss sich auf die Unterlippe. Diese ganzen Gedanken machten ihn fertig, genauso wie seine Untätigkeit. Er hasste es, hier nur herumzusitzen und nichts anderes als das tun zu können. Das Vibrieren seines Handys in der Hosentasche ließ ihn die Augen wieder aufreißen und er angelte es sofort heraus. Es gab nicht viele Leute, die seine Nummer hatten und er hoffte tief in seinem Inneren, dass die Nachricht von August war, der ihm sagte, dass der Auftrag erledigt war und er bald zurück sein würde. Als er jedoch die Nummer auf dem Display sah, bildete sich ein Kloß in seinem Hals und das bedrückende Gefühl schlich sich von seinem Bauch langsam zu seinem Herzen. Mit zittrigen Fingern öffnete er die Nachricht und die Worte, die dort standen, machten es nicht besser.
Genau dieses Empfinden saß auch in Crispins Bauch, seit er am Morgen von Cookie geweckt wurde, indem sie sich schnurrend an ihn kuschelte, als wollte sie ihm sagen, dass es Zeit war, langsam aufzustehen. Zum Teil missmutig aber auf der anderen Seite auch äußerst bereitwillig kam er ihrer Aufforderung nach und rutschte aus dem Bett. Gähnend fuhr er sich mit den Händen übers Gesicht, um auch noch den letzten Rest Schlaf wegzuwischen, bevor er sich komplett erhob und langsam Richtung Tür lief. Dort angekommen ging sein Blick noch einmal zurück und blieb an der leeren Seite des Bettes hängen. Seine Finger krallten sich automatisch in das Holz der Tür und das Gefühl in ihm wurde stärker, dass etwas nicht stimmte. Bereits seit zwei Wochen war August nun schon unterwegs, um einen Dämon zu jagen. Eigentlich wollte er seiner Arbeit als Jäger nicht mehr nachgehen, da es seltsam war, diese Wesen zu jagen, wenn er am Abend zu ihm zurückkehrte. Eine gewisse Heuchelei lag darin und auch wenn es mit Sicherheit nicht viele Dämonen gab, die wie er waren, so konnte man doch nie sagen, ob es auf den, den man jagte, nicht ebenfalls zutraf. Die Jagd auf Dämonen war es im Grunde aber nicht, die ihn an der jetzigen Situation so unglaublich störte. Es war seine eigene Unfähigkeit, die ihn dazu verdammte, zurückzubleiben und tatenlos zu warten, bis sein Freund hoffentlich unbeschadet zurückkehrte. Diese Tatsache nagte schon bei seinem letzten Auftrag an ihm, der so kurz nach ihrer Versöhnung stattfand. Zu gerne hätte er ihn begleitet, doch er wäre nur eine Last gewesen und hätte vermutlich im Weg gestanden. Der kleine aber feine Unterschied zu jetzt war nur, dass er damals einen gewissen Zeitrahmen hatte, bei dem er wusste, dass August zurückkommen würde. Vier Tage. Diese waren die Hölle für ihn. Vor allem da es keine Möglichkeit gab, mit ihm in Kontakt zu treten.
Nun allerdings waren es bereits vierzehn Tage und er hatte keine Ahnung, wie lange er noch fort sein würde. Anfangs hatten sie abends noch telefoniert, doch nach einigen Tagen hatten sie mitbekommen, dass es die Sehnsucht nur noch vergrößerte, die Stimme des anderen zwar hören zu können, ihn aber nicht bei sich zu haben und so hatten sie die Telefonate eingestellt. Stattdessen wollte sich sein Freund voll und ganz auf den Auftrag konzentrieren, um ihn so schnell wie möglich beenden zu können. Auch das war bereits zehn Tage her und mit jedem weiteren, der verging, wurden die Sorge und die Sehnsucht größer. Er wollte einfach nur noch, dass er zurückkam...
Bei diesem Gedanken erhöhte er den Druck auf die Tür, bis das Holz anfing zu knarzen. Dieses Geräusch holte ihn jedoch auch ins Hier und Jetzt zurück und er ließ wieder locker.
“Es bringt nichts, darüber nachzudenken…”, murmelte er seufzend und ließ die Hand genauso sinken wie seinen Blick. August kam bestimmt bald zurück. Er musste einfach.
Einige Stunden später saß Crispin an seinem Laptop und versuchte, daran zu arbeiten. In der letzten Zeit hatte es ihn mehr abgelenkt und seinen Kopf besser beschäftigt, als das Klavier spielen. Doch heute wollte auch das einfach nicht klappen. Immer wieder gingen seine Gedanken zu August und der Frage, was er gerade machte und wie es ihm ging. Auf keine dieser Fragen würde er eine Antwort erhalten, denn Hope gab ihm keine Informationen darüber. Angeblich, um ihn im schlimmsten Fall nicht zu beunruhigen, aber ihm wäre es im Grunde um einiges lieber, zu wissen, was los war. Zudem verstärkte sich das ungute Gefühl in seinem Bauch mit jeder Stunde und gefühlt auch mit jeder Minute, die an diesem Tag verging. Ganz so, als wollte es ihm sagen, dass etwas Schreckliches geschehen war oder noch passieren würde.
Für einen kurzen Augenblick schloss er die Augen und biss sich auf die Unterlippe. Diese ganzen Gedanken machten ihn fertig, genauso wie seine Untätigkeit. Er hasste es, hier nur herumzusitzen und nichts anderes als das tun zu können. Das Vibrieren seines Handys in der Hosentasche ließ ihn die Augen wieder aufreißen und er angelte es sofort heraus. Es gab nicht viele Leute, die seine Nummer hatten und er hoffte tief in seinem Inneren, dass die Nachricht von August war, der ihm sagte, dass der Auftrag erledigt war und er bald zurück sein würde. Als er jedoch die Nummer auf dem Display sah, bildete sich ein Kloß in seinem Hals und das bedrückende Gefühl schlich sich von seinem Bauch langsam zu seinem Herzen. Mit zittrigen Fingern öffnete er die Nachricht und die Worte, die dort standen, machten es nicht besser.
Komm sofort in die Praxis. Ich muss mit dir reden.
Hope
Alleine diese zwei Sätze reichten aus, dass sich eine schlimme Vorahnung in ihm breit machte. Hope wollte ihm keine Informationen geben und plötzlich sollte er zu ihm kommen. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Dennoch warf er den Laptop so wie er war aufs Bett, schob das Handy zurück in seine Hosentasche und lief hinunter, um sich seine Schuhe anzuziehen und sich anschließend auf den Weg zu machen.
In Rekordzeit war er an der Tierarztpraxis angekommen. Während er unterwegs war, hatten sich seine Gedanken überschlagen und sein Kopf hatte ihn mit allen möglichen Dingen gequält, die ihm der Engel nun sagen könnte, sodass er nervlich jetzt schon am Ende war. Die Tür war offen und er ging einfach hinein. Zum Glück war Sonntag und die Praxis somit geschlossen, sodass niemand bis auf den Tierarzt da war. Dieser war im Wartezimmer nicht zu sehen, doch die Tür zu einem der Behandlungszimmer stand sperrangelweit auf. Ohne zu zögern lief er darauf zu und entdeckte Hope an seinem Schreibtisch über eine Akte gebeugt.
“Worüber wolltest du mit mir reden? Ich dachte, du sagst mir nichts, was den Auftrag betrifft.”
Hopes Blick löste sich von den Aufzeichnungen und heftete sich mit einer Ruhe auf ihn, die ihn selbst noch viel unruhiger werden ließ. Wenn es ihn beruhigen sollte, so tat es das nicht, denn er war sich sicher, dass ihn der andere nicht hierher zitieren würde, wenn es etwas völlig Belangloses war, was man auch am Telefon hätte besprechen können.
“Ich denke, es ist besser, wenn du dich hinsetzt. Es-”
“Jetzt hör mit dieser ärztlichen Beruhigungsscheiße auf und erzähl mir endlich, was du mir sagen wolltest!”, fuhr er ihm rüde ins Wort. Seine Geduld war schon seit Tagen strapaziert und dieses Getue half absolut nicht dabei, etwas daran zu ändern. Vor allem nicht, wenn sein zweiter abgebrochender Satz genau das war, was er dachte.
“Nun gut. Aber sag nicht, ich hätte dich nicht warnen wollen. Es geht um August… Er... hat den Auftrag nicht überlebt.”
Es brauchte einen schrecklich langen Augenblick, bis Crispin begriff, was ihm der andere da gerade gesagt hatte. Nur stückchenweise sickerte die Information in seinen Kopf und die Erkenntnis, was die Worte zu bedeuten hatten, dauerte noch sehr viel länger.
August… Nicht überlebt…
Ein eiskalter Griff legte sich um sein Herz und drohte es, zu zerquetschen. Das konnte nicht wahr sein... Das durfte nicht wahr sein!
Unfähig etwas zu sagen, starrte er den Tierarzt einfach nur an. Was sollte er dazu auch sagen? Er wollte es nicht wahrhaben. Wollte nicht akzeptieren, dass die Person, die er über alles liebte, nicht mehr leben sollte. Doch sein Unterbewusstsein schien es schneller zu begreifen und der Schmerz grub sich unnachgiebig und unaufhörlich immer tiefer in ihn, nahm ihm beinahe die Luft zum Atmen und die Kraft, aufrecht stehen zu bleiben, sodass er sich am Türrahmen abstützen musste.
“Crispin… Es tut mir leid…”
Es tut mir leid… Diese vier Worte reichten aus, um ihn aus seiner Starre zu holen und der Schmerz machte einem ganz anderen Gefühl Platz, dass sich nun seinen Weg an die Oberfläche bahnte: Wut. Grenzenlose Wut. Und er hieß sie willkommen. In diesem Moment war sie so viel besser als der alles lähmende Schmerz und sie verhinderte, dass er vor dem Engel zusammenbrach, denn sie hielt ihn auf den Beinen. Er ballte die Hände zu Fäusten, grub die Nägel in seine Haut und presste die Kiefer aufeinander, während sein Blick starr auf Hope gerichtet war.
“Es tut dir leid... Ist das dein verdammter Ernst?! Es tut dir leid! Wer hat August denn auf diese Mission geschickt?! Und das obwohl du ganz genau wusstest, dass er keine Dämonen mehr jagen wollte! Und dann sagst ausgerechnet du, es täte dir leid?!”
Mitgefühl legte sich in die braunen Augen seines Gegenübers und dies zu sehen, tat ihm noch viel mehr weh. Woher nahm er sich das Recht, ihn so anzusehen, obwohl er dafür verantwortlich war, dass sein Freund überhaupt auf diesen Dämon angesetzt wurde?
“Ich habe ihn lediglich gefragt, ob er den Auftrag übernehmen würde. Es war seine Entscheidung, zu gehen.”
“Seine Entscheidung…”, spuckte er ihm die Worte beinahe verächtlich vor die Füße. “Was hast du denn erwartet, was er tut, wenn du ihm erzählst, dass schon einige andere Engel gescheitert sind und viele unschuldige Leben auf dem Spiel stehen?! Hast du wirklich geglaubt, er geht dann einfach wieder nach Hause und tut nichts?! Wer von uns beiden kennt ihn länger?! Also versuch dich nicht damit herauszureden, er hätte eine Wahl gehabt! Und wieso überhaupt August? Wenn bereits andere vollwertige Engel bei dieser Aufgabe versagt haben - wie kamst du dann darauf, dass ausgerechnet ein gefallener Engel mit eingeschränkten Fähigkeiten dazu in der Lage wäre?! Und jetzt komm mir nicht damit, er wäre nun einmal einer der Besten! Das war er vielleicht mal, bevor ihn der hohe Rat für etwas aus dem Himmel geschmissen hat, für das er überhaupt nichts konnte! Wenn ihr bei den Aufträgen schon nicht komplett auf ihn verzichten könnt, obwohl ihr ihn habt fallen lassen, dann wäre es nur fair, ihm wenigstens seine Fähigkeiten wieder komplett zu überlassen! So war das von Anfang an eine Selbstmordmission! Wenn ihr also jemandem die Schuld an seinem Tod geben wollt, dann fangt nicht bei dem Dämon an, den er jagen sollte, sondern bei euch, denn ihr habt ihm auf dem Gewissen!”
Mit jedem Satz und jedem einzelnen Wort spürte Crispin, wie die Wut zu bröckeln begann und dem Schmerz wieder das Feld überließ. Tränen brannten ihm bereits in den Augen, doch er hielt sie standhaft zurück. Er durfte und wollte nicht weinen. Nicht hier. Nicht jetzt. Nicht vor dem Engel, der dafür verantwortlich war, dass ihm das genommen wurde, was ihm am meisten bedeutete.
“Und so etwas nennt sich bester Freund…”, gab er etwas leiser von sich, bevor er sich abwandte und die Tierarztpraxis verließ.
So schnell wie er konnte, bahnte er sich einen Weg zurück nach Hause. Immer wieder wollten sich Tränen aus seinen Augen lösen und behinderten beinahe schon seine Sicht, doch er blinzelte sie trotzig zurück. Normal war er niemand, der einfach weinte. Ganz egal, wie viel er schon hatte ertragen müssen, er weinte nicht. Erst, wenn das Fass überlief und alles zu viel wurde, brach er zusammen und konnte sich gegen den Impuls nicht mehr wehren. Das letzte Mal war es, als er erfuhr, dass er daran schuld war, dass August und er solange in diesem Kriegszustand lebten und keinen vernünftigen Satz miteinander wechseln konnten, ohne dass sie sich gegenseitig Vorwürfe machten. Als er erfuhr, dass er damals manipuliert wurde und nur ein kleines Bauernopfer in einem viel größeren Plan war, riss es ihm den Boden unter den Füßen weg und er konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Doch August war für ihn da, tröstete ihn und versprach ihm, bei ihm zu bleiben. Für immer…
Dass dieses für immer nicht einmal so lange anhielt, wie ihr Streit gedauert hatte, damit hätte er niemals gerechnet. Wie auch? Im Nachhinein betrachtet war es sogar eine positive Wendung, dass er kein Mensch mehr war, denn so hatten sie nicht nur diese kurze Lebensspanne miteinander und der Gedanke, dass er wie jeder Mensch irgendwann sterben würde, hing nicht zwischen ihnen. Sie hätten eine Ewigkeit gehabt und alleine dieser Gedanke hatte ihn damals unglaublich glücklich gemacht. Doch nun sah es ganz anders aus. Nun war das alles einfach mit einem Schlag komplett weg…
Zu Hause angekommen riss Crispin die Tür auf und schlug sie hinter sich wieder zu. Eigentlich wollte er noch weiter laufen. Hinauf ins Schlafzimmer und sich dort verkrümeln, doch seine Beine gaben bereits direkt hinter der Tür unter ihm nach und er ließ sich mit dem Rücken daran auf den Boden fallen. In der Sicherheit und Abgeschiedenheit seiner eigenen vier Wände hatte er keine Kraft mehr, sich dem Schmerz zu widersetzen, der sich wieder erbarmungslos in ihm zeigte und sein Herz umklammerte. Er zog die Beine an den Körper, vergrub seine Hände in den Haaren und versuchte, sich so klein wie möglich zu machen. Ganz so als könnte er sich so vor dem Schmerz schützen, aber das konnte er nicht. Anders als bei seinen unzähligen Schlägereien kam er nicht von außen sondern von innen und er zeigte keine Gnade. Auch die Tränen konnte er nicht mehr zurückhalten. Sie liefen über, suchten sich ihren Weg seine Wangen hinab und tropften auf seinen Hoodie und seine Hose. Erst nur ein paar, doch dann wurden es immer mehr und er ergab sich ihnen einfach. Versuchte nicht mehr, sie aufzuhalten, denn auch dafür fehlte ihm schlicht die Kraft.
Sekunden wurden zu Minuten und zu Stunden. Crispin verlor vollkommen das Zeitgefühl, während er in dem kurzen Flur saß. Er wusste nicht, wie lange er bereits wieder hier war und es interessierte ihn auch nicht. Warum auch? Auch dass Cookie zwischendurch zu ihm kam, ihn begrüßte und sich eng neben ihn legte, als wollte sie ihn trösten, bekam er nicht mit. Der Schmerz lähmte ihn. Machte es ihm unmöglich, sich zu bewegen oder auch nur anständig zu atmen.
Erst eine gefühlte Ewigkeit später - die Sonne war bereits untergegangen und alles um ihn herum dunkel - versiegten die Tränen langsam, hinterließen nur noch eine brennende, eingetrocknete Spur auf seinen Wangen. Nur mühsam schaffte er es, seine Finger aus seinen Haaren zu lösen und den Kopf zu heben. Auch wenn er nicht wusste, wie lange er so da saß, musste es eine ganz Weile gewesen sein, denn seine Gelenke taten ihm weh und sein ganzer Körper schmerzte, als er versuchte, langsam aufzustehen. Dennoch rappelte er sich auf, wodurch sich Cookie ebenfalls erhob und ihn leise anmauzte. Doch er schenkte ihr keine Beachtung, lief stattdessen auf wackeligen Beinen hinauf in sein Schlafzimmer, wobei er sich immer wieder am Treppengeländer abstützen und teilweise hinaufziehen musste. Er fühlte sich schlapp und ausgelaugt, doch er schaffte es nach oben und in dem Zimmer angekommen fiel sein Blick genau wie am Morgen auf die Seite des Bettes, auf der August normalerweise schlief. Statt dem Engel lag jedoch nur dessen Kuscheldecke dort und erneut brannten Tränen in seinen Augen. Es war verwunderlich, dass er überhaupt noch welche hatte, so viele wie er an diesem Tag bereits vergossen hatte, doch sein Körper produzierte unaufhörlich neue, die sich erneut ihren Weg an die Oberfläche suchten.
Mit langsamen Schritten lief er auf das Bett zu und griff nach der Decke. Er knautschte sie mit beiden Händen zusammen und drückte sein Gesicht hinein. Der süßliche Vanilleduft, der immer von August ausging, haftete noch leicht an ihr und ließ den Schmerz noch um einiges stärker werden und die Tränen erneut laufen. Crispin ließ sich auf die Knie fallen und folgte dem Impuls, der sich in ihm zusätzlich aufbaute, indem er all seine Gefühle - den Schmerz, die Wut und noch so vieles mehr - hinausschrie. Der Stoff der Decke dämpfte den Schrei, doch das hielt ihn nicht davon ab, es immer und immer wieder zu tun, bis seine Stimmbänder ebenfalls weh taten und sich sein Hals komplett rau und kratzig anfühlte.
Was sollte er nur machen? Wie sollte er ohne August weiter machen? Er war alles für ihn. Alles, wofür er gekämpft und gelebt hatte, seit sie sich begegnet waren. Ganz egal, wie sehr er damals auch gedacht hatte, er könnte ihm ewig aus dem Weg gehen und ohne ihn leben, er konnte es nicht. Egal, wie sehr er dachte, er würde ihn hassen, weil er glaubte, er hätte ihn fallen lassen. Egal, wie sehr er dachte, er könnte ihn für alles, was er ihm angetan hatte und sich später als Irrtum herausstellte, töten. Er konnte es nicht...
Der Engel war sein Leben. Sein Zufluchtsort, zu dem er gehen konnte, wenn sein Kopf keine Ruhe gab. Die Person, die ihn besser als jeder andere kannte und wusste, wie er mit ihm umgehen musste. Die Person, die wusste, warum er sich so verhielt, wie er es anderen gegenüber tat, und der einzige, der auch die andere Seite von ihm kannte. Vor ihm musste er sich nicht verstecken, musste nicht ständig den Starken spielen, da der andere ganz genau wusste, dass es in ihm etwas gab, dass das komplette Gegenteil von stark war. August war sein Zuhause.
War er also dazu in der Lage, ohne ihn zu leben? Die Ewigkeit, die er eigentlich mit ihm verbringen wollte, nun ohne ihn zu erleben?
Nein…
Diese Antwort kam ihm so plötzlich in den Sinn und Crispin wusste, dass sie stimmte, ohne dass er lange darüber nachdenken musste. Er konnte es nicht… Eigentlich war er niemand, der einfach aufgab. Egal, wie schwer etwas war, er gab nicht auf. Ab und an musste man einen anderen Weg suchen, um an sein Ziel zu kommen, aber aufzugeben war nie eine Alternative, auch wenn es bereits schon einmal einen Moment gab, in dem er daran gedacht hatte. Damals, als alles auf der Kippe stand, als ein einzelnes Handy darüber entschied, was aus August und ihm werden würde. Schon damals hatte er kurzzeitig daran gedacht, alles hinzuschmeißen, wenn sich herausgestellt hätte, dass er falsch lag und Aspen den anderen nicht verraten hatte. Später erfuhr er, dass sein Freund den Kontakt komplett abgebrochen hätte, wenn dies der Fall gewesen wäre, da dieses ganze hin und her zwischen ihnen an ihrer beider Nerven und Kräfte zehrte. Sie kaputt machte. Die Vermutung hatte er allerdings schon, bevor sie wussten, was auf Aspens Handy war und somit hatte sich schon da der Gedanke in seinen Kopf geschlichen, dann einfach aufzugeben. Tief in seinem Inneren wusste er jedoch, dass er nicht dauerhaft aufgegeben hätte. Wie zwei Magnete zogen sie sich an und früher oder später hätte er wieder Augusts Nähe gesucht - ganz egal, ob dieser dagegen war oder nicht. So seltsam das auch klang, es hätte trotzdem die Hoffnung gegeben, dass sich ihre Situation noch zum Guten ändern könnte.
Diese Hoffnung gab es jetzt jedoch nicht… Es gab keinen anderen Weg, keine Möglichkeit, etwas an der Situation zu ändern. August war tot und er kam nicht zurück. Nie wieder…
Das Schluchzen, das Crispin über die Lippen kam, wurde beinahe vollständig von der Decke geschluckt, die er noch immer vor sein Gesicht hielt. Seine Tränen hatte sie an einigen Stellen bereits komplett durchgeweicht und der Stoff fühlte sich unangenehm feucht an. Wegnehmen wollte er sie allerdings nicht, auch wenn sie ihm das Atmen schwer machte. Erst das Vibrieren seines Handys brachte ihn dazu, seine auf dem Boden kauernde Haltung aufzugeben und sich etwas aufzurichten. An sich war es vollkommen egal, wer ihn gerade versuchte, zu erreichen, denn die Person, von der er einen Anruf erwartete, konnte es nicht mehr sein. Da ihn allerdings das Vibrieren nervte, holte er das kleine Mobilgerät aus seiner Tasche und ohne darauf zu schauen, wer es war, drückte er den Anruf einfach weg. Anschließend warf er es aufs Bett und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. Diese taten bereits ebenfalls weh und waren geschwollen. Ein leichter Kopfschmerz machte sich hinter seiner Stirn bemerkbar, doch das alles war nichts im Vergleich zu dem Schmerz, der hinter seinen Rippen saß und ihn bei jedem Atemzug daran erinnerte, was er verloren hatte.
Einige Minuten lang hockte Crispin noch auf dem Boden, starrte mit ausdruckslosen Augen vor sich hin und fällte dann eine Entscheidung. Mühsam stand er auf, ignorierte seine schmerzenden Knie und lief beinahe wie ferngesteuert aus dem Raum und hinunter ins Wohnzimmer. Dort schnappte er sich die Transportbox, die Cookie als eine Art Höhle diente, stellte sie auf den Tisch und suchte anschließend nach der kleinen Fellnase. Diese saß in der Küche am Fenster und schien nicht zu ahnen, was er vorhatte. Was gut für ihn war, denn so war es einfacher für ihn. Er nahm sie auf die Arme, drückte seine Nase in ihr weiches Fell und murmelte ein leises Es tut mir leid, während er zurück ins Wohnzimmer lief und sie in die Box packte. Sie wehrte sich ein wenig, meckerte und versuchte sich mit den Pfoten auf dem Rand des oberen Teils der Box abzustützen. Crispin gab allerdings nicht nach und so saß sie wenig später immer noch mauzend in der geschlossenen Transportbox. Er konnte nicht leugnen, dass sie ihm leid tat, doch bei dem, was er vorhatte, war es besser so für sie. Schließlich wollte er nicht, dass sie vollkommen alleine war. Das war sie während ihrer Zeit als Straßenkatze schon zu lange.
Sein Weg führte ihn direkt zu Chelsea. Eine junge Hexe, die schon während des Urlaubs von August und ihm in Italien auf Cookie aufgepasst hatte. Zu Beginn war er skeptisch, wollte die Kleine niemand anderem überlassen, doch sie hatten keine andere Wahl, denn sie mitzunehmen, war nicht möglich. Zudem hatte Cookie ein gewisses Talent, in den unpassendsten Momenten zu stören und nach Aufmerksamkeit zu bitten. Die Erinnerung an ihren Urlaub, in dem sie endlich ungestört und weit weg von ihren Problemen Zeit verbringen konnten riss eine weitere tiefe Wunde in sein Herz und er biss sich fest auf die Unterlippe. Er versuchte es zurückzudrängen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: Cookie zu Chelsea zu bringen, bei der sie gut aufgehoben sein würde. Zum Glück war sie scheinbar niemand, der sich ständig irgendwo herumtrieb, sodass sie zu Hause war, als er bei ihr ankam. Er drückte auf die Klingel und wartete ungeduldig darauf, dass sich die Tür öffnete. Bis auf den kurzen Augenblick, der durch die Erinnerung ausgelöst wurde, fühlte sich sein Inneres immer noch taub an, als hätte ihn sein Zusammenbruch zu schwach gemacht, um gerade irgendetwas zu empfinden. Nur der Schmerz war unterbewusst die ganze Zeit da, lähmte oder erdrückte ihn aber nicht. Andernfalls wäre er nicht im Stande, seinen spontanen Plan in die Tat umzusetzen.
Eine gefühlte Ewigkeit, die sich jedoch als nur ein oder zwei Minuten entpuppte, hörte er endlich Schritte und kurz darauf wurde die Tür geöffnet. So wie Chelsea aussah, wollte sie gerade mit einem Lächeln auf den Lippen zu einer Begrüßung ansetzen, doch sein Anblick musste so erbärmlich sein, dass ihr dieses verging und stattdessen Besorgnis in ihren Augen lag.
“Cris? Was machst du denn hier? Ist etwas passiert?”
Die Frage war berechtigt, denn obwohl sie bereits Katzensitter für Cookie gespielt hatte, belief sich ihr Kontakt nur auf das Nötigste und fand meist auch nur über August statt. Er war froh und ihr dankbar, dass sie sich so gut um seine kleine Mitbewohnerin gekümmert hatte, aber ansonsten hatte er nicht viel mit ihr zu tun, auch wenn ihre Gesellschaft angenehmer war, als die von vielen anderen. Statt ihr allerdings auf ihre Fragen - vor allem auf letztere - zu antworten, hielt er ihr die Transportbox vor die Nase und stellte sie dann einfach neben sie.
“Pass gut auf Cookie auf”, war alles, was er ihr entgegnete, bevor er auf dem Absatz kehrt machte und die Stufen der Veranda wieder hinunterlief.
“Warte doch mal. Was soll das bedeuten?”
Crispin reagierte nicht auf sie, hatte weder die Lust noch die Zeit, mit ihr zu diskutieren. Laut August war sie gut darin, Dinge zu durchschauen und zu kombinieren und er wollte nicht, dass sie erfuhr, was passiert war. Früher oder später würde sie es vielleicht von selbst merken. Außerdem wollte er nicht, dass sie ihm gut zuredete. Ihm sagte, dass Augusts Tod nicht das Ende der Welt war und alles wieder gut werden würde, denn genau das war es für ihn. Das Ende seiner Welt. Das Ende von allem, was er sich erträumt hatte und nichts würde jemals wieder gut werden. Nicht für ihn.
Ohne groß darauf zu achten, wer ihm entgegenkam, ob er jemanden anrempelte und dadurch verärgerte Kommentare erntete, bahnte er sich seinen Weg zurück in die Stadt und durch deren Straßen zu einem ganz bestimmten Ort. An jedem anderen Tag, an dem er Probleme hatte, hätte er die Bemerkungen dazu genutzt, eine Auseinandersetzung anzufangen, aber heute würde ihm dies nicht helfen. Daher ignorierte er es, lief einfach weiter, bis er zu dem Gebäude kam, zu dem er wollte. Das alte verlassene Atelier. Viele Erinnerungen verband er damit. Positive sowie negative, aber sehr viele von ihnen hatten mit August zu tun. Daher wurden seine Schritte langsamer, vorsichtiger, als es in sein Blickfeld kam. Wieder regte sich der Schmerz in ihm, versuchte erneut stärker zu werden und ihn unter sich zu begraben. Doch Crispin hielt ihm gerade so stand. Hier mitten auf der Straße wollte er keinen erneuten Zusammenbruch erleben, der sich jedoch mit jeder verstrichenen Sekunde deutlicher ankündigte. Daher kämpfte er gegen den Schmerz an, der ebenfalls mit jedem Schritt, den er auf das Atelier zutat, präsenter wurde, und beschleunigte sein Tempo wieder.
Im Inneren des Gebäudes lief er die Treppen hinauf und in den großen Raum hinein, in dem er früher so viel Zeit verbracht hatte. Staub tanzte durch die Luft, legte sich auf den Boden und die vereinzelten Möbelstücke, die sich hier befanden. Das alte Klavier hatte seinen Glanz durch die graue Schicht verloren, doch sein Blick blieb dennoch daran hängen. Es war das Klavier, auf dem er August so oft vorgespielt und an dem sie auch das erste Mal zusammen gespielt hatten. Automatisch ballte er seine Hände zu Fäusten, grub seine Nägel erneut in die Handinnenflächen. Dieses Mal jedoch so tief, dass die Haut aufriss und sich ein leichter metallischer Blutgeruch in der Luft breit machte. Zusätzlich schloss er die Augen und versuchte gegen den Schmerz zu atmen, so wie es Schwangere während einer Geburt tun sollten.
Konzentrier dich, Cris!, mahnte er sich selbst und nach einigen endlosen Minuten hatte er das Gefühl, wieder in die Taubheit zurückzukehren, die es ihm ermöglicht hatte, Cookie bei Chelsea abzugeben und hierher zu kommen. Vorsichtig, immer damit rechnend, dass der Schmerz vielleicht doch wieder die Oberhand gewann, lockerte er seine angespannten Muskeln und hob die Lider. Anschließend lief er geradewegs auf den schmalen Schrank zu, in dem sich einige Dinge befanden, die sie hier gelagert hatten. Kopfkissen, Decken, Verbandszeug, Handtücher. Alles, was gebraucht wurde, wenn er hier als Mensch auf dem abgewetzten Sofa übernachtete oder sich mit August traf und dieser ihn mal wieder zusammenflicken musste. Doch das war nicht alles, was dort lag. Auch der Dolch, mit dem er damals, als er den Engel in der dunklen Gasse wiedergesehen hatte, von diesem niedergestochen wurde, lagerte hier. Der andere hatte sich geweigert, ihn weiterhin bei sich zu haben, nachdem sie sich ausgesprochen und wieder versöhnt hatten. Stattdessen nutzte er nun einen anderen, der für Dämonen aber ebenso gefährlich und tödlich war. Dass der Dolch hier lag, kam ihm allerdings äußerst gelegen, denn wäre es anders und sein Freund hätte alle Waffen mit auf die Mission genommen, wäre es schwer geworden, seinen Plan so kurzfristig umzusetzen. Einen Engel dafür zu finden, der dies erledigte, wäre immerhin auch nicht so einfach gewesen und er hatte auch nicht vor, jemand anderen darum zu bitten. So erbärmlich wollte er dann doch nicht sein.
Mit dem Mithrildolch in der Hand verließ Crispin das Atelier wieder, lief um das Gebäude herum und näherte sich der Tür, die dort lag und zu den Wohnungen führte, die sich in den oberen Stockwerken befanden. Sie alle waren schon lange unbewohnt und das Schloss war schon mehrere Male aufgebrochen wurden. Nicht nur er hatte in diesem Gebäude des Öfteren Unterschlupf gesucht, sondern auch der eine oder andere Obdachlose, der sich vor der Witterung schützen wollte und einen trockenen und halbwegs windgeschützten Schlafplatz suchte. Noch immer, als wäre er wie ferngesteuert, nahm er zwei Treppenstufen auf einmal und wurde auch nicht langsamer, je höher er kam. Ganz im Gegenteil. Mit jedem Schritt wurde er gefühlt schneller, als würde ihn etwas nach oben ziehen oder von hinten schieben. Zeitgleich machte sich ein beinahe befreiendes Gefühl in ihm breit, dämpfte den Schmerz in seinem Herzen, der sich nur noch als zwar immer noch permanent vorhandener aber leichter Stich bemerkbar machte. Als wollte ihm sein Unterbewusstsein dazu bringen, es wirklich zu tun, indem es ihm zeigte, dass es das Richtige war und er sich besser fühlen würde.
Im letzten Stockwerk angekommen riss er dort die Tür zum Dach auf, spürte sofort die kalte Nachtluft, die ihm entgegenschlug und unter seine Kleidung kroch. Doch er spürte sie nicht. Sie störte ihn nicht. Stattdessen begrüßte er sie, denn auch sie betäubte den Schmerz zusätzlich, genauso wie seine Gefühle und Sinne. Nur wenige Meter trennten ihn noch von der halbhohen Mauer, die das Dach begrenzte und auf die er nun langsam zulief. Die Geräusche der Stadt drangen gedämpft an seine Ohren, doch er schenkte ihnen keine große Beachtung. Direkt an der Mauer blieb er stehen, setzte sich darauf und schwang die Beine darüber, sodass sie über dem Abgrund baumelten. Der Blick nach unten war schwindelerregend, lagen doch nun fünf Stockwerke zwischen ihm und dem Erdboden. Aber auch das störte ihn nicht.
Crispin schaute hinauf in den Himmel, während er gedankenverloren mit dem Dolch in seinen Händen spielte. Weder der Mond noch der Ansatz von Sternen waren zu sehen, da sich dicke dunkle Wolken davor bewegten, getrieben vom Wind, der sowohl an seinen Haaren als auch an seinem Hoodie zerrte.
“August…”, murmelte er so leise, dass er es selbst kaum hörte, doch es reichte vollkommen aus, um die Taubheit zu vertreiben und dem Schmerz ein weiteres und letztes Mal den Weg zu ebnen, von ihm Besitz zu ergreifen. Von den plötzlichen Gefühlen überwältigt, beugte er sich nach vorne und machte sich klein, hielt aber das Gleichgewicht, sodass er nicht herunterfiel. Die Kälte kroch ihm in die Knochen und suchte sich ihren Weg bis zu seinem Herzen, wo sie ihn noch mehr quälte. Wieder spürte er die Tränen in seinen Augen und wehrte sich nicht gegen sie. Wieso sollte er auch? Er war hier allein. Niemand sah ihn. Niemand merkte, wie schwach er im Moment war. Wie hilflos und verloren er sich ohne August fühlte.
“Es tut mir leid… Sicherlich würdest du jetzt sagen, dass ich nicht aufgeben soll… Dass ich weitermachen soll… Irgendwie…”
Seine Stimme war nur ein Flüstern, kaum wahrnehmbar unter dem Wind, doch er sprach einfach weiter, um zumindest einmal in Worte zu fassen, was gerade in ihm vorging.
“Aber ich kann es nicht… Seit ich dich getroffen habe, drehte sich mein Leben vor allem um dich. Du warst wie der zweite Teil meiner Seele, der mir so lange gefehlt hat. Ohne dich weiter zu machen ergibt einfach keinen Sinn…”
Langsam löste er seine Haltung, auch wenn die Kälte und der Wind somit wieder eine größere Angriffsfläche hatten und ihm eine Gänsehaut bescherten. Sein Blick wanderte hinauf zum Himmel und den Wolken die sich an ihm vorbei schoben.
“Egal, wo du jetzt bist… Ich hoffe, du kannst mir das irgendwann verzeihen… Ich liebe dich…”
Mit diesen Worten wischte er sich mit dem Ärmel seines Hoodies die Tränen aus dem Gesicht, auch wenn es nicht sehr viel brachte, da immer wieder neue kamen, und stand anschließend vorsichtig auf. Crispin ließ den Blick über die Hochhäuser der Stadt wandern, während er tief durchatmete und die Zähne zusammenbiss. Im nächsten Moment schloss er die Lider, stellte sich Augusts Gesicht vor seinem inneren Auge vor und positionierte den Dolch mit beiden Händen vor seinem Oberkörper. Dann ließ er sich fallen...
》All I want to do right now is cry and scream and let it all out because it's killing me inside.《
In Rekordzeit war er an der Tierarztpraxis angekommen. Während er unterwegs war, hatten sich seine Gedanken überschlagen und sein Kopf hatte ihn mit allen möglichen Dingen gequält, die ihm der Engel nun sagen könnte, sodass er nervlich jetzt schon am Ende war. Die Tür war offen und er ging einfach hinein. Zum Glück war Sonntag und die Praxis somit geschlossen, sodass niemand bis auf den Tierarzt da war. Dieser war im Wartezimmer nicht zu sehen, doch die Tür zu einem der Behandlungszimmer stand sperrangelweit auf. Ohne zu zögern lief er darauf zu und entdeckte Hope an seinem Schreibtisch über eine Akte gebeugt.
“Worüber wolltest du mit mir reden? Ich dachte, du sagst mir nichts, was den Auftrag betrifft.”
Hopes Blick löste sich von den Aufzeichnungen und heftete sich mit einer Ruhe auf ihn, die ihn selbst noch viel unruhiger werden ließ. Wenn es ihn beruhigen sollte, so tat es das nicht, denn er war sich sicher, dass ihn der andere nicht hierher zitieren würde, wenn es etwas völlig Belangloses war, was man auch am Telefon hätte besprechen können.
“Ich denke, es ist besser, wenn du dich hinsetzt. Es-”
“Jetzt hör mit dieser ärztlichen Beruhigungsscheiße auf und erzähl mir endlich, was du mir sagen wolltest!”, fuhr er ihm rüde ins Wort. Seine Geduld war schon seit Tagen strapaziert und dieses Getue half absolut nicht dabei, etwas daran zu ändern. Vor allem nicht, wenn sein zweiter abgebrochender Satz genau das war, was er dachte.
“Nun gut. Aber sag nicht, ich hätte dich nicht warnen wollen. Es geht um August… Er... hat den Auftrag nicht überlebt.”
Es brauchte einen schrecklich langen Augenblick, bis Crispin begriff, was ihm der andere da gerade gesagt hatte. Nur stückchenweise sickerte die Information in seinen Kopf und die Erkenntnis, was die Worte zu bedeuten hatten, dauerte noch sehr viel länger.
August… Nicht überlebt…
Ein eiskalter Griff legte sich um sein Herz und drohte es, zu zerquetschen. Das konnte nicht wahr sein... Das durfte nicht wahr sein!
Unfähig etwas zu sagen, starrte er den Tierarzt einfach nur an. Was sollte er dazu auch sagen? Er wollte es nicht wahrhaben. Wollte nicht akzeptieren, dass die Person, die er über alles liebte, nicht mehr leben sollte. Doch sein Unterbewusstsein schien es schneller zu begreifen und der Schmerz grub sich unnachgiebig und unaufhörlich immer tiefer in ihn, nahm ihm beinahe die Luft zum Atmen und die Kraft, aufrecht stehen zu bleiben, sodass er sich am Türrahmen abstützen musste.
“Crispin… Es tut mir leid…”
Es tut mir leid… Diese vier Worte reichten aus, um ihn aus seiner Starre zu holen und der Schmerz machte einem ganz anderen Gefühl Platz, dass sich nun seinen Weg an die Oberfläche bahnte: Wut. Grenzenlose Wut. Und er hieß sie willkommen. In diesem Moment war sie so viel besser als der alles lähmende Schmerz und sie verhinderte, dass er vor dem Engel zusammenbrach, denn sie hielt ihn auf den Beinen. Er ballte die Hände zu Fäusten, grub die Nägel in seine Haut und presste die Kiefer aufeinander, während sein Blick starr auf Hope gerichtet war.
“Es tut dir leid... Ist das dein verdammter Ernst?! Es tut dir leid! Wer hat August denn auf diese Mission geschickt?! Und das obwohl du ganz genau wusstest, dass er keine Dämonen mehr jagen wollte! Und dann sagst ausgerechnet du, es täte dir leid?!”
Mitgefühl legte sich in die braunen Augen seines Gegenübers und dies zu sehen, tat ihm noch viel mehr weh. Woher nahm er sich das Recht, ihn so anzusehen, obwohl er dafür verantwortlich war, dass sein Freund überhaupt auf diesen Dämon angesetzt wurde?
“Ich habe ihn lediglich gefragt, ob er den Auftrag übernehmen würde. Es war seine Entscheidung, zu gehen.”
“Seine Entscheidung…”, spuckte er ihm die Worte beinahe verächtlich vor die Füße. “Was hast du denn erwartet, was er tut, wenn du ihm erzählst, dass schon einige andere Engel gescheitert sind und viele unschuldige Leben auf dem Spiel stehen?! Hast du wirklich geglaubt, er geht dann einfach wieder nach Hause und tut nichts?! Wer von uns beiden kennt ihn länger?! Also versuch dich nicht damit herauszureden, er hätte eine Wahl gehabt! Und wieso überhaupt August? Wenn bereits andere vollwertige Engel bei dieser Aufgabe versagt haben - wie kamst du dann darauf, dass ausgerechnet ein gefallener Engel mit eingeschränkten Fähigkeiten dazu in der Lage wäre?! Und jetzt komm mir nicht damit, er wäre nun einmal einer der Besten! Das war er vielleicht mal, bevor ihn der hohe Rat für etwas aus dem Himmel geschmissen hat, für das er überhaupt nichts konnte! Wenn ihr bei den Aufträgen schon nicht komplett auf ihn verzichten könnt, obwohl ihr ihn habt fallen lassen, dann wäre es nur fair, ihm wenigstens seine Fähigkeiten wieder komplett zu überlassen! So war das von Anfang an eine Selbstmordmission! Wenn ihr also jemandem die Schuld an seinem Tod geben wollt, dann fangt nicht bei dem Dämon an, den er jagen sollte, sondern bei euch, denn ihr habt ihm auf dem Gewissen!”
Mit jedem Satz und jedem einzelnen Wort spürte Crispin, wie die Wut zu bröckeln begann und dem Schmerz wieder das Feld überließ. Tränen brannten ihm bereits in den Augen, doch er hielt sie standhaft zurück. Er durfte und wollte nicht weinen. Nicht hier. Nicht jetzt. Nicht vor dem Engel, der dafür verantwortlich war, dass ihm das genommen wurde, was ihm am meisten bedeutete.
“Und so etwas nennt sich bester Freund…”, gab er etwas leiser von sich, bevor er sich abwandte und die Tierarztpraxis verließ.
So schnell wie er konnte, bahnte er sich einen Weg zurück nach Hause. Immer wieder wollten sich Tränen aus seinen Augen lösen und behinderten beinahe schon seine Sicht, doch er blinzelte sie trotzig zurück. Normal war er niemand, der einfach weinte. Ganz egal, wie viel er schon hatte ertragen müssen, er weinte nicht. Erst, wenn das Fass überlief und alles zu viel wurde, brach er zusammen und konnte sich gegen den Impuls nicht mehr wehren. Das letzte Mal war es, als er erfuhr, dass er daran schuld war, dass August und er solange in diesem Kriegszustand lebten und keinen vernünftigen Satz miteinander wechseln konnten, ohne dass sie sich gegenseitig Vorwürfe machten. Als er erfuhr, dass er damals manipuliert wurde und nur ein kleines Bauernopfer in einem viel größeren Plan war, riss es ihm den Boden unter den Füßen weg und er konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Doch August war für ihn da, tröstete ihn und versprach ihm, bei ihm zu bleiben. Für immer…
Dass dieses für immer nicht einmal so lange anhielt, wie ihr Streit gedauert hatte, damit hätte er niemals gerechnet. Wie auch? Im Nachhinein betrachtet war es sogar eine positive Wendung, dass er kein Mensch mehr war, denn so hatten sie nicht nur diese kurze Lebensspanne miteinander und der Gedanke, dass er wie jeder Mensch irgendwann sterben würde, hing nicht zwischen ihnen. Sie hätten eine Ewigkeit gehabt und alleine dieser Gedanke hatte ihn damals unglaublich glücklich gemacht. Doch nun sah es ganz anders aus. Nun war das alles einfach mit einem Schlag komplett weg…
Zu Hause angekommen riss Crispin die Tür auf und schlug sie hinter sich wieder zu. Eigentlich wollte er noch weiter laufen. Hinauf ins Schlafzimmer und sich dort verkrümeln, doch seine Beine gaben bereits direkt hinter der Tür unter ihm nach und er ließ sich mit dem Rücken daran auf den Boden fallen. In der Sicherheit und Abgeschiedenheit seiner eigenen vier Wände hatte er keine Kraft mehr, sich dem Schmerz zu widersetzen, der sich wieder erbarmungslos in ihm zeigte und sein Herz umklammerte. Er zog die Beine an den Körper, vergrub seine Hände in den Haaren und versuchte, sich so klein wie möglich zu machen. Ganz so als könnte er sich so vor dem Schmerz schützen, aber das konnte er nicht. Anders als bei seinen unzähligen Schlägereien kam er nicht von außen sondern von innen und er zeigte keine Gnade. Auch die Tränen konnte er nicht mehr zurückhalten. Sie liefen über, suchten sich ihren Weg seine Wangen hinab und tropften auf seinen Hoodie und seine Hose. Erst nur ein paar, doch dann wurden es immer mehr und er ergab sich ihnen einfach. Versuchte nicht mehr, sie aufzuhalten, denn auch dafür fehlte ihm schlicht die Kraft.
Sekunden wurden zu Minuten und zu Stunden. Crispin verlor vollkommen das Zeitgefühl, während er in dem kurzen Flur saß. Er wusste nicht, wie lange er bereits wieder hier war und es interessierte ihn auch nicht. Warum auch? Auch dass Cookie zwischendurch zu ihm kam, ihn begrüßte und sich eng neben ihn legte, als wollte sie ihn trösten, bekam er nicht mit. Der Schmerz lähmte ihn. Machte es ihm unmöglich, sich zu bewegen oder auch nur anständig zu atmen.
Erst eine gefühlte Ewigkeit später - die Sonne war bereits untergegangen und alles um ihn herum dunkel - versiegten die Tränen langsam, hinterließen nur noch eine brennende, eingetrocknete Spur auf seinen Wangen. Nur mühsam schaffte er es, seine Finger aus seinen Haaren zu lösen und den Kopf zu heben. Auch wenn er nicht wusste, wie lange er so da saß, musste es eine ganz Weile gewesen sein, denn seine Gelenke taten ihm weh und sein ganzer Körper schmerzte, als er versuchte, langsam aufzustehen. Dennoch rappelte er sich auf, wodurch sich Cookie ebenfalls erhob und ihn leise anmauzte. Doch er schenkte ihr keine Beachtung, lief stattdessen auf wackeligen Beinen hinauf in sein Schlafzimmer, wobei er sich immer wieder am Treppengeländer abstützen und teilweise hinaufziehen musste. Er fühlte sich schlapp und ausgelaugt, doch er schaffte es nach oben und in dem Zimmer angekommen fiel sein Blick genau wie am Morgen auf die Seite des Bettes, auf der August normalerweise schlief. Statt dem Engel lag jedoch nur dessen Kuscheldecke dort und erneut brannten Tränen in seinen Augen. Es war verwunderlich, dass er überhaupt noch welche hatte, so viele wie er an diesem Tag bereits vergossen hatte, doch sein Körper produzierte unaufhörlich neue, die sich erneut ihren Weg an die Oberfläche suchten.
Mit langsamen Schritten lief er auf das Bett zu und griff nach der Decke. Er knautschte sie mit beiden Händen zusammen und drückte sein Gesicht hinein. Der süßliche Vanilleduft, der immer von August ausging, haftete noch leicht an ihr und ließ den Schmerz noch um einiges stärker werden und die Tränen erneut laufen. Crispin ließ sich auf die Knie fallen und folgte dem Impuls, der sich in ihm zusätzlich aufbaute, indem er all seine Gefühle - den Schmerz, die Wut und noch so vieles mehr - hinausschrie. Der Stoff der Decke dämpfte den Schrei, doch das hielt ihn nicht davon ab, es immer und immer wieder zu tun, bis seine Stimmbänder ebenfalls weh taten und sich sein Hals komplett rau und kratzig anfühlte.
Was sollte er nur machen? Wie sollte er ohne August weiter machen? Er war alles für ihn. Alles, wofür er gekämpft und gelebt hatte, seit sie sich begegnet waren. Ganz egal, wie sehr er damals auch gedacht hatte, er könnte ihm ewig aus dem Weg gehen und ohne ihn leben, er konnte es nicht. Egal, wie sehr er dachte, er würde ihn hassen, weil er glaubte, er hätte ihn fallen lassen. Egal, wie sehr er dachte, er könnte ihn für alles, was er ihm angetan hatte und sich später als Irrtum herausstellte, töten. Er konnte es nicht...
Der Engel war sein Leben. Sein Zufluchtsort, zu dem er gehen konnte, wenn sein Kopf keine Ruhe gab. Die Person, die ihn besser als jeder andere kannte und wusste, wie er mit ihm umgehen musste. Die Person, die wusste, warum er sich so verhielt, wie er es anderen gegenüber tat, und der einzige, der auch die andere Seite von ihm kannte. Vor ihm musste er sich nicht verstecken, musste nicht ständig den Starken spielen, da der andere ganz genau wusste, dass es in ihm etwas gab, dass das komplette Gegenteil von stark war. August war sein Zuhause.
War er also dazu in der Lage, ohne ihn zu leben? Die Ewigkeit, die er eigentlich mit ihm verbringen wollte, nun ohne ihn zu erleben?
Nein…
Diese Antwort kam ihm so plötzlich in den Sinn und Crispin wusste, dass sie stimmte, ohne dass er lange darüber nachdenken musste. Er konnte es nicht… Eigentlich war er niemand, der einfach aufgab. Egal, wie schwer etwas war, er gab nicht auf. Ab und an musste man einen anderen Weg suchen, um an sein Ziel zu kommen, aber aufzugeben war nie eine Alternative, auch wenn es bereits schon einmal einen Moment gab, in dem er daran gedacht hatte. Damals, als alles auf der Kippe stand, als ein einzelnes Handy darüber entschied, was aus August und ihm werden würde. Schon damals hatte er kurzzeitig daran gedacht, alles hinzuschmeißen, wenn sich herausgestellt hätte, dass er falsch lag und Aspen den anderen nicht verraten hatte. Später erfuhr er, dass sein Freund den Kontakt komplett abgebrochen hätte, wenn dies der Fall gewesen wäre, da dieses ganze hin und her zwischen ihnen an ihrer beider Nerven und Kräfte zehrte. Sie kaputt machte. Die Vermutung hatte er allerdings schon, bevor sie wussten, was auf Aspens Handy war und somit hatte sich schon da der Gedanke in seinen Kopf geschlichen, dann einfach aufzugeben. Tief in seinem Inneren wusste er jedoch, dass er nicht dauerhaft aufgegeben hätte. Wie zwei Magnete zogen sie sich an und früher oder später hätte er wieder Augusts Nähe gesucht - ganz egal, ob dieser dagegen war oder nicht. So seltsam das auch klang, es hätte trotzdem die Hoffnung gegeben, dass sich ihre Situation noch zum Guten ändern könnte.
Diese Hoffnung gab es jetzt jedoch nicht… Es gab keinen anderen Weg, keine Möglichkeit, etwas an der Situation zu ändern. August war tot und er kam nicht zurück. Nie wieder…
Das Schluchzen, das Crispin über die Lippen kam, wurde beinahe vollständig von der Decke geschluckt, die er noch immer vor sein Gesicht hielt. Seine Tränen hatte sie an einigen Stellen bereits komplett durchgeweicht und der Stoff fühlte sich unangenehm feucht an. Wegnehmen wollte er sie allerdings nicht, auch wenn sie ihm das Atmen schwer machte. Erst das Vibrieren seines Handys brachte ihn dazu, seine auf dem Boden kauernde Haltung aufzugeben und sich etwas aufzurichten. An sich war es vollkommen egal, wer ihn gerade versuchte, zu erreichen, denn die Person, von der er einen Anruf erwartete, konnte es nicht mehr sein. Da ihn allerdings das Vibrieren nervte, holte er das kleine Mobilgerät aus seiner Tasche und ohne darauf zu schauen, wer es war, drückte er den Anruf einfach weg. Anschließend warf er es aufs Bett und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. Diese taten bereits ebenfalls weh und waren geschwollen. Ein leichter Kopfschmerz machte sich hinter seiner Stirn bemerkbar, doch das alles war nichts im Vergleich zu dem Schmerz, der hinter seinen Rippen saß und ihn bei jedem Atemzug daran erinnerte, was er verloren hatte.
Einige Minuten lang hockte Crispin noch auf dem Boden, starrte mit ausdruckslosen Augen vor sich hin und fällte dann eine Entscheidung. Mühsam stand er auf, ignorierte seine schmerzenden Knie und lief beinahe wie ferngesteuert aus dem Raum und hinunter ins Wohnzimmer. Dort schnappte er sich die Transportbox, die Cookie als eine Art Höhle diente, stellte sie auf den Tisch und suchte anschließend nach der kleinen Fellnase. Diese saß in der Küche am Fenster und schien nicht zu ahnen, was er vorhatte. Was gut für ihn war, denn so war es einfacher für ihn. Er nahm sie auf die Arme, drückte seine Nase in ihr weiches Fell und murmelte ein leises Es tut mir leid, während er zurück ins Wohnzimmer lief und sie in die Box packte. Sie wehrte sich ein wenig, meckerte und versuchte sich mit den Pfoten auf dem Rand des oberen Teils der Box abzustützen. Crispin gab allerdings nicht nach und so saß sie wenig später immer noch mauzend in der geschlossenen Transportbox. Er konnte nicht leugnen, dass sie ihm leid tat, doch bei dem, was er vorhatte, war es besser so für sie. Schließlich wollte er nicht, dass sie vollkommen alleine war. Das war sie während ihrer Zeit als Straßenkatze schon zu lange.
Sein Weg führte ihn direkt zu Chelsea. Eine junge Hexe, die schon während des Urlaubs von August und ihm in Italien auf Cookie aufgepasst hatte. Zu Beginn war er skeptisch, wollte die Kleine niemand anderem überlassen, doch sie hatten keine andere Wahl, denn sie mitzunehmen, war nicht möglich. Zudem hatte Cookie ein gewisses Talent, in den unpassendsten Momenten zu stören und nach Aufmerksamkeit zu bitten. Die Erinnerung an ihren Urlaub, in dem sie endlich ungestört und weit weg von ihren Problemen Zeit verbringen konnten riss eine weitere tiefe Wunde in sein Herz und er biss sich fest auf die Unterlippe. Er versuchte es zurückzudrängen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: Cookie zu Chelsea zu bringen, bei der sie gut aufgehoben sein würde. Zum Glück war sie scheinbar niemand, der sich ständig irgendwo herumtrieb, sodass sie zu Hause war, als er bei ihr ankam. Er drückte auf die Klingel und wartete ungeduldig darauf, dass sich die Tür öffnete. Bis auf den kurzen Augenblick, der durch die Erinnerung ausgelöst wurde, fühlte sich sein Inneres immer noch taub an, als hätte ihn sein Zusammenbruch zu schwach gemacht, um gerade irgendetwas zu empfinden. Nur der Schmerz war unterbewusst die ganze Zeit da, lähmte oder erdrückte ihn aber nicht. Andernfalls wäre er nicht im Stande, seinen spontanen Plan in die Tat umzusetzen.
Eine gefühlte Ewigkeit, die sich jedoch als nur ein oder zwei Minuten entpuppte, hörte er endlich Schritte und kurz darauf wurde die Tür geöffnet. So wie Chelsea aussah, wollte sie gerade mit einem Lächeln auf den Lippen zu einer Begrüßung ansetzen, doch sein Anblick musste so erbärmlich sein, dass ihr dieses verging und stattdessen Besorgnis in ihren Augen lag.
“Cris? Was machst du denn hier? Ist etwas passiert?”
Die Frage war berechtigt, denn obwohl sie bereits Katzensitter für Cookie gespielt hatte, belief sich ihr Kontakt nur auf das Nötigste und fand meist auch nur über August statt. Er war froh und ihr dankbar, dass sie sich so gut um seine kleine Mitbewohnerin gekümmert hatte, aber ansonsten hatte er nicht viel mit ihr zu tun, auch wenn ihre Gesellschaft angenehmer war, als die von vielen anderen. Statt ihr allerdings auf ihre Fragen - vor allem auf letztere - zu antworten, hielt er ihr die Transportbox vor die Nase und stellte sie dann einfach neben sie.
“Pass gut auf Cookie auf”, war alles, was er ihr entgegnete, bevor er auf dem Absatz kehrt machte und die Stufen der Veranda wieder hinunterlief.
“Warte doch mal. Was soll das bedeuten?”
Crispin reagierte nicht auf sie, hatte weder die Lust noch die Zeit, mit ihr zu diskutieren. Laut August war sie gut darin, Dinge zu durchschauen und zu kombinieren und er wollte nicht, dass sie erfuhr, was passiert war. Früher oder später würde sie es vielleicht von selbst merken. Außerdem wollte er nicht, dass sie ihm gut zuredete. Ihm sagte, dass Augusts Tod nicht das Ende der Welt war und alles wieder gut werden würde, denn genau das war es für ihn. Das Ende seiner Welt. Das Ende von allem, was er sich erträumt hatte und nichts würde jemals wieder gut werden. Nicht für ihn.
Ohne groß darauf zu achten, wer ihm entgegenkam, ob er jemanden anrempelte und dadurch verärgerte Kommentare erntete, bahnte er sich seinen Weg zurück in die Stadt und durch deren Straßen zu einem ganz bestimmten Ort. An jedem anderen Tag, an dem er Probleme hatte, hätte er die Bemerkungen dazu genutzt, eine Auseinandersetzung anzufangen, aber heute würde ihm dies nicht helfen. Daher ignorierte er es, lief einfach weiter, bis er zu dem Gebäude kam, zu dem er wollte. Das alte verlassene Atelier. Viele Erinnerungen verband er damit. Positive sowie negative, aber sehr viele von ihnen hatten mit August zu tun. Daher wurden seine Schritte langsamer, vorsichtiger, als es in sein Blickfeld kam. Wieder regte sich der Schmerz in ihm, versuchte erneut stärker zu werden und ihn unter sich zu begraben. Doch Crispin hielt ihm gerade so stand. Hier mitten auf der Straße wollte er keinen erneuten Zusammenbruch erleben, der sich jedoch mit jeder verstrichenen Sekunde deutlicher ankündigte. Daher kämpfte er gegen den Schmerz an, der ebenfalls mit jedem Schritt, den er auf das Atelier zutat, präsenter wurde, und beschleunigte sein Tempo wieder.
Im Inneren des Gebäudes lief er die Treppen hinauf und in den großen Raum hinein, in dem er früher so viel Zeit verbracht hatte. Staub tanzte durch die Luft, legte sich auf den Boden und die vereinzelten Möbelstücke, die sich hier befanden. Das alte Klavier hatte seinen Glanz durch die graue Schicht verloren, doch sein Blick blieb dennoch daran hängen. Es war das Klavier, auf dem er August so oft vorgespielt und an dem sie auch das erste Mal zusammen gespielt hatten. Automatisch ballte er seine Hände zu Fäusten, grub seine Nägel erneut in die Handinnenflächen. Dieses Mal jedoch so tief, dass die Haut aufriss und sich ein leichter metallischer Blutgeruch in der Luft breit machte. Zusätzlich schloss er die Augen und versuchte gegen den Schmerz zu atmen, so wie es Schwangere während einer Geburt tun sollten.
Konzentrier dich, Cris!, mahnte er sich selbst und nach einigen endlosen Minuten hatte er das Gefühl, wieder in die Taubheit zurückzukehren, die es ihm ermöglicht hatte, Cookie bei Chelsea abzugeben und hierher zu kommen. Vorsichtig, immer damit rechnend, dass der Schmerz vielleicht doch wieder die Oberhand gewann, lockerte er seine angespannten Muskeln und hob die Lider. Anschließend lief er geradewegs auf den schmalen Schrank zu, in dem sich einige Dinge befanden, die sie hier gelagert hatten. Kopfkissen, Decken, Verbandszeug, Handtücher. Alles, was gebraucht wurde, wenn er hier als Mensch auf dem abgewetzten Sofa übernachtete oder sich mit August traf und dieser ihn mal wieder zusammenflicken musste. Doch das war nicht alles, was dort lag. Auch der Dolch, mit dem er damals, als er den Engel in der dunklen Gasse wiedergesehen hatte, von diesem niedergestochen wurde, lagerte hier. Der andere hatte sich geweigert, ihn weiterhin bei sich zu haben, nachdem sie sich ausgesprochen und wieder versöhnt hatten. Stattdessen nutzte er nun einen anderen, der für Dämonen aber ebenso gefährlich und tödlich war. Dass der Dolch hier lag, kam ihm allerdings äußerst gelegen, denn wäre es anders und sein Freund hätte alle Waffen mit auf die Mission genommen, wäre es schwer geworden, seinen Plan so kurzfristig umzusetzen. Einen Engel dafür zu finden, der dies erledigte, wäre immerhin auch nicht so einfach gewesen und er hatte auch nicht vor, jemand anderen darum zu bitten. So erbärmlich wollte er dann doch nicht sein.
Mit dem Mithrildolch in der Hand verließ Crispin das Atelier wieder, lief um das Gebäude herum und näherte sich der Tür, die dort lag und zu den Wohnungen führte, die sich in den oberen Stockwerken befanden. Sie alle waren schon lange unbewohnt und das Schloss war schon mehrere Male aufgebrochen wurden. Nicht nur er hatte in diesem Gebäude des Öfteren Unterschlupf gesucht, sondern auch der eine oder andere Obdachlose, der sich vor der Witterung schützen wollte und einen trockenen und halbwegs windgeschützten Schlafplatz suchte. Noch immer, als wäre er wie ferngesteuert, nahm er zwei Treppenstufen auf einmal und wurde auch nicht langsamer, je höher er kam. Ganz im Gegenteil. Mit jedem Schritt wurde er gefühlt schneller, als würde ihn etwas nach oben ziehen oder von hinten schieben. Zeitgleich machte sich ein beinahe befreiendes Gefühl in ihm breit, dämpfte den Schmerz in seinem Herzen, der sich nur noch als zwar immer noch permanent vorhandener aber leichter Stich bemerkbar machte. Als wollte ihm sein Unterbewusstsein dazu bringen, es wirklich zu tun, indem es ihm zeigte, dass es das Richtige war und er sich besser fühlen würde.
Im letzten Stockwerk angekommen riss er dort die Tür zum Dach auf, spürte sofort die kalte Nachtluft, die ihm entgegenschlug und unter seine Kleidung kroch. Doch er spürte sie nicht. Sie störte ihn nicht. Stattdessen begrüßte er sie, denn auch sie betäubte den Schmerz zusätzlich, genauso wie seine Gefühle und Sinne. Nur wenige Meter trennten ihn noch von der halbhohen Mauer, die das Dach begrenzte und auf die er nun langsam zulief. Die Geräusche der Stadt drangen gedämpft an seine Ohren, doch er schenkte ihnen keine große Beachtung. Direkt an der Mauer blieb er stehen, setzte sich darauf und schwang die Beine darüber, sodass sie über dem Abgrund baumelten. Der Blick nach unten war schwindelerregend, lagen doch nun fünf Stockwerke zwischen ihm und dem Erdboden. Aber auch das störte ihn nicht.
Crispin schaute hinauf in den Himmel, während er gedankenverloren mit dem Dolch in seinen Händen spielte. Weder der Mond noch der Ansatz von Sternen waren zu sehen, da sich dicke dunkle Wolken davor bewegten, getrieben vom Wind, der sowohl an seinen Haaren als auch an seinem Hoodie zerrte.
“August…”, murmelte er so leise, dass er es selbst kaum hörte, doch es reichte vollkommen aus, um die Taubheit zu vertreiben und dem Schmerz ein weiteres und letztes Mal den Weg zu ebnen, von ihm Besitz zu ergreifen. Von den plötzlichen Gefühlen überwältigt, beugte er sich nach vorne und machte sich klein, hielt aber das Gleichgewicht, sodass er nicht herunterfiel. Die Kälte kroch ihm in die Knochen und suchte sich ihren Weg bis zu seinem Herzen, wo sie ihn noch mehr quälte. Wieder spürte er die Tränen in seinen Augen und wehrte sich nicht gegen sie. Wieso sollte er auch? Er war hier allein. Niemand sah ihn. Niemand merkte, wie schwach er im Moment war. Wie hilflos und verloren er sich ohne August fühlte.
“Es tut mir leid… Sicherlich würdest du jetzt sagen, dass ich nicht aufgeben soll… Dass ich weitermachen soll… Irgendwie…”
Seine Stimme war nur ein Flüstern, kaum wahrnehmbar unter dem Wind, doch er sprach einfach weiter, um zumindest einmal in Worte zu fassen, was gerade in ihm vorging.
“Aber ich kann es nicht… Seit ich dich getroffen habe, drehte sich mein Leben vor allem um dich. Du warst wie der zweite Teil meiner Seele, der mir so lange gefehlt hat. Ohne dich weiter zu machen ergibt einfach keinen Sinn…”
Langsam löste er seine Haltung, auch wenn die Kälte und der Wind somit wieder eine größere Angriffsfläche hatten und ihm eine Gänsehaut bescherten. Sein Blick wanderte hinauf zum Himmel und den Wolken die sich an ihm vorbei schoben.
“Egal, wo du jetzt bist… Ich hoffe, du kannst mir das irgendwann verzeihen… Ich liebe dich…”
Mit diesen Worten wischte er sich mit dem Ärmel seines Hoodies die Tränen aus dem Gesicht, auch wenn es nicht sehr viel brachte, da immer wieder neue kamen, und stand anschließend vorsichtig auf. Crispin ließ den Blick über die Hochhäuser der Stadt wandern, während er tief durchatmete und die Zähne zusammenbiss. Im nächsten Moment schloss er die Lider, stellte sich Augusts Gesicht vor seinem inneren Auge vor und positionierte den Dolch mit beiden Händen vor seinem Oberkörper. Dann ließ er sich fallen...
》All I want to do right now is cry and scream and let it all out because it's killing me inside.《