Wind Beyond Shadows

Normale Version: Wir beide gegen den Rest der Welt ♡
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Niemand konnte das Jenseits so wirklich beschreiben und auch wenn man ihn fragte, wäre es ihm unmöglich gewesen es in Worte zu fassen. Es war kalt und heiß zugleich, dunkel und hell ...laut und leise. Hier gab es keine Zeit und keinen Raum und doch wirkte es manchmal, als würde man erdrückt werden, als wäre man schon eine Ewigkeit in diesem Limbus. Manchmal kam es vor, dass er eine Stimme vernahm, die nach ihm rief, oder dass er eine Hand auf seiner Schulter spürte. “Bist du bereit zu vergessen? Wie lange willst du noch umherirren? Möchtest du deinem Nachleben einen Sinn geben?”
Vergessen. Wollte er das? Wollte er all die schönen Momente mit dem jungen Sklaven einfach aus seinem Gedächtnis löschen? Er dachte ständig an ihn, fragte sich, ob er auch hier war, ob es ihm genauso ging. Ihn nicht mehr an seiner Seite zu haben, machte ihn kaputt und hinterließ nichts anderes als Trauer in ihm. Wie lange wollte er also noch so “weiterleben”? Anfangs wehrte er sich gegen die Stimmen, ignorierte sie, wollte einfach nichts davon hören. Wieso sollte er Mica vergessen? Er war die einzige Person, die ihm etwas bedeutete. Doch mit der Zeit, mit der vielen Trauer und der Sehnsucht und dem Schmerz, der unerträglich wurde, sehnte er sich immer mehr danach einfach nichts mehr zu fühlen. Hieß es nicht, dass Seelen nach dem Tod ihren Frieden fanden? Wieso musste er dann so leiden? Waren die Stimmen seine Erlöser? Seine Retter? Wie lange es dauerte, bis er sich ihnen hingab, konnte er nicht sagen. Im Nachhinein erfuhr er, dass es um die 158 Menschenjahre waren, die er im Jenseits gelitten und auf seine große Liebe gewartet hatte. Fast 160 Jahre… würde er es ihm jemals verzeihen, dass er nicht durchhielt? Dass er ab einem Zeitpunkt einfach nur noch wollte, dass die Stimmten aufhörten in seinem Kopf zu schwirren?
“Lasst mich vergessen.” waren die ersten drei Worte, die er nach seinem Tod und nach über einem Jahrhundert sagte und damit begann sein richtiges Nachleben - und zwar als Engel.

“Wie lautet dein Name?”, fragte ihn eine ruhige Stimme. Sie kam von einem jungen Mann, in einem weißen Kittel, der neben ihm auf einer Sitzbank aus Stein saß und dessen Gesicht er erst nach wenigen Momenten glasklar sehen konnte - als wäre er gerade erst aus einem Traum aufgewacht. Sie befanden sich in einem Park mit einem Springbrunnen und saßen nebeneinander, als hätten sie die letzte Stunde damit verbracht gemütlich nebeneinander zu sitzen und miteinander zu plaudern. “Wie möchtest du heißen?”, versuchte es der andere noch einmal. Sein Name. Wie lautete er? Nichts, sein Kopf war vollkommen leer. Die einfachste Frage stellte sich plötzlich als größte Herausforderung dar und bevor er den Mund öffnen konnte um zu sagen, dass er keine Antwort darauf wusste, lächelte der andere, als hätte er dieses Gespräch schon tausend Mal geführt. “Falls es dir hilft, können wir uns gemeinsam einen Namen für dich überlegen. Meiner ist Hope, ich bin-”
“August”
“Wie bitte?”
“Du hast nach meinem Namen gefragt. August.”
Einen Moment herrschte Stille zwischen ihnen und Hope sah ihn verwirrt an. “Darf ich fragen wieso du dich dafür entschieden hast?” Ja, der Name war unüblich, altmodisch, aber eine Anspielung auf das einzige, an das er sich klar und deutlich erinnerte: Sein Todestag. “Ich bin am 9. August gestorben. Das ist alles was ich weiß.” Mehr konnte er ihnen nicht sagen, denn es herrschte bis auf das Datum komplette Leere in seinen Gedanken. Nun, das stimmte nicht ganz. Er konnte sich daran erinnern, in welcher Zeit er gelebt hatte und welches Status er hatte. Allgemeine Dinge waren durchaus noch da, aber sobald er ins Detail gehen und Beziehungen, Namen, Orte oder Ähnliches beschreiben wollte, stieß er auf eine Blockade. Ab da war dann einfach nichts mehr in seinem Kopf, egal wie krampfhaft er versuchte sich daran zu erinnern. Es löste kein Unbehagen in ihm aus, wie es wohl bei anderen wäre, wenn sie sich plötzlich an kaum etwas erinnerten. Stattdessen war es eher Erleichterung und Dankbarkeit. Hope lächelte ihn an. “Willkommen im Himmel, August.”


Dunkles Haar, Rehaugen, die gerade geschlossen waren, und eine leise Melodie die von einem Klavier kam auf dem der Junge spielte. Dies waren die Dinge, die August Tag für Tag von oben aus beobachtete. Sein Klavierspiel war himmlisch und als Engel musste er wissen wovon er sprach. Es klang so… ehrlich, so unverblümt und das für jemanden in seinem Alter. Wie viele Stunden er schon hier verbracht hatte, einfach nur um den anderen beim Spielen zuzuhören? Anfangs war er nur an den Klavierstunden interessiert und hatte sich gemerkt zu welchen Uhrzeiten er spielte, aber nach einer Weile spielte eine gewisse Neugier mit. Die Menschen interessierten ihn nicht wirklich - nicht wenn er hier oben mit verstorbenen Seelen reden und ihre Geschichten hören konnte. August suchte nach einer Bestimmung für sein Nachleben, denn so schön und unbeschwert das Leben im Paradies war, konnte er nicht leugnen, dass es ihn irgendwo auch langweilte. Hope hatte ihm von den Rängen und den Berufungen erzählt. Er selbst war so etwas wie ein Arzt für die verwundeten Engel die Dämonen jagten und er züchtete Ambrosia um Heilmittel für sie herzustellen. Medizin war allerdings nichts für den Schwarzhaarigen, zumindest nicht für die Ewigkeit. “Lass dir Zeit damit. Irgendwann wird sich etwas für dich finden.” Ja, irgendwann vielleicht. Während er also auf diese Erleuchtung wartete, hörte er dem Jungen von der Erde beim Spielen zu. Sein Spiel beruhigte ihn, mehr als es der Himmel jemals tun könnte, und erinnerte ihn an etwas, das das Gefühl von Zuhause in ihm auslöste. Ein warmes und sicheres Gefühl, dass sich um sein Herz legte, wie eine warme Decke. Aber auch Sehnsucht, als ob ihm etwas schrecklich fehlen würde... Er wollte mehr erfahren, mehr als nur die Klavierstunden sehen. Zum ersten Mal seit langem zog jemand seine Aufmerksamkeit auf sich und ausgerechnet ein Mensch, der für ihn von oben aus komplett unnahbar war. Gerne hätte er mit ihm gesprochen, ihn gefragt, wie er ohne Noten so gut spielen konnte, was er sonst in seiner Freizeit machte… Aber das durfte er selbstverständlich nicht. Woher dieses Interesse kam, konnte er nicht sagen - er fand es ebenfalls seltsam, aber da war einfach etwas, dass ihn nicht in Ruhe ließ.
“Du sitzt ja schon wieder hier.”, sagte eine hohe Stimme. Sie gehörte einem anderen Engel, der sich August als Aspen vorgestellt hatte. Er gehörte zu den Engeln, die Dämonen jagten. “Beobachtest du schon wieder den Jungen? Du weißt, dass das nicht gerne gesehen ist. Vor allem, weil du nur ihm zuzusehen scheinst.”, warnte er, als ob er mehr wusste als der andere selbst. “Er spielt wundervoll. Wie könnte ich ihm nicht zuhören?”
“Vermisst du es selbst zu spielen?”, fragte Aspen.
Hm? August dachte darüber nach und wieder stieß er auf diese Blockade… “Habe ich früher gespielt?”, fragte er leise und verstand nicht, wieso der Dämonenjäger davon wusste. Streng genommen war es keinem der Engel gestattet etwas über das vorherige Leben eines anderen zu wissen - mit der Ausnahme von demjenigen, der die Erinnerungen auslöschte und soweit er wusste, war das in seinem Fall Hope gewesen. “Im großen Saal gibt es ein Klavier. Ezra spielt oft darauf, aber seine Stücke sind miserabel. Vielleicht solltest du dich mal an seinen Platz setzen. Wir wären dir alle dankbar.”, meinte er lächelnd und stand auf, bevor er dem Kleineren die Hand reichte, um ihm aufzuhelfen.
Und tatsächlich - am selben Abend saß August vor dem weißen Flügel und spielte mit geschlossenen Augen Lieder aus alten Zeiten. Instinktiv drückten seine schmalen Finger die richtigen Tasten und zogen damit die Aufmerksamkeit der anderen auf sich, die dem Virtuosen beim Spielen lauschten. Von dem Tag an hörte er auf den Jungen von der Erde zu beobachten…

Bis zu dem Zeitpunkt, als er durch Zufall mitbekam, wie sich Hope mit einem der neuen Engel unterhielt. Es war eine hitzige Diskussion, wenn man so meinen mochte und obwohl sie miteinander flüsterten, wirkte es, als würden sie sich lautlos anschreien. Gerade kam er vom Training, da er den Posten eines Dämonenjägers anstrebte. Nicht unbedingt sein Traumjob, aber etwas womit er sich auf längere Zeit hin zufrieden geben würde. Beide standen in dem Raum, in dem August früher so viel Zeit verbracht hatte, um auf die Erde hinab zu sehen und als dieser auf der Suche nach seinem besten Freund war, betrat er diesen und unterbrach damit das Gespräch der beiden. “Stör ich?”, fragte er und zog eine Augenbraue hoch, während er näher kam. Aus dem Augenwinkel sah er das bekannte Gesicht, dass er vor einem Jahr fast jede Tag gesehen hatte. Der Junge. Mit der Ausnahme, dass Blut und unschöne Flecken sein Gesicht zierten. “W-was ist mit ihm passiert?”, fragte er entsetzt und konnte den Blick im ersten Moment gar nicht abwenden. Wieso war er verletzt? Wieso saß er nicht vor seinem Klavier, wo er in Sicherheit war? “Er hat sich geprügelt. Und sein lieber Schutzengel” Hope’s Blick richtete sich vorwurfsvoll auf seinen Gesprächspartner, “war viel zu spät dran!”
“Ich sagte doch, dass ich diesen Posten gar nicht wollte! Aspen hat mich dazu überredet. Hätte ich gewusst, dass das so anstrengend wird dann-... Ich meine seht ihn euch mal an! Das ist diese Woche schon das vierte Mal!”
“Wie bitte?”
“Oh, armer Roy, hat die Hände voll mit seinem Schützling zu tun. Was denkst du, wie viele Engel ich täglich verpflegen muss?”, zischte Hope und stemmte dabei die Hände in die Hüfte.
Immer noch lag sein Blick auf dem Jungen, der gerade an einer Straßenecke hockte und die Augen geschlossen hatte. Der Anblick schmerzte… Er wirkte so einsam, zurückgelassen.
Als August wieder zu den beiden Streithälsen sah und ihnen sagen wollte, dass sie sich gefälligst beruhigen sollen, stand der Junge plötzlich auf.
“Siehst du, es geht ihm gut!”
“Nennst du das etwa gut, Roy?! Er ist verletzt!”
Eine Gruppe von Männern ging die Straße entlang und fast als hätte er es geahnt, schüttelte der Schwarzhaarige den Kopf. “Nein, tu es nicht…”, flüsterte er, aber es war zu spät. Der Junge, den er eigentlich als friedlich und sanft eingeschätzt hatte, wurde von einem der Männer angerempelt und im nächsten Moment am Hals gepackt und gegen die Wand gedrückt. Er löste den Blick, als der erste Schlag verteilt wurde und sah zu den beiden anderen, die sich weiterhin anfuhren und beleidigten, ohne den Blick voneinander abzuwenden.
“Hey! Er ist in Gefahr!! ROY!”, brüllte der Pianist und deutete auf die Szene.
“Geh sofort runter und rette ihn!”, rief Hope und duldete keine Widerworte.
“Vergiss es, ich gebe ihn ab. Ich wüsste nicht mal wie-”
“Sie prügeln ihn zu Tode, spinnst du?! Du kannst ihn nicht ausgerechnet jetzt abgeben!!”
“Wie soll ich ihn da rausbekommen?!”
Der Junge lag bereits am Boden und die Männer traten unerlässlich auf ihn ein. Jeder Tritt schmerzte auch dem Engel, der jedes Mal erneut zusammen zuckte.
“Roy, wenn du nicht sofort-”
“Schick mich hinunter! Ich helfe ihm!”, rief August dazwischen und beide Engel sahen zu ihm.
“August, du bist kein Schutzengel, ich darf dich nicht einfach-”
“Das ist mir egal, verdammt! Ich übernehme ihn! Schick mich sofort hinunter, sonst stirbt er!”
Sie tauschten schnelle Blicke miteinander aus und Hope ging auf seinen besten Freund zu, um die Hand auf seine Brust zu legen und ihn ernst anzusehen. “Beeil dich.”

Viel zeit blieb ihm nicht, um sich an das Gefühl wieder auf der Erde zu sein, denn er befand sich plötzlich mitten im Geschehen - um genau zu sein hinter einem der Männer, die den Jungen umzingelten. August zog den ersten am Arm zu sich hinunter und knockte ihn sogleich aus, bevor er die Aufmerksamkeit der Gang komplett auf sich zog. Sie ließen von dem Jüngeren ab und widmeten sich dem Schwarzhaarigen, der keine Zeit verschwendete, um dem nächsten gleich mit seinem Fuß in die Magengrube zu treten und dem anderen das Bein zu stellen und seinen Arm am Rücken zu verdrehen, als er am Boden lag. “Was seid ihr eigentlich für Pisser?!”, zischte er und sah zu dem letzten Typen, der sich unsicher distanzierte und die Arme hob. Die Zeit bei den Dämonenjägern hatte sein Vokabular um einige unfreundliche Phrasen erweitert und seine Wut so in Worte umzuwandeln war für ihn fast schon eine Erlösung, wenn man bedachte dass er anfangs nie geschimpft hatte. “Oh nein, nein, nein - du bleibst schön hier und holst dir was dir zusteht.”, sagte er trat noch einmal nach dem Mann, dessen Arm er verdreht hatte, bevor er auf den letzten Typen zurannte und ihn mit seinem ganzen Gewicht zu Boden warf. An den Haaren hochgezogen schnappte dieser wie ein Fisch nach Luft und kassierte ebenso vier Schläge ins Gesicht, bevor er zusammen sackte. Keuchend stand er auf und ging ein paar Schritte zurück, bevor ihm seine eigentliche Aufgabe einfiel: Der Junge. Dieser hatte versucht weg zu kriechen und lehnte nun wieder an der Wand. August verschwendete keine Zeit und ging gleich auf ihn zu, um sich vor ihn zu hocken und mit den Armen nach ihm zu greifen, damit er ihm aufhelfen und ihn stützen konnte. “Wir müssen hier weg.”, sagte er nur und hielt den anderen sicher im Arm, während sie in die nächste Gasse abbogen und nach einer Weile auf einer Parkbank Platz nahmen.
“Wer bist du...?”, nuschelte der Jüngere und sah zu ihm, während der Engel ihm, so gut es ging das Blut mit seinem Ärmel vom Gesicht wischte.
“Wieso hast du mir geholfen?” Als verstünde er die Welt nicht mehr, zog der Junge die Augenbrauen zusammen. Wow, Roy musste wirklich einen miesen Job geleistet haben. Einige der Flecken waren schon älter und deuteten tatsächlich darauf hin, dass er sich regelmäßig prügelte.
“Wenn ich dir sage, dass ich dein Schutzengel bin, würdest du mir glauben?”, fragte der Ältere und legte den Kopf dabei etwas schief.
“Die gibt’s nicht…”, murmelte er.
Natürlich glaubte er ihm nicht, deswegen hatte August auch keine Bedenken gehabt sich indirekt vor ihm als einer zu outen. Die meisten glaubten nicht an sie und so war es auch leichter sich unter den Menschen zu bewegen.
“Wie heißt du?”, fragte der Engel leise und hielt dabei gerade sein Gesicht, um es von einer Seite auf die andere zu drehen. Bis jetzt hatte er ihn immer nur als “der Junge” bezeichnet und eigentlich sollte es ihn gar nicht interessieren, aber wenn er nun tatsächlich sein Schützling wurde, dann hatte er doch ein Recht darauf es zu erfahren oder nicht?
“Warum sollte ich dir das sagen?!”, entgegnete ihm der andere trotzig und nein, er fand es kein bisschen süß.
“Für jemanden, dem ich gerade den Arsch gerettet habe, bist du ziemlich unfreundlich.” Er kniff probeweise seine Nase, um zu sehen, ob sie verstaucht war, nachdem sie so stark geblutet hatte.
“H-hey, das tut weh! Lass das!”
“Ach, was du nicht sagst. Jetzt halt still, ich hab keinen Verbandskasten mit, also muss das hier reichen.”, sagte er und zog einen kleinen blaue schimmernden Tiegel hervor. Ambrosia. Das Heilmittel für so ziemlich alles, wenn man es richtig dosierte. Er nahm eine klitzekleine Menge davon auf den Finger und schmierte es auf alle Wunden im Gesicht und auf die Knöchel an den Händen des anderen.
“Crispin.”
“Hm?”
“Ich heiße Crispin.”
August lächelte sanft, während er die Heilsalbe wieder verstaute und sich aufrichtete.
“Na dann, Crispin. Du hast heute echt Glück gehabt. Ohne mich wärst du jetzt wahrscheinlich tot.”
Crispin schnaubte und sah kopfschüttelnd zur Seite. Gerne hätte er ihn gefragt, warum er sich so restlos in Schlägereien begab, aber seine Aufgabe war erledigt und sie hatten sowieso schon viel zu viel miteinander geredet. Hope würde ihn deswegen sicher ermahnen, aber er war dieses mal noch im Vorteil, denn es war 1.) sein erster Einsatz und 2.) hatte er sich für diesen sehr kurzfristig gemeldet. Ohne eine richtige Einschulung konnte er das alles ja gar nicht wissen - mit der Ausnahme, dass er es eigentlich tat, so wie alle Engel im Himmel. Aber dennoch würde man ihm dieses mal verzeihen und ein Auge zudrücken.
“Schaffst du es alleine nach Hause?”, erkundigte sich der Ältere und schob die Hände in seine Jackentasche. Crispin nickte schweigend. “Gut, denn ich muss jetzt los. Aber vorher musst du mir noch versprechen, dass du so etwas nie wieder machst.”
Verwirrt sah der Jüngere zu ihm hoch und öffnete den Mund um etwas zu sagen. “Nicht mehr so oft.”, korrigierte August grinsend. “Sonst muss ich dich ständig retten.”



Genau das sollte sich befürworten. August rettete ihn nicht nur einmal, sondern ständig und das nicht nur, wenn er sich prügelte - nein, auch wenn er sich unwohl fühlte, krank war und einfach nicht alleine sein wollte. So wie in diesem Moment im kleinen Badezimmer. Das Schluchzen wurde leiser und wurde gelegentlich von leisen “Alles wird gut.”’s und “Ich bin doch bei dir.”’s vonseiten des Engels unterbrochen, der ihn nach wie vor festhielt. Seine Hand strich weiter beruhigend über seinen Rücken, während die andere seine Wange hielt und ihn so an sich drückte. Mit einem Kuss auf die Schläfe lehnte er den Kopf an den des Jüngeren und ließ ihm alle Zeit der Welt, um zu antworten.
“Wofür entschuldigst du dich?” Der Engel nahm stark an, dass es darum ging, dass er ein Dämon geworden war, jedoch störte ihn das mittlerweile nicht mehr so sehr, wie die Tatsache, dass er jemand anderem als ihm vertraut hatte und deswegen einer geworden war. Und so komisch es auch klang, der Anblick von einem weinenden Cris hatte selbst das komplett in den Hintergrund gedrängt, denn er saß jetzt in seinem Schoß und ließ sich von ihm beruhigen. Er alleine durfte ihn so sehen und wieder aufbauen, was für ihn nicht nur eine Lebensaufgabe, sondern eine Ehre war. Cris ließ so gut wie niemanden an sich heran, geschweige denn ihn so zu sehen wie er jetzt gerade war und dass er sich jemandem wie August öffnete und ihn auch in seinen schwächsten Momenten an seiner Seite haben wollte, war einfach ein wundervolles Gefühl, das er gar nicht beschreiben konnte. Für ihn war der Dämon etwas Kostbares, Wertvolles, dass er nur für sich ganz allein haben wollte und vor allen schlechten Dingen hüten musste, denn er hatte nur das beste verdient. Ich brauche dich. Die Worte hätten ihm fast ein bitteres Lachen entlockt. Hatte er überhaupt eine Ahnung davon wie sehr August ihn brauchte? Wie verrückt es ihn machte, wenn Crispin nicht bei ihm war? Wie krank er jedes mal vor Sorge war, wenn der Jüngere sich nachts in der Stadt herumtrieb. Er raubte ihm den Verstand, nahm alle seine Gedanken ein und er brauchte ihn mindestens genauso sehr. Ohne ihn war da einfach dieses furchtbar große Loch in seinem Herzen und nur wenn sie zu zweit waren, fühlte er sich … vollkommen.
“Ich werde dich niemals verlassen. Was soll ich denn ohne dich tun?”, fragte er murmeln an seine Schläfe und strich ihm mit dem Daumen über die Wange. “Ohne dich bin ich nicht glücklich…” Ohne ihn machte alles keinen Sinn. “Du hast mich deinem blöden Lächeln und deiner nervigen Art doch von Anfang an für dich beansprucht.” Nichts davon meinte er beleidigend, denn das blöde Lächeln, war in Wirklichkeit das süßeste Lächeln, dass er je in seinem Leben gesehen hatte und es ließ sein Herz jedes mal höher schlagen - und das mit der nervigen Art, entsprach nicht einmal Ansatzweise der Wahrheit, denn er liebte alles an ihm, egal ob er glücklich, traurig, trotzig oder sogar wütend war … Es war die Art wie sie früher miteinander gesprochen hatten, um andere keinen Verdacht schöpfen zu lassen. Nur sie beide wussten, welche Worte wirklich dahinter steckten. “Ich brauche dich auch.”, sagte er und griff mit beiden Händen nach Cris Gesicht, um es von seiner Halsbeuge zu befreien und zu heben, sodass sie sich in die Augen sehen konnten. “Sehr sogar.”, flüsterte er und senkte den Blick zu seinen Lippen, die er anschließend mit den seinen für einen kurzen Moment verband. Danach küsste er seine Stirn und zog ihn wieder dicht an sich, um gemeinsam mit ihm aufzustehen. Der Boden im Badezimmer war nur bedingt bequem und er wollte den Jüngeren zumindest zurück in sein Schlafzimmer bringen, wo sie sich aufs Bett setzen konnten. Ihr Gespräch sollten sie nicht vor der Badewanne am Fliesenboden führen und so viel wie der andere geweint hatte, war er auch sicher etwas erschöpft und dehydriert. “Lass uns erst mal zurückgehen.”, sagte er sanft und streichelte den Nacken des anderen, während er ihn zurück zum Bett trug, wo er ihn absetzte und sich dann an den Laptop wandte, den er zuklappte und auf den Boden stellte, damit er sich außer Reichweite befand. Den brauchten sie vorerst nicht. Genauso wie das Handy, dass er vorerst neben den Laptop legte und dann ihr Frühstück auf den kleinen Tisch neben ihnen stellte, ehe er sich neben Crispin auf das Bett setzte und den Arm um ihn legte. “Du musst mir nicht sofort erzählen, warum du so aufgelöst bist. Nimm dir Zeit... Aber ich möchte, dass du weißt, dass ich für dich da bin und dich sicher nicht verlassen werde.” Komme was wolle. August deckte ihre Füße zu und machte es sich bequem, indem er sich zurück legte und Cris wieder an seine Brust zog, wo er ihm mit einer Hand regelmäßig durchs Haar fuhr. “Ich bin dir nicht mehr böse, dass du ein Dämon geworden bist…”, fing er an und sah an die Decke. “Dass du irgendeinem dahergelaufenen Dämon vertraut hast...wegen dem auch nicht mehr.” Das hatte er mittlerweile ebenfalls verarbeitet. Nun kam allerdings dazu, dass sein eigener Bruder ihn verraten hatte und das war eine ganz andere Sache, die nichts mit dem Jüngeren zu tun hatte, aber er dennoch irgendwie davon betroffen war, denn sein Bruder hatte vor sie beide zu verpetzen und das würde er niemals zulassen. Er würde sie beide beschützen, koste es was es wolle. Noch einmal von Cris zu getrennt sein, hätte er niemals verkraftet.
August rutschte etwas von ihm weg, um sich seitlich zu ihm drehen zu und seinen Kopf auf seiner Hand abstützen zu können. Mit dem Finger fuhr er unter das Kinn des Dämons und hob es an. “Egal was auch kommen mag, wir schaffen das. Gemeinsam, hörst du?”, sagte er leise und küsste seine Nasenspitze und dann seine weichen Lippen. Niemand würde ihm auch nur ein Haar krümmen, solange August an seiner Seite war.

Crispin Cipriano

Schlaflose Nächte waren absolut nichts Neues für ihn. Im Gegenteil. Crispin kannte sie gut. Schon bevor er August kennengelernt hatte, gab es unzählige von ihnen, in denen er kein Auge zugetan hatte. Sei es, weil ihn die ganze Situation mit seiner Familie um den Schlaf brachte oder der Schmerz der unzähligen blauen Flecken, Prellungen und Verstauchungen, die er sich immer wieder bei seinen Prügeleien zuzog und eine Weile brauchten, eh sie soweit abgeheilt waren, dass sie ihn nicht mehr beeinträchtigten. Doch auch nach dem Aufeinandertreffen mit seinem Schutzengel hatte er sie immer wieder erlebt. Jede Nacht, in der der andere nicht an seiner Seite war, wenn er einschlief, hatte er Probleme und dies änderte sich auch nicht, nachdem er ihn hatte fallen lassen. Es wurde eher noch schlimmer. Die Gedanken, Zweifel und seine achterbahnfahrenden Gefühle ließen ihn weder am Tag noch in der Nacht in Ruhe. Er wälzte sich im Bett hin und her und irgendwann gab er es auf. Meistens schlich er sich dann aus dem Haus, weil er es nicht ertrug, länger als nötig im Haus seiner Eltern zu bleiben. Ein Zuhause nannte er es schon lange nicht mehr. Dieses hatte er an der Seite seines Schutzengels - des Engels, dem das alles scheinbar nicht so wichtig war wie ihm.
Heute war es jedoch anders. Mit seiner dünnen Kuscheldecke, Kopfhörern im Ohr und seinem Handy, über das er Musik hörte, saß er auf der Fensterbank und sah in die Nacht hinaus. Sein Kopf dröhnte noch immer leicht von der Auseinandersetzung mit dem Dämon, bei dem er an diesem Tag aufgewacht war. Er hatte keine Ahnung, was genau passiert war. Wenn er versuchte daran zu denken, war an der Stelle, wo die Erinnerungen sein sollten, ein schwarzes Loch und er wusste auch nicht, ob sich dies noch ändern würde. Darum machte er sich aber auch keine Sorgen. Viel zu sehr kreisten die Gedanken in seinem Kopf. Um die Tatsache, dass August ihn hatte fallen lassen, nichts von all dem der letzten Monate von seiner Seite ernst gemeint war und er nur mit ihm gespielt hatte. Aber auch um das Angebot, das Rixon ihm gemacht hatte.
Eigentlich hatte sich Crispin fest vorgenommen, nie wieder dort aufzutauchen und ihm im besten Fall auch nie wieder über den Weg zu laufen. All seine Alarmglocken waren angesprungen und er hatte sich mehr als unwohl in der Nähe des anderen gefühlt. Ob es allgemein an seiner Art oder an der Tatsache lag, dass er ein Dämon war, konnte er nicht sagen, aber wegen genau diesen Gefühls sträubte sich alles in ihm, auch nur daran zu denken, noch einmal zu ihm zu gehen. Sein Angebot, ihm zu helfen, sollte er sich rächen wollen, war jedoch… sehr verlockend, denn Gott, genau das wollte er. Seit dem Moment, in dem ihm der Engel sagte, August hätte sich wichtigeren Sachen zugewandt, geisterte diese Idee in seinem Kopf herum. Bisher war sie nicht konkreter geworden, weil er keine Ahnung hatte, wie er das anstellen sollte. Schließlich war er nur ein Mensch und August ebenfalls ein Engel. Wie sollte jemand wie er schon jemandem wie ihm ernsthaft schaden, um ihm zu zeigen, was er ihm angetan hatte?
Die Begegnung mit Rixon änderte die Machtverhältnisse. Wenn er tatsächlich darauf einging und ihn um Hilfe bat, würden seine Chancen beträchtlich steigen. Zudem wusste er mit Sicherheit, was man einem Engel antun konnte, um ihm zu schaden.
Leise seufzend lehnte Crispin seinen Kopf gegen die Fensterscheibe und genoss den kurzen kühlen Effekt des Glases auf seiner Haut. Einen Moment lang half es gegen die Kopfschmerzen und gab ihm die Chance zu entscheiden, was er tun sollte. Noch nie hatte er so stark das Bedürfnis gehabt sich an jemandem zu rächen. Bisher hatte er neben seiner Familie aber auch nie jemanden so nah an sich herangelassen, dass er so tief verletzt werden konnte, wie August es getan hatte und bei seiner Familie war es ein schleichender Prozess, der früh angefangen hatte, sodass er sich daran gewöhnt hatte. Es war nicht so ein harter Bruch wie mit dem Engel. Normal sagte man: Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Beides war ihm vertraut und beides war unglaublich schmerzhaft. Wobei er nicht sagen konnte, was von beidem er bevorzugte, denn alleine der Gedanke, dass ihm die Person, die ihn besser als jeder andere kannte und der er mehr vertraut hatte als jedem anderen, verraten und lediglich als Spielzeug und Zeitvertreib benutzt hatte, schnürte ihm das Herz zusammen und nahm ihm die Luft zum Atmen.
Crispin biss sich auf die Unterlippe, zog die Beine enger an seinen Körper und legte seine Stirn auf seine Knie, während er mit aller Macht versuchte, die Tränen zurückzuhalten, die sich ihren Weg an die Oberfläche bahnen wollten. Zu weinen war allerdings keine Alternative und würde ihm nichts bringen. Das Ganze musste aufhören, der Schmerz musste verschwinden und er hatte keine Ahnung wie er das machen sollte, außer indem er es August heimzahlte.
Mit diesem Gedanken im Kopf, hob er diesen wieder und fasste einen Entschluss. Auch wenn sich sein Körper immer noch dagegen sträuben wollte, ein weiteres Mal zu Rixon zu gehen, war es die einzige Möglichkeit, die er hatte. Er schwang die Beine von der Fensterbank, warf die Decke auf sein Bett und machte sich fertig, um sich auf den Weg machen zu können. Dass es mitten in der Nacht war, interessierte ihn dabei herzlich wenig. Sollte Rixon nicht da sein, würde er eben ausharren, bis er wiederkam und sollte er sauer sein, weil er ihn aus dem Bett klingelte… Er schüttelte den Kopf, um den Gedanken gar nicht weiterzuführen. Im Grunde hatte er ohnehin nichts mehr zu verlieren, außer vielleicht sein eigenes Leben und im Moment gab es nichts darin, worum es ihm schade wäre, denn er hatte nichts mehr. Aus diesem Grund war er auch fest entschlossen, alles zu tun, was nötig wäre, um August leiden zu lassen.

Etwa eine halbe Stunde später stand er vor dem Haus, das er am Nachmittag fluchtartig verlassen hatte. Crispin verschwendete keine Zeit und drückte auf die Klingel, in der Hoffnung, Rixon war da. Tatsächlich dauerte es jedoch einige Minuten und häufigeres Klingeln, bis er ein Lebenszeichen im Inneren des Hauses wahrnahm. Er sah, wie das Licht anging und kurz darauf hörte er ein ziemlich unwilligen und missgestimmtes Brummen, bevor auch Worte folgten.
“Wer zur Hölle stört um diese Uhrzeit…?!”
Keine Minute später ging die Tür auf und Crispin bemerkte noch den wütenden Ausdruck im Gesicht des Dämons, der jedoch sofort verschwand, als er ihn sah, und zu einem breiten - und beinahe wissenden - Grinsen wurde.
“Na sieh mal einer an, wen wir da haben: Das Häschen. Das ging schneller, als ich gedacht hätte.”
Rixon fuhr sich einmal mit den Fingern durch die vom Schlafen wirren Haare und trat anschließend einen Schritt beiseite - fast so, als wüsste er, warum er da war. Ein seltsames und ungutes Gefühl beschlich ihn, aber er ignorierte es und kam der stummen Aufforderung nach, indem er eintrat. Das, worüber sie sprechen würden, musste niemand anderes mitbekommen. Als er das Wohnzimmer betraf, drehte er sich zu dem anderen und sah ihn mit einem festen Blick an, während er eine Hand zur Faust ballte, da ihm die nächsten Worte schwer fallen würden. Er bat einfach ungern um Hilfe.
“Ich nehme dein Angebot an und mache alles, was nötig ist, wenn du mir hilfst.”


Es gab selten Dinge, die er schlichtweg bereute und auf der Stelle ungeschehen machen wollte, wenn er nur könnte. Seine damalige Entscheidung, Rixon zu vertrauen und sich von ihm helfen zu lassen, zählte jedoch eindeutig dazu und stand ganz oben auf der kurzen Liste. Wie konnte er auch nur so dumm sein? Wieso nur hatte er ihm einfach vertraut und sich nicht einmal gefragt, was er selbst vielleicht davon haben könnte? Damals hatte er einfach geglaubt, dass es an dem allgemeinen Hass zwischen Engeln und Dämonen lag, von dem er bereits durch Augusts Erzählungen wusste. Zudem wollte er sich darüber auch nicht den Kopf zerbrechen, solange er an sein Ziel kam.
Dass dies alles hier auf dem Boden im Badezimmer des Engels enden würde, wie er sich an ihn klammerte, weil er sonst das Gefühl hatte, in einen tiefen Abgrund zu fallen, aus dem er nie wieder herauskommen würde, und versuchte, von dem Schmerz und den Schuldgefühlen nicht erdrückt zu werden, hätte er zum damaligen Zeitpunkt niemals geglaubt und er hätte jeden für verrückt erklärt, wenn man dies behauptet hätte. Eine Entschuldigung war ebenfalls etwas, an dass er damals nicht geglaubt hätte. Zumindest nicht, dass sie von ihm kam und dabei auch noch vollkommen ernst gemeint war.
Wofür entschuldigst du dich?
Vor kurzem hätte er bei dieser Frage wohl leise geschnaubt und ihm gesagt, dass er seinen Kopf anstrengen und darüber nachdenken solle, weil er selbst es nicht weiter erläutern würde. Einfach weil es doch logisch sein sollte. Es wäre eine seiner vielen Reaktionen gewesen, mit denen er versucht hätte, das zu überspielen, was er kurz zuvor in seinen Augen verbockt hatte, weil er dem anderen damit zeigte, wie viel ihm dieser eigentlich noch bedeutete. Nun lag die Sache ein wenig anders. Nicht nur, dass er nicht die Kraft hatte, trotzig zu sein und patzig zu antworten, tief in seinem Inneren hoffte er, dass August ihm verzieh, wenn er es erklärte, auch wenn er seiner Meinung nach dennoch jeden Grund dafür hätte, ihn zu hassen und fallen zu lassen. Um diese Hoffnung nicht von selbst wie eine Seifenblase vor seinen Augen zerplatzen zu lassen und sich seine vielleicht letzte Chance zu verbauen, sollte er zudem nicht dafür sorgen, dass August auf die Idee kam, dass er ihm ohnehin nicht antworten würde.
Dennoch brauchte er eine gewisse Zeit, um sich zu sammeln. Noch immer lag die Schuld wie ein schwerer Stein auf seinem Herzen und mit jedem Moment, der verging, hatte er das Gefühl, das es immer mehr unter dem Gewicht nachgab. Das einzige, was dies verhinderte, waren die Nähe des Engels, die ihn genau wie damals ganz automatisch beruhigte, und die leise gemurmelten Worte, die sein Herz zudem immer wieder aus dem Takt brachten und bei denen er hoffte, dass es nicht nur leere Phrasen waren, die zusätzlich dazu dienen sollten, ihn zu beruhigen. Gleichzeitig fragte er sich, warum er noch immer zweifelte? Warum konnte er nicht einfach glauben, dass August nicht plötzlich wieder verschwinden würde, sobald er einen passenden Zeitpunkt sah? Schließlich deutete alles darauf hin, dass nichts von dem, was Rixon ihm erzählt hatte, stimmte.
Zitternd, da sein Körper noch immer leicht bebte, sog er den süßen Duft des Schwarzhaarigen ein, um ihm anschließend eine Antwort auf seine Frage zu geben. Er liebte den Geruch nach Vanille, der von dem Engel ausging und ihn dabei genau wie dessen Arme mit einer altbekannten und angenehmen Wärme umhüllten und ihn noch ein wenig ruhiger werden ließen.
“Ich hätte ihm nicht vertrauen dürfen… Ich… ich war so dumm, weil ich ihm einfach geglaubt habe…”, sagte er noch immer leise, weil er sich nicht traute, lauter zu sprechen. “Ich hätte dir vertrauen sollen, schließlich hast du mir nie einen Grund gegeben, es nicht zu tun…”
Ganz im Gegenteil. August war immer für ihn da. Egal, was er angestellt hatte, der andere war da, um ihn zu verarzten, ihn zu trösten und abzulenken. Selbst bei ihrem ersten Aufeinandertreffen, bei dem er ihm gegenüber ebenso abweisend war wie bei allen anderen - oder zumindest so tat, hatte er sich um ihn gekümmert und seine Wunden versorgt. August hatte alles für ihn getan und er dankte es ihm, in dem er ihm in den Rücken fiel.
Crispin wusste jedoch, dass es im Nachhinein einfach war, das so zu sehen und sich darüber zu ärgern, wie man gehandelt hatte. Wenn er daran zurückdachte, wie er sich gefühlt hatte, nachdem er seinem neuen Schutzengel begegnet war und was dieser ihm gesagt hatte, fühlte er sich für einen kleinen Augenblick wieder im Recht - auch wenn er das nicht war. Damals hatte er es nicht besser gewusst, auch wenn das alles andere als eine Entschuldigung dafür war, was er anschließend getan hatte.
Er wollte noch mehr sagen, doch die anschließenden Worte des anderen hinderten ihn daran, auch nur noch einen Ton herauszubringen. Nicht nur, dass er ihn nicht unterbrechen wollte, weil jedes einzelne Wort reinster Balsam für sein Herz und seine Seele war, sie machten ihn schlicht und ergreifend sprachlos. Nie hätte er in den letzten Monaten und schon gar nicht in den letzten Wochen damit gerechnet, dies von dem Engel zu hören zu bekommen. Die ganze Zeit über war er der Meinung, dass es nur ihm so ging, dass nur er sich wirklich nach dem anderen sehnte und ohne ihn nicht wusste,was er tun sollte. Sein Ich brauche dich war noch weit untertrieben, denn ohne August fühlte er sich leer, unvollständig und jetzt zu hören, dass es ihm genauso ging, war fast mehr, als sein Herz ertragen konnte. Und dennoch… ein winziger Teil von ihm klammerte sich auch immer noch an seine Zweifel. Dieser konnte nicht glauben, dass er wirklich so viel Glück haben sollte, doch als der andere sein Gesicht in seine Hände nahm, um es von seinem Hals zu lösen und er ihm in die Augen sah, war er nicht in der Lage, etwas zu sagen. Und als der Blick des Engels zu seinen Lippen rutschte noch viel weniger. Er wusste, was kommen würde und sein Herz schlug alleine durch die Erwartung schneller. Für einen kurzen Moment, in dem sich ihre Lippen berührten und er bei dem sanften Kuss leise seufzte, war alles andere um sie herum vergessen und vollkommen egal. Dass sie beide verraten wurden, er deswegen eben zusammengebrochen war und auch der kleine Funken Angst, dass es nur ein Traum sein könnte, dass August trotz allem bei ihm bleiben wollte. Er löste seine verkrampften Finger vom Shirt des anderen und schlang seine Arme stattdessen um seinen Hals. Was eine gute Idee war, denn nachdem der Kuss - der nach seinem Geschmack zu kurz war - wieder gelöst wurde, spürte er, wie der Engel etwas umständlich mit ihm im Arm aufstand, um das Bad zu verlassen.
Crispin war wirklich erleichtert, als sie wieder im Schlafzimmer waren und er dort auf dem Bett abgesetzt wurde. Der Boden war alles andere als bequem und da hatte es auch nichts gebracht, dass er auf Augusts Schoß saß. Schweigend, weil er nicht so ganz wusste, was er sagen sollte und auch immer noch mit der Tatsache zu kämpfen hatte, welch großen und dummen Fehler er begangen hatte, sah er dem Schwarzhaarigen dabei zu, wie dieser das Bett von allem unnötigen befreite. Dabei fiel sein Blick auf das Handy und er wusste, dass er dem anderen noch immer eine genauere Erklärung schuldig war, denn im Gegensatz zu ihm wusste August mit Sicherheit nicht, dass Rixon die Person auf den Fotos war. Woher sollte er das auch wissen? Dass der Engel ebenfalls daran dachte, zeigte sich bereits kurz darauf, nachdem er sich zu ihm aufs Bett gesetzt und ihn wieder an sich gezogen hatte. Crispin zögerte nicht und schlang die Arme um ihn, um sich wieder enger an ihn zu kuscheln.
Er hatte das alles so lange vermisst und kostete es jeden einzelnen Moment aus, in dem er ihm so nah sein konnte. Am liebsten hätte er ihn nie wieder losgelassen, auch wenn ihm klar war, dass sowas nur im übertragenen Sinne funktionierte und rein praktisch nicht umsetzbar war.
Bei dem, was August sagte, presste er die Lippen aufeinander. Wieder schaffte er es alleine mit diesen paar Sätzen, sein Herz schneller schlagen zu lassen. Gleichzeitig befreite er es von der unendlichen Last seiner Schuldgefühle - zumindest ein wenig, denn ganz würden sie vielleicht nie verschwinden. Dafür hatten sie durch ihn zu viel durchgemacht. Es war nicht wieder gut zu machen und er selbst würde lange brauchen, um sich das vielleicht zu verzeihen. Und der kleine Teil, der sich auch schon im Bad zweifelnd gezeigt hatte, kam nun auch wieder zum Vorschein.
“Sag das alles bitte nur, wenn du es auch wirklich so meinst…”, murmelte er und drückte anschließend sein Gesicht in den Stoff von Augusts Shirt. Er hätte sich am liebsten dafür getreten, dass er ihm somit noch immer leicht vorwarf, ihn anzulügen, aber nach der langen Zeit, in der er genau davon ausgegangen war, war es schwer diese Angewohnheit abzulegen. Crispin biss sich deshalb in die Unterlippe, um sich daran zu hindern noch mehr zu sagen und stattdessen zu überlegen, wie er seinen Zusammenbruch eben erklären sollte. Die Finger in seinen Haaren, die ihm sanft hindurch strichen, lenkten ihn dabei immer wieder ab und er schloss genießend die Augen. Schon damals hatte er das immer getan und doch bekam er nicht genug davon und würde es wohl auch nie.
Mehrere Minuten vergingen, in denen er einfach nur so da lag und keinen Ton von sich gab. Jetzt, wo er mit August wieder auf dem Bett lag, spürte er, wie sehr ihn das Weinen eigentlich erschöpft hatte und das nachdem er auch in der Nacht nicht lange geschlafen hatte, weil es so lange dauerte, bis er mit dem Handy fertig war. Zudem meldeten sich leichte Kopfschmerzen hinter seiner Stirn, die ihren Ursprung ebenfalls in seinem Zusammenbruch hatten und er verzog leicht das Gesicht, während er merkte wie er langsam in den Schlaf fiel. Nur am Rande bekam er die nächsten leisen Worte von August noch mit, die ihm versicherten, dass sie alles gemeinsam schaffen würden und ihn leise brummen ließen. Aus diesem Grund gab er auch einen kurzen überraschten Laut von sich und zuckte zusammen, als er erneut die weichen Lippen auf seinen spürte. Er verharrte einfach nur - aber nicht lange - bevor er den Kuss erwiderte und mit einer Hand in den Nacken des anderen wanderte, um ihn davon abzuhalten, diesen so schnell wieder zu beenden. Der Kuss war so gefühlvoll und ehrlich, dass er sich darüber ärgerte, noch immer gezweifelt zu haben. Um dies zumindest teilweise wieder gut zu machen, legte er all seine Gefühle hinein, die er so lange verstecken musste und erst als seine Lungen nach Luft verlangten, löste er sich von dem Engel, blieb ihm aber dennoch so nah, dass er dessen warmen Atem spüren konnte. Langsam öffnete er die Augen wieder, um ihn direkt ansehen zu können - und auch, um nicht vielleicht doch noch einzuschlafen, denn das war gerade alles andere als ein passender Zeitpunkt dafür.
“Danke… dass du für mich da bist und mich nicht von dir stößt und das obwohl ich das mehr als verdient hätte… Ich habe dir unrecht getan. Dabei warst du immer der einzige, auf den ich mich wirklich verlassen konnte… Deswegen einfach danke für alles…”
Crispin senkte den Blick ein wenig und biss sich dabei auf die Unterlippe, was er im nächsten Augenblick jedoch direkt wieder bereute. Auch wenn seine Heilung schneller war, als die eines Menschen, war sie doch noch immer wund und schmerzte, wenn er seine Zähne hineingrub. Um sie nicht noch weiter zu verletzen, sprach er stattdessen weiter, um ihm endlich zu erklären, was los war.
“Das eben...”, versuchte er es, schüttelte aber den Kopf, da er keine Ahnung hatte, wie er weiterreden sollte und entschied noch einmal anders anzufangen.
“Das auf den Bildern, der Absender von der Nachricht und somit auch derjenige, mit dem Aspen gestern telefoniert hat… das war Rixon.”
Aufmerksam sah er August in die Augen. Er wollte sehen, wie er auf diese Neuigkeit reagierte, auch wenn er nicht wusste, ob er dies aufgrund seiner Reaktion nicht vielleicht schon geahnt hatte.
“Ich bin mir 100%ig sicher, dass er es war... Dass Aspen beide Personen kennt, die er als Hülle genutzt hat, wäre zu viel des Zufalls. Und außerdem… Als ich ihn damals das erste Mal gesehen hab, meinte er, er hätte uns beide schon länger beobachtet und hat für dich dieselbe Bezeichnung benutzt, wie in der Nachricht.”
Aussprechen wollte er es nicht, da er sich denken konnte, dass es dem anderen alles andere als gefiel, als Kampf-Chihuahua bezeichnet zu werden. Da ging es ihnen ähnlich, denn bis auf August gab es niemanden, der ihn Häschen nennen durfte, ohne dass er es hasste und er demjenigen zeigte, was er davon hielt. Auch Rixon war er mehrfach deswegen angegangen, auch wenn er in einer körperlichen Auseinandersetzung nicht einmal den Hauch einer Chance gegen ihn hatte.
“Dass ich ihm begegnet bin er sich mir als Dämon offenbart hat, war also mit Sicherheit kein Zufall… Und da Aspen dich scheinbar verraten will und die beiden nicht nur flüchtige Bekannte sind, glaube ich auch nicht, dass er mir nur aus Langeweile seine Hilfe angeboten hatte.”
Eine neue Welle der Schuld traf ihn bei der Erinnerung daran und er krallte seine Finger auf dem Rücken des anderen in den Stoff des T-Shirts, während er seine Lippen aufeinander presste. Allerdings nahmen die Hintergründe all dessen, was passiert war, langsam Gestalt in seinem Kopf an und fügten sich zu einem Bild zusammen. Einem Bild, das ihn eventuell teilweise von seiner Schuld befreite, sollte das alles vielleicht von langer Hand geplant gewesen sein, deswegen aber nicht minder schmerzhaft für ihn, aber vor allem für August war.
Während er darüber nachdachte und sich seine Kopfschmerzen noch verschlimmerten, fiel ihm jedoch etwas ein, das noch nicht ganz in dieses Bild passte: August war damals einfach verschwunden und ohne dieses Ereignis wäre er nie auf Rixon hereingefallen, denn es hätte keinen Grund gegeben, an dem Engel zu zweifeln.
“Ich würde gerne etwas wissen…”, begann er, wartete aber nicht darauf, dass der andere ihm ein Zeichen gab. “Wieso warst du damals plötzlich weg? Ganz egal, was ich getan habe, du kamst einfach nicht wieder… Ich hatte keine Ahnung, was ich davon halten sollte… Ich habe dich gebraucht, aber du warst nicht da… und irgendwann habe ich angefangen zu glauben, dass das für dich alles nur ein Spiel war oder ich dir einfach zu viel wurde und du mich deswegen hast fallen lassen… und als mein neuer Schutzengel mir sagte, du hättest dich wichtigeren Sachen zugewandt, fühlte ich mich darin noch bestätigt.”
Auch jetzt, wo er daran zurückdachte, zeigte sich der altbekannte Schmerz in seiner Brust, auch wenn er nur noch ein schwacher Hauch dessen war, was er damals gefühlt hatte. Er musste einfach wissen, warum August verschwunden war, denn schließlich hatte damit alles angefangen.
Das habe ich dir von Anfang an versucht zu erklären… Das hätte er zumindest zu jedem anderen gesagt, aber bei Cris handelte es sich nicht um jemanden, der so war wie alle anderen. Bei ihm sparte er sich sein defensives Verhalten, dass er mit dem jüngeren gemeinsam hatte. Außerdem hatten sie doch genug Zeit damit verbracht sich die Schuld gegenseitig in die Schuhe zu schieben, ohne den anderen ausreden zu lassen. Jetzt, wo die Wahrheit zum Greifen nahe war und sie sich langsam vor ihnen entfaltete, blieb auch Zeit sich auszusprechen und zuzuhören - beides hatten sie dringend nötig, denn seit ihrer Trennung gab es kaum Momente in denen sie sich hingesetzt und miteinander geredet hatten, so wie jetzt gerade. Cris war temperamentvoll, jung und manchmal eigensinnig, aber das machte ihn auch unheimlich verletzbar und was machte er, wenn er verletzt wurde? Richtig. Er zog eine Mauer auf, überspielte alles mit Wut und ließ kaum jemanden an sich heran. Das Verhalten hatte er mittlerweile gemeistert und auch wenn sich August wünschte, dass es nicht dazu kommen hätte sollen, so fand er nicht, dass es ihn dadurch weniger sympathisch für ihn machte, denn wenn es jemand erst mal durch diese Mauer geschafft und sein Vertrauen gewonnen hatte, wartete dort so viel Zuneigung und Fürsorge, die sich vielleicht nicht verbal übertrug, aber deutlich zu spüren war. Der Jüngere zeigte seine liebevolle Art durch kleine Gesten, bestimmte Dinge die er sagte und wenn man diese Dinge durchschaut hatte, machte es einen umso glücklicher und man fühlte sich einfach geehrt. August war eine dieser Personen gewesen, die sich langsam nach vorne gekämpft hatte und das, was im Innersten des anderen lag - was einfach nur das Bedürfnis geliebt zu werden war - zu sehen bekam. Diesen Schatz wollte er hüten, hegen und pflegen… einfach für sich behalten, doch die Umstände und die Tatsache, dass sie anscheinend Teil eines größeren Plans waren, warfen ihn zurück vor diese Mauer, wenn nicht sogar noch weiter weg und verschlossen ihm lange den Weg zurück. Als ob er nicht versucht hatte, sich dem anderen wieder zu nähern, doch er hatte das Gefühl, dass er erst jetzt wieder ansatzweise so nahe an dem Vertrauen des anderen war, wie vor einem Jahr. Und dieses Mal, würde er sich nicht wieder ausschließen lassen. Dieses Mal war er da um zu bleiben und seinen Platz an der Seite des Jüngeren zu verteidigen.

Es machte irgendwo Sinn, dass er dem Dämon geglaubt hatte. Das Timing war perfekt. Cris war in einem labilen Zustand und August außer Reichweite, denn soweit er sich erinnern konnte, befand er sich zu dem Zeitpunkt in Gefangenschaft, während er auf sein Urteil wartete. Ja, das alles war geplant...es musste einfach so gewesen sein. Seine Gedanken ratterten die einzelnen Erinnerungen ab und wie bei einem Puzzle bildete sich langsam ein Gesamtbild, dass die erschreckende Wahrheit ans Tageslicht brachte.
Dass Engel sich in Menschen verliebten war nicht unüblich. Eine Regel, die oben gerne mal gebrochen wurde, denn die Strafen fielen eher mild aus. Meistens realisierten die betroffenen Engel, dass es keinen Sinn machte, denn im Gegensatz zu ihren Partnern, lebten sie ewig und selbst wenn der Mensch starb, konnte es Jahrhunderte dauern, bis er aus dem Jenseits im Himmel auftauchte - wenn überhaupt. Manchmal fand eine sofortige Reinkarnation statt und im Allgemeinen war dieses Thema so kompliziert, dass es den meisten mit der Zeit einfach zu umständlich wurde. Trotzdem passierte es immer wieder und normalerweise wurde darüber hinweggesehen. Ja, man half sich sogar gegenseitig es zu vertuschen, denn nicht jeder Engel hielt sich strikt an die Regeln. Auch sie liebten das Risiko erwischt zu werden - allen voran August, der einerseits genervt von dem Versteckspiel war, aber dadurch seinen tristen Alltag zumindest etwas rebellischer gestaltete. Sich immer nur an Regeln zu halten war langweilig und solange er nicht mit einem Dämon erwischt wurde… Fast hätte er bei dem Gedanken gelacht. Natürlich musste ausgerechnet er sich in einen verlieben. Du hattest nie genug, wolltest immer eines draufsetzen.
Die Zeit in Gefangenschaft warf ihn zurück in den öden Alltag, welchen nur die Gespräche mit Aspen besser machten, der ihn einmal am Tag in seiner Zelle besuchte und ihm von den verschiedensten Dingen berichtete. Aus Angst nie wieder aus dem kleinen Gefängnis zu kommen oder den Prozess in die Länge zu ziehen und dadurch länger von Crispin getrennt zu sein, wagte er es nicht nach dem Wohlbefinden des Menschen zu fragen - oder danach welches Schwein ihn verraten hatte. Eigentlich war er der Meinung gewesen, dass sie alle friedlich miteinander auskamen und es keine Feindschaften unter ihnen gab, aber da hatte er sich wohl geirrt. August hätte gelogen, wenn er nachts nicht wach auf der harten Matratze lag und die einzelnen Gesichter durchging und jede einzelne Interaktion analysierte, um herauszufinden wer von ihnen es als nötig empfand sich an die höheren Engel zu wenden. Wen schadete er mit seiner Beziehung zu Crispin? Wer fühlte sich so angegriffen, dass er ihn verraten musste? Die Gedanken hielten ihn wach, ließen ihn nicht zur Ruhe kommen, aber er verlor kein einziges Wort darüber und fragte stattdessen nach dem Training, nach seinem besten Freund Hope oder nach Ezras schrecklicher Musikstunde, die er jeden Freitagabend abhielt. Aspen wirkte oft etwas enttäuscht. Fast schon, als wollte er über die Beziehung mit dem Menschen reden, aber August lenkte immer wieder davon ab und fragte stattdessen wie es mit der Dämonenjagd aussah. Er vermisste das Training irgendwie und falls er wirklich den Posten als Schutzengel verlieren sollte, so wollte er wieder zu seiner alten Tätigkeit zurückkehren. Das erzählte er dem anderen Engel selbstverständlich, in der Hoffnung, dass dieser ein gutes Wort für ihn einlegte. Es war immerhin kein Geheimnis, dass er sich sehr gut während seines Trainings geschlagen hatte und nahezu ein Händchen für die meisten Waffen hatte. Aber auch in Momenten wie diesen blieb Aspen still und sah ihn lange mit einem undurchdringbaren Blick an, von dem niemand wusste, was er bedeutete.
Was kam danach? Ach ja. Der Tritt in die Magengrube - zumindest hatte es sich so angefühlt. Cris war nicht mehr derselbe. Sie hatten sich drei ganze Monate nicht gesehen und natürlich bekam er mit, dass jemand anders für ihn zugeteilt wurde. Er hoffte, ja er hoffte so sehr, dass der neue Schutzengel ihm erzählen würde, dass er bald freigelassen wurde und sie sich wieder sehen konnten, denn sobald der Prozess beendet war, wollte er er den Himmel verlassen. Alles war bereits geplant. Er würde Hope darum bitten ihn für immer auf die Erde zu schicken, auch wenn es hieß, dass er nicht mehr zurück konnte. Wozu sollte er auch zurückkehren, wenn doch dort unten das wartete, wonach er sich am meisten sehnte? Es war allerdings Aspen, der ihn auf dem Weg zu Hope abfing und ihm sagte, dass er August etwas zeigen musste. Wieder befanden sie sich in dem Raum, von dem aus er auf seinen alten Schützling sehen konnte - oder zumindest auf das was er jetzt war. Sein Aussehen hatte sich verändert. Er sah erwachsener aus… Der Babyspeck in seinem Gesicht war komplett verschwunden und stattdessen waren da nur noch Kanten und Ecken, die sein Gesicht einschüchternd und nahezu gefährlich wirken ließen. Seine Augen waren dunkel und kein Leuchten war in ihnen zu sehen… Er verstand die Welt nicht mehr. Das war nicht sein Cris. Er fragte panisch, was mit ihm passiert sei und wurde kurzerhand von Aspen mit den Worten “Sieh dir an was du getan hast…” auf die Erde geschubst.
Ihr erstes Treffen nach drei Monaten lief nicht ab wie er es sich erhofft und gewünscht hatte. Sie hätten sich in den Arm nehmen sollen, August hätte ihn geküsst, ihm gesagt wie sehr er ihn vermisst hatte und dass jetzt alles gut werden würde, denn er hatte vor zu bleiben. Stattdessen tauschten sie verwirrte und dann wütende Blicke miteinander aus. Die bedrückende Aura, die von dem anderen ausging und dieser Teergeruch… Ein Tritt in die Magengrube war weitaus untertrieben, denn es fühlte sich so viel schlimmer an. Jedes ihrer Wort, das danach fiel, all die Anschuldigungen, waren wie Messerstiche und es endete damit, dass Hope dazwischen gehen und August wegziehen musste, mit dem Versprechen, dass er es niemandem erzählen würde, wenn er jetzt sofort mit ihm mitkam, denn wenn irgendjemand herausfand, dass Cris sich in einen Dämon verwandelt hatte, dann wäre es das Ende des Engels gewesen.
Dass er danach seinen Plan, auf der Erde zu bleiben, komplett über Bord warf, war mehr als verständlich. Für ihn gab es keinen Sinn mehr dort zu bleiben - nicht nachdem er so hintergangen wurde. Wieso, wieso, wieso hatte er das getan? Er verstand es einfach nicht! Was in aller Welt war geschehen, dass Crispin zu einem Dämon wurde? Natürlich machte er sich Vorwürfe, aber er hatte doch Freunde von ihm gebeten, dem Jüngeren mitzuteilen, dass er bald wieder da sein würde… Wieso also dieser Verrat? Aus Konfusion wurde Wut und diese Wut konnte er nur im Training abarbeiten. Aspen trainierte mit ihm und erzählte, dass der Mensch das wohl schon länger geplant hatte. Wut wandelte sich in Ehrgeiz und das Ziel den anderen zu vernichten drängte alle Gedanken beiseite.
Seine ersten Einsätze waren sehr erfolgreich und der Erfolg blieb natürlich nicht ungesehen. August bekam sehr viel Lob für sein Verhalten und man konnte meinen, dass alle bereits vergessen hatten, dass er vor wenigen Monaten noch in der Zelle aufgrund seines Vergehens saß. Hätte er nur ein bisschen besser aufgepasst, so hätte er wahrscheinlich die verachtenden Blicke eines bestimmten Engels gesehen, der den Raum verlassen musste, als angekündigt wurde, dass August fortan gemeinsam mit Aspen die Neulinge trainieren durfte.
Es dauerte nicht lange bis die Vergangenheit ihn einholte und er eines Tages von einem der Erzengel geweckt und aus dem Zimmer in den großen Saal geschliffen wurde. Das war der Tag, an dem sein endgültiges Urteil fiel und er wegen Verrat an seinesgleichen und Verleitung eines Schützlinges auf die Seite der Dämonen verbannt wurde. Ihm blieb wenig Zeit um darüber nachzudenken, wer ihn erneut verraten hatte, denn das Urteil war schneller ausgesprochen als gedacht - witzig, wenn man bedachte, dass der vorherige Prozess mehrere Monate dauerte - und im nächsten Moment wurde er mit den Worten “Verräter” ausgeknockt. Eine Beziehung zu einem Dämon war das oberste Tabu und man mochte oben vielleicht über einiges hinwegsehen, aber das… das war unverzeihlich. Er fühlte sich schuldig, aber auch so unglaublich wütend und verwirrt. All das erschwerte ihm den Aufenthalt auf der Erde und er verbarrikadierte sich die ersten Wochen in dem Haus seiner Hülle, wo er weinte, schrie und sich mehrmals das Leben nehmen wollte - was natürlich nicht so einfach klappte, wenn man technisch gesehen schon tot war. Einzig alleine die Rache, den Dämon zu treffen, hielt ihn am Leben und wenn er jetzt darüber nachdachte, war es eine furchtbare Motivation gewesen. Aber damals schien es die einzige Lösung zu sein, um wieder in den Himmel zu dürfen. Damit musste er doch beweisen können, dass er es ernst meinte.
Wo lag jetzt allerdings der gemeinsame Nenner? Richtig… Es war Aspen.

Und jetzt? Jetzt war nichts mehr von diesem Hass zu spüren. Jetzt hielt er diesen besagten Dämon in seinen Armen, murmelte beruhigende Worte an seine Haut, strich ihm durchs Haar, teilte sanfte Küsse mit ihm und konnte sich nicht vorstellen ihm auch nur ein Haar zu krümmen. Seinem Babyhäschen, dass an ihn gekuschelt zitterte, erschöpft vom weinen war und sich bei ihm mit leiser Stimme entschuldigte. Seine Aufforderung schmerzte, wenn er ehrlich war. Warum sollte er etwas behaupten, wenn er es nicht ernst meinte? Seine Gefühle waren immer aufrichtig gewesen. Ja, er konnte ein Arsch sein, der richtig gemeine Dinge sagte, aber alles, was auch nur ansatzweise zuneigungsvoll klang, war immer ernst gemeint - vor allem wenn es um den jungen Erwachsenen in seinen Armen ging. “Natürlich meine ich es ernst.”, sagte er leise und sah ihn dabei traurig an. Die Schuldgefühle, die in ihm aufstiegen, ließen sich nur schwer unterdrücken. Vielleicht hätte sich das alles vermeiden lassen, wenn er achtsamer gewesen wäre. Cris Vertrauen war etwas so Kostbares und er musste sich langsam herantasten, wenn er es wieder haben wollte. “Dafür musst du dich nicht bedanken. Wie du vielleicht gemerkt hast, fiel es mir sehr schwer Abstand von dir zu halten und dich selbst nach … allem was geschehen ist alleine zu lassen.” Ständig ertappte er sich dabei, wie er sorgsam und nahezu liebevoll mit ihm umgegangen war, obwohl sein Gewissen ihm sagte, dass er anders handeln und seinem ursprünglichen Plan nachgehen sollte. Stattdessen folgte er jedes Mal auf’s Neue seinem Herzen und verarztete ihn, achtete darauf, dass er nicht zu viel trank, blieb bei ihm, bis er eingeschlafen war. Hätte Cris endgültig den Kontakt mit ihm abgebrochen, so hätte er das nur schwer verkraftet und alleine der Gedanke an diesen Verlust ließ ihn den Dämon näher an sich ziehen und ihre Wangen aneinander drücken. Die Arme schützend um ihn gelegt, bedeckte er den Hals des anderen mit etlichen Küssen bis hinunter zu seinem Schlüsselbein, von dem er mit den Lippen wieder hinauf zu seinem Kiefer strich. Die Stille im Raum war beruhigend und er dachte schon, der andere sei eingeschlafen, nachdem er so schläfrig gewirkt hatte, aber dieser sprach im nächsten Moment weiter, als August den Kopf hob, um zu ihm zu sehen. Auf den Lippen des Jüngeren war zu sehen, dass er sie wund gebissen hatte und der Anblick schmerzte auch ihn, weswegen er die Lippe mit dem Daumen etwas hinunter zog, um sie zu befreien. “Nicht, das tut doch weh…”, murmelte er und küsste ihn flüchtig, aber sanft.
Dann folgte das, worauf die beiden seit gestern gewartet hatten: Die Wahrheit. Die, die vorerst nur Cris alleine kannte und ihn zusammenbrechen ließ und er wusste, dass er jetzt besonders stark bleiben musste, weshalb er aufmerksam zuhört und dabei den Nacken des anderen kraulte, um ihn zu versichern, dass er bei ihm war und nirgendwo hingehen würde, denn sein Platz war genau hier.
Rixon. Der Name ließ sein Kiefer fast schon automatisch mahlen. Neben der natürlichen Abneigung, die er dem älteren Dämon gegenüber verspürte, war da natürlich auch die Tatsache, dass er es war, der seinen Freund dazu gebracht hatte, sich in einen Dämon zu verwandeln und das anscheinend mit den schmutzigsten Tricks überhaupt. Jemand so auszunutzen war einfach nur mies. Er hatte sich Cris geschnappt, als er an seinem verwundbarstem Punkt angelangt war und ihn mit Gedanken gefüttert. August schüttelte angewidert den Kopf. Sein Hass gegenüber den Wesen war nicht in Worte zu fassen. So etwas Hinterhältiges… Das würde er ihm nie verzeihen. Das Gesamtbild und das Ausmaß der Wahrheit wurde langsam zu einem klaren Bild. Seine Gedanken knüpften Erinnerungen und Aussagen des Jüngeren zusammen und mit einem Mal, machte alles viel mehr Sinn, hinterließ jedoch auch einen sehr bitteren Geschmack, der Übelkeit in ihm aufstiegen ließ. “Mittlerweile denke ich auch nicht, dass das nur Zufall war.”, sagte er nickend und sah aus dem Fenster, während er nachdachte. Rixon steckte also tatsächlich mit Aspen unter einer Decke. Doch was war der Grund dafür? Woher kam dieser Hass? Die beiden hatten sich, zumindest in seinen Augen, immer gut verstanden. Aspen stand ihm immer mit Rat und Tat zur Seite. Oder? War es wirklich so? Denk nach August… Wann hatte sein Bruder wirklich geholfen? Selbstverständlich hatte er ihm Gesellschaft geleistet und ihm Neuigkeiten erzählt, aber war es wirklich eine Hilfe für ihn? Den Posten als Dämonenjäger hatte Hope vorgeschlagen und August damit wirklich geholfen, denn so ganz ohne einen Sinn vor sich hin zu vegetieren war einfach nicht sein Ding gewesen. Die körperliche Anstrengung tat gut und er, sowie die anderen auch, stellte fest dass es ihm lag, obwohl er nicht der größte und stärkste unter ihnen war. Wenn er genauer darüber nachdachte, hatte sich Aspen nie wirklich dazu geäußert oder ihm gratuliert - selbst nachdem er zum stellvertretenden Trainer ernannt wurde. Seltsam… Hatte er sich wirklich so in dem anderen getäuscht?
Cris Worte ließen ihn wieder in das Gesicht unter ihm sehen und den Kopf dabei etwas schief legen. Rixons Plan bestätigte sich durch das was er sagte. Der Jüngere hatte auf ihn gewartet und gewartet und die Enttäuschung, dass er nicht für ihn da sein konnte, ließ auch sein Herz schwer werden. Dabei hatte er doch darauf bestanden, dass seine Nachrichten an ihn ausgerichtet wurden, damit er genau diese Gedanken, dass er ihn eventuell nicht mehr sehen wollte, nicht bekam. Cris brauchte ihn… und er war nicht da. “Sie haben mich damals eingesperrt, bis sie sich über mein Urteil einig waren. Warum es so lange gedauert hat, weiß ich auch nicht… Normalerweise dauert es nur ein paar Tage.” Wie gesagt, es kam durchaus oft vor, dass jemand dasselbe Vergehen beging wie er. Sein Prozess war der längste, den er miterleben musste. “Dass ich meinen Posten als Schutzengel verlieren würde, habe ich damals schon geahnt, aber ich hatte sowieso andere Pläne für die Zeit danach.” Eine gemeinsame Zukunft, in der sie glücklich miteinander leben konnten, ohne Angst vor den Konsequenzen haben zu müssen.
“Warte- was?”, fragte er verwirrt und zog den kopf etwas zurück, um den anderen zu mustern. Was hatte er gerade gesagt? Der neue Schutzengel hatte behauptet, dass er wichtigere Sachen zu tun hatte? “Das stimmt doch gar nicht.”, zischte er empört, jedoch eher an besagten Engel gewandt, der nicht hier war. August hatte damals explizit darum gebeten, dass Cris die Nachricht übermittelt wurde, dass er bald wieder da war und nur seinen Prozess absaß. Von “wichtigeren Sachen” war da überhaupt keine Rede, zumal es für ihn nichts wichtigeres als den anderen gab. “Ich habe das niemals behauptet. Bist du dir sicher, dass dir genau das gesagt wurde?”, fragte er, um sicherzugehen, dass der Jüngere es nicht nur hineininterpretiert hatte. “Hat dein Engel dir das genau so gesagt? Ich habe in meiner Zelle nämlich darauf bestanden, dass dir jemand die Nachricht überbringt, dass ich dich nicht sehen kann, weil wir beide nach unserem Kuss erwischt wurden und ich dafür die Strafe absitzen musste.”
Irgendetwas war faul an der ganzen Sache. Alles deutete mittlerweile auf Aspen, aber es fehlte einfach der Grund weshalb er Schuld an allem war. So machte es nämlich nach wie vor keinen Sinn, denn wieso sollte er sich auf einen Dämon einlassen und mit diesem gemeinsam Pläne schmieden, um August zu verraten? Was hatte er ihm getan, dass sein Bruder zu solchen Mitteln greifen musste? Er brauchte dringend Kontakt zu Hope. Er brauchte eine zweite Meinung, jemanden der einen besseren Überblick hatte. Am liebsten hätte er eine Wand eingeschlagen, denn die Wut und diese Verwirrung die in ihm aufstieg, war einfach zu viel. Zudem musste auch noch Cris darunter leiden, der vielleicht allem entgehen hätte können, wenn August nur vorsichtiger gewesen wäre. Stattdessen wurde er anscheinend in etwas hineingezogen, dass nur Aspen und August etwas angehen sollte. Dafür wird er bezahlen und dieses Mal gab es keinen Rückzieher was seine Rache anging.
“Ich werde später versuchen jemanden von oben zu kontaktieren. Ich muss wissen, was da genau los war. Meine Nachrichten an dich wurden nicht übermittelt und wenn Asp mich wirklich so hintergehen wollte, dann muss er einen triftigen Grund dazu haben, der mir aber noch nicht bekannt ist. Eigentlich dachte ich, dass er jemand ist, dem ich vertrauen kann…” Falsch gedacht. Witzig… war es nicht Aspen gewesen, der in seiner ersten Trainingsstunde gesagt hatte, dass man niemandem trauen sollte?
Der Engel seufzte leise. Das war alles zu viel für ihn. Nicht nur, dass er verarbeiten musste, dass sein eigener Bruder ihn verraten hatte, nein - dieser steckte auch noch mit einem Dämon unter der Decke, der Crispin manipuliert hatte. All das lastete wie ein Fels auf ihm und er wollte nichts lieber, als einfach zu verschwinden - natürlich mit Crispin gemeinsam. Ab diesem Zeitpunkt gab es für ihn nur noch sie beide - Seite an Seite. Viel zu lange waren sie voneinander getrennt und sehnten sich nach dem anderen. So wie sie jetzt gerade aneinander gekuschelt im Bett lagen, hätte es schon vor einem Jahr sein können. Stattdessen gab es Streit, der sogar in körperlichen Auseinandersetzungen und Tränen endete. Es reichte. August löste sich etwas von dem jungen Dämon und zog sowohl die Decke bis zu ihren Schultern hoch, als auch Cris selbst an seinem Oberschenkel näher an ihn heran, sodass er bequem zwischen seinen Beinen liegen konnte. Bevor er sich allerdings vollständig zurück legte, griff er nach dem Latte Macchiato on Ice und hielt den Strohhalm an die Lippen des anderen. “Trink etwas. Du bist kurz vor dem Einschlafen und ich will nicht, dass du komplett dehydriert aufwachst.” Er wartete geduldig, bis der andere von dem kühlen Getränk abließ und stellte den Plastikbecher zurück auf den Nachttisch und legte sich dann wieder seitlich zu Cris, über dessen Beine er mit der flachen Hand fuhr, bis er an der Hüfte ankam, die er dann mit beiden Armen umschlang. Mit der Nasenspitze stupste er die Wange des anderen an und rieb seine Lippen an ihr. “Sobald das alles geklärt ist…”, fing er leise an und wusste nicht, ob der andere überhaupt noch wach war. “...möchte ich mit dir ganz weit weg fahren. Irgendwohin, wo ich dich ganz alleine für mich habe. Wo ich dir zeigen kann, wie viel du mir bedeutest, ohne das wir gestört werden. Weit weg von dem ganzen Mist hier.” August hatte das Konzept von Urlaub nie so wirklich verstanden, aber jetzt gerade machte es so viel Sinn an einen Ort zu fahren, an dem man sich - zumindest für eine Weile - von allem abkapseln und seine Sorgen vorerst vergessen konnte. Das war es was sie brauchten. Zeit miteinander und vor allem füreinander.

Crispin Cipriano

Jemandem voll und ganz zu vertrauen… Das war eine Sache, von der er geglaubt hatte, dass er das niemals könnte. Zumindest nicht in den letzten Jahren. Als er noch klein war, gab es eine Person, bei der er das konnte, der er sich voll und ganz anvertrauen konnte: Cyrian. Doch diese Verbindung war mit der Zeit eingeschlafen und zerrissen. Langsam und schleichend, zerstört durch das Verhalten seiner Eltern. Er hatte nicht alleine darunter gelitten, sondern auch die Beziehung von Cyrian und ihm. Sie hatten nicht nur sein Vertrauen gegenüber anderen auf dem Gewissen, sondern auch die Verbindung zu der damals einzigen Person, die ihn nicht wie einen Aussätzigen behandelt hatte. Danach war er der Meinung, dass er niemandem vertrauen konnte - nicht nur fühlte er sich selbst nicht mehr dazu in der Lage, er bezweifelte auch, dass es jemand bei ihm wollte und sich die Mühe machte, es auch nur zu versuchen. Natürlich hatte er Freunde, wenn man sie so bezeichnen konnte. Er verbrachte seine Zeit mit ihnen, stellte immer wieder auch Blödsinn mit ihnen an, doch wirklich nah an ihn heran, ließ er auch sie nicht. Hätte er ihnen erzählt, was in ihm vorging, hätten sie ihn vermutlich ausgelacht und für ein Weichei gehalten. Sie wussten nicht einmal, dass er Klavier spielte sondern waren der Meinung, dass er dies schon aus Prinzip nicht tat, weil seine Eltern es an sich verlangten und Cyrian darin wirklich talentiert war und es sinnlos war, sich darin mit ihm messen zu wollen. Crispin ließ sie in dem Glauben, denn auch in diesem Punkt hätten sie die Wahrheit nicht verstanden. Schließlich hatte er mit dem Spielen nur begonnen, weil er seinem großen Bruder nacheifern wollte und sie hätten nie im Leben begriffen, dass es ab einem bestimmten Zeitpunkt seine einzige Zuflucht und seine einzige Möglichkeit war, seine wahren Gefühle herauszulassen. Die Wut, seine abweisende Art und auch seine ganzen Eskapaden waren schließlich nur eine Mauer, die er sich zu seinem Schutz angeeignet hatte und die gleichzeitig auch als eine Art Hilfeschrei fungierten.
Doch niemand hörte ihn… Niemand verstand es… Für so lange Zeit, dass er alle Hoffnung bereits aufgegeben hatte, dass es jemals wieder jemanden geben könnte, vor dem er sich nicht verstecken musste, sodass er schon fast der Meinung war, dieser wütende und alles von sich stoßende Jugendliche wäre tatsächlich er…
Bis zu dem Augenblick, der einfach alles in seinem Leben veränderte, es auf den Kopf stellte und es gleichzeitig um so vieles besser und erträglicher machte. Es war fast so, als bräuchte August kaum Anstrengung, um an ihn heranzukommen. Crispin hatte auch bei ihm versucht, ihn von sich fernzuhalten und anfangs war ihm dies auch mehr oder weniger gelungen. Doch je öfter der Schwarzhaarige ihm zu Hilfe kam und er merkte, dass er sich darauf verlassen konnte, dass er ihn aus der sprichwörtlichen Scheiße holte, umso schwieriger wurde es, ihm gegenüber den Starken zu spielen, bis er irgendwann einbrach…

Die Sonne stand hoch am Himmel und nur vereinzelte Wolken zogen über den Himmel und über ihr vorbei, sodass für kurze Zeit alles im Schatten lag. Für diese Jahreszeit war es trotzdem relativ angenehm und kühl, aber nicht so kalt, dass man im Pullover herumlaufen musste. Crispins Blick wanderte aus diesem Grund nun schon zum gefühlt hundertsten Mal skeptisch über den Schwarzhaarigen neben sich, der zum gefühlt genauso vielten Mal seine Wunden mit einer ungewöhnlich aber angenehm riechenden Salbe versorgte, bei der er inzwischen wusste, dass in kürzester Zeit nichts mehr von seinen Verletzungen zu sehen sein würde. Besagter Schwarzhaariger trug selbst bei diesem Wetter ein langärmeliges Shirt und nachdem er ihn auf der Straße aufgelesen hatte, wollte er als erstes irgendwo Schutz vor der Sonne suchen. Er fand das unglaublich seltsam, doch der andere ließ nicht locker und somit hatte Cris ihn kurzerhand zur erstbesten Stelle gebracht, wo sie im Schatten und auch ungestört waren: das alte Atelier, in dem er so viel Zeit verbrachte. Bisher hatte er noch nie jemanden mit hierher genommen. Dieser Ort war ihm sozusagen heilig, denn es war der einzige Rückzugs- und Zufluchtsort, den er hatte. Dass er August mit hierher nahm, war also schon ungewöhnlich, aber auch wenn er es nicht geglaubt und es auch nicht zugegeben hätte, es fühlte sich richtig an, dass sie hier zusammen waren. Dabei konnte er auch nicht sagen, warum es sich so anfühlte, aber er wollte es gerade auch nicht weiter hinterfragen.
“Willst du mir verraten, warum du dich heute wieder geprügelt hast?”
Beinahe ertappt, zuckte er kurz zusammen und merkte, wie er ihn angestarrt hatte, während er seinen Gedanken nachhing. Zu seinem Glück war der andere jedoch noch immer konzentriert dabei, die Salbe zu verteilen und hatte es nicht bemerkt.
“Ich wüsste nicht, dass dich das was angeht!”, grummelte er, während er ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen weiterhin ansah. August tat es ihm gleich und unterbrach seine Arbeit, um seinen Blick nun seinerseits auf ihn zu heften.
“Da ich dir regelmäßig deinen Allerwertesten rette und dich wieder zusammenflicke, geht mich das sehr wohl was an. Ich kann dich demnächst aber auch so auf der Straße liegen lassen…”
Unwillkürlich presste Crispin die Lippen zusammen. Ein Teil von ihm sträubte sich bei dem Gedanken, August könnte dies wirklich in die Tat umsetzen und er würde ihn nicht wieder sehen. Wenn er ehrlich war, verspürte er schon so etwas wie Vorfreude, selbst wenn er vor Wut aus der Haut fuhr, da er wusste, dass der andere auftauchen würde. Dennoch wandte er trotzig den Blick ab, da er nicht wusste, ob er es ihm wirklich erzählen sollte, schließlich wäre dies der erste Schritt in eine Richtung, die er bei jedem anderen vermied: dass er hinter seine Fassade schauen konnte. Andererseits hatte er auch das Gefühl, dass es vielleicht gut so war. Es war genauso unwirklich und nicht greifbar wie das Gefühl, dass es richtig war, August mit hierher zu nehmen.
“Weißt du wie es ist, sich verstecken zu müssen, weil man so wie man ist, nirgendwo erwünscht ist…?”, flüsterte er leise, durch die Stille um sie herum und weil August ihm nah genug war, aber laut genug, um ihn doch zu verstehen.
Die Entscheidung, ihm davon zu erzählen, brach das Eis und änderte alles zwischen ihnen. Und er bereute es nicht…

Damals war es für August beinahe spielend einfach gewesen an ihn heranzukommen. Zumindest wenn man es im Vergleich zu jedem anderen sah. Dabei sollte man meinen, dass er dieselben Ausgangsvoraussetzungen hatte, wie jeder andere auch, dem er zuvor noch nie begegnet war, doch das stimmte nicht. Der Engel hatte bereits bei ihrer ersten Begegnung einen Vorsprung, indem er ihm das Leben gerettet hatte. Hinzu kam, dass es von Anfang an etwas an dem anderen gab, das er nicht genau benennen konnte, das seine Aufmerksamkeit aber unweigerlich zu ihm zog und ihn nicht wieder los ließ.
Bei den Erinnerungen daran, wie er es mit jedem Treffen mehr geschafft hatte, sich einen Platz in seinem Leben, vor allem aber in seinem Herzen zu erobern, krallte er seine Finger wieder mehr in den Stoff von Augusts Shirt und vergrub sein Gesicht darin. Bis heute hatte der Schwarzhaarige seinen Platz in seinem Herzen, den ihm niemand streitig machen würde. Ganz egal, was auch zwischen ihnen war und wie sehr sein Vertrauen unter all dem, was passiert war, auch gelitten hatte, sein Herz würde immer voll und ganz dem anderen gehören. Das war ihm über all die Zeit klar geworden. Wenn selbst die feste Überzeugung an einen Verrat nichts daran ändern konnte, dann würde dies wohl nichts schaffen. Und Crispin war sich sicher, dass August es wieder schaffen würde, sein volles Vertrauen zu gewinnen und seine Zweifel auszuräumen. Auf einer Seite war es nun schwerer als damals, da er es einmal besessen hatte und es durch die Geschehnisse zerstört wurde. Gleichzeitig war es nun jedoch auch leichter für ihn. August kannte ihn, wusste, was er tun musste und zudem war es das, was er aus tiefstem Herzen wollte: ihm wieder voll und ganz vertrauen.
Dabei war er derjenige, der so vieles wieder gut zu machen hatte und er hatte keine Ahnung, ob dies überhaupt möglich war. Er hatte ihm dermaßen unrecht getan und ihn so oft verletzt - auch mit dem, was er nun war - dass er gerade kaum daran glauben konnte, dass dies überhaupt möglich war, auch wenn August ihm bereits versichert hatte, dass er kein Problem mehr damit hatte, dass er im Grunde zu seinen Feinden gehörte. Doch die sanften Küsse und Berührungen vermittelten ihm, dass es genau so war und mit jeder Minute, die verstrich und in der die Welt nicht über ihm zusammenbrach, indem der andere doch einfach verschwand und ihn alleine ließ, wurde er ruhiger und die Zuversicht, dass sie die schlimmste Zeit zwischen ihnen überstanden hatten und sie nun vielleicht von vorn beginnen konnten, wuchs.
Gleichzeitig machte er sich jedoch auch immer mehr Vorwürfe, weil in ihm noch immer Zweifel vorhanden waren. In diesem Moment war er wirklich froh, dass August ihm nicht direkt ins Gesicht sehen konnte, denn in seinen Augen hätte er diese vielleicht gesehen.
“Ich habe einfach Angst… Vermutlich ist es absolut dumm und unnötig, aber ich kann nichts dagegen tun… Ich habe Angst, dass das hier alles nur ein Traum ist.”
Genau so fühlte es sich zumindest teilweise an: wie ein einerseits schrecklicher und andererseits wunderschöner Traum. Verstärkt wurde dieses Gefühl noch dadurch, dass sich die Müdigkeit langsam immer mehr in ihm breit machte und seine Glieder, aber auch seine Augen schwer werden ließ. Letztere weiteten sich allerdings, als August genau das aussprach, was so gut auch zu ihm selbst passte. Er löste sein Gesicht nun doch von dem weichen Stoff des Shirts und blickte zu dem anderen, wobei er erneut die Lippen leicht zusammenpresste.
“Mir ging es genauso… In all den Monaten nach unserem ersten Wiedersehen damals, habe ich dir versucht, so gut es ging, aus dem Weg zu gehen… Ich glaube, ich wusste damals irgendwo schon, dass mein damaliger Plan vollkommen hinfällig wäre, sobald wir uns wieder gegenüber stehen… Und genauso war es ja dann auch”, gestand er leise und senkte bei seinem letzten Satz ein wenig den Blick, um ihn nicht mehr direkt anzusehen und sah stattdessen auf den Kragen des Shirts und die sanften Linien des Schlüsselbeins, die darunter verschwanden.
“Ab dem Moment, in dem ich dir in der Gasse in die Augen gesehen hatte, war mir klar, dass… ich dich niemals töten könnte… Ich hätte es nicht ertragen, wenn du nicht mehr da gewesen wärst…”
Stattdessen wollte er in seiner Nähe sein. Er wollte ihn bei sich haben, egal wie sehr es schmerzte und egal, wie sehr er sich vor allem anfangs dafür hasste. Doch gegen die Gefühle, die noch immer in seinem Herzen für den Engel vorhanden waren, kam er nicht an. Je mehr er versucht hatte, sie zu unterdrücken, umso stärker wurden sie und umso schwerer wurde es, ihm fernzubleiben, selbst wenn der andere ihn zutiefst verletzt hatte.
Dass es August genauso ging wie ihm, war ihm durchaus aufgefallen. Nur hatte er andere Gründe dafür gefunden, warum er es tat und darunter war sicher nicht, dass er ihn einfach vermisste. Dabei erinnerte er sich an die eine Nacht, in der er am Abend auf seiner Fensterbank eingeschlafen war und wach wurde, als er spürte, wie ihn jemand trug. Der Schwarzhaarige war bei ihm aufgetaucht, weil er nicht schlafen konnte, hatte sich auf diese Art und Weise um ihn gekümmert, wie er es immer tat und Crispin war einfach nur verwirrt gewesen. Wütend und verletzt, wie er damals war, hatte er die Begründung, warum er bei ihm war, für eine Lüge gehalten oder einen Scherz gehalten. Jetzt ergab dies allerdings um einiges mehr Sinn.
Sanft wurde er aus dieser Erinnerung geholt, als er Augusts Lippen an seinem Hals spürte, die bis zu seinem Schlüsselbein und anschließend wieder hinauf wanderten. Er schloss die Augen und genoss das Gefühl, auch wenn er feststellen musste, dass dies keine so gute Idee war. Seine Müdigkeit zusammen mit den sanften Berührungen ließen ihn leicht wegdriften. Um nicht einzuschlafen, biss er sich auf die Unterlippe, die sofort wieder anfing, schmerzhaft zu pochen, bis August es bemerkte, sie befreite und einen sanften Kuss darauf hauchte. Cris grummelte leise bei der Aufforderung, dass er das lassen sollte, auch wenn er ganz genau wusste, dass der andere recht hatte.
Augusts Reaktion auf die Tatsache, dass Rixon und Aspen sich kannten, offensichtlich nicht nur flüchtige Bekannte waren und gemeinsam in diese Sache verwickelt waren, fiel verhalten aus, wenn man davon absah, dass sich der Hass auf Rixon in seinen dunklen Augen mehr als deutlich abzeichnete. Jedoch konnte er sich denken, dass es im Inneren des Engels noch ganz anders aussah. Schließlich hatte er seinem Bruder vertraut und er wusste, wie es war, sich verraten zu fühlen - auch wenn es bei ihm auf falschem Wissen beruhte. So sehr er Aspen dafür auch hasste und so sehr er selbst von dem Verrat in gewissem Sinne profitierte, er hätte August gerne davor bewahrt, dieses Gefühl noch einmal ertragen zu müssen. Immerhin war seine Entscheidung, ein Dämon zu werden, ebenfalls nichts anderes als ein Verrat und es war an sich egal, dass er benutzt wurde, denn das änderte nichts daran, dass er ebenfalls einmal daran schuld war, dass der andere dies durchmachen musste. Tiefe Schuldgefühle gruben sich in sein Herz und er wünschte, er könnte die Zeit zurückdrehen und sich anders entscheiden, geduldiger sein, auch wenn er ganz genau wusste, dass dieser Wunsch genau dies bleiben würde: ein Wunsch. Somit blieb ihm nur, das Ganze irgendwie wieder gut zu machen, auch wenn er noch keine Ahnung hatte, wie er das anstellen sollte.
Crispin wollte sich gerade schon wieder auf die Unterlippe beißen, ließ es allerdings bleiben, als er die Antwort auf seine Frage bekam und endlich erfuhr, wieso August damals einfach nicht wieder aufgetaucht war. Allein die Erkenntnis, dass er eingesperrt war, hinterließ ein flaues Gefühl in ihm. Er wusste, dass es dem anderen verboten war, so viel Zeit mit ihm zu verbringen, weshalb sie sich so gut es ging, zurückgehalten hatten. Bis auf diesen einen Tag, wo sie es beide nicht mehr konnten… Reue war das Letzte, was er wegen dem Kuss empfand, denn dafür war er zu schön gewesen, aber das änderte nichts daran, dass es ihm nicht gefiel, dass August dafür eingesperrt wurde und dieses Gefühl wurde noch stärker, als er hörte, dass die Zeit in Haft weit länger dauerte, als bei jedem anderen. Wie konnte das sein? Er zog die Augenbrauen zusammen, während er darüber nachdachte und er sog scharf die Luft ein, als er wieder einmal einen Verdacht hatte. Unbewusst lockerte er seine verkrampften Finger von dem Shirt und fuhr mit seiner Hand zum Rücken des anderen, wo er sie liegen ließ, ihn aber gleichzeitig noch ein wenig näher zog.
“Meinst du, Aspen hatte etwas damit zu tun, dass es nicht wie bei anderen ablief und es so lange gedauert hat?”
Nach allem, was sie heute erfahren hatten und nachdem sich die Wahrheit langsam aber sicher zu einem fertigen Puzzle zusammensetzte, dem nur noch ein paar Teile fehlten, war es absolut nicht abwegig, dass der Engel auch da seine Finger im Spiel hatte. Inzwischen traute er ihm so gut wie alles zu, denn so wie es aussah, wollte er dem Schwarzhaarigen schaden und am liebsten hätte er ihn dafür auf der Stelle bezahlen lassen. Das Problem war nur, dass August ihm am Ende vermutlich den Arsch retten müsste und der ganze Effekt seines Vorhabens dahin wäre. Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, was sie dennoch tun könnten, um Aspen und Rixon nicht einfach so davonkommen zu lassen, zog der andere wieder seine volle Aufmerksamkeit auf sich und sein Herz geriet kurz aus dem Takt.
“Was hattest du danach denn vor?”
Irgendwie konnte sich Crispin denken, was es war, doch er wollte es von dem anderen hören und wissen, ob er wirklich richtig lag. Und wenn es das war, woran er dachte, ärgerte er sich noch viel mehr über die ganze Situation, denn wenn August wie alle anderen nur ein paar Tage eingesperrt gewesen wäre, wäre er Rixon nie über den Weg gelaufen und hätte ihm nicht geglaubt. Es hätte keinen Grund für seine Wut und später seinen Hass gegeben. Es hätte schon viel eher so sein können, wie es hätte sein sollen: Sie beide zusammen gegen den Rest der Welt und das ohne sich verstecken zu müssen. Doch wenn Aspen August wirklich schaden und vielleicht sogar loswerden wollte, hätte dieser vielleicht auch noch einen anderen Weg gefunden, um dies zu schaffen.
Seine Vermutung bestätigte sich noch zusätzlich, als der andere auf seine Worte, er hätte Wichtigeres zu tun, als sein Schutzengel zu sein, völlig überrascht reagierte und verärgert zischte. Er konnte dies nachvollziehen - vor allem, als der andere auch erklärte und ihm sagte, er hätte eigentlich erfahren sollen, was los war und warum sie sich nicht sehen konnten. Beinahe automatisch ballte er seine Hand auf Augusts Rücken zur Faust und presste die Kiefer stark aufeinander, als Wut in ihm aufstieg. Auf Aspen, der vermutlich auch da dahinter steckte, auf Rixon, der ihn benutzt hatte und auch auf seinen letzten Schutzengel, der bei diesem widerwärtigen Spiel ebenfalls mitgemacht hatte.
“Sie hat es mir genau so gesagt. Als sie auftauchte, um mir zu helfen, hab ich die Chance genutzt und sie nach dir gefragt. Ich wollte einfach wissen, was los war… Vor allem weil ich zu diesem Zeitpunkt schon langsam den Gedanken bekam, dass du einfach keine Lust mehr hast, bei mir zu sein… Ihre Antwort war, dass du für mich nicht mehr zuständig seist, weil du Wichtigeres zu tun hättest und ich mit ihr Vorlieb nehmen müsste.”
Jetzt, wo sich alles langsam zu einem Bild zusammensetzte und sie das ganze Ausmaß der Intrige entdeckten, an der nicht nur Rixon und Aspen beteiligt waren, kam er sich noch so viel dümmer vor, weil er das alles geglaubt hatte, ohne irgendetwas ernsthaft zu hinterfragen und anzuzweifeln. Stattdessen hatte er ohne weiteres an der einzigen Person gezweifelt, die - so lange sie sich kannten - immer für ihn da war und der er bis zu diesem verhängnisvollen Tag vollkommen vertraut hatte.
Vertrauen… Gerade wurde ihm wieder einmal klar, dass man genau aufpassen musste, wem man dieses entgegenbrachte, da es zu viele Leute gab, die es ausnutzten, um einen zu verletzen. Aus diesem Grund war er auch skeptisch, als August davon sprach, er wolle mit einer weiteren Person darüber reden.
“Bist du sicher, dass du demjenigen vertrauen kannst? Wer weiß schon, wie viele Leute noch in diese Sache involviert sind und wenn derjenige ebenfalls mit den beiden unter einer Decke steckt, wissen sie dann sofort, dass wir ihnen auf die Schliche gekommen sind”, merkte er an. Er wollte nicht, dass der andere noch einmal von einem der Engel hintergangen wurde, auch wenn er ebenfalls unbedingt wissen wollte, welchen Grund es gab, nicht nur ein Leben sondern zwei beinahe komplett zu ruinieren. Deshalb hoffte er, dass sein Misstrauen diesem anderen Engel gegenüber unbegründet war. Zudem hatten sie noch keinen Plan, was sie tun sollten, wobei es Crispin in den Fingern juckte, es Rixon und Aspen dafür heimzuzahlen. Nur mussten sie dafür bedacht vorgehen, was ihm mit Sicherheit schwer fallen wird, sollte er die beiden oder auch nur einen von ihnen sehen. Ein weiteres Mal sammelte sich Wut in seinem Bauch - ein Gefühl, dass ihm so vertraut war und das er gerade sehr willkommen hieß, da es besser war, als die quälenden Schuldgefühle, die unaufhörlich an ihm nagten.
“Die beiden werden damit aber nicht einfach so davon kommen!”
Crispin sah August dabei entschlossen in die Augen, wobei er bemerkte, dass dieser seinen Gedanken nachzuhängen schien. Stille legte sich eine Weile über sie und er spürte dadurch wieder einmal, wie sehr ihn das alles ausgelaugt hatte. Die Müdigkeit überwältigte ihn und kroch ihm in die Glieder. Komplett einschlafen konnte er jedoch nicht, da er im nächsten Augenblick einen Strohhalm an seine Lippen spürte. Die Worte des Engels drangen nur gedämpft an seine Ohren, dennoch verstand er sie und öffnete widerwillig seine Augen, bei denen er nicht einmal mitbekommen hatte, wie diese ihm zugefallen waren. Auch dass August die Decke weiter über sie und ihn näher gezogen hatte, hatte er nicht gemerkt.
“Manchmal kannst du wirklich nervig sein…”, grummelte er, trank jedoch dennoch etwas von dem Latte Macchiato, da er ganz genau wusste, dass der andere nicht locker lassen würde, bis er der insgeheimen Bitte nachkam. Nach ein paar Schlucken ließ er wieder davon ab und nachdem August den Becher zurückgestellt hatte, schlang er beide Arme um seinen Oberkörper und kuschelte sich näher an ihn. Noch immer kam ihm das wie ein viel zu schöner Traum vor. Es war nicht das erste Mal, dass sie, seitdem alles zu Bruch ging, zusammen im Bett lagen und die Nähe des anderen genossen. Allerdings waren es bisher immer nur gestohlene Momente, bei denen man wusste, dass sie viel zu schnell vorbei sein würden und es nur noch mehr schmerzte, wenn die Realität einen einholte und man doch wieder alleine war. Nun musste er jedoch nicht mehr befürchten, dass die Stimmung jeden Augenblick kippte und sie sich doch wieder angifteten und es war schwer für ihn, das voll und ganz zu begreifen.
Ein leises Seufzen entfuhr ihm, als er die hauchzarten Berührungen spürte und auch die Vorstellung eines Urlaubs war für ihn kaum greifbar. Dennoch freute er sich und ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Seit Jahren war er schon nicht mehr im Urlaub gewesen, denn immer wenn seine Familie irgendwohin gefahren oder geflogen war, hatte er sich strikt geweigert und war alleine zurück geblieben. Er hatte keine Lust, auf eine heile Familie zu tun, nur um ihnen ihren Urlaub nicht zu versauen. Bei August sah das anders aus. Dieser müsste ihn nicht zweimal fragen und er müsste keine Sekunde überlegen, ob er das wollte. Vor allem jetzt klang die Idee einfach nur verlockend eine Zeit lang den ganzen Mist hinter sich zu lassen und nicht daran zu denken. Als der andere weitersprach und ihm erklärte, er wolle ihm zeigen, wieviel er ihm bedeute, lief ihm ein wohliger Schauer über den Rücken und auch sein Herz reagierte sehr eindeutig darauf.
“Urlaub klingt gut”, murmelte er leise und verschlafen, “da müssen wir unbedingt neue Fotos machen.”
Fotos… Für einen kleinen Moment war Crispin noch einmal ein wenig wacher, als ihm etwas Wichtiges einfiel. Er löste sich von August und tastete mit noch immer geschlossenen Augen hinter sich auf dem kleinen Nachtschrank nach seinem Handy. Nach einigen vergeblichen Versuchen fand er es und reichte es dem Schwarzhaarigen. Auch wenn er es nicht sah, konnte er sich denken, dass dieser vollkommen verwirrt war.
“Du musst da unbedingt was sehen… Der Code zum Entsperren ist der Tag, an dem wir uns das erste Mal gesehen haben. Das Jahr musst du ausschreiben...”
Nach dem Tag, an dem August sich einfach sein Handy geschnappt hatte und sie dieses - in seinen Augen noch immer sinnlose - Spiel gespielt hatten, war eine seiner ersten Handlungen, nachdem er wieder alleine war, einen Entsperrcode einzurichten und bei diesem Datum war er zum damaligen Zeitpunkt einfach sicher, dass der andere niemals daran denken würde, dass er ausgerechnet dieses nahm.
Als er sicher war, dass August es geschafft hatte, das Display zu entsperren, erklärte er ihm ganz genau, wo er überall drauf gehen und wohin er navigieren musste, um zu dem Ordner in seiner Cloud zu kommen, in dem er die Bilder - ihre gemeinsamen Erinnerungen - gespeichert hatte, bevor er sie von seinem Handy gelöscht hatte. Jetzt, wo das Wichtigste zwischen ihnen geklärt war, wollte er ihn nicht länger in dem Glauben lassen, es gäbe nur noch die reparierten Exemplare der Fotos. Vor allem da dies bei Weitem nicht alle waren, die in ihrem gemeinsamen Sommer entstanden waren.
Crispin hoffte, dass der Engel sie fand, als er es nicht länger schaffte, sich gegen die Müdigkeit zu wehren, er sich dem Schlaf ergab und eng an August gekuschelt einschlief.
Crispins Angst war durchaus verständlich, wenn man bedachte, dass es nicht das erste Mal war, dass sie so wie jetzt aneinander gekuschelt im Bett lagen, nur um im nächsten Moment wieder von dem anderen weggerissen zu werden - sei es aufgrund von physischen Umständen oder einer erneuten Auseinandersetzung, weil Unklarheiten zwischen ihnen herrschten. Genau diese Unklarheiten hatten sie jetzt gerade mehr oder weniger beglichen. Natürlich war da immer noch einiges das sie verarbeiten mussten, aber zumindest wussten sie beide bescheid, wenn es um das Verhalten des anderen ging und wieso sie so gehandelt hatten. Lächerlich… sie hätten das alles hier schon so viel früher haben können, wenn sie sich nur einmal hingesetzt und miteinander offen geredet hätten. Stattdessen verfingen sich beide in Vermutungen und in Aussagen von Außenstehenden, die eigentlich nichts über sie beide wussten. Niemand, wirklich niemand verstand wie August für den anderen empfand. Wie glücklich er ihn machte, wenn er ihn nur anlächelte, wie schnell sein Herz schlug, wenn er seinen Namen aus dem Mund des anderen hörte… Ihr Streit war absolut unnötig gewesen und der Engel hätte gar nicht in Worte fassen können, wie Leid ihm alles tat, denn er hatte durchaus Dinge von sich gegeben, die er nicht ernst gemeint hatte. Ihn überkam das Bedürfnis, diese Aussagen sofort klarzustellen, damit der Jüngere keine Zweifel mehr haben musste. “Das alles was ich bei unserer ersten Begegnung… und bei all den Treffen danach gesagt habe, war nicht so gemeint. Du bist kein beleidigtes kleines Kind. Ich bereue es keinen Tag, dass ich mich auf dich eingelassen habe. Du warst niemals eine Last für mich, im Gegenteil… Für mich warst du schon immer die einzige Person, die ich immer an meiner Seite haben wollte.”, gab er ehrlich zu und versteckte sein Gesicht dabei etwas in den Haaren des anderen, da es ungewohnt für ihn war so ehrlich über seine Gefühle zu sprechen, aber gerade konnte er sich nicht zurückhalten. Er wollte nicht, dass der andere dachte, dass es sich hierbei um einen Traum handelte, denn jetzt waren sie zum ersten Mal seit einem Jahr wieder an einem Punkt angelangt wo sie ehrlich miteinander sprechen und Vertrauen zueinander aufbauen konnten. “Es ist kein Traum und ich verspreche dir, dass ich noch da bin, wenn du wieder aufwachst. Du wirst mich jetzt nicht mehr so leicht los.”, meinte er und musste etwas grinsen. Sich jetzt von seiner großen Liebe zu trennen stand komplett außer Frage, auch wenn es ihm im nächsten Moment als sinnvoll erschien, wenn er den Dämon in Sicherheit wiegen wollte. Aspens Handy lag nach wie vor bei ihnen und es war nur eine Frage der Zeit, bis der Engel es merken und vor der Tür des Schwarzhaarigen auftauchen würde, denn er war der letzte gewesen, der ihn besucht hatte. Noch dazu war der Besuch auffällig spät und sehr unnötig gewesen, denn er verbrachte nicht einmal 10 Minuten in der Wohnung des anderen. Das Handy musste demnach so schnell wie möglich wieder zurück an seinen Platz gebracht werden. Am besten legte er es unter das Bett - so konnte man davon ausgehen, dass es hinunter gefallen und darunter gerutscht war. So etwas konnte durchaus passieren oder nicht?
Das Geständnis des anderen erwärmte sein Herz und ließ ihn schwach lächeln. Augusts Finger fuhren durch das weiche Haar des Dämons, dessen Kopf eng angekuschelt auf seiner Brust lag. “Da ging es nicht nur dir so.”, flüsterte er und ließ seine Hand zu der Seite wandern, an der er Crispin damals verletzt hatte. Von der Wunde war nichts mehr zu sehen, aber nach wie vor tat es ihm unheimlich Leid, dass es überhaupt dazu gekommen war. Die Verletzung war das Resultat von seinem fehlgeschlagenen Versuch den anderen zu töten. Für ihn wäre es ein Kinderspiel gewesen, wenn er es wirklich ernst gemeint hätte, aber wem machte er etwas vor? Ein Teil von ihm wusste ebenfalls von Anfang an, dass er den jungen Dämon, den er damals in der Gasse wiedergesehen hatte, immer noch liebte und ihn nicht einfach so aus seinem Gedächtnis auslöschen konnte. Ihn zu verletzen und dann zu sich nach Hause zu tragen, war so ziemlich das egoistischste, dass er jemals getan hatte, aber führte es letztendlich dazu, dass sie sich wieder öfter sahen? Damals fanden sie trotz ihrer Abneigung zueinander kurze Momente, in denen sie in ihr altes Schema fielen - wie zum Beispiel, als sie unter der Decke Händchen hielten und schließlich nebeneinander einschliefen. Klar, sie hatten sich danach wieder im Schlechten voneinander getrennt, aber irgendwie wusste er schon damals, dass er nicht mehr ohne den anderen konnte.
Cris Grummeln entlockte dem Engel ein leises Kichern - er war aber auch furchtbar süß, wirklich. Wie konnte man da nicht schwach werden und ihn mit sanften Küssen überhäufen? Augusts Lippen drückten sich auf die Stirn und auf die Wangen des anderen. Er bekam einfach nicht genug davon und hätte am liebsten gar nicht aufgehört, aber auch er war müde und er wollte den anderen nicht länger wach halten, nachdem er so viel in kürzester Zeit verarbeiten musste. Sein Häschen brauchte jetzt unbedingt viel Ruhe und er war der letzte, der ihn davon abhielt, weswegen er sich bequemer machte und den Dämon unter den Schultern packte, und auf sich zog, als wäre er seine persönliche Decke und sah dann zu ihm, als sich der andere wieder zu Wort meldete.
Wieder waren seine Zweifel absolut berechtigt und der Gedanke, dass Aspen auch dahinter steckte, dass seine Haft in die Länge gezogen war, erschien immer plausibler. August nickte und dachte darüber nach wie verdächtig sich sein Bruder damals während der Besuchszeit verhalten hatte. Es passte alles sehr gut zusammen, wenn man es von einem skeptischeren Sichtpunkt betrachtete und es schmerzte, dass jemand, den er als seinen Bruder sah, ihn so hintergangen hatte. Der Schwarzhaarige hatte ihm vertraut und niemals wäre ihm in den Sinn gekommen, dass der andere ihm etwas Böses antun wollte, denn nach wie vor, wusste er nicht woher dieser Hass kam. Möglicherweise wusste Hope mehr. Ein Treffen mit ihm war unausweichlich und er hätte ihn schon viel früher aufsuchen müssen. Wenn er jetzt so darüber nachdachte, war Aspen der Grund dafür gewesen, warum er es bis jetzt nicht getan hatte, denn er war immer an seiner Seite gewesen, wenn er Hilfe gebraucht hatte, ohne ihm wirklich einen Rat zu geben… Damals schätzte August einfach nur die Anwesenheit seines Bruders und die Zeit, die dieser für ihn opferte. Zu abgelenkt von seinen Gefühlen, die er für den Dämon in seinen Armen hegte, war ihm gar nicht bewusst gewesen, wie Aspen ihn von Anfang an manipulierte. Unglaublich… wie konnte er nur so blöd sein und diese Masche nicht durchschauen? Sein Timing war perfekt und wenn das mit Rixon stimmte - was er gerade nicht mehr bezweifelte - dann war dieser Plan nahezu lückenlos geplant gewesen. Aber warum er? Warum ausgerechnet August? Das war die einzige Sache, die ihm nach wie vor ein Rätsel war und er musste herausfinden was der Grund für einen Plan wie diesen war, bevor Crispin oder er zu Schaden kamen und das würde er niemals zulassen. Nicht, wenn er endlich wieder mit der wichtigsten Person in seinem Leben vereint war.
Besagte Person brachte ihn sogleich in Verlegenheit, denn obwohl für ihn immer klar gewesen war, dass er eines Tages den Himmel verlassen und seine restliche Zeit mit dem Jüngeren verbringen würde, so hatte er es dem anderen noch nie wirklich gesagt und jetzt fragte dieser nach und ließ ihm nahezu keine Wahl, als ehrlich zu antworten. Der Engel wandte den Blick ab und zupfte an der Decke, die über ihnen lag, ehe er leise murmelte. “Damals wollte ich… ähm… Nach unserem Kuss wollte ich den Himmel verlassen und ähm… bei dir bleiben?” Es klang eher nach einer Frage, als würde er in der Schule sitzen und sich unsicher sein was er antworten sollte. “N-natürlich nur, wenn du damit auch einverstanden gewesen wärst… aber nach dem Kuss dachte ich, dass das auch wolltest und deswegen… habe ich geplant den Himmel zu verlassen. Aber dann habe ich von Aspen erfahren, dass du ein Dämon bist und- … na ja, den Rest kennst du ja schon.” Kein Grund es weiter zu erläutern und damit wollten sie sowieso abschließen oder nicht? Sein Plan war damals eine Wohnung zu mieten und irgendwann, wenn der andere alt genug war, mit ihm zusammenzuziehen, damit er nicht mehr bei seinen Eltern wohnen musste. Gemeinsam hätten sie schon einen Weg gefunden unbeschwert zu Leben und im vergleich zu jetzt, hatten sie es damals so viel einfacher gehabt… Aber das hieß nicht, dass er sich jetzt nicht auch danach sehnte irgendwann mit dem anderen gemeinsam zu wohnen und ihn zum glücklichsten Mann in diesem Universum zu machen. Vorher mussten sie allerdings sämtliche Störfaktoren in ihrem Leben beseitigen und einer davon war nun mal Aspen, um den sich der schwarzhaarige Engel schon kümmern würde, denn laut dem was Crispin ihm erzählte, war er wahrscheinlich auch daran Schuld, dass die Nachrichten nicht zu dem Jüngeren durchgedrungen waren. August konnte sich bereits denken um welchen Schutzengel es sich handelte und wenn sein Verdacht stimmte, dann steckte sie auch mit Aspen unter einer Decke - wenn auch aus anderen Gründen - denn gegen ihn selbst hatte sie nichts, aber soweit er wusste, hatte sie ein Auge auf den älteren Engel geworfen und Liebe ließ einen viele dumme Dinge anstellen, nicht? “Das stimmt alles nicht. Für mich warst du immer das Wichtigste. Du bist es auch jetzt noch.”, sagte er und winkelte ein Bein ab, dass er an die Hüfte des anderen lehnte, der perfekt zwischen seinen Beinen positioniert lag. “Hope ist keiner von ihnen, da bin ich mir sicher.” Als sein bester Freund, hatte er sich immer schon von allen anderen distanziert und sich aus Dramen wie diesen hinaus gehalten. Er war gut darin einen Überblick und eine objektive Meinung zu behalten, was August sehr zu schätzen wusste. Manchmal war er aber auch etwas zu gutmütig - speziell wenn es um Liebesbeziehungen ging, bei denen es ihm schwer fiel objektiv zu bleiben. “Nein, dafür werden wir sorgen.”, versprach er und küsste den anderen ein weiteres Mal. Sie beide gegen den Rest der Welt. So war es schon immer gewesen und es würde immer so bleiben. Er liebte den anderen so sehr für seine entschlossene Art und dafür, dass er auch jetzt noch zu dem Engel hielt. Ein weiteres Mal wollte er ihn nicht enttäuschen und wenn es hieß, dass er seinen eigenen Geschwistern den Rücken kehren musste, dann sollte es eben so sein.
Sein Herz setzte fast aus, als er die altbekannten Worte hörte, die sie früher schon miteinander geteilt hatten, um ihre Zuneigung für den anderen auszudrücken. Seine Mundwinkel kräuselten sich und blinzelte den anderen sanft lächelnd an. “Mein kleiner Frechdachs.”, murmelte er und vereinte ihre Lippen erneut, ehe es sich der andere wieder bequem machte. Wenigstens konnte er sich nun sicher sein, dass der andere im Schlaf nicht verdursten würde und hoffentlich auch nicht mit Kopfschmerzen aufwachte. Beim Lächeln des anderen schmolz der Engel nahezu dahin und konnte es nicht verhindern, dass er den anderen liebevoll knuffte. “Ja? Gefällt dir die Idee?”, murmelte er an das Ohr des anderen, während seine Hände von den Oberschenkeln zu dem Rücken hinauf fuhren und diesen mit kreisenden Bewegungen massierten. Der Vorschlag mit den Fotos ließ ihn kurz zu dem Buch blicken, in dem sich die ausgedruckten und zusammengeklebten Aufnahmen befanden, die zuvor noch versteckt unter seinem Kopfkissen lagen, bevor der Dämon sie entdeckt hatte. Neue Fotos wären wirklich schön gewesen und vielleicht hatten sie irgendwann genug um ein ganzes Album zu füllen? Die Vorstellung alleine ließ ihn zufrieden Brummen. “Alles was du willst, Baby.”
Auch August schloss die Augen, bis er sie ruckartig öffnen musste, denn anscheinend war sein Freund noch nicht bereit schlafen zu gehen, auch wenn seine Körperhaltung und seine schläfrige Stimme - die ebenfalls furchtbar süß war - etwas anderes behaupteten. Vor allem, dass er mit geschlossenen Augen am Nachtschrank herum tastete, ließ ihn mehr denn je wie ein kleines Häschen wirken und Oh Gott, konnte man an so viel Zucker sterben? “Was denn?”, fragte er mit einem amüsierten Ton und sah dann zu dem schwarzen Bildschirm, bevor er den Blick hob und den Anweisungen lauschte.
Der Tag, an dem sie sich das erste Mal gesehen hatten… Das war sein Code? Ein leichter Rotschimmer legte sich auf die Wangen des Engels, denn damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Cris war kein Romantiker… zumindest keiner, der es offen zugab, aber manchmal gab es Dinge wie diese, die Augusts Herz höher schlagen ließen und die vielleicht kitschig erscheinen mochten, aber ihn unendlich glücklich machten. Natürlich erinnerte er sich an das Datum, sowie an ihre erste richtige Konversation miteinander. Daran wie süß er die trotzige Art des Teenagers fand und sich krampfhaft eingeredet hatte, dass es nervig und kein bisschen anziehend war, obwohl er damals schon eine große Schwäche für ihn gehabt hatte. Die genauen Anweisungen führten zu einem Ordner, der einige Fotos beinhaltete. Gerade als er fragen wollte, was das für Fotos waren, merkte er, dass der andere bereits in seinen Armen eingeschlafen war. Na gut, dann musst du eben selbst nachsehen. Er nahm es Crispin nicht übel. Der Arme war komplett fertig und brauchte dringend seinen Schlaf. Ohne irgendwelche Gedanken und Erwartungen öffnete er also das erste Bild und brauchte einen Moment um zu realisieren, dass es sich dabei um eines der Fotos handelte, das schlecht zusammengeklebt zwischen den Seiten seines Buches lag. Sein Mund öffnete sich leicht und er wischte mit dem Daumen zur Seite, um die anderen Fotos zu sehen, von denen er sich an einige gar nicht mehr erinnern konnte, da sie ohne sein Wissen aufgenommen wurden, wie zum Beispiel eines, wo August in Crispins Bett im Haus seiner Eltern schlief, nachdem er ihn nach Hause getragen hatte und völlig fertig ins Bett gefallen war, nur um dort ein kleines Nickerchen zu machen. Aber da war noch so viel mehr und der Grund weshalb Cris unbedingt wollte, dass der Engel die Bilder sah, war einfach: damit er wusste dass es sie nach wie vor gab und das ließ ihn die Lippen fest zusammenpressen, denn es gab wirklich einen Moment, an dem er dachte, dass sie diese schönen Erinnerungen für immer verloren hatten. Die ganzen Fotos jetzt wieder zu sehen - ohne dass sie zerrissen waren - ließ seine Augen glasig werden, denn er liebte den anderen so viel und nach diesen Bildern, die der andere bis jetzt nicht gelöscht hatte, war er sich sicher, dass es der andere auch tat. Lächelnd scrollte er sich durch die Bilder und wischte sich gelegentlich die ein oder andere Träne weg. Er weinte nicht, weil er traurig war - im Gegenteil. Dieses Mal waren es Freudentränen und er war in dem Moment sehr froh, dass der andere schlief und es nicht mitbekam. Nachdem er sich die Bilder mehrmals angesehen hatte, kam ihm eine Idee und er begann im Menü nach der Kamera zu suchen, die er nach mehreren Anläufen auch fand. Es dauerte ein paar Momente, bis er herausfand wie man die Kamera auf der Innenseite aktivierte, aber als er alles eingestellt und sich ein weiteres Mal über die Augen gewischt hatte, zog er den anderen noch etwas weiter hinauf und legte seine Lippen an dessen Schläfe, bevor er ein Foto von ihnen machte. Und danach selbstverständlich noch ein einzelnes Foto von dem schlafenden Dämon, denn Rache war süß und ein friedlich schlafender Crispin sowieso. “Ich liebe dich so sehr. Du hast ja keine Ahnung...”, flüsterte er und küsste ihn ein weiteres mal auf die Schläfe und dann auf die Stirn. Zufrieden sperrte er das Handy wieder und lege es neben sie. Wie konnte er nur daran zweifeln, dass der andere ihn nicht auch aufrichtig liebte? Alles deutete darauf hin und er war einfach zu voreingenommen und verletzt gewesen um es zu realisieren… Nie wieder würde er ihn gehen lassen. Crispin an seiner Seite war alles was er brauchte und niemand konnte das verhindern. Weder ein lausiger Dämon wie Rixon, noch ein Verräter wie Aspen. Sobald sein Freund wach war, hieß es erst einmal einen Plan zu schmieden. August musste Hope kontaktieren und das konnte durchaus heißen, dass er für ein paar Tage verreisen musste - je nachdem wo sich sein Bruder befand. Cris sollte in der Zeit besonders Acht geben und am besten das Haus des Engels meiden - nur zur Sicherheit. Sobald alles geklärt war, konnten sie endlich zusammen sein - so richtig. Ohne Angst haben zu müssen. Der Gedanke war schön und dieses Mal auch greifbar - er ließ ihn schmunzeln. Ihr Happy End war in Sichtweite und auch, wenn es davor sehr wahrscheinlich eine Konfrontation zwischen ihm und Aspen geben würde, wollte er alles in Kauf nehmen, solange er am Ende bei seinem geliebten Dämon sein durfte.
Vorsichtig drehte er sich mit dem Jüngeren auf die Seite und fuhr mit einer Hand in den Nacken, um durch das schwarze Haar zu streichen, während die andere auf der Hüfte des warmen Körpers neben ihm lag, an der er ihn erneut näher zog und schließlich auch einschlief, ohne Angst davor haben zu müssen, dass der andere am nächsten Tag weg war.

Und er behielt recht, denn als er die Augen nach wenigen Stunden wieder aufschlug, lag Crispin immer noch dicht an ihn angekuschelt neben ihn und schlief seelenruhig weiter. Er selbst war nun hellwach und seine Gedanken kreisten einmal mehr um die Lage in der sie sich befanden. Einerseits hatten sie nun keinen Druck mehr, sich voneinander trennen zu müssen, aber andererseits musste August so schnell wie möglich eingreifen, damit der Jüngere nicht verletzt wurde, falls Aspen herausfinden sollte, dass sie sich wieder versöhnt hatten und erneut zusammen waren. Das Handy des älteren Engels musste schnell wieder zurückgebracht werden, allerdings wollte August nicht gehen, bevor Cris wieder wach war oder ihn zumindest kurz wecken, damit er bescheid wusste und nicht dachte, dass er einfach so verschwand, ohne etwas zu sagen. Nicht auszumachen wie er reagieren würde, wenn er ein leeres Bett vorfand...Nein, er konnte jetzt nicht einfach so gehen und den anderen ohne ein Wort zurücklassen. Jedoch musste er irgendetwas tun, damit er das nervige Mobiltelefon zurück zu seinem Eigentümer bringen konnte und das erforderte nunmal einen August, der nicht neben einem angekuschelten Babyhäschen lag - leider.
Ganz langsam und vorsichtig fing er an sich aus dem Griff des anderen zu lösen, was schwerer war als gedacht, weil es 1. viel zu bequem war um aufzustehen und Crispin 2. einen sehr festen Griff hatte, der nicht den Anschein machte, als wolle er frühzeitig vom Engel loslassen. Also musste ein anderer Plan her - der Dämon musste geweckt werden. Liebevoll natürlich, denn wer wollte schon aus dem Schlaf gerüttelt werden? August begann wieder sein Gesicht zu küssen - ganz sanft, kaum spürbar - bis er es schaffte sie beide zumindest so zu rollen, dass er über dem Kopf des Jüngeren abgestützt neben seinen Hüften kniete. "Häschen, wach auf...", murmelte er an die warme Haut des anderen und strich mit den Lippen den Hals den anderen hinab. Keine Reaktion, bis auf ein wohliges Brummen - nicht das was er wollte, aber dennoch sehr niedlich und lohnenswert. Das Shirt des anderen schob er mit beiden Händen hinauf und konnte es nicht verhindern, dass sein Atem kurz bei dem Anblick stockte. Nach wie vor, ließ es ihn nicht kalt, wie gut der junge Dämon gebaut war und fast wie ein Reflex legten sich seine Lippen an seinen Oberkörper, den er mit Schmetterlingsküssen hinabfuhr und dabei seine Hände an den Bund seiner Jeans legte. "Unfair...", nuschelte er an die ausgeprägten Muskeln des anderen und fuhr sie dann mit seiner weichen Zunge nach. Oh ja, es war einfach nicht fair, dass jemand so gut aussah und ihn selbst jetzt unbewusst schwach machte. Noch immer kam keine Reaktion des anderen und er wollte ihn wirklich nicht unbarmherzig wach rütteln, weshalb er tiefer rutschte und einen Kuss auf den Bauchnabel unter ihm drückte, nur um mit seiner Zunge tiefer zu fahren. Sie streifte den Gummizug der Shorts, die der Dämon unter seinen Jeans trug und die etwas über den Bund der Jeans hervorstanden. Neckend ließ er die Spitze unter den Gummizug fahren und schloss dabei die Augen. Die Finger des Engels wanderten fast automatisch zu den Gürtelschlaufen der dunklen Jeans und wollten dort schon daran ziehen, bis sein eigener Magen ein lautes Knurren von sich gab, dass ihn aufschrecken ließ. Und Cris? Der war entweder ein sehr, sehr guter Schauspieler oder er schlief tatsächlich immer noch, was den Engel seufzen ließ. "Du hast Glück, dass du so furchtbar süß bist.", sagte er leise und setzte sich auf, um seinem neuen Plan nachzugehen. Wenn der Dämon nicht aufwachen wollte, nahm er ihn einfach mit ins Wohnzimmer. Da er jetzt sowieso erst einmal etwas essen musste, gab ihm das genügend Zeit aufzuwachen und August musste nicht gehen, ohne sich von ihm zu verabschieden. Das Shirt zog er wieder hinunter und strich über den bedeckten Bauch. So ist es gut. Um ihn hinunterzutragen, wickelte er die Decke um seinen Freund und stellte sich dann an den Rand des Bettes, um ihn klassisch im Bridal-Style vom Bett zu heben. Cris war nicht unbedingt der leichteste - das wandelnde Muskelpaket hatte seinen Preis - aber es lohnte sich allemal, denn wenn er eine Schwäche hatte, dann war es das schläfrige Babyhäschen, dass sich im Schlaf an ihn kuschelte und dabei leise Laute von sich gab. Ja, dafür lohnte sich der Muskelkater und hey, so bekam er immerhin ein wenig Training, falls es wirklich wieder zur Gewohnheit wurde, den anderen durch die Gegend zu tragen.

>>>>>>> Wohnzimmer

Das eingewickelte Babyhäschen legte er vorsichtig auf dem Sofa ab und schob ein Kissen unter seinen Kopf, damit er weiterhin bequem lag. Irgendwie glich es einem Deja-Vu, den Dämon so eingewickelt zwischen seine Kissen zu sehen, wobei es damals eher zum Selbstschutz diente und natürlich größtenteils seinem Egoismus zugesprochen werden konnte, denn er hatte es nicht über’s Herz gebracht, den anderen verletzt in irgendeiner verregneten, dreckigen Gasse liegen zu lassen und ihn stattdessen genau hier gesund gepflegt. Cris mochte jetzt vielleicht nicht physisch verletzt sein, aber er hatte in den letzten Stunden vieles erfahren, das in Ruhe verarbeitet werden musste und das erforderte genau so viel Beistand von seiten des Engels. Unfähig ihn einfach im Bett liegen zu lassen und zu gehen, ohne bescheid zu geben, setzte er sich neben ihn und zückte das Handy des Jüngeren hervor, dass er am Weg hinunter mitgenommen hatte. Jetzt da er den Code kannte, wollte er sich im Stillen mit dieser neuartigen Technologie auseinandersetzen… nun ja, eigentlich wollte er nur wieder die Lieferapp finden, denn sein Magen knurrte weiterhin erbarmungslos. Sich mit den Einstellungen zu befassen stand also nicht auf dem Plan - vielleicht irgendwann einmal, wenn ihm langweilig war, aber jetzt gerade hatten die essentiellen Dinge Vorrang. Es dauerte gut zehn Minuten bis er es schaffte die App zu finden und dann weitere fünf um sich für eines der Restaurants zu entscheiden. Dieses Mal hatte er auf klassische asiatische Küche Lust und weil er Crispin kannte, bestellte er gleich für ihn mit. Er musste es ja nicht sofort essen und Asianudeln mit knusprigem Hähnchen schmeckten aufgewärmt immer noch ausgezeichnet. Der Bestellvorgang ging dann doch recht schnell vonstatten und schon hatte er eine große Sushiplatte und Nudeln für sie beide bestellt. Das Handy legte er auf den Couchtisch und schnappt sich dann die Fernbedienung, um ein wenig Fernzusehen und die Zeit, die er auf sein Essen warten musste, ein wenig erträglicher zu gestalten. Sein Blick blieb allerdings nicht lange auf dem Bildschirm, denn immer wieder ertappte er sich dabei wie er zu dem anderen sah, der immer noch schlief - oder so tat, je nach dem. Fakt war jedoch, dass er gerade wieder einmal einfach nur süß aussah und das Herz des Engels zum Schmelzen brachte.
Das Essen kam dann doch unerwartet schnell und schon nach dem zweiten Klingeln, öffnete August die Tür und nahm das Essen entgegen, bevor er es mit seiner Karte bezahlte und es in die Küche brachte. Sein Sushi legte er sich auf einen Teller und die Nudelbox konnte er vorerst einfach so stehen lassen. Crispin würde sicher, selbst nachdem er wach war, ein wenig Zeit brauchen, um hungrig zu werden. Mit einem Lachsmaki im Mund ging er zurück und platzierte sich wieder neben den Dämon, dessen Beine er auf seinen Schoß legte und seinen Teller auf diese stellte. Mit Hamsterbacken sah er wieder zum Fernseher und verfolgte dort den Musikchannel, der gerade irgendeinen Rap-Song spielte. An so einen Abend konnte er sich wirklich gewöhnen… Einfach in Ruhe nebeneinander sitzen und entspannen - mit gutem Essen natürlich. Als er fertig war, stellte er den Teller neben das Handy am Tisch und strich mit der Handfläche über die Beine des anderen. Sobald er wach war, konnte er ihm sagen, dass er sich auf den Weg zu Aspen und dann zu Hope machen musste, aber jetzt gerade genoss er einfach weiterhin die Anwesenheit des anderen.

Crispin Cipriano

Leise gemurmelte Worte und hauchzarte Berührungen, die flüchtig über seine Haut strichen, drangen in sein Bewusstsein. Sehr weit kamen sie allerdings nicht, denn Crispin fühlte sich wie in Watte gepackt. Er wusste, von wem dies alles kam und er spürte augenblicklich eine so angenehme Wärme in seinem Inneren, dass ein leises Brummen über seine Lippen kam. Zu mehr war er nicht imstande, denn auch wenn sein Verstand ganz genau wusste, dass August bei ihm war und ihn noch immer genauso liebevoll behandelte wie zu dem Zeitpunkt, bevor er eingeschlafen war, klammerte sich sein Unterbewusstsein doch an den Schlaf. Es war scheinbar der Meinung, dass es sich doch nur um einen Traum handeln könnte, aus dem er einfach nicht aufwachen sollte, da die Realität in diesem Fall vielleicht sehr viel grausamer war. Die Angst, dass es genau so sein könnte, ließ ihn zusätzlich an seinem Schlaf festhalten und wieder tiefer darin versinken, obwohl ein anderer Teil von ihm sagte, dass es sicher einen Grund hatte, warum der Engel ihn auf diese sanfte Art und Weise versuchte, zu wecken. Diesen Teil ignorierte er in diesem Moment jedoch, denn die Versuchung, einfach weiter zu träumen und sich dort sicher zu sein, dass alles gut war, war gerade einfach viel zu verlockend, um das Risiko zu wählen und am Ende Gefahr zu laufen, dass sein Verstand ihn betrogen hatte. Crispin wusste nicht, ob er dies verkraften würde und so gab er sich seinem Unterbewusstsein geschlagen und dem erneuten Schlaf hin.

Erst das laute Geräusch einer Klingel ließ ihn wieder munterer werden und leise vor sich hin brummen. Wieso musste dieses nervige Geräusch ihn aus dem Schlaf reißen, wo dort doch wirklich alles in Ordnung war, keine Probleme auf ihn warteten und er auch keine Angst haben musste, dass dies alles wirklich nur in seinem Traum stattfand und die Wirklichkeit so viel anders aussah, indem er dort alleine war. Auch wenn sich ihm in diesem Moment dann doch die Frage stellen, wer dann bei ihm klingeln sollte? Sein schlaftrunkenes Hirn wollte schon die äußerst kurze Liste der Möglichkeiten durchgehen, als ihm klar wurde, dass er sich nicht bei sich sondern bei August befand. Somit war die Anzahl der Leute, die eventuell klingeln könnte doch ein wenig länger und er kannte mit Sicherheit nicht einmal ansatzweise alle. Da er allerdings gerade auch nicht wirklich Lust hatte, es herauszufinden, kuschelte er sich tiefer in die Decke und auch in die Kissen, auf denen er lag. Dabei bemerkte er, dass seine Beine wiederum definitiv nicht auf einer Matratze lagen und die Breite des Möbelstücks ebenfalls zu schmal für ein Bett war. Langsam und schwerfällig öffnete er die Lider und grub eine seiner Hände unter der Decke hervor, um sich kurz über die Augen wischen zu können. Während er sich den Schlaf aus diesen rieb, erwachten auch seine übrigen Sinne wieder zum Leben und der Geruch von Essen stieg ihm in die Nase. Im ersten Augenblick konnte er nur sagen, dass es lecker roch, aber nicht, worum es sich dabei handelte. Erst einige Sekunden später realisierte er, dass es sich dabei um asiatisches Essen handelte.
Crispin blinzelte ein paar Mal, bis er wirklich scharf sah und sein Blick auf den Engel fiel, der genüsslich ein Stück Sushi aß. Ein großer Stein aus Angst fiel ihm vom Herzen und tiefe Erleichterung machte sich in ihm breit, als er ihn sah. Mit einem Mal kam er sich auch wirklich blöd vor, weil er in diesem Fall seinem Unterbewusstsein vertraut hatte, anstatt auf seinen Verstand und vor allem auf sein Herz zu hören. In diesem Fall waren sich Kopf und Herz doch einmal einig und er hatte es ignoriert.
Kurz schüttelte er den Kopf, um diese Gedanken loszuwerden, auch wenn sich kurz die Frage in diesen schlich, ob die Berührungen, die er gespürt hatte, ebenfalls real waren und alleine die Möglichkeit ließ ihn wärmer werden und er schüttelte noch einmal den Kopf. Anschließend sah er wieder zu August und musste leicht schmunzeln.
“Ich hoffe, du hast dich nicht selbst an dem Essen versucht. Obwohl… Dann würde es vermutlich nicht so gut aussehen.”
Wer vor wenigen Minuten geklingelt hatte, war ihm somit klar, denn es konnte sich nur um einen Lieferdienst handeln. Sein Schmunzeln wurde zu einem Grinsen, mit dem er ihm zeigen wollte, dass er es alles andere als böse meinte. Eigentlich müsste er beim Thema Kochen ganz ruhig sein, da er es selbst nicht konnte, doch schon früher hatte es ihm jede Menge Spaß gemacht, den anderen damit aufzuziehen und daran hatte sich bis heute nichts geändert. Zudem hieß es doch: Was sich neckt, das liebt sich und er war der beste Beweis dafür, dann er liebte August über alles und auch daran würde sich nichts ändern. Das hatte die Vergangenheit, die gespickt war mit Enttäuschung und Schmerz, mehr als deutlich bewiesen. Er kam von dem anderen nicht los und inzwischen bereute er es keine Sekunde, dass es so war.
"Hast du für mich auch etwas?"
Eigentlich war die Frage völlig unnötig, denn er kannte August und dieser würde nie nur für sich selbst sorgen. Das hatte er sogar bewiesen, als sie sich nach so langer Zeit wiedergesehen hatten und er genau wie jetzt in eine Decke gewickelt auf seinem Sofa aufwachte, denn inzwischen war er sich mit seinem jetzigen Wissen sehr sicher, dass er das damalige Essen vor allem für ihn gekocht hatte. Bei der Erinnerung daran tat es ihm leid, dass er es nicht zu schätzen wusste, dass er sich diese Mühe für ihn gemacht hatte, doch ändern konnte er es nicht mehr und wer wusste schon, wie der damalige Tag ausgegangen wäre, wenn er länger dort geblieben wäre. Und am Ende hatte sie jede einzelne Entscheidung - egal wie schmerzhaft und verletzend sie war - doch zu diesem Punkt geführt…
Also schlief er tatsächlich. Für einen kurzen Moment dachte er wirklich, dass der Dämon nur so tat um ihn zu ärgern, aber nichts da - hier handelte es sich um ehrliche Müdigkeit und wem konnte er es auch verübeln? So friedlich wie der andere eingewickelt in der Decke schlief, war ihm alles verziehn, denn einen süßeren Anblick konnte sich der Engel gar nicht ausmalen. Das Fensehprogramm langweilte ihn furchtbar und selbst als er alle 256 Kanäle abgeklappert hatte, fand er immer noch nichts was er unbedingt sehen wollte, weshalb er wieder zurück zu dem Musikkanal schaltete und sich von leisen Beats berieseln ließ, während seine Hände weiterhin über die Beine des anderen strichen. Viel lieber hätte er die warme Haut darunter gespürt, aber leider war der Jeansstoff im Weg und den anderen im schlafenden Zustand davon zu befreien, war dann doch etwas seltsam.
August zuckte etwas zusammen, als er die Stimme des anderen hörte, da er nicht gemerkt hatte, dass dieser bereits wach war, jedoch ließ ihn seine Aussage empört schnaufen. “Erst muss ich armer, armer, alter Engel dich und dein Muskelpaket hier hinuntertragen und dann sind deine ersten Worte beleidigend gegenüber meinen Kochkünsten? Du bist echt ein kleiner Frechdachs.”, meinte er und konnte sich das Grinsen ebenfalls nicht verkneifen, da auch er es nicht ernst meinte. Seine Kochkünste waren grauenhaft, das hatte er mehrmals bewiesen und Gott sei Dank, war noch nichts in Flammen aufgegangen, jedoch hieß das nicht, dass es nicht schon kurz davor gewesen wäre. Kochen war einfach nicht seine Stärke, genau wie Cris zu widerstehen, wenn er ihn so niedlich ansah, nachdem er ihn geärgert hatte. Es störte ihn weniger, als er zugeben würde und er regte sich nur auf, weil er wusste, dass es dem Dämon Spaß machte ihn aufzuziehen. Anders als bei anderen war es bei dem Jüngeren absolut okay, solange dieser glücklich war und seinen hochgezogenen Mundwinkeln nach zu urteilen war er das gerade. Wieso sich also darüber beschweren? Außerdem neckten sie sich ständig - das war schon zu Anfangszeiten so gewesen und hatte sich über die Zeit, die sie sich kannten zu viel mehr entwickelt. Sie zeigten so einander wie sehr sie sich mochten und zusätzlich gab es ihrer Beziehung etwas Lockeres und Lustiges. Selbst ein Blinder hätte - vor allem bei August - gesehen wie sehr die beiden ineinander verliebt waren, denn sie konnten weder die Blicke, noch die Hände voneinander lassen, was der Ältere sogleich bestätigte, indem er sich zu seinem Freund beugte und sich neben seinem Kopf mit der Hand abstützte und mit der anderen flach über die Innenseite der Oberschenkel hinauf strich. “Ich weiß ja nicht…”, sagte er und setzte dabei eine gespielt-nachdenkliche Miene auf, während er das Gesicht des anderen unter ihm mit schief gelegtem Kopf musterte. Der Dämon war wunderschön… die Augen noch etwas geschwollen von der Müdigkeit und die Haare wirr von dem Ankuscheln und ja, dafür hatte er einfach eine große Schwäche. “Hat ein Frechdachs wie du etwas zu essen verdient?”, fragte er leise, da er sich bereits mit dem Gesicht tiefer hinunter gebeugt hatte und sie nur noch wenige Zentimeter voneinander getrennt waren, die er gleich danach überbrückte und dem anderen einen langen und intensiven Kuss gab, den er nur schwer wieder lösen konnte, da die Lippen des anderen, die so perfekt auf seine passten, ihn nahezu in einen Rausch fallen ließen. Seine Lippen strichen hinunter zu seinem Hals und saugten sich an dem Pulspunkt unter dem Ohr fest, wo die Haut unglaublich weich war, sodass er gar nicht aufhören wollte die Stelle mit seinen Zähnen und seiner Zunge zu bearbeiten. Gleichzeitig fuhren seine Finger von dem Oberschenkel hinauf und über den Reißverschluss der Jeans strichen, wo sie länger als nötig verweilten und fast schon anfingen daran zu reiben, jedoch unterbrach das Magenknurren des anderen diese Bewegung und der Engel löste sich mit einem letzten Kuss auf die geröteten Stelle unter dem Ohr, die sich am nächsten Tag zu einem schönen Fleck entwickeln würde. “Okay, okay. Dein Bauch hat gewonnen.”, meinte er und schob seine Hand weiter hinauf zum Bauchnabel, wo er sanft gegen die Haut klopfte. “Ich kann mein Häschen doch nicht verhungern lassen.” Ein letzter Kuss auf die Lippen und schon löste sich der Ältere, um aufzustehen und in die Küche zu gehen, wo die Nudelbox auf den anderen wartete. Bevor er sie servierte, wurde sie selbstverständlich noch einmal erhitzt, damit Cris keine kalten Nudeln essen musste. “Ich hoffe du magst Knusprige Ente mit dieser süß-sauren Soße.”, sagte er und brachte dem anderen die Nudelbox mit Besteck und einer Dose Cola. Wieder neben ihm, nahm er seine ursprüngliche Position neben Cris ein und verringerte die Lautstärke des Fernsehers. “Du hast gut geschlafen, nehme ich an.” Seine Mundwinkel hoben sich zu einem Grinsen. “Tiiief und fest. Wie kleine Babyhäschen nunmal schlafen.”, neckte er ihn und kniff dabei in seine Wange, über die er sofort nahezu entschuldigend mit den Fingern strich. Viel zu süß… Sein Herz war einfach nur Matsch und das jedes Mal, wenn er den anderen sah.
“Übrigens… ich werde mich auf die Suche nach Hope machen. Das kann ein paar Tage dauern. Vorher bringe ich selbstverständlich das Handy zurück. Aber ich werde die nächsten Tage nicht Zuhause sein. Und am besten meidest du vorerst mein Haus. Falls Aspen nämlich vorbeikommt und dich spürt, kann es es durchaus sein, dass er dich verfolgt und- …” Die Vorstellung ließ seinen Atem stocken. “Ich will nicht, dass er dir etwas antut.”, sagte er leise und rieb sich den Nacken. “Bei dir Zuhause solltest du sicher sein. Vorerst. Sobald ich wieder da bin, komme ich sofort zu dir und berichte von dem was Hope gesagt hat. Er weiß bestimmt was zu tun ist.” Wenn nicht er, wer dann? Hope war Momentan seine einzige Hoffnung.

Crispin Cipriano

Crispin fühlte sich wirklich ein wenig dumm. Wie hatte er nur glauben können, dass dies alles vielleicht nur ein Traum und weitab der Realität war? Es war für ihn durchaus noch immer kaum zu glauben und beinahe zu schön, um wahr zu sein, dass der andere noch immer bei ihm war, doch die Wärme von Augusts Hand auf seinem Oberschenkel war selbst durch den Stoff seiner Jeans deutlich spürbar, da dieser an der Stelle langsam dünner wurde und sich vermutlich bald ein Loch dort bilden würde. Doch er hatte damit kein Problem. Seine Klamotten - egal, ob seine Hosen, Hoodies oder Pullover - hatten ständig Löcher. Ein Umstand, wegen dem seine Eltern damals ebenfalls ständig etwas zu meckern hatten, da das bei einem Sohn aus reichem Hause einfach keinen guten Eindruck machte. Ihn hingegen bewegte es dazu, seine Sachen erst recht durchzuscheuern und mit Absicht Löcher hineinzumachen. Ihn interessierte es auch nicht, ob diese erst neu waren oder nicht. Gerade in diesem Augenblick wünschte er sich, der Stoff wäre an der Stelle, an der die Hand des Engels lag, bereits ebenfalls komplett kaputt, um die Wärme direkt spüren zu können…
Der empörte Laut, den August auf seine Worte hin von sich gab, holte ihn aus seinen Gedanken und er richtete seinen Blick, der unbewusst zu der Hand gerutscht war, wieder zu dem anderen zurück und das Grinsen erschien erneut in seinem Gesicht. Er liebte es einfach ihn zu ärgern, besonders wenn er auch noch begann zu schmollen. Crispin wusste, dass August das nicht gerne hörte, aber in diesen Augenblicken war er einfach unglaublich süß und es brachte ihn dazu, ihn erst recht weiter aufzuziehen. Er würde es dem anderen vielleicht nie so genau sagen, aber immer, wenn er sich ärgerte, hatte er große Ähnlichkeit mit der berühmten Grumpy Cat. Der Gedanke ließ ihn noch ein wenig breiter grinsen, denn er konnte sich denken, dass der Engel mit dieser Katze vermutlich überhaupt nichts anfangen konnte und es versuchen würde, auf seine Art und Weise herunterzuspielen.
“Niemand hat gesagt, dass du das tun musst. Du hättest mich genauso gut oben liegen lassen und nach dem Lieferdienst wieder ins Bett kommen können. Und du weißt genau so gut wie ich, dass du es nicht kannst. Es ist also nur die Wahrheit.”
Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten sie durchaus auch noch länger zusammen im Bett liegen bleiben können, anstatt hier runter ins Wohnzimmer zu wechseln, auch wenn er wusste, warum der andere es getan hatte. Ein Abendessen im Bett wäre allerdings auch eine nette Idee gewesen. Dass er selbst der Grund dafür war, dass August ihn ebenfalls mit hier heruntergenommen hatte, war ihm natürlich nicht klar. Er hatte es genossen, sich an den Schwarzhaarigen kuscheln und seinen angenehmen Duft nach Vanille einatmen zu können, der ihn auf seltsame Weise immer wieder beruhigen konnte. Bei der Vorstellung, dass sie dies nun häufiger wieder tun konnten und er sich dabei auch nicht mehr in Zurückhaltung üben musste, wurde ihm warm ums Herz und gleichzeitig geriet es vor Freude ein wenig aus dem Takt. Am liebsten wollte er keine Nacht mehr ohne den anderen verbringen. Das hatten sie viel zu lange tun müssen und neben der Tatsache, dass sie bereits beide gemerkt hatten, dass sie zusammen um einiges besser schliefen und alleine kaum ein Auge zubekamen, gefiel ihm der Gedanke auch nicht, weiterhin alleine schlafen zu müssen - egal, wie kindisch das vielleicht auch klang.
Crispin kam nicht dazu, weiter in der Vorstellung und seinem Wunsch zu versinken, denn August zog bereits wieder seine komplette Aufmerksamkeit auf sich, indem er sich ihm bis auf wenige Zentimeter näherte. Er musterte eingehend das Gesicht über sich. Von den schwarzen Haaren, die ihm leicht ins Gesicht fielen und von denen er wusste, dass sie sich unglaublich weich unter seinen Fingern anfühlen würden, wenn er hindurchstrich oder sie darin vergrub, über die dunklen Augen, die ihm auch jetzt die Ähnlichkeit mit einer Katze gaben, deren Blick ihn nie los ließ und mit denen der andere immer aufmerksam über ihn wachte, bis hin zu den vollen und weichen Lippen, nach denen er süchtig war und von denen er einfach nie genug bekommen würde. Für andere entsprach er vielleicht nicht irgendeinem klassischen Schönheitsideal, aber das interessierte ihn herzlich wenig, denn für ihn war er perfekt, so wie er war.
Durch die Nähe des Engels und die Hand, die langsam weiter hinaufwanderte, aber vor allem durch den Kuss, vergaß er völlig, was er eben gefragt wurde, auch wenn er sich gerade so noch daran erinnerte, dass August ihn damit ärgern wollte. Doch das war gerade egal, denn der andere lenkte ihn erfolgreich davon ab und er genoss es so sehr, dass ihm ein unwilliges Brummen über die Lippen kam, als sich der Schwarzhaarige von ihm löste, was jedoch direkt zu einem leisen Keuchen wurde, als er die weichen Lippen an seinem Hals spürte. Eine seiner Hände fand beinahe automatisch ihren Weg in den dunklen Schopf, um ihn davon abzuhalten, zu schnell wieder aufzuhören. Sein Magen machte ihm allerdings einen Strich durch die Rechnung, indem er begann zu knurren und die Berührung somit für seinen Geschmack viel zu schnell endete.
“Blöder Bauch…”, grummelte er, während er sich langsam aufsetzte und August hinterhersah, der nach einem weiteren kurzen Kuss in der Küche verschwand. Lange war er jedoch nicht weg, auch wenn er den Geräuschen nach zu urteilen, das Essen noch einmal warm machte - was er wohl nur dem Umstand zu verdanken hatte, dass der Engel der Mikrowelle gegenüber nicht mehr ganz so skeptisch ist uns weiß, wie man sie bedienen muss. Sonst hätte er wohl mit kaltem Essen vorlieb nehmen müssen.
Als August mit einer leicht dampfenden Box, Besteck und einer Coladose zurückkam und ihm sagte, was es für ihn gab, musste er - trotz, dass er sich noch immer darüber ärgerte, dass sein Hungergefühl die vorherige Situation zerstört hatte - lächeln und nahm alles entgegen.
“Das ist perfekt. Du weißt eben, was ich mag. Und du hättest mich auch ohne dem Knurren meines Magens niemals verhungern lassen.”
Ein wissendes Grinsen erschien auf seinen Lippen, denn so gut wie August ihn kannte, war es auch umgedreht - eine Tatsache, die ihn vor kurzem noch nervös gemacht hätte, aus Angst, der andere könnte dadurch zu viel merken, die jetzt jedoch ein angenehm warmes Gefühl in ihm hinterließ. Und es wurde noch ein wenig größer, als der andere ihn schon wieder aufzog, indem er ihn als Babyhäschen bezeichnete. Crispin schnaubte gespielt entrüstet bei der Bezeichnung.
“Ich bin alles andere als ein Babyhäschen”, erwiderte er grummelnd, stellte die Box mit seinem Essen auf den Wohnzimmertisch und beugte sich näher zu dem Engel. Er legte ihm eine Hand auf die Wange, um sein Gesicht zu sich zu drehen, hielt jedoch wenige Millimeter von den weichen Lippen inne.
“Und das kann ich dir auch beweisen...”, murmelte er leise, bevor auch noch den Rest der kurzen Distanz überbrückte und seine Lippen auf die des Engels legte. Es war ein Spaß, denn er wusste, dass August ihn immer wieder so nennen würde, egal was er tat, und er war auch der Einzige, der dies durfte. Zeitgleich war es auch eine Art Vorwand, auch wenn er diesen nicht mehr brauchte, um sich dem anderen auf diese Weise zu nähern. Er konnte das beinahe berauschende Gefühl, das er bei jedem Kuss spürte, immer wieder erleben, ohne sich dafür erklären zu müssen und dies war eins der Dinge, die ihn, trotz allem, was um sie herum war, einfach glücklich machte.
Sein Körper schien allerdings etwas dagegen zu haben, dass er sich diesem Gefühl hingab, denn erneut begann er zu knurren und Crispin hätte am liebsten mitgemacht. Nur widerwillig löste er sich von August, leckte sich dabei eher unbewusst über die Lippen, während er sich wieder richtig neben ihn setzte.
“Mein Bauch scheint mich ernsthaft zu hassen. Anders kann ich mir das nicht erklären, dass er immer dazwischenfunkt.”
Immer noch grummelnd schnappte er sich seine Nudelbox und begann zu essen, um seinem Magen endlich zu geben, was er wollte. Bereits nach dem dritten Bissen stockte er jedoch und sah zu August, als dieser ihm offenbarte, was er vorhatte. Augenblicklich bildete sich ein schmerzhafter Knoten in seinem Bauch und er biss die Zähne zusammen.
Sie würden sich also ein paar Tage nicht sehen und er sollte auch nicht her kommen… An sich war das nichts Neues für ihn, aber gerade jetzt in dieser Situation? Alleine bei der Vorstellung rebellierte alles in ihm. Vor ein paar Minuten hatte er sich noch ausgemalt, wie es sein würde, jede Nacht neben dem Engel zu verbringen und nun platzte dieser Wunsch wie eine Seifenblase. Zudem hatte August ihm versichert, dass er ihn nicht alleine lassen würde. Crispin wusste, wie kindisch alleine diese Gedanken waren, aber er konnte nichts daran ändern, dass vor allem sein Herz dagegen war, auch wenn sein Kopf ihm sagte, dass der andere Recht hatte und es logisch klang.
Trotzig wandte er seinen Blick ab, starrte auf die Nudelbox in seinen Händen und umklammerte diese beinahe.
“Wenn du der Meinung bist, dass du das tun musst und es das richtige ist, halte ich dich sicherlich nicht auf…”
Fast könnte man meinen, er wäre wirklich damit einverstanden, aber das Gegenteil war der Fall und sein Tonfall verriet dies auch mehr als deutlich. Er wollte ihn nicht gehen lassen, vor allem da er keine Ahnung hatte, ob er es schaffen würde, das Handy unbemerkt zurückzubringen.
“Aber pass besser gut auf, wenn du das Handy zurückbringst. Wer weiß, ob er nicht schon gemerkt hat, dass es weg ist und es sucht…”
Crispin hatte durchaus recht mit dem was er sagte. Selbstverständlich hätte er nach dem Lieferdienst einfach wieder zu ihm hinauf ins Bett gehen und den ganzen Tag mit ihm kuscheln können, so wie es jede Faser seines Körpers tun wollte, aber er hatte nunmal Pflichten und Vorsätze. Die Sicherheit des anderen lag dabei an oberster Stelle und auch wenn er am liebsten für immer in seiner Nähe bleiben wollte, musste er für das Wohlergehen des anderen nun mal Opfer bringen. Ihn jedoch komplett alleine zurückzulassen war keine Option - nicht nachdem der andere weinend in seinem Badezimmer gesessen und danach in seinen Armen eingeschlafen war. Die Situation war gerade sehr ungünstig für ein mehrtägiges Verschwinden, jedoch musste es sein und August würde so etwas niemals machen, wenn es nicht sehr dringend und wichtig gewesen wäre - so wie jetzt. Beide befanden sich in Gefahr solange keine Klarheit bezüglich Aspen und Rixon geschaffen wurde, denn offensichtlich hatten sie es auf Cris und ihn abgesehen...warum auch immer. Nach wie vor war es dem Schwarzhaarigen ein absolutes Rätsel und nichts erklärte diesen Hass und diesen Verrat seines eigenen Bruders, den er bis vor kurzem noch alles geglaubt hätte, denn es bestand nie ein Grund dazu es nicht zu tun. Im Himmel war alles schön und friedlich, so hieß es doch oder? Warum musste er sich also noch immer mit Hinterhalt und Plänen, die gegen ihn gerichtet waren, auseinandersetzen? Das alles machte keinen Sinn und damit keinem etwas passierte, war es von Nöten mit seiner einzigen Vertrauensperson, Hope, zu reden. Sicher hatte dieser eine Ahnung davon oder zumindest eine Vermutung die bereits weiterhelfen konnte und dann hieß es wohl die nächsten Schritte zu planen. Sein Bauchgefühl verriet ihm, dass es zu keiner reibungslosen Diskussion zwischen Erwachsenen kommen würde und ehrlich gesagt bevorzugte er es auch - vor allem nachdem Cris geweint hatte - Aspen einen schönen, gezielten und präzisen Schlag in’s Gesicht zu verpassen. Vielleicht auch noch ein Tritt und wenn er einen besonders miesen Tag hatte, dann gab es zusätzlich dazu ein Knie in die Weichteile. Niemand, wirklich niemand durfte den Jüngeren zum Weinen bringen, erst recht nicht jemand der anscheinend ebenfalls gegen die Regeln verstieß. Sollten sie in dem Fall nicht zusammen halten? August hätte ihn niemals verraten, auch wenn er etwas mit einem Dämonen hatte und Cris damals noch ein Mensch war. Oder war diese Beziehung erst später am laufen? Wann hatte Asp den Dämonen kennen gelernt? Die Bilder, die er gesehen hatte, waren eindeutig dafür, dass sie engeren Kontakt hatten und wer kannte die Versuchung besser als der Student selbst, wo er doch gerade neben seiner ultimativen Sünde saß und dieser über den Arm strich. Egal wann es auch war, es machte keinen Sinn für ihn, wieso er sich gegen August stellte, denn in beiden Fällen hätten sie zusammenhalten können.
Wo die Liebe hinfällt, nicht? Manchmal fiel sie eben auf einen rebellischen Teenager, der so ehrlich und direkt sein konnte, dass es die meisten Leute vielleicht abschreckte, aber wenn man einen Blick hinter die Fassade warf, befand sich da noch so viel mehr das versteckt wurde, aber es umso schöner machte, wenn man es entdeckte. Nahezu bewundernd und schwärmend musterte August den anderen und dachte daran, wie eigensinnig er besonders bei den ersten Treffen gewesen war, als er sich schlichtweg weigerte verarztet zu werden, bis der Engel ihn nach ewig langen Diskussionen endlich dazu überreden konnte zumindest das Ambrosia anzunehmen. “Wenn du dich verarzten lässt, dann muss ich auch nicht so oft zu dir kommen. Das ist es doch was dich stört, oder? Du könntest allerdings auch einfach besser auf dich aufpassen.” Daraufhin folgte meistens nur ein bissiger Kommentar oder ein Schnauben, bis hin zu späteren Zeitpunkten, an denen freche Konter kamen, die den anderen nahezu wahnsinnig machten, denn sie weckten in ihm das Bedürfnis das Grinsen des anderen aus dem Gesicht zu küssen.
“Ist das so? Schätzt du mich wirklich als so netter Engel ein?”, scherzte er und küsste die Schulter des jungen Dämons. Auch jetzt hatte er das starke Bedürfnis, das wissende Grinsen des anderen in einen anderen Gesichtsausdruck zu wandeln, aber er biss sich auf die Unterlippe und hielt sich zurück. Dass der andere plötzlich so selbstbewusst wurde, hieß dann auch wohl, dass er endlich richtig wach war, denn Crispin musste mit einem Mal beweisen, wie verrückt er ihn mit nur einer Aussage und einem darauffolgenden Kuss machen konnte. Gut, er war vielleicht kein richtiges Babyhäschen mehr, denn so ziemlich alles was ein Baby ausmachte, war bei Cris längst verschwunden. Keine Bäckchen mehr, groß gewachsen, unfairerweise muskulös… aber doch, in manchen Momenten - vor allem wenn er lachte oder seine Augen zu glitzern begannen - war da noch etwas von dem alten Cris zu sehen. Dem unschuldigen Cris und August war einfach ein komplettes Wrack, denn sowohl diese süße, als auch die bestimmende Seite des Dämons machte ihn einfach...wahnsinnig.
Den Kuss hätte er am liebsten noch ewig in die Länge gezogen, bis sie beide einfach nicht mehr konnten, aber es galt die eines der wichtigsten menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen: Hunger. Mittlerweile konnte man es durchaus als Insider bezeichnen, dass Cris Bauch immer zu knurren begann, wenn sie etwas zu weit gingen, was ihr Rumgeknutsche anging und August wusste nicht, ob er das witzig oder als Strafe einer höheren Macht finden sollte, denn natürlich wollte er irgendwann auch etwas intimer mit dem anderen werden. Aber gut, es war wahrscheinlich besser so. Sie hatten sich gerade erst richtig versöhnt und bevor Hope ihn nicht aufklärte, hatte er sowieso keinen Kopf dafür, denn dieses ganze Drama in dem sie sich befanden, ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Der Blick des Engels folgte der Zunge des anderen und fast, ja fast, hätte er seine letzten Gedanken zurückgenommen und sich auf den anderen gestürzt. Quälte er ihn mit Absicht so sehr? Oder war es Augusts Schuld, dass er einfach komplett verrückt nach dem anderen war?
Das was danach folgte, machte es nicht besser. Nein, kein bisschen und das obwohl Cris nicht einmal beabsichtigte den anderen um den Finger zu wickeln. Der trotzige Ton ließ sein Herz höher schlagen und ja, er verstand den Dämon schon, aber konnte er bitte aufhören dabei so unwiderstehlich auszusehen? “Cris…”, fing er langsam an und sprach es vorsichtig aus, als habe er Angst davor etwas Falsches zu sagen, dass den anderen verärgern konnte. “Der Zeitpunkt ist ungünstig, ich weiß, aber es geht mir um deine Sicherheit.”, erklärte er ruhig. Der aufmerksame Blick wanderte über das Gesicht des Jüngeren, der alles andere als froh über diese Nachricht war und es schmerzte natürlich ihn so zu sehen, vor allem weil er Schuld daran war. Sein Häschen einfach zurückzulassen war gerade sehr taktlos aber leider notwendig, so ungerne er auch gehen wollte. Der Ton des anderen machte allerdings Dinge mit ihm und bevor er seine egoistische Seite zurückhalten konnte, schnappte er sich bereits die Nudelbox und stellte sie auf den Couchtisch, um den Dämon rücklings auf das Sofa zu drücken und ihre Lippen aufeinander zu pressen. Dieses Mal verschwendete er keine Zeit und ließ seine Finger sofort den Knopf der dunklen Jeans öffnen, bevor er sie über den Stoff der Shorts darunter fahren ließ. Hungrig vertiefte er den Kuss und löste ihn als sie beide Luft brauchten, nur um sich wieder dem Hals des anderen zu widmen, der sich durch die Position so gut anbot, und begann dort etliche Küsse zu verteilen. Seine Zunge löste die Lippen ab und fuhr zum Pulspunkt unter dem Ohr, den er begann mit den Zähnen und mit den Lippen zu bearbeiten. August war einfach viel zu schwach, wenn es um den anderen ging und er hätte in diesem Moment nahezu alles für ihn getan. “Du machst mich verrückt…Ich will dich nicht alleine lassen, ehrlich...”, murmelte er an die Haut, während er sich von einer Seite auf die andere begab und dort sein Spiel fortsetzte. Gerade als seine Finger unter den Gummizug und noch tiefer rutschen wollten, hörte er melodisches Klingeln, das nach einem Handy klang. Sofort zuckte er zusammen und sah auf den Couchtisch, wo Cripins Handy lag, dessen Display allerdings schwarz war. Hm? Seinen verwirrten Blick legte er dann auf den Jüngeren unter ihm und dann zu seiner Hand, die sich noch in der Hose des anderen befand und dessen Tatsache er sich sofort mit hochrotem Gesicht bewusst wurde. “S-sorry!”, sagte er hastig und zog die Hand hervor bevor das Klingeln wieder ertönte und ihn hinauf zur Treppe blicken ließ…In diesem Moment dämmerte es ihm: Aspens Handy klingelte. “Fuck!” Zischend richtete er sich auf und rannte hinauf in sein Schlafzimmer wo das Handy unter dem Bett lag und vibrierte. August beugte sich hinunter und nahm es zitternd in die Hand, um auf das Display zu sehen, dass eine Uhr zeigte.
Ein Wecker. Ein verdammter Wecker! Erleichtert, aber auch genervt stieß er einen lauter Seufzer auf und ging mit dem Gerät wieder hinunter, wo er es auf das Sofa fallen ließ. “Ich dachte schon, dass ihn jemand anrufen wollte. Es war aber nur der beschissene Wecker.”, schimpfte er und fuhr sich dabei durch sein Haar. Im Falle eines Anrufes - vor allem von Rixon - hätte er Panik bekommen. Was wenn er Aspen besuchen wollte, weil er nicht abhob? Was wenn sie aus irgendwelchen Gründen herausfanden, dass sich das Handy hier befand? Viel länger konnte er es nun wirklich nicht bei sich behalten, auf keinen Fall. Das Handy musste weg. Wieder neben Cris, lehnte er sich vor und schnappte seinen Freund dicht an ihn zog. “Mein Herz ist fast stehen geblieben wegen diesem Teil.”, murmelte er und nahm dann die Nudelbox, um den anderen zu Füttern, nachdem er vorhin wegen den schlechten Nachrichten den Appetit verloren hatte, aber etwas essen sollte, nachdem er nach dem Weinen so erschöpft gewesen war. “Ich will dich wirklich nicht verlassen, Häschen, glaub mir. Alles in mir schreit danach hier bei dir zu bleiben und dich 24/7 in meinen Armen zu halten, aber wenn Aspen und Rixon tatsächlich unter einer Decke stecken und etwas gegen uns geplant haben, dann könnte ich es mir nie verzeihen, wenn du wegen meiner Rücksichtslosigkeit in Gefahr gerätst.” Sollte ihm jetzt, wo sie sich endlich versöhnt hatten, etwas passieren, dann wollte er einfach nicht mehr weiterleben. Ohne Cris, ohne ihn. Ganz einfache Sache.
“Lass das essen nicht kalt werden.”, sagte er und küsste die weiche Wange des anderen, bevor er ihm das Essen vor den Mund hielt. “Lass uns noch ein bisschen hier die Stille und das hier...” er knuffte ihn zur Verdeutlichung “... genießen. Nachher bringe ich dich nach Hause, wenn das okay ist.” Das musste er einfach tun. Vor allem, wenn er mehrere Tage von ihm getrennt sein würde. “Und wenn ich zurück bin, dann könnten wir doch unseren Urlaub planen. Was hälst du davon, hm? Du, ich, einfach irgendwo ganz weit weg… wo uns niemand stören kann. Außer dein Bauch.”, meinte er grinsend und drückte noch einen Kuss auf die Nasenspitze des Dämons.

Crispin Cipriano

“Ach verdammt!”, fluchte Crispin lautstark, als er mit dem Unterarm das heiße Backblech berührte, auf dem seine Pizza lag und dieses dabei auf den Boden beförderte. Die Stelle brannte höllisch, obwohl er nur kurz dran gekommen war, aber noch viel mehr ärgerte er sich darüber, dass sein Essen nun hinüber war, weil das Blech natürlich ausgerechnet so aufkommen musste, dass es auf der Pizza lag. Murphys Gesetz hatte mal wieder erfolgreich zugeschlagen. Bevor er die Sauerei jedoch wegmachen konnte, kühlte er seinen Arm, da dieser einfach nicht aufhören wollte, weh zu tun und bereits einen unschönen roten Fleck aufwies. Crispin kannte sich mit Prellungen und anderen Verletzungen wunderbar aus. Schließlich kam er mit diesen ständig nach Hause. Verbrennungen waren eher seltener der Fall. Kochen war einfach nicht sein Ding, war es nie und würde es wohl auch niemals werden. Im Normalfall hatten sie auch eine Haushälterin dafür, aber da deren Kind krank geworden war, musste sie zeitiger weg und das bevor sie etwas kochen konnte. Sprich er hätte ohne Abendessen dagestanden, wenn sich nicht zumindest noch die Pizza im Tiefkühlfach befunden hätte - die nun aber auch nicht mehr verwertbar war.
Ein weiteres Mal fluchte Cris wegen seiner eigenen Ungeschicklichkeit in diesem Moment und als wäre dies alles nicht schon schlimm genug, musste auch noch sein Bruder in der Küche auftauchen.
“Du machst ganz schön viel Lärm. Was ist hier denn passiert?”
Er wandte sich zu ihm und funkelte ihn schon aus Gewohnheit wütend an.
“Mach die Augen auf, dann siehst du es! Und dann kannst du dir auch die sinnlose Frage sparen und wieder gehen!”
Cyrian zeigte kaum eine Regung und vor allem keine Überraschung. Er war seine Reaktionen bereits gewohnt, denn das letzte Mal, wo sie normal miteinander geredet hatten, war bereits eine gefühlte Ewigkeit her. Selbst wenn er versuchen würde sich daran zu erinnern, könnte er es vermutlich nicht und den kleinen Teil in seinem Inneren, der um diese Gespräche und die Nähe, die sie einmal verbunden hatte, trauerte, hatte er in die hinterste Ecke seines Herzens gesperrt, wo er nicht zu häufig daran erinnert wurde.
“Pino-”
“Nenn mich gefälligst nicht so! Die Zeiten sind lange vorbei. Und weißt du was?! Bleib ruhig hier, ich gehe. Ich hab keinen Bock auf irgendwelche neunmalklugen Sprüche von dir!”
Mit diesen Worten drehte Crispin den Wasserhahn wieder zu, trocknete kurz seinen Arm ab und schob sich anschließend an seinem Bruder vorbei aus der Küche. Sollte er die Pizza und das Blech wegräumen. Sein guter Wille dazu, der schon zuvor kaum vorhanden war, hatte sich mit Cyrians Auftauchen komplett verabschiedet. Dass sein Magen noch immer knurrte, ignorierte er ebenfalls, als er sich im Flur seine Schuhe anzog und sich seine Jacke und seinen Schlüssel schnappte, um zu verschwinden.

Seine kleine Verbrennung am Arm war im Normalfall mit Sicherheit kein Grund für einen Schutzengel bei seinem Schützling aufzutauchen und dennoch hoffte er, August wäre da, als er sich auf den Weg zu ihm machte. Sein Schutzengel war nämlich äußerst gewitzt darin, auch dies zum Anlass zu nehmen, zu ihm zu kommen. Dieses Mal hatte er es keineswegs darauf angelegt, dass er sich verletzte, aber er konnte nicht abstreiten, dass er es dennoch versuchen wollte, auszunutzen. Egal, wie lange er von August auch getrennt war, er vermisste ihn und fühlte sich einsam ohne ihn. Aus diesem Grund verfluchte er auch die Regeln, denen der andere unterworfen war, auch wenn er wusste, dass er für ihn schon so einige sehr ausreizte oder sogar brach. Am liebsten wäre ihm, er könnte sie alle brechen und einfach bei ihm bleiben, doch er wusste, dass dem anderen sein Dasein und sein Leben im Himmel ebenso wichtig war. Im Grunde war es sein Zuhause und konnte er es ihm übel nehmen, dass er das nicht einfach so hergeben wollte? Schließlich wusste er selbst, wie wichtig es war, so einen Ort zu haben, auch wenn es bei ihm kein fester Platz sondern einfach nur Augusts Anwesenheit war.
Als er bei ihm ankam, musste er nicht einmal klingeln, um sich bemerkbar zu machen, als die Tür auch schon aufging und genau die Person vor ihm stand, die er wohl nie wieder so angehen würde, wie er es kurz zuvor bei Cyrian getan hatte. Ohne was zu sagen, gingen sie hinein und sein Weg führte ihn direkt ins Wohnzimmer, während August im Bad verschwand, um vermutlich wieder einmal seine Wundersalbe zu holen. Wunder konnte diese tatsächlich vollbringen. Es brauchte nicht viel und seine Verletzungen waren nach seinen Schlägereien immer wieder ruckzuck verschwunden. Und obwohl der andere vermutlich ganz genau wusste, was passiert war, fragte er ihn danach, als er zurückkam.
“Was hast du diesmal wieder angestellt?”
“Ich wollte mir lediglich was zu essen machen. Kann ich ja nichts dafür, dass das Blech so heiß war”, grummelte er leise als Antwort und auf den Lippen des Engels erschien ein wissendes Schmunzeln. Sie wussten beide voneinander, dass sie jegliche Küche meiden sollten, weil sonst nur das reinste Chaos entstand, aber dieses Mal blieb ihm kaum etwas anderes übrig. Sich etwas zu holen, war schließlich ebenfalls ausgefallen, da ihm sein Taschengeld vorerst gestrichen wurde, nachdem er einem seiner Mitschüler die Nase gebrochen hatte.
“Das heißt, du hast auch noch nichts gegessen”, wurden seine Gedanken unterbrochen und er wollte eigentlich nur bestätigend nicken, verwarf diesen Entschluss allerdings wieder und setzte doch zu einer richtigen Antwort an.
“Nein, wann denn auch?!”
Nachdem August mit der Behandlung seiner Verbrennung fertig war, brachte dieser erst den Tiegel wieder dorthin, wo er hingehörte, bevor er in die Küche verschwand. Crispin wollte ihn schon davon abhalten, da er ahnte, dass es eine Katastrophe geben könnte. Wenige Minuten später - die befürchtete Katastrophe war ausgeblieben - kam der Engel mit einem Teller, auf dem sich ein paar Sandwiches befanden, zurück und er atmete erleichtert aus.
“Und ich dachte schon, du willst eventuell etwas kochen oder auch nur warm machen.”
Die Mikrowelle war noch immer Augusts größter Feind in der Küche - das wusste er nur zu gut - weshalb lediglich der Herd übrig geblieben wäre, aber auch der war nicht wirklich besser.
“Du bist wirklich ein kleiner Frechdachs, weißt du das?”, erwiderte der Schwarzhaarige und Crispin begann zu grinsen, bevor er sich eines der Sandwiches schnappte und seinem Magen endlich etwas zu tun gab.


“Eigentlich muss ich dir darauf doch gar nicht antworten, oder? Aber meine Antwort ist eindeutig ja”, meinte er inhaltlich völlig ernst, aber doch mit einem Grinsen auf den Lippen.
Die Frage, ob Crispin den anderen wirklich als so guten Engel einschätzte, hätte er vor kurzem wohl noch mit einem deutlichen Nein beantwortet, denn da wäre er zumindest in dem wichtigsten Punkt - nämlich dem, ob man ihm vertrauen konnte oder nicht - seiner Meinung nach komplett durchgefallen. Zum Glück wusste er es inzwischen besser, auch wenn die Tatsache, warum er sich so sicher war, dass er ihm doch voll und ganz vertrauen konnte, alles andere als erfreulich war. Noch immer nagte das schlechte Gewissen an ihm und eigentlich hatte er es nicht verdient, dass sich August so um ihn kümmerte.
Bevor seine Gedanken jedoch zu sehr in eine Richtung abschweifen konnten, die die friedliche Situation gerade zwischen ihnen vielleicht ein wenig ruiniert hätte, schob er diese in die hinterste Ecke seines Kopfes. Im Moment wollte er das hier - das Zusammensein mit August - einfach nur genießen, so lange er es konnte. Und dabei störten solche Gedanken einfach nur. Das hatten sie immerhin schon häufiger erlebt, als sie auch vor ihrer Versöhnung bereits einige ruhige Augenblicke hatten, die am Ende durch einen von ihnen zerstört wurden. Deswegen entschied er, dass er sich mit dem Ganzen auch noch später auseinandersetzen konnte, wenn er wieder zu Hause war.
Zuhause… Alleine… Schon wenn er daran dachte, sträubte sich alles in ihm dagegen. Er wollte von August nicht getrennt sein. Schon gar nicht, wenn er nicht wusste, wie lange er ihn nicht sehen würde. Hinzu kam, dass Aspen und Rixon dort draußen noch immer ihr Unwesen trieben und er hatte keine Ahnung, ob nicht zumindest Letzterer sie wieder vermehrt im Auge behielt, nachdem er dem Engel das Bild vom Ball geschickt hatte. Möglich wäre es immerhin und wer wusste schon, was sich die beiden einfallen ließen, wenn sie bemerkten, dass August und er noch immer Kontakt hatten? Auch wenn nur Kontakt ein wenig untertrieben war. Und gerade deshalb wollte er den Engel nicht gehen lassen, auch wenn sein Kopf dem anderen recht gab, als dieser ihm versuchte, vorsichtig klar zu machen, dass es ihm vor allem um seine Sicherheit ging.
Trotzig behielt er seinen Blick von ihm abgewandt, da er nicht wusste, ob er nicht schwach wurde, wenn er ihn ansah. Augusts dunkle Augen hatten einfach immer wieder diesen Effekt auf ihn. Er verlor sich darin und war dann unfähig, noch klar zu denken, geschweige denn etwas zu sagen. Das musste er nun allerdings, denn so sehr er sein Herz früher immer wieder in Schach gehalten hatte, so sehr war es ihm nun unmöglich, genau das wieder zu tun.
“Und wer sagt, dass ich in Sicherheit bin, während du weg bist? Vor allem da du selbst nicht weißt, wie lange es dauert. In der Zeit kann alles mögliche passieren, selbst wenn ich nicht hierher komme. Schließlich hab ich nicht vor, mich zu Hause zu verbarrikadieren.”
Crispin biss sich auf die Unterlippe, um nicht noch mehr zu sagen, was ihm in den Kopf kommen könnte. Was er ihm damit sagen wollte, war sicherlich auch so deutlich genug. Er konnte sowohl Aspen als auch Rixon jederzeit über den Weg laufen und er wusste, dass er sich nur schwer oder gar nicht zurückhalten könnte, wenn einer von ihnen ihm unter die Augen kam. Dass er gegen keinen von ihnen eine Chance hätte, war dabei auch völlig nebensächlich, denn das hatte ihn noch nie aufgehalten, es dennoch zu provozieren.
Der Engel ließ ihm jedoch auch keine Chance, noch mehr zu sagen oder auch nur irgendwie zu reagieren, als die Nudelbox ein weiteres Mal auf dem Tisch und er wieder mit dem Rücken auf dem Sofa landete. Sein überraschter Laut wurde direkt von Augusts Kuss geschluckt, genau wie sein leises Keuchen, das ihm entfuhr, als sich der andere ohne zu zögern an seiner Hose zu schaffen machte. Sowohl die weichen und zugleich fordernden Lippen auf seinen als auch das leichte Reiben der Hand war beinahe zu viel für seinen Verstand, der sich mit jeder Sekunde mehr zu verabschieden schien. Seine eigenen Hände fuhren zum Bund von Augusts Jeans, hakten sich dort in die Gürtelschlaufen, um ihn noch ein wenig mehr auf sich zu ziehen, bevor sie sich ihren Weg unter das Shirt des anderen suchten und sich dort auf die warme Haut legten. Dass dies hier vielleicht ein völlig unpassender Moment für das alles war, daran dachte er überhaupt nicht und die leise gemurmelten Worte an seinem Hals hätten ihn wohl zum Lachen gebracht, wenn er dazu noch imstande gewesen wäre. Wer hier wen gerade völlig verrückt machte, war wohl die Frage und er fand es äußerst unfair, dass August ihn auf diese Art und Weise mundtot machte. Wie sollte er auch noch einen klaren Gedanken fassen, wenn er so etwas mit ihm anstellte? Er war wie Wachs in den Händen des anderen und er hatte auch kein Problem damit, sich das einzugestehen.
Allerdings schien es wirklich so etwas wie eine höhere Macht zu geben, die schlicht etwas dagegen hatte, dass sie weitergingen als ein paar harmlose Küsse und er konnte nicht abstreiten, dass es ihn zutiefst frustrierte. Zumindest so lange, bis sein Verstand langsam aber sicher wieder zu arbeiten begann und ihm klar wurde, dass es sich bei dem Klingelton, der zu hören war, nicht um seinen eigenen handelte, was an sich auch nicht möglich wäre, da bei seinem Handy lediglich die Vibration eingestellt war und er auch keine anderen Benachrichtigungen oder dergleichen aktiv hatte, die einen Ton möglich machen würden.
Augusts verwirrter Blick traf ihn, doch bevor er ihm sagen konnte, dass es sich nicht um sein Gerät handelte - was er sicherlich schon gemerkt hatte - wurde der Engel vollkommen rot im Gesicht und er hätte es wohl in jedem anderen Augenblick niedlich und zum Grinsen gefunden. Wie konnte man nur in einem Moment so über einen herfallen und im nächsten so reagieren? Diese Frage würde ihm der Schwarzhaarige jedoch nicht beantworten können, denn er sprang hastig auf und rannte nach oben, von wo erneut das Klingeln zu hören war. Und jetzt wurde auch ihm klar, worum es sich genau handelte. Augusts Nähe hatte ihn so sehr benebelt, dass er erst jetzt wieder richtig denken konnte. Am liebsten hätte er sich dafür in den Hintern getreten, dass er nicht sofort darauf kam, dass es nur Aspens Handy sein konnte.
Angespannt setzte er sich auf, während August weg war und ordnete seine Klamotten wieder. Wie konnte er nur so dumm und darüber frustriert sein, dass sie wieder einmal gestört wurden, während sich in gewissem Maße noch immer eine tickende Zeitbombe in ihrem Besitz befand? Sollte es sich um einen Anruf handeln, wären sie vermutlich geliefert. Vor allem falls es Rixon sein sollte. Doch seine Sorge war - zumindest für kurze Zeit - unbegründet, als er hörte, wie der andere schimpfte, dass es sich lediglich um den verdammten Wecker handelte. Ein Stein fiel ihm vom Herzen und Crispin atmete erleichtert aus, da er wirklich schon mit dem Schlimmsten gerechnet hatte. Gleichzeitig wurde ihm aber auch klar, dass ihnen wirklich keine andere Wahl blieb. August musste dieses Ding zurückbringen und auch wenn sich noch immer alles in ihm dagegen auflehnte, die nächsten Tage ohne den anderen verbringen zu müssen, ohne zu wissen, wann er wieder da war, wurde ihm nun doch bewusst, dass es keinen anderen Weg gab. Die Worte des Engels bestätigten dies noch zusätzlich, auch wenn die Vorstellung, ihn die ganze Zeit bei sich zu haben, verlockend war und er biss sich auf die Unterlippe.
“Mir gefällt das Ganze nicht. Nicht nur, dass ich sowohl einem von beiden jederzeit über den Weg laufen könnte, genauso gut könnte Aspen misstrauisch werden und dir folgen. Dir könnte sonst was passieren und ich würde es nicht einmal erfahren…”
Diese Ungewissheit würde ihn verrückt machen. Schon damals hatte ihn das Warten, das Hoffen und Bangen aufgefressen und jetzt war es noch um einiges schlimmer. August war nicht der einzige, der sich Sorgen machte. Er mochte im Großen und Ganzen vielleicht egoistisch wirken, weil er sich von dem anderen so umsorgen ließ, aber das hieß nicht, dass er sich nicht auch um ihn sorgte. Klar, er war um einiges älter als er und hatte seine Fähigkeiten im Griff, aber er war dank ihm nicht nur gefallen und hatte somit mit Sicherheit ein Teil seiner Kräfte eingebüßt, sondern eben auch nicht allmächtig und genauso verletzbar wie jeder andere auch. Dass es keinen anderen Weg gab, weil er ihm im Fall der Fälle ebenfalls keine große Hilfe wäre, frustrierte ihn und er fuhr sich seufzend mit einer Hand durch die Haare, die vom Schlafen noch völlig durcheinander waren.
Bei der Erinnerung an sein Essen sah er zu ihm. Erst jetzt bemerkte er, dass August ihn scheinbar füttern wollte.
“Das könnte ich auch alleine…”, grummelte er leise, wobei seine schlechte Laune nicht daran lag, dass er ans essen erinnert wurde. Die Aussicht auf die nächsten Tage und die Tatsache, dass sie nicht mehr viel Zeit zusammen hatten, bis sie sich eine Weile nicht mehr sehen würden, drückten seine Stimmung in den Keller. Dennoch ließ er sich anschließend füttern, ließ es sich aber auch nicht nehmen, sich nach dem ersten Bissen über die Box hinweg zu ihm zu beugen und sich noch einen Kuss zu klauen. Wer wusste schon, wann er das nächste Mal die Gelegenheit für all das haben würde?
“Du glaubst doch nicht, dass ich alleine nach Hause gegangen wäre oder? Wenn es schon nicht anders geht, dass wir uns einige Zeit nicht sehen, lasse ich mir die Gelegenheit sicher nicht nehmen, dich so lange wie möglich bei mir zu haben.”
Es war nicht wirklich eine Frage des anderen, aber er konnte dennoch nicht anders, als ihm zu verdeutlichen, wie sehr er ihn bei sich haben wollte. War es unfair, August damit ein schlechtes Gewissen zu machen? Ja, vielleicht, aber es war nun einmal die Wahrheit und nachdem er so lange genau diese immer wieder versucht hatte, zurückzuhalten und sich dabei des Öfteren in Widersprüche verwickelt hatte, wollte er das einfach nicht mehr.
Die Vorstellung, nach der Abwesenheit des Engels, ihren gemeinsamen Urlaub zu planen, besänftigte ihn zumindest ein wenig, auch wenn es die Sorgen, die sein Herz umklammert hielten, nicht verscheuchte. Aber es war zumindest etwas Konkretes, auf das er sich freuen konnte und dieser Gedanke würde ihm vielleicht dabei helfen, das alles etwas einfacher zu überstehen.
“Den Urlaub haben wir dann auch dringend nötig und da lasse ich mir so was wie eben sicher nicht wieder von meinem Bauch kaputt machen. Der wird dann einfach ignoriert”, erwiderte er auf die Idee hin, nachdem er einen weiteren Bissen seiner Nudeln verdrückt hatte. Hunger hatte er eigentlich weniger, aber August würde nicht eher Ruhe geben, bis er der Meinung war, er hätte genug im Magen, weshalb er auch brav weiter aß, bis die Box endlich alle war. In ihrem gemeinsamen Urlaub würde er sich davon aber tatsächlich nicht stören lassen und er wenn er an die leise gemurmelten Worte von vor ein paar Minuten zurückdachte, war er sich beinahe sicher, dass er einen Weg finden würde, dass auch August es einfach ignorieren konnte.
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