Wind Beyond Shadows

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Mairtin Connolly

Meine Therapie schritt langsam fort. Es dauerte wohl noch, bis ich wirklich so weit war, um alles hinter mir zu lassen. Jeremiah merkte, dass ich zwar gut Fortschritte machte, aber manches konnte er nicht so betreuen, wie er es gerne würde. Der stille Bruder hatte noch einige weitere Verpflichtungen, ich benötigte dennoch weiterhin Hilfe, wie das Geräusch eines Kampfjets bewies, der vor wenigen Tagen über das Gelände des Instituts gedonnert war. Das Fluggerät hatte Probleme gehabt, war jedoch anderenorts sicher gelandet. Ich hatte infolgedessen wieder Rückschritte gemacht. An einigen Tagen hielt ich die Geräusche vergleichsweise gut aus, sah sogar zum Himmel auf und an anderen bewies ich deutlich weniger Resillenz. Zudem hatte der stille Bruder durch Zufall mitbekommen, dass ein anderer Hunter ein Wesen aufgetan hatte. Ein Wesen, das als Psychologe eine Praxis vor kurzem eröffnet hatte. Obendrein kam dann raus, dass wir uns sogar kannten. Eine Überprüfung des Backgrounds ergab, Mikail Johnson war nämlich wie ich ein ehemaliger Soldat der Amerikaner und wir waren in Belgien aufeinandergetroffen. Ein Sturm hatte unseren Heimflug auf einem belgischen Stützpunkt zur Landung gezwungen. Zudem hatten unsere Einheiten der Zivilbevölkerung helfen und die Feuerwehr unterstützen sollen. Als sei das nicht genug gewesen, waren Mikails Männer und meine, sowie wir beide, irgendwie in dasselbe Zimmer gequetscht worden. Ein nicht ganz reibungsloser Vorgang, um es mit höflichen Worten auszudrücken. Wir waren genervt gewesen, nicht wie geplant nach Hause zu dürfen, waren müde von dem Kriegseinsatz und dann kam da so ein herrliches Kompetenzgerangel.

Es gab zudem weitere Gemeinsamkeiten: Er war ein Scharfschütze, genau wie ich. Jeremiah hatte länger mit Xiao gesprochen und ihm die Vorzüge dessen aufgezählt, was eine zusätzliche Therapie mit Mikail bringen würde. Unbewacht würde ich nicht dort hingehen. Ich durfte ohnehin noch nicht ohne Begleitung das Gelände des Instituts verlassen. Es gab Teile in meiner Vergangenheit, an die sich sogar Jeremiah nicht richtig herantraute, weil es so unüblich in der Welt der Shadowhunter war. Zudem wollte er die Verbindung aus dem Lebensabschnitt nutzen, um mich zu festigen. Gleichzeitig bekam ich so die Gelegenheit, mehr wahrzunehmen, ein Wesen kennenzulernen und die Empfindungen genauer zu reflektieren. Dass ich diese Reize wahrnehmen konnte, aber noch nicht einzuordnen vermochte, bewies das Treffen mit Rin. Ich folgte einfach meinen Instinkten, denen eines Soldaten. Wahrscheinlich war ich schon im Afghanistankrieg auf manches Wesen getroffen, ohne dass ich es wusste. Diese neue Begegnung könnte in einem relativ geschützten Raum stattfinden. Obendrauf hatte das Institut regelmäßig gleich vier Augen auf Mikail. Mich, als auch die Begleitung. Eine klassische Win-Win-Situation. Heute war es zum ersten Mal so weit. Einfach war das nicht. Mich erneut jemanden zu öffnen, war sehr schwer. Viel mitzureden hatte ich da nicht, aber ich ahnte sehr wohl, dass es ein wichtiger Schritt war und mein Zutun durchaus Beachtung finden sollte. Ein sehr wichtiger, großer Schritt. Die Anstrengung schlug sich wie immer in einem erhöhten Schlafbedürfnis nieder und ich pennte locker neun bis zehn Stunden. Manchmal sogar bis zu zwölf. Dennoch war ich nervös. Noch ahnte ich nicht, dass ich den Typ sehr wohl kannte. Unsere letzte Begegnung war vor einigen Jahren in Belgien auf einem Stützpunkt gewesen.

Uff, mein Körper zeigte eindeutig, dass es ziemlich viel für mich war. Ob Mikail bekannt war, dass er zu einem Untersuchungs- beziehungsweise Übungsobjekt wurde für mich, wusste ich nicht. Wahrscheinlich eher weniger. Nachdem Mikail die vorangegangenen Prüfungen sowie einer scheinbar zufälligen Begegnung mit einem Jäger nicht als Gefahr eingestuft worden war, wurde der Kontakt bezüglich meiner Person hergestellt. Heute war mein erster Tag. Dennoch ging ich, zeigte entsprechenden Einsatz und bewies damit, dass mir meine Gesundheit langfristig wichtiger war, als die Angst selbst und all die Vermeidungstaktiken, die viele Patienten mit meinem Krankheitsbild an den Tag legten. Warum ich es tat? Ich wollte wieder leben und ich wollte auch für Xiao und mich ein normales Leben, ebenso lieben. Ich liebte Xiao Yun schlichtweg und das war ein weiterer Grund, mich diesen Problemen zu stellen. Ich war nicht allein, ich wusste, dass er mir helfen wollte. Aber das ging nur, wenn ich es zuließ. Eine gewisse Strenge tat mir auch gut, die richtige Balance zu finden. Das hatte Jeremiah ebenso schon spitzbekommen.

Nun betrat ich nach einem herein den Raum. Eine tiefe Stimme, ein Mann also. Ob das nun gut oder schlecht war, wusste ich noch nicht zu beurteilen. Nachdem ich die Tür geschlossen hatte, sah ich auf und runzelte die Stirn. Huch, wer war denn das? Irgendetwas klopfte mir im Hinterkopf herum, wild und mir wurde klar, entweder ich hatte ihn schon einmal getroffen, oder aber er erinnerte mich an jemanden. Warum? Ich war total verwirrt. Wer war er? So reagierte ich etwas verzögert, sodass es eine halbe Minute dauerte, ehe ich ein „Guten Morgen“ herausbrachte. In meinem Kopf arbeitete es. Wieso kam mir die Person bekannt vor? Hatte der alte Sack mich gefunden? Also der Mann, den ich für meinen Vater hielt. Mit der Wachsamkeit eines Soldaten, genauer, Scharfschützen, nahm ich jede Kleinigkeit in mich auf. Mein Verstand arbeitete auf Touren. Entspannung sah anders aus. Mir war nicht klar, dass es Mikail war, den ich in Belgien kennengelernt hatte. Dort waren wir kurzzeitig etwas aneinandergeraten.
Die braune Akte vor ihm drehte sich, eingeklemmte zwischen der Spitze seines Zeigefingers und der Schreibtischplatte, in dem Rhythmus indem er sie eben noch angestoßen hatte. Nachdenklich betrachtete er das Spiel des festeren Papiers, dass mit ein wenig Leim und Metall das Schicksal eines jungen Mannes zusammenhielt. Ein Leben, dass offensichtlich gänzlich aus den Fugen geraten war, so das selbst dieses Papier nun mehr Lebensgefühl in sich trug, als diese erkrankte Seele, die nun drohte zu vergehen. Langsam, wie die flackernde Flamme einer Kerze, deren Docht zu tief in das Wachs getaucht war. Sie lechzte nach Sauerstoff, während ihre Nahrung von der sie zehrte, sie nach und nach erstickte. So waren eben solche jungen Männer und Frauen. Sie lechzten nach inneren Frieden und Ruhe, während das lahmgelegte Leben um sie herum sie langsam zu ersticken drohte. Dieses war ihnen zu viel geworden, wie eben das Wachs. Angestaut durch ihre traumatischen Erfahrungen, Erlebnissen und Lebenseinschnitten. Es war die ausgewogene Mischung aus beidem, die die Lebensgeister erneut zum Brennen brachte und damit die Freude wieder zurück in das Geschehen ihres Lebens kehren liess. Ein langer, beschwerlicher Weg, von dem man nie wusste, ob man das Ziel erreichte. Jeder Weg, egal wie schwer, begann nun einmal mit dem entscheidenden ersten Schritt. Dieser hatte er bereits gewagt, damit eine Distanz überbrückt, die vielleicht für Viele so knapp und leicht zu überwinden galt, die für ihn jedoch wie ein unendlich laufender Marathon sein musste.

Mikail wusste gut um das in den Papieren beschriebene Phänomen. PTBS - Posttraumatische Belastungsstörung. Wahrscheinlich war er sogar einer der wenigen Therapeuten, die sich intensiv mit eben dieser seelischen Erkrankung beschäftigt hatte, aus eigenem Interesse heraus. Den die Symptome dieser seelischen Erkrankung gibt es wahrscheinlich schon so lange wie die Menschen selbst. Oftmals litten die Menschen verborgen darunter. Verdeckt unter der dreckigen Scham, hatten sich gerade die die am meisten Hilfe benötigten, damals zurückgezogen. Man litt still und leise, zum Schutz der eigenen oder der teils auch der fremden Ehre. Mikail wollte gar nicht wissen, wie viele Menschen diese Störung das Leben gekostet hatte, die man zuvor als merkwürdige Eigenbrötler oder eben Spinner abgetan hatte.

Sein Mittelfinger unterbrach die hypnotisierende Drehung der Akte und mit nachdenklich, zu Schlitzen verzogenen Augen, strich er über die Kante der beigen Pappe. Bereits seid Monaten betreute er keine Patienten mehr, eben seid dem Umzug nach Kyoto. Es hatte sich einfach nicht ergeben hier vor Ort, gerade als Ausländer, eine Lizenz zu erhalten. Man stand dann doch dem Riesen durchaus ein wenig kritisch gegenüber, trotz der guten Diploma, die er vorweisen konnte. Tatsächlich hatte er auf die letzte Minute hin eine Anstellung als Dozent in der nahegelegenen Universität ergattern können. Nicht, dass ihm die der Kontakt zu seinen Patienten fehlte, doch war es eben etwas anderes. Nun war eben zuständig sein Wissen zu vermitteln, beziehungsweise, die entsprechenden Pläne der Fakultät umzusetzen. Mit einem leisen Schnaufen, das er über seine Nase ausstieß, legte er das Papier auf die schwarze Schreibtischunterlage. Ordentlich, akkurat, lag sein Kugelschreiber daneben. Es war kein leichter Fall, zumindest das wenige, was die geschwärzten Zeilen auf den weißen Blättern der Akte hergaben. Beinahe wie beim Militär und doch kam diese Akte nicht von einer militärischen Einrichtung. Im Gegenteil, es war ein Kollege gewesen, der ihm die Akte zugesteckt hatte, mit der Bitte sich diese anzusehen.

Der Blick des Fay streifte wieder den Namen, den man in einem kleinen Kästchen verzeichnet hatte. Es war eben dieses Gefühl, diesen bereits schon einmal gehört oder gelesen zu haben, zusammen mit dem militärischen Werdegang des Patienten, der ihn letztlich vollends aufmerksam werden liess, ehe er mit geweckter Neugierde seinen Kontakt für einen Termin angerufen hatte. Nun sass er hier, an seinem Schreibtisch in seinem Ein-Zimmer-Apartment und starrte regelrecht auf die Unterlagen. Er tappte vollkommen im Dunkel, was ihn nun erwarten würde. Eine Ungewissheit, die an der Geduld des Fay zerrte, der sich nun von dem Bürostuhl erhob, um knapp aus dem Fenster zu schauen. Eigentlich, sollte sein *Notfall* bereits hier sein, vor ihm in diesem kleinen, gemütlichen Sessel aus schwarzen Leder. Doch dies war eben nicht der Fall. Ob der Patient kalte Füsse bekommen hatte? Womöglich.

So wartete er geduldig, bis es klopfte und nach einem *Herein* von ihm endlich ein Mann eintrat. Noch verborgen in dem Schatten des Morgens schob sich eine große Gestalt zur Tür herein und schloss diese. Offenbar verwundert nun in einer elegant und doch eher dunkel eingerichteten Privatwohnung zu stehen. Wobei das Wort Wohnung womöglich übertrieben war. Sicherlich, der Raum war groß, doch wirkte irgendwie – leer. Lediglich an der Wand fand man ein Regal, in dem man viele Fachbücher einsortiert hatte. Ein Foto, eingerahmt, wirkte darin so fehl wie eine Kuh im Pferdestall und doch schien es wichtig genug zu sein. Eins der wenigen persönlichen Dinge darin. Eine kleine Küchenzeile schien alles abzurunden und doch fehlte etwas, neben den zwei Sesseln und dem kleinen, runden Couchtisch – ein Bett.

Mikail musterte den Blonden aus leicht zusammen gekniffenen Augen, ehe sich seine Mundwinkel leicht kräuselten, mit der tiefen Gewissheit endlich zu dem Namen ein Gesicht zu haben. „Guten Morgen.“, reagierte er ruhig und wandte sich um. Doch anstatt ihn zu bitten sich zu setzen, liess er ihm die Zeit die er benötigte um anzukommen. Waren ihm die musternden, fragenden Blicke doch nicht entgangen. So schmunzelte er leicht, kaum merklich, und wartete ab, ob bei dem Blonden der Groschen fiel.

Mairtin Connolly

Es hatte mich Kraft gekostet, hier her zu kommen. Jetzt aber war ich auch ein wenig stolz darauf, dies geschafft zu haben. Langsam sah ich mich um. Bett, Tisch, Küche, das war doch eine Einzimmerwohnung. Leise murmelte ich, „es tut mir leid, Ihre Privatsphäre zu verletzen“, ohne, dass ich es erst richtig verstand, was los war. Der Tonfall war ganz leise, kaum zu hören. Ich war im wahrsten Sinne ein Schatten des Mannes, den Mikail einst kennengelernt hatte. Und das Gruselige war: Ich hatte schon Fortschritte gemacht! Doch der Weg war noch weit. Mit Xiao an meiner Seite war ich allerdings auch stärker als gedacht. Ich schwitzte noch immer vor Nervosität, wusste aber nicht, woher das überhaupt kam. Das ich etwas zu spät war, wusste ich nicht. Aber egal, ich hatte es hier her geschafft. Das war ein gutes Zeichen. Es war typisch für PTBS-Patienten sich vor der Therapie zu verstecken. Ich konnte sehen, dass der Mann noch nicht lange hier war. Es war mir unangenehm, ihn in seinem privaten Raum so sehr zu stören. Andererseits war es sein Ding, wo der Therapeut Patienten empfing. Sein ruhiges guten Morgen holte mich in die Realität zurück. Dann fiel mir auch sein Schmunzeln auf. Warum? Moment, kannten wir uns? In meinem Gesicht stand geschrieben, wie sehr ich in meinem Gedächtnis nach der passenden Begegnung suchte. Es dauerte gut eine halbe Minute oder sogar eine ganze. Unwillkürlich legte ich mir die Fingerspitzen der linken Hand an die Schläfe derselben Seite. Genau diese Geste hatte ich ihm schon einmal gezeigt. Zunächst war es mir nicht bewusst. Doch dies half mir, der richtigen Erinnerung auf die Spur zu kommen. „Belgien... Sturm...“ Ich runzelte die Stirn. „Ex-Chief Warrant Officer Mikail Johnson... in Japan?“, fasste ich dann erstaunt zusammen. „Wie ...“ Die Verwirrung war mir anzusehen, aber es half, mich wieder zu erden und anzukommen. Immerhin tickte ich nicht mit einer Panikattacke aus. Endlich setzte ich mich auf die Couch, ein Zeichen, dass ich etwas entspannte und bereit war, mich auf die Gespräche einzulassen. Gut so. Nun erinnerte ich mich auch, dass wir schon einmal beim Du gewesen waren und es auch zu einer Diskussion zwischen uns gekommen war. Wir waren beide Scharfschützen gewesen, gehörten jedoch unterschiedlichen Armeen an. Da gab es schon das eine oder andere mal Kompetenzengerangel. In Belgien war das aber nicht so stark der Fall gewesen. Was wurde das hier? Dass ich fast komplett überfordert war, konnte Mikail meinem Gesicht ansehen. Wie viel konnte ich erzählen? Und wie viel wusste er schon von mir? Ich atmete tief ein und aus, brauchte einige Minuten, ehe ich ihm nun standhaft genug in die Augen blicken konnte. Nur wenige Monate nach unserer Begegnung hatte mein Erzeuger mich entführen lassen. Langsam stieg wieder Übelkeit in mir auf. Was wollte Mikail nun von mir? Einmal mehr erinnerte ich nicht an den Mann, der ich gewesen war, an den frechen Scharfschützen, den Mikail damals kennengelernt hatte. Stattdessen könnte ich die Vorstellung an ein total verwirrtes, verängstigtes Tier, das nicht wusste, was erwartet wurde, aufleben lassen. Schweiß stand auf meiner Stirn. „Wie ... ist das Vorgehen?“, schaffte ich es dann, schließlich ganz leise zu fragen. Es war fast kaum zu hören.
Der Blonde wirkte etwas verloren in dem offensichtlich leeren Raum. So stand er in dessen Mitte, wo das fehlende Bett dem Ganzen doch einen eher Wohnzimmerähnlichen Charakter einhauchte. Leise murmelte er etwas. Ein Mensch hätte dies wohl kaum verstanden. Mik hingegen winkte ab. „Ich hätte wohl kaum das Treffen an diesem Ort stattfinden lassen, wenn ich mich in meiner Privatsphäre gestört fühlen würde.“, erwähnte er sehr ruhig mit immer noch dem erkennenden Lächeln und liess dem Blonden damit auch die Zeit sich an die Umgebung und vor allem an das Fremde zu gewöhnen.

Der Riese bildete einen dunklen Schatten vor dem hellen Fenster und löste sich daraus. Lautlos und vor allen Dingen ruhig setzte er sich erneut, ohne Mairtin dabei aus seinem Blickfeld zu lassen. Er kannte nur wesentliche Punkte aus der zumeist geschwärzten Akte, die wohl in einem Holzofen als Anzünder mehr dienlich war, als diesem Blonden und auch ihm zu helfen. Gelassen schob er die Akte auf seinem Schreibtisch zu Seite. Er wusste, aus eigener Erfahrung, wie provokant und vor allen Dingen beängstigend musternde Blicke haben konnten. Auch würde er es vermeiden den Blonden auf seine Verspätung hinzuweisen. Mik war ohnehin überrascht, dass er überhaupt aufgekreuzt war. Allein dies war bereits ein Fortschritt.

Innerlich seufzte der Fay jedoch. Der Anblick de jungen Blonden war schmerzhaft. Zumindest wenn man sich daran erinnerte, wie er ihn kennengelernt hatte. Rotzfrecher Saubengel. So hatte er sich damals bei einem seiner Vorgesetzten über den, noch zu feucht hinter den Ohren, jungen Befehlshaber seiner Truppe in Belgien ausgelassen, jedoch bereits damals ebenfalls betont, dass er glaubte, dass dem Jungen eine große Karriere in dem Militär winken würde. Leicht wanderte sein Blick noch einmal zu der Gestalt des Blonden. Was war nur geschehen, dass sich diese Hoffnung zerschlagen hatte?

Mit Absicht hatte Mik seine Privaträume als ersten Treffpunkt vereinbart. Zu einem besass er keine Praxisräume, womit sie auf kleine Büros an der Universität hätten ausweichen müssen, zum anderen empfand er es schlicht persönlicher und ruhiger, als ein neutral, klinisch reiner Raum, inmitten des Ameisenhaufens eines Universitätsgebäudes. Hier hatte sie die Ruhe, die er womöglich benötigte, zumindest einen weiteren Schritt zu tun. Finger rieben die Schläfe des Blonden und das Schmunzeln auf dem Gesicht des Dunkelhaarigen wurde breiter. Auch diese Geste kannte er bereits. „Kaffee mit Zitrone?“, fragte er ruhig und deutete auf den Sessel. „Falls du dich setzten willst.“ Würde er es ihm überlassen, ob er dieses Angebot annahm oder nicht, eher sich bereits erhob und die wenigen Schritte hinüber zu der kleinen Küchenzeile machte.

„Aye.“, bestätige er ihm mit einem leichten Nicken, während er ihm bereits den Rücken zuwandte, die Verwirrung des Blonden zunächst missachtend, die er in dessen Gesicht hatte erblicken können. „Ich hatte bereits schon damals das Militär aufgegeben und das Pferd gewechselt. Als wir und in Belgien trafen hatte ich mich bereits in den Praxisjahren meines Studiums der Psychologie befunden.“, räumte er ruhig ein und koche Wasser ziemlich Oldschool auf dem Gasherd auf. Leise klackte es, als er ihn anzündete und den kleinen Topf mit Wasser aufstellte. In eine French-Press gab er mehrere Löffel duftenden Kaffeemehls, beinahe als wäre es Absicht. Vielleicht war es das auch. Viele verbanden positive Erinnerungen mit diesem Duft. Leise blubberte das Wasser nach bereits wenigen Sekunden. „Ich hatte damals selbst Probleme.“, verriet er ihm und goss vorsichtig das Wasser in die Kanne, ehe er den Deckel aufsetzte. Leicht lehnte er sich mit der Hüfte gegen die Küchenzeile.

Erst jetzt, als sich Mairtin gesetzt hatte und wohl zumindest ein wenig die Sprache wiedergefunden hatte, sah er ihn an. Nicht musternd, nicht bemitleidend und erst recht nicht verurteilend, sondern mehr wie ein Freund, oder eben jemanden, der ahnte, was ihn dem jungen Blonden vor sich ging. „Das weitere Vorgehen?“, schoben sich seine Augenbrauen in die Höhe und die Frage blieb lange im Raum stehen. So lange, dass er bereits die Presse hinunterdrückte und mit einer frisch aufgeschnittenen Zitrone, der Kanne und zwei Bechern auf einem Tablett zurück zu seinem Sessel kehrte. Ruhig stellte er dies auf den Couchtisch zwischen ihnen. „Darf ich mich setzen?“, fragte er ihn ruhig. „Reden…erzählen….“, klärte er ihn auf. „Ich kenne aus deiner Akte nur wenige fachliche Stichpunkte. Doch diese beschreiben die Symptome und nicht dich.“, erläuterte er weiter sehr ruhig und goss ihm ein, liess ihm dabei jedoch offen ob er sich ein wenig Zitrone selbst in den Kaffee tat. „Erzähl mir, was auch immer du mir erzählen willst. Egal, was es ist.“, schlug er ihm vor und liess ihm damit die Wahl, ob dies ein Door-Opener oder eben bereits der Austausch seiner Erfahrungen werden würde. Letztlich…brauchten sie beide Vertrauen.

Mairtin Connolly

Ich beobachtete die Situation genau. Der ehemalige Soldat meinte er hätte kaum diesen Ort gewählt, wenn er nicht damit einverstanden wäre. Ein knappes Nicken. Hm das stimmte wohl. In meinem Kopf ratterte es wie verrückt. Nur langsam schaffte ich mich wieder etwas zu entspannen. Die Muskulatur zeigte es ganz genau. Meine Arme, die Oberschenkel und mein Bauch zeigten es. Aber auch ein Zittern hörte auf. Mikaiel lächelte ein wenig. Ich wartete ab. "Belgien war … komisch", gab ich leise zu und fand keine anderen Worte. Den musternden Blick musste ich erst mal aushalten. Einfach war es nicht, aber es ging. Ein halbwegs guter Tag. Dass Mikail die Bewegung von mir kannte, wie ich mir die Schläfen massierte, bemerkte ich erst als er es merkte. Dankbar nickte ich. "Ein Kaffee wär wohl ganz gut. Danke dir." Und ich setzte mich auf seine Einladung. Es half wohl weiter zur Ruhe zu kommen. Ich hob die Augenbraue "Ja ein krasser Wechsel." Das war bei mir selbst ebenso der Fall. Die Entführung. Die Befreiung. Es waren wie drei verschiedene Leben. Ganz verschiedene Leben.

"Also garantiert friedlicher im Studium." Auf dem Herd blubberte das Wasser. Auf die ganz alte, einfachste Weise wurde es hier zubereitet, so wie wir es beide wohl auch aus dem Einsatz kannten. Im Feld blieb einem manchmal auch nur ein Gaskocher oder ein Feuerchen, das man entfachen musste. Natürlich gab es auch die Ein-Mann-Rationen, denen nur noch heißes Wasser zugefügt wurde. Satt machte es schon. Aber manches war echt ekelig - zumindest nach meinem Dafürhalten. Diese Pizza-Toasts bei den Amerikanern? Bloß nicht. Da rollte es den Italienern wiederum die Zehennägel hoch. Der Duft des Kaffees verbreitete sich langsam immer mehr im Raum und vermittelte ein Gefühl von Heimeligkeit oder so etwas. Es war erstaunlich, dass der größere selbst Probleme zugab. Damit hätte ich nie gerechnet. Ohne, dass es mir selbst zunächst bewusst war, beruhigte ich mich weiter. Indem er ganz langsam einen Zugang zu mir suchte, half er mir, mich zu öffnen, obwohl mich dies noch immer ängstigte. Nur reden und erzählen. Nur, es klang so banal und gleichzeitig so gewaltig bedeutsam.

Ich sollte etwas von mir erzählen. Puhh, anstrengend, irgendwie. Ich kramte erst mal nach den richtigen Worten. “Ähm …” Das war schon bezeichnend. Es war ein ungewohnter Einstieg für mich. Jeremiah hatte andere Wege mich zu knacken, hatte er doch meine Gedanken gelesen. Aber diese Form der Therapie beziehungsweise des Gesprächs war wichtig für mich, wie er meinte. Interaktion mit Menschen, uff, anstrengend. Meistens jedenfalls. Mit Xiao hingegen fiel es mir erstaunlich leicht. Mein Bruder war in unserer Jugend ebenfalls sehr wichtig gewesen. Manchmal sprach ich auch mit Chiaki. Der Teenager machte es auch relativ leicht. Aber es gab Dinge, die wollte ich ihm gewiss nicht sagen. Und mein Hengst konnte ja schlecht antworten. “Ähm … es ist nicht so einfach.” Jep, das traf es wohl bestens. “Ich hab noch immer das Gefühl, dass es meine Schuld war. Manchmal jedenfalls.” Ein Teil von mir wusste, dass es bescheuert war. Es zeigte, dass ich immer noch unter den vergangenen Jahren litt.

Als der Kaffee fertig war, nahm ich einen Schluck. Auch das half, runterzukommen. Meinte ich jetzt eigentlich Belgien oder das, was mir die letzten Jahre passiert war? Plötzlich schoss mir ein Gedanke an Xiao in den Kopf. Unwillkürlich entspannte ich. Ich war in Sicherheit. Das hier war nun die Wirklichkeit und ich würde nicht gleich wieder aufwachen, in Schweiß gebadet feststellen, dass ich doch nur alles geträumt hatte. Es war real. Xiao war real. Fast hätte ich seinen Namen gesagt. Doch ich wollte ihn schützen. Wahrscheinlich sah man mir das auch irgendwie an. Es war typisch für einen Soldaten, auch wenn er verletzt war.
Es waren ruhige, bewusste Bewegungen die der Fae ausführte, als er den Raum durchquerte, um sich dem Kaffee an der kleinen Küchenzeile zu widmen. Ein Vorgang der mehr wie beabsichtigt war. War es doch ein Moment in dem keine Augen auf dem Blonden ruhten und überhaupt die Aufmerksamkeit eben auf andere Dinge gelenkt wurde. Der Fokus des Therapeuten, der auf dessen Patient regelrecht lastete und den der Blonde wahrscheinlich bei anderen erfahren hatte, würde dieser hier nicht finden. War Mikail doch wesentlich davon überzeugt, dass es wichtiger war Grenzen und Mauern durch die Grundlage des Vertrauens zu schaffen, statt durch gezielte Fragen ein Unwohlsein zu provozieren, dass erneut Brücken einschlug und Mauern errichtete. So würde der Fae sich niemals einen musternden oder gar bewertenden Blick bewusst erlauben.

Ein kleiner Fehler, der ihm bewusst wurde, als er sich in seinen Gedanken gefragt hatte, was wohl dem Blonden widerfahren war. So waren es seine eigenen Erinnerungen an den damals frechen und vorlauten Blonden gewesen, die den Dunkelhaarigen tatsächlich knapp dazu bewog. Ein minimaler Fehltritt, der mehr wie menschlich war und doch so hinderlich. Sofort riss er den Blick von dem Blonden los, der sich eben noch entspannt hatte. Sichtlich ebbten die Kontraktionen seiner Muskeln ab.

„Belgien war und wird immer komisch sein.“, stimmte er ihm ruhig mit einem leichten Nicken seines Kopfes und einem Lächeln zu. Leise klapperte es, als er Tassen und Löffel aus der eher minimalistisch wirkenden Küchenzeile hervorzog, der Bestätigung von Mairtin folgend. Dessen Dank, nickte er mit einem gemurmelten *Gerne doch.* freundlich ab. „Ich glaube, es gibt kein Land, in dem so viele Schokoriegel frittiert werden wie dort.“, schmunzelte er, als er die silberne Dose mit dem Kaffeemehl aus einen der Schubladen herauskramte.

„Das Essen war fürchterlich. Wie auch die Unterkunft.“, stellte der Dunkelhaarige ruhig klar, offenbar vertieft in seinem Tun der Zubereitung des Kaffee, der bereits bei dem Öffnen der Dose sein Aroma in dem Raum verteilte.

Wusste der Dunkelhaarige doch nur zu gut, dass es einfacher war über Belangloses, wie den damaligen Einsatz, zu sprechen. Leichterer wurde es, wenn man gemeinsamen Erinnerungen teilte. Wobei er von einer Reflektion der Geschehnisse in Belgien absehen würde und eben nur die positiven Dinge erwähnen würde. Behutsamkeit, etwas was manch einer dem Riesen durchaus nicht zugetraut hätte.

So nahm der Dunkelhaarige es durchaus als positiv wahr, dass Mairtin sich nun setzte. So schien dieser sich weiter zu entspannen, zumindest soweit dies ihm eben möglich war. Ein schmales Brett aus Holz legte sich auf die kleine Ablagefläche neben dem Gasherd, als er nun eine Zitrone aus dem Obstkorb aufschnitt.

„Durchaus.“, bestätigte er ihm, während er die Frucht nun viertelte und ein Stück bereits auf die Unterlasse legte.

„Ein Wechsel der nach den Jahren im Militär und nach meinem Einsatz im Desert Storm notwendig war.“, sah er knapp von seiner Arbeit auf, die ihn offenkundig beschäftigte.

Dabei behielt er den Blonden durchaus im Auge. So registrierte er diese Anspannung, die den Blonden nur schwer loszulassen schien. Unterschwellig war diese immer da. Eine Art Nervosität, als wenn derjenige darauf wartete, dass im nächsten Moment eine Bombe hochgehen würde. Erwartet unerwartet. Eine Ruhelosigkeit, bei der Mikail hoffte, dass Mairtin es schaffte diese irgendwann abzulegen.

„Aye…könnte man meinen, nicht wahr?“, stimmte er ihm nur in Teilen, was das Studium anging und spielte auf die vielen Schwierigkeiten der Höhen und Tiefen der menschlichen Seele an. Etwas, was er nicht weiter vertiefen würde. Noch nicht.

„Für mich persönlich ist es das auf jeden Fall. Auch wenn bei manch anderem der Begriff Frieden, selbst im Studium, unterschiedlich interpretiert werden könnte.“, amüsiert zogen sich seine Mundwinkel leicht hinauf, als er an so manches Wortgefecht anderer Studenten dachte wenn zum Beispiel ein dringend benötigtes Buch in der Bücherei ausgeliehen gewesen war.

War es doch auch unter den Kommilitonen ein Gefecht um die besten Noten. Ein Krieg auf einer ganz anderen Ebene. Wie auch die Duelle, die so manch seiner ehemaligen Patienten tief in deren Inneren austrugen.

Vorsichtig zog er die Kanne von dem Herd, übergoss das Kaffeemehl zum Quellen zunächst mit etwas heißem, kochenden Wasser, ehe er die gesamte French-Press nun auffüllte und den Deckel verschloss. Aromatisch zog sich der Geruch des frisch aufgebrühten Kaffees durch die kleine Wohnung. Die Augen des Fae waren starr auf die Kanne gerichtet, als er selbst mit ruhigen Worten zugab, dass er Probleme gehabt hatte und diese eben der Grund für den Jobwechsel gewesen waren.

Er brauchte nun nicht damit zu beginnen, dass der Dienst bei dem Militär, egal welchen Landes, stets hart war. Ein Kriegseinsatz traumatisch. Dies alles waren Dingen, die Veteranen wie er und Mairtin zu Genüge bereits gehört hatten. Leider von Menschen, denen überhaupt nicht bewusst war, wie friedlich sie überhaupt lebten. Menschen, die niemals auch nur einmal in die grausame Fratze des Krieges oder eines gewaltsamen Traumas geblickt hatten.

Grausamkeiten, von denen der Fae behaupten würde, tatsächlich jede durchlebt zu haben in der langen Spanne seines Lebens. Etwas, dass ermüdend gewesen war. So mühsam, dass es lähmend für seinen Geist wurde.

„Es überrascht dich.“, drückte er langsam die Press herunter. Leise hörte man, wie er nun den Kaffee eingoss.

Eine banale, einfache Feststellung, bei der er keine Reaktion von dem Blonden erwartete, als er nun mit einem kleinen Tablett hinüberkam und Mairtin die Kaffeetasse auf dem Seitentisch hinstellte.

„Das Studium war mein Ventil gewesen damit klarzukommen.“, setzte sich der Riese nun ebenfalls auf einen herangezogenen, gepolsterten Stuhl. Nein, er hatte nicht vorgehabt sich hinter dem Schreibtisch zu verbarrikadieren.

Etwas, was möglich eine weitere Mauer aufgebaut hätte. Die des Therapeuten und die des Patienten, mit dem Schreibtisch als Bollwerk in der Mitte.

Ruhig beugte er sich vor, nahm selbst zwei Löffel Zucker in den schwarzen Kaffee, ehe er sich zurücklehnte. Die Akte Maritins, mit den geschwärzten Zeilen der Dokumente, hatte er auf dem Schreibtisch offensichtlich vergessen. Doch lediglich offenbar. Leise klapperte es erneut, als er nun den Kaffee umrührte. Jede Handlung von Mik waren wohlüberlegt, wie auch die Akte zum Teufel zu jagen. Er wollte mit ihm sprechen. Ihm selbst – der Person. Nicht dem Patienten, nicht der Nummer in der Krankenakte.

Vor ihm sass Mik nicht nur als Therapeut, sondern ebenfalls als ein Mensch, der es gelernt hatte zuzuhören. Es war nicht gänzlich unwichtig, was in den Papieren stand. Doch so wollte der Fae eben den Menschen Mairtin erneut kennenlernen. Dem Wesen, den der Blonde tief in sich verborgen hielt um ihn zu schützen. Etwas, was er dem Blonden ebenfalls bestätigte. In der Akte standen lediglich die Symptome und die Fakten. Doch sagten diese nichts über den Menschen aus, der tief verborgen lag.

Erzählen – der Dunkelhaarige ahnte wie schwer dies war, selbst über die banalsten Dinge dies zu tun.

Als Mairtin zugab, dass es nicht einfach war, nickte der Dunkelhaarige leicht, verstand er ihn doch nur zu gut, und sah das erste Mal bewusst langsam zu ihm. „Beginnen wir doch damit, ob du Zucker oder Milch in deinen Kaffee möchtest?“

Eine banale Frage, die der Fae mit einem ruhigen, verständlichen Lächeln aussprach. Ja, er hatte die Zeit und Geduld ihm zuzuhören.

„Es ist egal, worüber du sprechen möchtest.“, versicherte er ihm und liess seinen eigenen Kaffee dampfend in der Tasse zurück. Feiner Dunst zog sich von der dunklen Oberfläche hinauf. Versicherte er ihm damit doch auch, dass er nicht drängeln würde. „Ich höre zu.“, bekräftigte er und war umso überraschter, dass der Blonde nun doch begann zu sprechen.

Mik war sich sicher, dass der Blonde bei dem Schuldeingeständnis seinen Leidensweg meinte. Typisch für jemanden der mehrere Trauma erlitten hatte. Zumindest war es dies, was er hatte aus der Akte lesen können. Dennoch hakte der Fae nicht nach, so das dieses typische *Du hast nicht falsch gemacht.* nicht geäußert wurde doch sicherlich irgendwann kommen würde.

Dem Dunklen war einfach bewusst, dass es Mairtin bereits schwerfiel überhaupt ein Gespräch zu eröffnen. Überhaupt etwas zu sagen. Weswegen er zunächst schwieg und abwartete, ohne, dass er sich selbst ein Urteil über das Ausgesprochene erlaubte.

Erst als Mairtin erneut ins Stocken geriet, lächelte der Fae leicht.

„Du meinst, dass du mir in Belgien den letzten Nerv geraubt hast mit deiner Duschaktion?“, schmunzelte er nun und reichte dem Blonden erneut eine helfende, unbefangene Hand zur Einleitung eines Gesprächs.

Mairtin Connolly

Ich wartete ab, was nun passierte und der aufmerksame Betrachter konnte meine Anspannung bemerken oder ahnte, dass ich eigentlich militärischen Hintergrund hatte. Das Getränk half mir immer mehr, mich zu entspannen. Einfach war es nicht. Plötzlich schwappte eine Welle der Müdigkeit durch meinen Körper, die ich aber tatsächlich wieder verdrängte. Das war typisch für mich, möglichst viel verstecken, ein Fluchtverhalten. Es fiel mir manchmal immer wieder noch schwer, mich meinen eigenen Gefühlen zu stellen. Mein Körper spiegelte das Ganze in Verspannungen. Die Art, wie ich ausatmete sprach dafür, dass ich langsam ruhiger wurde. Mikail gab mir die Zeit, die ich nun benötigte, und indem er wegsah, spürte ich besser, dass keine Gefahr drohte. Ich schnaubte ein wenig, als er meinte, Belgien würde immer komisch bleiben. „Da fehlte nur noch die Quietscheente“ konterte ich mit einem kleinen frechen Grinsen, das wieder ein wenig mehr zu dem Mann passte, den der Schotte in Belgien kennengelernt hatte. Der Gedanke an frittierte Schokoriegel ließ mich aufblicken und meinem Gesicht war der Widerwillen direkt anzusehen. „Oh Gott, da wird mir allein bei der Vorstellung an so etwas schlecht. Und was den Kaffee angeht, danke Dir, Milch und etwas Zucker, um die Säure etwas auszugleichen.“ Normalerweise trank ich Kaffee am liebsten schwarz. Aber mit Zitronensaft war das etwas anderes. Und was diese besondere belgische, schokoladige Spezialität anging, DAS waren mir schlichtweg zu verschiedene Komponenten, die meiner Meinung nach nicht zusammenpassten. Da blieb ich lieber bei den Pommes, oder auch bei einem guten Guinness mit Austern sowie Tabascosauce – eine verdammt geile Kombination. (Ob ich Xiao davon überzeugen könnte, stand auf einem anderen Blatt geschrieben.) Und ein guter Guinness-Schokoladenkuchen wäre auch nicht zu verachten. Ich musste lachen, „naja, manchmal hieß es Augen zu und durch oder auch der Hunger treibt es rein und dann irgendwas hinterher, um den fürchterlichen Geschmack loszuwerden.“ Im Zweifelsfall hieß es nun einmal Zähneputzen. Das half immer. Damals in Belgien hatte ich ziemlich unter Strom gestanden, so richtig. Die Aussicht auf die Heimreise löste in mir damals immer wieder Stress aus, negativen Stress. Ich freute mich zwar auf die Pferde und meinen Bruder, aber nicht auf unseren ‚Vater‘. Das hatte damals mehr ausgelöst, als ich immer gern zugeben wollte. Damals hatte ich es nicht gekonnt.

Behutsam nahm ich einen Schluck, als das Getränk vor mir stand. „Desert Storm. Eine Hölle auf Erden, wie manche sagen“ murmelte ich leise und wusste, Mikail würde das wohl ähnlich sehen. Mein Körper zeigte deutlich, ich hatte noch einen gewissen Weg zu gehen. „Frieden ist wie Wasser in der Wüste“ – kostbar, selten und genau so überlebenswichtig. „Aber manchmal macht es auch etwas Spaß, frech zu sein.“ Hm, jep, da kam er wieder durch, der irische, freche Kobold in mir. Der Beweis dafür, dass ich Humor hatte. Obwohl wir beide im Krieg einige schlimme Dinge gesehen hatten, hatte ich den Anblick des ersteren besser weggesteckt, als meine eigenen Eltern. „Man muss das, was da drüben passiert auch irgendwie dort lassen. In eine Box packen und abschließen. Das heißt nicht vergessen oder so. Aber ...“ Der ältere dürfte wissen, was ich meinte. Aufmerksam hörte ich weiter zu. „Verstehe ... ich reite wieder“ deutete ich an. „Riesiger Hengst.“ Devilstar war schon eine Erscheinung für sich. Das Tier war zwar temperamentvoll, aber auch unglaublich neugierig und meistens mutig. Hier aber entdeckte er schon manchmal etwas gruseliges. Tiere, die er nicht kannte, oder so etwas, das ließ ihn schon mal ein wenig an die Decke gehen. Jetzt hatte ich etwas interessantes und wichtiges preis gegeben, das mir doch wiederum kaum groß negativ ausgelegt werden konnte. Sofern man denn Ahnung hatte von Pferden. Es gab Leute, die glaubten, der Reitsport sei generell immer Tierquälerei. Diese einfachen Dinge halfen nun immer mehr, dass ich bereit war, mich zu öffnen. Als er die Aktion in der Dusche erwähnte, legte sich meine Stirn zunächst in Falten. So richtig konnte ich mich nicht erinnern. „Hmm, war schon lustig. Sorry. Dabei hab ich wohl noch Glück gehabt, dass ich Dich NICHT erwischt hab. Ich schätze, ich hab da gebockt wie bekloppt, weil ich mich selbst ablenken musste“
Der Geruch der Zitrone kitzelte ihm in der Nase und verteilte sich sanft in dem kleinen Raum, den er bewohnte und zugleich als seine Arbeitsstelle nutzte. Mit Bedacht legte er die Zitronenspalte neben die Tasse seines Kaffees, noch während in dem kleinen Kessel nun begann das Wasser langsam sprudelnd aufzukochen.

Er schien dem Blonden während des Prozess der Zubereitung keine Aufmerksamkeit zu schenken. Und doch schien jeder seiner Sinne eben bei ihm zu sein. Diesen leisen Regungen, wie er sich langsam entspannte, dass man hörte, wie der Stoff nun leise raschelte, als dessen Körper sich tiefer in den kleinen ledernen Sessel grub. Sicherlich war dies noch keine entkrampfte Haltung, wie man es sich wünschen würde und dennoch war es ein Anfang. Wie auch die Art und Weise wie er nun ausatmete, was der Fae mit seinem feinen Gehör wahrnahm, wie der Körper des Blonden langsam von dem Stresslevel der das Unbekannte in ihm ausgelöst hatte herunterkam.

Zufriedenstellen hob sich bei dem Fae dabei leicht seine Augenbraue, als er nun vorsichtig Wasser auf den aufgequollenen Kaffee nachgoss und die gläserne French Press weiter mit dem immer noch sprudelnden Wasser aufgoss, dass sich nun der wohlige Geruch von frisch aufgegossenen Kaffee sich nun mit dem der Zitrone mischte. Gewollte Geruche, die ebenfalls etwas mit der Psychologie des Menschen zu tun hatte. Immerhin verbanden viele, gerade mit dem Geruch des Kaffee, positive und zum teil wohlige Erinnerungen.

Der Fae schnaufte leise, als sich vor Amüsement kurz seine Mundwinkel hoben, als der Jüngere nun erwähnte, dass lediglich nur noch die Quietsche- Ente damals in dem Überschwemmungsgebiet gefehlt hatte. „Tja, jemand hat wohl vergessen bei laufenden Wasserhahn den Stöpsel zu ziehen.“, hörte man knapp sein dunkles Lächeln nun gar in der Stimme, während seine langen Finger nun die Zitronenspalte neben seine Kaffeetasse legten. Wohl litt der Riese an diesem Tag selbst an Kopfschmerzen. „Auch?“, deutete er an und hob die angeschnittene Zitrone leicht in die Höhe und begegnete dem Blick des Blonden.

Ein schiefes Lächeln blieb auf den sonst so strengen Zügen des Fae. „Bei deren Küche wird einem gerne schlecht. Ich glaube, es gibt nichts was nicht bei ihnen in der Fritteuse landet. Selbst saure Gurken und Burger.“, schmunzelte er nun deutlich und könnte wohl über so manch seiner `un´- kulinarische Begegnungen in Belgien berichten, dass es dem Blonden nur schlicht den Magen umdrehen würde. „*Augen zu und durch*- Prinzip? Hat bei mir nicht immer funktioniert. Einer musste leiden, entweder ich oder meine Kameraden.“, verzogen sich nun erneut seine Lippen zu einem Grinsen, ehe er leicht mit der Zunge schnalzte, noch während er das kleine Holzbrett abwusch um des ordentlich aufgestellt nun trocknen zu lassen. „Wobei. Abgesehen von dem Frittieren…in Schokolade sind sie unschlagbar.“ , goss er nun ihnen in Ruhe Kaffee ein.

Um den Blonden die freie Wahl zu lassen legte er ihm ebenfalls eine kleine Spalte der Zitrone mit auf den Unterteller. In Ruhe fügte er dem warmen Getränk etwas Milch hinzu, ehe noch zwei kleine Beutelchen mit Zucker ihren Platz auf dem Weiß neben der Tasse fand. Das Lachen des Blonden war angenehm, erinnerte es doch an früher. „Ich glaube, dass einzige womit man diesen Geschmack loswerden kann ist mit etwas Hochprozentigen oder Milch.“, reichte er ihm nun den Kaffee.

Es waren nun die Lippen des Dunkelhaarigen die sich bei dem Kommentar über Desert Storm aufeinanderpressten. Eine Hölle auf Erden. Besser hätte es der Fae ebenfalls nicht beschreiben können. Wobei er bereits in vielen Kriegen gedient hatte. Sicherlich, man hätte ihm eine gewisse Abgestumpftheit anrechnen können. Letztlich waren von den nun Anwesenden in diesem Raum, seine Hände am meisten in Blut getränkt gewesen. Dennoch, der Fae mochte das Volk der Menschen unter denen er sein selbsterwähltes Asyl fand. Ein Asyl, dass brüchig geworden war. War es doch wechselhaft, wie das Gemüt des Menschen selbst. Zerstörte doch dieser das was er liebte- sich selbst. Dafür brauchte es kein Zutun eines Gottes oder Allvaters. Der Mensch an sich war bereits das Grausamste was hier auf dieser Erde herrschte.

„Das Kostbarste überhaupt. Vielleicht ist Frieden mehr als Glück.“, setzte sich nun der Fae und stellte die Kaffeetasse neben sich auf den Schreibtisch ab. „Jemand weises sagte einst zu mir, dass wenn ich Frieden mir wünschen würde, ich doch das Leben verteidigen solle. Deswegen…bin ich hier.“, sprach er ruhig weiter und erst jetzt schien er den Blonden bewusst anzusehen. Ein wenig zuckte nun dennoch sein rechter Mundwinkel, als der Blonde meinte, dass es manchmal doch Spaß machen würde frech zu sein. „…bewältigen.“, ergänzte er ruhig den Satz des anderen und sah ihm fest in die Augen, ehe er nickte. „Vergessen wird man diese Bilder nie. Die Box kann helfen, doch zugleich gefährlich sein. Denn wir wissen, was sich darin befindet. So bleibt sie ungerührt, da wir nicht über sie sprechen. Verborgen tief in uns in der Hoffnung, dass wir sie selbst nicht mehr unter unseren Erinnerungen findet. Es kann gelingen, diese Box weg zu schliessen. Doch manchmal…“, zuckten nun beide Augenbrauen hinauf, ehe seine Schultern knapp folgten. Ein jeder von ihnen wusste, dass es gefährlich war eine solche verborgene Box jemals zurück ans Tageslicht zu zerren um sie zu öffnen. Beinahe wie die Büchse der Pandora, wobei man das Grauen bereits kannte, dass in dieser ruhte.

„Du bist geritten? Schon damals.“, schien es den Fae nun zu überraschen und er lehnte ich zurück in die Tiefen des Ledersessels um den Blonden nun zuzuhören. Ein schöner Sport. Dynamisch, voller Anmut und Kraft. „Außer mit Wasser hast du mich nicht erwischt – nein.“, schnaufte der Dunkelhaarige nun, in seinen Gedanken unterbrochen. „Gebockt? Ich würde behaupten du warst chronisch untervögelt.“, traf der Fae es auf den Punkt.

Mairtin Connolly

Langsam ging mir auf, dass Zitrone nicht nur sauer war, sondern auch den Geruch von Sommer sowie Italien mitbrachte. Normalerweise trank ich meinen Kaffee ohne Zitrone, jedoch heute machte ich eine Ausnahme. Zum zweiten Mal ließ ich mich auf das kulinarische Abenteuer ein. Dank unserer Begegnung in Belgien wusste ich allerdings, was mich erwartete. Auch das Getränk half mir, mich zu entspannen, aber noch mehr die gemeinsamen Erinnerungen. „Wenigstens war es nur der Wasserhahn und die Quietscheente. Es hatte keine Gottheit beschlossen, den Schwanz auszupacken und großzügig über Belgien zu pinkeln. Und ja, vielleicht sollte ich öfter Kaffee mit Zitrone trinken“ deutete ich an, dass mich noch regelmäßig genug dämonische Migräneattacken heimsuchten. „Dir ist bewusst, dass mein Captain mich manchmal am liebsten den Mond raufgejagt hätte?“ Dass die Belgier wirklich seltsame, kulinarische Vorstellungen hatten, daran konnte ich mich gut erinnern. „Und von uns Briten behaupten andere, auch wir könnten nicht kochen. Gut, Black Pudding ist zwar lecker, aber für einige durchaus eine Herausforderung. Ich gebe auch zu, eine intensive, dunkle Schokolade ist sehr lecker, aber ich möchte trotzdem keine sauren Gurken oder andere ‚Gurken‘ da rein tauchen. Das ist irgendwie echt ekelig.“ Um fiese Geschmäcker zu vertreiben liebte Mikail wohl Milch. Ich nickte. „Hochprozentiges, Milch oder sehr scharfes Essen. So scharf, dass es vier mal brennt. Im Mund, im Magen, am nächsten Morgen und dem Kanalarbeiter in den Augen“ antwortete ich scherzend.

Dieses Gespräch war recht angenehm, sodass ich immer weiter entspannte. „Frieden, Glück, Freundschaft und Liebe sind neben Freude die wichtigsten Empfindungen und wir brauchen sie zum Leben wie Nahrung und Luft. Sie sind die Nahrung für unsere Seelen.“

Schnell begriff ich, was der Sinn für diese Box war. „Stimmt. Hmm vielleicht mache ich unbewusst so etwas mit den Kriegserlebnissen. Vielleicht komme ich daher besser damit zurecht. Ja, das Reiten .. hmm ich habe schon in meiner Kindheit damit angefangen, auf dem Internat, im Alter von zwölf Jahren etwa. Dort war Reiten mein Sport, für Ballsport war ich nicht zu gebrauchen und auch keine Leichtathleitk. Zweitsport Irish Dance, denn ein Pferd kann ja auch mal verletzt sein Es war ein naturwissenschaftliches-mathematisches Internat aber auch einige ungewöhnlichere Sportarten waren wichtig. Für die gewissen Gesellschaftsschichten. Später beim Militär war ich auch im Springsattel unterwegs. Auch mit Devilstar.“ Der riesige Schotte eröffnete, seinen damaligen Eindruck und brachte mich damit zum Lachen. „Ach, hat man es mir so sehr angesehen? DA hab ich doch echt Glück gehabt, dass Du dicht gehalten hast.“ Es gab immer wieder Männer beim Militär, die gegen Männer wie mich nicht ausstehen konnten. Plötzlich und aus heiterem Himmel fiel mir einer meiner alten Streiche ein, sodass ich unwillkürlich grinste. „Es scheint mir ein kluger Zug vom Schicksal zu sein, dass ich nicht als einer Deiner Männer in Deiner Einheit dauerhaft war. Wie ich darauf komme? Mir fiel gerade wieder ein, wie ich auf den Namen des Ausbilders gewisse Spielzeuge bestellt habe. Ein kurzes Gespräch mit den Jungs von der Poststelle. Nun, Du kannst Dir das Gelächter vorstellen. Er hat es nicht rausgefunden, dass ich es war, aber eventuell hat er es vermutet. Ich bin mir nicht ganz sicher. Zwar hatte er auch gelacht, aber trotzdem. Also, diese Wasseraktion war für meine Verhältnisse damals echt ziemlich harmlos.“ Diese kleine Anekdote aus meiner aktiven Soldatenzeit bewies, dass ich damals ein Spaßvogel gewesen war, frech und als wir in Belgien gestrandet waren doch recht müde. Gleichzeitig musste ein ziemliches Stück Arbeit gewesen sein, mich zu einem solchen Soldaten zu formen. Die Schlüssel waren das Reiten sowie die Eignung als Scharfschütze. Normalerweise waren die Soldaten älter, die zu dem Lehrgang geholt wurden. In seltenen Fällen kam es zu Ausnahmen. Ich war ein solcher Fall und meine Leistungen hatten die Richtigkeit der Entscheidung bestätigt. Ebenso die sehr frühe Beförderung. "Ich fragte mich manchmal, ob nicht zu alt bin für solche Kindereien.“ Jetzt wurde es wieder interessant, denn ich reflektierte. Da sprachen erneut die physische wie psychische Gewalt, die mir meine Familie sowie der ehemalige Soldat Nelson mir angetan hatten. „Es ist immer noch schwer, die Nähe von fremden Menschen zu ertragen, wenn sie hinter mir sind und dabei einen bestimmten Abstand unterschreiten. Es gibt Menschen, bei denen ich aber genug Vertrauen habe und Nähe zulasse. Diese Person bedeutet sehr viel.“ Sogar große Nähe, wenn man bedachte, dass Xiao und ich uns schon geküsst hatten. Ich hatte genug Vertrauen, mich Mikail zu öffnen. Vielleicht lag es auch an den gemeinsamen Erlebnissen und der Tatsache, dass er mich eh schon einmal unfreiwillig nackt gesehen hatte. Unfreiwillig galt in dem Fall für uns beide. Doch noch viel wichtiger war, dass wir im Unwetter in Belgien einander gerettet hatten und dabei die Kabbeleien zwischen in unseren Männern in den Griff bekamen, sodass wir uns auf die vor uns liegenden Aufgaben konzentrieren konnten. Den damaligen Rat des Schotten hatte ich erst zuhause in Großbritannien umsetzen können.