Wind Beyond Shadows

Normale Version: Nachts im Muse-...ähh, ich meinte in der Bibliothek!
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In all den Jahren, in denen er gedacht hatte, er verstünde und wüsste alles über Musik, war er fest davon überzeugt gewesen, dass sein Studium an der Universität ein Klacks werden würde. Musiktheorie war genau sein Ding und auch nachdem er sich mit den Rechnern an der Schule auseinandergesetzt und sich mit den Dingern angefreundet hatte, verstand er schnell wie die moderne Technik als Unterstützung für die Komposition eines Werkes dienen konnte - und er liebte es. Die Leichtigkeit, mit der man heutzutage ein Stück schreiben und in die Tat umsetzen konnte, war einfach ein unglaublich toller Fortschritt gewesen. Aber dass er dann doch an einem späten Donnerstagabend in der Bibliothek sitzen und sich mit vier Büchern über Akustik und einer Thermosflasche gefüllt mit Kaffee und mit bedruckten pinken Kätzchen - ein Geschenk von seinem besten Freund, der es unglaublich witzig fand - beschäftigen musste, anstatt Zuhause bei sich oder seinem Freund zu liegen und etwas mit besagter Person zu unternehmen, war dann doch etwas frustrierend. Aber das war nunmal das Leben in das er geworfen wurde und er musste damit klar kommen, wenn er nicht weiter auffallen wollte. Sein begrenztes Wissen fiel schon Anfang an unter seinen Kollegen auf, aber er erzählte einfach, dass er lange Zeit mit seinen Eltern im Dschungel gelebt und nur das Nötigste gelernt hatte - Popkultur und die Verwendung von den meisten Geräten war da eben nicht dabei und so skurril diese Ausrede auch war: sie glaubten ihm. Zwar machten sie sich ab und zu darüber lustig, meinten es jedoch nie böse und halfen ihm gerne, denn immerhin lernte er schnell und war kein schlechter Schüler. Eigentlich war er sogar ziemlich gut und gerade in der Geschichte der Musik punktete er mit vielen Insiderinfos aus den alten Jahrhunderten. Auf die Frage hin, woher er so viel über die Geschichte der Musik wusste, antwortete er immer mit derselben Antwort: “Internet.”
Sie glaubten ihm und das war alles was zählte.
Nun saß er aber doch hier und büffelte für seine nächste Prüfung, die am Montag war. Das Wochenende hatte er bereits seinem Freund versprochen, der bei einer kleinen Wette, die sie abgeschlossen hatten, als Sieger hervorgegangen war und jetzt war August dazu gezwungen sowohl eine Badehose zu kaufen, als auch diesen Samstag in das lokale Schwimmbad einzubrechen, um dort schwimmen zu gehen. Wenn er ihn nicht so furchtbar gern hätte - und das hatte er w i r k l i c h - dann wäre es unmöglich gewesen ihn dazu zu überreden, aber der Jüngere freute sich sehr darüber und es gab weitaus schlimmere Dinge als mit einem halbnackten Dämon alleine in einem Schwimmbad zu sein. Bilder von einem Waschbrettbauch und einem zauberhaften Lächeln schlichen sich in seinen Kopf und machten es ihm furchtbar schwer sich auf das im Buch geschriebene zu konzentrieren. Wie spät war es eigentlich? Schon acht… er sollte wirklich bald nach Hause gehen, aber bevor er sich nicht den ganzen Stoff angesehen und ihn zumindest zusammengeschrieben hatte, konnte er die Bibliothek nicht einfach verlassen. Den Stoff musste er sich heute und morgen so gut wie möglich ansehen, damit er sich danach in sein wohlverdientes Wochenende stürzen konnte und wenn das nicht Motivation genug war, dann wusste er auch nicht. Die Öffnungszeiten der Bibliothek kannte er ebenfalls nicht, da es so gut wie niemals vorkam, dass er so lange blieb, aber er schätzte, dass sie bis neun Uhr offen hatte, so wie die andere am Ende der Stadt, wo er einmal wegen eines Auftrags inkognito unterwegs als Bibliothekar unterwegs gewesen war.
Einige Seiten und einen Krampf in der Hand später, stand er auf, um sich einen Snack aus dem Automaten zu holen, der beim Eingang stand. Mit leerem Magen ließ sich so schlecht lernen und er brauchte dringend eine kurze Pause. Die ungewöhnliche Stille, fiel ihm nicht auf, denn so sollte es doch sein oder? Aber weder das fehlende Personal noch die Abstinenz der anderen Studenten erregte seine Aufmerksamkeit. Stattdessen lag diese auf dem Snickers, welches im Automaten zwischen zwei Getränken feststeckte. “So ein Mist.”, zischte er leise und klopfte mit der flachen Hand gegen die Scheibe. “Komm schon, das kann doch nicht dein Ernst sein.” Wieder schlug er dagegen - dieses mal allerdings fester und als er mit dem Fuß ausholte, um gegen die Unterseite zu treten, wurde es plötzlich im ganzen Raum dunkel. Die Verriegelung der Türen schnappte zu und nur das Licht der Automaten spendete kühles, fluoreszierendes Licht, das nur wenige Meter reichte.
Shit, wie spät war es? Sperrten sie wirklich schon so früh zu? Wieso hatte ihn niemand gesehen und ihm bescheid gegeben? Er war ein verwirrter Student und wusste doch nichts von solchen banalen Dingen wie Öffnungszeiten!
“Hallo? Ist hier noch jemand?”, rief er durch den großen Raum und ging dann zu der großen Holztür, an der er mehrmals rüttelte, die sich jedoch keinen Zentimeter bewegte. “Das kann doch nicht euer verdammter ernst sein…” , murmelte er und fuhr sich dann durch die Haare. Und jetzt? Und jetzt?! Wie zum Teufel kam er jetzt nach Hause? “Hey! Hallo! Ich bin hier eingesperrt! Lasst mich raus!”

Chelsea Shadowhawk

Ein mulmiges Gefühl machte sich in Chelsea breit, als sie die paar Stufen bis zur Eingangstür des Hauses hinauf lief, in dem sie gemeinsam mit ihrer Schwester und ihrem Schwager lebte. Sie wusste nicht, woher es bekam, doch es beschlich sie, seit sie gesehen hatte, dass kein einziges Licht in ihren 4 Wänden brannte und das obwohl es inzwischen relativ spät war und beide zu Hause sein müssten. Unter anderen Umständen hätte sie gesagt, die beiden verbrachten ihren Abend gemeinsam woanders, doch sie wusste ganz genau, dass Lucy am nächsten Morgen eine wichtige Prüfung schreiben musste, deren gutes Ergebnis sie nie aufs Spiel setzen würde, indem sie nicht ausgeschlafen war. Doch sie versuchte sich genau mit diesem Gedanken zu beruhigen: Dass sie bereits schlafen gegangen waren. Immerhin war sie wirklich lange im Krankenhaus gewesen, um dort auszuhelfen und schon einmal ein wenig Praxiserfahrung außerhalb der ohnehin angesetzten Praktikas sammeln zu können. Sehr viel beruhigter als noch gerade eben schloss sie die Tür auf. Stille umgab sie, doch damit hatte sie bereits gerechnet. Aus diesem Grund versuchte sie auch keinen Lärm zu machen nachdem sie das Licht eingeschaltet hatte und noch in die Küche ging, um sich zumindest etwas zu Trinken aus dem Kühlschrank zu holen. Als sie dort ankam, war dieses Vorhaben allerdings vollkommen vergessen. Ein Zettel lag auf der Arbeitsfläche, auf dem sie eindeutig Lucys Handschrift erkannte, und mit einem Mal war das ungute Gefühl in ihrem Inneren zurück. Gleichzeitig wirkte die Stille um sie herum viel bedrückender, doch sie ging dennoch darauf zu und nahm ihn in die Hand, um die Zeilen lesen zu können, die auf den ersten Blick für sie bestimmt waren.

Hallo Cookie.
Ich weiß, es ist ziemlich schäbig von mir, dir nur diesen Brief zu hinterlassen, doch für mehr habe ich keine Zeit und auch nicht die Kraft. Deswegen… werde ich es kurz machen: Ich werde nach Seattle zu Mom und Dad zurückgehen. Jace hat vorhin aus heiterem Himmel einfach Schluss gemacht und ist abgehauen. Ich habe keine Ahnung, warum oder wo er hingegangen ist, aber ich weiß, dass ich nicht länger hier bleiben kann. Alles erinnert mich an ihn und ich brauche für das Baby Ruhe.
Wenn du das hier liest, hat mich Dad bereits abgeholt. Meine restlichen Sachen folgen später.
Es tut mir leid, Chels. Ich weiß, wie sehr ich dich damit verletze, dich so plötzlich und ohne richtigen Abschied vollkommen alleine zu lassen. Und das obwohl ich dir versprochen habe, die nie wieder alleine zu lassen. Ich hoffe, du kannst mir das irgendwann verzeihen.
Ich hab dich lieb.
Deine Lu


Ein ungewöhnlich lautes klatschendes Geräusch holte Chelsea unvermittelt aus dem Schlaf. Sie schreckte auf und sah sich kurz verwirrt um, um sich zu orientieren, bis sie merkte, dass sie sich noch immer in der Bibliothek. Das Buch, das heruntergefallen und sie geweckt hatte, fiel in ihren Blick. Scheinbar war sie über ihren Ausarbeitungen eingeschlafen, was sie erleichtert aufseufzen ließ, während sie das Buch aufhob.
“Es war nur ein Traum…”, murmelte sie leise, als sie sich an den Brief von Lucy erinnerte, bei dessen Worten sich ihr Herz zusammenzog. Chelsea biss sich auf die Unterlippe. Sie hatte zwar nur geträumt, aber es entsprach doch zum Teil der Wahrheit. Zwar hatte sich ihre Schwester nicht auf diese Weise aus dem Staub gemacht, sondern sich richtig von ihr verabschiedet, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass Lucy wieder in Seattle lebte und sie nun vollkommen alleine wohnte. Es war nicht so, dass sie das nicht kannte. Die ersten Semester ihres Studiums hatte sie auch alleine im Wohnheim der Uni verbracht, aber es war doch etwas anderes, wieder in diesen Zustand zurückversetzt zu werden, alleine zu wohnen, wenn einen in den eigenen vier Wänden alles an die Zeit erinnerte, in der es anders war. Wo Jace abgeblieben war, wusste sie ebenfalls nicht. Seine Sachen, die er zurückgelassen hatte, hatte sie auf den Dachboden geräumt, um nicht immer wieder daran erinnert zu werden, falls sie über etwas stolperte, was ihm gehörte. Aber auch das half nichts gegen die Einsamkeit, die jetzt noch viel schlimmer als zu ihrer Zeit im Wohnheim war, was sicher auch damit zusammenhing, dass das Haus viel zu groß für sie alleine war. Dies war auch ein Grund, warum sie sich für ihren Aufsatz in die Bibliothek zurückgezogen hatte. Zuhause war es einfach zu ruhig.
Apropos Ruhe… Plötzlich wurde Chelsea bewusst, dass es auch hier in der Bibliothek viel zu still war. Natürlich war Ruhe etwas Normales für so einen Ort, aber das man nicht einmal das Blättern von Seiten oder das klackernde Geräusch einer Tastatur hörte, war schon sehr ungewöhnlich. Wie lange hatte sie also geschlafen? Ein Blick auf ihre Armbanduhr verriet ihr, dass es viel zu lange war und die Bibliothek gleich schloss. In Windeseile steckte sie ihr Schreibzeug in ihre Tasche und brachte das Buch zurück, bevor sie sich beeilte, das Gebäude noch zu verlassen, bevor die Türen verriegelt wurden.
Doch sie war zu langsam.
Gerade als sie die Treppe zu dem Vorraum herunterlief, in dem auch die Snack-Automaten standen, ging das Licht aus, sodass sie beinahe stolperte. Im letzten Moment fing sie sich und hielt sich am Geländer fest. Ein Sturz wäre das Letzte gewesen, dass sie jetzt gebrauchen konnte, auch wenn sie sich im Falle einer Verletzung einfach hätte heilen können. Zumindest wenn sie alleine wäre. Auf der anderen Seite des Raumes hörte sie wie jemand gegen die Tür hämmerte und sich laut bemerkbar machte. Zuvor war er ihr gar nicht aufgefallen und auch jetzt sah sie ihn nur, weil die Automaten wenigstens ein bisschen Licht spendeten. Chelsea wusste allerdings nicht, was schlimmer war: Hier alleine bis zum nächsten Morgen festzusetzen oder gemeinsam mit einem Fremden. Doch da sie nicht wusste, wie er war, und die Zeit zu zweit vielleicht auch schneller verging, machte sie sich nach einem kurzen Augenblick doch bemerkbar.
“Von den Mitarbeitern wird dich keiner mehr hören. Die Türen und das Licht haben eine Automatikschaltung, die eine viertel Stunde, nachdem der Letzte von ihnen gegangen ist, aktiv wird.”
Kein Snickers der Welt hätte das alles wieder gut gemacht. In der Bibliothek festzusitzen war nämlich nur halb so cool, wie es sich die meisten vorstellten. Was sollte er überhaupt eine ganze Nacht lang hier machen? Es gab nicht mal was zu essen - außer das Zeug aus dem Automaten, dass sich anscheinend gegen ihn verbündet hatte und ihn verhungern lassen wollte. Außerdem musste er doch seinem Freund bescheid geben, wo er war und warum er nicht nach Hause kam. Verdammt, wieso habe ich keines dieser beschissenen Handys! Ja, sie waren nervig, aber jetzt gerade wäre eines furchtbar praktisch gewesen. So ein Mist aber auch!
Die helle Stimme der zweiten Person, riss ihn aus seinen Gedanken und sofort drehte er sich zu der Quelle. Es war eine weitere Studentin - Hallelujah! Er musste nicht alleine sterben.
Erleichtert seufzte er und ging auf sie zu, wobei er ihr Gesicht nicht ganz erkennen konnte. Das Licht der Automaten spendete nur bedingt Licht und die Lerntische, die eingebaute Lampen hatten, waren am anderen Ende der Bibliothek. “Sind hier noch mehr Leute oder haben nur wir zwei Pech gehabt?”, fragte er und sah sich dabei noch einmal in der Dunkelheit um. Wie konnte er bloß nicht auf die Uhr sehen? So spannend war sein Lernstoff gar nicht gewesen, dass er die nicht vorhandene Anwesenheit der anderen einfach so ausgeblendet hatte. “Hast du ‘ne Idee wie wir hier rauskommen? Sind die Fenster verriegelt?” Keine Chance, dass er hier die ganze Nacht verbringen wollte. Sein Rücken schmerzte bei dem Gedanken, dass er nicht auf seiner bequemen Matratze liegen würde und das wollte er in dem Moment nicht verkraften.
Es dauerte einen Moment, aber dann überrollte ihn ein seltsames Gefühl. Wie immer, wenn er auf übernatürliche Wesen traf, wobei es von Wesen zu Wesen unterschiedlich sein konnte, was ihm half, sie voneinander zu unterscheiden. Wieso merkte er es erst jetzt? Sie stand doch lange genug vor ihm. War es die Müdigkeit? Oder einfach der Frust, dass es keinen Ausweg gab? August, du musst konzentriert bleiben. Ja, ja, aber viel wichtiger war jedoch herauszufiltern was genau die Brünette vor ihm war und ob sie ihm etwas antun wollte. Vielleicht war das alles von ihr inszeniert und jetzt hatte sie ihn genau da wo sie ihn haben wollte: alleine, hungrig, frustriert und unbewaffnet. Sein Gefühl verriet ihm, dass es sich um ein Hexenwesen handeln musste, wobei sich ihm im selben Moment die Frage stellte, weshalb sie sich nicht einfach aus der Situation zauberte. Natürlich war das nicht immer so leicht und die Kräfte der einzelnen Hexen und Magier waren so vielfältig und komplex wie die Beziehungen der griechischen Götter, aber trotzdem musste sie doch irgendetwas können um diese Situation besser zu machen. Außer...sie wollte ihm tatsächlich etwas anhaben und verdammt, sie hatte ihn eiskalt erwischt. Aber ließ er sich dadurch einschüchtern? Nö.
Wenn August etwas gut konnte, dann war es das Improvisieren in Zweifelssituationen und das hier schrie nahezu danach. Sich noch einmal umsehend, wandte er sich an die Jüngere und verschränkte dann die Arme. Er war nicht viel größer als sie, aber diese wenigen Zentimeter gaben ihm Hoffnung und Kraft. “War das dein Plan? Mich hier festzuhalten? Wenn ja, dann hast du dich mit dem falschen angelegt. So leicht kann man mich nicht überführen.” Zur Demonstration und Unterstreichung, machte er noch einen Schritt auf sie zu. “Ich weiß genau was du bist.”, flüsterte er ihr leise zu und klang dabei noch frustrierter als ohnehin schon, denn das war das letzte was er wollte. Ein Bett und sein Freund - war das denn zu viel verlangt? Wieso musste sich die ganze Welt immer gegen ihn stellen?

Chelsea Shadowhawk

Im ersten Moment dachte Chelsea noch, der andere wäre so sehr in seinen Gedanken versunken oder zu sehr damit beschäftigt, einen Ausweg aus dieser Situation zu suchen, dass er sie gar nicht mitbekam. Vielleicht hatte sie aber auch einfach nicht laut genug gesprochen und er hatte sie schlicht nicht gehört. Beides war möglich und gerade ersteres konnte sie gut nachvollziehen. Eine Bibliothek war sicher kein Ort, wo man die ganze Nacht verbringen wollte, außer man war eine Leseratte wie sie. Ihr selbst gefiel der Gedanke auch nicht, hier bleiben zu müssen und zu warten, dass sie am nächsten Morgen wieder raus gelassen wurden. Allerdings blieb sie ruhig. In Panik zu geraten war alles andere als förderlich. Und außerdem… Was sollte sie zuhause, wo ohnehin nur Stille und vermutlich eine schlaflose Nacht auf sie warten würden. Da war die Aussicht hier wenigstens ein Gesellschaft zu haben, gar nicht so schlecht.
Nach einigen Augenblicken reagierte der andere aber dann doch auf ihre Worte und drehte sich zu ihr. Erkennen konnte sie ihn noch immer nicht und es dauerte auch etwas, bis er nah genug war und das spärliche Licht mehr als nur Konturen erahnen ließ. Er war nicht sehr viel größer als sie und sie selbst war schon nicht besonders groß. Bei ihm wirkte es auf die meisten daher sicherlich fast schon niedlich. Wobei er das sicherlich nicht gerne hörte. Als er dann die Stimme erhob, wurde ihre Aufmerksamkeit von ihren Überlegungen abgelenkt und sie konzentrierte sich auf das, was er von ihr wollte. Kurz schaute sie über ihre Schulter zurück in die Richtung aus der sie gekommen, bevor sie kopfschüttelnd wieder zu ihm blickte.
“Ähm… Nein, ich denke, wir sind hier die einzigen.”
Ein leises Seufzen entfuhr ihr dabei. Wieso musste sie auch über den Büchern einschlafen? Zu Hause bekam sie kaum Schlaf und hier übermannte er sie einfach. Anders herum wäre es ihr eindeutig lieber gewesen, denn dann würde sie jetzt hier nicht festsitzen.
Auch bei seiner nächsten Frage musste sie ihn leider enttäuschen, wobei sie sich vorstellen konnte, dass ihm das nicht unbedingt gefallen dürfte. Aus diesem Grund senkte sie auch leicht den Blick.
“Leider nein. Soweit ich weiß, bekommt man die Fenster nicht auf, damit es hier drin ruhig bleibt. Immerhin sind wir hier direkt an der Hauptstraße.”
Auch wenn es in diesen Räumen durchaus auch Bücher gab, die locker 100 Jahre und älter waren, war das Gebäude selbst doch auf einem relativ moderne Stand. Für ihren Fall war es nun allerdings ein Problem, denn ansonsten hätten sie einfach aus einem der Fenster entkommen können. Dass es vielleicht einen Hinterausgang oder einen anderen Fluchtweg gab, daran dachte sie gerade überhaupt nicht, denn sie bemerkte, wie der Schwarzhaarige sie musterte. So was kam nicht selten vor. Immerhin bildeten sich die meisten nun einmal durch das Äußere eine Meinung über die Personen, die vor ihnen standen und somit hätte es ihr nicht unbedingt unangenehm sein müssen, doch irgendetwas an seinem Blick sagte ihr, dass es bei ihm einen anderen Grund hatte und sie wusste nicht, ob ihr dieser gefallen würde.
“Ähm…”, war das einzige, was sie herausbekam, denn sie hatte keine Ahnung, was sie sagen sollte. Ihre Finger gruben sich ein wenig mehr in das Geländer und mit einem mal hatte sie den Gedanken, dass es vielleicht doch nicht so gut war, mit ihm hier alleine zu sein. Normalerweise versuchte sie sich nicht voreilig eine Meinung zu bilden, doch die Art, wie er sie musterte, hinterließ ein unwohles Gefühl in ihr und seine nächsten Worte bestätigten dieses auch noch.
“W-Was…?”
Erschrocken weiteten sich ihre Augen und ein Kloß bildete sich in ihrem Hals. Wie kam er nur darauf, dass diese Situation ihr Plan gewesen sein könnte? Sie kannte ihn nicht einmal, auch wenn ihr sein Gesicht seltsam bekannt vorkam, aber sie war wohl eine der letzten Personen, die anderen ein Haar krümmte. Schließlich wollte sie Ärztin werden, um anderen zu helfen und nicht um jemandem zu schaden.
“Wie... kommst d-”
Der Rest ihrer Frage blieb ihr im Hals stecken, als er noch ein Stück näher kam. Sie wollte zurückweichen, doch das einzige, was sie tun konnte, war wie erstarrt an Ort und Stelle stehen zu bleiben. Ihre Beine versagten ihr den Dienst und Angst machte sich in ihr breit. Der Kloß in ihrem Hals wurde noch ein wenig größer und machte es ihr beinahe unmöglich, überhaupt etwas von sich zu geben. Stattdessen grub sie die Zähne in ihre Unterlippe und starrte ihm weiter entgegen.
“Woher…?”
Woher wusste er, was sie war? Sie hatte nichts getan, was sie als Hexe outen könnte. Selbst im Krankenhaus, wenn sie auf der Intensivstation aushalf, passte sie peinlichst genau darauf auf, dass sie keiner sah, wenn sie die Patienten ein wenig mit ihrer Magie heilte, damit es ihnen schneller besser ging.
Apropos Krankenhaus… Sie musterte sein Gesicht nun ihrerseits ein wenig genauer und nach einigen Augenblicken fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, woher sie ihn kannte und ihre Angst war - so seltsam das klang - vollkommen verflogen. Und auch die Frage, woher er wusste, dass sie eine Hexe war, war für einen Moment komplett vergessen.
“Ich glaube, ich kenne dich doch… Ähm… Also… Du warst doch neulich Nacht im Krankenhaus, um dort jemanden von der Intensivstation zu holen, oder? In diesem Krankenschwesternoutfit…”, murmelte sie zum Ende hin und musste sich trotz ihrer ungewissen Situation ein kleines Lächeln schwer verkneifen, da sie keine Ahnung hatte, ob sie erstens wirklich richtig lag und zweitens wie er darauf reagierte.
“Ha ha! Erwischt!”, hätte er am liebsten gesagt, denn die Reaktion der Studentin bestätigte seinen Verdacht. Seine Aurenerkennung war also noch immer in Takt - ein Wunder bei den ganzen Einflüssen die ihn im Alltag erfolgreich davon ablenkten. Früher wäre es ein fataler Fehler gewesen nicht einen Moment explizit auf die Wesen in der eigenen Umgebung zu achten, aber damals musste er auch ständig auf der Hut sein und andere jagen. Als Student beziehungsweise als Mensch auf dieser Erde zu wandern und dabei ein fast stinknormales Leben zu führen, machte sich irgendwann zur Gewohnheit und so gestattete sich auch ein begnadeter Jäger mal eine Pause von dem ganzen - einfach um den Kopf frei zu bekommen. Ständig auf der Hut zu sein belastete nämlich mit der Zeit und man fühlte sich auch im Schlaf nicht sicher. So schlimm es wohl für die anderen Jäger klang, so musste er gestehen, dass es für ihn gerade weitaus angenehmer war als jemals zuvor. Er schlief besser - gerade weil er Frieden mit Crispin gefunden hatte - und alles schien in einer Art Idylle an ihm vorbeizuziehen.
Nun befand er sich allerdings mit einer Hexe in der Stadtbibliothek die wohlgemerkt verschlossen war. Was für ein Glück aber auch.
“Wenn du mich nicht mit Absicht hier gefangen hältst, dann kannst du uns doch mit Sicherheit wieder hinauszaubern?!”, sagte er und machte dabei eine Geste, als würde er einen Zauber beschwören, der auf die schwere Eingangstür gerichtet war. Das sollte doch ein Klacks für sie sein, immerhin war es nur ein Schloss das geöffnet werden musste. “Hör zu. Ich habe keine Lust auf irgendwelche Streitigkeiten, weil ich echt mega Stress habe. Das Semester ist so gut wie zu Ende und ich habe nächste Woche jeden Tag Tests. Musiktheorie ist so ziemlich das langweiligste Fach der Welt, aber ich habe mir heute extra Zeit genommen, um mir den blöden Stoff zusammenzuschreiben und ihn in meinen Kopf zu prügeln, damit ich ein schönes Wochenende mit meinem Partner verbringen kann. Willst du mir also irgendwas antun, dann hast du echt ein Problem, denn ich bin super genervt und würde dich freundlichst darum bitten, dass du mich erst nach den Tests angreifst. Da habe ich Zeit.” Die Worte kamen wie ein Wasserfall aus ihm gesprudelt und die Frustration, die in ihnen lag, war nicht zu überhören, selbst für jemanden, der mit gestressten Studenten nichts am Hut hatte. Dass er seine menschlichen Bedürfnisse über die seines wahren Wesens stellte, war mittlerweile ebenfalls zur Gewohnheit geworden und niemals hätte er gedacht, dass er selbst mal unter dem typischen Studentenleben leiden musste - aber es war hart. Mindestens so hart wie das Schlachtfeld. Du übertreibst schon wieder.
“Außer du hast es gar nicht darauf abgesehen. Dann lade ich dich herzlich dazu ein die Tür zu öffnen. Wie vorhin schon gesagt - du kannst das doch bestimmt.”
Dass August einen Hang zum Theatralischen hatte, war ziemlich bekannt und sein Hunger, gepaart mit der unendlichen Frustration und dem Cris-Weh, machte ihn zu einer wandelnden Drama-Queen, die man nur besänftigen konnte, indem man sie in Ruhe ließ und ihr ein Entschuldigungs-Snickers in den Mund stopfte. Apropos Snickers… Das steckte noch immer fest und hing nahezu provokant an dem letzten Zipfel der Verpackung am Ende der Spirale, von der es sich schon längst hätte lösen müssen. “So ein Mist aber auch!”, zischte er und schlug mit der Handfläche erneut gegen das Glas des Automaten. “Klasse. Verhungern werde ich also auch noch.”, grummelte er und trat noch einmal erfolglos mit seinem Schuh gegen den schwarzen Automaten.
Die Hexe meldete sich wieder zu Wort und der Schwarzhaarige richtete seinen Blick wieder auf sie, als sie den Besuch im Krankenhaus ansprach. So genau registrierte er die Worte erst gar nicht und erst als sie etwas von der Intensivstation erzählte, hatte sie seine vollkommene Aufmerksamkeit, denn JA, da war er gewesen und das auch noch in einem…Oh Gott. Die Brünette sprach das böse Wort aus, dass er seitdem nicht mehr in den Mund genommen hatte und fast schon automatisch stieg ihm die Hitze ins Gesicht. Die Erinnerung daran ließ ihn erschaudern und er hoffte, dass das ganze nie wieder angesprochen wurde und ein Geheimnis zwischen Cris und ihm blieb. “D-du hast mich gesehen?!”, entgegnete er ihr geschockt und hielt sich sofort die Hand vor den eigenen Mund. Wieso hast du es nicht einfach geleugnet? Genauso gut hätte er sagen können, dass sie sich irrte und damit wäre die Sache gegessen. So schnell wie er damals durch die Gänge gegangen war und das auch noch mit gesenktem Kopf, dachte er nicht daran, dass dort auch jemand von der Uni sein konnte, obwohl er wusste, dass es auch eine Medizin-Abteilung gab. War er so unachtsam gewesen? Wenn er jetzt daran zurück dachte, gab es zwei Momente, in denen er aufgehalten und in ein kurzes Gespräch verwickelt worden war. Da war es schon möglich, dass sie ihn gesehen hatte. Oh nein… Das blasse Gesicht verzog sich und sofort machte sich der defensive August breit, denn dieses Geheimnis durfte die Bibliothek nicht verlassen. Drohend zeigte er mit dem Finger auf sie und blähte die Wangen etwas auf, bevor er seine Worte leise aussprach, aus Angst, jemand könnte sie belauschen. “Das hatte alles einen Grund und du passt besser auf, dass du niemandem davon erzählst, sonst mache ich dir Feuer unterm Hintern, hast du verstanden?” Dass es nicht gerade zu den angenehmsten Erinnerungen gehört, musste er wohl nicht erwähnen, auch wenn er Cris damit immerhin immer wieder zum Lachen brachte - dafür lohnte es sich im Endeffekt doch, wobei es nicht hieß, dass er sich ein weiteres Mal in so ein Kostüm zwängen würde. Auch er hatte seine Grenzen. “Ich musste dringend zu jemanden und das ging nur… das ging eben nur in dem Kostüm!”, erklärte er und gestikulierte dabei nervös mit den Händen, um zu verdeutlichen, wie aussichtslos die Situation damals gewesen war und es keine andere Möglichkeit gab, außer dieses Kleidchen anzuziehen. Freiwillig hätte er das wirklich niemals gemacht und das musste er ihr klar machen, denn er sah bereits den Anflug eines Grinsens, das ihn in Panik verfallen ließ. “Ich bin kein Crossdresser! Und ich habe auch keine seltsamen sexuellen Vorlieben!”
Den ersten Eindruck hatte August drauf - zumindest blieb er den meisten Leuten aus den seltsamsten Gründen in Erinnerungen. Diese Aussage gepaart mit der Erinnerung an das Kostüm im Krankenhaus war allerdings sehr schwer zu toppen.

Chelsea Shadowhawk

Vorsicht war genau das, was sie schon immer walten ließ, wenn es um ihre Fähigkeiten ging. Es war egal, wem sie gegenüberstand, sie verschwieg, was sie war, und das seit sie wusste, dass sie kein normaler Mensch war, sondern zaubern konnte. Als dies damals im Waisenhaus herausgefunden hatte, hatte sie noch keine Ahnung, dass sie eine Hexe war. Natürlich hatte sie in ihren Büchern darüber gelesen, aber das waren Geschichten und nicht die Wahrheit. Glaubte sie als Kind zumindest und so behielt sie es für sich. Mit Sicherheit hätte sie sich bei den anderen Anerkennung verschaffen und ihr Außenseiter-Dasein beenden können, wenn sie es offen gezeigt hätte, aber genauso gut hätte man sie noch viel mehr als Freak abstempeln und meiden können. Erst als sie Lucy kennenlernte, sie ohne nachzudenken heilte und anschließend erfuhr, dass sie und ihre Mutter ebenfalls Hexen waren, sprach sie das erste Mal offen darüber. Zudem versuchte sie erst ab diesem Zeitpunkt, ihre Magie zu verbessern und erkannte ihr Handicap, das sie bis auf Heilmagie nichts auf die Reihe bekam. Woran das lag, konnte ihr nicht einmal ihre Adoptivfamilie erklären. Allerdings war es für sie daher umso wichtiger, dass sie geheim hielt, was sie war, denn nicht jeder reagierte positiv auf solch eine Enthüllung und es gab genug Menschen mit Hintergedanken, gegen die sie sich somit nicht einmal wehren könnte.
Dass es allerdings Wesen gab, die spüren konnten, wenn Ihnen ein anderes Wesen gegenüberstand wusste sie ebenfalls. Nur damit gerechnet hatte sie nicht, da sie durch ihre eigene Unfähigkeit in diesem Punkt selten einen Gedanken daran verschwendet. Im Grunde wollte sie auch einfach nur ein normales Leben führen. So normal, wie es für eine Hexe eben ging. Die Situation, in die sie geraten war zeigte Chelsea allerdings, dass das gar nicht so einfach war und sie bearbeitete ihre Unterlippe weiterhin, indem sie darauf herumkaute, als er sie unbewusst daran erinnerte, dass sie ihn und sich mit Leichtigkeit hier herausholen könnte, wenn sie nicht so eingeschränkt in ihren Fähigkeiten wäre. Betroffen senkte sie den Blick.
“Ähm… Tut mir leid, aber… Ich bin nicht dazu in der Lage, uns hier herauszuholen… Ansonsten würde ich es auf der Stelle tun...”
Nervös begann sie mit ihren Fingern zu spielen und hoffte insgeheim, dass er ihr glaubte. Hier festzusitzen, war für sie genauso ärgerlich, wie für ihn und sie würde lieber früher als später die Bibliothek verlassen. Wie sie beide mit der Situation umgingen, war aber vollkommen unterschiedlich, wie ihr auffiel. Der Schwarzhaarige sprach wie ein Wasserfall drauf los und äußerte ein weiteres Mal den Vorwurf, sie hätte das hier alles geplant, um ihn festzuhalten und ihm zu schaden. Durch ihre Überraschung hatte sie ihm darauf allerdings noch gar nicht antworten können, was sie sich nun vornahm, es zu ändern, als der andere mit seiner Rede, in der es auch um ein Wochenende mit seinem Freund ging, fertig war.
“Also… Ich will dir wirklich nichts tun… Ich sitze hier genauso fest wie du, weil ich über meinen Ausarbeitungen eingeschlafen bin. Glaub mir, ich habe das hier ganz gewiss nicht geplant.”
Selbst wenn sie einen triftigen Grund hätte, ihm etwas zu tun, würde sie es nicht machen. Das war einfach nicht ihre Art. Wenn es nach ihrer besten Freundin ginge, hätte es eine ihrer Kommilitoninnen mehr als verdient, aber sie traute sich nicht einmal, ihr die Meinung ins Gesicht zu sagen. Wieso sollte sie also einem Studenten, den sie gerade einmal gesehen hatte, etwas antun wollen?
Völlig in ihren Gedanken versunken, bemerkte sie nicht, wie der andere sich von ihr entfernt und sich stattdessen dem Snackautomaten zugewandt hatte. Blinzelnd sah sie zu ihm, als die ein dumpfes Geräusch und seinen Fluch hörte. Ein kleines Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, denn bei seiner Art musste sie automatisch an eine Werbung denken. Normal sah sie nicht oft fern. Viel lieber verkroch sie sich in ihren Büchern und formte sie sich die Bilder für die dort niedergeschriebenen Welten in ihrem Kopf, aber ab und an sah sie sich doch mal einen Film und somit leidet auch die Werbung, die zwischendurch ausgestrahlt wurde an.
“Moment, da gibt es einen kleinen Trick.”
Mit diesen Worten lief sie die letzten Stufen hinab und schloss zu ihm auf. Chelsea stellte sich neben den Automaten, hielt sich mit einer Hand an der Ecke fest und trat anschließend mit der Ferse gegen eine bestimmte Stelle. Kurz darauf hörte man, wie etwas herunterfiel und in dem Fach landete, aus dem man die Sachen entnehmen konnte. Sie griff hinein und förderte ein Snickers zu Tage, bei dessen Anblick sie sich ein leises Lachen doch nicht mehr verkneifen konnte.
“Entschuldige bitte…”, begann sie, nachdem sie sich wieder beruhigt hatte und reichte ihm den Riegel. “Das Ganze hat mich jetzt nur an die Werbung erinnert, wo sich ein Mann wie eine Diva verhielt, weil er hungrig war, bis er eben ein Snickers bekommen hat.”
Wenn sie sich die Situation und das Verhalten des anderen Studenten so ansah, kam ihr zudem noch ein ganz anderer Gedanke, der jedoch wirklich gemein wäre, weshalb sie es sich verkniff, ihm zu sagen, dass er super in diese Werbung gepasst hätte. Ihn noch mehr zu verärgern, wäre eine äußerst schlechte Idee, da sie schließlich noch eine ganze Nacht hier zusammen verbringen würden, wenn Ihnen nichts einfiel, um herauszukommen.
Gerade wollte sie darüber nachdenken, ob es nicht doch noch einen Weg gab, doch dies war vergessen, als sie die Reaktion des Schwarzhaarigen auf ihre Bemerkung, sie hätte ihn im Krankenhaus gesehen, bemerkte. Fast hatte sie das Gefühl etwas völlig Falsches gesagt zu haben.
“Ähm… ja… hab ich”, stammelte sie. Dass es ihm peinlich war, konnte sie sich nur zu gut vorstellen, denn alleine wenn sie daran zurückdachte, in welchem Aufzug er gemeinsam mit einer zweiten Person durch die Gänge geschlichen war, spürte sie die Hitze in ihre Wangen steigen und sie blickte peinlich berührt zu Boden. Seine Drohung und sein verzweifelter Versuch, das Ganze zu erklären, machten es zudem keineswegs besser. Eher im Gegenteil. Vor allem als er begann von seltsamen sexuellen Vorlieben zu sprechen.
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie merkte, dass ihre Wangen langsam kühler wurden und sie ihn wieder ansehen konnte, ohne sich daran zurückzuerinnern. Abwehrend hob sie ihre Hände und schüttelte den Kopf.
“Nein, nein keine Sorge. Ich habe nicht vor, dass irgendjemandem zu erzählen. Und ich glaube dir auch, dass es kein komischer Fetisch ist…”
Nur die Sache mit dem, dass es nicht anders ging, zu der Person zu kommen, außer in dieser Verkleidung erschloss sich ihr nicht ganz. Fragen wollte sie ihn jedoch auch nicht, denn dass es ihm äußerst unangenehm war, hätte selbst ein Blinder mitbekommen. Somit schluckte sie auch diese Frage gemeinsam mit ihrer Neugierde dazu herunter. Etwas anderes kam ihr allerdings in den Sinn, als sie sich daran erinnerte, aus welchem Zimmer er kam.
“Aber kann es sein, dass du das für deinen Freund getan hast? Also… Ich will dir nicht zu nahe treten, aber sowas macht man sicher nicht für jeden und du meintest vorhin, du hättest einen Partner”, wurde sie zum Ende hin leiser, denn sie hatte keine Ahnung, wie er darauf reagieren würde, nachdem er es schon nicht so positiv aufgefasst hatte, dass sie ihn überhaupt darauf angesprochen hatte.
“Ich hoffe, es geht ihm inzwischen besser. Er sah ziemlich schlimm aus, als-”
Chelsea unterbrach sich und schüttelte leicht den Kopf. Auch wenn er wusste, dass sie eine Hexe war, fiel es ihr schwer, darüber zu reden, auch wenn er sicher nichts dagegen haben würde, dass sie den anderen ein wenig geheilt hatte, damit er schneller wieder auf die Beine kam. Zudem hatte sie keine Ahnung, was er war, was sie zusätzlich zögern ließ, offen darüber zu reden. Auf ihrer Unterlippe kauend sah sie zu ihm und haderte mit sich, ob sie ihn danach fragen sollte. Ihre Neugier war auf jeden Fall vorhanden und sie wollte zu gerne wissen, welche Art Wesen er war.
“Ähm… Kann ich dich eventuell etwas fragen?”
Bevor er darauf reagieren konnte und sie vielleicht doch noch einen Rückzieher machte, sprach sie schnell weiter.
“Was bist du eigentlich? Was ich bin, weißt du ja scheinbar und… ich fände es nur fair, wenn ich es auch wüsste…”
Ich bin nicht dazu in der Lage, uns hier herauszuholen. Ein Satz, den er gerade wirklich nicht hören wollte, wie bei einer Quizshow, wo die falsche Antwort ausgewählt wurde und ein warnender Buzzer-Sound die falsche Antwort kennzeichnete. Nein, nein, nein… Sie war doch eine Hexe oder nicht? Wieso konnte sie dann nicht einfach mit den Finger schnippen oder ihren Zauberstab hervorholen und mit einem Simsalabim alles wieder gut machen, hm? Bei zwei übernatürlichen Wesen war es doch nahezu peinlich, dass sie es nicht aus einem abgesperrten Raum schafften! “Oh, das ist doch jetzt nicht dein Ernst...Und du kannst wirklich gar nichts tun? Nicht mal.. Die Fensterscheiben verschwinden lassen oder so?”, fragte er verzweifelt und fuhr sich durch die schwarzen Haare. Mittlerweile glaubte er ihr auch, dass sie ihm nichts anhaben wollte, denn sie hätte schon längst die Chance dazu gehabt und da sie diese bis jetzt nicht genutzt hatte, gab es eigentlich keine Zweifel mehr. Nicht als ob er sich nicht selbst im Notfall mit irgendeinem Gegenstand zu helfen wusste, aber es beruhigte ihn immer so weit, dass er sich nicht mehr nach potentiellen Waffen im Raum umsah.
“Also sitzen wir hier wirklich fest.”, stellte er fest und starrte dabei auf den Boden , während er überlegte, was ihnen noch für Möglichkeiten blieben, jedoch war da nichts was er tun hätte können. Gegen die Technologie der Menschen war auch ein dämonenjagender Engel wie er komplett machtlos. Er wollte sich gerade seinem Nervenzusammenbruch ergeben und sich auf den Linoleumboden vor dem Automaten setzen, um sich seinem traurigen Schicksal zu ergeben, als Chelsea ihm zuvorkam und ihm das schönste Geschenk an diesem Abend machte. Sie rettete sein Snickers, das so hilflos und persistent in dem Auto gefangen bleiben wollte, bis sie es mit einem geschickten Tritt aus den Fängen der Spirale befreite und es dem verhungernden Engel reichte. August zog gerade die Verpackung zur Hälfte hinab, als er ihr Kichern und die darauffolgende Aussage hörte, mit der er mal wieder gar nichts anfangen konnte, denn von welcher Werbung sie auch immer sprach: Ihm war diese komplett unbekannt. Da es aber nicht das erste Mal war, dass er mit irgendwelchen Dingen aus dem Fernsehen oder Internet verglichen wurde und er sich langsam eine Liste mit diesen Dingen machen sollte, nickte er einfach nur, ohne zu wissen von was sie genau sprach. Am besten sagst du nichts, sonst weiß sie noch wie planlos du bist - Nicken und Lächeln, mein Lieber.
Frustriert kaute er an dem Riegel und eine weitere Welle an Scham überrumpelte ihn, als die Hexe das Thema immer noch nicht abließ und weiter fragte. Gut und schön, dass sie es für sich behielt, aber er wollte diese Bilder ganz schnell wieder aus dem Kopf verdrängen. Vielleicht nicht alles, denn die Reaktion von Cris war zu einem Teil auch ziemlich schmeichelhaft gewesen, aber dafür hatte sich dieser ganze Aufwand nicht gelohnt. Er konnte seinen Freund auch ohne einem pinken Kleidchen mit Strapsen sprachlos machen. Besagter Freund kam kurz darauf zur Sprache und er musste der Brünetten eines lassen - sie dachte extrem gut mit. Es also jetzt zu leugnen hätte keinen Sinn gemacht und wenn sie ihn schon am schlimmsten Tag seines Lebens gesehen hatte, dann konnte er ihr genauso gut ein wenig von ihr erzählen. Sie schien ja eigentlich ganz nett zu sein und das Snickers half ihm langsam wieder er selbst zu werden. “Ja, das war mein Freund. Er lag auf der Intensivstation und ich konnte da nur mit dem Aufzug rein.”, erklärte er mit halbvollem Mund und leckte sich über die verklebten Lippen, bevor er fragend zu ihr sah. “Hast du ihn etwa gesehen? Als er eingeliefert wurde, meine ich.” Sie wusste ja anscheinend von seinen Verletzungen bescheid. Toll, dann lernte sie gleich seinen ganzen Bekanntenkreis kennen und im schlimmsten Fall wurde sie da noch mit hinein gezogen. “Egal was du an dem Tag gesehen und mitbekommen hast… es wäre wirklich besser, wenn du es vergisst. Ich sage das nicht nur, weil es mir furchtbar peinlich ist, sondern weil es Gründe für alles gab, die einem den Boden unter den Füßen wegziehen könnte. Wir sind da in etwas hineingerutscht und ich will nicht, dass noch mehr Leute hinzukommen.” Die genaueren Umstände wollte er nicht beschreiben - je weniger sie wusste, desto besser.
Aber wenn er schon so viel Preis gegeben hatte, konnte er ihr auch ihre letzte Frage beantworten. “Ein Engel. Keines dieser dicken nackten Babys mit goldenem Haar, falls dir dieses Bild als erstes in den Kopf gesprungen ist. Da oben herrscht genauso viel Diversität wie hier auf der Erde.”, erklärte er und hob seine Mundwinkel zu einem Lächeln. Ja, er mochte sie irgendwie. Sie war zwar weitaus schüchterner als er selbst, aber freundlich und zu zweit war es wohl doch besser als alleine. “Mein Name ist August.”, sagte er und wischte sich seine Hand an seinen Jeans ab, bevor er sie ihr reichte. “Also, wie zum Teufel kommen wir hier wieder hinaus? Oder kennst du ein gutes Plätzchen zum Schlafen?”

Chelsea Shadowhawk

Dass der andere verzweifelt war, konnte Chelsea sehr gut verstehen und nachempfinden. Steckte man mit einer Hexe in solch einer Situation, konnte man für gewöhnlich davon ausgehen, dass sie einen aus genau dieser misslichen Lage herausholen konnte. Dass es bei ihr allerdings nicht so war, hinterließ ein ungutes Gefühl in ihr. Ganz so, als wäre sie trotz ihres Wesens gerade ziemlich nutzlos. Was sie im Grunde wohl auch war, denn andernfalls würden sie nicht mehr hier in der Bibliothek hocken. Sie ließ den Kopf ein wenig hängen und wich seinem Blick damit aus, während sie auf ihrer Unterlippe herumkaute und mit ihren Fingern spielte.
“Ich wünschte, ich könnte uns hier herausholen, aber das, was ich kann, hilft uns leider recht wenig.”
Außer er hätte sich beim Tritt gegen den Snackautomaten den Fuß verstaucht. Dabei hätte sie durchaus etwas tun können, aber das half ihnen eben nicht dabei, einen Ausweg aus ihrer Situation zu finden. So wie es aussah, half das Snickers aber zumindest dem Schwarzhaarigen, der ihr in diesem Moment, als er den Riegel auspackte, noch viel mehr wie jemand aus der Werbung zu dieser Süßigkeit vorkam. Ein wenig peinlich war ihr die Aussage im Nachhinein aber schon. Vor allem, als sie merkte, dass er darauf nicht einging und lediglich nickte, während er das Essen genoss.
“Entschuldige, ich wollte dich damit keineswegs beleidigen.”
Wie schnell er aus der Haut fahren konnte, hatte sie ja bereits gemerkt, auch wenn sie hoffte, dass es lediglich an ihrer gerade etwas ausweglosen Situation und dem Frust über den Schokoriegel, der in dem Automaten festhing, lag. Im Moment schien er nämlich doch recht friedlich zu sein, nachdem er hatte, was er wollte. Aber hieß es nicht ohnehin, dass Männer, die Hunger hatten, unausstehlich sein konnten? Vor allem wenn sie dann nicht einmal das bekamen, was sie haben wollten, um daran etwas zu ändern. Viel Erfahrung hatte sie in diesem Punkt nicht, auch wenn es bei ihrem ehemaligen Schwager ab und an ebenfalls so war, aber er war auch allgemein ein wenig anders und vielleicht nicht unbedingt ein Vergleichswert, auch wenn sie seine Art dennoch mochte.
Bei der Erinnerung an ihn und auch an ihre Schwester, die er einfach hatte sitzen lassen, lehnte sie sich mit dem Rücken gegen die Seite des Automaten und verschränkte ihre Finger hinter ihrem Rücken. Wäre Lucy noch in New York, wäre es kein Problem hier herauszukommen, da sie somit jemanden gehabt hätte, den sie hätte anrufen können. Irgendwie hätte ihre Schwester sie schon hier herausgeholt, auch wenn ihre Spezialität eher in jeglicher Magie lag, die auf Feuer basierte. Einige Momente lang starrte Chelsea auf den Boden vor ihr und vergaß dabei fast, dass sie nicht alleine hier war. Erst als der andere ihre Frage bezüglich der Person, die er aus dem Krankenhaus geholt hatte, beantwortete, wurde ihre Aufmerksamkeit wieder zu ihm gelenkt. Wofür sie ihm insgeheim wirklich dankbar war, denn in so einem Augenblick wollte sie genau diesen Gedanken nicht nachhängen. Sie löste ihren Blick von der Stelle, die sie angestarrt hatte und schaute wieder zu ihm.
Irgendwie fand sie es süß, dass er sich solche Mühe gegeben und sich sogar in so einen peinlichen Fummel gezwängt hatte, um seinen Freund aus dem Krankenhaus zu holen. Dass er noch einmal beteuerte, er hätte keine andere Chance gehabt, als in diesem Aufzug, brachte sie beinahe dazu, ihn doch danach zu fragen, wieso er dieser Meinung war, doch sie hielt sich gerade so zurück, indem sie sich auf die Zunge biss. Eine andere Frage brannte ihr aber doch so sehr unter den Nägeln, dass sie diese nicht zurückhalten konnte.
“Aber wieso musstest du ihn überhaupt aus dem Krankenhaus holen? Er war dort in guten Händen und seine Verletzungen sahen wirklich schlimm aus. Umsonst lag er immerhin nicht auf der Intensivstation.”
Dass er schon weit besser aussah, als sie die beiden gesehen hatte, wie sie sich von der Station schlichen, war ihr aufgefallen, aber sie hatte es in diesem Augenblick auf ihre Magie geschoben. Manche reagierten darauf einfach besser als andere und immerhin heilte auch im Normalfall jeder unterschiedlich schnell. Jetzt im Nachhinein war es aber doch ein wenig seltsam, dass von seinen Verletzungen fast nichts mehr zu sehen war. Sie selbst hielt sich zurück, wenn sie mit ihrer Magie ein wenig nachhalf, denn es sollte nicht zu auffällig sein, was es in diesem Fall aber doch war.
Mit einem knappen Kopfschütteln gab sie ihm bereits eine Antwort auf seine Frage, während sie darüber nachdachte, wie viel sie ihm sagen konnte. Er war ebenfalls ein übernatürliches Wesen und ihre generelle Vorsicht warnte sie davor, ihm zu offenbaren, dass sie bis auf das Heilen nichts konnte. Andererseits wirkte er nun, da er zumindest zum Teil das bekommen hatte, was er wollte, doch sehr nett und nicht so, als würde er dieses Wissen ausnutzen. Dennoch senkte sie ein wenig den Blick, als sie ihm antwortete.
“Nein, ich habe ihn erst später gesehen. Immer wenn jemand neu auf die Station kommt, schaue ich nach der Person, wenn sie auf ihrem Zimmer liegt. In der Regel kommt man nur auf die Intensivstation, wenn es wirklich schlecht um einen steht und dadurch kommt es natürlich auch vor, dass Leute dort sterben. Ich versuche das allerdings zu verhindern, indem ich mit meiner Magie ein wenig nachhelfe. Wenn ich schon nichts anderes kann, als das, will ich damit zumindest etwas Gutes tun…”, wurde sie zum Ende hin ein wenig leiser, denn auch wenn sie sich damit abgefunden hatte, da sie daran nichts ändern konnte, gab es doch immer mal wieder Momente, in denen sie sich fragte, warum das so war. Gerade war dies allerdings nebensächlich. Vor allem als sie hörte, was der Schwarzhaarige noch sagte. Mit großen Augen sah sie zu ihm auf und sie öffnete bereits den Mund, um etwas zu sagen, doch sie ließ es und ließ sich stattdessen seine Worte durch den Kopf gehen.
“Das einzige, was ich an dem Tag mitbekommen habe, war, dass die Verletzungen deines Freundes ungewöhnlich schnell verheilt sind. Das hab ich so noch nie gesehen. Also zumindest nicht im Krankenhaus.”
Als sie nun aber genauer darüber nachdachte, wurde ihr mit einem Mal auch klar, warum der Schwarzhaarige ihn von der Station geholt hatte, denn hätten die Ärzte und Pfleger etwas davon mitbekommen, hätte es mit Sicherheit einen riesen Tumult darum gegeben, was sie zu einem ganz bestimmten Gedanken brachte.
“Er ist auch kein Mensch, oder?”
Anders konnte sie sich das Gesehene zumindest nicht erklären und dass es Wesen mit erhöhter Selbstheilung gab, war ihr nicht unbekannt.
“Ich denke aber nicht, dass ich das so einfach vergessen kann.”
Und das lag nicht nur an dem Anblick, der dem anderen Studenten unglaublich peinlich war, sondern weil es ihre Neugier weckte, in was die beiden hineingerutscht waren. Am liebsten würde sie ihn danach fragen, doch nach seiner Ansage war sie sich nicht sicher, ob er ihr darauf wirklich etwas sagen oder doch eher dicht machen würde. Aus diesem Grund unterdrückte sie den Drang danach, denn sie saßen hier eventuell noch einige Stunden fest und die wollte sie nicht mit einer angespannten Stimmung verbringen, nachdem sie nun so weit waren, normal miteinander zu reden. Etwas musste sie dazu aber doch noch los werden.
“Auch wenn du mir vermutlich nicht sagen willst, was da genau passiert ist, und es mich im Grunde auch nichts angeht… Falls ihr aber doch mal Hilfe bei etwas brauchen solltet, kannst du mich gerne fragen.”
Auf magischem Wege konnte sie zwar nicht viel machen, aber sie wollte es dennoch anbieten. Sie half nun einmal gerne und sie hatte das Gefühl, dass der andere es zumindest nicht so ausnutzen würde wie manch andere Personen in ihrem Umfeld, denen sie ihre Hilfe ebenfalls schon angeboten hatte. Auch wenn ein Engel von einer gehandicapten Hexe vielleicht gar nicht so viel Hilfe brauchte. Als sie erfuhr, was er war, weiteten sich ihre Augen ein wenig, denn damit hatte sie tatsächlich überhaupt nicht gerechnet. Seine Erklärung holte sie aus ihrer kurzen Starre aber wieder heraus und sie musste anfangen zu lachen.
“Nein, daran habe ich nicht gedacht, aber die Vorstellung wäre wirklich lustig”, brachte sie zwischen ihrem Lachen hervor und musste sich eine vereinzelte Träne aus dem Augenwinkel wischen, die sich dabei dort gebildet hatte. Es dauerte auch noch ein paar Augenblicke, bis sie sich wieder gefangen hatte.
“Flügel habt ihr aber schon oder?”
Bisher war sie noch nie einem Engel begegnet. Zumindest nicht bewusst, aber diese Frage hatte sie sich doch das eine oder andere Mal gestellt. Sehen konnte sie bei August - wie er sich vorstellte - keine, aber das musste an sich auch nichts heißen. Schließlich wäre es doch sehr auffällig, wenn diese dauerhaft zu sehen wären. Ein unauffälliges Leben als Student oder auch allgemein wäre damit unmöglich.
Chelsea stieß sich von dem Automaten ab, als er ihr die Hand entgegenstreckte, um diese Geste mit einem Lächeln kurz zu erwidern.
“Ich bin Chelsea.”
Auf die Frage, ob sie hier irgendwie doch noch herauskamen oder ob sie einen guten Schlafplatz in der Bibliothek kannte, wollte sie gerade antworten, als sie merkte, wie ihr Handy in der Hosentasche kurz vibrierte und in diesem Moment hätte sie sich am liebsten selbst in den Hintern getreten dafür, dass sie nicht schon viel eher auf diese Idee gekommen war. Schließlich hatte heutzutage doch jeder ein Handy und auch wenn sie selbst gerade niemanden hatte, den sie anrufen könnte, weil Sienna auf irgendeiner Party und somit nicht zu erreichen war, sah es bei August doch vielleicht ganz anders aus. Sie angelte ihr eigenes Handy aus der Hosentasche, um zu sehen, warum es überhaupt vibriert hatte, doch als sie den Grund dafür sah, seufzte sie.
“Nur noch 5%...”, murmelte sie und sah dann zu August hinüber. “Hast du vielleicht dein Handy dabei und könntest jemanden anrufen, der uns hilft? Das wäre jetzt zumindest das einzige, was mir noch einfallen würde.”
Vermutlich könnten sie auch die Polizei anrufen, aber eigentlich hatte sie doch keine Lust, den Beamten noch Rede und Antwort zu stehen, bevor sie nach Hause konnte. Zwar gab es unter ihnen einen, bei dem sie kein Problem damit hätte, aber zu ihrem Leidwesen musste sie gestehen, dass sie dessen Nummer nicht besaß und auch keine Ahnung hatte, ob er überhaupt gerade arbeitete.
Der viel zu süße Riegel, mit dem Karamell und den Nüssen, zeigte langsam seine Wirkung und August beruhigte sich mit jedem Bissen mehr und mehr. Unglaublich, wie eine einfache, ja fast schon Banalität, einen komplett umstimmen konnte, denn plötzlich empfand er es gar nicht mehr so schlimm in der dunklen Bibliothek gefangen zu sein. Natürlich wäre er viel lieber Zuhause gewesen und hätte sich an seinen Freund gekuschelt, der entweder irgendwo im Haus eingeschlafen war - August vermutete stark, dass es sich dabei um das Fensterbrett handelte - oder noch irgendetwas auf seinem Laptop machte, von dem August sowieso gar nichts verstand. Es war selten, dass Cris an Tagen wie diesen nachts noch hinausging, einfach um anwesend zu sein, wenn sein Freund nach Hause kam und es beruhigte den Engel immerhin auch zu wissen, dass er den anderen nicht irgendwo suchen musste.
“Schon gut. Ich bin einfach müde und möchte nach Hause. Kannst du sicher verstehen oder? Hier eingesperrt zu sein zählt nicht gerade zu meinen Top 5 Orten an denen ich schon immer sein wollte.” Die Top 5 beschränkte sich bei ihm sowieso stark auf Cris - wie zum Beispiel in Cris Armen, wenn er schlief. Ach, menno, er bekam wieder furchtbares Cris-Weh und dabei hatte er gehofft, dass die Schokolade half, das irgendwie zu unterdrücken, jedoch konnte diese nur bedingt zur Besserung seiner Laune beitragen.
Chelsea riss ihn zum Glück wieder erfolgreich aus den Gedanken und sie fragte sofort die Fragen, die er eigentlich versuchte zu meiden - oder eher versuchte - denn wäre sie ein Mensch gewesen, hätte er diese niemals ehrlich beantworten können und hätte sie im Glauben lassen müssen, dass er irgendeinen Schaden hatte, denn wer tauchte schon freiwillig in so einem Kostüm auf, nur um den Freund aus dem Krankenhaus zu entführen? Mal abgesehen davon, hätte er ihr das auch nicht erzählt, aber sie hatte es ja sowieso von selbst mitbekommen. Nächstes Mal, sofern es eines gab, musste er wirklich besser aufpassen. Das Kostüm hatte ihn selbst unvorsichtig handeln lassen, denn wäre er nicht damit beschäftigt gewesen, so schnell wie möglich einen Abflug durch das Krankenhaus zu machen, anstatt einfach aus dem Fenster zu klettern (das Kleid war so kurz, urgh!), dann hätten sie sich sehr viel unerwünschte Aufmerksamkeit erspart. Nicht als ob Chelsea jemand wäre, den er nicht mochte, aber bei solchen Aktionen war es immer besser so wenige Augenzeugen - nämlich gar keine - zu haben. Chelsea beantwortete sich im Grunde alle ihre Fragen selbst, sie war dabei unheimlich geschickt und strategisch und erriet sogar, dass es sich bei dem damaligen Patienten um keinen normalen Menschen handelte. Wirklich klug, die Kleine. “Du bist clever.”, sprach er seinen Gedanken aus und warf die Verpackung des Riegels in den Eimer, der gleich daneben stand, bevor er sich über die Mundwinkel wischte, um sie von den Schokoresten zu befreien “...aber du solltest mit deinem Wissen echt aufpassen. Wenn du bei den falschen Leuten zeigst, wie schnell du Handlungsstränge zusammenfügen kannst, dann wird es dir noch zum Verhängnis. Am besten ist es immer noch sich einfach dumm zu stellen.” Er sprach da immerhin aus Erfahrung. Jetzt gerade mochte die andere vielleicht nicht in Gefahr sein, denn sie hatte Glück und war “nur” an einen Engel geraten, aber man stelle sich nur vor, sie hätte ihre Gedanken mit einem anderen, viel heimtückischeren Wesen geteilt. “Mein Freund ist ein Dämon.”, antwortete er nur kurz und hoffte, dass das einige ihrer Fragen klärte. Dass sie Cris geheilt hatte, ließ ihn eine Augenbraue heben. Nicht unbedingt nötig - Cris’ Regeneration wurde immer besser - aber dennoch sehr freundlich von ihr. Im Allgemeinen hatte August den Verdacht, dass es sich bei der Hexe um eine viel zu nette junge Dame handelte. “Genaue Informationen kann ich dir nicht geben. Wieso, weshalb und warum. Das verstehst du bestimmt. Wir haben ein wenig Dreck am stecken und du scheinst mir viel zu nett, als das ich dich in so eine Sache hineinziehe. Es ist eben das typische Engel und Dämonen-Gezanke.”, sagte er und zuckte mit der Schulter. Typisch war natürlich nicht ganz richtig, wenn man bedachte, dass er 1. Mit einem Dämon zusammen war und 2. Gegen einen anderen Engel kämpfen wollte. Und da dachte man wirklich, man habe schon alle möglichen Kombinationen gesehen!
“Freut mich dich kennen zu lernen, Chelsea. Und natürlich habe ich Flügel! Die sind allerdings für das Wohl der Allgemeinheit versteckt und kommen glücklicherweise nur selten zum Einsatz. Und selbst dann kann sie nicht jeder sehen.” Ob die Hexen sie sehen konnten, wusste er gar nicht, aber bei Dämonen war er sich zu hundert Prozent sicher gewesen. Eigentlich eine Schande, auch wenn er es bei Cris nicht schlimm fand, dass er sie sehen konnte, wenn August sie mal zeigte.
Von dem Engel-Thema kamen sie sehr schnell zu etwas, mit dem er sich nur bedingt auskannte: Handys. Dass diese Dinger in den ungünstigsten Momenten nicht funktionierten, war mal wieder so typisch! “Nein, ich besitze sowas nicht. Bis jetzt bin ich mit meiner himmlischen Intuition ganz gut zurecht gekommen.”, gab er zu und sah sie entschuldigend an. So ein Mist aber auch. Wieso waren sie nicht schon früher darauf gekommen dieses Ding zu verwenden? “Aber ich kann die Nummer meines Freundes auswendig! Wenn die Energie deines Handys also noch reicht, kann ich ihn anrufen und er kann uns holen. Außer du hast jemanden, der ebenfalls hier auftauchen kann.”, schlug er vor und sagte sich in Gedanken die Nummer seines Freundes auf, die er seit seinem letzten Auftrag auswendig konnte, hatte er ihn doch nach der fehlgeschlagenen Mission versucht von einer Telefonzelle aus anzurufen, um zu sagen, dass er bald Zuhause wäre. Jedoch hatte er damals nicht abgehoben und der Grund dafür war dann auch der Auslöser für ihr ganzes damaliges Schlamassel gewesen. Ein Glück, dass es ihm jetzt besser ging.
“Darf ich?”, fragte er und streckte die Hand aus, damit sie ihm das Handy geben konnte. “Es ist besser als nichts und vielleicht haben wir ja Glück.” Selbst wenn Cris gerade schlief, würde er zumindest die Nummer sehen und er schätzte seinen Freund als sehr clever ein, die Nummer im Notfall zu orten.

Chelsea Shadowhawk

Natürlich konnte sie es verstehen, dass der andere einfach nur nach Hause wollte. Sie selbst wäre gerade lieber dort - ganz egal, wie angenehm Augusts Gesellschaft auch war und egal, wie einsam sie sich dort auch fühlte. Oder zumindest wäre sie gerne an einem anderen Ort, als der verschlossenen Bibliothek, denn die Müdigkeit konnte sie trotz ihres Nickerchens langsam wieder in sich aufsteigen spüren. Es gab einfach zu viele Nächte in der letzten Zeit, in denen sie kaum oder nur sehr schlecht geschlafen hatte und irgendwie sehnte sie sich danach, einfach mal wieder eine Nacht durchzuschlafen, ohne ständig munter zu werden oder gefühlt stundenlang wach zu liegen. Sie konnte es also sehr gut nachvollziehen, dass August diese Situation nicht gerade zu seinen liebsten zählte.
“Mach dir keinen Kopf. Ich verstehe das gut. Und jeder geht nun einmal anders mit so einer Situation um.”
Dass er sie sozusagen bedroht hatte, nahm sie ihm schon gar nicht mehr übel, nachdem er sich nun beruhigte und sie mitbekam, wie er wirklich war. Immerhin war das hier eine Ausnahmesituation, in der man schon einmal ein wenig überreagieren konnte. Und zudem war sie nicht nachtragend genug, um ihm das vorzuhalten. Es gab weit schlimmeres, was er hätte tun können, als ihr zu drohen. Vor allem nachdem sie nun wusste, dass es sich bei ihm um einen Engel handelte, auch wenn selbst ein Mensch einiges mehr hätte anrichten können. Die Tatsache, dass er ein Engel war, verblüffte sie allerdings immer noch ein wenig. Sie hatte sich diese Wesen einfach ein wenig anders vorgestellt. Groß, imposant, auffällig und nicht klein - wenn auch größer als sie - eher schmächtig und im unterzuckerten Zustand ein wenig mies gelaunt. Galten Engel in der Regel nicht als gütig und hilfsbereit? Nun gut, ob dies beides nicht auch auf August zutraf konnte sie nicht sagen. Dafür kannte sie ihn immerhin nicht gut genug. Dass er ein wenig seltsam war, wusste sie hingegen schon. Zumindest kam er ihr wegen der Sache mit dem Krankenschwestern Outfit und seiner Beteuerung, er habe keine andere Möglichkeit gehabt, zu seinem Freund zu kommen, so vor. Darüber aufklären, dass er das nicht gebraucht hätte und das Thema somit erneut in diese Richtung lenken, wollte sie allerdings nicht. Peinlich genug war es ihm so schon und das wäre es sicherlich noch mehr, wenn er wüsste, dass er es überhaupt nicht gebraucht hätte.
Seine Aussage irritierte sie allerdings wieder ein wenig und sie schaute ihn verwundert an.
“Wie meinst du das?”
Erst im Nachhinein wurde ihr bewusst, was er ihr damit versuchte zu sagen. Hatte sie die Sache mit seinem Freund und der Tatsache, dass dieser kein Mensch war, eben noch schnell kombiniert, brauchte ihr Gehirn gerade scheinbar ein wenig länger, um es zu begreifen. Natürlich war es mitunter gefährlich, zu zeigen, wie gut man Dinge kombinieren konnte. Das war schon immer eine ihrer großen Stärken, was ihr damals während der Schule und auch jetzt im Studium oft weiterhalf, weil sie Sachen schneller verstand, bei denen andere länger brauchten. Somit lief sie allerdings auch Gefahr vielleicht hinter Sachen zu kommen, deren Wissen nicht für sie bestimmt war. Insgeheim war ihr dies bewusst, aber bei so etwas war ihr Mund dann mitunter einfach schneller als ihr Verstand sie aufhalten könnte. Beinahe ertappt wandte sie daher den Blick wieder von ihm ab und richtete ihn erneut auf den Boden vor sich.
“Du hast recht. Mich dumm zu stellen ist jedoch nichts, was mir liegt”, sagte sie leise, denn wenn man es genau betrachtete, führte diese Eigenschaft in Kombination mit ihrer Hilfsbereitschaft gerne einmal dazu, dass beides ausgenutzt wurde. Und obwohl sie dies wusste, konnte sie doch irgendwie nichts dagegen tun, was ihr Angebot gegenüber August wieder einmal einwandfrei unter Beweis stellte.
Noch viel mehr, als die Erkenntnis, dass der andere ein Engel war, überraschte sie nun jedoch das Geständnis, dass sein Freund ein Dämon wäre. Ihr klappte der Mund auf und sie schaute zu ihm, doch sie wusste überhaupt nicht, was sie dazu sagen sollte. Dass der Patient im Krankenhaus kein Mensch war, hatte sie schon herausgefunden, aber dass er ausgerechnet das komplette Gegenteil des anderen Studenten war, verblüffte sie vollkommen. Chelsea blinzelte ein paar Mal und versuchte ihre Stimme wiederzufinden, die ihr abhanden gekommen war.
“Ähm… Wow… Damit habe ich nun so gar nicht gerechnet. Aber… Wie geht das überhaupt? Ich dachte Engel und Dämonen wären verfeindet.”
Was er selbst kurz darauf bestätigte, als er davon sprach, dass sie in das typische Engel-Dämonen-Gezanke geraten waren. Dass sie keine genaueren Informationen bekommen konnte, war ihr somit bewusst und es ging sie auch nichts an. Zudem konnte sie somit noch viel weniger bei diesem Problem helfen - was jedoch nicht hieß, dass sie es bei anderen Dingen auch nicht konnte. Daher schüttelte sie den Kopf und lächelte ihn leicht an.
“Das ist mir bewusst. Es ging auch eher um alltäglichere und weniger gefährliche Dinge. Aber so typisch scheint euer Problem auch nicht zu sein, oder? Also zumindest denke ich das, wenn dein Freund ein Dämon ist.”
Die Sache mit den Flügeln fand sie wirklich interessant, auch wenn es ein wenig enttäuschend war, dass nicht jeder sie sehen konnte, selbst wenn er sie zeigte. Ob sie selbst zu diesem exklusiven Kreis gehörte, der sie sehen könnte, wusste sie nicht, aber wenn sie anders als andere Hexen nicht einmal in der Lage war, die Wesen in ihrer Umgebung zu spüren, war dies wohl auch nicht möglich.
“Schade eigentlich, dass sie nicht jeder sehen kann, auch wenn es sicher verständlich ist. Sie sehen aber bestimmt toll aus.”
In Gedanken stellte sie sich diese groß und schneeweiß vor, wie man das eben von Abbildungen kannte. Gleichzeitig schob sich aber auch noch ein ganz anderes Bild vor ihr inneres Auge und somit vor das Bild der Flügel: Noel. Als ihr das bewusst wurde, schüttelte sie den Kopf und verscheuchte diesen Gedanken. Wie hoch war schon die Wahrscheinlichkeit, dass sie innerhalb kürzester Zeit auf zwei Engel traf, auch wenn die beiden Eigenschaften, an die sie kurz zuvor noch gedacht hatte, auf ihn zutrafen? Zumindest hilfsbereit musste er alleine schon durch seine Arbeit sein und viele andere Wesen, wie auch Menschen, besaßen diesen Charakterzug.
Zu ihrem Glück lenkten ihr Handy und auch August sie gekonnt von diesem Bild in ihrem Kopf ab, als der andere meinte, er hätte selbst keins dieser Geräte. Dabei hätte Chelsea nicht damit gerechnet, dass es heutzutage noch Leute gab, die keines ihr Eigen nannten. Aber vielleicht war das bei einem Engel auch gar nicht nötig. Über welche Fähigkeiten er verfügte, wusste sie immerhin nicht. Bei seiner indirekten Frage schüttelte sie ein weiteres Mal den Kopf.
“Nein, leider nicht. Die einzige, die kommen könnte, ist im Moment vermutlich schon nicht mehr ganz nüchtern und achtet nicht auf ihr Handy, wenn sie feiern ist”, erwiderte sie ihm mit einem leicht bitteren Lächeln. Was das betraf, war Sienna eben nicht unbedingt die zuverlässigste. Nicht, wenn sie gerade auf einer Party war. Es erleichterte sie allerdings, dass August zumindest die Nummer seines Freundes kannte, was heutzutage auch nicht mehr alltäglich war, da man sie nun einmal nur ins Handy einspeicherte und anschließend in den Kontakten nur noch nach dem Namen suchen musste. Somit hieß es nur noch hoffen, dass der Dämon auch ans Handy ging und der Akku ihres eigenen solange noch durchhielt, bis er wusste, wo sie sich befanden und was passiert war. Um nicht noch mehr Zeit und damit Akkuleistung zu verschwenden, hielt sie ihm das Handy entgegen, damit dieser anrufen konnte.
“Ich hoffe nur, dass er uns auch hier rausholen kann. Schließlich ist die Tür immer noch durch die Automatik verschlossen.”
Und genau dabei hätte auch Sienna ihnen nicht weiterhelfen können, selbst wenn Chelsea sie hätte anrufen und informieren können.
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