Wind Beyond Shadows

Normale Version: Nice to meet you... or not!
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Nächte wie diese waren ihm am liebsten. Es roch dezent nach dem Regen, der zuvor noch auf den Asphalt geprasselt war und der Mond stand in seinem vollen Antlitz über dem Nachtleben von Mystic Falls. Eigentlich ziemlich schön. Wäre da nicht die laute Musik und das Gebrülle von ein paar Betrunkenen, die irgendein Lied in die Nacht grölten, welches er nicht kannte.
Läge sein Tonstudio nicht in der Nähe, wäre er auch nie auf die Idee gekommen diesen Weg - der sich als praktische Abkürzung herausstellte - nach Hause zu gehen. Manchmal, an anderen Tagen, ging er allerdings einen Umweg, der durch den Park und den Friedhof führte. An diesem einen Abend wäre er wohl besser dran gewesen, wenn er den längeren Weg gegangen wäre...
August wollte so schnell wie möglich nach Hause, in sein Bett und sich vor der ganzen Welt verdrücken. Zu viele Eindrücke, zu viele Informationen, mit denen er klar kommen und dabei so tun musste, als gehörte dies alles zu seinem neuen Alltag. Ja, sein Bett klang gerade sehr verlockend. Am nächsten Tag hatte er zwar eine Vorlesung am frühen Vormittag, aber so müde wie er war, hatte er eigentlich nicht vor, diese zu besuchen.

Mit den Händen in seiner Jackentasche schlenderte der Schwarzhaarige durch die Gasse, ging dabei an einem kotzenden Teenager vorbei und rümpfte angewidert die Nase. Nicht, als ob es zu seiner Zeit keine Exzesse wie diese gegeben hatte, aber selbst damals wusste er, wann Schluss und seine Grenze erreicht war. Ihm schien es, als hätten sich die Menschen über die Jahrhunderte kaum geändert, wenn es um Alkohol ging. Jedoch wirkten sie jetzt viel mehr wie Tiere, wenn sie sich sinnlos dem Alkohol hingaben. Was soll's, das war nicht sein Problem und den Samariter wollte er heute auch nicht heraushängen lassen, solange keine Lebensgefahr bestand.
Er hatte fast das Ende der Gasse erreicht, als er eine Gestalt sah, die gerade um die Ecke abbog und für einen Moment blieben sowohl seine Füße, als auch sein Herz stehen. Crispin.
Nein, das konnte nicht sein. Sicher hatte seine Phantasie einen Streich mit ihm gespielt. Das konnte genauso gut, jeder andere Typ gewesen sein... Oder? Dennoch, der Gang, die Größe und das Profil, dass er für einen kurzen Moment erblicken konnte. Das alles sah so sehr nach ihm aus. August würde lügen, wenn er behauptete, dass er den Dämon nicht unter tausenden Menschen wieder erkennen würde. Eine Welle an Gefühlen - sowohl positiv, als auch negativ - überrollte ihn und von der Neugier getrieben, ging er vorsichtig und auf leisen Sohlen in die Richtung und spähte schließlich um die Ecke. Seinen Dolch aus Mythril, hatte er bereits langsam aus seinem Stiefel gezogen und versteckte ihn im Ärmel seines Mantels. Sicher ist sicher. Heute war ihm nämlich nicht unbedingt danach draufzugehen, falls es sich wirklich um den Dämon handelte. Ohne seine Waffen konnte er zwar trotzdem ordentlich austeilen, aber er hatte nicht umsonst ein Intensivtraining was die Handhabung vom himmlischen Waffenarsenal anging. Außerdem erinnerte ihn die kühle, himmlische Waffe an seiner Haut daran, warum er er das Training überhaupt absolviert hatte. Dämonen zu jagen war nämlich kein Ding der Leichtigkeit und das wusste er nach einem Jahr der Jagd viel zu gut.
Auch dass man sich nicht unnötig mit jedem anlegen musste, der einem verdächtig vorkam. Es galt mit Vorsicht zu jagen, sich anzupirschen. August wartete an der Ecke und sah dem jungen Mann, den er ihm Auge hatte hinterher, musterte dabei seine Statur und hoffte nahezu schon darauf, dass er einen Blick nach hinten wagte.
Dreh dich um, dreh dich um...

Crispin Cipriano

Eine Donnerstagnacht war definitiv nicht der typische Zeitpunkt für große Partys und jede Menge Betrunkene auf den Straßen und doch sah Crispin an jeder Straßenecke Leute, die durch die Gegend torkelten und einen heiden Lärm machten. An sich hätte er kein Problem damit – jeder sollte tun und lassen, was er wollte. Das Problem war allerdings, dass einige von ihnen, ihn immer wieder anrempelten und seine Stimmung dadurch noch unter dem Nullpunkt war. Da hatte auch die Prügelei nichts geholfen, die er dadurch an diesem Abend bereits hatte.
Bei der Erinnerung daran glitt sein Blick auf seine rechte Hand, bei der noch immer zu sehen war, dass die Fingerknöchel aufgesprungen waren. Inzwischen hatte er sich daran gewöhnt, dass seine Wunden schneller heilten, als zu der Zeit, als er noch ein Mensch war, doch anfangs war es immer wieder faszinierend gewesen, den Verletzungen beinahe zusehen zu können, wie sie verschwanden. Er konnte nicht leugnen, dass er dadurch sogar noch öfter Streit anfing, was allerdings auch nicht zuletzt daran lag, dass er seine Gefühle seit er ein Dämon war, noch weniger unter Kontrolle hatte, als es davor der Fall war. Wo er auch schon zu seinem zweiten Problem kam, wenn er die ganzen Betrunkenen sah: Es erinnerte ihn so sehr an seine Zeit als Mensch, wenn er auch unter der Woche mit seinen Freunden nachts durch die Gegend zog und sich einen Dreck darum scherte, was seine Familie davon hielt. Was nicht zuletzt zu der ganzen Situation führte, wegen der er nun ein Dämon war und im Körper seines Bruders steckte. Glücklicherweise hatten seine Eltern davon keinen blassen Schimmer, auch wenn sie sich mit Sicherheit bereits fragten, warum sich sein Bruder nicht mehr bei ihnen meldete. Doch darum machte er sich keinen Kopf. Wenn es nach ihm ging, konnten sie ruhig vor Sorge beinahe umkommen, solange er weiterhin von ihrem Geld profitierte – was einer der Gründe war, warum er sich überhaupt für diesen Körper entschieden hatte. Der andere Grund: Sie sahen sich unglaublich ähnlich, sodass sie des Öfteren für Zwillinge gehalten wurden. Zumindest bevor er anfing sich vom Stil her weit von dem Vorzeigesohn zu entfernen.
An sich könnte man sich nun denken, wenn ihn das alles so nervte, könnte er auch einfach nach Hause gehen. Das Problem war nur, dass er Regenwetter und die Zeit danach einfach zu sehr mochte und deshalb bereits losgezogen war, als der Himmel seine Schleusen geöffnet hatte. Dass seine Klamotten dadurch an ihm klebten, wie eine zweite Haut, störte ihn dabei recht wenig. Zudem hatte er zu Hause viel zu viel Zeit zum Nachdenken und hier draußen lenkten ihn die verschiedensten Eindrücke genug ab, um zu verhindern, dass sich sein Kopf an Dinge erinnerte, an die er nicht denken wollte.
Allerdings schien es das Schicksal mal wieder absolut nicht gut mit ihm zu meinen. Als er gerade um eine Ecke bog und auch kurz danach hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. Im ersten Augenblick ignorierte er das Ganze. Er konnte sich schließlich genauso gut irren. Aus diesem Grund schob er die Hände in seine Jacke und lief einfach weiter, ohne um sich weiter darum zu kümmern. Als er jedoch nach einigen Schritten immer noch dieses seltsame Gefühl hatte und einen Blick in seinem Rücken spürte, wandte er sich um. Mit den Augen suchte er die Umgebung ab, was sich als nicht ganz so einfach entpuppte, da die Straßenlaternen hier entweder kaputt waren oder flackerten und aussahen, als wollten sie ebenfalls jederzeit ausgehen. Auf das Licht des Mondes konnte er sich zudem auch nicht verlassen, da noch immer dunkle Wolken über den Himmel zogen. In jeder anderen Situation hätte er das genossen, doch im Augenblick war es doch ziemlich lästig, da selbst sein verbesserter Sehsinn da kaum etwas machen konnte. Das Gefühl, dass dort irgendwer war und sich sehr wahrscheinlich vor ihm versteckte, wurde jedoch mit jeder Sekunde stärker und irgendwann war er so genervt, dass er einfach in die Stille sprach, die nur ab und zu zwischen den Rufen der Betrunkenen aufkam.
„Willst du dich noch länger verstecken oder kommst du endlich raus?! Ich hab keinen Bock auf solche Spielchen!“
Bereits als er die Worte ausgesprochen hatte, lief er einige Schritte den Weg zurück, den er gerade erst gekommen war. Wenn er richtig lag, würde sich die Person entweder zeigen oder weglaufen. Mit beiden Szenarien hätte er die Gewissheit, dass ihn sein Gefühl nicht betrog, auch wenn es ihm lieber war, wenn sich derjenige zeigte, anstatt feige abzuhauen.
Die Kälte spürte er schon lange nicht mehr. Nicht wenn nur wenige Meter vor ihm die Person stand, durch die er alles verloren hatte, was ihm wichtig war. Seinen Posten, seine erste große Liebe und das Vertrauen in andere. Sein Herz schmerzte. Die Kluft die Crispin hinterlassen hatte, war nur schwer zu vergessen und auch wenn er sich das letzte Jahr gut abgelenkt hatte, fühlte er sich jetzt gerade genau so wie an dem Tag, an dem er erfuhr, dass die Person, der er am meisten vertraute zu einem Dämon wurde. Einer seiner Brüder hatte ihm damals davon berichtet und der Schwarzhaarige wollte es erst nicht glauben. Wieso sollte jemand wie Cris die Fraktion wechseln? Wo er doch genau wusste, dass Engel und Dämonen Feinde waren... Alles ergab keinen Sinn und der Engel suchte den Kontakt mit dem anderen, um Antworten auf seine Fragen zu bekommen. Doch das alles blieb aus. Und jetzt stand er da. Der lebende Beweis dafür, dass es tatsächlich so passiert war, wie ihm geschildert wurde.
Crispin hatte eine düstere Aura um sich. Nicht erschreckend, aber gefährlich - wie eine tickende Zeitbombe. Er wirkte zudem selbstbewusster und einfach... mächtig. August konnte sich nur zu gut vorstellen, wie er sich nach der Verwandlung gefühlt hatte. Die verstärkten Sinne, das Gefühl eine andere Person mit der bloßen Hand vernichten zu können...All das war ihm nicht fremd, wenn er auch seine eigenen Kräfte für das Gute nutzte und im Gegensatz zu dem anderen nicht tun und lassen konnte was er wollte.

Der Dämon kam geradewegs auf ihn zu, konnte ihn jedoch durch die schlechten Lichtverhältnisse zum Glück nicht erkennen, worüber August mehr als froh war, da sein Plan sonst komplett ins Wasser fiel. Leise ging er mehrere Schritte zurück in die Gasse, aus der er gekommen war, bis er bei einer Feuerleiter stand, die hinauf führte und deren Gerüst rund um das große Wohngebäude ging. Jetzt musste er sich aber beeilen. Mit einem Ruck, hievte er sich hoch und kletterte die klapprige Leiter hinauf, wo er für einen Moment still blieb und durch den Gitterboden hinunter auf die Gasse sehen konnte, die der Jüngere gerade entlangging, die zu der Stelle führte wo er vorhin noch gestanden hatte. Wie ein Raubtier beobachtete er seine Beute und bewegte sich kein Stück. Jedes noch so kleinste Geräusch, hätte ihn in dem Moment verraten. Erst als der andere unten an ihm vorbeiging, setzte er sich erneut in Bewegung und das so leise, dass er Angst hatte, dass man seinen Herzschlag hören konnte. Auf Zehenspitzen ging er das Gerüst entlang, bis er genau über dem anderen stand und sprang dann von dort hinunter, um hinter dem Dämon zu landen und eine Hand über seine Schulter um seinen Hals zu legen. Die andere Hand hielt den Dolch dessen Spitze sich sanft an die Haut unter seinem Ohr drückte. Es mochte kein fester Griff sein, aber beide wussten, dass es August nur eine ruckartige Bewegung kosten würde, ihn hier und jetzt zu erledigen.
"Eine falsche Bewegung und es ist das Letzte was du tust.", fauchte er leise und ließ seine Hand, die Crispins Hals umfasste, demonstrativ fester zudrücken.

Crispin Cipriano

Während Crispin die Straße wieder zurücklief, konzentrierte er sich auf jedes noch so leise Geräusch, das an seine Ohren dringen könnte - zumindest versuchte er es, denn die Rufe der Leute und auch der schrille Ton einer Autoalarmanlage machten es ihm nicht besonders einfach. Egal, wie sehr er auch versuchte, sich darauf zu konzentrieren, zu hören, ob sich in seiner Nähe etwas bewegte, es brachte einfach nichts, was seine Laune weiter senkte - wenn das überhaupt noch möglich war. Vor allem da sich zu dem Gefühl, dass er beobachtet wurde, auch noch ein ganz anderes hinzugesellte. Als hätte sein Unterbewusstsein einen Verdacht, um wen es sich dabei handelte und genau das gefiel ihm ganz und gar nicht. Sein Abend war bereits mies genug gewesen, da brauchte er diese Person nicht auch noch zu sehen, der er seit Monaten versuchte aus dem Weg zu gehen - seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten und er gesehen hatte, dass er ein Dämon geworden war. Doch trotz dieses Gefühls war er zum einen neugierig als auch genervt. Er hasste es, wenn Leute solche Spielchen mit ihm spielten und aus diesem Grund wollte er wissen, wer es war.
Als er an einer weiteren Seitengasse ankam, sah er dort hinein, doch bis auf einige Müllsäcke und vom Regen völlig durchweichte Kartons konnte er dort nichts erkennen. Dabei hätte er schwören können, dass die Person hier war. Also doch weggelaufen… Oder…? Er ballte eine Hand zur Faust und presste die Kiefer aufeinander, während er die Gasse weiterhin mit den Augen absuchte, als könnte sein Beobachter wie auf wundersame Weise vor ihm auftauchen. Da dies jedoch nicht der Fall war, entschloss er sich kurzerhand hineinzugehen. Immerhin konnte derjenige nur hier lang gelaufen sein, wenn er richtig lag. Andernfalls hätte er ihn rauslaufen sehen. Aufmerksam lief er einige Schritte, bis er neben einer Feuerleiter stehen blieb. Dieser schenkte er allerdings keine weitere Beachtung, denn diese hätte er mit Sicherheit gehört, wenn sich jemand dort hinauf gerettet hätte. Auch wenn sein Bauchgefühl ihm sagte, dass er hier eine heiße Spur hatte.
“Ich gebe dir noch eine Chance, um rauszukommen und mit diesem Spiel aufzuhören! Andernfalls schwöre ich dir, dass dir der Spaß vergeht, sobald ich dich zwischen die Finger bekomme!”
Dass dies auch der Fall wäre, wenn sich derjenige von selbst zeigen würde, ohne, dass er ihn weiter suchen musste, behielt er für sich. Ihn mit so etwas noch weiter zu reizen, während er bereits schlechte Laune hatte, war alles andere als eine gute Idee und genau das würde er der Person auch zeigen. Einen Moment später spürte er einen kurzen Luftzug im Nacken, konnte sich jedoch nicht schnell genug herumdrehen, um zu sehen, woher dieser kam. Eine Hand legte sich um seinen Hals und auch die Spitze der Waffe spürte er mehr als deutlich, auch wenn diese ihn nur sanft unter dem Ohr berührte. Dennoch rührte er sich kein Stück, da er wusste, dass ihm das zum Verhängnis werden könnte. Eine andere Tatsache ließ ihn allerdings ebenfalls erstarren, als er die Worte hinter sich hörte. Sein Herz blieb einen Augenblick stehen, als er realisierte, dass August hinter ihm stand. Derjenige, den er am allerwenigsten an diesem Abend oder irgendwann anders hatte sehen wollen. Ein leises Knurren entwich ihm, als dessen Hand stärker zudrückte. Doch er war ohnehin gerade nicht in der Lage etwas zu sagen.
Die unterschiedlichsten Gefühle kamen in ihm hoch. Jetzt, wo der Engel hinter ihm stand, spürte er Wut in sich. Und den Hass auf ihn, der darin begründet lag, dass er sich von ihm im Stich gelassen fühlte. Er war sein Schutzengel, als er noch ein Mensch war und er hatte ihn fallen lassen, als er genug von ihm hatte. Allerdings fühlte er auch wieder die Enttäuschung darüber, dass er sich so in August getäuscht hatte und die Gefühle, die er als Mensch für ihn entwickelt hatte und die er mit Füßen getreten hatte. Er ballte nun beide Hände zusammen, um sich durch den Schmerz aus seiner Starre lösen zu können.
“Ich habe geahnt, dass du es bist. Wieso beendest du es nicht einfach hier und jetzt?! Immerhin war es doch immer genau das, was du wolltest!”
Zu Sterben war im Moment das Letzte, was er wollte und wirklich sterben würde er auch nicht. Das einzige, das drauf ging, wenn August mit der Waffe fester zudrückte, wäre die Hülle - doch auch diese wollte er ungern hergeben, da sie seinem alten Körper einfach so ähnlich war.
Man merkte, dass Cris noch nicht lange als Dämon auf der Erde herumwanderte. Seine Sinne mochten zwar stärker ausgeprägt als die eines Menschen sein, aber er hätte August bereits spüren müssen, als dieser die Gasse betreten hatte. Hieß es nicht, dass man ein leises, surrendes Geräusch vernahm, sobald sich ein Engel näherte? Er selbst wusste nichts davon, aber seine Stärken waren nunmal in anderen Bereichen besser ausgeprägt. Außerdem erforderte es für ihn keine Aurenerkennung, um den Jüngeren ausfindig zu machen. Dass sie sich so schnell wieder über den Weg laufen würden, hätte er nicht gedacht und hatte es auch ehrlich gesagt nicht wirklich gehofft. Noch immer war er über den Verrat nicht hinweg und es schmerzte einfach ihn zu sehen. Zu wissen, dass er sich gegen ihn und für die dunkle Seite entschieden hatte, war für ihn nach wie vor unerklärlich. Wie viele Nächte war er wach im Bett gelegen und dachte dabei darüber nach was er falsch gemacht hatte. So viele Stunden, Tage, ja vielleicht sogar Monate, in denen seine Gedanken immer wieder zu dem anderen schweiften...
Aber damit war jetzt Schluss! All seine Trauer, seine Enttäuschung sammelte er und konvertierte sie in eine viel Stärkere Emotion: Hass. Es war so viel leichter jemanden zu hassen, als die Person zu lieben, wenn man immer wieder verletzt wurde. Wie konnte er es Liebe nennen, wenn er mehr trauerte, als lachte? Da war nichts mehr. Da durfte einfach nichts mehr sein. Dass hatte er sich selbst geschworen. Cris war das, was ihn zusammenhielt und August fiel auseinander, als er ihn verlassen hatte. Nur durch eigene Kraft, hatte er sich wieder aufgerappelt und nie wieder wollte er so etwas erneut durchmachen müssen. Diese Demut... diese schrecklichen Tage, an denen er gar nicht mehr leben wollte... sie hatten ihn so schwach gemacht. Aber Hass war etwas unglaublich mächtiges und motivierendes, wenn man das Gefühl richtig nutzte.
"Gar keine Gegenwehr? Das klingt überhaupt nicht nach dir, Cris.", erwiderte er und presste das kühle Mythril fester an die warme Haut des anderen. So einfach würde er sich doch nicht geschlagen geben. Nein, das war nicht seine Art. Er musste sich wehren, sonst bekam August am Ende noch ein schlechtes Gewissen, weil er einen Dämon ohne Gegenwehr umgebrachte... Ob er mit Absicht so handelte? Für ihn glich ein Dämon, der sich nicht zur Wehr setzte, fast einem Menschen und das war ein absolutes No-Go.
"Nun komm schon.", zischte er und ließ seine Hand von seinem Hals hinunter zu dem nassen Shirt streichen, dessen Stoff er fest packte, um den anderen mit dem Gesicht zu sich zu drehen. Der Kleidung nach zu urteilen, hatte er sich keinen Schutz vor dem Regen gesucht und wenn sie nicht in der Situation stecken würden, in der sie nunmal waren, hätte er sich sein früheres Ich vielleicht Sorgen um ihn gemacht. Aber Cris war jetzt ein Dämon und August ein dämonenjagender Engel. Also kein Grund zur Sorge. Soll er sich doch erkälten, wenn das bei Dämonen überhaupt ging. August war es sowas von egal.
Ihre Blicke trafen sich und er hasste sich selbst dafür, dass sein Herz bei dem Anblick kurz aussetzte. Das war nicht der Cris, den er kannte. Sein Gesicht war...erwachsener. Anders. Gleich und doch fremd. Der Engel überlegte kurz und erinnerte sich vage daran, dass Crispin einen Bruder hatte, aber war er wirklich im Stande dazu gewesen seinen Körper zu übernehmen...? Wobei die beiden auch nicht unbedingt ein gutes Verhältnis hatten, soweit er wusste. Cris' Familie schien diesen generell zu bevorzugen und war das nicht schließlich der Grund gewesen, weshalb der Kleinere von beiden an einsamen Nächten bei dem anderen gelegen und ihm liebevolle, aufmunternde Worte ins Ohr gesäuselt hatte, während er ihn mit Küssen und zarten Berührungen verwöhnte? Und dann dieser Verrat... Es war doch zum Kotzen.
Das Messer an seiner Kehle gedrückte, presste er ihn an die Wand und sah ihn hasserfüllt an. "Gibst du einfach so auf, hm? Na los, wehr dich doch endlich. Oder warst du da unten genauso nutzlos wie hier oben?", fauchte er zog ihn etwas an sich, nur um ihn wieder fest gegen die Wand zu schubsen. Ohne einen fairen Kampf würde er ihn nicht töten - das war nicht seine Art. Er hätte ihn vielleicht sogar aufgepäppelt, nur um damit er richtig kämpfen konnte. Andernfalls hätte der Engel ein schlechtes Gewissen. Er musste sich also wehren und August provozierte und provozierte ihn weiter. Tu doch endlich etwas. Gib mir endlich einen Grund zuzuschlagen.

Crispin Cipriano

Am liebsten hätte sich Crispin selbst verflucht. Sich, aber auch den Dämon, der ihm damals geholfen hatte, sowohl selbst zu einem zu werden, als auch anschließend so zeitig wieder auf die Erde zu kommen. Nicht, wegen dem, was passiert war – dafür mochte er sein Leben als unsterbliches Wesen zu sehr. Es war, weil er durchaus mitbekommen hatte, was andere konnten und er eben nicht drauf hatte. Er wusste, dass einiges erst mit der Zeit kam. Auch wenn die verbesserten Sinne und auch die gesteigerte Kraft von Anfang an da waren und ihm ein unbeschreiblich gutes Gefühl gaben. Die Fähigkeit, andere anhand ihrer Aura aufzuspüren und auch die verschiedenen Wesen daran zu erkennen war dagegen etwas, dass ein wenig Zeit in Anspruch nahm, bis es wirklich so funktionierte, wie es sollte. Auf diese Zeit hätte er allerdings gut und gerne verzichten können, denn hätte er vor ein paar Minuten bereits gewusst, dass es ein Engel – und dabei noch ein ganz bestimmter - war, der ihm auflauerte, hätte er sich wohl nicht auf dieses Spielchen eingelassen. Oder er hätte zumindest um einiges eher gewusst, wo er war und wäre nicht in diese Falle getappt. Hätte er allerdings direkt gewusst, dass es sich um August handelte, wäre er wohl wirklich einfach weitergegangen, anstatt noch einmal umzukehren. Ihm so schnell wiederzubegegnen war nicht sein Plan, auch wenn er eigentlich genau aus diesem Grund zu einem Dämon geworden war. Doch alleine die Gedanken an ihn schmerzten, geschweige denn, ihm gegenüberzustehen.
Als August wieder seine Stimme erhob, wurde er aus seinen Gedanken geholt und im nächsten Moment spürte er die Klinge noch ein wenig stärker an seinem Hals. Ein Schnauben entfuhr ihm bei der Frage, ob er sich nicht wehren wollte.
„Glaubst du ernsthaft, ich bin so dumm, dich anzugreifen, solange es dich nur einen Ruck kostet, um mir die Waffe in den Hals zu rammen?!“
Er wollte aus dieser Situation ganz gewiss nicht als Verlierer rausgehen und wenn das hieß, dass er August für kurze Zeit einfach die Oberhand und die Kontrolle überlassen musste, dann würde er das zulassen. Seine Chance, sich zu wehren, würde kommen, da war er sich mehr als sicher. Dass es auch noch einen ganz anderen Grund gab, wegen dem er sich keinen Millimeter rührte, würde er ihm nicht unter die Nase reiben. Die Tatsache, dass sie sich hier nun wiedersahen und er ihm so nah war, machten es ihm einfach unmöglich und er hasste sich dafür, dass er sich gerade so machtlos fühlte, obwohl er das als Dämon nicht sein sollte und ganz besonders auch nicht sein wollte. Und genauso hasste er es, dass er nicht verhindern konnte, dass sein Herz schneller schlug.
Hätte August ihn im nächsten Moment nur ein Stück weiter unten am Shirt gepackt, um ihn herumzudrehen, hätte er es sehr wahrscheinlich gemerkt, doch er war froh, dass dem nicht so war. Am Ende wäre er noch der Ansicht, er hätte Angst, aber davon war er meilenweit entfernt. Dadurch der Dolch nun von seinem Hals verschwunden war, sah er nämlich nun endlich seine Chance gekommen, ausnahmsweise genau das zu tun, was August von ihm wollte und wonach er gerade ein weiteres Mal verlangte: Dass er sich wehrte.
„Keine Sorge, …“
Eigentlich wollte er noch mehr sagen, doch ihm blieben die Worte im Hals stecken, als er August in die Augen sah. Es war eine Sache, ihn im Rücken zu haben und nur seine Stimme zu hören und eben eine ganz andere, ihn tatsächlich anzusehen. Der Anblick des Engels hatte ihn so lange verfolgt. Selbst, als er bereits ein Dämon war, war er ihm in seinen Träumen erschienen und er verfluchte sein Unterbewusstsein dafür, dass es ihn damit quälte. Ihn immer wieder daran erinnerte, was er verloren hatte: Die wichtigste Person, die er hatte. August war alles für ihn. Ihm war es egal, dass er sein Schutzengel war und sich eigentlich nicht mit ihm treffen durfte. Regeln waren für ihn dazu da, um gebrochen zu werden. So ging er schon seit Jahren durchs Leben. Und nicht nur, dass er ihn einfach gerne bei sich hatte, er hatte ihn gebraucht. Der Engel war die erste Person, die ihn verstand – ihn und sein Verhalten, ihn aufmunterte, wenn es mal wieder jede Menge Stress mit seiner Familie gab, anstatt ihm weitere Vorwürfe zu machen. Er hatte die Zeit genossen, jeden einzelnen Moment. Und dann war mit einem Schlag alles weg. Gerade dann, als er ihm offenbaren wollte, was er für ihn empfand. Doch vielleicht war das auch ganz gut so, dass er nicht dazu kam, es ihm zu sagen, bevor August sich von ihm abgewendet hatte. Die Schmach wäre noch um einiges größer gewesen, wenn er es wüsste.
Während er in seinen Erinnerungen versank – die ihn genauso schmerzten, wie August hier und heute wiederzusehen – wurde er von diesem gegen die Wand gedrückt. Ein Zischen entfuhr ihm, bevor er knurrte, als der Engel seinen Dolch wieder an seine Kehle drückte und ihn weiter provozierte. Schluss mit den Erinnerungen! Reiß dich endlich zusammen!
„Ich werde ganz sicher nicht kleinbeigeben! Vor niemandem und ganz besonders nicht vor dir!“
Die Worte, er wäre nutzlos gewesen, halfen ihm dabei, sich zu fangen und genau das umzusetzen, was er ihm gerade gesagt hatte. Er spürte die Wut in sich aufsteigen, die jedes andere Gefühl, das er in den letzten Minuten verspürt hatte, in den Hintergrund drängt – und er war unglaublich dankbar dafür.
Eigentlich hatte er vorgehabt, ihn zu entwaffnen, doch solange der Dolch an seiner Kehle lag, war dies wohl alles andere als eine gute Idee. Also warf er seine Pläne um und packte ihn am Kragen, um ihn ein Stück von sich zu stoßen und nicht länger die Wand im Rücken zu haben. Anschließend griff er nach Augusts Handgelenk und verdrehte ihm den Arm auf den Rücken. Mit seiner anderen Hand nahm er ihm die Waffe ab und legte sie ihm nun seinerseits von hinten an den Hals.
„Bitteschön, hier hast du meine Gegenwehr! Bist du jetzt zufrieden?! Du hättest mich besser töten sollen, als ich mich noch nicht gewehrt hatte!“
Es gab eine Zeit, in der er dachte, dass sie alles zusammen schaffen konnten. Zusammen gegen den Rest der Welt, Hand in Hand gemeinsam durchbrennen und nie wieder zurückkommen. Oh Gott, er hätte damals alles dafür gegeben, sein Engelsdasein komplett abgelegt, nur um bei ihm sein zu können. Doch anscheinend war das alles nur einseitig gewesen. Hätte Cris ihn nämlich wirklich geliebt, wäre er niemals zu den Dämonen gewechselt. Niemals hätte er ihn so hintergangen und gedemütigt zurückgelassen. Es tat so unbeschreiblich weh. Damit war jede Chance, dass sie jemals wieder zusammen kamen komplett gestrichen - tabu. Nicht, als würde August es wollen... Seine Gnade und Gutmütigkeit kannte Grenzen und sie waren hiermit weit überschritten.
Seine Worte trafen endlich den wunden Punkt, um die gewünschte Reaktion hervorzurufen, auf die er schon die ganze Zeit wartete. Sie half ihm, seine wirren Gedanken beiseite zu schieben und sich auf das wesentliche zu konzentrieren. Wie zum Beispiel darauf, dass der Dämon die Oberhand hatte und er seinen Hals unwillkürlich in seine Richtung streckte, um dem Dolch zu entkommen, der nun gefährlich nahe an seiner Haut saß. Mit der freien Hand griff er nach Crispins Hand, die die Waffe hielt und versuchte diese keuchend von sich wegzuziehen. Seine Reflexe waren tatsächlich schneller geworden, mal ganz abgesehen von der Kraft die der Jüngere nun in sich trug. Zu seiner menschlichen Zeit war er auch so schon ein recht starkes Bürschchen gewesen - vermutlich wegen den ganzen Auseinandersetzungen auf der Straße - aber jetzt hatte August tatsächlich die Befürchtung, dass er eines Tages stärker werden würde, als er selbst... und das gefiel ihm gar nicht. Jemand mit so viel Temperament und Hass war gefährlich - gerade als Dämon. Wie viele Menschen er wohl schon getötet hatte? Oder war er bis jetzt zu überfordert damit gewesen? Jemanden umzubringen war doch selbst für ihn anfangs schwer gewesen, wenn es auch Kreaturen gewesen waren, die es mehr als verdient hatten. Aber Cris...? War er dazu in der Lage gewesen? Seit seinem Verrat, hatte sich August keine Mühe gegeben irgendetwas über ihn herauszufinden. Wohnte er noch immer im Haus seiner Eltern? Oder bereits im Haus seines Bruders? Hatte er überhaupt ein Zuhause oder lebte er auf der Straße? Letzteres rief ein unangenehmes Gefühl der Sorge in ihm hervor, dass er schnell wieder verdrängte. Nein, er hat diesen Weg selbst gewählt, also musste er auch die Konsequenzen tragen. Soll er doch auf der Straße verhungern, es wäre ihm egal. Redete er sich zumindest ein, denn im selben Moment verriet ihn sein Herz, dass unweigerlich schwerer bei dem Gedanken, dass Cris irgendwo auf der Straße lag und starb, wurde. So einen Tod hatte er nicht verdient. Es wäre fast schon zu gutmütig. Der Dämon musste durch die Hand des Engels sterben - anders hätte er es nicht zugelassen.
"Dein Leben als Dämon muss ja ziemlich beschissen sein, wenn du dich mir praktisch anbietest.", sagte er leise lachend und zischte dann wieder, als der Dolch seine Haut streifte und er wieder seinen Hals strecken musste. Es wunderte ihn allerdings, dass da nicht noch mehr kam. Kein Schlag, kein Tritt... es war keine wirkliche Gegenwehr, sondern einfach nur ein Spiegelbild von dem, was August vorhin bei ihm gemacht hatte. Klar, der feste Griff an seiner Hand schmerzte und auch das kühle Mythril war nicht angenehm, aber dennoch hätte diese Situation weitaus unangenehmer und schmerzhafter sein können. "Na, was ist? Ich dachte, dass sie da unten aus dir endlich einen Mann machen. Aber da habe ich mich wohl geirrt.", sagte er spöttisch und schielte zu dem Dolch hinunter. So nahe wie sie sich gerade waren, machte es ihn schon fast verrückt, sodass er nicht mehr länger zögerte und zwar einen Schritt nach vorne ging, was die Waffe fester an seinen Hals drückte und er dadurch anfing zu bluten, nur um sich dann umso energischer mit seinem ganzen Gewicht nach hinten zu stoßen, sodass beide zum Fall auf den dreckigen, verregneten Straßenboden kamen. August erwischte es dabei zwar noch besser, weil er direkt auf Crispins Brust landete, aber besser war in der Hinsicht auch nur Ansichtssache. Die gegebene Position nutzend, schlug er dem Jüngeren den Dolch aus der Hand, der nun etwas abseits in einer Pfütze landete und drehte sich um, sodass er auf dem Bauch des Dämons saß und eine seiner Hände neben seinem Kopf zu Boden drückte, während er sich mit der anderen gegenüber keuchend abstützte. "Du bist stärker geworden.", merkte er grinsend an. "Du würdest einen guten Jäger abgeben."

Crispin Cipriano

Warum? So oft hatte er sich diese Frage in den unterschiedlichsten Ausführungen gestellt und war doch nie zu einer zufriedenstellenden Antwort gekommen. Warum hatte er es damals so sehr übertrieben, dass August ihn hatte retten müssen? Warum war er von Anfang an so fasziniert von ihm gewesen, dass er einfach nicht anders konnte, als sich immer wieder mit ihm zu treffen und ihn auch noch dazu zu überreden, nachdem er wusste, dass es gegen eine Regel verstieß? Warum hatte er zugelassen, dass das Ganze so weit ging, dass er sich in ihn verliebt hatte? Und warum hatte er sich dennoch so sehr in dem Engel geirrt, dass es ihm den Boden unter den Füßen weggerissen und ihn dort zerbrochen liegen gelassen hatte, als er erfuhr, dass dieser ihn im Stich gelassen hatte, als wäre das alles nur ein blödes Spiel für ihn gewesen?
Crispin wusste es nicht. Keine einzige dieser Fragen konnte er sich wirklich beantworten - teilweise vielleicht, aber nicht komplett. Und in diesem Augenblick musste er sich noch eine ganz andere Frage dazu stellen: Warum schaffte er es nicht, mehr zu tun, als August einfach nur in Schach zu halten, wo er ihm doch eben noch gesagt hatte, dass er sich nun wehren würde? Auch das wusste er nicht - wobei ihm allein bei dem Gedanken sein Herz Lügen strafte, indem es noch einen Tick schneller schlug, als sich August weiter nach hinten lehnen musste, um dem Dolch an seinem Hals zu entgehen. Sein Herz wusste, warum er es nicht konnte und er hätte am liebsten alles dafür gegeben, um den Grund dafür zu ändern, denn wie man sah, behinderte es ihn dabei, das zu tun, was er tun wollte: August dafür büßen lassen, was er ihm angetan hatte. All die Schmerzen, die Verzweiflung und die vergebene Hoffnung wollte er ihm heimzahlen. Und was tat er stattdessen?! Er stand hier, rührte sich wieder nicht mehr und hielt den Engel einfach nur fest. Am liebsten hätte er geflucht, aber wenn der Kleinere es nicht schon selbst mitbekommen hatte, dass nichts weiter geschah, hätte er es genau dann mit Sicherheit gewusst. Aus diesem Grund hielt er sich zurück und biss die Zähne zusammen. Er wollte ihm diese Schwäche nicht noch offensichtlicher zeigen, denn etwas anderes war es nicht.
“Halt die Klappe!”, knurrte er, als August ihn schon wieder provozierte. “Ich biete mich dir überhaupt nicht an! Ich stelle lediglich fest, dass du mich schon lange hättest töten können!”
Darüber, warum es noch nicht so war, wollte er gar nicht nachdenken, denn er hatte mit den eigenen Fragen im Kopf mehr als genug zu tun. Auf seine nächsten Worte wollte er ebenfalls etwas sagen, doch so weit kam es nicht und er konnte nicht verhindern, dass er für einen kurzen Augenblick erschrocken war, als August einen Schritt nach vorn ging, sich dem Dolch somit selbst auslieferte. Dieser Zustand hielt nicht lange an, hatte ihn aber genug abgelenkt, dass der andere es schaffte, sie beide von den Füßen zu holen. Er keuchte vor Schmerz auf, als er mit dem Rücken auf dem Boden landete und er Augusts Gewicht noch zusätzlich auf sich spürte. Und als wenn das beides noch nicht genug wäre, wurde ihm zusätzlich der Dolch aus der Hand geschlagen. Ein weiteres Knurren entwich ihm dabei und er sah der Waffe einen Moment hinterher - sie lag definitiv außerhalb seiner Reichweite.
Und ein weiteres Mal wurde ihm seine Ablenkung zum Verhängnis, als August sich auf ihn setzte und seine Hand auf den Boden drückte. Durch diese Position waren sie sich beinahe so nah wie noch kurz zuvor an der Wand und sein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen, als er ihm wieder in die Augen sah. Durch das fehlende Licht wirkten sie wirklich vollkommen schwarz und es fühlte sich an, als würde er darin vollkommen verloren gehen, wenn der Blickkontakt noch länger andauerte.
Bei Augusts Worten, die er grinsend hervorbrachte, lachte er bitter auf und lehnte den Kopf ein Stück nach hinten.
“Du willst mir jetzt nicht tatsächlich gerade anbieten, für euch verfluchte Engel zu arbeiten?! Weißt du überhaupt, wie lachhaft das klingt?!”
Lachhaft war genau das richtige Wort und das musste doch selbst August klar sein, weshalb er absolut keine Ahnung hatte, warum er dies gesagt hatte. Alleine die Vorstellung war schon vollkommen absurd.
“Lieber würde ich wirklich sterben, als für deinesgleichen auch nur irgendetwas zu machen!”
Da sterben für ihn am heutigen Tag aber nicht auf dem Plan stand, nutzte er seine freie Hand, an die August scheinbar überhaupt nicht mehr gedacht hatte, legte ihm diese um den Hals, an dem noch immer die Wunde von dem Dolch zu sehen war, und drückte zu. Gleichzeitig drückte er ihn nach hinten, bekam so seine zweite Hand ebenfalls frei, als August nachgab, und schaffte es, sich mit ihm herumzurollen, sodass er nun wieder die Oberhand hatte. Kurz drückte er seine Hand noch ein wenig fester um den Hals des Engels und blickte ihn dabei die ganze Zeit an.
Doch… er ertrug das nicht. Ihn anzusehen und zu wissen, das trotz allem ein Teil von ihm immer noch etwas für ihn empfand. Und genau das ließ eine neue Welle der Wut in ihm aufsteigen. So durfte es einfach nicht sein! Abrupt ließ er August los, nur um ihn im nächsten Moment mit der Faust ins Gesicht zu schlagen.
“Und weißt du auch, warum ich es nicht tun würde?!”, nahm er den Faden seiner letzten Worte wieder auf. “Nicht nur, weil es absolut absurd wäre, als Dämon für den Feind etwas zu tun, sondern weil jeder einzelne verdammte Engel mich daran erinnert, dass du mich im Stich gelassen hast, dass du mich verlassen hast!”
Crispin konnte nicht verhindern, dass er bei dem Gedanken daran, vor Wut bebte und er schlug August zwei weitere Male mitten ins Gesicht, bevor er - weit weniger kräftig als zuvor - mit beiden Fäusten auf die Brust des Engels schlug, wo er sie auch liegen ließ, und zwischen zusammengebissenen Zähnen noch etwas hervorbrachte, während er ihm doch wieder in die Augen sah.
“Du hast mich einfach fallen lassen…”
Der Tag an dem sie sich das erste mal geküsst hatten, war einer dieser besonders heißen Sommertage gewesen, die man selbst mit der ständig laufenden Klimaanlage kaum aushielt. Den Sommer hatte August schon immer gehasst - selbst zu Lebzeiten - aber in dieser Hülle schien alles noch viel schlimmer zu sein. Crispin machte es an dem Tag erträglicher. Sie trafen sich in dem alten Atelier eines Freundes, das als Unterschlupf von dem damaligen Teenager diente und der Jüngere schlug vor den Tag am See zu verbringen und im kalten Wasser Abkühlung zu suchen. August wusste damals nicht, was ihn mehr erfreute: die Flucht von der elenden Hitze, die es ihnen sogar schwer machte zu atmen oder die Tatsache, dass er Zeit mit dem Schwarzhaarigen verbringen würde...und das für einen ganzen Tag. Er willigte sofort ein, ohne auch nur an die Konsequenzen zu denken, falls sie gesehen werden sollten, aber sie taten ja nichts Verbotenes oder? Bis zu dem Zeitpunkt erfüllte der Engel lediglich seinen Job und lenkte Cris von den unangenehmen Dingen im Leben ab, fungierte dabei als helfende Hand und fast schon als ein Freund. Lüge. Sie beide wussten, dass es schon lange nicht mehr nur um eine Freundschaft ging. Beide fühlten sich leer, sobald der andere nicht mehr da war und beide waren trotz ihrer draufgängerischen Art dann doch zu schüchtern, zu zurückhaltend um etwas zu sagen oder etwas zu tun. Wie zwei Blätter im Wind, umspielten sie sich, tauschten hoffnungsvolle, kurze Blicke und Berührungen aus, die nur sie beide zu deuten wussten. Du nervst. war mittlerweile zu einer Geheimbotschaft für Ich mag dich. geworden und die Hand die der Engel in den Nacken des anderen legte hieß Ich bin für dich da. Sie hatten ihre eigenen Wege um miteinander still zu kommunizieren und doch war es August ab diesem Tag nicht mehr genug. Nach stundenlangem Schwimmen - zu dem Cris ihn erst zwingen musste, nachdem August sich geweigert hatte auch nur eine Zehe in das Wasser zu tauchen - faulenzten sie zusammen im Gras und beobachteten die Sonne, die den Himmel in ein sattes Orange verwandelte und die ersten spuren des Nachthimmels mit sich zog, sodass ein schöner lilafarbener Übergang entstand. In Filmen, die August gesehen hatte, waren diese Momente fast schon dazu prädestiniert Zärtlichkeiten miteinander auszutauschen, aber etwas hielt ihn davon ab, seinem ursprünglichen Plan nachzugehen. War es die Angst von oben beobachtet zu werden? Oder doch die Angst davor, dass Cris ihn gar nicht mochte und er sich alles eingebildet hatte? Plötzlich fühlte er einen unheimlichen Druck, die untergehende Sonne fungierte in dem Moment wie eine laufende Sanduhr und er hatte das Gefühl, dass ihm die Zeit davon rannte, wenn er nicht sofort handelte, bevor sie unterging und alles zu spät war. 'Cris...', fing er damals hoffnungsvoll an und der andere hob in dem Moment seinen Kopf, um ihn erst fragend anzusehen und ihm ein wissended Lächeln zu schenken. Natürlich wusste er, was in ihm vorging. Machte nicht genau das Seelenverwandte aus? Und das waren sie doch gewesen. Zwei Außenseiter die ihren Platz in der Welt suchten und ihn schließlich bei dem jeweils anderen fanden. Wäre da nicht diese Sache mit den verschiedenen Rassen gewesen, die ihnen einen Strich durch die Rechnung machte. Aber jetzt gerade, in diesem Moment, war es ihnen beiden egal, obwohl sie wussten, dass es nicht sein durfte. Cris setzte sich auf, um auf den Engel zu setzen, der auf dem Rücken im Gras lag. Seine Hände legte er auf seine Brust und beide sahen sich für einen langen Moment nur an, nahmen jedes kleinste Detail des anderen auf. August war dankbar dafür, dass der andere größeren Mut zeigte und sich ihm langsam näherte, aber dennoch stieß er die warnenden Worte aus, die er sagen musste und zu denen er verpflichtet war: 'Cris... Wir sollten nicht..' Am Horizont war nur noch der letzte Streifen des Lichts zu sehen und August spürte den Atem des anderen an seinen Lippen. 'Ich weiß., hatte er er gesagt.
Sie küssten sich, als die Sonne komplett verschwunden war unter dem dunklem Himmel und besiegelten damit beide ihr trauriges Schicksal, dass sie zu diesem Punkt führte.

August spuckte Blut, als er sein Gesicht zur Seite drehte, da er sich bei den Schlägen in die Wange gebissen hatte. Seine Nase und die Wunde an seinem Hals bluteten ebenfalls und sein Mantel sog soch mit dem Wasser der Pfütze, in der er lag, voll. Trotz den Schmerzen fing er an zu lachen. Erst leise und dann immer lauter, fast schon wie ein Irrer, der komplett den Verstand verloren hatte. Fallen gelassen. Wer hatte hier wen fallen gelassen? Wer entschloss sich gegen ein Miteinander? Sicher nicht er. Der Engel wollte immer nur das beste für den anderen und handelte immer nur zu dessem besten Wohl.
Sein Lachen wurde allerdings wieder leiser, als er den Blick des anderen sah. So verletzt, so einsam... In diesem Moment war es schwer zu glauben, dass es sich bei Crispin um einen Dämon handelte. "Wir hätten nicht so weit gehen sollen.", fing er an und warnte damit gleichzeitig vor dem was gleich geschehen würde. "Ich sollte wirklich nicht..." Aber er konnte nicht anders. Nicht wenn Cris ihn so ansah, sie wieder so beieinander waren, wie an dem Sommertag vor mehr als einem Jahr. Die blassen Hände des Engels griffen nach dem Gesicht des Dämons und nach so viel Schmerz und Trauer küssten sie sich in dieser Nacht unter dem verregnetem Himmel, der vielleicht für die beiden mitweinte, denn das was sie hatten, durfte nicht mehr sein und August wollte ein für alle mal damit abschließen, auch wenn es schmerzte. Er löste den Kuss und strich über die Wange des anderen.
"Es tut mir Leid.", flüsterte er und stieß ihm dann das Messer in die Seite.

Crispin Cipriano

Zeit… Welch seltsames Gebilde diese doch war. Es gab so viele Situationen, wo man sie am liebsten festhalten wollte und genauso viele, in denen man es gar nicht erwarten konnte, dass sie verging. Beides hatte Crispin so oft erlebt, wenn es um August ging. Die Tage, die sie hatten zusammen verbringen können, waren viel zu schnell vorbei, wohingegen die Zeit, die er ohne ihn sein musste, er sich leer und einsam fühlte, als würde ein Teil von ihm fehlen, sich so unerträglich zog, wie alter Kaugummi. Doch wie hieß es? Man musste erst erfahren, was es hieß, zu leiden, um die schönen Seiten des Lebens wirklich genießen zu können. Und Gott, er hatte es getan. Beides. Und ganz egal, wie schwer die Momente ohne August auch waren, er hatte zu dieser Zeit keinen einzigen von ihnen bereut, weil er einfach wusste, dass es auch wieder anders sein würde, sobald sie sich wiedersahen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er zudem gedacht, dass es dem Engel genauso ging. Lüge.
Gerade jetzt war es allerdings etwas vollkommen anderes. Gerade jetzt schien die Zeit einfach stehenzubleiben, während genau das geschah, was er eben noch vermeiden wollte: Dass er sich in den Augen des Engels verlor. Selbst, dass dieser gerade noch über seine Worte gelacht hatte, war dabei völlig egal und vergessen, obwohl er vor ein paar Minuten dabei noch aus der Haut gefahren und noch wütender geworden wäre. Und als August seine Stimme wieder erhob, wusste er sofort, was er meinte, ohne, dass er es genau aussprechen musste. Den Tag am See würde er niemals vergessen. Er war ihm noch so sehr vor Augen, als wäre es erst gestern gewesen. Ihr Anfang vom Ende.
Am liebsten hätte er etwas darauf erwidert. Allerdings war sein Kopf gerade zu keinem klaren Gedanken fähig, denn er ahnte, was August zwar versuchte zu verhindern, indem er sich selbst ermahnte, es aber nicht schaffte und er selbst konnte es nicht verhindern. Wollte es irgendwo auch gar nicht. Als er von ihm berührt wurde, wehrte er sich nicht und als sie sich küssten, fühlte es sich für einen kurzen Augenblick wieder genauso vertraut zwischen ihnen an, wie in dieser Nacht am See, als sie sich das erste Mal geküsst hatten. Für diesen einen Augenblick war alles, was anschließend zwischen ihnen geschehen war, vergessen und Crispin konnte nicht ganz vermeiden, dass sich ein kleiner Funken Hoffnung in ihm bemerkbar machte. Bis August sich wieder von ihm löste. Seine leise gemurmelten Worte irritierten ihn, doch kurz darauf wusste er den Grund dafür.
Ein Keuchen entfuhr ihm, als er den Dolch in die Seite bekam und er sah den Engel erschrocken und ungläubig an, bevor er vor Schmerz das Gesicht verzog. Mit einem Schlag hatte es der andere geschafft die Hoffnung in ihm kaputt zu machen. Wieder einmal.
„Warum…“
Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, bevor sie ihm vollständig versagte, er sich zur Seite fallen ließ und mit dem Rücken auf dem Boden liegen blieb. Er wusste auch nicht, was genau er fragen sollte. Dafür waren es einfach zu viele Fragen, die ihm nun ein weiteres Mal durch den Kopf schossen. Was hatte er eigentlich erwartet? Warum überhaupt gehofft? Weil er für einen Moment vergessen hatte, dass August schon damals mit ihm gespielt hatte. Nach diesem Tag im Sommer hatte sich alles geändert, als hätte er nur auf den Zeitpunkt gewartet, indem er ihm mit dem Kuss zeigte, was er ihm wirklich bedeutete, auch ohne es aussprechen zu müssen. Und jetzt? Spielte er dieses Spiel noch einmal und er fiel schon wieder darauf herein.
Mit zusammengebissenen Zähnen griff er nach dem Dolch und zog ihn heraus. Es schmerzte, doch viel mehr als das, schmerzte es ihn, dass August es erneut geschafft hatte, ihn zu verletzen, obwohl er sich nach dessen Verschwinden geschworen hatte, dass dies nie wieder vorkommen würde, sollten sie sich wiedersehen. Keuchend ließ er die Waffe klappernd auf den Boden fallen und versuchte sich wieder aufzurappeln, gerade in dem Moment, als der Himmel erneut seine Schleusen öffnete und die ersten Regentropfen ihn trafen. Und zusammen mit dem Regen traf ihn auch eine Erinnerung, die ihm noch genauso lebhaft in Erinnerung war, wie der Tag am See.

Sich mitten im Sommer zu erkälten, war wohl wirklich eine Kunst, die nicht jeder drauf hatte, selbst dann, wenn es bisher kein wirklicher Sommer war, weil es ständig nur regnete. Es wirkte, als hätte die Sonne in diesem Jahr keine Lust, sie zu verwöhnen. Crispin allerdings hatte es geschafft und das obwohl ihn August immer und immer wieder ermahnte, er solle bei diesem Wetter nicht ungeschützt draußen herumlaufen. Doch wie er nun einmal war, hörte er nicht darauf und tat einfach, was er wollte. Er liebte es einfach viel zu sehr durch den Regen zu laufen, ganz egal, ob er dadurch am Ende nass bis auf die Haut war.
So auch an diesem Tag. Bereits als er von Zuhause verschwunden war, hatte es angefangen zu regnen. Dennoch hatte er auf einen Schirm verzichtet, was dazu führte, dass er aussah wie ein begossener Pudel, als er an ihrem geheimen Treffpunkt - einem alten verlassenen Atelier - ankam. August wartete bereits auf ihn und kaum sah er ihn, traf ihn auch schon ein missbilligender Blick. Crispin wusste bereits, was er sagen wollte und trotz seiner Freude, ihn zu sehen, rollte er mit den Augen.
Keine Sorge, ich weiß, was ich tue. Ein Satz, den er so oft sagte, wenn er wollte, dass der Engel einfach nichts weiter dazu sagte, was er tat. Doch wie jedes Mal wurde er auch dieses Mal nicht davon verschont. Während er mit einem Handtuch, das sie in dem Atelier inzwischen vorsorglich gebunkert hatten, auf ihn zukam, damit er zumindest seine Haare trocknen konnte, schüttelte er nur den Kopf. Du bist bereits krank. Und solange es da draußen regnet, setze ich mit dir keinen Schritt vor die Tür.
Crispin seufzte genervt. Er wusste, dass es der Engel nur gut meinte, aber das änderte nichts daran, dass es ihn ärgerte. Du bist ganz schön nervig, weißt du das?! Das einzige, was ihn auf diese Aussage traf, war ein wissendes Grinsen, denn August wusste ganz genau, wie er es meinte. Es war eine Art Geheimsprache.
Da sich der Engel allerdings tatsächlich nicht umstimmen ließ, verbrachten sie ihre ganze gemeinsame Zeit an diesem Tag in dem Atelier. Und dennoch war dieser Tag unvergesslich. Bereits als er das Atelier das erste mal betreten hatte, war ihm das Klavier aufgefallen, das dort stand und genau an diesem saßen sie an diesem verregneten Tag und spielten gemeinsam. Es war magisch und etwas besonderes. Vor August hatte er seine Leidenschaft für dieses Instrument niemals verstecken müssen. Er konnte so sein, wie er war.

Mit einem vehementen Kopfschütteln verscheuchte Crispin diese Erinnerung, denn auch diese schmerzte. So sehr, dass er nach Augusts Verrat lange Zeit kein Klavier mehr ansehen, geschweige denn spielen konnte. Er keuchte ein weiteres Mal vor Schmerzen auf, als er es endlich schaffte, sich aufzusetzen. Eine Hand presste er auf die Wunde in seiner Seite, aus der das Blut durch seine Finger rann und dort von dem inzwischen stärker gewordenen Regen abgespült wurde. Sein Blick wanderte zu dem Engel und er spürte wieder die Wut in sich - ein Gefühl, das weit besser war, als diese Verletztheit.
“Ich hoffe, dir hat dieses erneute Spiel mit mir Spaß gemacht, damit es sich für dich auch gelohnt hat!”
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