Wind Beyond Shadows

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Akiharu Sasaki

Hoffnung und Stärke.
Dies waren zwei Dinge, die in Akiharus Leben nicht existierten - oder besser gesagt, nicht existieren durften. Und doch symbolisierten die zwei kleinen Anhänger in Form von zwei Blumen, die an einem silbernen Charmarmband hingen, das er vor ein paar Minuten von Elea erhalten hatte, genau diese beiden Dinge.
Er konnte gar nicht beschreiben, wie überrascht er war, als die junge Angestellte auf ihn zukam, während er unschlüssig vor seinem Zimmer stand und mit sich haderte, ob er hineingehen sollte oder nicht, obwohl es keine wirkliche Wahl für ihn gab. Sie wirkte eingeschüchtert und zaghaft. Von ihrer souveränen und professionellen Art, die sie zuvor an der Eingangstür gezeigt hatte, war nichts mehr zu sehen. Stattdessen schien sie nicht sicher zu sein, ob sie das, was sie tun wollte, überhaupt tun durfte. Es war den anderen keineswegs verboten, mit ihm zu reden, auch wenn er es dennoch weitestgehend vermied. Jeder in diesem Anwesen wusste, was er durchmachte - zumindest theoretisch - und doch gab es niemanden, mit dem er darüber reden konnte oder würde. Vielleicht lag es an diesem Abstand, der sie unsicher machte oder doch eher an den möglichen Strafen, wenn etwas falsches gesagt wurde.
Akiharu wusste selbst nicht, was er sagen sollte, denn alleine ihr Auftauchen bei ihm, überrumpelte ihn. Was sie nach einigen weiteren Momenten des Zögerns aus ihrer Hosentasche holte und ihm überreichte, tat dies jedoch noch viel mehr.
"Da, wo ich herkomme, stehen die beiden Blumen für Hoffnung und Stärke. Man schenkt sie jemandem, der beides gut gebrauchen kann. Es wird dort gesagt, dass man am Ende des Tages nur Hoffnung und Stärke braucht. Hoffnung darauf, dass es besser wird und die Stärke durchzuhalten, bis es so weit ist."
Ein schüchternes Lächeln erschien auf ihren Lippen, die sie kurz darauf befeuchtete, bevor sie widersprach.
"Ich hoffe, dass es dir vielleicht ein wenig hilft."
Direkt danach war sie wieder verschwunden und hatte ihn mit dem Armband in seiner Hand zurückgelassen, um keinen Ärger zu bekommen, da es für den heutigen Abend noch mehr als genug zu tun gab.
Der heutige Abend…
Sein Blick wanderte bei diesem Gedanken in Richtung seines Bettes, dessen Ende er von seiner Position an der Tür gut sehen konnte, obwohl sein kleines Reich im Gegensatz zu allen anderen aus mehreren Räumen bestand. Es war ein seltsames Privileg, das Xaldin ihm für seine Arbeit einräumte. Die Kleidung für genau diese Arbeit lag bereits parat, wie es der ältere gesagt hatte. Von weitem erkannte er eine dunkle Stoffhose und ein weißes Hemd. Als er sich ein wenig nach vorn beugte, trat noch weitere Kleidung zutage, die er jedoch nicht identifizieren konnte.
Sofort meldete sich ein gewohnt unwohles Gefühl in seinem Magen, von dem er wusste, dass sich dieses über den Abend hinweg noch verschlimmern würde. Gleichzeitig ging ein Zittern durch seinen Körper, denn ganz egal, um was für Kleidung es sich auch handelte, die für den Abschluss und den wichtigsten Teil seiner Arbeit bestimmt war, am Ende sah das Resultat immer gleich aus. Bei der Vorstellung und der Erinnerung an die anderen Male, die mal mehr, mal weniger nur verschwommen existierten, hob sich sein Magen. Akiharu schlug beide Hände vor den Mund und beugte sich ein wenig nach vorn. Neben sich hörte er ein leises Winseln und spürte einen warmen Körper an seinen Beinen. Sayuri sah ihn beinahe mitfühlend an, doch in diesem Augenblick konnte er nicht darauf eingehen. Die Übelkeit blieb noch für mehrere Sekunden, bis er sie zurückdrängen konnte. Er presste die Augen zusammen, versuchte sich dazu zu zwingen, nicht mehr daran zu denken - was äußerst schwer war, wenn man bedachte, dass genau dies sein schlimmster Alptraum war und ihn Tag und Nacht nicht in Ruhe ließ.
Seine Hündin schien zu warten, setzte sich so nah es ging, neben ihn, um ihm die Gewissheit zu geben, dass sie da war und er konnte nicht sagen, wie dankbar er ihr dafür jetzt und auch all die anderen Male war.
Als das Gefühl endlich abflachte, nahm er die Hände weg, ging in die Knie zu Sayuri und legte beide Arme um sie. Für weitere Sekunden tat er nichts anderes als ihren Geruch einzuatmen, der ihn erdete und beruhigte.
"Danke, Sayu-chan. Und bitte pass in Xaldins Nähe auf. Ich… ich könnte es nicht ertragen, dich zu verlieren", murmelte er leise in ihr Fell, während ihm alleine die Vorstellung das Herz zusammenschnürte.
Er lebte in einem wahren Alptraum. Mit jedem Tag wurde ihm dies mehr bewusst. Wie sollte er da die Hoffnung finden, dass alles einmal besser wurde, und die Stärke haben, all dies noch länger zu ertragen, wo er doch mit jedem Mal, wenn ihm vor Augen geführt wurde, dass er sich selbst nicht mehr gehörte, mehr das Gefühl bekam, daran zu zerbrechen?
"Ich kann das nicht mehr, Sayu."
Akiharu krallte sich in ihr Fell, bis sie leise wimmerte. Sofort ließ er locker, strich ihr entschuldigend über die Stelle, ließ sie aber dennoch nicht los. Dabei wusste er ganz genau, dass ihm die Zeit davon lief. Er musste sich fertig machen. Eine weitere Verspätung würde Xaldin nicht dulden und auch wenn er für dessen Geschäfte wichtig war, konnte er sich nicht allzu viele Fehler erlauben. Dass er heute so glimpflich davon kam, hatte er nur Nazar und dessen Lüge zu verdanken. Wobei er sich noch immer fragte, warum dieser ihn in Schutz genommen hatte…
Ein Klopfen an der Tür schreckte ihn auf und ließ nicht zu, dass er sich weitere Gedanken darüber machte. Bevor er diese jedoch öffnete, wanderte sein Blick zu Sayuri, um deren Reaktion zu sehen. Es gab Personen in diesem Anwesen, denen sie weniger feindlich gegenüber reagierte. Elea gehörte dazu, der sie beinahe freundlich gesinnt schien und er vertraute ihrem Urteil - auch wenn es seltsam klang, einem Hund in dieser Hinsicht zu vertrauen.
Seine Akita-Hündin blieb allerdings ruhig, weshalb er kurz durchatmete, sich von ihr löste und anschließend die Tür einen spaltbreit öffnete. Verwundert sah er zu dem jungen Dienstmädchen, an das er eben noch gedacht hatte und dem es sichtlich peinlich war, ihn schon wieder zu behelligen, nachdem sie ihm erst das Armband geschenkt hatte.
"Ich… habe hier neue Handtücher für dich", murmelte sie und deutete auf das, was sie in den Händen hielt. Akiharu sah von ihrem Gesicht weiter hinab zu den Handtüchern und öffnete die Tür noch ein Stück weiter, um sie ihr abzunehmen.
"Dankeschön", gab er lediglich als Antwort, woraufhin er ein Nicken erhielt. Elea wirkte, als wollte sie noch etwas sagen, doch sie entschied sich dagegen, verbeugte sich kurz vor ihm und verschwand anschließend wieder. Einen Moment lang sah er ihr noch nach, fragte sich, was ihr noch auf der Zunge lag, bevor ihn das Gewicht in seinen Händen daran erinnerte, was er zu tun hatte.
Mit sich hadernd schloss er die Tür und blickte zu Sayuri, die seinen Blick erwiderte, als wüsste sie genau, was in ihm vorging, ohne dass sie ihm helfen konnte. Sie legte sich vor ihm auf den Boden, winselte leise, fast entschuldigend, ohne dass er wusste, ob er das in diesem Moment richtig interpretierte, denn eigentlich war es doch unmöglich, dass sie diese Situationen richtig deutete, oder? Jedoch gab es schon so viele Momente, in denen er das Gefühl hatte, dass sie beinahe menschlich reagierte - so verrückt das auch klang.
Bei diesem Gedanken schüttelte er den Kopf, denn das war tatsächlich verrückt. Sayuri war einfach empfänglich für seine Stimmungen und vermutlich kamen derartige Abende einfach schon viel zu oft vor, sodass sie wusste, was geschehen würde. Dennoch streichelte er sie beruhigend, schindete so noch ein wenig mehr Zeit, bevor er sich gezwungenermaßen seinen Vorbereitungen zuwenden musste.

Das warme Badewasser, das sich Akiharu wenig später eingelassen hatte, umhüllte ihn wie eine angenehme und schützende Decke. Er ließ sich so tief darin sinken, bis er beinahe die Luft anhalten musste. Lediglich ein Stück seines Kopfes und seine Knie schauten aus dem Wasser heraus, da die Badewanne selbst für seine Größe nicht groß genug war, um sich komplett hineinlegen zu können. Doch das störte ihn nicht. Die große Menge an Badeschaum, die auf der Oberfläche trieb, versteckte ihn zusätzlich und gab ihm das Gefühl, sicher zu sein. Als könnte ihm hier niemand etwas antun. Was im Grunde nicht ganz falsch war. Bislang hatte ihn niemand in seinen eigenen vier Wänden direkt verletzt.
Wirklich sicher war er dennoch nicht, denn nicht nur Xaldin schaffte es immer wieder, ihn indirekt auch hier zu quälen. Sein eigener Körper tat dies bereits, wenn er ihn unbedeckt zu Gesicht bekam und dabei die Spuren sah, die die Zeit bei dem Vampir bereits an ihm hinterlassen hatte.
Xaldin war ein Vampir…
Mit einem Mal wurde ihm dieser Umstand wieder bewusst. Trotz des eigentlich viel zu heißen Wassers um ihn herum, begann er zu frösteln - eine Reaktion, die nichts mit der Umgebungstemperatur zu tun hatte. Ruckartig setzte er sich auf, schlang die Arme um die Beine und versuchte sich auf diese Weise klein zu machen, obwohl niemand bei ihm war, der ihm etwas tun könnte. Dennoch hatte er das Bedürfnis danach.
Nie im Leben hätte er gedacht, dass es sich bei Xaldin um einen Vampir handelte. Um dasselbe Wesen wie Milou. Doch das war auch das einzige, was beide gemeinsam hatten, denn sie trennten Welten. Der ältere war sein Alptraum auf zwei Beinen, ein Monster, das ihn Tag für Tag weiter zerstörte, während sie das komplette Gegenteil war. Milou war seine beste Freundin, seine kleine Schwester, in der er niemals ein Monster sehen könnte. Selbst nicht an dem Tag, an dem sie vor seinen Augen jemanden tötete.
Die Erinnerung daran schlich sich in seinen Kopf, genauso wie der Schock darüber, dass sie dazu tatsächlich in der Lage war. Und dennoch war diese Tat nichts im Gegensatz zu dem, was Xaldin tat. Sie hatte ihn beschützt, ihm das Leben gerettet, während der Geschäftsmann es immer weiter ruinierte.
Doch nun da Akiharu wusste, was der andere war - obwohl er es noch immer nicht realisieren konnte, weil ihm nie etwas aufgefallen war - wollte er noch viel weniger, dass Milou in seine Nähe kam. Nicht noch einmal. Bereits der Besuch im Restaurant, in dem sie gekellnert hatte, war vollkommen ausreichend. Und dabei wusste er bis zu diesem Zeitpunkt nicht einmal, dass Xaldin zu noch sehr viel mehr fähig war, als er glaubte. Sein Wunsch, sie von ihm fernzuhalten, bedeutete im Umkehrschluss aber auch, dass er nicht aufgeben durfte und durchhalten musste. Wenn er aufgab, wusste er nicht, was Milou tun würde und genau das machte ihm Angst.
Gemeinsam mit dem Gedanken daran, dass es sich bei Xaldin um einen Vampir handelte, kam ihm auch wieder in den Sinn, dass es auch an seiner Schule nicht nur Menschen gab. Seit der Enthüllung seiner besten Freundin, war ihm bewusst, dass er sich dessen niemals sicher sein konnte und obwohl er es bei ihr verdrängte, was sie war, da es für ihn keine Rolle spielte, ob sie ein Mensch oder etwas anderes war, hatte er seine Umgebung doch sehr viel genauer im Auge gehabt. Er hatte sich gefragt, ob es ihm wohl auffiel, wenn jemand anders war. Der heutige Vorfall in der Schule hatte ihm deutlich bewiesen, dass dem nicht so war. Weder bei Ben noch den anderen hätte er vermutet, dass diese Werwölfe waren.
Akiharu schlang seine Arme noch enger um seine Knie, zog diese näher an seinen Körper und ließ die Stirn darauf sinken, während er seine Fingernägel in seine Haut krallte. Er wusste nicht, wie er sonst mit all den Informationen umgehen sollte, die er heute erhalten hatte. Hinzu kam, dass noch immer die Angst in seinem Magen saß, dass Xaldin herausbekam, dass Nazar ihn belogen hatte. Ein Fakt, der ihn zusätzlich beschäftigte, da er sich nicht erklären konnte, warum dieser ihn in Schutz genommen hatte, indem er sein Fehlverhalten verschwieg.
Tief in seinen Gedanken versunken, hörte er das Klopfen an der Tür genauso wenig wie Nazars Stimme. Lediglich Sayuris Bellen drang gedämpft an seine Ohren, doch auch dieses half nicht dabei, ihn ins hier und jetzt zurückzuholen, um darauf reagieren zu können. Stattdessen vergrub er seine Nägel tiefer in seinen Oberschenkeln, bis es leicht blutete, während er ebenfalls tiefer in seinen Gedanken versank.

Nazar

Noch bevor Xaldin etwas sagen konnte, was seine Lüge betraf oder sich dazu entschied, ihn doch zu bestrafen, wandte sich Nazar ab und verließ das Büro. Auf dem Flur atmete er ruhig durch, wandte sich dann in die Richtung, in der sein Zimmer lag und lief den Flur entlang. Die Lampen an den Wänden erhellten diesen nur minimal, aber er gewöhnte sich schnell an die fehlende Helligkeit.
Als er gerade um eine Ecke laufen wollte, blieb er wie angewurzelt stehen, als er sah, wie eines der Dienstmädchen mit Akiharu sprach. Sie überreichte ihm etwas und er blieb vollkommen verwirrt damit zurück, als das Mädchen ihrer Aufgabe nachging. Kurz war er versucht, herauszufinden, was Akiharu bekommen hatte, aber angesichts der Geschehnisse in der Schule, wollte er dem Jungen etwas Ruhe geben.
Nachdem er sich einige Zeit in seinem Zimmer zurückgezogen hatte, sich überlegte, wie er die Nacht zu seinem persönlichen Tag machen konnte, stand er wieder auf, schaltete den Laptop aus und richtete seine Kleidung. Er glättete das Hemd, zog das Jackett zurecht und prüfte, ob die silberne Schnalle seines Gürtels genau in der Mitte war.
Auf dem Weg zu Akiharus Zimmer glitten seine Gedanken wieder zurück zu dem, was er die ganze Zeit getan hatte. Er hatte überprüft, wo diese Typen aus Akiharus Klasse lebten, sich einen Plan gemacht, wie die Umgebung aussah und wie er am besten vorgehen konnte. Er wusste, dass er nur eine Chance hatte und diese nutzen musste. Vor allem musste er schnell sein und durfte die eigene Deckung nicht außer Acht lassen.
Nur wenige Augenblicke später stand er vor der großen Tür, die ihm den Weg zu Akiharus Zimmer versperrte. Er atmete noch einmal tief durch, prüfte, ob seine Waffe versteckt unter dem Jackett an seiner Hüfte hing und klopfte.
Stille.
Kein Laut war hinter der Tür zu vernehmen.
"Es wird Zeit..."
Also klopfte er ein weiteres Mal.
Jetzt erklang das Bellen von seiner Hündin, die Xaldin nicht leiden konnte. Doch bisher hatte er immer Nachsicht walten lassen. Doch da der Vampir Akiharu mochte, ließ er ihm die Freiheit, den Hund zu behalten.
Nazar hingegen war froh, dass der Hund an Akiharus Seite war, so dass dieser nicht unbedingt alleine war. Vor all den Jahren, als er hierher gekommen war und von Xaldin gerettet wurde, hatte er jede Emotion und jedes Gefühl verbannt und hatte sie unter der Maske, die er tagtäglich trug, verborgen.
Doch seitdem Akiharu hier lebte, hatte er festgestellt, dass der Junge ihm mehr unter die Haut ging, als er geglaubt hatte. Jedes Mal, wenn er ihn abholte, damit er die Gäste von Xaldin versorgen konnte und ihnen für gewisse ... Dinge zur Verfügung stand, wuchs die Wut in seinem Inneren weiter an.
"Akiharu?", fragte er gegen die Tür, drückte die Klinke nach unten und stellte fest, dass es nicht abgeschlossen war.
Langsam bahnte er sich einen Weg ins Innere, sah die Hündin an, die den Raum lautstark mit dem Bellen beschallte und zog eine Augenbraue nach oben.
"Beruhige dich. Ich will nur nach ihm sehen", sagte er zum Vierbeiner und sah sich im großzügigen Raum um.
Auf dem Bett lagen frische Sachen, im Wohnbereich war alles unberührt und nichts deutete daraufhin, dass Akiharu sich dort befand. Also nahm Nazar an, dass er im Bad war. Langsam ging er auf die nächste geschlossene Tür zu, klopft auch dort an und als erneut kein Zeichen kam, dass er eintreten durfte, erlaubte er es sich einfach selbst und öffnete auch diese Pforte.
Er hätte nie gedacht, dass sein Herz in einer Ruhephase so schnell schlagen konnte, aber was er zu sehen bekam, war nicht gerade das, was er sich erhofft hatte. Kurz hatte er darüber nachgedacht, ob Akiharu vielleicht beim Baden eingeschlafen war und noch in der Wanne lag...
Aber nicht ... das!
Akiharu saß aufrecht im Wasser, die Arme um die Beine geschlungen, der Kopf auf die Knie gebettet und die Fingernägel gruben sich tief in die Haut seiner Oberschenkel. Blut trat aus den kleinen Wunden und begannen das Wasser rötlich zu verfärben. Wie lang saß der Junge schon hier, ohne etwas anderes zu tun, als sich selbst zu verletzten?
So schnell ihn seine Beine trugen, verringerte Nazar die Distanz zur Badewanne, berührte Akiharu an der Schulter und rüttelte ihn leicht.
"Hey... Alles okay bei dir?", fragte er ruhig.
Doch er bekam keine Antwort, keine Reaktion und so sah sich Nazar nach einem Handtuch um, fand aber keines, was er um den Körper des Jungen legen konnte und seufzte. Aber ihm fiel ein, dass er eines im Schlafzimmer gesehen hatte. Es lag auf dem Bett.
Eilig richtete er sich auf, lief dorthin und holte das weiche Tuch, um Akiharus Körper darin einzuwickeln, nachdem er ihn aus dem Wasser gehoben hatte. Kaum hatte er die Schenkel von Akiharu auf seinem Unterarm liegen, hievte er den Jungen aus dem Wasser, wickelte ihm das Handtuch um den Körper und trug ihn aus dem Badezimmer.
"Es ist alles gut... Ich bin hier... Dir wird nichts geschehen..."
Die Wanne würde er später vom Wasser befreien. Ein weiteres Handtuch legte er Akiharu auf die dunklen Haare, so dass er diese später ebenfalls abtrocknen konnte.
Es dauerte nur einige Sekunden bis er Akiharu auf das Bett setzte, ihn enger in das Handtuch wickelte und ihm die Haare trocknete. Als er das Handtuch einfach auf seinen Schultern liegen ließ, kniete sich Nazar vor ihn und sah ihn an.
"Rede mit mir... Was ist los? Was bedrückt dich?", entwich es ihm leise. "Wie soll ich dir helfen, wenn ich nicht weiß, was ... das Problem ist?"
Mit einem Mal fühlte er sich vollkommen hilflos, obwohl er bisher in jeder Situation wusste, was er tun musste. Aber jetzt... Jetzt wusste er es nicht. Er hatte keine Ahnung, wie er Akiharu aus dieser Trance befreien konnte...

Akiharu Sasaki

Gedanken waren ein äußerst komplexes Konstrukt. Sie waren vielschichtig und man konnte sie weder als rein gut oder rein böse beschreiben. Sie waren beides und dann doch wieder nichts davon. Sie waren das, was sie in diesem Moment für die Person waren, die sie hatte, und das, was diese daraus machte. Sie konnten einen aufmuntern, einen zum lächeln oder sogar lachen bringen, wenn es positive Gedanken waren. Doch sie konnten einem auch den Boden unter den Füßen wegreißen und einen in den tiefsten Abgrund ziehen, bei dem man dachte, man würde nie wieder einen Weg heraus finden.
Genau so erging es Akiharu. Es war einfach viel zu viel auf einmal, um von seinem Kopf verarbeitet zu werden.
Die Jungs aus seinem Jahrgang wussten, was er tat und wollten es für sich selbst nutzen...
Zudem waren sie Werwölfe, ohne dass er auch nur einen Verdacht hatte, sie könnten etwas anderes als Menschen sein…
Xaldin war ein Vampir und vermutlich uralt, wenn er mitunter daran dachte, welche Dinge aus der Geschichte er wusste, als wäre er live dabei gewesen…
Und Nazar…? Er hatte ihm geholfen, hatte für ihn gelogen und damit womöglich eine harte Strafe riskiert, obwohl er niemanden kannte, der sonst loyaler zu Xaldin stand als er.
Und was bedeutete es für Milou, dass es sich bei dem Geschäftsmann um einen Vampir handelte, wo sie doch noch immer felsenfest davon überzeugt war, es mit ihm aufnehmen zu können?!
Wobei es wohl bei Letzterem nicht viel änderte, außer dass er noch sehr viel weniger wollte, dass seine beste Freundin noch tiefer in diese ganze Sache mit hineingezogen wurde. Bei ihrem letzten Aufeinandertreffen hatte er ihr geglaubt, dass sie rein körperlich gegen ihn bestehen konnte und ihm überlegen war. Immerhin hatte er mit eigenen Augen gesehen, zu was sie fähig war. Doch war Xaldin niemand, der sich selbst die Hände schmutzig machte, wenn es nicht zwingend sein musste. Er zog lieber wie ein Marionettenspieler die Fäden im Hintergrund und ließ seine Puppen derartige Arbeit erledigen - so wie es Nazar wohl oft tat.
Genau bei diesem wusste er nicht, was er davon halten sollte, dass er ihn selbst vor Xaldin noch beschützt hatte. Es hätte für ihn mit Sicherheit eine harte Strafe bedeutet, wenn der ältere erfahren hätte, in welch Situation er geraten war. Akiharu war sich sicher, dass man ihm die Schuld dafür gegeben hätte, dass Ben und die anderen wussten, wofür er benutzt wurde, obwohl es ihm niemals in den Sinn käme, jemandem davon zu erzählen. In diesem Punkt war Milou wieder einmal eine Ausnahme, aber auch bei ihr war es ihm schwer gefallen, sich ihr zu offenbaren und bis heute hatte er nicht vollends ausgesprochen, was er tun musste - was zum Glück aber auch nicht nötig war, da sie es alleine durch das bereits verstand, was er ihr gesagt hatte.
Dennoch hatte er keine Ahnung, warum Nazar für ihn gelogen hatte. Er stand loyal zu Xaldin. Man konnte ihn wohl beinahe als dessen rechte Hand bezeichnen und dennoch riskierte er für ihn, dass er degradiert wurde oder ihm noch etwas schlimmeres blühte, wenn der Vampir dahinter kam. Wieso hatte er das also getan? Es war nicht wie bei seiner besten Freundin, dass sie sich nahe standen und Sympathie der Grund dafür war. Ihre Beziehung war rein geschäftlich. Nazar fuhr ihn in die Schule, holte ihn von dort wieder ab und begleitete ihn nach Rahims Tod nun auch zu Xaldins Geschäftspartnern, wenn er diesen ausgeliehen wurde. Er behielt ihn im Auge, passte auf ihn auf, doch bestand letzteres nur bis zu einem gewissen Punkt. Es gab eine Grenze, die er nicht überschritt oder nicht überschreiten durfte und doch war er an diesem Tag einen Schritt zu weit gegangen. Akiharu konnte sich keinen Reim darauf machen, wobei das wohl auch kein Wunder war. Was wusste er schon über Nazar? Nur das, was dieser nach außen hin zeigte, und das war ein gefühlskalter Mann, der selten eine Regung zeigte und sich vollkommen unter Kontrolle zu haben schien. Es kam beinahe einer Maschine oder lebendigen Puppe gleich. Ob dies alles nur eine Maske oder sein wirkliches Ich war, konnte er nicht sagen, doch war es ersteres, besaß er ein perfektes Pokerface.
Der Versuch, sich vorzustellen, wie Nazar wohl hinter dieser Maske, dieser Mauer aus Eis war, zog ihn noch tiefer. Er fragte sich, ob es wohl einen Teil in ihm gab, dem all das, was er sah und tun musste, ebenfalls zuwider war? Ob sich etwas in ihm befand, das davor zurückschreckte unter Umständen seine Mitschüler zu töten. Doch wollte er das überhaupt?! Wäre er ohne sie nicht besser dran, jetzt, wo sie wussten, was er tat?!
Wäre es nicht besser, wenn sie von der Bildfläche verschwinden würden?
Eine leise Stimme flüsterte ihm diese Frage zu und gefangen in der Dunkelheit war es verlockend, sie einfach mit ja zu beantworten. Die Dunkelheit grub sich immer tiefer in seinen Verstand. Zeitgleich krallte er auch seine Nägel immer tiefer in seine Oberschenkel…
Und mit einem Mal wurde alles anders. Eine angenehme Wärme, die er schon einmal gespürt hatte, aber nicht zuordnen konnte, legte sich wie eine angenehme Decke um ihn. Sie vertrieb die Kälte und die Dunkelheit, holte ihn Stück für Stück aus dem tiefen Abgrund, in den er gefallen war.
Dir wird nichts geschehen...
Gedämpft drangen die Worte in seine Ohren, kämpften sich durch die Watte, die ihn umgab und auf einer Seite schützte und auf der anderen auch gefangen hielt. Doch dieser Schutz war trügerisch und die Worte fühlten sich für ihn an wie blanker Hohn. Als wollte man sich über ihn lustig machen, denn er wusste, was an diesem Abend noch geschehen würde. Die Stimme, die die Worte aussprach, hinterließ jedoch ein ganz gegenteiliges Gefühl. Als wäre es die Wahrheit, obwohl er ganz genau wusste, dass das nicht sein konnte.
"Doch das wird es…", murmelte er leise, ohne zu sich zu kommen und nicht wissend, dass ihm sein Verstand und die Dunkelheit einen Streich spielten.
Wie soll ich dir helfen, wenn ich nicht weiß, was ... das Problem ist?
Wieder glaubte er die Stimme zu hören, die ihm so vertraut war und ihm in vielen anderen Momenten doch zumindest ein schwaches Lächeln entlocken würde. Nicht so jetzt. Nicht bei diesen Worten. Ein Kloß bildete sich in seinem Hals, als er sie verarbeitet hatte.
"Du kannst mir nicht helfen, Imouto-chan…", murmelte er erneut, diesmal etwas lauter und verständlicher. Eine Träne löste sich aus seinem Augenwinkel und plötzlich entließ ihn die Dunkelheit aus ihrem kalten Griff.
Akiharu blinzelte, spürte, dass er nicht mehr in der Wanne saß, sondern Stoff um sich gewickelt hatte und auf etwas weichem saß. Erneut blinzelte er, blickte auf und erstarrte in der Sekunde, in der er die Person vor sich sah und erkannte, dass es sich nicht um Milou handelte, wie es ihm sein Unterbewusstsein weiß machen wollte. Und mit einem Mal wurde ihm auch bewusst, was er soeben gesagt hatte: Imouto-chan.
Ein Zittern durchlief seinen Körper und er schlang den Stoff, der sich als das Handtuch entpuppte, das Elea ihm gebracht hatte, enger um sich, wodurch es ein Stück verrutschte. Er registrierte noch andere Dinge.
Nazar, der ihn aus der Wanne geholt hatte.
Nazar, der damit bislang mehr von ihm zu sehen bekam, als jeder andere Angestellte in diesem Haus. Sein abgemagerter Zustand. Die lange Narbe, von der auch jetzt ein Stück auf seinem Oberschenkel zu sehen war, nachdem der Saum des Handtuchs darüber gerutscht war.
Nazar, bei dem er das erste Mal eine Gefühlsregung zu sehen glaubte und der ihn beinahe gequält anzusehen schien.
Als er all dies realisierte, rutschte er ein Stück zurück aufs Bett, um Abstand zwischen sie zu bringen, denn nach all seinen Gedanken und dem, was er am heutigen Tag erlebt und erfahren hatte, war ihm bereits diese Nähe zu viel und er hatte keine Ahnung, wie er alles weitere an diesem Abend aushalten sollte. Dieser Gedanke wurde allerdings von dem verscheucht, als ihm wieder einfiel, was er soeben gesagt hatte und er zitterte erneut.
"Bitte… bitte sag ihm nichts… Ich flehe dich an… Er darf sie nicht…", stammelte er, ohne den letzten Satz zu Ende zu bringen, der ihm bereits jetzt das Herz schwer werden ließ, wenn er nur daran dachte, was Xaldin Milou antun könnte. "Nicht sie… Nicht sie auch noch…"
Akiharu ließ den Kopf hängen, wich damit Nazars Blick aus, dem er nicht länger standhielt, da ihm bewusst wurde, an wen er gerade seine beste Freundin verraten hatte. Oder zumindest, dass es in seinem Leben noch immer jemanden gab, den er beschützen wollte.
Er flehte den Mann darum an, dieses Geheimnis für sich zu behalten, der der Person, vor der er sie beschützen wollte, näher stand, als jeder andere hier.
Der Mann, der eiskalt jeden aus dem Weg räumte, der eine Gefahr für Xaldin und dessen Pläne darstellte und dazu gehörte gewiss auch jeder, der ihm nahestand.
Allerdings saß vor ihm auch der Mann, der für ihn gelogen hatte. Der, der ihn in Schutz nahm, obwohl er damit für sich selbst eine Menge riskierte und dies niemals hätte tun müssen oder tun dürfen.
Der Mann, der sich von seinem Fahrer und Bodyguard zu einem Mysterium entwickelte, da er nicht wusste, wie er mit dessen Verhalten umgehen sollte.
So auch jetzt. Was sollte er davon halten, dass er vor seinem Bett hockte und wissen wollte, was ihn bedrückte? Wie sollte er darauf reagieren, dass er ihm helfen wollte, obwohl Nazar zu den letzten gehören sollte, die auch nur auf den Gedanken kamen, ihm helfen zu wollen?!
Vorsichtig hob er wieder den Blick und sah den Mann an, in dessen Augen er so etwas wie Hilflosigkeit zu erkennen glaubte. Etwas, das er niemals für möglich gehalten hätte. Nicht bei Nazar, der immer wusste, was er zu tun hatte. Und wer war er schon?! Nichts weiter als ein kleines Licht, ein Spielzeug in Xaldins Besitz und es somit mit Sicherheit nicht wert, dass sich jemand wie Nazar auch nur für eine Sekunde ernsthaft Gedanken darüber machte, wie es ihm wirklich ging.
Und dennoch presste er die Lippen aufeinander, als sich der Drang in ihm meldete, vor ihm auszusprechen, was los war. Eine Gänsehaut zog sich über seinen Körper, die ihn zittern ließ, sodass er das Handtuch noch ein Stück enger um sich zog, obwohl es nicht an der Temperatur in seinem Zimmer lag. Erneut ließ er den Blick sinken und biss sich auf die Unterlippe, was jedoch nicht dabei half, die folgenden Worte zurückzuhalten, während er seine Finger in den weichen Stoff krallte.
"Ich… Ich kann das nicht mehr… ich ertrag das nicht mehr… Es soll aufhören… Mach, dass es endlich aufhört…"
Einzelne Tränen bahnten sich einen Weg über seine Wangen, um schlussendlich auf dem Handtuch zu landen. Akiharu versuchte, es zu verstecken, indem er sich kleiner machte und nach vorn beugte. Er hatte das Gefühl, an all dem immer mehr zu zerbrechen und die Tatsache, dass Nazar ihm nicht helfen konnte und würde, ließ dieses Gefühl noch sehr viel stärker werden.

Nazar

Wenn es eine Sache gab, die Nazar bis zum heutigen Tag perfektioniert hatte, dann war es die Tatsache, seine Gefühle und seine Gedanken hinter einen Maske zu verstecken.
Bevor Nazar vor vielen Jahren zu Xaldin gekommen war, hatte er einfach in den Tag hineingelebt, war hier und da mit seinen Mitmenschen aneinander geraten, weil er die Meinung gutgetan hatte, ohne auf die Gefühle seines Gegenübers zu achten. Auch heute achtete er nicht darauf.
Seitdem er hier war, hatte er gelernt, seine Wut, seine Trauer, seiner Freude und all die anderen Gefühle hinter einer dicken Mauer zu verstecken. Er hatte sich nicht mehr anmerken lassen, was er fühlte, was er dachte und niemand kam mehr an ihn heran. Niemand. Nicht einmal er selbst gestand sich ein, auf sein Herz zu hören.
Er hatte nie an seiner eigenen Loyalität Xaldin gegenüber gezweifelt, hatte nie gelogen und immer die Wahrheit gesagt, auch wenn er damit manchmal fast einem tiefen Abhang hinabgerutscht wäre. Doch Xaldin hatte ihn nie verstoßen oder an seiner Gunst gezweifelt. Aber am heutigen Nachmittag hatte er das erste Mal gelogen, hatte die Wahrheit hinter einer Lüge versteckt, um Akiharu zu schützen.
Als er mit seinem Boss wenige Augenblicke später, nachdem Akiharu das Büro verlassen hatte, alleine war, hatte er mit einer Bestrafung gerechnet, weil er wusste, dass Xaldin über die Lüge informiert war. Er hatte einen sechsten Sinn für Lügen. Doch es war nur eine Androhung einer Strafe gewesen, die Nazar dafür bekommen hatte. Einen weiteren Fehltritt durfte er sich diesbezüglich nicht leisten.
Doch jetzt, seitdem dieser Junge in sein Leben getreten war... Seitdem Akiharu aufgefunden war und unter diesem Dach lebte, war Nazars Leben vollkommen verändert worden. Es drehte sich nicht mehr um die Wege, die er für Xaldin erledigen musste, sondern nur noch um die Sicherheit und den Schutz Akiharus. Er brachte ihn zur Schule, holte ihn ab und passte auf ihn auf, wann immer es nötig war.
Vor wenigen Momenten wollte er den Jungen holen und zu Xaldin bringen, damit dieser mit ihm den Gast begrüßen konnte. Viel zu oft stellte sich Nazar vor, was Akiharu durchmachen musste, wenn er alleine mit Xaldins Freunden oder Gästen war. Viel zu oft hatte er seine Wut in seinem Training verarbeitet, ohne es offen zur Schau zu stellen. Viel zu oft hatte er sich gefragt, wieso Akiharu das über sich ergehen ließ und nicht einfach den Entschluss fasste, irgendwann abzuhauen. Bis zu dem Tag, als er während der Schule versuchte, die Freiheit zurückzuerlangen. Die Strafe, die ihm hinterher zuteil wurde, war alles andere als angenehm gewesen. Doch Xaldin zwang ihn dazu, die Prozedur mit anzusehen und Nazar hatte einfach starr geradeaus gesehen, hatte gehofft, dass es schnell vorbei war und dann... Dann hatte Akiharu auch noch die Kette mit dem GPS-Sender bekommen, die er niemals abnehmen durfte, was ihm unter einer weiteren Prügel eingetrichtert wurde.
Aber jetzt riss sich Nazar zusammen, nicht mehr an die Vergangenheit zu denken, musste im Hier und Jetzt bleiben und sich darauf konzentrieren, was sich vor ihm abspielte. Nachdem er den versteinerten Körper von Akiharu in der Badewanne vorgefunden hatte, die Fingernägel tief ins Fleisch gekrallt, die Beine eng an den Körper gezogen und den Kopf auf die Knie gebettet, trug er den Jungen aus der Badewanne heraus und brachte ihn ins Schlafzimmer zum Bett. Dort setzte er ihn ab, legte ihm ein Handtuch um den Körper und strich sich durch das dunkle Haar.
Er war mit dieser ganzen Situation überfordert, wusste aber ganz genau, dass es jetzt keinen Ausweg mehr gab. Er musste sich dem stellen, was er heraufbeschworen hatte. Er hatte verlangt, dass Akiharu ihm sagte, was los war...
"Du kannst mir nicht helfen, Imouto-chan…"
Diese Worte brannten sich in sein Hirn und krallten sich fest, so dass er die Worte nicht mehr aus seinem Kopf bekam. Und ein weiterer Punkt öffnete sich ihm, was er niemals weitergeben durfte. Akiharu hatte eine kleine Schwester? Und wahrscheinlich dachte er die ganze Zeit, sie würde ihm helfen wollen, wobei sie nicht in diesem Raum war. Womöglich befand sich Akiharu in einer Wach-Traumwelt, die ihm vorspielte, Nazars Stimme wäre eine andere...
Der Stoff, der um den Körper des Jungen gelegt war, wurde fester um ihn geschlungen. Es verrutschte dadurch, aber Nazar sah einfach nur zu Akiharu hinauf, um ihn anzusehen und abzuwarten, dass er ihm endlich sagte, was los war. Auch wenn ihm gewisse Dinge aufgefallen waren, die er lieber verdrängen wollte. Akiharus dünner Körper, die Narbe auf seinem Oberschenkel, woher sie auch immer kommen mochte... Dieser Anblick ließ kurz die Maske verrutschen, die Nazar die ganze Zeit für alle anderen sichtbar auf dem Gesicht trug. Aber er fasste sich schnell wieder und atmete ruhig durch, um sein Inneres wieder zu beruhigen und die Gefühle zu unterdrücken.
Es dauerte lange, sehr lange, bis sich die Lippen des Jüngeren bewegten und etwas zwischen ihnen hervor kam. Es war eine Bitte, ein Flehen, ein Wunsch.
"Ich habe dich vorhin nicht verraten und auch dies werde ich nicht weitergeben...", erwiderte Nazar. "Ich weiß also nicht, wovon du redest, Akiharu."
Die Stimme des Mannes war ruhig, hatte den gleichen Tonfall wie immer und ließ keine Zweifel an seinem Wort. Er würde Akiharus Geheimnis nicht verraten. Zumal er keinen Vorteil für sich darin sah. Es würde nur Akiharus Untergang bedeuten, wenn er es Xaldin erzählte. Und wieso sollte er dafür verantwortlich sein, dass der Junge noch mehr ertragen musste, als es jetzt schon der Fall war?
Akiharu wandte den Blick ab, nachdem er auch noch auf dem Bett zurückgewichen war und ein bisschen Distanz zwischen sie gebracht hatte. Und Nazar sah auf die Bettdecke, die unter dem Gewicht von Akiharu einige Falten bekam. Er wusste nicht, was er noch sagen sollte. Wie sollte er dem Jungen helfen, wenn er nicht fliehen konnte?
Zumindest musste er ihm irgendwie ersparen, zum Gast von Xaldin zu gehen. Wenn es sein musste, würde er diesen Platz selbst einnehmen müssen. Es wäre ... nicht das erste Mal, dass er so etwas tat. Auch wenn er zugeben musste, dass er es nicht gerne tat. Wenn es seine Arbeit erfordert hatte, hatte er es erledigt, aber niemals ... mit einem wohligen Gefühl.
"Ich werde einen Weg finden... Auch wenn ich noch nicht weiß, wie ich das anstellen werde... Aber ich lasse nicht zu, dass du weiter für so etwas eingesetzt wirst..."
Nazar ballte eine Hand zur Faust und schluckte kurz, weil er sich bewusst wurde, dass man ihm ansehen konnte, dass seine Wut zur Schau gestellt wurde.
"Ich... Ich werde Xaldin sagen, dass du heute nicht arbeiten wirst... Ich werde dich von hier wegbringen und dann... Dann sehen wir weiter..."
Langsam richtete sich der Mann auf, kramte in der Hosentasche ein Taschentuch hervor, um es Akiharu zu geben. Ihn so zu sehen, so zerbrechlich und so hilflos, machte ihm selbst das Herz schwer, auch wenn er geglaubt hatte, so etwas schon lange nicht mehr zu spüren.
"Zieh dir etwas an. Pack einige Sachen zusammen und steck es in deinen normalen Rucksack... In der Zwischenzeit werde ich zu Xaldin gehen, um ihm mitzuteilen, dass ich dich wegbringe... Ich werde ihm sagen, dass ich dich in ein Krankenhaus bringe und du ärztlich versorgt werden musst... Er wird nur das Beste für dich wollen... Und dann... Dann werde ich mir etwas einfallen lassen..."
Er wandte sich um, um Akiharu alleine zu lassen und ihm so die Chance zu geben, alles vorzubereiten, damit der Plan in die Tat umgesetzt werden kann...

Akiharu Sasaki

Keine Gefühle zu zeigen, diese hinter einer Wand und Maske zu verstecken, und das womöglich so gut, dass er selbst schon glaubte, gar keine zu besitzen, war Akiharu noch nie gelungen. Sowohl früher bei seinem Stiefvater, später auf der Straße oder auch jetzt bei Xaldin hatte er den einen oder anderen Versuch unternommen, nicht zu zeigen, was in ihm vorging. Jedes Mal war er kläglich damit gescheitert. Man sah ihm jede kleine Gefühlsregung an, konnte sie beinahe von seiner Nasenspitze ablesen, was ein Grund dafür war, warum zu lügen - selbst wenn es zu seinem Besten war - nicht zu seinen Stärken sondern seinen schlimmsten Schwächen gehörte. Nicht selten hatte er sich damit in brenzlige Situationen manövriert, wenn er die Wahrheit nicht über die Lippen bekam, gleichzeitig aber beim lügen erwischt wurde.
Allerdings bevorzugte er früher auch immer den Umgang mit denen, die ihre Gefühle offen zeigten. Diese konnte er besser einschätzen und wusste eher, woran er bei ihnen war. Für ihn lag eine gewisse Stärke darin, seine Gefühle zeigen zu können, auch wenn es immer Menschen gab, die dies ausnutzten. Seit er bei Xaldin lebte und sich sein Leben nach seinem 18. Geburtstag radikal geändert hatte, musste er feststellen, dass es vielleicht doch auch ein Segen sein konnte, wenn niemand wusste, was in einem vorging. Wenn es einem ohnehin schlecht ging, war es so schwerer, noch weiter verletzt zu werden, weil andere keinen Angriffspunkt hatten. Gerade für ihn wäre es ideal und doch war er weit davon entfernt, dies umsetzen zu können. Nazar hingegen war ein Profi darin und so angsteinflößend es ihn auch erscheinen ließ, so sehr beneidete Akiharu ihn insgeheim schon immer dafür.
Diese Fassade, die sein Fahrer tatsächlich zur Schau trug, sorgte dafür, dass er nun völlig überrumpelt war, als er dessen Worte hörte. Hatte er sich eben noch verzweifelt und hilflos gefühlt, war er nun verwirrt und wusste absolut nicht, wie er reagieren sollte. Sprachlos starrte er den Mann vor sich an, der ihm eben mitgeteilt hatte, dass er ihn nicht verraten würde.
Warum? Diese Frage schwebte über allem. Warum tat er das für ihn?
Akiharu hatte einen Kloß im Hals, der noch immer von der Tatsache herrührte, dass er seine beste Freundin verraten hatte. Nicht direkt, aber genug, um ihm schaden zu können, wenn diese Information an den Falschen geriet, denn mit dieser hatte man ihn in der Hand. Bislang hatte er geglaubt, dass auch Nazar zu diesem Personenkreis gehörte, doch in diesem Moment fragte er sich, ob er sich in diesem Punkt nicht geirrt hatte - so seltsam das auch wirkte, wenn man bedachte, um wen es sich bei Nazar handelte. Er war wohl der Letzte, von dem er geglaubt hatte, er könnte auf seiner Seite stehen.
"Wieso…?", fragte er leise, klammerte sich wieder mehr in den Stoff des Handtuchs und ließ den Blick sinken. "Wieso tust du das alles… für mich? Wieso riskierst du so viel für mich?"
Diese Frage war wohl berechtigt. Noch sehr viel mehr, als er von Nazars Plan hörte. Akiharu hatte nicht geglaubt überhaupt eine Antwort auf sein Flehen zu bekommen. Es war ein verzweifelter Gefühlsausbruch seinerseits, weil ihm alles viel zu viel wurde und er das Ganze nicht länger mitmachen wollte oder konnte, es aber musste. Seit dem Tod der Frau vor seinen Füßen hatte er nie wieder ernsthaft die Hoffnung gehabt, all dem entfliehen zu können. Xaldin hatte ihn in der Hand. Alles von ihm. Und nun hockte Nazar vor ihm und erzählte ihm von einem Plan, der doch wieder Hoffnung in ihm keimen ließ. Es war nur ein zartes Pflänzchen, das bei jedem negativen Wort wieder verwelken konnte und doch war es da.
Ungläubig und sprachlos sah Akiharu seinen Fahrer an. So unnahbar dieser sonst für ihn war, so sehr schien er nun ein rettender Anker zu sein. Ein Stück Treibholz auf dem weiten Meer, an dem er sich festhalten konnte und das verhinderte, dass er unterging. Es klang zu schön, um wahr zu sein, als wollte ihm sein Unterbewusstsein wieder einmal einen Streich spielen. Ihm Hoffnung auf das machen, was er sich am meisten ersehnte, nur um diese kurz darauf wieder wie eine Seifenblase zerplatzen zu lassen.
"Bitte sag mir, dass das kein Traum ist…", murmelte er. Die Frage danach, warum er alles, was er hatte für ihn aufs Spiel setzte, lag ihm auf der Zunge, doch bevor er diese aussprechen oder von Nazar eine Bestätigung bekommen hatte, dass er es ernst meinte, hörte er, wie Sayuri aufgeregt zu bellen und zu knurren begann - eine Reaktion, die sie in dieser Heftigkeit nur zeigte, wenn Xaldin in der Nähe war. Noch bevor er diesen auch nur sehen konnte, kam sie angelaufen, warf Nazar einen misstrauischen Blick zu und sprang anschließend aufs Bett, um sich dicht neben ihn zu legen. Langsam löste er eine seiner verkrampften Hände, um sie ihr auf den Rücken zu legen, der trotz ihrer Postion angriffsbereit unter Spannung stand.
"Sayu-chan, was ist-", begann er, kam mit seiner Frage aber nicht weiter, da sich diese bereits in diesem Moment beantwortete, als der Herr des Hauses eintrat. Instinktiv zog Akiharu das Handtuch noch ein wenig enger um sich, auch wenn es kaum einen Schutz bot.
"Ah, gut, dass ich euch beide hier antreffe", durchbrach er die Stille, die sich bis auf Sayuris leises Knurren über sie gelegt hatte, und behielt sowohl Nazar als auch ihn ganz genau im Blick. Etwas, dass er so seiner rechten Hand gegenüber noch nie gesehen hatte. Soweit er das beurteilen konnte, vertraute er Nazar immer blind. Hatte sich daran durch die Lüge etwas geändert? Hatte er sie doch durchschaut?
"Es gibt eine kleine Planänderung", sprach Xaldin einfach weiter, sodass sich Akiharu darauf konzentrieren musste, anstatt seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. "Leider scheint Mr. Gonzalez ein wenig indisponiert zu sein, weshalb er einen engen Freund zu unserem Abendessen schickt. Dieser soll meinen Informationen nach ein sehr eigentümlicher Zeitgenosse zu sein, sodass es umso wichtiger ist, ihn von meinem Deal zu überzeugen. Was bedeutet, dass es außerdem noch wichtiger ist, dass du ihn von dir überzeugst, Aki."
Als Akiharu diese Worte hörte, bildete sich ein dicker Kloß in seinem Hals, den er auch durch trockenes Schlucken nicht weg bekam. Ein wenig zögerlich nickte er deshalb, sah aber direkt danach beinahe hilfesuchend zu Nazar hinüber. Dessen Plan, bei dem er nicht einmal genügend Zeit hatte, sich darüber ausreichend Gedanken zu machen, war damit hinüber und die Hoffnung zerplatzte wie eine Seifenblase vor ihm. Wie würde er nun also reagieren?
Akiharu wusste, was er zu tun hatte. Eine andere Möglichkeit, als sich der Anweisung zu beugen, gab es nicht für ihn und für Nazar galt im Normalfall dasselbe. Doch er hatte ihn an diesem Tag bereits so oft überrascht, dass er nicht abschätzen konnte, was er nun tun würde.
Sehr viel Zeit blieb ihm dafür auch nicht, denn Xaldin schnippte kurz mit dem Finger und kurz darauf trat auch Elea zu ihnen ins Zimmer. Sofort sah er zu ihr und seine Augen weiteten sich, als er den Bügel sah, der an ihrem Arm hing und auf dem sich offensichtlich die Kleidung befand, die er beim zweiten und wichtigsten Teil seiner Arbeit tragen sollte. Das Outfit ging deutlich gegen alles, was er inzwischen bevorzugte, denn es zeigte durch das Oberteil zu viel Haut. Nicht nur an den Armen sondern auch am Rest des Oberkörpers. Erst auf den zweiten Blick bemerkte er, dass Elea die ganze Zeit beschämt zu Boden sah, was wohl nicht zuletzt an seinem Aufzug lag. Als ihm dies und auch die Tatsache, dass ihn viel zu viele so sahen, bewusst wurde, zog er die Beine an den Körper und versteckte sie so gut es ging ebenfalls unter dem Handtuch.
Es brannte für einen Moment an den Stellen, an denen er sich die Fingernägel in die Haut gerammt hatte, doch das hielt er aus, denn der Schmerz war nichts gegen das, was er bereits ertragen musste. Zu seinem Leidwesen musste er allerdings feststellen, dass Xaldin die Verletzungen dennoch gesehen hatte, denn er wandte sich zu dem Dienstmädchen um.
"Leg den Bügel aufs Bett und sorge anschließend dafür, dass Akiharu seinen Tee zum Abendessen bekommt."
Die junge Frau zuckte zusammen, als sie so plötzlich angesprochen wurde, nickte aber und tat, was ihr aufgetragen wurde. Als sie den Bügel zu ihm aufs Bett legte, trafen sich ihre Blicke für eine Sekunde und er meinte Mitleid in ihren ungewöhnlich grünen Augen zu sehen, bevor sie sich abwandte und zügig den Raum verließ. Akiharu wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte, doch das musste er durch ihr Verschwinden auch nicht. Zugleich fiel ihm ein, welche Aufgabe ihr aufgetragen wurde und er schluckte. Der Tee, den er regelmäßig trinken sollte, war alles andere als genießbar. Der Geschmack war kaum zuzuordnen, aber ihm hob sich jedes Mal der Magen, wenn er nur daran dachte. Man sollte meinen, dass er sich an die leicht metallische Note inzwischen gewöhnt hatte, doch davon war er weit entfernt. An diesem Abend hatte er sich das Getränk durch seine Verletzung aber wohl selbst zuzuschreiben, denn auch wenn er nicht wusste, was sich darin befand, so kannte er doch die Wirkung: seine Wunden, welche hatte, heilten um einiges schneller, auch wenn er sich bis heute nicht erklären konnte warum.

Nazar

Nazar war sich noch immer nicht sicher, wieso er diese ganze Sache versuchte zu verschleiern. Er wollte Akiharu helfen, wollte die ganze Sache beenden und ihn hier herausbringen. Doch er wusste nicht, wie er die ganze Sache gegenüber Xaldin verpacken und ihm glaubhaft verkaufen sollte.
„Warum?“, wiederholte Nazar die Frage von Akiharu. „Ich…“
Er brach ab, weil er nicht wusste, wie er diesen Satz beenden sollte. Aber er war dem Jungen, auf den er schon länger aufpasste, schuldig.
„Ich habe die Aufgabe, auf dich aufzupassen. Und ich würde ungern zulassen, dass dir weiteres Leid zugefügt wird…“
Diese Worte kamen nach einiger Zeit aus ihm heraus, als er vorerst geschwiegen hatte. Er wusste nicht, ob er dies wirklich hätte sagen sollen. Doch es war einfach so aus ihm herausgesprudelt.
Auch würde er ihm gerne sagen wollen, dass es kein Traum war, aber da wurde er bereits von der Hündin unterbrochen. Sie fing lautstark an zu knurren und bellte aufgeregt. Dies bewies, dass der Hausherr in der Nähe war. Xaldin war hier. Er war … vor dem Zimmer. Die Hündin sprang zu Akiharu auf das Bett, legte sich direkt neben ihn und dieser legte die Hände auf ihren Rücken.
Der Jüngere sprach mit ihr, aber kam nicht weit, weil die Tür sich öffnete. Der Vampir trat in das Zimmer, blickte zwischen ihm und Nazar hin und her. Aus dem Augenwinkel beobachtete Nazar, wie Akiharu das Handtuch enger um sich zog, auch wenn es nicht viel brachte.
Eine Stille breitete sich im Raum aus, wurde aber von Sayuris Knurren unterbrochen. Der Hausherr trat ein, verschloss hinter sich die Tür und baute sich vor den beiden groß auf. Er stand da, als wäre er ein Baum in einer Brandung, die heftige Wellen standhalten musste.
„Eine Planänderung?“, hakte Nazar nach, weil er keinerlei Änderungen mitbekommen hatte.
Die Worte, die Xaldin von sich gab, brannten sich tief in seinen Kopf und sorgten dafür, dass Nazar sich verkrampfte. Akiharu sollte nicht den ursprünglichen Gast dienen, sondern einem Mann, von dem er noch nie etwas gehört hatte? Gonzalez war ein Mann, den Nazar einschätzen konnte. Aber der Freund von ihm war ihm unbekannt. Es wurde zwar noch kein Name genannt, aber er kannte die engen Kontakte von Gonzalez und niemand war Xaldin so wichtig, ebenso von Akiharu umsorgt zu werden. Entweder es stand um die Verhandlung und die Information so gut, dass Xaldin dafür Akiharu für den Abend hergab oder es interessierte Xaldin nicht, wer sich an ihm verging.
Nazar blickte aus dem Augenwinkel zu Akiharu, denn somit war sein Vorhaben, ihn von hier wegzubringen, in Weite ferne gerutscht, vor allem, als Xaldin weitersprach. Die Bedienstete von ihm trat ein, brachte Akiharu frische Kleidung und als Nazar diese ansah, weiteten sich seine Augen, auch wenn es für andere kaum erkennbar war. Ihm selbst blieb hingegen dieses kurze Zucken nicht verborgen. Er war über diese Regung mehr als verwundert. Das Outfit zeigte mehr Haut, als all die andere Kleidung, die Akiharu bisher anziehen musste. Xaldin führte eindeutig etwas im Schilde.
Bisher hatte er immer darauf geachtet, dass Akiharu nur die nötige Haut zeigte und erst später alles andere offenbart wurde. Doch jetzt zeigte dies mehr als es überhaupt verdecken sollte.
Die Angestellte wurde beauftragt, den Tee zu holen, den Akiharu immer zum Abend trinken sollte. Diese zuckte zusammen, legte die Kleidung auf das Bett und verschwand aus dem Zimmer. Kurz darauf kam sie mit der Tasse und der dampfenden Flüssigkeit wieder zurück und reichte ihm das Getränk.
„Ich werde aufpassen, dass er es trinkt, Xaldin. Und ich werde dafür sorgen, dass Akiharu rechtzeitig beim Abendessen auftaucht“, erklärte Nazar, auch wenn Xaldin dies nur mit einem Blick und einer nach oben gezogenen Augenbraue bedachte.
„Ich bin davon nicht all zu begeistert. Immerhin hast du seine Sicherheit gefährdet, weil du nicht an seiner Seite warst.“
Damit war auch aufgedeckt, dass Xaldin von der Lüge über die Verspätung Bescheid wusste. Dabei hatte er Akiharu gesagt, dass Xaldin ihm geglaubt hatte. Damit war das Wort, was er dem Jungen gegeben hatte, nichtig und womöglich dachte Akiharu, dass er all das nur gesagt hatte, um ihn zu beschwichtigen und ihn auf seine Seite zu ziehen. Wer sagte, dass Akiharu ihm jetzt noch vertraute?
„Aki, würdest du jetzt trinken, was ich dir habe bringen lassen? Ich habe nicht mehr viel Zeit und mein Informant kommt bald. Nur sehr ungern würde ich mich diesbezüglich verspäten.“
Nazar konnte nicht fassen, dass Xaldin ihm nicht mehr zutraute, dass er aufpasste, dass Akiharu den Inhalt zu sich nahm. Doch Xaldin strich sich nur eine Strähne aus dem Gesicht hinter das Ohr.
„Ich wäre also sehr verbunden, wenn du dich etwas beeilen könntest. Deine Kratzer sollten dann auch schnell verheilen und nichts wäre mehr dann davon sichtbar. Ich hoffe, du wirst deiner Aufgabe nachher mit Eifer nachgehen.“
„Und was soll ich in der Zwischenzeit tun?“, erwiderte Nazar hingegen.
„Du wirst dafür sorgen, mein neuen Gast zum Tisch zu bringen und dafür sorgen, dass es ihm an nichts fehlt, bis er sich mit Akiharu zurückziehen will.“
Nazar wollte seinen Ohren nicht trauen, wollte nicht wahr haben, was Xaldin aussprach. Er sollte den Kellner miemen, während Akiharu darauf wartete, seiner Arbeit nachgehen zu müssen?
Nazar wollte nicht, dass Akiharu noch einmal von irgendeinem Mann berührt wurde. Er hatte bisher schon so viel durchmachen müssen und da sollte es nicht noch weiter zu irgendwelchen Zwischenfällen kommen. Und er wusste nicht, wie er Akiharu herausholen konnte, ohne dass es zu Problemen kam. Aber ihm kam eine Idee und er hoffte, es würde funktionieren.
Vielleicht konnte er Akiharu aus der ganzen Geschichte herausholen, wenn er mit diesem unbekannten Gast alleine war und bevor es zu irgendwelchen … Handlungen kam. Vielleicht konnte er den Jungen von hier wegbringen, auch wenn er noch nicht wusste, wie er das anstellen sollte...

Akiharu Sasaki

Inzwischen sollte Akiharu daran gewöhnt sein, immer wieder überrascht zu werden. Die letzten Jahre hatten ihm gezeigt, dass es immer wieder etwas gab, dass ihm den Boden unter den Füßen wegziehen konnte. Er versuchte sich dafür zu wappnen, versuchte bereit zu sein, wenn es wieder einmal so weit war, doch jedes mal aufs Neue musste er feststellen, dass dies alles absolut nichts brachte. Wie sollte man sich auch auf etwas vorbereiten, wenn man nicht wusste, was auf einen zukam? Alleine Xaldins Ideen und Launen, seine Strafen und Aufgaben für ihn waren so unterschiedlich, dass es nichts gab, was sie - bis auf die Tatsache, dass sie ihn verletzten und demütigten - gemeinsam hatten.
Nazars Worte waren ebenfalls eines dieser unvorhersehbaren Dinge, mit denen er nie im Leben gerechnet hätte. Für einen Moment glaubte Akiharu daher, er hätte sich womöglich verhört oder der andere erlaubte sich lediglich einen Scherz mit ihm. Sekundenlang starrte er ihn mit leicht geweiteten Augen und ebenso offen stehenden Mund einfach nur an, unfähig einen Ton herauszubringen oder seine Gedanken zu ordnen.
Er wollte ihn beschützen…
Sogar gegen Xaldin und dessen Machenschaften…
Mit etwas anderem konnte sein Kopf die Information, dass Nazar nicht wollte, dass ihm Leid zugefügt wurde, nicht in Zusammenhang bringen, denn immerhin hatte er ihn mit seiner Lüge und auch mit seinem Versprechen, nicht zu verraten, dass es da draußen jemanden gab, der ihm am Herzen lag und mit dem er ganz offensichtlich noch Kontakt hatte, vor einer von Xaldins Strafen und auch der Tatsache beschützt, dass er Milou verlor - etwas, das er auf diese Weise nicht ertragen würde, da er in diesem Fall die Schuld daran tragen würde.
"Danke…", murmelte er noch leise, bevor Sayuri mit ihrem Bellen ankündigte, dass sie gleich nicht mehr alleine waren.
Sofort versteifte sich seine Haltung und als er nur wenig später von der Planänderung erfuhr, krallte er seine Finger in den Stoff des Handtuchs, mit dem er sich versuchte, zu verdecken. Zu erfahren, dass es ein anderer Mann sein würde, der zu ihnen kam, hinterließ ein zwiespältiges Gefühl in seinem Bauch. Bis eben hatte er nicht einmal gewusst, wen sie eigentlich zu Besuch haben sollten, doch alleine der Name löste eine unangenehme Erinnerung in ihm aus, bei der er versteckt unter dem Handtuch mit seiner freien Hand zu seinem Bauch und dort zu der Narbe fuhr.
Es war genau dieser Geschäftspartner, dem er dieses Souvenir zu verdanken hatte.
Damit du dich immer an mich und unsere Nacht erinnerst, kleiner Aki.
Akiharu erschauderte, als er daran zurück dachte, welche Worte er ihm ins Ohr geflüstert hatte, kurz bevor er ein Messer hervor holte und ihn damit verletzte. Es war lange her. Er war einer seiner ersten Aufträge und doch saß dieses Erlebnis wie eine Zecke in seinem Hinterkopf, die nicht genug bekam und nicht loslassen wollte.
Dass es nun jemand anders war, der zu ihnen kam, beruhigte ihn einerseits, doch die Tatsache, dass Xaldin diesen Mann als sonderbar bezeichnete und meinte, er wäre womöglich schwerer zu handhaben, machte dieses positive Gefühl andererseits wieder vollkommen zunichte. Bei Mister Gonzales konnte er sich einreden, dass er sich darauf vorbereiten konnte, was auf ihn zukam, doch bei diesem Mann tappte er nun vollkommen im Dunkeln. Die Wahl des Outfits für diese Nacht sprach allerdings Bände und er wusste nicht, ob es ihm trotz seiner schlechten Erfahrung mit Gonzales nicht lieber wäre, wenn dieser selbst käme, anstatt jemand anderes zu schicken. Es war wie eine Wahl zwischen Pest und Cholera, bei der er nur verlieren konnte...
Durch seine eigenen Gedanken abgelenkt, in die er versunken war, bekam Akiharu nicht mit, wie Nazar versuchte, Xaldin klar zu machen, dass er dafür sorgen würde, dass er sowohl den Tee trank, als auch rechtzeitig beim Abendessen war. Erst bei der Antwort des Vampirs wurde er wieder ins Hier und Jetzt katapultiert.
Immerhin hast du seine Sicherheit gefährdet, weil du nicht an seiner Seite warst.
Akiharus Augen weiteten sich, während er vor sich auf die Bettdecke starrte, als wäre es das interessanteste Objekt in diesem Raum. Er wollte den beiden anderen Männern in seinem Schlafzimmer nicht entgegensehen - Nazar noch weniger als Xaldin, als mit jeder Sekunde, die verstrich, die Erkenntnis wie dickflüssiger Sirup tiefer in seinen Verstand tropfte und sich dort ausbreitete und festsetzte.
Xaldin wusste Bescheid. Was nur bedeuten konnte, dass...
Nazar hat mich belogen…
Ein kalter Griff legte sich um sein Herz, quetschte es unbarmherzig zusammen und nahm ihm durch die Wucht dieses Wissens die Luft zum Atmen. Dankbar nahm er Elea die Tasse ab, klammerte sich daran, als wäre sie ein Stück Treibholz und seine einzige Hoffnung darauf, nicht unterzugehen. Er hoffte, dass die Wärme der dampfenden Flüssigkeit die Kälte in seinem Inneren vertreiben konnte, doch der Inhalt war lediglich dafür gedacht, seine äußerlichen Verletzungen zu heilen. Alles, was gerade in ihm drin zu Bruch ging, blieb davon unberührt.
Er hatte ihn belogen...
Ich habe dich vorhin nicht verraten…
Lüge...
Und ich würde ungern zulassen, dass dir weiteres Leid zugefügt wird…
Lüge…
All die Worte, die ihm Hoffnung gaben, die ihm das Gefühl gaben, er könne Nazar vertrauen, waren gelogen.
Akiharu wusste mit einem Mal nicht mehr, was er tun sollte. Er fühlte sich hilflos. Wertlos. Wie eine Puppe, mit der man all das ohne Gewissenbisse tun konnte, oder Müll, der keine Bedeutung hatte und den man einfach wegwerfen konnte. Und das schlimmste war: er hätte es besser wissen müssen. Er hätte Nazar niemals vertrauen dürfen. Wieso nur hatte er geglaubt, dass Xaldins rechte Hand plötzlich auf seiner Seite stehen könnte? Wieso nur war er so naiv?
Ich war so dumm… Ich war so furchtbar dumm…
Immer wieder sagte er sich diese Worte gedanklich vor, während er sich noch stärker an die Tasse klammerte. Bis Xaldin ihn mit einem Mal ansprach und er heftig zusammenzuckte. Ein Teil der Flüssigkeit schwappte über seine Finger, doch er zog sie nicht zurück, auch wenn es schmerzte, wo der heiße Inhalt seine Haut leicht verbrannt hatte. Stattdessen biss er die Zähne zusammen und nickte nur ergeben. Etwas anderes konnte er nicht tun, denn all die Hoffnung, die Nazar in ihm geweckt hatte, die Hoffnung, dass er hier weg konnte, war wie eine Seifenblase vor seinen Augen zerplatzt und das einzige, was ihm übrig blieb, war zu tun, was man von ihm verlangte - so wie immer seit er hier lebte.
Akiharu setzte die Tasse an die Lippen, trank einen Schluck und verzog das Gesicht dabei. Er kannte die leicht metallische Note des Getränks und hatte sich mehr oder weniger an diese gewöhnt, doch dieses Mal war sie um einiges intensiver. Am liebsten hätte er den Tee beiseite gestellt, doch er spürte Xaldins Blick auf sich, auch wenn er versuchte, sich voll und ganz aufs Trinken zu konzentrieren. Als er die Tasse das nächste Mal ansetzte, verschluckte er sich und begann zu husten. Jedoch nicht, weil er zu hastig war, sondern aufgrund der Worte, die der Vampir geäußert, und die Aufgabe, die er somit Nazar aufgetragen hatte.
Nazar sollte den Kellner spielen…
Dieses Szenario war ihm auf diese Weise noch nicht vorgekommen. Er hatte schon den einen oder anderen Bediensteten, der enger mit Xaldin arbeitete und Aufträge für ihn erledigte, dabei gesehen, wie sie als Strafe dieser Arbeit nachgehen mussten. Bei seinem Fahrer hatte er trotz der Nachlässigkeit dennoch nicht damit gerechnet. In diesem Haus gab es kaum eine erniedrigendere Aufgabe als diese, wenn man von seinen Spezialaufträgen einmal absah, weshalb es ihn völlig aus der Bahn warf. Die Vorstellung während des Abendessens von Nazar bedient zu werden, war skurril und ging kaum in seinen Kopf hinein.
Aber er hat es verdient. Für die Lüge. Dafür, dass er mit dir gespielt hat, flüsterte ihm seine innere Stimme leise zu und ein Teil von ihm gab ihr vollkommen recht. Der andere empfand eine Spur Mitleid, da es in seinen Augen niemand verdient hatte, derart erniedrigt zu werden. Der erstere gewann diese Schlacht jedoch, auch wenn die Vorstellung noch immer nicht in seinen Kopf hinein wollte.
Um jedoch nicht noch mehr Zeit zu vergeuden und Xaldin mehr gegen sich als gegen Nazar aufzubringen, setzt er die Tasse ein weiteres Mal an die Lippen und trank den Rest des Inhalts in einem Zug. Dabei verschluckte er sich erneut beinahe, weil er zu schnell war, und verzog das Gesicht, da der metallische Geschmack immer intensiver wurde, je mehr man davon trank. Aus diesem Grund war er auch froh, als der Inhalt leer war und er die Tasse beiseite stellen konnte.
"Sehr schön, Aki. Dann scheint hier ja zumindest einer meinen Anweisungen voll und ganz nachzukommen. Ich hoffe, dies bleibt auch so", wandte sich der Ältere an ihn, stichelte dabei noch einmal sehr auffällig in Nazars Richtung und Akiharu konnte nichts anderes tun, als zu nicken.
"Ich würde mich nun gerne anziehen."
Leise kamen die Worte über seine Lippen, denn er hatte alle Mühe, sie überhaupt auszusprechen. Im graute davor, wie dieser Abend weiter ging, doch er würde sich fügen - egal, wie sehr es ihm zuwider war und egal, wie sehr er sich etwas anderes wünschte.
"Aber natürlich. Ich erwarte dich in einer halben Stunde beim Essen. Solltest du noch etwas brauchen, steht dir Elea zur Seite."
Akiharu nickte erneut und hob den Blick, da ihm bewusst wurde, dass es langsam unhöflich war, sein Gegenüber nicht anzublicken und er wusste, wie sehr der Vampir Unhöflichkeit hasste. Dabei bemerkte er, wie dieser zu Nazar blickte: enttäuscht, aber unnachgiebig in seiner Entscheidung über die Strafe, was sich auch im nächsten Moment verdeutlichte.
"Ich hoffe, du wirst deiner heutigen Aufgabe mit demselben Eifer nachgehen, wie ich es auch von Aki erwarte. Je nachdem wie du dich dabei anstellst, werde ich darüber entscheiden, ob ich dich weiterhin für seinen Schutz einsetze und ob du diesen noch gewährleisten kannst."
Mit diesen Worten wandte sich Xaldin von ihnen ab und verließ den Raum. Nun war er mit Nazar erneut alleine in seinem Zimmer und er war unfähig in die Richtung des anderen Mannes zu schauen. In die Richtung des Mannes, der nur wenige Minuten zuvor bewiesen hatte, dass er auch ihm nicht vertrauen konnte. Und niemals wieder vertrauen durfte...

Nazar

Ohne einen wirklichen Grund zu haben, musste Nazar an den Tag denken, als Xaldin ihn »gerettet« hatte und er in dieses Anwesen gekommen war. Er hatte seit Tagen nichts mehr gegessen, war am Ende seiner Kräfte angelangt und dann war Xaldin aufgetaucht, hatte ihm einen Lichtblick geschenkt und Nazar hatte danach gegriffen, als wäre es ein Stück Treibholz, was ihn über Wasser hielt.
Doch mittlerweile bereute er es. Wenn er jetzt darüber nachdachte, war er ziemlich dumm gewesen. Auch wenn er dadurch viele Kampftechniken erlernt und seine Ausdauer ein Höchstmaß angenommen hatte, war er damals einfach nur dumm gewesen.
Nazar wusste, dass Xaldin ihn für sein Vergehen dieses Tages bestrafen wollte und er wusste auch, dass er es verdient hatte. Immerhin hatte er seinem Meister damit gezeigt, dass er ihm nicht treu ergeben war, obwohl er es dennoch war. Er war Xaldin etwas schuldig, weil er ihm damals das Leben gerettet hatte und ihm eine Möglichkeit gab, sein Leben auf die Reihe zu bekommen.
Aber indem er Akiharu beschützt hatte und Xaldin gegenüber nicht die Wahrheit erwähnte, hatte er Xaldin gezeigt, dass er ihm nicht länger trauen konnte. Allerdings fragte sich Nazar, wieso er überhaupt gelogen hatte… Nur, weil er Akiharu beschützten wollte? Weil er nicht wollte, dass Akiharu Ärger bekam? Oder hatte es noch einen anderen Grund gegeben?
Je länger er darüber nachdachte, desto weniger kam er zu einem Ergebnis. Als er wieder ins Hier und Jetzt zurückkehrte, hatte Xaldin ihm gerade aufgetragen, dass er an diesem Abend den Kellner spielen durfte. Die denkbar undankbarste Aufgabe, die man in diesem Haus bekommen konnte. Es gab nichts, was noch erniedrigender wäre, als dem Befehl eines Fremden Folge zu leisten.
Nazar bekam kein Wort heraus, als er die Worte von Xaldin hörte, die dieser in seine Richtung hervorbrachte.
„Immerhin hast du seine Sicherheit gefährdet, weil du nicht an seiner Seite warst.“
Nazar wusste, dass Xaldin ihn mit dieser Aktion bestrafen wollte und er ließ es zu, wehrte sich nicht dagegen. Wieso auch? Er hatte es doch immerhin verdient! Er hätte Xaldin von Anfang an die Wahrheit sagen sollen, statt es erst zu erwähnen, als Akiharu das Zimmer verlassen hatte.
Doch jetzt war es zu spät und er musste damit leben, die Aufgabe zu übernehmen, die ihm zugewiesen wurde. Aber er würde sein Versprechen gegenüber Akiharu nicht vernachlässigen. Er hatte gesagt, dass er ihn hier herausholte und das würde er tun! Er würde dafür sorgen, dass er nicht noch einmal berührt wurde. Und wenn er deswegen starb, dann wäre es so…
Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete Nazar, wie Akiharu die Tasse an die Lippen hob, etwas trank und das Gesicht verzog. Auch er hatte dieses Gesöff schon einmal trinken müssen, hatte gemerkt, dass Xaldin etwas von seinem Blut hineingekippt hatte und es dafür sorgen sollte, dass die Wunden schneller heilten. Auch bei Akiharu sollte dieses Getränk helfen, seine sichtbaren Verletzungen verschwinden zu lassen. Als er das nächste Mal die Tasse ansetzte, begann er zu husten. Wahrscheinlich hatte er sich verschluckt, auch wenn Nazar nie darauf gekommen wäre, was der tatsächliche Grund dafür war. Er hätte nie gedacht, dass es wegen der Anweisung ist, dass er an diesem Abend den Kellner geben sollte. Doch er fing sich relativ schnell wieder und trank den Inhalt beim dritten Mal ansetzen der Tasse leer.
Nazar beobachtete erneut, wie Akiharu das Gesicht verzog und wollte ihm am liebsten die Tasse aus der Hand schlagen, ihm erzählen, dass er das Gesöff nicht länger trinken musste und sich nicht Xaldin unterwerfen sollte, dass er ihn bald hier herausbrachte und er nicht länger als Gefangener leben musste. Doch nachdem, was er gerade mitbekam, wusste er nicht, ob Akiharu ihm noch länger vertrauen würde.
„Sehr schön, Aki. Dann scheint hier ja zumindest einer meinen Anweisungen voll und ganz nachzukommen. Ich hoffe, dies bleibt auch so“, sagte Xaldin in dessen Richtung.
Nazar wusste, dass es eine Anspielung auf ihn selbst war und er damit rechnen konnte, dass noch weitere Spitzen folgen würden, wenn er nicht machte, was Xaldin verlangte.
„Ich würde mich nun gerne anziehen.“
Akiharus Stimme riss Nazar erneut aus seinen Gedanken und erst jetzt fiel ihm auf, dass Akiharu noch immer nackt war und ihn nur das Handtuch und ein Stück der Bettdecke bedeckte. Xaldin schien dieser Anblick wenig auszumachen und doch erwies er dem Jüngeren die Ehre, sich nicht länger als unnötig hier aufzuhalten.
„Aber natürlich. Ich erwarte dich in einer halben Stunde beim Essen. Solltest du noch etwas brauchen, steht dir Elea zur Seite.“
Nazar sah Xaldin an, versuchte aber jede noch so kleine Regung in seinem Gesicht zu unterdrücken. Er konnte die Enttäuschung und die Überraschung allerdings nicht verstecken, die er wegen der »Strafe« und der folgenden Worte erhielt.
"Ich hoffe, du wirst deiner heutigen Aufgabe mit demselben Eifer nachgehen, wie ich es auch von Aki erwarte. Je nachdem wie du dich dabei anstellst, werde ich darüber entscheiden, ob ich dich weiterhin für seinen Schutz einsetze und ob du diesen noch gewährleisten kannst."
Nazar nickte nur kurz, um sich wieder die eiserne Maske aufzusetzen, die sein Gesicht sonst zierte. Er versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass er sauer war, dass er nicht damit fertig wurde, dass er durch diese Arbeit erniedrigt wurde. Er war bis vor gut einer Stunde die rechte Hand von Xaldin gewesen, hatte besondere Aufgaben für ihn erledigt, hatte darauf vertrauen können, alles für Xaldin tun zu können… Und jetzt? Jetzt war alles hinfällig und wenn er seinen Plan, Akiharu hier herauszubringen, in die Tat umsetzte, würde er sich sein eigenes Grab schaufeln können…
Währenddessen verschwand Xaldin aus dem Raum und ließ ihn mit Akiharu alleine. Auch Elea, die Bedienstete, war nicht mehr im Zimmer und als er so alleine mit Akiharu in diesem Zimmer war, wusste er nicht, was er sagen sollte. Doch er musste etwas sagen. Diese Stille erdrückte ihn und er hatte die Vermutung, dass auch Akiharu unter dieser Anspannung litt.
„Ich habe dich nicht angelogen“, sagte Nazar irgendwann, als er sich sicher war, dass seine Stimme nicht abbrach, während er zu reden begann. „Ich musste Xaldin die Wahrheit erzählen. Ich musste es tun, weil er es sonst selbst herausgefunden hätte. Du weißt, er hat Augen und Ohren überall… Ich habe keine Lust, dass du mit einem blauen Auge oder sonst wie bestraft wirst… Ich kann mich noch an die erste Bestrafung erinnern und das will ich nicht noch einmal für dich…“
Er atmete tief durch. Nazar atmete immer wieder ein und aus. Ein und aus. Ein und aus. Dann zwang er sich dazu, Akiharu anzusehen und ging zu dessen Bett, kniete sich genau neben ihm.
„Auch wenn ich keine Ahnung habe, ob du mir glaubst oder nicht… Ich werde dich hier herausbringen und dafür sorgen, dass du in Sicherheit bist… Vielleicht nicht heute Nacht, vielleicht auch nicht morgen… Aber ich werde dich in Sicherheit bringen…“
Er legte Akiharu kurz die Hand auf die Schulter, drückte sie, stand auf und erwartete schon, dass Akiharu aus der Haut fuhr und ihn anschrie, aber er blieb ruhig und damit ging Nazar schweigend aus dem Zimmer. Davor schloss er die Tür, sah das Holz noch eine Weile an, bevor er in sein eigenes Zimmer ging, sich noch einmal im Spiegel betrachtete und die Hände zu Fäusten ballte, um die angestaute Frustration irgendwie nach draußen zu lassen. Doch er schaffte es nicht. Er holte aus, zertrümmerte den Spiegel, in dem sein Ebenbild abgebildet wurde, mit der Faust. Dabei zersprang der Spiegel in tausend kleine Teile. Einige Splitter bohrten sich durch seine Haut, durchdrangen die verschiedenen Schichten und sorgten dafür, dass dunkelrotes Blut hervorquoll.
Er beobachtete die Flüssigkeit, wie sie langsam ins Waschbecken tropfte und dieser in alle Richtung spritzte, kleine rote Sprenkel hinterließ und sich durch die Rest Feuchtigkeit des Wassers in die Richtung des Abfluss bewegte. Den Schmerz, den jeder dabei verspürte, drang nicht bis in sein Inneres und er riss sich erst davon los, als jemand an seine Tür klopfte.
Wer wollte etwas von ihm? Vielleicht einer der Angestellten, die ihm mitteilen wollten, dass er seine Aufgabe übernehmen musste?
Er schluckte, spülte die Wunden an seiner Hand sauber, wickelte ein Handtuch darum und langsam spürte er, wie der Schmerz sich ausbreitete. Aber dies hatte er sich selbst zuzuschreiben. Ebenso wie die Aufgabe, heute Abend als Kellner zu agieren, die Wünsche des Gastes zu erfüllen und dafür zu sorgen, dass alles reibungslos lief. Aber wie sollte er Akiharu davor bewahren, als »besonderes Geschenk« herzuhalten? Wie konnte er verhindern, dass sich Xaldins Gast an Akiharu vergriff? Er musste sich etwas einfallen lassen, damit der Gast nach Hause ging und nicht in die Nähe von Akiharu kam…
Nachdem er das Badezimmer wieder verlassen hatte, sich die Hand in einen Notdürftigen Verband befand und seine Kleidung richtig saß, atmete er ein weiteres Mal durch, verließ sein Zimmer, sah dem Bediensteten, der davor wartete, mit einem finsteren Blick an und ging dann nach unten, um die Tür für den Gast Xaldins zu öffnen.
„Ich heiße Sie im Namen meines Herren, Xaldin, herzlich Willkommen. Er erwartet Sie bereits im Salon. Er wünscht sich, dass Sie uns all Ihre Wünsche mitteilen, damit wir sie zu Ihrer Zufriedenheit erfüllen können“, sagte Nazar, gespielt höflich und verbeugte sich, so wie es sich gehörte, wenn jemand als Gast ins Anwesen von Xaldin kam.
Doch die Rolle des Butlers lag ihm absolut nicht, auch wenn er dies an dem heutigen Abend mit Bestleistung schauspielern musste. Und er hoffte, dass der Mann es nicht bemerkte.
Nachdem die große Eingangstür geschlossen war, führte er den Mann zu Xaldin, der ihn bereits erwartete und überließ Xaldin den Rest. Er würde in die Küche gehen, versuchen, sich mit dem Besteck, mit dem, was er heute Abend servieren würde, vertraut zu machen und zu fragen, ob er irgendetwas beachten musste.
Er servierte Getränke, brachte eine Handvoll Gebäck in den Salon und erhielt von Xaldin nur einen eiskalten Blick, ein kurzes Nicken und eine abfällige Handbewegung, dass er wieder verschwinden sollte.
Als Xaldin dann zum Essen rief, begleitete er den Gast zu seinem Platz, schob dessen Stuhl zurecht und schenkte ihm den besten Wein des Hauses ins Glas, ließ ihn kurz davon kosten, bevor er das Glas bis zum richtigen Maß füllte.
„Darf ich Ihnen die Vorspeise bringen?“, fragte Nazar, als alle ihre Plätze eingenommen hatten.
Dabei versuchte er Akiharu nicht anzusehen. Es schmerzte ihm im Inneren, ihn in diesem Aufzug sehen zu müssen. Es musste ihm mehr als unangenehm sein. Er konnte sich nicht vorstellen, wie es sich anfühlen musste, diese Art der Arbeit zu erledigen.
Bereits, als er das erste Mal die Küche erreicht hatte, war ihm ein kleiner Arzneischrank aufgefallen und er fragte sich, ob er darin etwas finden würde, was ihm half, Akiharu aus dieser Situation herauszuholen. Doch ihm blieb keine Zeit, um noch länger darüber nachzudenken, denn er musste die Vorspeise servieren, bevor er noch länger dieser Arbeit nachgehen musste.
Nachdem dies erledigt war, hatte er ein paar Minuten Zeit, sich mit dem Inhalt des Arzneischranks zu befassen und fand etwas, was ihm sicher dabei half, den Gast von Akiharu fernzuhalten. Als Hauptspeise musste er Fisch servieren und er wusste, dass nicht jeder Fisch vertrug. Weswegen sein Plan immer mehr Form bekam und er immer mehr und mehr überzeugt war, dass es funktionierte.
Als er die leeren Teller abräumte, die Gäste fragte, ob noch etwas gebraucht wurde, es aber für den Moment verneint wurde, verzog er sich zurück, nahm sich die voll geladenen Teller und ging in die Richtung der Tür, welche einen Übergang zwischen Küche, einem kurzen Flur und dem Speisesaal darstellte.
Bevor er die Tür durchtrat, stellte er die Teller noch einmal ab und mischte unter das Essen vom Gast ein Mittel, welches Übelkeit verursachte. Als er es im Arzneischrank gefunden hatte, fragte er sich, wieso es in diesem Haushalt vorhanden war. Doch er hoffte, dass der Gast es auf den Fisch schob und nicht auf ein Mittel, was im untergejubelt wurde. Und Nazar hoffte inständig, dass die Wirkung bald einsetzen würde, damit der Gast wieder verschwand und Akiharu zumindest für diesen Abend in Sicherheit war.
Als er die Teller wieder aufnahm, trug er sie durch den Flur, beeilte sich, damit niemand zu lange warten musste und stellte die Teller vor den Anwesenden ab. Erst bekam der Gast seine Mahlzeit, dann Xaldin und zum Schluss Akiharu. Während die Anwesenden zu essen begannen, blieb er im hinteren Teil des Saals stehen, um zu beobachten, ob die Wirkung zeitig einsetzte und der Gast vielleicht aufsprang, um sich den Mageninhalt wieder durch den Kopf gehen zu lassen. Er hoffte, dass niemanden auffiel, was er getan hatte. Und er hoffte, dass Akiharu nicht mitbekam, dass er dahinter steckte. Auch hoffte er, dass es Xaldin gegenüber ebenfalls nicht auffiel. Nachdem der erste Bissen im Mund verschwunden war, hieß es für Nazar nur noch abzuwarten und zu beten, dass sein Plan funktionierte...

Akiharu Sasaki

Verloren und mit einem Gefühl der Hilflosigkeit in seinem Inneren stand Akiharu mitten in seinem Zimmer und wusste partout nicht, was er denken geschweige denn tun sollte. Sein Körper steckte bereits in den Sachen, die ihm Elea gebracht hatte, als Xaldin ihn von der Planänderung unterrichtete. Zu sagen, dass er sich darin unwohl fühlte, war eine Untertreibung. Er fühlte sich entblößter als zu dem Zeitpunkt, als er lediglich ein Handtuch um den Körper trug und versuchte, sich mit diesem so weit es ging zu bedecken. Sich zu verstecken, war in diesem Outfit unmöglich. Auch wenn er nicht in den Spiegel gesehen hatte, wusste er, dass die Narbe, die von seinem Bauch abwärts ging, zu einem Teil zu sehen war. Die Hose war lang und weit, so wie er es bevorzugte, da er damit seine Statur verstecken konnte. Das Oberteil jedoch zeigte mehr Haut als ihm lieb war und konnte man wohl vorsichtig als übergroße Weste bezeichnen, wodurch seine Arme und auch sein Oberkörper zum Teil frei waren.
Ein Frösteln ging durch seinen Körper und er schlang die Arme um sich selbst, in der Hoffnung, dass dies dagegen helfen würde. Wie sollte er sich Xaldin, Nazar und dem Gast nur in dieser Kleidung zeigen? Wie sollte er das schaffen? Und vor allem wie sollte er seinem Fahrer unter die Augen treten nachdem dieser ihn genauso verraten hatte wie Xaldin damals? Er hatte ihm falsche Versprechungen, ihm Hoffnung gemacht und ihn in Sicherheit gewiegt, nur um ihm all das nur wenige Momente später wieder zu nehmen.
Ich habe dich nicht angelogen.
Die Worte von Nazar spukten in seinem Kopf herum, seit dieser sie aussprach und kurz darauf sein Zimmer verließ. Doch wieso hatte er ihm gesagt, er hätte ihn nicht verraten, wenn er Xaldin schlussendlich doch die Wahrheit gesagt hatte? Er wusste, dass die Strafe immens gewesen wäre, hätte der Vampir von selbst herausgefunden, was in der Schule vorgefallen war. Er hätte sie beide bestraft und doch hatte er gehofft und geglaubt, dass Nazar es ihm nicht verraten hat. Akiharu wusste, dass es kaum etwas gab, dass man vor Xaldin verstecken konnte. Milou Nazar gegenüber zu erwähnen, war bereits riskant gewesen, denn wie er sagte: der Herr des Hauses hatte seine Augen und Ohren überall. Es gab mehr als genug Angestellte, die ihm treu ergeben waren und wer dies nicht war, hatte zu viel Angst vor ihm, ihm solche Neuigkeiten nicht zu verraten, um nicht selbst bestraft zu werden, sollte er herausfinden, dass sie etwas wussten.
Doch trotz dessen, dass Nazar aufgeflogen war, hatte er ihm erneut versprochen, ihn hier herauszuholen und Akiharu wusste einfach nicht, was er glauben sollte. Sollte er ihm vertrauen? Konnte er das überhaupt noch? Sein Kopf sagte deutlich nein, da er nicht sicher sein konnte, dass dies nicht ebenso gelogen war, doch sein Bauch wollte nach diesem kleinen Strohhalm greifen und der Hoffnung auf Freiheit eine Chance geben.
"Was soll ich nur tun, Sayu?", fragte er die Hündin, die als einzige noch anwesend war und ihm Gesellschaft leistete. Er drehte sich zu ihr und blickte in Richtung des Bettes, auf dem sie lag. Mit einem traurigen Ausdruck in den Augen legte sie ihren Kopf auf ihre Pfoten, da sie ihm genauso wenig helfen konnte.
Einen Augenblick später sprang sie auf und lief zu seinem Kleiderschrank hinüber. Geschickt öffnete sie eine der Türen mit den Pfoten und drehte anschließend den Kopf erst nach links und anschließend nach rechts. Irritiert sah er ihr dabei zu, da er keine Ahnung hatte, was sie vorhatte, bis sie plötzlich nach etwas schnappte, das er aus seinem Blickwinkel nicht sehen konnte, und dieses etwas nach draußen zog. Ein Bügel fiel klappernd zu Boden, sodass sie sich kurz erschreckte und dann mit dem Kleidungsstück ihrer Wahl schwanzwedelnd zu ihm lief. Noch immer nicht ganz begreifend, was sie wollte, griff er danach und erkannte, dass es sich dabei um einen langen Cardigan handelte, der dieselbe Farbe besaß wie das, was er bereits am Leib trug.
Akiharu blickte sie sprachlos an, denn auch wenn sie schon des öfteren gezeigt hatte, wie gut sie ihn verstand, hatte er nicht damit gerechnet, dass sie ihm etwas zum Drüberziehen bringen würde. Wie sollte man das bei einem Hund auch erwarten? Doch obwohl er sich ihr Handeln absolut nicht erklären konnte, war er ihr dankbar, was er ihr zeigte, indem er in die Knie ging und seine Arme um sie legte.
"Danke, Sayu-chan. Manchmal… wüsste ich gar nicht, was ich ohne dich machen würde", murmelte er leise in ihr Fell und erhielt einen Stupser mit ihrer feuchten Nase als Antwort. Alleine der Gedanke, ohne sie zu sein, schnürte ihm die Brust zusammen. Ohne sie wäre er verloren…
Bevor er tiefer in dieser Vorstellung versinken konnte, klopfte es mit einem Mal an der Tür, die sich kurz darauf einen Spaltbreit öffnete. Elea sah vorsichtig herein und entdeckte ihn eine Sekunde später. Er sah, wie sie erleichtert durchatmete und anschließend die Tür weiter öffnete. Gehorsam, wie es sich für die rangniederen Bediensteten gehörte, verbeugte sie sich vor ihm, bevor sie das Wort erhob.
"Der Gast ist eingetroffen und das Essen ist ebenfalls bereit."
"Danke", gab er ihr lediglich als Antwort, unfähig mehr zu sagen, da sich sofort ein dicker Kloß in seinem Hals und seinem Bauch bildete.
Es war so weit. Der Abend begann und er konnte nichts dagegen tun. Er wusste, wie es enden würde, auch wenn ihm die Einzelheiten nicht klar waren, doch es reichte bereits zu wissen, dass er diese Nacht nicht in seinem eigenen Bett verbringen würde, um ihn zu lähmen und an Ort und Stelle zu halten.
Eine kühle Nase holte ihn aus seiner Starre, lange nachdem Elea bereits wieder gegangen war. Akiharu blickte zur Seite und weitete die Augen. Der Cardigan lag lieblos vor Sayuris Pfoten, aber dafür glitzerte ein silbernes Armband in ihrer Schnauze.
Das Armband von Elea...
Wie ferngesteuert griff er danach und blickte es einen Moment an.
Hoffnung und Stärke.
Genau das sollten die beiden Anhänger vermitteln. Er wusste nicht, ob er daran glauben sollte, dass es half. Er war noch nie der abergläubischste gewesen, aber vielleicht sollte er zumindest an diesem Abend einmal versuchen daran zu glauben. Schaden konnte es und wenn er ehrlich zu sich war, konnte er jede Unterstützung gebrauchen, die er kriegen konnte. Aus diesem Grund legte er es um und zog anschließend den Cardigan über, dessen Reißverschluss er bis oben hin schloss. Sofort fühlte er sich um einiges wohler und weniger wie auf dem Silbertablett präsentiert, auch wenn er sich denken konnte, dass Xaldin damit womöglich nicht ganz so einverstanden war, da es sich so gesehen nicht mehr um das Outfit handelte, welches er ausgesucht hatte. Andererseits hatte er die Erfahrung gemacht, dass es der Hausherr stets etwas kühler mochte, wenn er die Umgebungstemperatur beeinflussen konnte, was lediglich bei auf diesem Anwesen der Fall war. Lange hatte er sich nach dem Grund gefragt. Jetzt, wo er wusste, dass es sich bei dem Älteren um einen Vampir handelte, konnte er das Ganze eventuell schon etwas eher nachvollziehen. Jedoch war es ihm stets zu frisch und durch sein geschwächtes Immunsystem lief er ständig Gefahr, sich eine Erkältung einzufangen. Aus diesem Grund ging er davon aus, dass es Xaldin schlussendlich dennoch tolerieren würde.
Ob dem auch wirklich so war, erfuhr Akiharu nur wenige Minuten später, als er mit einem äußerst flauen Gefühl im Bauch den Speisesaal betrat. Sofort blickten alle Augen zu ihm und vor allem die des Gastes hatten einen stechenden Ausdruck. Dieser scannte ihn von oben bis unten, während er auf den Tisch zulief, wobei ihm dies mit jedem Schritt schwerer fiel. Es wirkte auf ihn, als könnte der andere durch seine Kleidung hindurch und bis in sein Innerstes schauen. Vor einiger Zeit hätte er dies noch für unmöglich gehalten, doch inzwischen wusste er, dass es mehr auf dieser Welt gab, als die meisten auch nur ahnten. Doch auch wenn er inzwischen zu dem exklusiven Club gehörte, der darüber Bescheid wusste, hatte er doch keine Ahnung, was genau alles möglich war und genau das verunsicherte ihn in diesem Moment enorm.
Dennoch zwang er sich immer weiterzulaufen und nicht stehen zu bleiben. Dabei starrte er auf den Boden um nicht sehen zu müssen, wie ihn die anderen taxierten. An dem Platz am Tisch, den man schon fast als kleine Tafel bezeichnen konnte, angekommen, der für ihn bestimmt war, blieb er für einen Moment stehen und wartete darauf, dass ihm der Gast vorgestellt wurde oder dieser es selbst tat. Die beiden Männer hatten sich jeweils an der Stirnseite platziert, was recht ungewöhnlich war, da dieses Privileg sonst lediglich Xaldin vorbehalten war.
"Es freut mich zu sehen, dass du pünktlich erschienen bist. Darf ich dir unseren Gast, Mr. Perez, vorstellen?"
Für einen Moment sah Akiharu zu Xaldin, während dieser die Stille im Raum durchbrach, bevor er weiter zu besagtem Mr. Perez wanderte. Nur kurz wagte er es, ihn zu mustern, wobei ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief, denn die seltsame und ein wenig schwierigere Art, von der der Herr des Hauses bereits gesprochen hatte, war ihm anzusehen. Schnell senkte er den Blick wieder und verband diese Geste mit einer höflichen tiefen Vorbeugung, um ihm Respekt zu zollen.
"Es freut mich… Sie kennenzulernen."
Akiharu schluckte und hoffte, dass niemandem das kurze Zögern aufgefallen war, denn von Freude konnte keine Rede sein. Allerdings hatte er diesen Satz inzwischen so oft ausgesprochen, ohne ihn tatsächlich so zu meinen, dass er geübt darin war, dass man diese Lüge nicht mehr heraushörte.
"Die Freude ist ganz meinerseits. Ich habe schon viel von dir gehört. Es tut mir sehr leid, dass mein Freund unpässlich ist, doch ich hoffe, ich werde ihn würdig vertreten."
Auch bei dieser Aussage kroch eine Gänsehaut über Akiharus Körper und er war versucht seinen Blick durch den Raum schweifen zu lassen - auf der Suche nach Nazar. Obwohl er noch immer nicht wusste, was er von allem, was dieser ihm heute gesagt hatte, halten sollte, saß gerade das tiefe Bedürfnis in ihm, den anderen hilfesuchend anzusehen. In diesem Moment wollte er ihm einfach glauben, denn die Angst vor dem Kommenden ergriff Besitz von ihm, klammerte sich um sein Herz und kroch auch noch in den letzten Winkel seines Körpers. Er musste sich regelrecht dazu zwingen, es nicht zu tun und sich stattdessen auf seinen Platz zu setzen.
Lange musste er jedoch nicht darauf warten, zu wissen, wo Nazar war, als dieser nach der Vorspeise fragte und diese kurz darauf servierte. Dabei fiel sein Blick auf den Verband an seiner Hand und er konnte nicht vermeiden, von seinem Teller zu ihm aufzusehen. Es war bisher noch nicht vorgekommen, dass er ihn mit einer Verletzung gesehen hatte. Ob dies daran lag, dass er sonst geschickt genug war, dass er keine Wunden davontrug, er diese nur gut zu verstecken wusste oder ebenfalls der Tee eine Rolle dabei spielte, wusste er nicht, doch der Anblick war ungewohnt genug, um seine Aufmerksamkeit zu erregen und seine Vorsicht für einen Moment zu vergessen.
"Ich denke, es wäre besser, wenn du das versorgen lässt, Nazar", bemerkte auch Xaldin den Verband und sprach ihn darauf an. Ein Außenstehender mochte denken, dass es sich hierbei lediglich um einen gut gemeinten Rat handelte, der aus reiner Sorge ausgesprochen wurde, doch Akiharu wusste, dass der Ältere selbst bei so etwas keine Widerworte duldete. Wie die Antwort ihres Kellners ausfiel, konnte er sich somit denken, denn es gab nur eine, die möglich war.
Wirklich mitbekommen tat er die Antwort ohnehin nicht, denn seine Aufmerksamkeit richtete er wieder auf seinen Teller und die Vorspeise darauf. Hunger hatte er keinen. Die Geschehnisse des Tages lagen ihm schwer im Magen und das obwohl er selbst in der Schule kaum etwas gegessen hatte, nachdem ihm sein Mitschüler mitteilte, dass er mit ihm sprechen wolle. Aus diesem Grund aß er kaum etwas davon und als Nazar den Teller wieder abräumte, war dieser noch fast voll. Hinzu kam, dass er zu jeder Zeit den stechenden Blick von Mr. Perez auf sich spürte, obwohl sich dieser über die geschäftlichen Belange seines Freundes mit Xaldin unterhielt. Daher war er sich sicher, dass es auch bei den beiden weiteren Gängen, die sein Fahrer servieren würde, nicht anders aussehen würde.
Sein Fahrer…
Ob er das wohl bleiben würde? Mit dieser Frage im Kopf beobachtete Akiharu wie der andere ihnen den Hauptgang brachte und sich anschließend zurückzog. Aus dem Augenwinkel sah er, wie er sich an der Wand neben der Tür zur Küche postierte - weit genug entfernt, um das Gespräch und die Verhandlungen nicht zu stören, aber nah genug, um sofort zur Stelle zu sein, sollte etwas benötigt werden. Seltsamerweise fühlte er sich durch die sichtbare Anwesenheit des Größeren ein wenig sicherer. Ein Gefühl, das er bei ihm womöglich nicht mehr haben sollte, doch so wie er da stand, erinnerte er ihn mehr an den Bodyguard als an den Kellner, den er am heutigen Abend mimen musste - eine Aufgabe, die nicht zu ihm passte.
Auch Akiharu musste dieser Aufgabe bereits nachgehen. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, bis Mr. Gonzales Interesse an ihm anmeldete und Xaldin nichts dagegen hatte, dass er ihm auch nach dem gemeinsamen Essen noch Gesellschaft leistete und zu Diensten war. Er wusste also wie erniedrigend diese Arbeit war. Im Nachhinein betrachtet, hätte er sich aber wohl jederzeit für den Job als Kellner entschieden, als das Mädchen für alles für die Gäste und Geschäftspartner zu spielen.
Auch heute würde er wieder genau das tun müssen und der Knoten in seinem Magen, der sich seit seiner Anwesenheit im Speisesaal darin gebildet hatte, wurde bei diesem Gedanken immer größer. Die Angst stieg und er stocherte nervös in seinem Fisch herum, ohne auch nur einen Bissen davon zu essen. Von dem Gespräch, das am Tisch stattfand, bekam er noch immer nichts mit, bis Mr. Perez mit einem mal das Besteck los ließ, sodass dieses klappernd auf dem Teller landete. Durch das Geräusch aufgeschreckt, zuckte er leicht zusammen und sah zu dem Gast zu seiner Linken - gerade rechtzeitig, um noch zu sehen, wie dieser sich zur Seite beugte und seinen Mageninhalt wieder hinausbeförderte. Akiharu starrte zu ihm, unfähig sich abzuwenden. Es war beinahe wie bei einem Unfall.
Xaldin reagierte schneller. Er klatschte in die Hände und mit einem Mal tauchte Elea im Speisesaal auf.
"Geleite unseren Gast zu einem der Gästebäder."
Die junge Bedienstete verbeugte sich und lief anschließend zu Mr. Perez, um diesen mit einer Handbewegung darum zu bitten, ihr zu folgen. Dies tat er und so blieb Akiharu mit Xaldin und Nazar alleine zurück - unfähig einen Gedanken zu fassen, was diese Wendung des Abends womöglich für ihn bedeutete.

Nazar

Immer wieder ignorierte Nazar den stechenden Schmerz, der von seinen Fingern aus über den Arm in seinen Kopf kroch und sich von dort aus in seinen ganzen Körper verteilte. Es war eine schrecklich dumme Idee gewesen, den Spiegel in seinem Zimmer zu zerschlagen und sich den Verband nur notdürftig um die Hand zu wickeln. Er hätte die Wunde desinfizieren und richtig verbinden sollen, statt sich damit zu befassen, dass er Akiharu beschützen und davor bewahren musste, an diesem Abend noch ein weiteres Mal berührt zu werden.
Er wollte sich gar nicht ausmalen, in welcher Gefühlslage sich Akiharu befinden musste, nachdem … das vorhin zwischen ihnen war. Nach diesem schrecklichen Tag und den Ereignissen, die selbst Nazar noch tief im Kopf herumschwirrten.
Gerade wollte er einige Getränke bringen, als er die Tür schon geöffnet hatte und in den großen Speisesaal blickte. Er beobachtete, wie Akiharu sich verbeugte und dann zu seinem Platz lief.
Er selbst hätte Perez als alten, perversen Knacker bezeichnet, der sich heimlich Videos im Internet ansah, in denen junge Frauen mit wenig Kleidung zu sehen war und sich für die Kamera in Szene setzten. Doch er schob diese Gedanken beiseite, um sich auf die Getränke zu konzentrieren, die auf seinem Tabeltt standen. Er wollte nicht noch mehr Unmut von Xaldin auf sich ziehen.
Es dauerte nicht lange, da hatte er die Getränke vor den entsprechenden Personen abgestellt, da hörte er auch schon die Worte von Perez, die an Akiharu gerichtet waren.
„Die Freude ist ganz meinerseits. Ich habe schon viel von dir gehört. Es tut mir sehr leid, dass mein Freund unpässlich ist, doch ich hoffe, ich werde ihn würdig vertreten.“
Nazar kam die Galle hoch und er wollte den Kerl am liebsten am Kragen aus dem Saal zerren, die Tür zum Vorgarten aufreißen und ihn mit einem Tritt in den Hintern nach draußen befördern, aber er besann sich darauf, dass es falsch war und atmete stattdessen durch, um die Vorspeise aus der Küche zu bringen und anschließend die Hauptspeise.
Als er allerdings dabei war, die Vorspeise zu servieren, bemerkte Xaldin den Verband an seiner Hand und sprach ihn darauf an.
Nazar nickte und versuchte die Hand hinter seinem Rücken zu verbergen, so dass nicht auch noch der Gast es bemerkte und einen dummen Kommentar verlauten ließ. Zum Beispiel, dass fähiges Personal nur schwierig zu finden war. Doch der Spruch blieb aus und aus dem Augenwinkel bemerkte Nazar, dass Akiharu ihn ansah und eine gewisse Hilfe aus seinem Blick zu ihm schwang.
„Jawohl“, ließ Nazar über seine Lippen kommen, bevor er sich aus dem Speisesaal zurückzog.
Im Durchgangszimmer wartete er darauf, dass er die leeren Teller zurück in die Küche befördern und die vollen Teller mit dem Hauptgang auf die Tafel bringen konnte. Allerdings hielt er sich nicht lange in besagtem Zimmer auf, sondern kam nach wenigen Momenten zurück und schenkte dem Gast Wein nach, um zu verhindern, dass er so bald aufstand und Akiharu für sich alleine beanspruchen konnte. Wenn er genug Wein bekam, war er vielleicht nicht mehr in der Lage, klar zu denken oder andere Dinge zu tun…
Doch da erklang auch schon das leise Klingeln der Küche, welches verkündete, dass die Teller bereitstanden und schnell eilte Nazar in die Küche, um die Teller zu holen und den wartenden zu bringen.
Als dies getan war, ließ er sich neben der Tür zur Küche unauffällig gegen die Wand fallen, so dass es nicht danach aussah und er jeden Moment zum Sprung bereit sein konnte, wenn es zu Problemen kommen sollte. Natürlich würde es zu einem Zwischenfall kommen, immerhin hatte er dafür gesorgt, aber das musste niemand wissen.
Kaum hatte Perez angefangen, die Hauptspeise in sich hineinzustopfen, trank er immer wieder vom Wein, so dass Nazar zum Tisch eilte und ihm nachschenkte. Er entfernte sich nicht länger vom Tisch, sondern hielt sich – mit gekonnter Distanz – vom Tisch fern.
Perez hatte gerade einen Satz ausgesprochen, als er das Besteck fallen ließ und sich zur Seite drehte, um seinen Mageninhalt rückwärts zu genießen.
Nazar beobachtete das Treiben, bis sich Xaldin bemerkbar machte und in die Hände klatschte. Dann ging alles ganz schnell und Elea trat in den Speisesaal, welche die Anweisung bekam, Perez in das Gästebad zu bringen und so wie der Befehl ausgesprochen war, war sie auch schon mit dem Gast verschwunden. Somit blieben Xaldin, Akiharu und er alleine zurück.
„Akiharu, wie wäre es, wenn du dich für den Moment in dein Zimmer zurückziehst? Ich lasse nach dir rufen, wenn du gebraucht wirst… Im Moment sieht es so aus, als würde unser Gast … nicht mit dem Hauptgang zurecht kommen“, sagte Xaldin, bevor er finster zu Nazar blickte, ihn aber nicht weiter wahrnahm.
Als sich Nazar dennoch daran machen wollte, die Hinterlassenschaft zu beseitigen, hielt Xaldin ihn auf.
„Bring Akiharu nach oben und gehe dann selbst in dein Zimmer“, wies er den Fahrer des Jungen an.
Etwas überrascht sah Nazar zu seinem Herren und nickte, ehe er zu Akiharu ging, dessen Stuhl etwas zurückzog und ihm genug Zeit gab, um aufzustehen. Dann brachte er ihn aus dem Speisesaal, brachte ihn in dessen Zimmer und als er den Jungen auf das Bett setzte, fiel ihm die leere Tasse ins Auge und ein Blick fiel auf die Kette, die Akiharu um den Hals trug.
„Willst du, dass es endlich vorbei ist?“, stellte Nazar die unausweichliche Frage, die ihn den ganzen Nachmittag schon verfolgte. „Willst du, dass ich dich in Sicherheit bringe und du endlich wieder normal leben kannst?“
Jetzt sah Nazar Akiharu direkt an und atmete ruhig durch.
„Du weißt, dass Xaldin nicht nach dir rufen lässt, weil Perez den restlichen Abend über der Toilette hängt… und dementsprechend hast du deine Ruhe… und…“, erneut atmete Nazar durch und fuhr anschließend fort. „Ich will nicht, dass er dich länger in seiner Gewalt hat. Du solltest nicht länger hier bleiben müssen…“
Er wusste nicht, wie er erklären sollte, was er gerade im Kopf zusammen webte und hoffte, es ergab einen Sinn, sobald er es in die Tat umsetzte, sonst müsste er mit dem Leben bezahlen und womöglich vorher noch eine Runde durch die Hölle gehen…
„Warte um Mitternacht hier und pack deine Sachen zusammen… Zumindest das wichtigste… Aber auf keinen Fall alles!“
Nazar sah zur Tür, wandte sich ab und ging darauf zu.
„Mitternacht. Ich werde zurückkommen…“
Er griff nach dem Knauf, öffnete die Tür und sah ein weiteres Mal zu Akiharu.
„Ich bring dich hier raus“, flüsterte er und wusste nicht, ob Akiharu die Worte noch verstand oder nicht.
Dennoch konnte er sich darüber keine weiteren Gedanken machen, denn er musste in sein Zimmer, bevor Xaldin merkte, dass etwas nicht stimmte.
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