Wind Beyond Shadows

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Crispin Cipriano

"Nein! Vergiss es! Kommt überhaupt nicht in Frage, dass ich dort hingehe!", fauchte Crispin und zerriss die Einladung, die er wenige Minuten zuvor aus dem Briefkasten geholt hatte. Die daraus resultierenden Papierfetzen ließ er einfach fallen, sodass sie sich wie Konfetti über dem Boden seines Wohnzimmers verteilten. Anschließend blickte er zu Aiden hinüber, der ihn soeben gefragt hatte, ob er mit ihm und den anderen auf den Geburtstag seines Vaters ging, um ihm diesen zu vermiesen. Dank der Einladung, die ursprünglich an Cyrian adressiert war, schlussendlich durch einen Nachsendeauftrag aber doch bei ihm landete, wäre dies ein Leichtes für ihn, die anderen mit hineinzuschmuggeln, denn gemeinsam mit den Angaben zu Ort und Zeit der Party gab es auch einen individuellen Login für eine Internetseite, die nur für diesen Anlass erstellt wurde und auf der man weitere Begleitpersonen auf die Gästeliste setzen konnte. Bei Cyrian ging man offensichtlich davon aus, dass dieser nicht mit dem Pöbel verkehrte und somit niemanden mitbrachte, der unangenehm auffallen könnte.
Ganz anders als bei dir, flüsterte seine innere Stimme und erinnerte ihn damit daran, wie sehr er die gut betuchte Gesellschaft verabscheute und es bestärkte ihn in seinem Beschluss, keinen Fuß auf das Anwesen zu setzen, auf dem die Feierlichkeiten stattfinden sollten.
"Ich mache das Ganze auch ohne dich, aber mit dir wird es um einiges einfacher. Ich dachte, ich kann in diesem Punkt auf dich setzen, weil wir in etwa dasselbe empfinden, wenn es um diese reichen Schnösel geht. Es ist eine großartige Gelegenheit, um meinem Alten und seinem Macker eins reinzuwürgen. Und ganz ehrlich, du würdest dasselbe tun, wenn du die Chance hättest, deinen Eltern ihr Versagen vor versammelter Mannschaft unter die Nase zu reiben."
Crispin zuckte für den Bruchteil einer Sekunde zusammen, denn damit hatte Aiden einen Nerv getroffen. Ja, wenn er durch Zufall so eine Chance vor die Füße geworfen bekommen würde, würde er sie ohne Zweifel nutzen. Lange hatte er sich vorgemacht, dass er mit all dem abgeschlossen hatte, dass er seine Familie gemeinsam mit seiner Vergangenheit hinter sich gelassen und sie ihn nicht mehr beeinträchtigte, doch er hatte sich getäuscht. Das musste er in dem Moment feststellen, als er den Brief seines Bruders fand, der ihn entgegen seiner Meinung, niemals fallen gelassen hatte. Er war nach seinem Tod entstanden, sodass Cyrian nicht davon ausgehen konnte, dass er ihn jemals zu Gesicht bekam, doch das hatte er und es hatte ihm den Boden unter den Füßen weggerissen, zu lesen, wie schuldig er sich fühlte, weil er nicht so für ihn da sein konnte, wie er es gerne wollte. Gleichzeitig hatte es ihm gezeigt, wie sehr er seinen Bruder vermisste und wie perfide ihre Eltern einen Keil zwischen sie getrieben hatte. Somit würde er keine Sekunde zögern, wenn er die beiden bis auf die Knochen blamieren könnte, indem er die Maskerade, die sie sich über all die Jahre mühevoll aufgebaut hatten, aufdeckte und zerstörte.
Zu sagen, er würde Aiden nicht verstehen, wäre daher die größte Lüge, die er in dieser Sache von sich geben könnte. Ein Teil von ihm wollte ihm auch helfen, doch der weit größere sträubte sich dagegen, dort hinzugehen - allem Ärger, den sie veranstalten könnten zum Trotz.
Für einen kurzen Moment flackerte Augusts Bild vor seinen Augen auf. Sein Blick wirkte dunkler als sonst, der Ausdruck in seinem Gesicht war alles andere als erfreut über die Idee, er könnte einen ganzen Abend ohne ihn mit den Jungs verbringen. Einen ganzen Abend mit Aiden, ohne dass er diesen wachsam im Auge behalten konnte.
Ein Stich fuhr ihm durch die Brust und er presste die Kiefer aufeinander. So fest, dass er glaubte, einige Zähne würden unter dem Druck nachgeben. Ruckartig wandte er sich von seinem besten Freund ab, damit dieser es nicht bemerkte.
"Ich bleibe bei meiner Entscheidung. Ich hab was besseres zu tun, als dorthin zu gehen", gab er kalt von sich und wollte bereits den Raum und auch das Haus verlassen. Er musste raus hier, denn er hatte das Gefühl, es gäbe zu wenig Sauerstoff in diesen vier Wänden. Die Erinnerungen, die auf ihn einprasselten, schnürten ihm das Herz zusammen und drohten, ihn zu erdrücken. Es war seine eigene Entscheidung, hier zu bleiben, obwohl ihm nicht einmal Hope garantieren konnte, dass August wieder aufwachte. In seinem bisherigen Leben war er kaum masochistischer und selbstzerstörerischer gewesen, als in dem Moment, als er entschied, in dem Haus zu bleiben, in dem er mit dem Engel gelebt hatte. Er wollte ihm nahe sein. So nah wie es ging und wo war er ihm näher als hier? Doch gerade jetzt wurde ihm diese Nähe zu viel und das einzige, woran er denken konnte, war Flucht. Flucht aus dem Haus und hinein ins Vergessen. Zumindest für eine begrenzte Zeit.
"Und was hast du vor? Dich wie so oft bis zur Besinnungslosigkeit betrinken, nur um morgen mit einem Kater in irgendeiner Seitengasse aufzuwachen?"
Crispin stockte und hielt inne, denn Aiden traf mitten ins Schwarze. Aber hatte er wirklich etwas anderes erwartet? Sowohl sein bester Freund als auch die anderen hatten seit Augusts Verschwinden alle Phasen der Trauer, all seine Gefühlsschwankungen und Tiefs mitbekommen und obwohl er es nie für möglich gehalten hätte, waren sie in dieser Zeit sein Anker. Sie waren das Stück Treibholz, an das er sich klammerte, um in dem weiten Ozean aus Wut, Trauer, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung nicht unterzugehen. Dennoch ging es ihm gegen den Strich, vorgehalten zu bekommen, wie er damit umging.
"Das geht dich überhaupt gar nichts an!", knurrte er und funkelte den anderen an. Er war sich beinahe sicher, dass sich silberne Schlieren durch seine Augen zogen, die zeigten, was Aidens Worte in ihm auslösten. Dieser sah ihm ungerührt entgegen, denn er kannte das schon. Seit August nicht mehr an seiner Seite war, geschah dies immer häufiger. Er fuhr schneller aus der Haut und konnte seine Gefühle kaum unter Kontrolle halten. Und trotzdem wussten seine Freunde, dass er sie nicht ernsthaft verletzen würde, weshalb sein bester Freund auch zu ihm kam. Er ballte seine Hand zur Faust und ohne zu zögern zielte er mit dieser auf Crispins Gesicht. Der Schlag saß und auch wenn er ihn nicht aus dem Gleichgewicht brachte, war er doch überrascht genug, dass Aiden ihn am Kragen seines Hoodies packen konnte.
"Jetzt hör mir mal zu! Luan, Mylo, Niall und ich - wir alle waren für dich da, als du am Boden warst. Wir haben versucht, dir zu helfen, wo es nur ging. Im Grunde bist du uns was schuldig."
Crispin biss die Zähne zusammen. Seine Wut verrauchte ein wenig, denn er wusste, dass der andere recht hatte. Sie hatten ihn aus dem Dreck gezogen und zudem hatten nicht nur die Musketiere das Motto: "Einer für alle. Alle für einen." Auch bei ihnen zählte es und auch wenn er Aiden ebenfalls bereits mehrfach aus der Scheiße geholfen hatte, in die er sich liebend gern hinein manövrierte, war dies bei weitem nicht genug, um auszugleichen, was sie für ihn getan hatten. Langsam ließ er die Anspannung aus seinem Körper und seinen Blick sinken, ohne etwas zu erwidern. Sie beide wussten, dass Aiden recht hatte. Er musste es ihm nicht auch noch bestätigen.

Die Vorstellung, dass Crispin fein herausgeputzt im Anzug auf eine Veranstaltung der Oberschicht ging, obwohl er sich seit Jahren erfolgreich dagegen sträubte und wehrte, war absurd und doch stand er heute - nur wenige Tage nach seinem Gespräch mit Aiden und dem Erhalt der Einladung - auf dem Anwesen, auf dem die Geburtstagsparty stattfinden sollte. Zum gefühlt hundertsten Mal fuhr seine Hand zum Knoten der Krawatte, die Luan ihm binden musste, da er selbst es nicht konnte und auch keinen Wert darauf legte, es zu lernen. Er hatte das dringende Bedürfnis, sie zu lockern und abzumachen, denn er fühlte sich mit ihr wie ein wildes Tier im Zirkus, das man an einer Kette in die Manege führte, um vor dem jubelnden Publikum Kunststückchen aufzuführen - und im Grunde war er genau das. Zu sagen, dass er sich somit nicht nur durch den Anzug, in dem er steckte, unwohl fühlte, wäre die Untertreibung schlechthin. Doch ihm blieb nichts anderes übrig, als sich zur Ordnung zu rufen und die Krawatte an Ort und Stelle zu lassen, denn da die Einladung an Cyrian gerichtet war, musste er sich für diesen ausgeben. Eine Tatsache, die er beinahe noch mehr hasste, als all die oberflächlichen Menschen, denen er heute gegenüberstand. Crispin liebte seinen Bruder und er sehnte sich nach diesem, doch er verabscheute es, mit ihm verglichen zu werden, geschweige denn so zu tun, als wäre er das Wunderkind der Familie Cipriano.
"Ihre Einladung, bitte, Sir", holte ihn der Pinguin aus den Gedanken, der für die Einlasskontrolle zuständig war, damit niemand Unbefugtes Zutritt bekam. Der alte Herr vor ihm kramte in seinem Jackett, bis er den Briefumschlag hervorzog und dem anderen zeigte. Dieser schien zufrieden und wies sie mit einer Handbewegung an, weiterzugehen. Als nächstes war er an der Reihe und bevor der Angestellte ihn ebenfalls dazu auffordern konnte, sich als Gast auszuweisen, hielt er ihm den Zettel entgegen - Zerknüllt, zerrissen und schlampig wieder zusammengesetzt. Der Blick seines Gegenübers sprach Bände, doch er ließ ihn nicht dazu kommen, deswegen etwas zu sagen.
"Meine Katzen dachten leider, es wäre Spielzeug für sie."
Crispin versuchte, so freundlich und bedauernd zu klingen, wie er konnte und es von Cyrian in Erinnerung hatte. Beinahe glaubte er, es würde dennoch nicht klappen, denn die Ausrede war viel zu auffällig. Dennoch studierte der Mitarbeiter die Einladung und gab sie ihm mit einem Lächeln zurück.
"Herzlich Willkommen, Mr. Cipriano. Ich hoffe, Sie haben einen angenehmen Aufenthalt. Der Gastgeber erwartet sie bereits."
Wie schön für ihn, ging es ihm augenblicklich durch den Kopf. Um nicht aufzufliegen, erwiderte er jedoch nichts, sondern lief direkt weiter - hinein ins Gebäude und damit in die Höhle des Löwen.
Anders als zu Beginn geplant, nutzte er allein den offiziellen Weg auf die Party. Durch den angegebenen Link hätte er zwei weitere Personen mitbringen können, was nicht genug war, um alle hineinzuschleusen. Somit musste er sich einen Weg zum Hintereingang suchen, wo Luan und die anderen warten wollten. Zudem wäre Aidens Name ebenfalls zu auffällig gewesen, da sein Vater noch immer denselben Nachnamen trug. Crispin war sich sicher, dass sein bester Freund aus diesem Grund nicht einmal einen Fuß ins Gebäude hätte setzen können, wenn er bei ihm wäre.
All diese Gedanken rückten in den Hintergrund, als er selbst über die Türschwelle ins Innere des Hauses trat. Ein Ziehen breitete sich in seiner Brust aus - altbekannt und doch ungewohnt. Sofort hatte er den Drang alles hinzuschmeißen und zu gehen und sich irgendwo alleine dem Alkohol hinzugeben. Andererseits spürte er einen Sog, der ihn weiter nach vorne ziehen wollte, ähnlich einem Magneten, der einen anderen anzog. Crispin konnte sich das nicht erklären, doch es brachte ihn dazu, in der Vorhalle stehen zu bleiben - unschlüssig, was er tun sollte. Mit jeder Sekunde, die verstrich, wurde sowohl das schmerzhafte Ziehen als auch der Sog immer stärker. Er war hin und her gerissen, zwischen dem Wunsch, zu gehen und die anderen somit im Stich zu lassen, und dem Drang, weiterzugehen, obwohl es dort nichts gab, außer einem Haifischbecken voller oberflächlicher Menschen, von denen er sich lieber fernhielt.
Dass auf dieser Party eine unangenehme Überraschung auf ihn wartete, ahnte er nicht im Geringsten...

[Bild: tumblr_inline_nu6vw53L6O1qb2nv2_500.jpg]
2 Monate waren vergangen, seitdem er endlich seinen Traum leben konnte, oder war es vielmehr die Hölle auf Erden ???
Sev konnte sich nicht wirklich entscheiden, welches von Beidem es war, auch wenn er wohl gerade zum Letzteren tendierte.
Hatte er doch schon sein Leben lang davon geträumt von seiner Musik zu leben und die Klavierstunden seiner Kindheit waren das Paradies, verglichen mit dem schäbigen Heim, in dem er hatte Leben müssen, nachdem sein Vater bei einem Brand umgekommen war. Andere Familienmitglieder hatte es nie gegeben, oder wenn, dann hatte sein Vater ihm nie davon erzählt. So war der damals 5 jährige Junge in einem der zahlreichen Heime gelandet und hatte gelernt, was die Hölle auf Erden tatsächlich bedeutete. Nicht nur, das er von den Grösseren tagein, tagaus immer wieder schikaniert wurde, nein, auch die Aufpasser fackelten nicht sehr lange und schlugen schon bei dem kleinsten Vergehen zu. Einzig und allein ein altes, vollkommen verstimmtes und verstaubtes Klavier hatte die Tränen des kleinen Jungen getrocknet. Anfangs klimperte er nur wahllos auf den Tasten herum, bis er tatsächlich begann die ein oder andere Melodie, die er hörte. Natürlich brachte ihm dies einige weitere Ohrfeigen und den Spott der anderen Kinder ein, doch das hielt den kleinen Jungen nicht davon ab sich jeden tag aufs neue in das Zimmer zu schleichen und es erneut zu versuchen. Brachte ihm der Klang des Klaviers doch einen inneren Frieden, den er sonst nirgendwo finden konnte.
So war es nicht weiter verwunderlich, das er die Besuchstage des Heimes regelrecht hasste. Hiess es doch immer wieder und wieder aufs Neue sich her zu richten und freundlich zu lächeln, während potentielle Eltern die Reihen abschritten, um sich eines der Kinder heraus zu picken. Viele Kinder freuten sich darauf, doch Sev hasste es, besonders, wenn die Wahl auf ihn traf. Hätte man doch eigentlich meinen sollen, das er sich freute, endlich aus der Hölle heraus zu kommen. Zum Teil stimmte dies auch, nur hiess es immer wieder aufs Neue Abschied von seinem geliebten Klavier zu nehmen und sich neuen Regeln zu unterwerfen. Lange dauerten die Tortouren jedoch selten. Viel zu seltsam, viel zu verschlossen war der kleine Junge, als das die "neuen" Eltern tatsächlich Freude an dem Jungen hatten. Daran, das er immer wieder im Heim landete freute sich Sev sogar regelrecht. War er dann doch endlich wieder mit seinem Klavier vereint und konnte weiter spielen.
So zogen die Jahre ins Land, immer wieder unterbrochen von nervigen Ausflügen in neue Häuser, die immer wieder im Heim endeten, da keiner ihn wollte. Erst sein Musiklehrer erkannte schliesslich die unleugbare Liebe des Jungen zur Musik und begann ihn zu fördern. Während alle anderen den letzten Glockenschlag gar nicht erwarten konnten, um endlich heim zu laufen, flitzte Sev so schnell wie er nur konnte ins Musikzimmer der Schule und wartete ungeduldig auf seinen Musiklehrer, welcher ihm alles zeigte, was er wissen musste, auch wenn er kläglich daran scheiterte dem Jungen Musiknoten näher zu bringen. Konnte er doch tatsächlich jeden einzelnen Ton der Stimmgabel auf dem Klavier spielen, scheiterte jedoch, sobald er die verschiedensten Striche und Schnörkel auf dem Papier sah. So hatte der Lehrer nach unzähligen Wochen doch endlich ein Einsehen. Erkannte er doch das grenzenlose Potential des Schülers und spielte ihm ab nun die Musikstücke vor, welche er lernen sollte. Zu seinem Erstaunen brauchte der kleine Junge die Stücke oftmals nur 3-4 mal hören, eh er sie aus dem Gedächtnis spielen konnte.
Dies waren wohl die glücklichsten Jahre seines Lebens, doch wie so oft folgte das Unglück auf dem Fusse. Kaum, das er 16 geworden war, flog er mit ein paar Scheinen aus dem Heim und wurde sich selbst überlassen. Zeit für die Schule blieb ihm nicht mehr, da er ab nun selbst zuschauen musste, wie er überlebte. All zu schlecht gelang es ihm nicht, da er doch nicht nur Klavier- sondern auch Gitarrenstunden erhalten hatte und nun von Stadt zu Stadt zog und den Leuten auf den Strassen seine Musik vorspielte. Reich wurde er dadurch freilich nicht, reichts es doch gerade so zum überleben, wenn überhaupt. Gab es nicht wenige Tage, in denen er hungernd stundenlang spielte, ohne das er überhaupt etwas Geld zusammen gekratzt bekam. So zog er von Stadt zu Stadt, bis er endlich in Phönix landete.
Unterschlupf suchend, in einer alten Fabrikanlage, baute er sich ein kleines Nest, nur um tagsüber erneut durch die Strassen zu wandern und die Leute mit seiner Musik zu unterhalten. So kam es auch, das er eines Tages vor der University of Arizona spielte und dort tatsächlich einer der hiesigen Lehrer auf ihn aufmerksam wurde.
Schicksal ? Glückliche Fügung ?
Stunde um Stunde spielte er, Tag um Tag, ohne zu bemerken, das der Lehrer jeden Tag aufs neue kam, um ihm zu lauschen, bis er ihn schlussendlich doch ansprach und das Leben das nunmehr 26jährigen vollkommen veränderte. Bot dieser ihm doch tatsächlich ein Stipendium an !!! Ein Stipendium, in dem er nichts weiter tun musste, als seiner Leidenschaft zu frönen. Besser noch, er dürfte endlich wieder Klavier spielen.
Das Paradies auf Erden ...
Dennoch dauerte es einige Tage, bis der junge Mann tatsächlich einwilligte. Sträubten sich ihm doch die Haare bei dem Gedanken so eng mit anderen zusammen zu wohnen, schlimmer noch, einen Mitbewohner zu bekommen, mit dem er vielleicht gar nicht klar kam, oder der genauso ein Schläger war, wie die Jungs damals im Heim. Doch auch diesmal war das Glück auf Sev`s Seite, so das er doch tatsächlich ein Zimmer für sich alleine hatte.
Eigentlich müsste man meinen, das der junge Mann überaus glücklich und zufrieden sein sollte... doch da irrte man sich gewaltig.
Musste er sich doch erneut mit all den komischen Strichen und Schnörkeln auseinander setzen, die einfach keinen Sinn für ihn ergaben und sich vehement dagegen sträubten in seinen Kopf hinein zu gehen. Dennoch übte man Nachsicht mit ihm, da schnell erkannt wurde, welch aussergewöhnliches Ausnahmetalent er war, sobald er am Klavier oder der Gitarre sass. Immer wieder hörte er das Getuschel seiner Kommilitonen, die neidisch über das "neue Wunderkind aus der Gosse" redeten, doch damit hielt er sich nicht auf. Zog er sich doch so weit wie möglich von allem und jedem fort und wollte keinen Kontakt zu den anderen. War er doch nicht hier, um Freunde zu finden, einzig und allein Musik beherrschte sein Leben und davon brachte ihn nichts ab, nicht einmal das Getuschel.
Ein Getuschel, welches immer mehr und mehr zu nahm, als er doch tatsächlich zu der ein oder anderen Privatveranstaltung eingeladen wurde, um dort vor den Gönnern und Investoren der Uni zu spielen. Natürlich wusste er, das die Uni ihn als Aushängeschild, ja gar wie ein Zirkusaffe präsentiert wurde, da jedem ausgiebig erzählt wurde, woher er kam und welch ein Glück er doch hatte, das die Uni ihn angenommen hatte. Sev hasste solche Veranstaltungen. Hasste er es doch der Mittelpunkt einer Menschenmenge zu sein und wollte einzig und allein durch sein Können, durch seine Musik glänzen, nicht jedoch durch seine Herkunft. Dennoch musste er immer wieder die Zähne aufeinander beissen und brav erscheinen, denn auch wenn es nicht gesagt wurde, so wusste er doch, das er jederzeit wieder von der Uni fliegen konnte und dann erneut ohne etwas da stand und von Neuem beginnen musste.
Wer wusste schon, ob das Glück ihm jemals wieder hold sein würde ?!
So machte er sich auch heute wieder widerwillig fertig. War doch heute mal wieder einer dieser Sponsorenabende, auf der das Wunderkind präsentiert wurde, um den reichen Säcken noch mehr Geld aus den Taschen zu leiern. Natürlich hatte er den Absatz gelesen, das Abendkleidung gefordert wurde, nur juckte das Sev absolut nicht. Sah er es doch partout nicht ein sein weniges Geld für überflüssige Fetzen aus zu geben, mit denen er ansonsten nichts anfangen konnte. Wenn sie derlei wollten, dann sollten sie es gefälligst zahlen. So schlüpfte er in seine Lieblingsjacke und schnappte sich seinen Gitarre, welche einen krassen Gegensatz zur doch recht abgewetzten Lederjacke bildete. Daran stören tat er sich jedoch nicht. Hatte er die Jacke doch vor Jahren von seinem ersten, selbstverdienten Geld gekauft und war ihm genauso heilig wie seine Gitarre . Kurz glitten seine Finger sanft, fast schon zärtlich über die Seiten, eh er den Gurt über seine Schultern zog und sich auf den Weg zur angegebenen Adresse machte.
Natürlich musste er mal wieder in eine dieser Gegenden, in der ein protziges haus neben dem anderen stand und als ob dies nicht reichte, war das haus des Dekans doch tatsächlich das, was noch am meisten heraus prangte. Genervt aufseufzend, über soviel zu Schau gestellten Luxus und gleichzeitig der massiven Verschwendung von Geld, stapfte er zum Eingang, nur um mehr als nur misstrauisch beäugt zu werden von einem Kerl, der einfach nur lächerlich aussah. Spannte der Anzug doch so sehr über seinen Schultern, das er bei jedem Atemzug zu platzen drohte. "Es tut mir leid, aber dies ist eine Privatveranstaltung und sie haben hier nichts zu suchen" bekam er auch schon um die Ohren geklatscht, eh er auch nur die Chance bekam etwas zu sagen. Nun definitiv genervt schnaubend kramte er in seiner Hose herum und zog schliesslich die mehr als nur zerknitterte und ramponierte Einladung heraus und hielt sie direkt vor die Nase des Pavians. Überraschung wich schnell Entsetzen, als er lass, wen er da vor sich hatte. "Mister Williams... es tut mir echt leid... ich konnte ja nicht wissen ...." faselte er verdattert und sichtlich belämmert drein, doch zu sehr viel mehr liess er ihm nicht die Zeit, sondern drängte sich einfach entnervt an ihm vorbei, nur um sofort in Sophie hinein zu stolpern, die freudig aufgeregt umher kreischte.
"Da bist du ja endlich... ich dachte du kommst schon nicht mehr... sag mal was hast du da eigentlich an ?!!!!" Ging der Horror seines Lebens auch schon sofort los und liess ihn genervt die Augen verdrehen. "Wenn Daddy das sieht kriegt er einen Anfall" prophezeite sie ihm mit einem missbilligendem Blick, der bei ihm jedoch nicht mehr als nur ein leichtes Schulterzucken hervor rief. Interessierte es ihn doch herzlich wenig, was ihr Daddy bekam und was nicht. Er sollte hier spielen und mehr würde er auch nicht tun. Sollte der Dekan doch um all die Geldsäcke herum schwänzeln und ihnen in den Arsch kriechen, er würde dies sicherlich nicht machen. Ohne auf die anderen Gäste zu achten, geschweige denn ihm die Gelegenheit zu geben was zu sagen, was er nicht wollte, schnappte sie ihn auch schon am Ärmel und zog ihn wie einen bösen Hund quer durch die Vorhalle hinüber in einen riesigen Saal, in dem man sich fast hätte verlaufen können. So trabte er fast schon brav hinter ihr her, während er den ein oder anderen abschätzigen Blick mit einem ebenso eisig abschätzenden Blick kontere.
Als ob diese Schnösel etwas besseres waren als er ?!?
Erst als er das Klavier sah beruhigte er sich langsam, ja sogar ein leichtes Lächeln schlich sich auf die sonst oftmals verbissenen Züge des jungen Mannes. Fast hätte man meinen können, das er eine geliebte Person entdeckt hatte, bei der sein Herz aufgeregt anfing umher zu flattern. Überaus stimmend, nur das es keine Person war, sondern ein Klavier, welches sein Herz aufgeregt in seiner Brust umher hüpfen liess. "Hier sind die Lieder von Daddy, die du spielen sollst und benimm dich gefälligst und blamiere uns nicht wieder" Mit diesen Worten wurde ihm doch tatsächlich eine Liste von Liedern in die Hand gedrückt, während die Prinzessin von dannen zog, fast als könnte sie es nicht länger ertragen, sich in seiner Nähe auf zu halten. "Eingebildete Zimtzicke" dachte er sich nur, bei ihrem mehr als nur theatralischen Abgang, eh er sie vollkommen aus seinen Gedanken verbannte. Die würde schon noch ihr helles Wunder erleben, denn wenn er schon wie ein Zirkusaffe vorgeführt werden sollte, dann würde er ihnen auch eine Show liefern, die sie so schnell nicht vergessen würden !!! hatte er doch extra die letzten tage an ein paar Liedern geübt, die den trockenen Haufen hier ordentlich in Wallung bringen würde, nur wahrscheinlich nicht ganz so, wie Daddy es sich wünschte. Leicht lächelnd stellte er seine Gitarre vorerst an die Wand neben das Klavier, eh er sich auf den kleinen Hocker davor setzte. Statt jedoch sofort drauf los zu spielen, strichen seine Finger zärtlich über die einzelnen Seiten, eh schliesslich der erste Ton erklang und ihm unfreiwillig die Aufmerksamkeit der Schnösel einbrachte, welche verzückt dem Klang der Melodie lauschten. Nicht wenige schauten sogar mehr als nur überrascht, als sie sahen, wer dem Klavier die Töne entlockte, doch daran störte er sich nicht, einzig und allein für die Musik lebte er und das konnten selbst sie ihm nicht zerstören. Das das Lied nicht auf dem Zettel stand, war ihm vollkommen egal, allein schon aus dem Grund, weil er nicht einmal ein Blick darauf geworfen hatte. Sollte der Dekan sich doch selbst vor das Klavier setzen und spielen, er spielte, was ihm in den Sinn kam.

Crispin Cipriano

Geburtstage, Spendenaufrufe, Einweihungen oder die neueste Kunstausstellung. Es war vollkommen egal, welchen Hintergrund es für eine Veranstaltung in der Oberschicht gab, Crispin verabscheute jede einzelne von ihnen, denn im Grunde ging es doch immer nur um dasselbe: Sehen und gesehen werden. Für diesen Anlass warfen sich die Männer in ihre neuesten maßgeschneiderten Anzüge während die Frauen die schicksten Designerkleider inklusive dem teuersten Schmuck, den sie besaßen, zur Schau trugen. Es ging darum, sich zu zeigen und alle anderen im besten Fall vor Neid erblassen zu lassen. Als Kind hatte er nie begriffen, warum die Erwachsenen dies taten und auch Cyrian und er für diesen Zweck in Maßanzüge gesteckt wurden. Er hatte es gehasst und tat es noch heute. Selbst wenn die Anzüge auf seine Körpergröße angepasst waren, hatte er das Gefühl, darin nicht atmen zu können. Es war eine Verkleidung, in die er sich zwängen musste, bis er alt genug war, um sich dagegen zu wehren. Anschließend hatte er sich geschworen, nie wieder derartige Kleidung zu tragen, sodass er jeden für verrückt erklärt hätte, der ihm erzählte, dass er am heutigen Abend mehr oder weniger freiwillig einen tragen würde, um sich für seinen großen Bruder ausgeben zu können. Müsste er diese Maskerade für das heutige Vorhaben nicht aufrechterhalten, wäre er in zerschlissenen Jeans und einem seiner geliebten Hoodies auf dieser Party aufgetaucht. Dass die Gäste ihn angesehen hätten, als käme er direkt von der Straße, wäre ihm egal, denn er war es gewohnt und sie würden lediglich bestätigen, was er bereits erwartete. Nicht einmal August hatte es geschafft, ihn je in einem Anzug zu sehen, obwohl dieser fest davon überzeugt war, dass er darin gut aussah, und er bereits dabei war, sich extra für ihn einen anfertigen zu lassen, um ihn damit zu überraschen…
Die Erinnerung, warum es nie dazu kam, dass er ihn darin zu Gesicht bekam, flutete ihn. Crispin kehrte zu dem Moment zurück, als er gemeinsam mit Magnus bei einem der exklusivsten Schneider der Stadt saß und ihn die verhängnisvolle Nachricht von Luan erreichte, die ihm anschließend von Hope bestätigt wurde. Im Nachhinein stellte sich zwar heraus, dass sein Gefühl nicht stimmte, welches ihn beim Lesen der wenigen Zeilen der Eilmeldung beschlich. Die Alternative war jedoch nicht sehr viel besser. Das Wissen um Augusts Tod hatte ihn beinahe zerstört, denn selbst zu der Zeit, als der Hass auf den Engel ihn antrieb, war doch die Gewissheit, dass er nicht mehr existieren würde, wenn er seine Rache umsetzte, ein Punkt, der ihn davor zurückschrecken ließ, es wirklich zu tun. Ob er damit leben könnte, zu wissen, dass er nicht mehr am Leben war, wusste er bis heute nicht. Sein Kopf sagte ja. Er müsste einfach nur weitermachen. Essen. Schlafen. Atmen. Weitermachen. Leben. Ganz einfach - oder nicht?! Sein Herz sagte ganz klar nein. So wie er auch damals bereits der Überzeugung war, dass er ohne den anderen nicht leben könnte, weil es für ihn keinen erkennbaren Sinn darin gab.
Doch konnte man seine jetzige Situation somit als die bessere Variante bezeichnen? Jeden Morgen wachte er mit der Hoffnung im Herzen auf, die entscheidende und erlösende Nachricht von Hope zu bekommen. Diese Hoffnung war sein alleiniger Antrieb, um aufzustehen. Nur damit diese am Abend beim schlafen gehen erneut zerstört wurde, wenn wieder einmal ein Tag ohne Mitteilung verstrichen war. Anders als nach der ersten Nachricht, die ihm den Boden unter den Füßen wegriss, ihn zusammenbrechen ließ und beinahe zerstörte, war sein Untergang in diesem Fall ein schleichender Prozess. Genau wie zu dem Zeitpunkt, als er gemeinsam mit August zwischen Hoffnung und Vorurteilen hin und her schwankte…
Ein kräftiger Stoß in den Rücken holte Crispin aus seiner Erinnerung und ließ ihn einen Schritt nach vorne taumeln. Gleichzeitig wurde auch der Schmerz, den diese in ihm ausgelöst hatte, nach hinten gedrängt.
"Pass doch gefälligst auf!", fauchte er denjenigen an, der ihn angerempelt hatte, ohne zuvor zu schauen, um wen es sich dabei handelte, denn es interessierte ihn auch nicht sonderlich, wen er womöglich gegen sich aufbrachte.
"Dann stehen Sie nicht im Weg herum", kam der Konter von einer älteren männlichen Stimme. Crispin schaute sich nach der Person um und sah dabei noch, wie sich ein hochgewachsener Mann mit graumeliertem Haar von ihm abwandte. An seinem Arm hing eine Frau, die ihre besten Jahre ebenfalls bereits hinter sich hatte und ihm einen missbilligenden Blick zuwarf, bevor sie sich einer weiteren Frau zuwandte, welche die beiden ansprach und sie in eine Unterhaltung verwickelte.
"Cazzo!", murrte er und wollte sich bereits ebenfalls abwenden, als über die immer lauter werdenden Gespräche der Gäste, eine Stimme an seine Ohren drang, die ihm entfernt bekannt vorkam und ein unangenehmes Gefühl in ihm wachrief.
"Wenn Daddy das sieht kriegt er einen Anfall"
Suchend blickte er sich um, auch wenn ein großer Teil von ihm sich dagegen sträubte, herauszufinden, um wen es sich handelte, denn so bekannt ihm die Stimme und der Tonfall auch vorkamen, er konnte sie keinem Gesicht zuordnen. Dem Gefühl nach, welches sie in ihm auslöste, verband er mit ihr jedoch keine positiven Erinnerungen - was in der anwesenden Gesellschaft keine große Überraschung darstellte. Durch die immer voller werdende Vorhalle war es jedoch schwer, wenn nicht gar unmöglich, eine ganz bestimmte Person ausfindig zu machen.
Sei doch froh, dass du sie nicht gesehen hast, flüsterte ihm seine innere Stimme leise zu, während er ein letztes Mal den Blick über die anderen Anwesenden gleiten ließ. Dabei bemerkte er einen blonden Schopf, der in der Menge verschwand und obwohl er nicht mehr als die Haarfarbe erkannt hatte, reagierte sein Inneres auf diese - eigentlich sehr unwichtige - Entdeckung. Der Sog, der ihn auf dieser Veranstaltung halten und weiter ins Innere des Gebäudes ziehen wollte, setzte erneut ein - dieses mal noch heftiger als zuvor. Der Schmerz und das Bedürfnis zu gehen, wurden weiter in den Hintergrund gedrängt und Crispin hatte kaum eine Chance, sich dagegen zu wehren. Ohne sein Zutun setzte er sich in Bewegung, lief wieder hinein und in Richtung eines großen Saals, in dem sich bereits ebenfalls viele Gäste aufhielten. Kellner balancierten Tabletts mit vollen Gläsern auf ihren Händen, während sie sich zwischen den Anwesenden hindurchschlängelten. Einer von ihnen machte auch bei ihm Halt, bot ihm ein Glas Champagner an, doch er ignorierte es und ging einfach weiter. Wie ferngesteuert und an einer unsichtbaren Schnur wurde er durch den Raum gezogen, ohne zu wissen, wo sich das Ende befand und wann er an seinem Ziel ankam.
Mit einem Mal spürte er eine Hand auf seiner Schulter und wurde aus seinem tranceähnlichen Zustand gerissen. Verwirrt blinzelte er ein paar Mal, als müsste er sich darüber klar werden, wo er sich befand, bevor er zu der Person blickte, die ihn noch immer berührte.
"Da sind sie ja endlich, Mr. Cipriano. Ich habe Sie bereits erwartet. Ich bin Noah Jackson und der Veranstalter dieser Feier. Ich kenne Ihre Eltern, hatte aber bisher leider nicht das Vergnügen, Sie persönlich kennenzulernen. Dabei lobt Sie auch mein Partner wegen Ihres Talents in den höchsten Tönen."
Crispin hörte ihm zu und hatte alle Mühe, das Knurren zu unterdrücken und ihm klar zu machen, dass er seine Pfoten von ihm nehmen soll. Es lag ihm bereits auf der Zunge, doch er schluckte die Worte herunter, denn Cyrian würde so etwas niemals sagen und solange Aiden und die anderen noch nicht auf der Party waren, musste er gute Miene zum bösen Spiel machen. So versuchte er sich zusammenzureißen und sich ein halbwegs freundliches Lächeln abzugewinnen.
"Das kann ich mir nur zu gut vorstellen", erwiderte, konnte eine Spur Abneigung aber nicht aus seiner Stimme heraushalten. Er wusste ganz genau, worauf sein Gegenüber anspielte, denn in der Oberschicht galt sein großer Bruder von kleinauf als Wunderkind, da er bereits in jungen Jahren Stücke spielen konnte, die selbst für Erwachsene schwer zu meistern waren. Das Problem war nur, dass die Bezeichnung Wunderkind assoziierte, dass ihm das Talent in den Schoß gefallen wäre, ohne dass er viel dafür tun musste. Das Gegenteil war jedoch der Fall. Cyrian hatte sich ganze Nächte um die Ohren geschlagen, um den Anforderungen gerecht zu werden, die ihm gestellt wurden. Schritt für Schritt hatte er sich langsam beinahe zugrunde gerichtet.
Genau das war auch der Grund, warum er allergisch auf diesen Begriff reagierte und Mr. Jackson hatte Glück, ihn nicht ausgesprochen zu haben, denn Crispin wusste nicht, ob er andernfalls in der Lage wäre, sich weiterhin zurückzuhalten.
Von dem abweisenden Tonfall schien der Gastgeber allerdings nichts zu bemerken, denn er sprach einfach weiter, als wäre nichts gewesen.
"Es ist wirklich schade, dass Sie sich in den letzten Jahren aus der Öffentlichkeit zurückgezogen haben, aber das Studium nimmt sicherlich sehr viel Ihrer Zeit in Anspruch. Ich sehe es ja an meiner Tochter. Umso erfreuter bin ich, Sie heute in meinem bescheidenen Heim begrüßen zu dürfen."
Bescheiden… Maßlos untertreiben kann er bei all dem Protz schon mal prima, ging es ihm durch den Kopf und er überlegte bereits fieberhaft, wie er diese schleimige Klette loswurde, denn wenn er ihn noch länger ertragen musste, würde die Fassade für diesen Abend schneller bröckeln, als er beabsichtigt hatte und es nötig war.
"Ich freue mich auch sehr, hier sein zu können. Wenn Sie mich aber kurz entschuldigen würden - menschliche Bedürfnisse."
Weiter sagte er nichts dazu und Mr. Jackson schien auch weiterhin keinen Verdacht zu schöpfen, dass etwas seltsam an ihm war, denn auch dieses Mal fiel es ihm schwer, so freundlich zu klingen, wie er es müsste. Anstatt jedoch etwas anzumerken, lächelte er nur.
"Aber natürlich", gab er noch von sich und deutete anschließend auf eine Tür, durch die immer wieder Kellner mit neuen Champagnergläsern hereinkamen oder den Raum mit leeren Gläsern wieder verließen. Wirklich lange musste somit niemand auf alkoholischen Nachschub warten. Für einen Moment blieb sein Blick an einem der Angestellten und dessen Tablett hängen. Champagner gehörte nicht zu seinen Lieblingsgetränken. Für ihn war das einfach nur teureres Blubberwasser, doch die Aussicht auf ein wenig Vergessen war noch immer verlockend - ganz besonders nach den Erinnerungen, die in der Vorhalle in ihm hochkamen.
Für den Moment musste dies jedoch noch warten und er setzte sich in die gezeigte Richtung in Bewegung, in der Hoffnung durch den dahinterliegenden Gang auch auf die Rückseite des Gebäudes zu kommen, wo die anderen bereits auf ihn warteten.
Kurz bevor er den Saal verließ, hörte er, wie jemand dem Piano, welches an der gegenüberliegenden Wand zur Haupttür stand, eine Melodie entlockte. Für einen Augenblick fragte er sich, wieso sein Bruder eine Einladung erhielt, um auf dieser Feier zu spielen, wenn es offensichtlich noch einen weiteren Pianisten gab. Bereits in der nächsten Sekunde war dieser Gedanke jedoch nebensächlich, als er erkannte, was die Person spielte. Braveheart… Alleine die ersten Töne sorgten dafür, dass er in seine Kindheit zurückversetzt wurde. In die Zeit, in der seine Großeltern noch in den Staaten lebten, bevor es seinen Großvater zurück in seine Heimat nach Italien zog. Seine Eltern hielten nicht viel davon, mit Cyrian und ihm Filme zu schauen, doch sein Großvater hatte es gerne getan und so stand eines Abends auch Braveheart auf dem Programm. Eine Geschichte, die ihn unweigerlich an seine aktuelle Situation erinnerte.
Reiß dich gefälligst zusammen! Du hast was zu erledigen., rief er sich selbst zur Ordnung und wandte sich von der Musik ab. Er verließ den Raum und folgte zügig dem Gang, zu dem die Tür führte. Auch hier wirkte alles glamourös und teuer. Der Boden war aus Marmor und an den Wänden hingen schwere Tapeten. Kunstwerke, die er selbst nicht als solche bezeichnen würde, säumten den Weg, bis er nach einigen Metern nach rechts abbog. Schlagartig änderte sich das Bild. Die Wände waren schlicht und schmucklos, der Boden mit einfachem, strapazierfähigem Teppich ausgelegt, der die Schritte der Angestellten, die hier entlangeilten, dämpfte. Dies hier war eindeutig nicht für die Augen der Gäste bestimmt. Crispin schenkte dem Ganzen jedoch nicht mehr als einen kurzen Blick, so wie er es bereits einen Gang zuvor getan hatte.
Nach einigen Minuten des Suchens fand er endlich eine Tür, die nach draußen zu führen schien. Er öffnete sie und stand direkt vor Aiden, der ihn breit angrinste, als er ihn sah.
"Dann kann es ja nun losgehen. Lasst uns ein bisschen Schwung in diese verstaubte Party bringen."
Wenn man Sev gefragt hätte, was die Hölle auf Erden war, so wäre dieser Ort wohl locker unter den Top 10 gelandet. Egal wohin er auch blickte, nur aufgebrezelte alte Fregatten, die sich wohl für 20 hielten und unter dem Gewicht ihrer Klunker schier zu ersticken drohten. Selbst die Männer waren nicht weniger herausgeputzte Pfauen, deren perfekte gegelte Haare mit den Kronleuchtern um die Wette schimmerten. Kein Wunder, das sich das einstige Heim- und Strassenkind hier vollkommen fehl am Platze fühlte und sich überall hin wünschte, nur nicht hier her. Dennoch waren die Klauseln in seinem Stipendiumsvertrag eindeutig gewesen. Mindestens 4mal im Jahr musste er an solch einer Veranstaltung teil nehmen, um seinen Platz nicht zu verlieren. Verkleiden, oder gar verdrehen liess er sich deswegen aber noch lange nicht, geschweige denn, das er sich zu einer wohlerzogenen Marionette machen liess. Er war und blieb wie er war, trotz all der Vergünstigungen, die er nun bekam. Nun gut, viel ausser einem Einzelzimmer und einige Extrastunden im Klavierraum waren das nicht, doch für ihn war das schon das Paradies auf Erden und dies würde er sich von keinem dieser Schnösel wieder kaputt machen lassen. Reichte ihm das Klavier im Raum doch schon vollkommen aus, alles andere verdrängte er einfach. Reichte doch schon der erste Klang, welcher durch den Raum schwebte aus, um all die Lackaffen verschwinden zu lassen, fast als wäre nur noch er und das Klavier alleine im Raum. Natürlich wusste er, das dem nicht so war, denn das ständige Geplapper und Gekicher erreichte ihn natürlich dennoch und doch reichte es aus, das er anfing sich langsam ein klein wenig zu entspannen. Die verdammte Liste vom Dekan liess er dabei natürlich vollkommen ausser Acht und spielte einfach, wonach ihm der Sinn stand. Sollte man Kunst doch niemals in einen festen Rahmen pressen, sondern ihr Raum geben, um sich zu entfalten, damit sie ihre volle Schönheit entfalten konnte.
So kam es auch, das er eines seiner Lieblingslieder spielte, da er mit ihr eine der wenigen, sehr wenigen Erinnerungen ans Heim verband. Das der Held des Filmes ebenfalls eisern seine Ziele verfolgte, ohne darauf zu achten, was andere von ihm hielten, war ein netter, wenn auch erwünschter Nebeneffekt, welcher ihm durchaus recht war.
Doch wie immer spielte ihm das Leben einen gemeinen Streich, denn kaum erklangen die ersten Akkorde, steuerte auch schon der Dekan schnurstracks auf ihn zu. Das er alles andere als begeistert war, nun das konnte selbst ein Blinder mit Krückstock sehen. Ohne auch nur eine Sekunde aus dem Rhythmus zu kommen nickte er ihm leicht zu, insgeheim hoffend, das einer der Pfauen ihn ablenkte Doch natürlich hatte er kein Glück, warum auch.
"Freut mich, das sie es einrichten konnten zu kommen Severino, auch wenn ihre Kleiderwahl mehr als nur zu wünschen lässt" Nahm das Drama auch schon seinen Lauf und liess ihn genervt die Augen verdrehen. "Auch ihnen einen schönen guten Abend Dekan Jackson. Ich denke nicht, das meine Kleidung relevant ist. Immerhin wollen sie doch das Wunderkind von der Strasse meistbietend verkaufen. Im Anzug würde das Image einen gewaltigen Knacks bekommen" setzte er an, ohne auch nur eine Sekunde den Blick von ihm zu nehmen. Wussten seine Finger doch von ganz alleine, welche Taste sie als nächstes berühren mussten, so das er genug Zeit für das kleine Blickduell hatte.
"Wie immer nicht um Worte verlegen und doch noch immer nicht begriffen, das diese Universität dringend auf Gelder angewiesen ist und sie genauso ihren Teil dazu bei zu tragen haben, wie jeder andere hier auch" konterte der Dekan eiskalt, während sein Blick missbilligend über ihn glitt und an der Lederjacke kleben blieb, die ihn wohl noch mehr störte, als die abgewetzten Jeans und das einfache weisse TShirt, das definitiv auch schon bessere Tage hinter sich hatte. War der Aufdruck vom vielem waschen und tragen im Laufe der Jahre fast gänzlich verblichen. Auf die Idee es deswegen weg zu schmeissen, kam er jedoch nicht, warum auch, solange es nicht kaputt war. War diese Party doch der beste beweis für sinnlose Verschwendung und er somit fast als Kämpfer für die Gerechtigkeit an zu sehen.
Ehe er jedoch die Chance hatte ihr Wortgefecht fort zu setzen, wurde er auch schon unverhofft von hinten angerempelt. Das seine Finger dabei von den richtigen Tönen abglitten und ein falscher Ton quer durch den Raum glitt war natürlich vollkommen verständlich, genauso wie das unterdrückte fluchen, als ihm irgend etwas Klebriges eiskalt den Nacken hinunter lief. "Verfluchte Scheisse nochmal..." setzte er gerade an, nur um im nächsten Moment zu stoppen. Natürlich war er plötzlich der absolute Mittelpunkt der feinen Gesellschaft , die ihn nun missbilligend musterten, fast als wäre er an dem ganzen Dilemma schuld und hätte ihn extra provoziert. Genervt verdrehte er die Augen und wollte schon seine Wut an der Person ablassen, welche ihn angerempelt hatte, doch ein Blick auf den verlegen drein schauenden Kellner, samt einer dicklichen Fregatte, die ihn ordentlich herunter putzte verriet ihm schon, wer die Schuld an all dem hatte.
"Sie haben Glück lieber Dekan. Wenigstens für eine kurze Weile müssen sie meinen Anblick nicht ertragen" stellte er mehr als nur ironisch fest, als auch schon Sophie aufgeregt angeflattert kam und mit sich fort zog und wild drauf los plapperte. Was sie wirklich von sich gab bekam er gar nicht mit, war es ihm doch herzlich egal, da sich sie klebrige Plürre langsam seinen Rücken hinunter schlängelte und ihn sich angewidert schütteln liess. "Das ist so eine Katastrophe. Der ganze Abend ist vollkommen ruiniert, was werden nur die Leute von uns denken" Jammerte die verzogene Prinzessin auch schon weiter vor sich hin, bis ihm endgültig der Kragen platzte. "Halt doch einfach endlich die Klappe" knurrte er sie an und funkelte sie eiskalt an, während er sich von ihr los riss. Wie kannst du dich nur so benehmen und das obwohl Daddy und ich soooo nett zu dir sind" Setzte die Göre doch tatsächlich an, während ihre Augen verdächtig anfingen zu schimmern. Die fing doch jetzt nicht wirklich gleich an zu flennen, oder ? Immerhin war er derjenige, der das widerliche Zeug in den Nacken gekippt gekommen hatte und nicht sie Genervt schnaubte er auf und drehte ihr einfach den Rücken zu, den nächsten Gang nehmend, um bloss so viel Abstand zwischen sich und ihr zu bringen, wie nur eben möglich. Am liebsten hätte er seine Gitarre geschnappt und wäre wieder zurück zur Uni gefahren, nur dann hätte er erstens wieder zurück in den Saal gemusst und schlimmer noch, er hätte sich die nächste Predigt anhören können, für etwas, für das er gar nichts konnte.
Daher folgte er einfach dem Gang, in der Hoffnung endlich irgendwo ein Badezimmer zu finden, damit er sich wenigstens von dem klebrigen Zeugs befreien konnte. Doch selbst jetzt war ihm das Glück nicht holt, denn während der Anfang des Ganges noch vollgestopft mit irgendwelchem Luxuskram war, so war der nächste schon sehr viel spärlicher. Scheinbar befand er sich wohl in den Gängen der Dienstboten. Eine Erkenntnis, die ihn nur noch mehr mit den Augen rollen liess, bis ihm endlich einer der Kellner entgegen kam, der ihm wenigstens den Weg zum nächsten Bad zeigte. Sich eilig auf den Weg machend bog er um die nächste Ecke, nur um prompt in eine Gruppe junger Leute herein zu rennen. "Tschuldigung" murmelte er flink, eh er der gruppe auch schon wieder den Rücken zu drehte, um sich so schnell wie möglich vom Acker zu machen. Hatte der Tag bisher doch schon genug unliebsame Überraschungen für ihn parat gehabt, auf eine weitere sinnlose Diskussion hatte er da definitiv nicht auch noch Lust.