Wind Beyond Shadows

Normale Version: This is a revolution that will never end
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Staub rieselte herab, ließ ihn unterdrückt niesen, als er das alte, abgegriffene Buch aus dem Regal zog. Leiste knisterte der Einband, als wolle er ihn warnen, nicht all zu grob zu werke zu gehen. Der Zahn der Zeit hatte das Leder brüchig werden lassen.
Zar fand, das es höchste Zeit wurde, es zum Restaurator zu bringen. Zu Gute kam, das er sich recht gut mit diesem verstand, was an und für sich schon seltsam war, wenn man die Tatsache ins Auge fasse, dass er um alles und jeden einen Bogen schlug. Menschen hatten die Eigenschaft, zu viel wissen zu wollen, zu neugierig zu sein und auch noch nachzuhaken, wenn man ihnen keinen strikten Riegel vorschob. Stellte man zu viele Fragen, machte man sich bei ihm recht unbeliebt, war er doch keiner, der unnötige Worte machte, plauderte.... Obwohl er so alt war, so viel erlebt hatte, war ihm die zeit zu wichtig, als das er sie mit nichtssagenden Worten vergeuden wollte, die keinen nutzen hatten.
Er ging mit dem Buch zu seinem schweren Schreibtisch, der aus massiven, sehr seltenem Holz gefertigt worden war und wohl ein Vermögen kostete, sollte er ihn veräußern wollen, und legte das Buch auf die glatte Obsidian-Platte. Danach umrundete er ihn und setzte sich in den bequemen, dazu passenden Stuhl, der zum verweilen einlud, jedoch nur dafür gedacht war, es bei der Arbeit recht bequem zu haben. Aus einer integrierten Schublade, holte er eine Folie, sowie ein weißes Seidentuch, in das er das Buch sorgfältig einschlug, ehe er es in die Folie tütete. Die zum Buch gehörigen Papiere, fischte er aus dem Regel hinter sich, in dem er sich kurz herumdrehte, einen Ordner nahm, dessen Inhalt nur er kannte. Es mochte nicht den Anschein machen, doch alles in seinem Laden war penibel sortiert, geordnet und verstaut; einer Routine entsprungen, die ihn beruhigte.
Als das kleine Päckchen fertig war, schob er es zur Kante des Tisches und machte sich auf den Weg in die kleine Küchenzeile, wo er das Fenster einen Spalt öffnete und sich einen Kaffee aufsetzte. Die Zeit nahm er sich einfach. Ihn trieb nichts zur Eile, obwohl es einiges gab, was er hätte erledigen müssen. Neben dem kleinen Botengang, den er dazu nutzen würde, um sich die Stadt ein wenig anzusehen, die Freiheit auf dem Motorrad zu genießen, wäre da noch ein Anstandsbesuch.
Schon länger umtrieb ihn der Gedanke, sich bei Sin zu melden und doch... er tat es nicht. Er war niemand, der sich nach einer Erledigung zurückmeldete, um zu verkünden, das er bereit für neue Aufgaben war. Auch war er nicht in der Position, sich für seine Anwesenheit zu rechtfertigen oder zu erklären. Was also solle er sagen? Dazu kam, das Sin anderes zu tun hatte, als ihn zu begrüßen. Nicht zuletzt wollte er sich erst mal einleben, ehe er alte Bande wieder verknüpfte. Was nutzte all das, wenn er feststellte, das das Leben als Mensch ihm nicht zusagte und er die Zelte wieder abbrach, um in seine Traumwelt, in der er sich so wohl fühlte, zurückkehren wollte? Zwilling hin oder her... Sie waren keine Kinder mehr. Seit ihrem letzten Treffen waren einige Jahrzehnte ins Land gezogen. Zugegeben, er war nicht ganz unschuldig daran, aber er hatte die Jahre gebraucht.

Sin

Neuanfänge waren immer mit Überraschungen verbunden, doch gemessen an dem, was ihm auf der Hinreise widerfahren war, konnte man den momentanen Alltag fast nur als langweilig bezeichnen. Tatsächlich hatte der Mensch, welchen er gerettet hatte, sich entschlossen ihm zu folgen, was durchaus amüsant war, wenn man bedachte, das er vorher fast wie im Mittelalter gelebt hatte, nur um sich in einem funkelnden Casino wieder zu finden, welches ihm doch glatt den Atem geraubt hatte. Dennoch hielt er sich durchaus tapfer, während er sich um seine Geschäfte kümmerte und ihn oft allein liess. Schliesslich war er kein Babysitter oder dergleichen.
So widmete er sich ohne Bedenken denn noch offenen Aufgaben, auch wenn er insgeheim zugeben musste, das seine Leute ganze Arbeit geleistet hatten. Waren doch weder Kosten noch Mühen gescheut wurden, um das Casino zu einer einzigartigen Mischung aus Antike und Moderne zu machen, ohne das es schier vor Kitsch triefte, wie es in vielen Filmen der Fall war. Nichts destotrotz kam auch er um den ganzen Behördenkram nicht herum, welcher mal wieder Stunden seines Lebens gekostet hatte. Verschwinden gering, wenn man unsterblich war und schon seid Jahrhunderten auf der Erde wandelte und doch nervten ihn solche Kleinigkeiten, welche eine sinnlose Zeitverschwendung zu sein schienen. Natürlich hätte er es sich auch einfacher machen und alle manipulieren können, doch wie der klägliche Rest der Götter, so versuchte auch er möglichst unauffällig zwischen den Menschen zu wandeln und keine all zu grosse Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Doch für heute waren endlich alle nervigen Aufgaben erledigen, so das er sich einer anderen Herzensangelegenheit annehmen konnte. Hatten die Trottel von der Transportfirma doch den Fehler gemacht seinen heissgeliebten Schreibtisch nicht richtig zu sichern, so das dieser einen irreparablen Schaden genommen hatte und ersetzt werden musste. Eigentlich war es mehr als nur lächerlich sein Herz an einen Gegenstand zu verlieren und doch überflutete ihn Wehmut, wenn er an das geliebte Stück dachte, welches ihn seit so vielen Jahrhunderten begleitet hatte. Ein Kunststück aus Kirschbaumholz, massiv und einzigartig mit all seinen Schnitzereien. Zerstört durch die Unachtsamkeit einer Spezies, die nicht länger lebte als ein Wimpernschlag.
Doch zu seinem Glück schien seine neue Heimat ein Mekka der Antiquitätenläden zu sein, so das er nicht vollkommen die Hoffnung aufgegeben hatte, vielleicht doch etwas vergleichbares wieder zu finden. Doch mit jeder vergangenen Stunde, mit jedem weiteren Laden sank seine Hoffnung. Galt bei den Menschen doch schon alles als Antiquität, sofern es älter als 40 oder 50 Jahren war. Nicht unbedingt realistisch, so das er sich auch diesmal keine all zu grosse Hoffnung machte. Hatte er heute doch per Zufall einen Flyer entdeckt, welcher für einen neuen Antiquitätenladen warb. Erst wollte er ihn einfach achtlos zerknüllen und in den Müll werfen, doch irgendetwas hielt ihn davon ab. Den Grund dafür konnte er nicht wirklich benennen, war es doch eher ein nicht greifbares Gefühl, welches er nicht genauer definieren oder gar beschreiben konnte. Surreal und verrückt, selbst für seine Verhältnisse.
So zögerte er den Augenblick hinaus und lief erst stundenlang ziellos durch die Strassen, eh er tatsächlich den Weg zur der auf den Flyer angegebenen Adresse einschlug. Je näher er dem Laden kam, umso mehr verstärkte sich das Gefühl, ohne das er es beschreiben konnte. Als er schliesslich die Klinke herunter drückte und das übliche Klingeln der kleinen Glocke über dieser erklang schlug ihm das Herz wahrlich bis zu den Ohren hinauf. Unruhe breitete sich im Herzen des uralten Gottes aus, welche im Bruchteil eines Augenblickes wie weg gewischt wurde, als er den Klang einer Stimme hörte, die er hier niemals erwartet hatte.
"Bei allen Göttern des Pantheons was treibst du hier ?!?!" fauchte er eiskalt, als er sich plötzlich scheinbar seinem Spiegelbild gegenüber stand. Doch nicht ein Spiegel spielte ihm hier einen Streich, sondern sein viel zu lange verschollener Bruder, dessen grösster Spass es wohl war ihn in den Wahnsinn zu treiben. "Das kann doch nur ein übler Scherz sein, denn ansonsten will ich wissen was du in den verdammten letzten Jahrzehnten getrieben hast ?" forderte er zu wissen, und starrte ihn grimmig an, auch wenn er innerlich froh und erleichtert darüber war ihn endlich wieder zu sehen. Doch noch all der langen Zeit der Funkstille würde er ihn nicht freudestrahlend in die Arme schliessen.
Kleine hellbraune Bläschen schwammen in dem dunklen Getränk und bildeten jedes mal aufs Neue ein Muster, je nach dem, wie er die Tasse hielt. Es hatte etwas faszinierendes, beruhigendes, ja sogar etwas einlullendes, aber nichts, worin er sich verlieren wollte. Selbst eine kleine, so unbedeutende Sache brachte eine Saiten in ihm zu klingen, die er nicht in Schwingung geraten haben wollte. Schwarz, dunkel, die Abwesenheit von Geräuschen. Eine Stille, die zermürbend war.
Fast schon rigoros stellte er die Tasse zur Seite, ohne auch nur einen Schluck davon zu nehmen. Doch was sollte er tun, um sich soweit abzulenken, das die Teile seines Selbst, wieder tief in den Hintergrund seines Bewusstseins zurück sanken? Arbeit, die ihn insoweit ablenkten, stand gerade nicht an. Um seine Erledigungen zu machen, war noch Zeit... Zar fühlte sich zusehends, wie ein eingesperrtes Tier, welches auf der vergeblichen Suche nach einem Ausgang, immer hektischer wurde.
Er blieb stehen. Schloss die Augen und atmete einige Male durch. Ein hilfloser Versuch, zu sich selbst zu finden, das wusste er. Das Leben, so friedlich es auch war, konnte dennoch schwierig und tükisch sein. Die Dämonen, mit denen er lebte, der Dämon, zu dem er geworden war, waren allgegenwärtig. Dennoch war es jeden Tag aufs Neue ein Kampf, ungewissen Ausmaßes.
So sehr er mit sich selbst beschäftigt war, bemerkte er die ungewisse Anspannung nicht, die sich ihm bemächtigen wollte, wurde sie doch überlagert, ja fast erstickt. Ob es an der Zeit lang, die in Sekunde dahin strichen, oder eventuell an der abnehmenden Distanz, wusste er nicht, jedoch wurde das Gefühl stärker. Schließlich konnte er es nicht mehr ignorieren. Misstrauen wuchs in ihm, ebenso wie die Anspannung, die ihn fast dazu verleiten wollte, zu flüchten. Für diesen Fall hatte er er eine Hintertür, die er geschickt genug getarnt hatte, so dass diese sich perfekt in das Gesamtbild einfügte und offensichtlich zu sehen und gleichzeitig unsichtbar war. Vor offenen Augen verborgen.
Die Glocke ging, als sich die Tür öffnete. Zar war zum zerreißen gespannt und im Begriff aufzuspringen, zu flüchten und auf dem weg nach draußen, irgendwas nach dem Eindringling zu werfen, um sich Zeit zu verschaffen. Selbst eine Druckwelle wäre möglich, denn einen Gedanken daran, hierhinter ein Mensch zu spielen, verschwendete er nicht. Irgendein Unfall würde dafür verantwortlich gemacht werden, denn was das anging, waren die Menschen wirklich erfinderisch.
Was dann kam, damit hatte er gerechnet, klar, aber nicht schon heute! In ein paar Wochen vielleicht, Monate, war doch sein Laden nicht gerade das Etablissement, welches rege besucht war. Davon abzusehen, das er nicht den einzigen Antikladen betrieb. Seine Schätze waren echt und dementsprechend hochpreisig. Nicht das, was sich jeder leisten konnte...
Nach außen vollkommen ruhig, ließ er nichts von dem kalten Sturm, der in ihm tobte, ihn zu verschlingen und in den schwarzen, Bodenlosen Abgrund hinabzureißen drohte, anmerken. Kurz hielt er die Luft an, zauberte dann aber ein Lächeln auf die Lippen. Ein krasser Gegensatz, der nicht passen wollte, gleich wie sehr man ihn drehte oder wendete. Zar war es gleich.
Er drehte sich seinem Kunden zu, ganz der nette Verkäufer, der seinem Kunden weiterhelfen wollte. Seine Schritte führten ihn jedoch nur soweit, das seine Züge im Schatten des Raumes zur Hälfte verschluckt wurden. Lediglich seine Lippen waren zu sehen. Selbst hatte er einen perfekten Blick auf seinen Gegenüber. Würde man es nicht besser wissen, könnte man annehmen, er schaue in einen Spiegel... das Haar saß ein wenig anders, auch war der Bart ein wenig üppiger, doch sonst glich der Eine dem Anderen.
„Willkommen im Immortal, was kann ich für dich tun?“, wollte er formvollendet wissen, nicht die Absicht habend, das Spiel so schnell aufzugeben, bot es doch genug Tarnung, um sich selbst wieder zu fangen. Nicht leicht, aber Nötig. Hier passierte etwas, worauf er sich hatte vorbereiten wollen, was nun aber so überraschend kam, als hätte man ihn von der Karibik in die Arktis versetzt.
„Kein Scherz, was die Erklärung also erübrigt.“, nahm er bereitwillig den kleinen Fluchtweg an, den Sin ihm bot, wenn auch vollkommen unwissend, zu sehr von seinen Emotionen mitgerissen. Wortklaubereien, natürlich und dennoch willkommen. Wie sollte man auch erklären, das man sich nicht mehr verstecken und sich in einem normalen Leben probieren wollte. Purer Wahnsinn, wenn man vom erlebten ausging. Ein normales Leben würde er nie führen können. Seine Seele war verderbten und kaputt, durchdrungen und verschlungen vom Bösesten, was existieren mochte. Und es steckte etwas davon in ihm....