Wind Beyond Shadows

Normale Version: Behind the mask
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Crispin Cipriano

In seinem ganzen bisherigen Leben kam es wirklich selten vor, dass Crispin etwas bereute. Seiner Meinung nach war die Zeit, die man auf dieser Welt hatte, viel zu kurz dafür, um Entscheidungen zu bereuen und sich zu wünschen, man hätte etwas anders gemacht. Auch jetzt noch war er dieser Meinung, selbst wenn sein Leben nun weit weniger begrenzt war, als noch zu der Zeit, in der er ein Mensch war. Dennoch bereute er wenig und einige Dinge, die er vor kurzem noch am liebsten anders gemacht hätte, wollte er nun keinesfalls mehr ändern. Denn genau diese Entscheidungen hatten ihn unter anderem an diesen Punkt hier gebracht. Es war kompliziert zwischen ihnen - mehr als je zuvor - aber dennoch konnte er nicht leugnen, dass er alles, was er in seiner Zeit mit dem Engel getan hatte, wieder genauso machen würde.
Gerade in diesem Moment wünschte er sich allerdings, er könnte die Zeit noch einmal zurückdrehen, sodass er auf Augusts Geständnis anders reagieren könnte, als sich dieser von ihm löste und abwandte. Ein stechender Schmerz grub sich in sein Herz, hielt es aber gleichzeitig auch unbarmherzig gefangen. Die Wärme und das angenehme Gefühl einer altbekannten Geborgenheit, die er damals nur bei dem anderen verspürt hatte, verschwanden und machten einem Gefühl der Kälte und Leere Platz. Hinzu kam die Befürchtung, dass seine fehlende Reaktion vielleicht die Situation ruiniert hatte und die kurze Zeit des Friedens zwischen ihnen vorbei war. Dieser Gedanke schmerzte ebenfalls und Crispin ballte die Hände zu Fäusten. Was hatte er aber auch erwartet?! Dass sie ewig so miteinander umgehen würden, wie in den letzten Minuten? Das war vielleicht früher der Fall, doch diese Zeiten waren scheinbar vorüber. Dabei war es genau das, was er sich wünschte. Doch so wie es aussah, war dies nur ein Traum, der niemals in Erfüllung gehen würde und stattdessen jedes Mal, wenn er sich wieder darauf Hoffnung machte, früher oder später wie eine Seifenblase platzte.
Das war es dann wohl?!
Die Frage lag ihm bereits auf der Zunge, aber er kam nicht dazu, sie tatsächlich auszusprechen. August überraschte ihn, als er sich wieder zu ihm wandte, ihn genauso perplex ansah, wie er es selbst eben noch gewesen war und anschließend wieder auf ihn zukam, nachdem er sich gefangen hatte. Seine Nähe und sein Duft benebelten seine Sinne direkt wieder, als der andere vor ihm stand und seine Arme um ihn schlang.
“Genau das war doch insgeheim immer unser Motto”, erwiderte er mit einem kleinen Lächeln, wobei er sich eine Spur Traurigkeit dabei nicht verkneifen konnte. “Und das könnte es auch immer noch sein…”
Zumindest wünschte er sich genau das. Damals waren sie ein gutes Team, alleine hingegen nur zwei verlorene Seelen, die einen Platz suchten, ankommen und jemanden finden wollten, der sie besser verstand als jeder andere - oder in seinem Fall überhaupt verstand. Nun waren sie wieder alleine, im Grunde erneut auf der Suche und landeten doch immer wieder bei dem anderen. Als wären sie noch immer mit einem unsichtbaren Band miteinander verbunden, das sie wie ein Gummiband zueinander zog, wenn sie sich zu weit von dem anderen entfernten.
Halt suchend legte er seine Hände erst auf die Hüfte des Engels, spielte mit dem Saum des Sakkos, bevor er sowohl unter dieses als auch unter das Oberteil schlüpfte, um die warme, weiche Haut unter seinen Fingern zu spüren. Er brauchte das gerade, da die Anspannung mit jeder verstreichenden Sekunde stieg, in der er darauf wartete, wie August auf seine Worte wohl reagierte und er hoffte einfach, dass dies für den anderen in Ordnung war. Als er dann schließlich seine Antwort erhielt, konnte er sich ein Augenrollen nicht verkneifen.
“Ich hatte ohnehin nicht vor, dass hier und jetzt zu besprechen. Schließlich hast du mich gefragt, was ich mir nach diesem Abend erhoffe und nicht von diesem Abend…”
Wobei er letzteres selbst nicht einmal wusste. Als er diesen Ball betreten hatte, war dies anders. Er wollte einfach nur Ablenkung von August. Wodurch diese Situation nun äußerst seltsam war, da er sich gerade nichts anderes wünschte, als dass es so blieb wie jetzt. Friedlich und mit einer Nähe zwischen ihnen, von der er nicht geglaubt hatte, dass sie noch existierte, ohne ein schwacher Abdruck von dem zu sein, was früher da war. Ob dies nach diesem wichtigen Gespräch noch immer so sein würde? Oder war dies seine letzte Gelegenheit, um dem egoistischen Teil seiner selbst das zu gönnen, was er wollte? Crispin wusste es nicht, doch zusammen mit diesen Fragen schoben sich auch ganz andere in seinen Kopf. Fragen, die ihn dazu brachten mit den Fingern noch ein Stück weiter nach oben zu wandern und August so nah an sich zu ziehen, wie es ihm möglich war, ohne dem anderen wehzutun.
Was war, wenn er mit all seinen Vermutungen falsch lag? Was, wenn August nie mit ihm gespielt und er alles zwischen ihnen wegen einer falschen Annahme aufs Spiel gesetzt hatte? Und was, wenn es dadurch trotz dieses Abends und ihrem momentanen Umgang kein Zurück mehr gab? Es würde ihn vermutlich zerstören, zu wissen, dass all ihr Leid der letzten Monate und vor allem Tage, vermeidbar gewesen wäre und er alles kaputt gemacht hatte.
Doch auf der anderen Seite stand auch die Frage im Raum: Was war, wenn er richtig liegt und der Engel ihm die ganze Zeit etwas vorgemacht hatte? War dann alles von diesem Abend und der letzten Zeit ebenfalls nur vorgespielt? Und vor allem: Was würde er tun, wenn es so war? Besonders auf diese Frage wusste Crispin keine Antwort. Richtig wäre es wohl, seinen ursprünglichen Plan umzusetzen und den anderen zu töten. Allein bei dem Gedanken sträubte sich jedoch alles in ihm, denn im Moment würde er wohl eine ganz andere Entscheidung treffen. Eine äußerst masochistische und selbstzerstörerische Entscheidung. Müsste er sich jetzt auf der Stelle entscheiden, ob August ein Teil seines Leben bleiben würde oder nicht, würde er wohl ohne zu zögern ja sagen. Er würde mit der Lüge leben, dass er dem anderen etwas bedeutete, dass es etwas in ihm auslöste, wenn sie sich so nah waren. Er würde es ertragen, dass dem nicht so war, solange er den anderen nur wieder bei sich hatte und nicht mehr alleine war. Crispin wusste, dass ihn das Wissen darüber, dass alles nur ein meisterhaftes Schauspiel des Engels war, langsam aber sicher kaputt machen würde, doch gerade wäre er dazu bereit gewesen.
Beide Szenarien wären unglaublich schmerzhaft und er froh, als August ihn erfolgreich davon ablenkte, als sich dessen Lippen wieder auf seine legten. Bereitwillig ließ er sich darauf ein, wollte einfach wieder alles um sich herum und was ihm durch den Kopf gegangen war, vergessen. Selbst dass er ihn eben noch darum gebeten hatte, bei ihm zu bleiben und sich damit so verletzlich wie schon lange nicht mehr vor dem Engel gezeigt hatte, war vergessen. Dennoch legten sich die Worte des Engels wie ein schützender Mantel um sein Herz und hinterließ ein warmes Gefühl in ihm. Als sie sich kurz voneinander lösten, zog sich Cris die Maske vom Kopf und klaute auch Augusts. Maskenball hin oder her - im Moment empfand er sie als störend. Beide ließ er einfach neben sich zu Boden fallen, während sich ihre Lippen zu einem weiteren Kuss fanden. Erst als sein Körper nach Luft verlangte, löste er sich widerwillig von August, blieb ihm aber dennoch sehr nah.
“Vielleicht sollten wir lieber verschwinden.”
Nicht nur, dass ihm solche Veranstaltungen noch immer nicht interessierten, wollte er im Moment auch am liebsten mit August alleine sein, einfach seine Nähe genießen, ohne dass neugierige Blicke auf ihnen liegen konnten.
“Außer du willst doch noch provozieren, dass wir rausgeschmissen werden”, ergänzte er mit einem frechen Grinsen, da diese Vorstellung durchaus ebenfalls etwas hatte.
Crispin deutete auf eine Zukunft an. Eine die ihrer Vergangenheit ähnelte, mit dem Unterschied, dass es nun viel gefährlicher und riskanter war, als zu dem früheren Zeitpunkt, an dem sie sich genau dieselben Worte zugeflüstert hatten. Zwei einsame Seelen, die sich in dieser großen Welt gefunden hatten, was fast schon an Schicksal grenzte, denn von dem ersten Moment an, hegte August Interesse für den Jüngeren, als wären sie fast schon dazu bestimmt gewesen aufeinander zu treffen. Woher diese Verbindung zwischen ihnen kam, konnte er selbst nicht sagen - sie war einfach da gewesen und hielt bis heute an, denn wie man sehen konnte, fiel es beiden schwer Abstand voneinander zu nehmen. Die Distanz, die sie einnehmen wollten, brachte sie nur noch näher zueinander und an diesen Punkt, wo sie nur schwer wieder voneinander loslassen konnten. Wie denn auch, wenn es sich so, so gut anfühlte? Ihre Lippen verschmolzen regelrecht miteinander - vor allem, als die lästigen Masken entfernt wurden. Anderer Körper hin oder her, das hier war immer noch sein Crispin. Die Art wie er sich bewegte, wie seine Hände über seinen Rücken fuhren,wie er sprach und vor allem was er sagte… All das konnte doch nicht gespielt sein. Es glich so sehr dem Menschen, der er vor einem Jahr noch war und den August mehr als alles andere geliebt hatte - und es immer noch tat, egal wie sehr es schmerzte. Doch gleichzeitig überkam ihn wieder diese Angst, dass dies alles nur eine Illusion war und jetzt wo sie so gut wie bereit zum Gehen waren, fühlte es sich an, als hätten sie nur noch eine begrenzte Zeit miteinander, bevor der Abschied folgte.
Die kalten Finger, die über seine Haut strichen, riefen sofort Gänsehaut hervor und zauberten dem anderen ein schwaches Lächeln auf die Lippen. Wie sehr er sich danach gesehnt hatte dem anderen genau auf diese Art wieder nahe zu sein, genau auf diese Art erneut berührt zu werden.
Mehr als zustimmen konnte er in dem Moment nicht - sehnte er sich doch selbst nach ein wenig Zweisamkeit mit dem Dämon, auch wenn es durchaus bedeuten könnte, dass sie das letzte Mal so nahe beieinander sein würden. Nach wie vor bestand das Risiko, dass sie nach der Aussprache getrennte Wege gingen oder noch schlimmer: nur noch einer von ihnen am Leben blieb. August kannte die Regeln zu gut und laut diesen hätte Crispin schon längst tot sein sollen, gerade wenn er auf einen der besseren dämonenjagenden Engel getroffen hatte. Irgendwo war es doch lächerlich, dass ausgerechnet jemand wie der Grünhaarige, der geschworen hatte jeden einzelnen Dämon, der ihm begegnet in's Jenseits zu schicken, ausgerechnet für Crispin eine Schwäche hatte, die sich nicht zuletzt aus dem Fakt, dass er zur anderen Fraktion gehörte, noch viel mehr verstärkte. Mittlerweile gab es für ihn keine Chance einen Kampf zwischen ihnen zu gewinnen, denn er hätte es niemals über sein Herz gebracht den anderen umzubringen und ihn somit für immer zu verlieren.
"Okay, lass uns gehen. Wir haben sowieso schon einen sehr miesen Eindruck hinterlassen. Der Barkeeper hat mich vorhin hinausgeschmissen...Obwohl..."
Eine Sache wollte er noch erledigen, bevor er hier einen Abgang machte. Wo war denn die liebe, nette Miss Rosewood? Ah. auch sie hatte es mittlerweile unter die Tanzenden geschafft und der Engel ergriff sofort die Gelegenheit, um sich ihr zu nähern, indem er mit Crispin zusammen, in ihre Richtung tanzte. Sie hatte sich anscheinend eine arme Seele geangelt, die verzweifelt versuchte, den aufgespritzten Lippen der Dame zu entfliehen. Dem jungen Mann konnte er zwar nicht mehr helfen, aber mit einer geschickten Bewegung entwendete er ihr zumindest die Tasche, in der sich ihr restliches Geld befand, dass - wie sagte der Auktionator so schön? - “Doch nur einem gutem Zweck diente”. Wieso also knausrig sein und alles behalten? Im Namen von Miss Rosewood gab er das erbeutete Geld an einen der Veranstalter, bevor er die Tasche in der Nähe des Ausgangs legte. “Die Alte war mir vorhin schon ein Dorn im Auge.”, sagte er schultern zuckend, bevor er die Hand des Dämons in die seine nahm und ihre Finger miteinander verschränkte, um mit ihm die Veranstaltung zu verlassen. Zu wissen dass Crispin jetzt mit ihm nach Hause ging, ließ seine Sorgen, die er während der Auktion hatte, komplett verschwinden und machte ihn irgendwo auch stolz, weil nur er das Privileg hatte den anderen so nahe zu sein wie vorhin. Crispin gehörte zu ihm und selbst wenn sie im Streit oder sogar im Tod auseinandergingen, so gehörte Augusts Herz wiederum - ob er wollte oder nicht - weiterhin dem Jüngeren.

Crispin Cipriano

Als August ihm zustimmte und der Moment näher rückte, an dem er diesem Ball den Rücken kehren konnte, der ihm durch die Versteigerung sowohl eine Lehre, als auch durch alles, was danach geschah, eine trotz allem schöne Erinnerung war, spürte er Erleichterung in sich. Doch trotz der angenehmen und friedlichen Zeit zwischen ihnen, schob sich nun auch die Befürchtung immer weiter in den Vordergrund, dass ihre gemeinsame Zeit dem Ende zusteuerte. Als würde er am nächsten Morgen auf diesen Abend zurückblicken und feststellen, dass dies alles vorbei war und am liebsten würde er die Zeit einfach anhalten. Crispin wusste, dass das nicht ging. Die Vergangenheit hatte ihm gezeigt, dass die Momente mit August immer viel zu schnell vorbei waren - sowohl im letzten Jahr als auch nach ihrem Wiedersehen - wohingegen die Zeit ohne ihn einfach nicht vergehen wollte. Und genau davor hatte er auch jetzt Angst. So sehr wie er sich nach der Zweisamkeit mit dem Engel sehnte, so groß war auch die Furcht davor, dass es das letzte Mal sein würde, dass er diese genießen konnte. Jeden einzelnen Augenblick davon wollte er auskosten und anschließend in einer geheimen Ecke seines Herzens verstecken, sollte danach alles den Bach runter gehen, um sie an besonders einsamen Tagen und Nächten wieder hervorzuholen und sich daran zu klammern. Es würde schmerzhaft sein und eigentlich wäre es dann schlauer, alles zu vergessen - was absolut unmöglich war - aber selbst wenn er die Möglichkeit hätte, würde er sie nicht nutzen. Er wollte den Engel nicht vergessen, auch wenn es eine absolut unlogische Entscheidung wäre. Aber wann hatte er schon einmal eine rationale Entscheidung getroffen, wenn es um den anderen ging? Seit er ihm begegnet war, waren alle seine Handlungen darauf ausgerichtet gewesen, ihn zu sehen und bei sich zu haben. Einige Zeit hatte es zwar geklappt, sich von ihm fernzuhalten, aber es hatte seine Sehnsucht nach ihm nur gesteigert und machte es ihm im Moment unmöglich daran zu denken, wie es schief gehen könnte und er das alles wieder verlor.
Aus diesem Grund verscheuchte er diese Gedanken auch, als August erwähnte, dass ihn der Barkeeper bereits rausgeschmissen hätte und es demnach unter anderem wohl wirklich besser wäre, zu gehen. Er staunte allerdings nicht schlecht, als sie noch einmal auf der Tanzfläche landeten und sich der alten Frau näherten, die ihm alleine durch ihren Anblick einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Vor allem wenn er daran dachte, dass ihn das Schicksal des Jungen, den sie bei sich hatte, beinahe selbst ereilt hätte. Auch wenn er noch die Chance gehabt hätte, einfach nach der Auktion zu verschwinden.
“Was hast du vor?”
Die Frage war nur leise - und an sich auch überflüssig, als er sah, wie geschickt der Engel ihr die Tasche klaute, die sie anschließend beim Personal abgaben. Als er dann auch noch hörte, dass die Alte August schon zuvor ein Dorn im Auge war, konnte er sich nicht mehr zurückhalten und fing an zu lachen.
“Wenn ich nicht wüsste, dass du schon immer einen Hang zum Verbotenen hattest, hätte ich jetzt gesagt, ich färbe auf dich ab.”
Und dennoch hatte ihn das gerade durchaus überrascht, denn wie oft hatte er sich anhören dürfen, dass er irgendwas nicht durfte? Allerdings absolut nicht negativ, denn seiner Meinung nach, hatte sie es auch nicht anders verdient.
“Du würdest einen guten Taschendieb abgeben”, meinte er noch mit einem Grinsen, während er kurz auf ihre ineinanderverschränkten Hände sah und anschließend einen letzten Blick auf das Anwesen warf, als sie es verließen. Als er früher am Abend hierher gekommen war, hätte er sich den Ausgang nie so vorgestellt. Er hätte jeden ausgelacht, der ihm gesagt hätte, dass er die Veranstaltung zusammen mit August - Hand in Hand - verlassen würde, denn es war zu diesem Zeitpunkt einfach eine absurde Vorstellung. Doch so wie es war, war es gut und sogar besser, als alles, was er sich für diesen Tag hätte ausmalen können.

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