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Sakyō-ku - Inked Soul (Tattoostudio) it is painted with blood - Druckversion

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it is painted with blood - Xiao Yun - 05.11.2023

Wie lang er sich schon mit dieser Idee haderte, konnte Xiao nicht sagen, wohl aber, dass etwas passieren musste, da sie ihn einfach nicht losließ. Der Platz war gefunden, die Größe bestimmt und doch war nichts passiert. Es scheiterte am Bild. Einem Bild, welches etwas Besonderes sein sollte, keine Kopie, kein Foto, etwas Echtes. Eine Fotokopie ließ sich schnell auftreiben, nur was wollte er mit einem Bild, welches nichts aussagte? Einen Platzfüller brauchte er nicht.
Ja, er wusste, wie speziell sein Wunsch war, deswegen war es auch so schwierig. Maler gab es heute nicht mehr viele und wenn, dann stand das Geld im Vordergrund, nicht die Arbeit... So nutzte er den freien Tag, um sich umzusehen, was die Umgebung so zu bieten hatte. An Fotografen war er hier und dort schon vorbeigekommen, aber mehr als Familienbilder waren dort nicht ausgestellt, so war er unverrichteter Dinge weiter gezogen. Dieses Spiel wiederholte sich einige Male, sodass er kurz davor war, aufzugeben und den Wunsch erneut aufzuschieben.
Zwei junge Frauen kamen an ihm vorbei, redeten über einen anderen, jungen Mann, welcher dunkel angezogen war und dessen Tattoos seinen Hals zierten. Natürlich dachte er als Erstes an Hunter und Yakuza, wie es wohl jeder andere tun würde, der davon hörte, doch ein unbestimmter Gedanke drängte sich dazwischen. Yakuza. Tradition. Kunst. Bilder.
Er hielt inne, blieb für einige Momente stehen und wiederholte den Gedanken, ging ihn noch einmal durch, ein wenig langsamer und fand, dass er auf etwas gestoßen war, was ihn weiterbringen könnte. Sein Blick, den er auf eine Reklame gerichtet hatte, wanderte umher. Ein Versuch war es wert. Er nahm das Handy aus der Tasche, gab ein paar Informationen ein und las die Ergebnisse, die ihn zu einem Laden führten, die ihn ein wenig staunen ließen.
Er betrat den Laden, hörte das Klingeln der Glocke über sich und sah sich die verschiedenen Stücke an, die ausgestellt wurden. Im Inneren waren sie noch beeindruckender, als die, welche man an den Fenstern sehen konnte. Manche ließen darauf schließen, dass sie nicht nur die normale Kundschaft ansprachen, aber darüber wollte er sich keine Gedanken machen, solang sein Wunsch erfüllt wurde...
„Guten Tag.“, machte er auf sich aufmerksam, als er zum Tresen ging. Der Inhaber war noch nicht zusehen, aber daran störte sich der Hunter nicht, der seinen Blick weiter schweifen ließ. Wenn er sich die Farben und Kunstwerke genauer ansah, konnte aus seiner Idee wirklich etwas werden. Blieb fast nur noch die Frage, ob er der Inhaber sich nur auf das Stechen beschränkte oder sich auch an Kunst wagte, die mehr aussagte, als das Bild selbst.
Schritte erklangen, die in seine Richtung führten. Fast schon ein wenig zu früh, denn Xiao mochte die Atmosphäre, die hier herrschte, auch wenn er sie nicht genauer beschreiben konnte, aber auch nicht wollte. So was wünschte er sich für sein Bild. Etwas Einzigartiges.


RE: it is painted with blood - Itsuki Fujiwara - 05.11.2023

Die Musik, die ich über Kopfhörer hörte, und die Tätigkeit, der ich mich gerade widmete, standen in einem ziemlich klaren Kontrast zueinander. In meinen Ohren dröhnte das schnelle Schlagzeugsolo, während meine Hand ruhig und in langsamen kreisenden Bewegungen den Sumi-Stick auf einem Suzuri in etwas Wasser auflöste. Für den Termin, den ich später noch hatte, wollte ich bereits die Tinte vorbereiten und da ich gelernt hatte, dass die Sumi-Sticks aus Nara die qualitativ hochwertigsten waren und es sowieso weitaus besser war, seine eigenen Farben zu kreieren, gehörte es inzwischen zur Routine, dass ich einige Zeit vor einem Termin bereits begann, Farben und Tinte vorzubereiten. Während der Arbeit konnte ich mich meist ein wenig entspannen, denn schnelle Bewegungen waren ziemlich ungünstig. Also tief durchatmen, Gedanken schweifen lassen und laaaangsam arbeiten!
Manchmal gar nicht so leicht, wenn man zum Existieren diverse Liter an Kaffee oder Energy-Shots intus hatte und einfach durch all die Chemie schneller unterwegs war, aber so musste man sich manchmal eben dazu zwingen, ein paar Gänge runterzuschalten!
Ich hing also meinen Gedanken nach, bewegte den Kopf zeitweise zum Takt der Musik und starrte auf das Schwarz, das ich kreierte. ...bis die Klingel der Eingangstür mich aus meinen Gedanken und dem beinahe schon meditativen Status riss.

»Einen Augenblick...«, rief ich gen Empfangsbereich, der sich durch eine - momentan offen stehende - Tür von einem meiner Arbeitszimmer trennen ließ und legte den soliden Block Tinte erstmal beiseite, bevor ich die Kopfhörer von den Ohren nahm und mir dabei versehentlich etwas von der schwarzen Tinte an die Schläfe und den Hals schmierte. Kam davon, wenn man so hetzte und vergaß, den Handschuh auszuziehen, mit dem man die Sumi-Tinte bearbeitet hatte. Das fiel mir aber auch erst dann auf, als ich bereits mit der freien Hand den Handschuh abzog und mich an den Fingern noch mehr vollschmierte. Ein lautes Aufseufzen und ein leiser Fluch folgten als ich mir dessen bewusst wurde und meinen Impuls, die Hand an der Hose abzuwischen, gerade noch unterdrücken konnte.

Mich kurz nach dem langen Sitzen gestreckt machte ich mich auf in den Empfangsbereich und konnte bereits vom Türrahmen aus sehen, wie meine Werke von einem Gast ... oder Kunden betrachtet wurden. Wirkte Jung, aber nicht zu jung, vielleicht in meinem Alter, und nicht wir der typische Tattoo-Studio-Gast. Aber was wusste ich schon, ich hatte bereits einige Spätzünder unter der Nadel gehabt. »Guten Tag, was kann ich für Sie tun?«, kam meine Standardfloskel, während ich mich ein wenig verbeugte, wie es sich eben gehörte.


RE: it is painted with blood - Xiao Yun - 12.11.2023

Xiao ließ den Blick weiter durch den Laden wandern und fand die Entscheidung, je mehr Zeit verstrich, die er mit Warten verbrachte, richtiger. Die Kunst, auch in Form von Tattoos, war einzigartig und obwohl sie unter die haut gestochen worden waren, sprachen sie für sich. Oft sah man einfache Dinge, wie Tribals, Blumen, Namen, bedeutungslose Bilder aus der Neuzeit, doch hier.. kleine Kunstwerke, die noch mehr verbargen, als sie auf den ersten Blick zeigen wollten. Je länger er ein Bild betrachtete, desto mehr schien er entdecken zu können. Ja ein Bild schaffte es gar, ihn so weit gefangen zu nehmen, das er die Schritte, welche sich ihm näherten erst bemerkte, als sie ihn fast erreichten. Wann hatte er sich das letzte mal so hinreißen lassen?
„Guten Tag.“, grüßte er den Künstler, nicht davon ausgehend auch gleich den Inhaber vor sich zu haben. Obwohl er diesen hatte sprechen wollen, schien es jetzt nicht mehr so wichtig zu sein. Sollte das Künstler Rücksprache halten müssen, würde er sich Gedulden. Nach der Zeit, die er schon suchte, machte das keinen Unterschied mehr.
„Sind Sie der Künstler dieser Tattoos?“ Vermutungen waren kein Wissen, daher musste er diese Frage stellen, worauf er aber verzichtete, war das Lob. Jeder Künstler freute sich über Anerkennung, aber irgendwas sagte ihm, das er wusste, wie gut er war. Warum also Floskeln nutzen, die er sooft hörte, wenn anderes mehr für sich sprach?
Xiao wandte sich von den werken ab, kam auf den Künstler zu und musterte ihn, auch wenn man vom Äußern nicht auf die Kunst schließen sollte, die er schuf. Der Farbklecks, den er an der Stirn entdeckte, ließ ihn leicht schmunzeln. Irgendwie gefiel ihm dieses Missgeschick.
„Ich habe ein Anliegen, welches vielleicht nicht in ihr übliches Tagewerk passt... aber ich bin davon überzeugt, das sie der richtige sind.“, eröffnete er den Grund für sein Dasein. „Fertigen sie auch Kunst auf Leinwänden an? Ich bin auf der Suche nach einem Bild, eines, das für sich spricht und mehr aussagt, als ein Fotodruck.“, versuchte er zu erklären, bemerkte aber selbst wie es klang, daher suchte er einen anderen Ansatz, um zu verdeutlichen, was er meinte.
„Ihre Kunstwerke sprechen für sich, haben eine Seele und eben das suche ich für mein Bild.“, präzisierte er und fand, das es schon ein wenig besser klang. Wie sollte er ein Gefühl vermitteln, welches sich nicht in Worte fassen lassen wollte? Manchmal reichte die Sprache einfach nicht aus, um sich mitzuteilen, aber wenn der andere vielleicht im Ansatz verstand... Alles andere würde sich dann vielleicht klären lassen. Ein gemeinsames Verständnis musste her.


RE: it is painted with blood - Itsuki Fujiwara - 14.11.2023

Dass sich der Gast erst zu mir drehte, als ich zu ihm aufgeschlossen und ihn begrüßt hatte, wirkte, als hätten die Fotos meiner Tattoos ihn ein wenig abgelenkt. Ob das nun gut oder schlecht war, würde ich vielleicht im Verlauf eines aufkeimenden Gesprächs mitkriegen, als er sich endlich mir zuwendete und sich nach ebenjenen Werken erkundigte. »Ja, das bin ich«, gab ich relativ knapp und direkt wie immer zu, viel mehr hatte ich auch nicht zu sagen. Doch diese Frage sagte mir, dass er er in dieser Ecke wohl nicht so häufig war und weder den Laden noch seine Geschichte und seine Inhaber kannte. Das sprach für mich umso mehr für einen eher untypischen Tattoo-Studio-Gast, denn jene informierten sich zumeist über den Laden, in den sie kommen wollten, um zumindest schon einmal von dem Künstler, der ihnen etwas stechen sollte, vertraut zu sein - vielleicht sogar mit seinen Werken.
Aber vielleicht war er ein walk-in. Spontane Entscheidung, nur nach einem Laden gesucht und direkt losgezogen? Was lohnten sich diese Vermutungen überhaupt, ich würde noch früh genug erfahren, was er wollte!

Ich versuchte also Geduld walten zu lassen und betrachtete ihn, während er seine Gedanken zu formulieren suchte. Fragend hoben sich meine Augenbrauen, als von ungewöhnlicher Arbeit die Rede war. Was würde jetzt kommen?
»Oh«, kam es aus meinem Mund, eigentlich hätte es gedacht werden sollen, aber hin und wieder schlüpfte etwas durch. Er wollte tatsächliche Kunst. Von mir? »Anfertigen - ja. Verkauft habe ich sie bisher nicht, habe aber ehrlich gesagt auch nie etwas in der Richtung versucht«, gestand ich wahrheitsgemäß auf seine Frage. Ich versuchte mir durch den Kopf gehen zu lassen, was hier gerade passierte. Ein Fremder kam in ein Tattoo-Geschäft, weil er auf der Suche nach einer Art Gemälde oder Kunst auf Leinwand war ... irgendwas musste ich doch verpasst haben.
Bevor ich jedoch diese Gedanken irgendwie aussprechen konnte, wagte er einen weiteren Versuch, sich zu erklären, oder so ähnlich. »Sie kommen also zu einem Tattoo-Artist, auf der Suche nach Wohnraumdekoration?«, wagte ich meine eigenen verwirrten Gedanken auszusprechen, doch lag keine Wertung in den Worten, sie waren eine neutrale Frage. Ich war neugierig, wie er auf die Idee gekommen war, ob mehr hinter der Handlung steckte. Schließlich seufzte ich ein wenig hilflos. »Sie haben nicht unrecht, es ist ein ungewöhnliches Anliegen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihnen helfen kann, aber das soll nicht heißen, dass ich nicht offen für einen Versuch bin, wenn Sie mir eventuell genaueres dazu verraten könnten«, lenkte ich aber schließlich ein und fuhr mir mit der nicht-beschmierten Hand durch das offene Haar, strich mir das ins Gesicht gefallene Haar ein wenig aus dem Sichtfeld, nach hinten und hinter das Ohr.
»Möchten Sie sich vielleicht setzen? Kann ich Ihnen etwas zu Trinken bringen?« Ich deutete auf eine zweite Tür, die von dem Empfangsbereich wegführte, sie war noch verschlossen und war der Eingang in mein privates kleines Büro und Studio, in dem ich allerhand Verwaltung, Papierkram und Kunst schuf. Dort konnte man in Ruhe sitzen und sich unterhalten.


RE: it is painted with blood - Xiao Yun - 20.11.2023

Sich spontan ein Tattoo stechen zu lassen, wäre wohl das letzte, worauf er kommen würde, was nicht nur daran lag, das er mit Runen übersät war, die Menschen nicht sehen konnten. Xiao war nicht der ganz spontane Typ. Ehe er etwas in Angriff nahm, brauchte er eine geraume Weile, um sich alles genau zu überlegen und einen Plan zu machen. Wenn die Vorstellung dann stimmte, unternahm er etwas, so auch in diesem Fall. Nicht zuletzt um genau beschreiben zu können, was er wollte. Was nutzten Halbgare Dinge, die der gegenüber nur zum teil verstanden, um dann etwas zu tun, was so gar nicht den Vorstellungen des Urhebers entsprach. Als Teilausbilder wusste er, wie genau Anweisungen sein mussten, zum Teil um Schlupflöcher zu stopfen, die gnadenlos ausgenutzt werden konnten und zum anderen, um den Spekulationsraum zu minimieren. Der Soldat in ihm tat sein übrigens hinzu.
Xiao kam nicht umhin zu schmunzeln, ja, sogar amüsiert, denn sein gegenüber hätte wohl mit vielen Absonderlichkeiten gerechnet, aber nicht mit dem, was er wollte. Gelassen wartete er daher ab, bis sich ihm offenbarte, was auf ihn zu kam.
„Sie sind wahrscheinlich die beste Person, die ich darum bitten kann, denn ein Künstler...“ Der Chinese überlegte ein wenig, wie er es passend umschrieben sollte, ohne die Arbeit oder die Kunstfertigkeit zu schmälern. „Sind oft zu künstlerisch und interpretieren dann doch zu viel hinein. Ich will weder ein absurdes Spiel von Licht und Schatten, noch ein Stillleben, was sie wohl verstehen würden, wenn ich mit dem Wunsch komme.“ Wenn Worte nicht reichten, um zu beschreiben, was man wollte, konnte es schwierig werden. Einfacher wäre es auf andere Art zu vermitteln, doch wie?
„Wenn ich Ihre Werke so ansehe, könnten sie das vermitteln, was ich suche.“ Mit seinen Worten ließ er den blick noch mal wandern, ehe er ihn wieder auf den Künstler ruhen ließ, dem nun sicher gedämmert war, was auf ihn zu kam.
„Sie haben es erfasst. Um ein Bild zu bekommen, das nicht in künstlerischen Effekten erstickt und doch eine Seele hat und etwas aussagt.“, stimmte er dem Gedanken zu. So betrachtet war es vollkommen Absurd so etwas von einem Tattookünstler zu erwarten und doch wieder nicht abwegig, da er die Kunst beherrschte. Nur die Unterlage Variierte.
„Gerne, ich würde einen Kaffee nehmen.“, nahm er das Angebot gern an, denn unter bequemeren Umständen würde es sich vielleicht besser reden und ein wenig mehr ausführen lassen, was er wollte. Trotz der Umstände hatte Xiao nicht das Gefühl, an der falschen Adresse zu sein, im Gegenteil. Wenn er den Künstler erst einmal überzeugt hatte, würde das Werk zweifelsohne etwas besonderes werden. Nicht weil er wert darauf legte, ein Einzelstück zu haben, wichtiger war, was es aussagte. Wenn er nur ein Einzelstück wollte, müsste er nur genug Geld hinlegen und ein Bild eines verstorbenen Künstlers kaufen, aber das war nicht Sinn der Sache. Das Bild sollte um seiner Aussage einzigartig sein, nicht wegen seinem wert. Wenn der Künstler gut genug wäre, würde eine ordentliche Stange Geld winken.


RE: it is painted with blood - Itsuki Fujiwara - 31.12.2023

Während ich noch ein wenig mit dem Gedanken kämpfte, dass jemand meinen Laden nicht für ein Tattoo sondern möglicherweise ein Gemälde betreten hatte, ließ ich ihn reden und erklären, auch wenn mein Kopf sich irgendwie an der Eingangsfrage schon aufgehangen hatte. Aber jedem seins und wenn er glaubte, dass dies etwas war, das er wollte, wer war ich es zu verneinen oder kleinzureden?
Seine Differenzierung von mir zu anderen Künstlern ließ mich kurz die Stirn runzeln. Ich glaubte zu erahnen was er meinte und doch klang es irgendwie etwas ungeschickt formuliert. Immerhin war ich eigentlich auch nur ein "Künstler". Sein Problem lag vermutlich eher mit der Kunstrichtung. Realismus, Romantik, Surrealismus, Moderne, Abstrakt ... jede Stilrichtung hatte ihre Vor- und Nachteile, ihre Abnehmer und Liebhaber. Und genauso gab es jene, die Abneigung gegen sie verspürten. Ich konnte nicht behaupten, mich je mit abstrakter Kunst angefreundet zu haben, ich würde mir nie solche Werke an die Wand hängen und die "Nachricht" in ihnen verstehen und so ging es vielleicht auch dem Gegenüber, der fürchtete, man könnte in die falsche Stilrichtung abdriften und alles verkomplizieren. So zumindest meine Vermutung als jemand, der ein wenig bewanderter in Kunst war, was jener Mann nun wirklich meinte - ob er ein Basiswissen in Kunst und Stilrichtungen besaß - konnte ich eben, wie gesagt, nur vermuten.

»Ich bin noch immer nicht recht sicher, Ihnen gänzlich folgen zu können, aber vielleicht lässt sich das noch irgendwie ändern«, gestand ich auf seine gleichermaßen präzisen und dennoch in meinen Augen nichtssagenden Worte und öffnete die Tür zum Büro, als er meine knappe Einladung zu einem Gespräch annahm.
Ich ließ ihn vor mir eintreten und wies zu einem freien Stuhl vor meinem Schreibtisch, an dem ich gleich noch Platz nehmen würde, doch zuerst sollte der Kunde seinen bestellten Kaffee bekommen, den ich mit zwei einfachen Knopfdrucken am Kaffeevollautomaten brauen ließ. »Zucker oder Milch?«, fragte ich gen Kunde, während ich eine Tasse unter das Gerät stellte und kurz den Blick durch mein eigenes Büro schweifen ließ, in dem ich mich recht selten aufhielt - und wenn, dann nur für einen begrenzten Zeitraum. Ich war kein Fan von Papierarbeiten und kam hier nur für Rechnungen, Abrechnungen und Einverständniserklärungen herein ... und für Skizzen. Die meisten aber fertigte ich Zuhause oder unterwegs an. Hier bekamen sie ihren letzten Schliff und wurden danach in einem meiner vielen Ordner und den Mappen begraben. Ich hielt nichts davon, Bilder - waren es nun ausgearbeitete oder Skizzen - wegzuwerfen. In dem Sinne war ich wohl so etwas wie ein Horter, denn die Regale waren voll von Mappen in diversen Dimensionen, von A5 bis A2 reichend, und Kartons, die alle voll mit Kunst waren. An den Wänden fanden sich weitere Fotos von Tattoos, aber auch zwei traditionelle Tintenmalereien. Eine von meinem Meister, eine von mir.

Auf dem Tisch lagen noch alte Entwürfe, die bereits zu Tattoos geworden waren. Einer von ihnen war ein Irezumi-Entwurf für einen shatei der hiesigen Yakuza. Das gewünschte Motiv war ein Namakubi gewesen, ein abgetrennter Kopf, ein Symbol des Mutes und des Willens, sein Schicksal zu akzeptieren. Ich hörte mir die Geschichten meiner Kunden an, bevor ich ein Tattoo für sie kreiere, so war das Motiv immer an die Person und ihre Vergangenheit oder ihren Charakter gebunden und etwas persönliches mit Bedeutung. In seinem Falle war der Namakubi am passendsten gewesen und am Ende war er mehr als zufrieden mit seinem Irezumi gewesen.
Mit der Tasse kam ich zurück zum Schreibtisch und stellte sie vor ihm ab, bevor ich mich auf meinen eigenen Stuhl setzte und für einen Augenblick tief durchatmete. »Also ... fangen wir am besten von vorn an. Sie möchten ein Bild, nicht für die Haut sondern für die Wand. Und Sie möchten es nicht von einem traditionellen Künstler, da Sie fürchten, man könnte das Motiv, das Sie wünschen, überkomplizieren? Was ist es denn, das Sie an Ihrer Wand sehen möchten?«, versuchte ich nun irgendwie an den Kern des Ganzen zu gelangen. Ich hatte Zeit und die würde ich mir für den Kunden nehmen, nur so konnte man Vertrauen aufbauen - etwas sehr wichtiges zwischen einem Künstler und seinem Kunden - und sich ein Bild machen, was der Kunde wirklich wollte. Andererseits aber hatte ich nicht ewig Zeit, zumindest nicht heute, da ich noch eine weitere Person erwartete, die heute die Outlines ihres Tattoos bekommen sollte.


RE: it is painted with blood - Xiao Yun - 08.03.2024

Es war schwer, die richtigen Worte für das zu finden, was er meinte. Natürlich gab es verschiedene Stilrichtungen, aber auf die hatte er es nicht abgesehen. Wenn es in seiner Macht gelegen hätte, wäre eine Skizze sicher nicht verkehrt gewesen, doch bei seinem Können würde man nicht mal erkennen können, dass er eine Blume meinte. Ein paar Striche, die sich aneinander reihten, sich an manchen Punkten berührten, war wirklich das höchste, was er zustande bekommen würde und somit nicht ausreichend um seinen willen zu vermitteln.
Sein Blick ruhte auf den auserkorenen Künstler, dessen Werke viel versprachen. Nickend nahm er die Einladung zur Kenntnis und ging in den hinteren Bereich, überlegend, wie er präziser werden konnte. Vielleicht, in dem Xiao beschrieb, was das Bild vermitteln sollte? Kunst konnte ein schwieriges Unterfangen sein, wenn man auf etwas Bestimmtes anspielte und man die ausführende Person kaum kannte. Zwar gab es diverse Möglichkeiten, aber die Wahrscheinlichkeit, dass der Künstler einfach auf etwas aufs Papier brachte, ohne Emotionen wahrzunehmen, war groß, war es doch nur ein Auftrag. Wie sollten sie also das Gleiche empfinden, allein durch Beschreibungen? Wie leicht es doch wäre, wenn er das Bild, welches ihm vorschwebte, in dessen Gedächtnis projizieren konnte.
„Milch bitte.“, bat er und sah sich um, wo er sich setzen konnte. Ein Platz zu finden, war nicht schwer, dafür aber, sich zu setzen, denn sein Blick blieb an einer traditionellen Zeichnung hängen, die ein kleines Lächeln auf seine Lippen zeichnete. Sie war hervorragend, nicht wegen der Kunstfertigkeit, nicht nur. Sie gefiel ihm ungemein und auch wenn sie sehr einfach war, fesselte sie seinen Blick. Die Schlichtheit und doch sagte sie so viel aus, ohne dass er es genau greifen konnte. Erst als er die Bewegung des anderen bemerkte, riss er sich los und setzte sich. Fast wäre sein Blick zu der Zeichnung zurückgeglitten, als er saß, doch er fixierte den Blick auf den Künstler. Xiao war nicht zum Schauen hergekommen, nicht primär.
Als der Künstler selbst saß, fasste er das Problem zusammen, woraufhin Xiao nickte. „Exakt. Zudem ist das Motiv … nicht selbstverständlich, da man diverse Verbindungen herstellt, aber wenn ich Ihre Werke zurate ziehe, sollte es kein Problem sein.“, erzählte er ruhig, nahm die Tasse in beide Hände und lehnte sich zurück. Natürlich waren die Tattoos der Yakuza kein Geheimnis, aber da er kein Japaner war, störte es ihn nicht weiter. Im Gegenteil zeugten sie doch vom Können des Mannes. Diese Werke waren eine kleine Geschichte für sich.
„Es geht um eine Spinnenlilie. Ich dachte da im Vordergrund an eine große u weiter hinten eine kleinere... gegeben, falls im Hintergrund ein kleines Feld in einer Brise.“, sagte er leise. „Etwas, das Freiheit aber auch Vergänglichkeit vermittelt mit entsprechenden Farben.“ an seinem Kaffee nippend wünschte er sich einmal mehr das Bild vermitteln zu können. „Gleichzeitig soll es Ruhe vermitteln und vom stressigen, aufreibenden Alltag ablenken... es ist nicht leicht, was ich hier fordere, daher ist es schwer die passende Person dafür zu finden.“ Zudem sollte es eine Bedeutung haben und nicht einfach nur gemalt werden. Einmal mehr ist es wichtig, das es der richtige Künstler vollbrachte und kein x-Beliebiger. „Daher denke ich, dass jemand, der Irezumi schaffen kann, der richtige ist. Ihre Werke sprechen für sich.“ Und das meinte er nicht, um sich einzuschmeicheln oder den Künstler zu beeindrucken. Xiao war derjenige für den Auftrag. Es lag also an ihm, wen er bezahlte. Warum also nicht den besten nehmen, den er finden konnte?


RE: it is painted with blood - Itsuki Fujiwara - 28.03.2024

Nachdem das Röhren der Kaffeemaschine ein Ende gefunden hatte, fand ein gewünschter Schuss Milch den knappen Weg in die Tasse und wurde vor dem Kunden abgestellt. Jener schien erneut mit irgendetwas hier im Büro abgelenkt - meine Vermutung war eines der diversen Bilder, doch da ich mit der Maschine beschäftigt gewesen war, konnte ich nicht erraten, in welche Richtung er geschaut hatte. Doch irgendwo schmeichelte es mir. Natürlich bekam ich genug Lob für das, was ich schuf. Mehr Lob, als mir lieb war, wenn ich das anmerken darf. Bis heute hatte ich nicht gelernt, wie man ordentlich mit so etwas umging, versuchte es also abzutun - manch einer mochte es die typisch japanische Art nennen, doch steckte bei mir noch weit mehr Abneigung, einzusehen, dass ich etwas Anerkennenswertes geschaffen hatte, dahinter als bloße Zurückhaltung. Ich hatte mich an die positiven Reaktionen der normalen Kunden gewöhnt, ließ sie über mich ergehen. Doch irgendwie bedeutete mir die schweigende Anerkennung, indem er anscheinend Schwierigkeiten hatte, sich vom Anblick mancher Bilder loszureißen, mehr. Nicht nur war sie nicht direkt auf mich gerichtet und forderte keine Reaktion von mir, sie wirkte ehrlicher. Worte konnten voller Lügen sein, besonders von manchem Klientel hier. Doch wer starrte grundlos Bilder an, um so zu tun als würden sie ihm gefallen?

Mit ihm setzte ich mich und war bereit, die Thematik nochmals aufzurollen, diesmal hoffentlich mit einem aussagekräftigeren Ende. Und da ich nun die Fragen führte, war es mir auch endlich möglich zu erfahren, was das gewünschte Motiv war, mit dem er zuvor nicht rausgerückt hatte. Mein Blick wurde etwas nachdenklicher als er nun ins Detail ging, starr nach vorn gerichtet, als würde ich in irgendeine andere Dimension blicken um Ideen zu bekommen. Leere. Natürlich sah ich in etwa vor Augen, was er wollte, doch war es so wie er befürchtete - ohne jegliche Emotion. Es war einfach nur die Abbildung, die er beschrieben hatte. Das Problem, das ich nun hatte, ließ sich recht einfach erklären, es lag an meiner Ausbildung. Nicht nur Ukiyo-e war ein Bestandteil dessen gewesen, die Art und Weise der Illustrationen, Farbgebung und die darin verborgenen Emotionen. Um ein Horimono zu kreieren bedurfte es eines zentralen Motives, das sich auf dem Rücken befand und fast immer im Illustrationsstil der Ukiyo-e gestaltet wurde. Wichtig war, dass die Bedeutung hinter dem Motiv auf den Träger des Tattoos passte, dass die Symbolik stimmig war. Motive und Bedeutungen hatte ich mir einprägen müssen. Und ein nicht geringer Teil jener Symbolik waren Blumen. Hanakotoba - die Sprache der Blumen - in Japan tief verankert durch ihren Ursprung im Buddhismus und in vielen Bereichen der Gesellschaft zu finden, nicht nur in der Kunst und Floristik, selbst in Medizin und alltäglichem Leben. Auch jene Bedeutungen hatte ich mir aneignen müssen, um sie sinnvoll in Entwürfe einbinden zu können. Und hier lag das Grundproblem.
Die Blumen, die der Kunde erwähnte, hatten für mich bestimmte Bedeutungen, die tief in mir verankert waren. Es bedurfte nur des Namen der Blume - Spinnenlilie - und sofort hatte ich die damit verbundenen Gefühle auf der Zunge. Doch nun aber forderte er Gefühle in dieses von ihm beschriebene Motiv, die ich nicht mit der Blume assoziieren konnte.

Bevor ich mich aber mehr mit den Gedanken der Problematik befassen konnte, wollte ich sichergehen, dass ich jedes Detail bei mir behielt. Also schob ich ein paar Zettel beiseite, um meinen Notizblock, der immer dann vergraben war, wenn man ihn am meisten brauchte, aus der Versenkung zu holen. Ich schrieb nieder, was ich gehört hatte und betrachtete für einen Augenblick die gemachten Stichpunkte. Ein nachdenklicher Laut verließ meine Kehle, bevor ich mir etwas unsicher durch die Haare strich, die beim Vorbeugen zum Schreiben in mein Gesicht gefallen waren.
"Das Motiv an sich klingt mehr als machbar. Meine Ausbildung enthielt unzählige Wiederholungen im Zeichnen diverser Blumen und Blüten, besonders jener, die hier tiefere Bedeutung haben, dazu gehört die Higanbana ohne jeden Zweifel. Womit ich hadere ist die Bedeutung, die ihr zukommen soll, da sie ... nun ja..." Ich legte den Stift beiseite und hob endlich den Blick vom Zettel. "Sie widerspricht dem, was wir der Pflanze an Bedeutung geben. Wenn Sie von Vergänglichkeit sprechen, wäre die erste Blume, die in den Sinnkommt, Sakura, die die Kurzweiligkeit von Schönheit und Leben symbolisiert. Entspannung und Ruhe werden Lavendel und Kamille zugeschrieben ... Nun, ich denke Sie verstehen was ich sagen will."
Zwei weitere Stichpunkte fanden ihren Weg auf das Papier bevor ich den Blick erneut hob. "Aber damit möchte ich natürlich nicht sagen, dass es nicht geht. Es ist Ihr Motiv und ich habe kein Recht Ihnen die Bedeutungen, die Sie ihm zukommen lassen, abzusprechen. Es wird mit Sicherheit eine Herausforderung für mich - da möchte ich ganz ehrlich zu Ihnen sein - mich aus dem mir bekannten Umfeld zu entfernen und Assoziationen neu zu knüpfen. Eine Herausforderung, der ich mich gern stellen möchte, sollten Sie sich von der Problematik nicht haben abschrecken lassen, die ich Ihnen präsentiert habe." Langsam faltete ich meine Hände über dem Notizblock und betrachtete meinen Gegenüber neugierig.