Wind Beyond Shadows

Normale Version: Wir beide gegen den Rest der Welt ♡
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Das Atelier hatte er mit einem mehr oder weniger mulmigem Gefühl hinterlassen und plötzlich erschien ihm der ganze Plan einfach nur… dumm. Aspen hatte absolut keinen Grund ihm irgendetwas vorzuspielen, war er es doch immer gewesen, der August freundlich daran erinnert hatte, sich an die Regeln zu halten und stets freundlich zu sein, damit es zwischen ihm und den anderen zu keinem Streit kam. Soweit der Schwarzhaarige wusste, hatte er auch eine recht guten Ruf bei den Erzengeln gehabt und er strebte selbst an einmal einer zu werden - ganz im Gegenteil zu dem Kleineren, der damals als Dämonenjäger höchst zufrieden war, jedoch vom Rat als würdig für eine höhere Position gesehen wurde. Damals wurde gemunkelt, dass Aspen eifersüchtig auf den Fortschritt des anderen war, aber an Gerüchte wie diese hatte er nie geglaubt. Nicht wenn der andere immer an seiner Seite war - vor allem während der schwersten Zeit seines Lebens.
Seinen Bruder ohne Handy zu kontaktieren war anfangs schwer gewesen, aber mittlerweile wusste er, dass er über einem Coffeeshop wohnte, der furchtbaren Kaffee zubereitete und dessen Kekse hauptsächlich nach gezuckerten Steinen schmeckten. Aber hey, jeder wie er wollte, nicht? Manche mochten diese Cantuccini - oder wie auch immer sie hießen - sehr gerne. August behielt lieber seine Zähne, vielen Dank. Wenn er also mit seinem Bruder reden wollte, dann konnte er ihn dort jederzeit besuchen, denn dieser hatte - im Gegensatz zu ihm - keinen Job angenommen oder ein Studium begonnen. Was er den ganzen Tag machte, wusste er nicht genau und es interessierte ihn bis jetzt auch nicht wirklich, denn er hatte so schon genug mit seinem eigenen Leben zu tun gehabt, das alles andere als einfach war - vor allem, wenn man davor im 17. Jahrhundert gelebt hatte. Der andere Engel schien jedoch immer da zu sein, wenn er gebraucht wurde und so ertönte seine freundliche Stimme durch das dünne Holz der Wohnungstür, vor der August stand und darauf wartete hereingebeten zu werden.
“Ah, August? Du? Hier? Was für eine Ehre! Womit habe ich diese Besuch verdient?” Ja, womit denn, August? Das alles war doch kompletter Bullshit. Der ganze Plan grenzte an unendlicher Dummheit, denn hier stand eine seiner längsten Bekanntschaften aus dem Himmel, in Pyjamashorts mit grinsenden Entchen, einem weißen Tanktop und Knallgrünen Hausschuhen und freute sich wie ein Honigkuchenpferd, dass ausnahmsweise mal der andere vorbeikam. Aspen wäre nicht einmal imstande dazu gewesen einer Fliege etwas zuleide zu tun. Crispin war verrückt etwas anderes zu behaupten und das ganze war wahrscheinlich sowieso nur eine Lüge. Hier aufzutauchen war einfach total unnötig und er hätte fast schon gesagt, dass er nur aus Versehen hier gelandet war, als ihm plötzlich etwas auffiel.
Nervosität. In all den Jahren, die er mit Aspen verbracht hatte, kam es kein einziges mal vor, dass er etwas wie Nervosität oder Unsicherheit im Gesicht des anderen gesehen hatte. Aber jetzt gerade lag ein Hauch von Unsicherheit in seinem Lächeln und das machte August stutzig. “Stör ich?”, fragte er deswegen und lugte in die Wohnung, bevor der andere einen Schritt zur Seite machte und hastig den Kopf schüttelte. “Nicht doch, nicht doch. Komm nur herein. Du kannst ruhig auf der Couch Platz nehmen.” Dem Angebot ging er gerne nach und ließ dabei seinen Bruder nicht aus den Augen. Die Wohnung war spärlich eingerichtet. Nur mit dem nötigsten Mobiliar, als könnte er jeden Moment seine Sachen packen und von hier verschwinden. Irgendwie beneidete er ihn darum… Manchmal wollte August nämlich genau das tun. Speziell an Tagen wie diesen, wo er keinen klaren Gedanken fassen und erst recht keine Entscheidungen treffen konnte. “Sorry, Asp. Ich will echt nicht stören. Ich… ich wollte einfach nur reden. Mir geht in letzter Zeit so viel durch den Kopf und ich weiß nicht was ich tun soll…”, begann er und dachte währenddessen nach, wie er diese Konversation weiterführen wollte. Aspen kannte ihn sehr gut und er musste seine Worte weise wählen. Den wahren Grund konnte er ihm schlecht nennen, wenn er die wichtigste Person in seinem Leben nicht verlieren wollte… oder die Chance auf einen Neuanfang in seinem Himmel. Was genau er von beidem eher wollte, konnte er gerade nicht beantworten. Sein Herz sagte natürlich - und das ohne auch nur zu zögern - sofort Crispin, aber sein Verstand machte ihm klar, dass das niemals passieren durfte, er seine Chance schon längst verpasst hatte und er sich stattdessen auf etwas realistisches - wie zum Beispiel die Rückkehr in den Himmel - konzentrieren sollte.
“Was beschäftigt dich denn, lieber Bruder?”, fragte Aspen besorgt und setzte sich neben ihn. Nun war er es, der nervös wurde. Wieder verfluchte er den Dämon, dass er ihn mehr oder weniger überredet hatte, bei diesem idiotischen Plan mitzumachen, der sowieso keinen Sinn hatte. Sein Bruder war unschuldig und das würde er hier und jetzt beweisen! “Asp, du würdest doch niemals wollen, dass mir etwas zustößt oder?”, fragte er und sah den anderen dabei genau an, auf eine Reaktion wartend. Aspen legte den Kopf etwas schief und lächelte mit zugekniffenen Augen. “Aber nein, liebster Bruder, das würde ich niemals wollen. Wie kommst du auf so etwas?” Kopfschüttelnd wandte er den Blick ab und im Moment entging ihm, wie das breite Lächeln des anderen sofort fiel und zu etwas… Skeptischem wurde. “Ich weiß auch nicht… Momentan habe ich einfach das Gefühl, dass ich niemandem trauen kann. Seit der Sache mit Crispin…”
“Das war wirklich ein unglückliches Ereignis. Wer hätte ahnen können, dass der Junge zu einem Dämon wird? Wirklich schrecklich. Aber das ist doch nun schon lange Geschichte oder? Dämonen sind unsere natürlich Feinde und er muss, genau wie jeder andere, ausgelöscht werden. Und wer könnte das besser, als der talentierte, starke und raffinierte August?”, sagte er und in diesem Moment hätte er schwören können, dass Aspen die letzten Worte mit Verachtung und Neid aussprach. Zynismus zu erkennen war nicht seine Stärke, aber der Blick des anderen hatte etwas an sich, dass ihm ein unangenehmes Gefühl bereitete. Fast schon, als wäre er nicht erwünscht. Dem wollte er gerade nachkommen, indem er sich wieder auf den Heimweg machte, aber seine Aufgabe war noch nicht erledigt. Das Handy, richtig. Unauffällig sah er sich im Raum um und konnte es auf anhieb nicht sehen. Vielleicht im Schlafzimmer? “Danke Asp. Du hast mir in der Zeit wirklich geholfen. Ohne dich wäre meine Strafe vielleicht viel härter ausgefallen.”, sagte er und musterte dabei weiter den Raum, jedoch ohne Erfolg. “Ähm, darf ich kurz mal dein Bad benutzen?”, fragte er und stand schon mal auf, bevor der andere auf den kleinen Gang deutete. “Ganz hinten rechts. Gegenüber vom Schlafzimmer.” Nickend ging er in die Richtung und sah prüfend zurück, bevor er die Tür zum Schlafzimmer anstatt die des Bades öffnete und so leise wie möglich den Raum betrat. Auch hier war alles nur mit dem Notwendigsten ausgestattet, aber seine Augen funkelten nahezu vor Triumph, als er das Handy am Nachtkästchen liegen sah. Es dauerte keine zwei Sekunden und schon war es eingesteckt. Sein Gewissen hatte er in Momenten wie diesen längst abgeschaltet. Sooft wie er schon etwas mitgehen gelassen hat, musste er das auch. Das mulmige Gefühl vom Anfang war jedoch immer noch da, denn warum sollte er jemanden beklauen, der ihn schon so lange kannte? Was würde dieses Teil schon beweisen, außer das Crispin log und er einmal wieder auf ihn hereingefallen war? Wie auch immer, so hatte er dann wenigstens die Gewissheit und würde wohl endgültig den Kontakt mit dem Jüngeren abbrechen, denn sein Herz machte dieses hin und her einfach nicht mehr mit. So viel er auch bereit war Crispin zu verzeihen, irgendwann erreichte auch er seine Toleranzgrenze und machte dann einfach dicht. Und eigentlich hatte er diese, indem er ihm gebeichtet hatte, einem anderen Dämonen vertraut zu haben, schon längst überschritten.
Genau so leise wie er den Raum betreten hatte, verließ er ihn wieder und ging zurück ins Wohnzimmer, wo ein nägelkauender Engel auf ihn wartete, der ihn erst gar nicht bemerkte und nahezu erschreckte, als der andere sich zu Wort meldete. “Es ist spät, ich sollte losgehen. Sorry noch mal. Es war schön mit dir zu reden, aber ich bin schon furchtbar müde und du wolltest wohl auch schon in’s Bett.”, meinte er und deutete dabei auf die witzigen Pyjamashorts mit dem seltsamen Muster. Wieder erschien das breite Lächeln auf den Lippen des Bruders. “Nicht doch, mach dir deswegen keine Sorgen. Du kannst jederzeit vorbeikommen.” Auch August lächelte, wenn auch nur schwach und nickte, ehe er zur Tür ging und sich dann mit einem leisen Bye-Bye verabschiedete. Er hätte schwören können, dass er Erleichterung in den Augen des anderen sah.

Der Weg nach Hause war ein einziger Konflikt. Er fühlte sich ausnahmsweise doch schlecht dafür, dass er etwas geklaut hatte. Mehrmals hatte er sich überlegt einfach umzudrehen und das Handy zurückzubringen und es an seinen ursprünglichen Platz zu legen. Wie sollte es auch nicht auffallen, dass es plötzlich weg war? August jedoch dafür zu beschuldigen, wäre unwahrscheinlich gewesen, sträubte dieser sich doch gegen alles Technische. Ohne diesem kleinen Ding entging ihm allerdings die Chance auf die Wahrheit - was auch immer diese sein sollte. Er nahm sich alle Zeit der Welt bei seinem Heimweg und blieb schließlich vor seinem Haus stehen. Ob Cris schon da war? Hoffentlich nicht. Er musste noch zusammenräumen - vor allem die Fotos unter seinem Kissen und die doofe Kuscheldecke, die er von ihm geschenkt bekommen hatte. Alles Beweise für seine unendliche Schwäche gegenüber dem anderen, der ihn nur auf eine bestimmte Weise ansehen musste, um seine Knie zu Pudding zu machen. Ein wohliger Schauer durchfuhr ihn und er musste sich davon ablenken, mit seinen Gedanken nicht wieder zu den weichen Lippen und den starken Armen abzuschweifen… Im Wohnzimmer angekommen, kickte er erst einmal seine Schuhe in eine Ecke und schlüpfte aus seiner Lederjacke, die er über einen der Sessel warf. Kurz danach fischte er das Handy aus seiner Hosentasche und begutachtete es. Er drückte darauf herum und bis auf den Sperrbildschirm, der die Uhrzeit - 01:34am - und einen schwarzen, schlichten Hintergrund zeigte, war nichts zu sehen. Unten erschien ein Fingerprint-Symbol, das rot blinkte und das Handy kurz vibrieren ließ, was August wiederum erschreckte. Was das alles genau zu bedeuten hatte, wusste er nicht und irgendwo war er froh, dass sich zumindest Cris damit auskannte, auch wenn er nicht froh darüber war, dass er sich mit etwas Illegalem wie Hacking auseinandersetzte. Bisher hatte er so etwas nur in Filmen gesehen, aber anscheinend war dieses Herumgetippe auf der Tastatur gefährlich und sehr riskant. Sehr zum Leiden von August, der eigentlich nicht wollte, dass der Jüngere sich weiter in Schwierigkeiten brachte als sonst schon, denn das war etwas, aus dem er ihn nicht retten konnte und das machte ihn sehr nervös. Er hatte gerne Kontrolle über die Situationen mit Cris, aber hier war er eindeutig im Nachteil.
Gähnend tapste er die Treppe hinauf zu seinem Schlafzimmer. Besser jetzt alles wegräumen, bevor der andere auftauchte und noch etwas sah, was nicht für seine Augen bestimmt war. Oben angekommen blieb er allerdings wie angewurzelt stehen… Aus dem Türspalt zu seinem Schlafzimmer drang Licht. Mit einem Mal spürte er die Anwesenheit des anderen, die ihm durch den ständigen Kontakt mit diesem schon gar nicht mehr aufgefallen war, und nahezu panisch riss er die Tür auf. “W-was machst du denn schon hier?!”

Crispin Cipriano

Die Zeit zog sich mal wieder wie alter Kaugummi und das wie gewohnt ausgerechnet dann, wenn sie genau das nicht tun sollte. Crispin kannte dieses Szenario unglaublich gut, hatte er doch schon so viele Tage damit verbracht, sehnsüchtig darauf zu warten, dass es endlich so weit war, dass er August wieder sah. Jedoch gab es ein paar kleine Unterschiede zu der Zeit vor mehr als einem Jahr. Damals konnte er sich 100%ig auf die Wiedersehen freuen und wusste, dass es schön werden würde und er jeden kleinen Augenblick mit dem anderen genießen konnte. Zudem musste er sich nicht ganz so viele Gedanken darum machen, dass vielleicht etwas schief ging. Der Engel war gewitzt darin, Gründe zu finden, um zu ihm kommen zu können und notfalls half er eben einfach nach, indem er irgendwas anstellte und dabei bewusst seine Gesundheit aufs Spiel setzte, weil er wusste, dass August dann leichter einen Grund hatte, zu ihm zu kommen.
Nun sah die Sache ein wenig anders aus. Er wusste nicht, wie das nächste Treffen sein würde, hatte keine Garantie darauf, dass sein Plan aufging und er belastendes Material auf dem Handy fand. Außerdem machte er sich Sorgen darum, ob der Schwarzhaarige die Nerven behielt, während er bei Aspen war und ihm das Mobiltelefon abnahm. Es war nicht so, dass er ihm nicht zutraute, etwas zu klauen, hatte er dies doch schon mehrere Male hervorragend unter Beweis gestellt. Allerdings ging es dieses Mal nicht darum, ihm eine Freude zu machen oder einer alten Frau auf einem Wohltätigkeitsball die Tasche zu entwenden - die das in seinen Augen mehr als verdient hatte. Nein, hier ging es darum, dass dieses Handy eventuell ihre einzige Chance darauf war, endlich Licht ins Dunkel zu bringen und die komplette Wahrheit zu erfahren. An ein Versagen von August oder die Möglichkeit, dass er doch nichts fand, dass seine Vermutung, der andere Engel hinterging diesen nicht nur sondern steckte auch noch mit dem Dämon unter einer Decke, der ihm damals geholfen hatte, wollte er nicht einmal denken. Crispin konnte jedoch nicht verhindern, dass seine Gedanken immer wieder zu dem anderen gingen und er ständig auf die Uhr sah, um zu sehen, wie spät es war.
Auch jetzt fischte er sein Handy aus der Hosentasche, um darauf zu schauen: 10:56pm und somit erst fünf Minuten später, als er das letzte mal nach der Uhrzeit geschaut hatte - ein Zeichen, dass er immer ungeduldiger wurde. Mit einem Seufzen entschied er, dass es Zeit war, sich auf den Weg zu dem anderen zu machen. Vielleicht war er bereits schon wieder zu Hause - was er weder mit Gewissheit bestätigen noch ausschließen konnte, solange er nicht dort war. So süß und amüsant er es auch fand, wie sehr sich August gegen die heutige Technik sträubte, heute wäre es sehr viel praktischer gewesen, wenn er sich zumindest dazu durchringen könnte, sich ein eigenes Handy zuzulegen - und wenn es nur eins der älteren Modelle war, mit denen man außer telefonieren und Nachrichten schreiben nichts weiter tun konnte - von einfachen und verpixelten Spielen mal abgesehen. So hätte ihm der Engel zumindest Bescheid geben können, wenn er es geschafft hatte und er würde nicht wie auf glühenden Kohlen zu Hause sitzen. Was auch nicht so ganz stimmte, wenn er ehrlich zu sich selbst war, denn dann würde er trotz eingeschaltetem Ton vermutlich ständig aufs Handy schauen, so als könnte er eine Nachricht des anderen dadurch geradezu heraufbeschwören.
Mit einem leisen Seufzen strich Crispin sanft über das weiche Fell der kleinen Katze, die er vom Atelier einfach mitgenommen hatte und jetzt zusammengerollt auf seinem Bauch lag als wäre es das normalste der Welt. Er hatte es nicht über sich gebracht, sie aus der Kapuze seines Hoodies zu nehmen und dort zu lassen. Zwar wusste er nur zu gut, wie schön es sein konnte, draußen unterwegs zu sein, da er selbst so viele Stunden auf der Straße verbracht hatte. Und dennoch war es schön, wenn es einen Ort gab, den man als Zuhause bezeichnen und an den man jederzeit zurückkehren konnte. Ihm selbst war dies lange Zeit verwehrt geblieben, da das Haus seiner Eltern alles andere als ein Ort war, an dem er sich gerne aufhielt und so wollte er zumindest dem Kätzchen ein Zuhause bieten, das diese Bezeichnung auch verdiente. Zudem bot ihm das Besorgen des Nötigsten für sie genug Ablenkung, um nicht zu dieser Zeit schon vor Ungeduld beinahe zu platzen.
Nun allerdings hielt er es nicht mehr aus, strich ihr noch einmal über den Rücken, bevor er sie vorsichtig von seinem Bauch nahm. Ein protestierendes Mautzen war von ihr zu hören, als er aufstand und sie auf sein Bett legte, wo es bei Weitem bequemer für sie war, als auf der Fensterbank.
“Sorry, Cookie, aber wir müssen das Kuscheln auf morgen verschieben.”
Bei der Erinnerung daran, wie er auf diesen Namen kam, musste er kurz schmunzeln, da es eher ein Zufall war und sie dabei gekonnt mitgewirkt hatte. Nachdem er nach seinem Einkauf für sie endlich nach Hause kam und dabei war, ein Platz für alles zu suchen, hatte sie das gemacht, was Katzen neben schlafen und kuscheln noch am liebsten taten: neugierig ihre Umgebung erkunden. Dabei hatte sie eine halbleere Dose mit Keksen entdeckt, die sie kurzerhand mit ihrer verspielten Art und ihren kleinen Pfoten vom Tisch gefegt hatte, wodurch sie am Boden auf ging und sich der Inhalt um die Dose herum verteilte. Anschließend war sie hinterher gesprungen, hatte ihren Kopf hineingesteckt und ab diesem Moment war ihm klar, dass seine neue Mitbewohnerin Cookie heißen sollte.
Kopfschüttelnd verscheuchte er die Erinnerung und lenkte seine Aufmerksamkeit auf das, was er machen wollte. Er lief zu dem kleinen Schreibtisch, auf dem seine Laptoptasche samt Inhalt lag, schnappte sich diese und verließ das Schlafzimmer - nicht jedoch ohne dem kleinen Flauschball noch einmal über den Kopf zu streichen - und anschließend das Haus, um sich auf den Weg zu August zu machen.

Als er am Haus des Engels ankam, lag dieses noch vollkommen im Dunkeln - ein Hinweis, dass der andere noch nicht zurück war. Durch einen weiteren Blick auf sein Handy sah er, dass es bereits nach Mitternacht war. Wie lange braucht August denn? Diese Frage schoss ihm direkt durch den Kopf, doch mit einem kurzen Schütteln dessen, verscheuchte er sie wieder. Schließlich hatte er keine Ahnung, wann er überhaupt losgegangen war. Somit hieß es für ihn, dass er weiter versuchen musste, geduldig zu sein. Crispin hatte jedoch nicht vor, vor der Tür zu warten und so entschloss er sich mit dem Ersatzschlüssel ins Haus zu gelangen. Diese lagen in Kleinstädten wie dieser und dort bei Einfamilienhäusern leider oft üblich irgendwo versteckt in der Nähe der Tür. Er selbst fand das absolut fahrlässig. Als wollte man regelrecht, dass jemand danach suchte und ohne Probleme hinein kam. Aus diesem Grund hatte er Cyrians Versteck für die Schlüssel auch direkt geräumt, als er in dessen Haus zog. In diesem Augenblick kam ihm dieser Umstand allerdings zu Gute, da er somit nicht draußen bleiben musste. Bereits nach kurzem Suchen wurde er fündig und entdeckte den Schlüssel recht unkreativ unter der Fußmatte vor der Tür. Ein wenig mehr Kreativität hatte er dem anderen ja schon zugetraut. Oder wusste er eventuell nicht einmal, dass dort ein Schlüssel lag? Spätestens wenn August auftauchte und ihn innerhalb des Hauses sah, würde er es vermutlich erfahren.
Ohne sich weiter darüber Gedanken zu machen, schloss er die Tür auf und ging rein. Es war ein seltsames Gefühl einfach hineinzugehen und alleine hier zu sein. Crispin war alles andere als ein Unschuldsengel, aber irgendwo einzubrechen - denn genauso fühlte es sich durchaus an - gehörte nicht zu seinem Repertoire. Dafür wusste er zu gut, wie wichtig es war, einen Ort zu haben, an dem man sich sicher fühlte und dies war nach einem Einbruch definitiv nicht mehr gegeben. Dennoch blieb er, wo er war, auch wenn er sich wie ein Eindringling fühlte, schlüpfte aus seinen Schuhen und lief weiter. Sein Blick ging dabei zur Treppe und er überlegte, wo er es sich bequem machen sollte, während er auf den anderen wartete. Am vernünftigsten war vermutlich das Wohnzimmer, doch ein Teil von ihm drängte ihn dazu, diesen Raum links liegen zu lassen und stattdessen hinauf zum Schlafzimmer zu gehen. Sobald sich diese Idee in seinem Kopf gebildet hatte, spürte er, wie er genau das tun wollte. Es war einfach verlockend, es auszunutzen, dass August noch nicht da war und seinem Egoismus nachzugeben, der gerade nichts anderes wollte, als den süßen - und süchtig machenden - Vanilleduft des Engels einzuatmen und ihm zumindest so indirekt nahe zu sein. Schon bei der Vorstellung wurde er schwach und jeder Widerstand war zwecklos, weshalb er sich auch nicht versuchte, dagegen zu wehren und den Weg zum Schlafzimmer einschlug.
Dort angekommen war allerdings das erste, was er tat, seinen Laptop aus der Tasche zu holen und ihn am Fußende aufs Bett zu legen. So konnte er dem Schwarzhaarigen gegenüber zumindest so tun, als wäre er ausgerechnet in diesem Raum, weil es auf Dauer auf dem Bett einfach bequemer war - vor allem da er keine Ahnung hatte, wie aufwendig es vielleicht war, in das Handy hineinzukommen. Den wahren Grund dafür zu nennen, dazu war er nicht bereit - nicht so lange noch immer so viel ungewiss und unsicher zwischen ihnen war.
Nachdem er auch bereits das Netzteil und anderen Kleinkram bereitgelegt hatte, ging er Fenster hinüber, um zu sehen, ob August vielleicht doch schon auf dem Weg war, da der Raum ebenfalls zur Straße hinaus ging. Doch nichts. Kein Engel weit und breit. Unweigerlich machte sich ein ungutes Gefühl in seinem Inneren breit, zusammen mit der Befürchtung, dass etwas schief gelaufen war und der andere nun in Schwierigkeiten steckte. Alleine der Gedanke machte ihn wahnsinnig, da er keine Möglichkeit hätte ihm zu helfen, da er nicht einmal wusste, wo der andere Engel wohnte. Zudem wäre er ihm wohl ohnehin keine große Hilfe.
Crispin ballte die Hände zu Fäusten, während sich zu seiner Ungeduld auch noch Frustration hinzugesellte - eine Mischung, die ihm unglaublich zu schaffen machte, weil er zum Nichtstun verdammt war. Als er August zu dem Plan mehr oder weniger überredet hatte, hätte er nicht gedacht, dass es so schwer werden würde und sich die Zeit auf diese Weise unendlich in die Länge zog. Mit einem leisen Fluch wandte er sich vom Fenster ab und machte es sich stattdessen auf dem Bett bequem. Er legte sich darauf und rollte sich auf die Seite. Sofort stieg ihm Augusts unverwechselbarer Duft in die Nase und auch wenn er es nicht geglaubt hätte - es beruhigte ihn ein wenig und er drückte sein Gesicht in das Kopfkissen, um den Geruch noch deutlicher wahrzunehmen. Beinahe automatisch schloss er die Augen. Die schlaflosen Nächte der letzten Zeit machten sich bemerkbar und er spürte regelgerecht, wie ihn die Müdigkeit wie eine Decke einhüllte. Cris entspannte sich und der Gedanke, die restliche Wartezeit bis August auftauchte einfach zu verschlafen, war ebenso verlockend. Leise seufzend schob er eine Hand unter das Kissen - und erstarrte, als er mit den Fingern etwas ertastete. Augenblicklich setzte er sich auf und hob das Kissen hoch.
Eine gefühlte Ewigkeit verging, während er auf das starrte, was dort versteckt lag: Fotos. Zerrissen und äußerst notdürftig mit Klebeband repariert. Doch es waren nicht irgendwelche Bilder, sondern genau die, die er dem Engel vor einiger Zeit in einem Karton vor die Tür gestellt hatte. Damals war er unglaublich verletzt, nachdem August ihn zurückgewiesen hatte und auch jetzt noch versetzte es ihm einen Stich, wenn er an diesen Moment zurückdachte. Damals hatte er indirekt zugegeben, dass der andere alles war, was er wollte und dieser hatte fluchtartig sein Haus verlassen. Aus diesem Grund hätte er auch nie gedacht, das es die Fotos noch immer gab. Aber bewies dies nicht auch, dass er dem Engel alles andere als egal war?! Dieser konnte schließlich unmöglich wissen, dass er sie finden würde.
Vorsichtig nahm er sie in die Hand und strich mit den Fingern sanft darüber. Sein Herz schnürte sich bei dem Anblick zusammen und ein Kloß bildete sich in seinem Hals. So schwer er ihre Situation damals auch empfand, sie war doch um so vieles einfacher, als das, was jetzt zwischen ihnen stand. Wenn sie zusammen waren, ging es ihnen gut und sie waren glücklich - was auch die Bilder bewiesen, auf denen sie unbeschwert in die Kamera grinsten. Wirklich alles würde er dafür geben, dass es wieder so zwischen ihnen war und er hoffte so sehr, dass das Handy ihnen dabei half - ungeachtet der Konsequenzen, die es für ihn vielleicht gab. Es musste einfach etwas hergeben, denn wenn diese ganze Aktion umsonst war und nichts beweisen sollte, würde es ihn wohl wirklich zerstören.
Völlig in seinen Gedanken versunken, bemerkte er nicht, wie August nach Hause kam und kurz darauf den Raum betrat. Ertappt zuckte er bei seiner Frage zusammen und schaute zu ihm. Noch immer steckte der Kloß in seinem Hals, machte es ihm schwer etwas zu erwidern, doch er schluckte ihn hinunter.
“Ich hab mir gedacht, dass ich genauso gut bei dir warten kann, bis du wieder da bist. Schließlich hättest du mir auch schlecht Bescheid sagen können, wann du wieder zu Hause bist - so ganz ohne Handy. Und ist auch nicht so, dass du es einem schwer machst, hier rein zu kommen.”
Bei dem letzten Satz löste er eine Hand von den Bildern, griff in seine Hosentasche und holte den Ersatzschlüssel hervor, um dem anderen zu zeigen, was er meinte. In seiner anderen Hand hielt er auch weiterhin die Fotos und es juckte ihn in den Fingern, den Engel damit zu konfrontieren. Die Frage war zwar, ob er ihm ehrlich antworten würde, doch auch wenn er das nicht wusste, musste er einfach fragen.
“Wieso hast du die Bilder noch?”
Dass er entsetzt war, war noch weit untertrieben, denn seine schlimmste Befürchtung hatte sich bestätigt. Auf seinem Bett saß Cris mit nichts anderem, als den verdammten Fotos, die er noch rechtzeitig verstecken wollte, damit der andere sie nicht sah, in der Hand. Klasse. In August’s Gesicht lag Panik und vielleicht auch ein wenig Scham, wenn man genau hinsah. Der Dämon sollte diese Fotos doch niemals zu Gesicht bekommen - vor allem, wenn er sie zerrissen vor seine Tür gelegt und offensichtlich mit allem abgeschlossen hatte, was die beiden betraf. Ihm jetzt ehrlich zu sagen, dass er die Fotos behalten und zusammen geklebt hatte, weil er es nicht übers Herz brachte, das alles zu vergessen, stand gar nicht erst zur Debatte. Lieber wäre er an seinen Worten erstickt, als zuzugeben, dass er für den anderen noch etwas empfand. Nicht, nachdem er auf so eine Art und Weise hintergangen wurde. Momentan wusste er zwar sowieso nicht, was er glauben sollte und was nicht, denn das Treffen mit Aspen weckte ebenfalls Unsicherheit in ihm. Zwar hatte er sich nicht anders verhalten, aber wenn man schon mit der Einstellung zu ihm kam, dass er vielleicht nicht das zu sein schien, was er vorgab, dann achtete man viel mehr auf gewisse Dinge. Aber er konnte sich das genauso gut einfach nur einbilden und vielleicht war es genau das was Cris wollte, auch wenn er behauptet hatte in der Hinsicht niemals zu lügen.
August hatte es einfach satt nicht zu wissen, wer die Wahrheit sagte und wer schamlos log. Noch mehr machte es ihm zu schaffen, dass es hierbei um zwei Personen ging, die ihm viel bedeuteten, wobei man seine Beziehung zu dem Dämon nicht wirklich mit der Freundschaft zu Aspen vergleichen konnte - das war dann doch etwas anderes. “Gib die her! Dir waren sie anscheinend sowieso nichts wert und du hast sie zu mir gebracht - hast du das schon vergessen?!”, zischte er genervt und ging auf ihn zu, um die Bilder an sich zu nehmen, als hätte er Angst, der andere würde sie noch einmal zerreißen. So viel Klebeband hatte er nicht Zuhause und auch sein Herz hätte es wahrscheinlich nicht ertragen mit eigenen Augen zu sehen, wie der andere diese festgehaltenen Erinnerungen einfach kaputt machte. Genau wie damals mit dem Armband, das er ebenfalls von Cris bekommen hatte, versteckte er sie hinter seinen Rücken und drehte sich dann von dem anderen weg. Mit dem Daumen strich er über das Klebeband und zum Glück war alles noch heil. Kurz drückte er die Bilder an seine Brust und seufzte leise, eher er sie in eines der Bücher von dem kleinen Regal an der Wand steckte. “Interpretiere da bloß nicht zu viel hinein.”, sagte er einfach und drehte sich dann mit zusammengepressten Lippen zu dem Jüngeren. Sein Augenrollen konnte er sich, wie ein trotziger Teenager, bei dem Wort “Handy” einfach nicht verkneifen. Handy, Handy, Handy - immer hörte er das gleiche. Seine Kollegen an der Uni rieten ihm fast täglich, dass er sich eines besorgte und jetzt auch noch Cris, mit dem er nicht mal Kontakt haben sollte. Diese lästigen Dinger brauchte er nicht. Hatte er nie und würde es auch nicht tun. “Vielleicht will ich gar nicht erreichbar sein, schon mal daran gedacht? Außerdem sollten wir beide überhaupt keinen Kontakt miteinander haben, also vergiss es. Die Dinger nerven mich einfach.” Und sie verwirrten ihn, aber das gab er selbstverständlich nicht zu. “Ich sagte doch, dass ich zu dir komme, wenn alles erledigt ist.”, murmelte er dann etwas leiser und sah fragend zu dem Schlüssel. Woher hatte er den denn? Bis jetzt wusste er nicht einmal etwas von einem Ersatzschlüssel, wobei er sagen musste, dass er bisher auch nie danach gesucht hatte, weil er ihn einfach nie gebraucht hatte. “Lass mich raten: unter der Fußmatte?”, fragte er dann und fischte seine Geldbörse und seinen Schlüsselbund aus seinen zerrissenen Jeans, um alles auf seinem Fensterbrett abzulegen. Danach zog er die Vorhänge zu, sodass am nächsten Morgen komplette Dunkelheit in seinem Schlafzimmer herrschen würde - so wie er es am liebsten hatte. Aspens Handy warf er dann neben Cris und musterte kurz den Laptop des anderen, mit dem er wohl arbeiten würde - wie auch immer das funktionierte. “Wieso bist du überhaupt in meinem Schlafzimmer? Du hättest auch im Wohnzimmer warten können, wenn du schon beschließt hier aufzutauchen.”, fragte er dann wieder genervt und presste dann die Lippen zusammen, weil es viel harscher klang, als gewollt. Aber August war müde. Sehr, sehr müdrle. Und das hier war eine Situation, in der er genau gar nichts ausrichten konnte, weil er sich einfach schlichtweg nicht mit der ganzen Technologie auskannte, die dahinter steckte und Cris machte ihm dadurch auch noch Sorgen, denn er wusste zumindest, dass es etwas Illegales war und jetzt gerade war er sowieso überfordert, denn wenn das, was der Dämon sagte, stimmen sollte, dann… Uff, sein Kopf schmerzte bei dem Gedanken daran. Das war einfach zu viel. Dieses mal seufzte er laut und rieb sich dann die Stelle zwischen seinen Augenbrauen. “Ich wollte nicht so genervt klingen...Mich macht das ganze einfach nur fertig und ich bin müde.”, gab er leise zu und ging dann zu seinem Schrank, um seinen Pyjama zu suchen. Nur weil der andere hier war, hieß das noch lange nicht, dass er nicht seinem Schlaf nachkommen würde. Insgeheim hoffte er ja auch, dass der andere trotz seiner schroffen Art bei ihm bleiben würde, denn selbst nach ihrem Streit beim damaligen Frühstück, konnte er nach wie vor nicht leugnen, dass er in der Anwesenheit des anderen einfach viel besser schlief. Cris Anwesenheit hatte einfach etwas Beruhigendes, etwas das ihn an sein früheres Leben erinnerte… etwas das in ihm einfach das Gefühl weckte Zuhause zu sein. “Ich bestelle Burger.” sagte er und ging dabei, mit dem Pyjama in der Hand, neben dem Dämon in die Hocke, um einen Stapel an Zeitschriften und Prospekten unter dem Nachttisch hervorzuziehen. Dabei suchte er nach dem Flyer seines Lieblingsburgerladens, der rund um die Uhr geöffnet hatte. Bestimmt hatte der Jüngere nichts gegessen und hätte sicher darauf vergessen, wenn er erst einmal anfing sich in das Handy zu hacken. Das konnte der Engel nicht verantworten. Beleidigt sein hin oder her - ihm lag das Wohl des anderen immer noch an erster Stelle.Er wartete nicht auf eine Antwort des anderen und er musste ihn auch nicht danach fragen, was er wollte. Sie hatten oft genug miteinander gegessen, sodass er seine Präferenzen kannte. Immerhin war Crispin derjenige gewesen, der August seinen ersten Burger spendiert hatte. Die Erinnerung daran verdrängte er schnell. Solange nicht alles zwischen ihnen geklärt war, wollte er sich nicht durch Erinnerungen beeinflussen lassen, auch wenn alles in ihm danach schrie auf sein Herz zu hören und Cris zu glauben, denn wie konnte jemand, der so viel mit ihm durchgemacht hatte, jetzt noch lügen? “Bin gleich wieder da.”,sagte er dann und ging mit dem Flyer hinunter in die Küche, wo sich das Telefon befand. Pfff, Handys, wer brauchte die schon? Hier war ein komplett funktionsfähiges Telefon an der Wand angebracht und es hatte alles was man brauchte: Tasten und einen Hörer. Gähnend tippte er die Nummer ein und lehnte sich dann an die Wand, um mit den Besitzer des Ladens zu sprechen und seine Bestellung aufzugeben. In 20 Minuten sollte sie ankommen, was ihm genug Zeit gab, schnell zu baden und sich umzuziehen. Danach war Feierabend und zwar endgültig. Er wäre gerne noch länger wach geblieben und hätte sich mit dem Dämon in seinem Bett unterhalten, aber es fiel ihm jetzt schon schwer die Augen offen zu halten.
Nachdem er erfolgreich bestellt hatte, ging er wieder hinauf erst mal in’s Bad, wo er sich auszog und sich mit dem Duschkopf in der Wanne schnell abbrauste. Für ein heißes Bad war er gerade nicht im Stande und im schlimmsten Fall wäre er im Wasser eingeschlafen und Cris hätte sich gewundert, wo er steckte und...Nein, den Anblick wollte er ihm einfach ersparen. Abgetrocknet schlüpfte er in seinen schwarzen Pyjama, der aus einer Seidenhose und einem passendem, langärmligen Hemd mit Knöpfen bestand. Die obersten drei Knöpfe ließ er offen, da er sonst das Gefühl hatte zu ersticken und sein nasses Haar rubbelte er halbherzig trocken. Sein Spiegelbild schrie förmlich nach “Bitte geh schlafen” aber er hatte noch einen Dämon und sich selbst zu versorgen. Fast auf die Minute genau klingelte der Lieferant und so verließ der Engel das Bad in einem trägen Schrittempo und öffnete kurz darauf die Eingangstür, um alles entgegenzunehmen. Er zahlte mit seiner Kreditkarte, die er unten in einer Lade bewahrte, weil er sie sonst eigentlich kaum brauchte, außer er hob Geld ab. Die zwei großen Tüten schleppte er dann hoch und gab der Schlafzimmertür einen Stoß mit dem Fuß, bevor er eintrat und alles auf dem Fensterbrett neben dem Bett abstellte. “Burger, Pommes, zwei mal Cola und…” Er zog eine kleinere Tüte hervor. “Donuts. Schlag zu. Nicht, dass du mir hier noch verhungerst.” Mit seinem Burger setzte er sich an den Rand des Bettes und biss herzhaft hinein, wenn er auch eigentlich keinen großen Hunger hatte. Die Bestellung diente regelrecht dazu, dass es Cris gut ging, aber um das nicht zu deutlich zu zeigen, musste er eben selbst auch essen. Nach der Hälfte konnte er allerdings schon nicht mehr und stattdessen begann er sich einen der Donuts in den Mund zu stopfen, an denen er länger als nötig herum kaute. “Wie funktioniert das ganze jetzt überhaupt?”, fragte er schließlich und sah dabei zu dem Jüngeren. “Tippst du jetzt die ganze Nacht an deinem Laptop herum? Musst du ein Passwort oder so knacken?” August kannte sich wirklich gar nicht aus und er wusste auch nicht, ob es ihm etwas brachte, wenn der andere ihm den genauen Vorgang erklärte. Den halben Burger packte er wieder ein und beschloss ihn einfach am nächsten Tag auf zu essen. Er räumte alles was übrig geblieben war zurück in die Tüte und legte es beiseite, bevor er seine Beine auf’s Bett zog und sie dort unter die Decke schob. “Denkst du wirklich, dass Aspen etwas verheimlicht?”, fragte er dann leise und unsicher.
Der Aufwand an irgendwelche Informationen zu kommen, die Crispins Verdacht bestätigten,war einfach viel zu groß und auch wenn er nicht wollte, dass es stimmte, wäre es doch schade darum gewesen, wenn sie nichts fanden…
Mit vollem Bauch war es nun noch viel schwerer wach zu bleiben und er hörte die Erklärung des anderen, als stünde dieser ganz weit weg, in einem hallenden Raum. August drehte sich auf die Seite, sodass er mit dem Gesicht zu Cris lag, und kratzte sich am Schlüsselbein. Er nickte, als würde er verstehen was der andere sagte, wobei er schon längst nicht mehr aufpasste… Dass Cris hier schlafen würde, war mittlerweile klar und selbst wenn er gewollt hätte - was er nicht tat - hätte er ihn niemals aus seinem Schlafzimmer geworfen. Er konnte ja von selbst ins Wohnzimmer gehen, wenn er unbedingt wollte, aber August wusste, dass sein Bett viel zu bequem war, um es zu verlassen. Oh, wie verlockend es doch wäre, den anderen an sich zu ziehen und mit ihm im Arm einzuschlafen. Ihn am Haaransatz zu kraulen und das Gesicht in seiner warmen Halsbeuge zu vergraben... Die Vorstellung ins seinem Halbschlaf brachte ihn zum Lächeln und seine Augen fielen immer wieder zu. Er wusste gar nicht mehr, ob es nun ein Traum oder Realität war, als er seine Finger in den Kragen des anderen hakte und ihm “Gute Nacht.” wünschte, bevor er seine Lippen ganz sachte auf die des anderen drückte und den Kopf dann in sein Kissen fallen ließ. Seine Hand rutschte tiefer und umklammerte im Schlaf das Shirt des anderen und er gab noch ein, mit Schlaf durchzogenes “Du bleibst schön bei mir..” von sich, bevor er komplett seiner Müdigkeit verfiel.

Crispin Cipriano

Die Panik in den dunklen Augen des Engels war für Crispin nicht zu übersehen, als er ihn mit den Fotos konfrontierte und - so ungern er das zugab - er konnte es unglaublich gut nachempfinden. Es war schließlich noch keine Ewigkeit her, wo er selbst in einer ähnlichen Situation steckte: Von dem anderen mit Fragen in die Ecke gedrängt, die er nicht beantworten wollte, da die ehrlichen Antworten einfach viel zu viel preisgegeben hätten. Am Ende war er dennoch unter dem Druck teilweise zusammengebrochen und auch wenn er nicht direkt gesagt hatte, dass alleine August die Antwort auf all die Fragen war, hatte er es indirekt dennoch zugegeben. Er konnte also nachvollziehen, was in dem Schwarzhaarigen gerade vor sich ging und dennoch hatte er ihm die Frage gestellt und erwartete auch eine Antwort. Am liebsten hätte er gesagt, dass es ihm egal war, welche Antwort dabei herauskam. Zumindest sollte es ihm egal sein, doch er spürte schon wieder Hoffnung in sich aufsteigen, Hoffnung, dass er ihm gleich sagen würde, dass er die Fotos behalten und notdürftig repariert hatte, weil sie ihm genau wie die Zeit, zu der sie entstanden, etwas bedeuteten. Ihm selbst war es - auch wenn es vielleicht nicht so wirkte - unglaublich schwer gefallen, die Bilder auszudrucken und anschließend zerrissen vor Augusts Haustür zu stellen. Und genauso schwer war es ihm gefallen, sie anschließend von seinem Handy zu löschen, da er es durch die Zurückweisung auf der anderen Seite auch einfach nicht ertrug, sie weiter dort drauf zu haben. Sie komplett zu beseitigen… dazu war er jedoch nicht fähig gewesen, sodass sie noch immer in der hintersten Ecke seines Cloud-Speichers existierten. Sein Herz hätte es einfach nicht ertragen, zu wissen, dass es diese Erinnerungsstücke nicht mehr gab - egal wie sehr es auch schmerzte, sie anzusehen und dabei den Gedanken zu haben, dass es vielleicht nie wieder so sein würde wie damals.
Anstatt einer wirklichen Antwort bekam er jedoch gelinde gesagt nichts. Zumindest nichts, was ihn und sein Herz zufriedenstellte. Er ließ sich die Bilder entreißen, da er irgendwo doch nicht wollte, dass sie noch einmal kaputt gingen. Zum damaligen Zeitpunkt war er unglaublich verletzt gewesen, sonst hätte er es vielleicht auch nicht übers Herz gebracht, das zu tun, auch wenn er gehofft hatte, dem anderen gleichzeitig damit wehzutun, wenn er sah, dass sie zerrissen waren - genau wie das Band zwischen ihnen, das in diesem einen Sommer geknüpft wurde. Crispin glaubte zumindest lange Zeit und auch in diesem Moment, dass es zerrissen war, doch die Aufeinandertreffen zwischen ihnen hatten ihn eines Besseren belehrt. Es klammerte sich an sie beide und führte sie immer wieder zusammen, als wollte es nicht, dass sie aufgaben, einen Weg zu suchen, dass doch noch alles gut wurde. Vielleicht bildete er sich das in seiner hoffnungsvollen und verliebten Naivität aber auch nur ein, auch wenn sein Misstrauen gegenüber Aspen und was er an diesem Tag mit angehört hatte, eine andere Sprache sprach.
“Nein, ich habe es ganz gewiss nicht vergessen! Aber das beantwortet meine Frage nicht, warum du sie repariert hast und unter deinem Kissen versteckst!”
Darauf, dass sie ihm nichts wert waren, ging er gar nicht ein. Er wollte einfach nur gerne eine Antwort darauf haben. Allerdings musste er sich selbst die Frage stellen, wann er jemals seit ihrem ersten Wiedersehen je eine Antwort von dem anderen erhalten hatte, die erstens so ausfiel, wie er es sich erhofft hatte und die zweitens anschließend nicht durch eine andere Tat wieder vollkommen in Frage gestellt wurde. So auch jetzt, als er ihn dabei beobachtete, wie er die Bilder in einem Buch verstaute. Bei der anschließenden Aussage hob er ungläubig eine Augenbraue.
“Was glaubst du denn, was ich da hineininterpretiere?!”
Am liebsten wäre ihm, wenn das, was er sich dabei dachte, die Wahrheit war. Wären dem anderen die Bilder vollkommen egal, hätte er sie doch weder unter dem Kissen versteckt noch sie jetzt in ein Buch gesteckt, oder?! Crispin rief sein Herz allerdings zur Ordnung, um tatsächlich nicht zu viel hineinzuinterpretieren. Er wollte am Ende nicht wieder enttäuscht werden. Solange er nicht wusste, ob seine Vermutungen bezüglich des anderen Engels stimmten, sollte er sich mit Hoffnungen zurückhalten und zum Glück half ihm Augusts Themenwechsel ganz gut dabei. Dass den anderen Handys nervten, konnte er sich gut vorstellen. Allerdings aus einem anderen Grund, als ständig erreichbar zu sein, weshalb sich auch ein Lächeln auf seine Lippen stahl.
“Gib einfach zu, dass du mit Handys überfordert bist und deswegen keins haben willst.”
Als er über einen anderen Teil der Aussage nachdachte, verschwand das Lächeln jedoch und er sah August einen Augenblick lang einfach nur schweigend an, während er sich im Schneidersitz aufs Bett setzte, da ihm langsam die Füße einschliefen, weil er darauf saß.
“Wir hätten schon so vieles nicht tun dürfen und haben es dennoch getan. Über einige Regeln muss man sich nun mal einfach hinwegsetzen. Und wenn ich ehrlich bin… Ich bereue es nicht…”
Bevor er sich zurückhalten konnte, verließen diese Worte seinen Mund und auch wenn er sie leiser ausgesprochen hatte, war er sich sicher, dass August sie gehört hatte, da ansonsten alles um sie herum ruhig war. Es entsprach der Wahrheit. Im Grunde bereute er keine Entscheidung, die er getroffen hatte. Zumindest im Moment nicht. Ob sich das in den nächsten Stunden ändern würde, stand in den Sternen, doch es juckte ihn in den Fingern, endlich anzufangen und zu schauen, ob er etwas auf dem Handy fand. Bevor er allerdings beginnen konnte, musste er das Gerät erst einmal haben und August zog ein weiteres Mal so seine Aufmerksamkeit auf sich, dass er eine Augenbraue heben musste.
“Ich hab dich vorhin schon verstanden, aber ganz ehrlich, was hättest du gemacht, wenn dir dein Bruder gefolgt wäre und du statt nach Hause zu gehen, bei mir aufgetaucht wärst?! Dann hättest du ihn auch gleich fragen können, ob du dir sein Handy ausleihen darfst, weil der Dämon, den du nach seinem Wissensstand eigentlich vorhast zu töten, schauen will, ob er was vor dir versteckt. Somit war es am unauffälligsten, dass ich hierher komme.”
Mit einem Kopfschütteln tat er das Ganze ab, denn diese Diskussion brachte nichts. Warum August nicht wollte, dass er her kam, hatte er ja nun herausgefunden. Zumindest glaubte er, dass es vor allem an den Fotos lag, so geschockt, wie er ausgesehen hatte.
“Gut geraten, schätze ich. Du solltest ihn aber vielleicht besser woanders hinpacken. Und damit meine ich kein Versteck außerhalb des Hauses”, kommentierte er die Frage, ob er den Schlüssel unter der Fußmatte gefunden hatte. Er war sich beinahe sicher, dass der andere bis eben keine Ahnung hatte, dass dieser Schlüssel existierte oder wo er lag und er tatsächlich einfach nur gut geraten hatte.
Bei der Frage, warum er ausgerechnet im Schlafzimmer gewartet hatte und mit der er bereits rechnete, presste er kurz die Lippen aufeinander, konnte aber gerade noch verhindern, den Blick abzuwenden, da der Schwarzhaarige sonst sicher etwas hineininterpretiert hätte, was er nicht wollte. Schließlich hatte er sich doch einen guten Grund für genau diese Frage überlegt, die er ihm hoffentlich auch glaubte, ohne die Wahrheit sagen zu müssen.
“Dein Bett ist einfach bequemer als das Sofa. Vor allem da ich keine Ahnung habe, wie lange es dauert, bis ich das Handy geknackt hab.”
Crispin nahm eben jenes in die Hand und schaltete nebenbei den Laptop an. Während dieser hochfuhr, warf er noch einmal einen Blick auf August, der ziemlich genervt klang. Im Normalfall hätte er wohl ebenso reagiert, wenn er nicht gemerkt hätte, dass der andere müde war und er wusste, wie er dann sein konnte - genau wie er selbst - und was sich noch bestätigte, als sich der Engel schon beinahe für seine harsche Art entschuldigte. Auch wenn er selbst das so wohl nie nennen würde.
“Ja, du siehst aus, als ob du gleich im Stehen einschläfst…”, merkte er zusätzlich noch an, da er sich das einfach nicht verkneifen konnte. Anschließend wandte er sich wieder dem Handy zu. Es war eingeschaltet, doch selbst wenn nicht, waren die Geräte heutzutage glücklicherweise auch ohne SIM-Karte bedienbar. Das kleine Fingerprint-Symbol in der Ecke ließ ihn jedoch leise seufzen. Der Engel war schlau genug, dass man das Handy mit dem Fingerabdruck entsperren musste. Doch auch das war kein unüberwindbares Hindernis, so lange das Programm funktionierte, mit dem man solche Sperren einfach umgehen konnte. Bisher hatte er dieses nämlich noch nicht getestet, da er einfach nicht dazu kam.
Crispins Aufmerksamkeit war bereits so von seinem Vorhaben, in das Mobiltelefon zu gelangen und Aspens Geheimnisse zu lüften, eingenommen, dass er nur am Rande merkte, wie August neben ihm nach etwas suchte und etwas davon sagte, dass er Burger bestellen wolle, bevor er aus dem Zimmer verschwand. Genau das war ein Grund, warum er sich überhaupt mit dem Hacken intensiv beschäftigt hatte. Als er keine Ablenkung durch das Klavier spielen finden konnte, nahm diese Tätigkeit genug seiner Konzentration in Anspruch, dass er gar nicht dazu kam, sich Gedanken über den anderen zu machen. Was allerdings auch nur so lange half, bis er damit aufhörte.
Nachdem sein Notebook endlich komplett hochgefahren war, schnappte er sich das Datenkabel, das er ebenfalls mitgebracht hatte, und schloss das Handy damit an. Hinterher öffnete er das Programm, dass er brauchte, um die Sperre zu knacken. Im Grunde sollte das Ganze auch gar nicht lange dauern und Cris hoffte, dass dies die einzige Hürde sein würde, die sich ihm stellte, auch wenn ihm sein Bauchgefühl sagte, dass der Engel nicht so dumm war und es ihm so einfach machte. Und tatsächlich… Nach einigen Minuten wurde der Vorgang abgebrochen und er fluchte, als er sich den Grund dafür denken konnte: Eine Verschlüsselung.
“Das darf doch wohl nicht wahr sein…”
Dumm war er tatsächlich nicht, das musste er ihm lassen. Was ihn andererseits aber auch nur noch verdächtiger machte. Beinahe hätte er das Ganze abgebrochen, denn Verschlüsselungen zu umgehen, ohne das ganze Gerät zurückzusetzen, war beinahe unmöglich. In seinem Inneren sträubte sich allerdings alles dagegen, einfach aufzugeben und er heftete seinen Blick auf das Handy, während er angestrengt überlegte, was er tun konnte, um doch noch an die Daten heranzukommen. Es musste einfach einen Weg geben! Alles andere ließen weder sein Ehrgeiz noch sein Herz zu. Er hatte vor August so große Töne gespuckt, dass er das schaffen würde und es am schwierigsten war, überhaupt an das Smartphone heranzukommen. Mit leeren Händen dazustehen, wenn der andere wieder kam, stand überhaupt nicht zur Debatte. Und sein Herz würde das auch nicht ertragen, denn all seine Hoffnungen hingen daran, dass er bewies, dass sein Misstrauen gegenüber Aspen absolut begründet war.
Auch als August mit zwei Tüten in der Hand wieder ins Schlafzimmer kam, hatte er noch keine Lösung für dieses Problem gefunden. Durch das viele Nachdenken machten sich langsam Kopfschmerzen bemerkbar und etwas zu essen war eine gute Ablenkung davon. Vor allem da er den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte, weil seine Gedanken die ganze Zeit nur bei dem Engel und dieser Herausforderung waren, dass er daran überhaupt nicht gedacht hatte. Und auch während der Arbeit wäre etwas zu essen, das Letzte gewesen, an das er gedacht hätte. Somit löste er seinen Blick von dem Handy und heftete ihn stattdessen auf den anderen, dessen schwarze Haare im Licht noch feucht glänzten und in ihm das Bedürfnis weckten, ihm hindurchzustreichen, als er sich neben ihn setzte. Um nicht in Versuchung zu kommen und seinen Händen etwas zu tun zu geben, griff er nach der Tüte, die für ihn war, und inspizierte den Inhalt. Er holte alles heraus und legte die Pommes anschließend auf die Tüte, um nichts einzusauen. Hinterher nahm er sich den Burger und er konnte nicht verhindern zu grinsen, als er sah, was es für einer war.
“Dein Gedächtnis scheint zumindest auch noch zu funktionieren, wenn du völlig übermüdet bist”, zog er ihn ein wenig auf.
Wenn man bedachte, dass er den Namen Crispy einfach hasste, war es vermutlich seltsam, dass er ausgerechnet Crispy-Chicken-Burger am liebsten aß, aber gerade diese Vorliebe und die Ähnlichkeit zu seinem Namen hatten ihm diesen wirklich nervigen Spitznamen eingebracht, den andere ziemlich witzig fanden, wegen dem er aber jeden, der ihn benutzte, am liebsten auseinandernehmen würde.
Während er genüsslich sowohl den Burger als auch die Pommes verdrückte, bemerkte er, wie August eher lustlos auf seinem Donut herumkaute und er hätte am liebsten etwas gesagt, als dieser ihn jedoch fragte, wie das Ganze nun eigentlich funktionierte. Dabei glitt sein Blick noch einmal zu dem Handy und er seufzte leise.
“Wenn es nur ein einfaches Passwort wäre… Leider war dein Bruder so schlau, sein Handy zu verschlüsseln.”
Crispin wusste nicht, ob es sich wirklich lohnte, es dem Engel weiter zu erklären, der mit Technik nichts oder nur das Nötigste am Hut hatte und als er sah, wie sich August unter die Decke verzog und aussah, als würde er jede Sekunde einschlafen, ließ er es doch bleiben. Selbst wenn er es im wachen Zustand halbwegs verstehen würde - was er ausschloss - tendierte die Wahrscheinlichkeit im Moment gegen Null.
Denkst du wirklich, dass Aspen etwas verheimlicht?
Bei dieser Frage schaute er zu dem Schwarzhaarigen, während er nach der Cola griff und einen Schluck daraus trank. Er hielt den Becher fester als nötig und biss die Zähne zusammen.
“Ich bin mir ziemlich sicher und die Verschlüsselung macht ihn noch verdächtiger.”
Seine Stimme war nur leise, da er sah, wie August immer mehr vom Schlaf überwältigt wurde und er ihn nicht wieder aufschrecken wollte. Einerseits hätte er ihm lieber etwas anderes gesagt, da er sich denken konnte, wie sehr es ihn treffen würde, wenn seine Vermutung stimmte und er Beweise dafür fand. Andererseits - und das war der weit größere Teil - hoffte er, dass Aspen August verraten hatte, da es für ihn hieß, dass sie vielleicht doch noch eine Chance hatten.
Völlig in diesen Gedanken versunken, zuckte er überrascht zusammen, als sich Augusts Hand in seinen Kragen krallte und sich die Lippen des Engels sanft auf seine drückten. Der Augenblick war zu seiner Enttäuschung viel zu schnell vorbei, doch dies wurde durch die leise gemurmelten Worte beinahe wieder gut gemacht, die sein Herz automatisch schneller schlagen ließen.
“Am liebsten für immer…”, kam es ihm leise über die Lippen, als der andere bereits komplett eingeschlafen war. Eine gefühlte Ewigkeit beobachtete Cris den schlafenden Engel und vergaß dabei beinahe, warum er eigentlich hier war. Bevor er allerdings seine Aufmerksamkeit wieder darauf richtete, kam er dem Bedürfnis nach, das er bereits vor etlichen Minuten hatte. Vorsichtig strich er durch das schwarz-glänzende Haar, das sich unter seinen Fingern weich anfühlte, sodass er noch Stunden lang hätte so weitermachen können. Leider hatte er dafür keine Zeit, aber er hoffte, dass dies nicht das letzte Mal war, dass er dies tun konnte. Er beugte sich mit seinem Gesicht noch tiefer, bis er dem anderen einen Kuss auf die Stirn hauchen konnte.
“Ich tu das für uns…”
Nur widerwillig riss er sich von ihm los, änderte allerdings seine Position so, dass er den Laptop hinter das zweite Kissen stellte, nachdem er dieses ein Stück nach unten geschoben hatte und er sich mit seinem Oberkörper darauf legen konnte, um besser arbeiten zu können, wenn er auf dem Bauch lag. So war er dem anderen jedoch ein wenig näher und konnte dessen Nähe während seiner Arbeit vielleicht teilweise genießen. Während sein Blick noch einmal zu dem Engel ging, kam ihm plötzlich eine Idee, wie er das Problem mit der Verschlüsselung lösen konnte.
Sofort machte er sich daran, nach dem Smartphone Modell zu googeln, um herauszufinden, ob es ebenfalls von der Sicherheitslücke betroffen war, die es einmal gab. Diese wurde durch ein Update zwar wieder geschlossen, aber es gab Mittel und Wege diese auch wieder rückgängig zu machen und wenn er Glück hatte, konnte er genau dies tun. Nach einigem Suchen fand er die Informationen, die er brauchte und er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, weil das Glück in diesem Punkt einmal auf seiner Seite war. Nun brauchte er nur noch das passende Programm und auch dieses fand er bereits nach ein paar Minuten. Wenn man die richtigen Seiten kannte, war das alles kein Problem.
In der Zeit, in der die Software heruntergeladen und anschließend installiert wurde, sah Crispin zu August hinüber, der friedlich schlief. Er veränderte seine Position ein wenig, sodass er sich nur auf einen Arm stützte und strich mit seiner freien Hand einige Strähnen aus dem Gesicht des Engels. In diesem Moment wirkte er alles andere als gefährlich, auch wenn er durch ihre erste Begegnung nach der langen Zeit wusste, dass er das durchaus sein konnte. Er wirkte einfach unschuldig und in seinen Augen wunderschön. Vorsichtig strich er mit den Fingern über die Schläfe und den Kiefer entlang. Ihn zu wecken, wäre das Letzte, was er wollte und doch konnte er seine Finger gerade nur schwer von ihm lassen und als sein Blick zu den vollen Lippen wanderte, war es mit seiner Selbstbeherrschung nicht mehr weit her. Einen Augenblick lang zögerte er noch, beugte sich dann aber doch weiter zu ihm, überbrückte die letzten Zentimeter und legte seine Lippen hauchzart auf die des anderen. Es war absolut egoistisch, es auszunutzen, dass der andere schlief, aber es war einfach schwer, es nicht zu tun, wenn er sich so lange hatte zurückhalten müssen.
Das leise Geräusch seines Laptops, das ihm zeigte, dass die Installation abgeschlossen war, holte ihn jedoch wieder ins Hier und Jetzt und er nahm wieder Abstand von dem Schwarzhaarigen. Cris atmete einige Male tief durch, um sich wieder zusammenzureißen und seinen Blick abzuwenden, um weiterarbeiten zu können.
Eine gefühlte Ewigkeit später hatte er es endlich geschafft, die Verschlüsselung zu knacken und das Handy zu entsperren. Kurz überlegte er, ob er August nicht doch wecken sollte, entschied sich schlussendlich aber doch dagegen. Noch war nicht sicher, ob er es wirklich geschafft hatte. Wenn Aspen sein Handy verschlüsselte, hatte er vielleicht auch noch andere Hürden eingebaut. Konzentriert navigierte er sich durch das Menü, suchte sowohl in den Anruflisten, Nachrichten-Apps als auch in den Dateien nach Hinweisen darauf, dass er etwas verbarg und sein Verdacht stimmte, doch er fand nichts.
“Verdammt…!”, fluchte er leise und wollte das Handy schon frustriert in eine Ecke werfen. So viel Arbeit für nichts. Wieso zum Teufel verschlüsselte man ein Handy, wenn nichts darauf war, was man schützen müsste?! Das ging einfach nicht in seinen Kopf rein. Hinzu kam, dass auch ihn langsam die Müdigkeit übermannte. Sich in das Gerät zu hacken, hatte jede Menge seiner Konzentration und Energie verbraucht, sodass er am liebsten gerade auch einfach schlafen wollte. Aber das konnte er nicht. Er konnte unmöglich schlafen und später mit leeren Händen vor August da stehen. Vermutlich würde er denken, dass er ihn angelogen hatte und der Gedanke daran, dass er ihn dann komplett verlor, schnürte ihm das Herz zusammen und ein dicker Kloß bildete sich in seinem Hals, der es ihm beinahe unmöglich machte, zu atmen. Das durfte einfach nicht passieren, denn würde ihn der Engel von sich stoßen, würde es ihn zerstören. Egal, wie sehr das alles zwischen ihnen auch schmerzte, vollkommen ohne ihn wollte er auch nicht mehr sein.
Bei diesem Gedanken ging sein Blick noch einmal zur Seite und zu dem Schwarzhaarigen, der von seiner Verzweiflung gerade zum Glück nichts mitbekam. Somit war es vielleicht ganz gut, dass er das Ganze verschlief.
“Ich will dich nicht verlieren…”
Es war nur ein Flüstern, denn lauter wollte er nicht reden, aus Angst, der andere könnte wach werden und es hören. Während er ihn beobachtete, fiel ihm ein, wonach er noch schauen könnte und sah wieder auf das Smartphone. Schnell suchte er nach der Einstellung für die Konten auf dem Gerät und blickte einen Moment lang einfach nur auf das zweite Benutzerkonto, das einen Privat-Modus und somit ein weiteres Passwort besaß. So ein Fuchs…, ging es ihm durch den Kopf und er kramte seine letzte Konzentration zusammen, um das Programm zu starten, mit dem er auch dieses Passwort knacken wollte. Es dauerte nicht lange, bis es anfing unzählige Kombinationen durchzugehen und tief in seinem Inneren hoffte er, dass es kein Passwort war, für das man im schlimmsten Fall Wochen oder gar Monate bräuchte, um es herauszufinden. Etwas anderes als warten, konnte er nun allerdings nicht mehr tun und da ihm inzwischen langsam die Augen zufielen, gab er seine auf Dauer doch ein wenig unbequeme Haltung auf und legte sich auf die Seite, sodass er mit dem Gesicht zu August lag. Nach einem kurzen Augenblick, in dem er überlegte, ob er seinem Egoismus noch ein wenig mehr nachgeben konnte, rutschte er näher zu dem anderen, legte einen Arm um ihn und versteckte sein Gesicht an seinem Oberkörper, sodass er den süßlichen Duft nach Vanille einatmen konnte, den er so liebte. Er war einfach viel zu müde, um sich gegen das zu wehren, wonach sein Herz verlangte und so schloss er zufrieden die Augen und schlief nur ein paar Augenblicke später ebenfalls ein.
Die Nacht war schwül, die Luft stickig und erdrückend und der Himmel übersät mit unzähligen Sternen. Es roch nach Zitronen und nach Moos, dessen Geruch man von einer Brise, die aus dem Wald zog, nur ganz schwach vernehmen konnte. Aus dem Zimmer des Pianisten drang schwaches Licht einer Kerze, die er angezündet hatte und die als einzige Lichtquelle in dem Schlafgemach diente. Das kleine Anwesen am Rande von Paris war still, wirkte fast schon verlassen und dadurch wenig einladend, was die Absicht des Hausherren war, der keinen Besuch mochte - vor allem zu Zeiten wie diesen. Seine Bediensteten lebten alle außerhalb, in der Stadt. Das war ungewöhnlich, da Angestellte meistens im Anwesen ihres Herren wohnten und dort ihre eigenen Zimmer hatten. Nicht aber hier, wo es immer die Möglichkeit gab abends zurück in das eigene Heim zu kehren, auf das der Adelige viel Wert legte. Er mochte nicht der gesprächigste und möglicherweise auch nicht freundlichste sein, aber niemand konnte ihm unterstellen, dass er nicht auf seine eigene Art und Weise gutmütig war.
An diesem Abend hatte er alle vorzeitig entlassen - es gab ohnehin nicht mehr viel zu tun… zumindest nichts das sich jetzt noch lohnen würde.
Am Fensterbrett sitzend sah er auf den Hof hinunter. Wie lange es wohl noch dauern würde bis sie hier waren? Man nannte es die Ruhe vor dem Sturm, nicht? Wenn es so still war, dass man die Vorahnung nahezu hören konnte, wie sie aus den Ecken kroch und einen langsam bei lebendigem Leib verschlang. Angst hatte er jedoch schon lange nicht mehr. War man schon so lange mit etwas Unausweichlichem konfrontiert, verlor man die Furcht davor und lernte sich darauf vorzubereiten und genau das hatte er getan. Früher oder später musste es so kommen und er wusste es ganz genau, von anfang an. Sein Egoismus, sein Aufstand gegen die Familie und die Gesellschaft hatte ihn an diesen Punkt geführt und es gab kein zurück mehr. Ob er noch einen Tod auf seine Kosten verantworten konnte?
Zwei warme Handflächen schoben seinen dünnen Mantel aus schwarzer Seide beiseite und fuhren ihm über den Oberkörper. Trotz der unerträglichen Hitze, war die Wärme die von ihnen ausging angenehm und niemals hätte er sich dagegen gesträubt von ihnen berührt zu werden.
“Du solltest schlafen.”, sagte er an den Jüngeren gewandt und musterte diesen von oben bis unten. Nach wie vor bekam er nicht genug davon, er war jedes mal erneut überfordert von den Gefühlen die sich in ihm aufstauten, wenn er Mica sah, und sein Herz drohte nahezu zu platzen. Es minderte den Schmerz, der konstant präsent war ebenfalls und machte es leichter über ihr trauriges Schicksal für einen kurzen Moment hinwegzusehen.
“Ich wollte nicht schlafen wenn sie ankommen.”, flüsterte der andere, als wär es bereits soweit, aber selbst dann hätte ihr Geflüster nichts mehr gebracht. Jetzt noch etwas zu verheimlichen, war komplett sinnlos, wo doch bereits alle wussten, wie es um die beiden stand. Keine heimlichen Blicke mehr, keine versehentlichen Berührungen, keine geheimen Treffen mehr während des Tages und vor allem bald keine gemeinsamen Nächte mehr, in denen sie sich gegenseitig süße Worte zuflüsterten. Mica stand nur in einem Leinentuch eingewickelt vor ihm, die Haare zerzaust, die Stirnfransen an der Stirn klebend. Seine Lippen waren immer noch stark gerötet und etwas angeschwollen und an seinem Hals sowie an seinem Oberkörper, zierten etliche purpurfarbene Markierungen die leicht gebräunte Haut. “Meins.”, hatte Sevro vor wenigen Stunden zwischen ihrem Keuchen immer wieder wiederholt. “Deins.”, hatte der andere ihm restlos erwidert. Obwohl er ein egoistischer Mann war, hatte er den Jüngeren nie dazu gezwungen bei ihm zu bleiben. Ihn in Sicherheit zu wiegen, war seine oberste Priorität gewesen und das Angebot, ihn zu Bekannten in England zu bringen, stand von Anfang an. Aber er war egoistisch, als er Mica den Wunsch, bis am Ende an seiner Seite zu bleiben, nicht abschlagen konnte. Ihm fiel es schon immer schwer “Nein” zu sagen, wenn es um den Sklaven ging, der ihn mit wenigen Worten und einfachen Gesten komplett um den Verstand brachte.
Sevros Arme umschlangen den Körper des anderen, den er protektiv an sich zog und sich einmal mehr von den Lippen des anderen ablenken ließ. Sie hörten die leisen Rufe in der Ferne, die stetig lauter wurden. Aus ihren Augenwinkeln sahen sie die Fackeln, die sich in zügigem Tempo näherten, aber dennoch ließen sie nicht voneinander ab. Flucht wäre keine Option gewesen, nicht jetzt, wo sie schon so nahe waren. Sie rechneten damit und hatten dafür spezielle Leute engagiert, die sie draußen abfangen konnten und wenn er die Wahl zwischen einem Tod in seinem Anwesen oder einer demütigen Hinrichtung vor dem Volk hatte, dann musste er nicht lange überlegen. Auch jetzt würde er nicht vor ihnen in die Knie gehen und dem Kardinal eher in’s Gesicht spucken, als irgendeine Art von Reue für das was er getan hatte zu zeigen.
“Hast du Angst?”, murmelte der Ältere an die Lippen des anderen, während er ihm behutsam über den Rücken strich und bekam ein sanftes Kopfschütteln als Antwort auf seine Frage. Wie konnte jemand wie er eine so aufrichtige Person verdienen, die selbst in ihren letzten Momenten keinen Rückzieher machte? “Man sagt doch, dass Seelenverwandte selbst nach dem Tod auf ewig miteinander verbunden sind.”, erklärte Mica und strich dem Pianisten über die Wange. Seelenverwandte. Sah er sie als genau das? War Sevro derjenige der ihn vollkommen machte? Hatte ausgerechnet er die Ehre jemanden wie den schwarzhaarigen Bauernjungen sein Eigen zu nennen? Die Worte schmeichelten ihn, brachten ihn in Verlegenheit und er fragte sich, wo sein Geliebter so etwas gehört oder gelesen hatte. Nichtsdestotrotz war es ein schöner Gedanke, an den auch er sich festhalten wollte, denn ein Leben ohne den anderen machte für ihn keinen Sinn mehr, hatte dieser ihm doch erst gezeigt wie schön es sein konnte, wenn man nur jemanden hatte, der einem alles und noch mehr bedeutete. Das Feuer war schnell gelegt. Sie schlugen die Fenster mit ihren Fackeln ein und das teure Mobiliar aus Holz fing unmittelbar an zu brennen, ehe auch die Vorhänge und der Holzboden, sowie die Tapete Feuer fingen. Die Größe des Anwesens führte dazu, dass sich die gefährliche Hitze schnell ausbreitete - hatte es doch nur einen Stock mit wenigen Zimmern. Selbst als sie die Rufe von unten hörten, setzte sich nach wie vor keiner von ihnen in Bewegung. Erst als das Volk des Kardinals auch die Fenster des oberen Stockwerks mit brennenden mit Baumwolle umwickelten Fackeln attackierten. Menschen konnten furchtbar skrupellos sein und so blind vor Macht und Wut, dass sie jeden erdenklichen Schritt wagten, um sich auf irgendeine Art zu beweisen. So auch diese Leute, die wahrscheinlich nicht einmal wussten, wer Sevro war und einfach nur dem Kardinal, der höheren Macht im Lande, imponieren wollten. Wahrscheinlich hatten sie auch einfach Angst um ihr eigenes Leben, denn des Verrats bezichtigt zu werden, war so zu dieser Zeit so üblich wie der Kirchgang am Sonntag. Alles Feiglinge. Opfer der höheren Instanz, unfähig eine eigene Meinung zu haben. Sein Tod würde nichts daran ändern - er war kein Held, kein Auslöser für eine Revolution - diese kam erst Jahre später. Aber zumindest hatte er die Gewissheit, für etwas Gutes gestorben zu sein.
Mica griff nach den schlanken Händen und vernetzte ihre Finger miteinander. Sie hatten nur noch wenige Momente. Das Feuer hatte sie längst erreicht und der Raum leuchtete förmlich lichterloh. Das Atmen fiel beiden mittlerweile schwer, der Rauch wurde immer dichter. Sevro hoffte, dass es nicht zu schmerzhaft für ihn sein würde. Sein Sklave hatte genug gelitten und wenn er gekonnt hätte, so hätte er den ganzen Schmerz auf sich genommen, damit er nichts davon spürte. Nicht in der Lage länger zu stehen, ließen sie sich auf den Boden unter dem Fensterbrett senken. Immer noch hielten sie einander, der Jüngere zwischen den Beinen des Pianisten und seitlich an dessen Brust lehnend. Er fing an zu weinen und auch wenn sie darauf vorbereitet gewesen waren, konnten sie es nicht verhindern, dass sie am Ende doch einknickten und die Angst Kontrolle über sie nahm. Zu wissen, dass es jeden Moment vorbei war, war schrecklich und erlösend zugleich. Wie konnten sie bloß denken, dass sie sich mutig gegenüber dem Tod zeigen konnten? Sie waren keine furchtlosen, allwissenden Götter - nur zwei Seelen, die einander zur falschen Zeit und am falschen Ort gefunden und sich unsterblich ineinander verliebt hatten.
“Wir beide gegen den Rest der Welt?”, ächzte der Ältere und war sich gar nicht mehr sicher, ob Mica noch bei Bewusstsein war, doch dieser hob den Kopf, nickte und ließ sich die Tränen aus dem Gesicht wischen. Sevro hielt ihn fester als je zuvor, strich ihm durchs Haar, küsste seine Schläfe, seine Nase, seine Wange... “Ich liebe dich.” Ein letzter Kuss auf die Lippen, bevor alles schwarz wurde und das Feuer schließlich auch sie unbarmherzig verschlang.

Es war eine schwüle Nacht im August 1643 als das Bellona Anwesen am Rande von Paris lichterloh in Flammen stand und zwei Liebende ihr Leben füreinander opferten.



August riss die Augen keuchend auf. Er kniff sie bei dem stechenden Schmerz in seinem Kopf wieder kurz zu, bevor er sie ein weiteres Mal öffnete. Sein verschwommener Blick wurde wieder klar und der dumpfe Schmerz verschwand langsam. Auch das unheimlich bedrückende Gefühl von Verlust, dass sich in seiner Brust ausbreitete, löste sich beinahe auf, als er das Gewicht auf dieser spürte, das von dem Kopf des Dämons kam, der auf ihm eingeschlafen war. Der Engel nahm sich einen Moment Zeit zu ihm hinunter zu sehen und ihm durchs Haare zu streichen, bevor das erneut das bedrückende Gefühl in ihm aufstieg und vor allem das Bedürfnis, den Jüngeren zu beschützen - und das mehr und stärker als sonst. Fast schon als stünde der andere unter Lebensgefahr, zog er ihn näher an sich, legte beide Arme um ihn und schmiegte seine Gesicht an den dunklen Haaransatz. "Ich lasse dich nicht wieder gehen.", sagte er leise und es war, als ob jemand, den er längst vergessen hatte, aus ihm sprach. Er küsste ihn mehrmals sanft - seine Schläfe, seine Nase, seine Wange... - und ließ eine Hand über seinen Rücken streichen. Als sein Bewusstsein sich endlich beruhigte und er sich sicher war, dass keine Gefahr für sie beide bestand, ließ er von dem anderen ab. Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken.
In dem Moment erst wurde er sich bewusst, dass sie nebeneinander eingeschlafen waren und dass es - egal wie gut es sich auch anfühlte - nicht richtig war. Sie waren noch nicht an dem Punkt angelangt, an dem sie sich blind vertrauen konnten und ob dieser überhaupt jemals kam, wusste er auch nicht. Der Laptop, den Cris am Bett abgestellt hatte, zeigte irgendwelche offenen Programme und alles was er lesen konnte, verstand er nicht. Ob es Cris überhaupt gelungen war, etwas herauszufinden? Oder war alles umsonst? Gab es überhaupt etwas auf dem blöden Handy, dass seine Theorie bestätigte? Wenn nicht... Oh, es schmerzte. Falls sich darauf wirklich nichts befand, dann war August gezwungen den Kontakt abzubrechen, denn mehr von diesem ständigen Hin und Her ertrug sein Herz nicht. Selbst wenn es schwer werden würde, den anderen zu vergessen, so konnte er es nicht ewig mitmachen immer und immer wieder verletzt zu werden.
Es war kurz vor Mittag und er wusste nicht, wann der Jüngere schlafen gegangen war, weswegen er beschloss, den anderen nicht zu wecken und sich stattdessen langsam von ihm zu lösen, ehe er aufstand und auf die andere Seite des Bettes tappste, um den Laptop auf seinem kleinen Nachttisch abzulegen. Dabei stellte er seine Lampe auf den Boden, damit das Gerät Platz hatte und Cris es sich frei auf dem Bett bequem machen konnte. Damit dieser es noch bequemer hatte, deckte er ihn anschließend zu und drückte ihm noch einen Kuss auf die Lippen. "Ruh dich aus.", flüsterte er und fuhr mit dem Zeigefinger sein Kiefer entlang. Gott, war er wunderschön. Es versetzte seinem Herz einen Stich, wenn er daran dachte, dass sie sich vielleicht nie wieder so nahe sein würden. Ihre ganze Zukunft lag in dem kleinen Mobilgerät, dass an dem Laptop angeschlossen auf der Tastatur lag und er hasste es, dass so ein kleines, unnützes Ding über etwas entscheiden würde, was kein Geld und keine Zeit der Welt wieder gut machen konnte.
Noch eine Weile beobachtete der Ältere den Jüngeren und schaffte es dann endlich aufzustehen und etwas Essbares für beide zu besorgen. Er nahm sich wie immer dunkle Jeans und ein schwarzes Shirt aus seinem Schrank, bevor er aus dem Zimmer verschwand, um sich im Badezimmer zurechtzumachen und sich anzuziehen. Sicher machte es dem anderen nichts aus, wenn er kurz das Haus verlassen würde. Der Coffeeshop war nicht weit entfernt und es war wesentlich sicherer, das Frühstück von dort zu holen, als sich selbst in die Küche zu stellen. Die Gefahr, dass etwas anbrannte und das Haus in Flammen stehen würde, war einfach viel zu hoch und besonders heute war ihm nicht danach, die Feuerwehr zu rufen. Also beeilte er sich, schrieb jedoch für den Notfall einen Zettel, den er an der Haustür befestigte, dass er eben auf Nahrungssuche war. Vielleicht, aber nur vielleicht, machte sich in dem Moment der Gedanke breit, dass ein Handy gar nicht so blöd wäre, um dem anderen einfach bescheid geben zu können, aber niemals, nein, nie im Leben, würde er sich eines dieser Dinger zulegen. Vor allem nicht, nachdem er sich gestern so darüber aufgeregt hatte.
Die Schlange im Coffeeshop war zum Glück nicht lang und er kam auch recht schnell dran. Wie immer entschloss er sich selbst für einen Americano und nahm Cris einen Latte Macchiato, sowie zwei Schokomuffins mit. Er selbst frühstückte nicht und nachdem der andere so lange wach gewesen war, musste er dafür sorgen, dass es ihm gut ging, wenn er aufwachte und Kaffee war ein Wundermittel was das anging. Am Heimweg ließ er sich Zeit, hatte keine Eile. Wenn er Glück hatte, würde der andere sowieso noch ein paar Stunden schlafen und jetzt gerade genoss er die frische Luft und Zeit alleine, um nachzudenken. Was wenn Aspen ihn tatsächlich hintergehen wollte? Was dann? Es bewies, dass Crispin recht hatte, aber gab es somit eine Chance für sie beide? Und was war überhaupt mit dieser Person, die Cris irgendwelche Gedanken einflößen sollte? Was waren das für Gedanken? Es passte mit dem Geständnis zusammen, dass er von dem Jüngeren vor mehreren Wochen gehört hatte. Erzählte er damals nicht von dem Dämon, der ihm gewisse Dinge gesagt hatte, um ihn zu überzeugen? August biss sich auf die Unterlippe. Passen würde es gut, aber das würde auch bedeuten, dass Aspen mit einem Dämon unter der Decke steckte und das... das konnte er einfach nicht glauben. Aspen... derjenige der sie doch so zu verachten schien. Der August nach dem Verrat von Crispin nahezu darauf gedrillt hatte sie genau so zu hassen, nachdem sich dieser dazu entschlossen hatte ein Jäger zu werden. Nein, das machte keinen Sinn. Bestimmt war das alles nur ein großes Missverständnis. Dass Cris log, wollte er auch nicht wirklich glauben, also musste es einfach nur ein Irrtum sein. Ein Irrtum, mit dem sie ihre Zeit verschwendet hätten und der bedeutete, dass sie nichts mehr miteinander zu tun haben sollten... Wollte er das?
Keinesfalls.
Es schmerzte von dem anderen verraten zu werden, aber es tat so viel mehr weh zu wissen, dass er ihn nie wieder sehen würde.

Crispin Cipriano

August? Der ist nicht mehr für dich zuständig und hat sich anderen Aufgaben zugewandt. Ab sofort wirst du mit mir Vorlieb nehmen müssen.
Immer und immer wieder ging Crispin diese Aussage durch den Kopf, die ihm der Engel entgegenbrachte, der ihn kurz zuvor gerettet hatte und nun scheinbar für seinen Schutz verantwortlich war. Sie krallte sich in seinen Gedanken fest, grub sich immer tiefer und zerriss sein Herz in tausend Stücke, sodass ein leises Wimmern über seine Lippen kam. Gleichzeitig verstärkte er den Druck seiner Finger auf dem Porzellan des Waschbeckens, an dem er sich verzweifelt versuchte festzuhalten. Er konnte es nicht fassen. Die Person, die ihm alles bedeutete und der er am meisten vertraute, hatte ihn verlassen. August hatte ihn im Stich gelassen, ihn weggeworfen, wie ein Spielzeug, an dem man das Interesse vollkommen verloren hatte und bei dem man sicher war, es nie wieder in die Hand zu nehmen. Er hatte ihn benutzt und fallen lassen...
Allein bei diesem Gedanken, drohten seine Beine unter ihm nachzugeben und er hatte alle Mühe sowohl stehen zu bleiben als auch die Tränen zurückzuhalten, die in ihm aufstiegen. Er wollte nicht weinen. Diese Genugtuung wollte er ihm nicht geben, falls er ihn doch weiter im Auge behielt, um zu sehen, was er angerichtet hatte. Am liebsten hätte er all seinen Schmerz und seine Verzweiflung hinausgeschrien, doch auch das hielt er zurück, denn er war nicht alleine zu Hause. Cyrian war nur ein paar Räume weiter in seinem Zimmer und keiner seiner Familie sollte ihn in diesem Zustand sehen - auch nicht sein Bruder - weshalb er sich auch im Bad eingeschlossen hatte. Er wollte niemanden sehen und von niemandem gesehen werden - nicht, wenn man ihm mehr als deutlich ansah, dass man ihm den Boden unter den Füßen weggerissen hatte, wo er nun noch immer blutend und zerbrochen lag - unfähig, sich wieder aufzurappeln.
Widerwillig löste er seinen Blick von dem weißen Porzellan und hob sein Gesicht an, um in den Spiegel zu sehen, der direkt vor ihm war. Was er dort sah, das Gesicht, das ihm entgegenblickte, wirkte so unwirklich, als gehörte es nicht zu ihm. Er biss sich auf die Unterlippe, grub seine Zähne hinein, bis es blutete, doch er spürte es nicht einmal. Schon nach ein paar Momenten ertrug er den Anblick nicht mehr, der sich ihm bot. Anstatt allerdings seinen Blick einfach wieder zu senken und nicht mehr in die spiegelnde Oberfläche zu sehen, nahm er eine Hand vom Waschbecken, dehnte seine Finger kurz, die ganz verkrampft waren, bevor er sie zu einer Faust ballte. Neben all dem Schmerz in seinem Inneren zeigte sich nun auch die Wut, die bedrohlich in ihm brodelte, seit ihm klar wurde, dass all seine Hoffnungen, August wiederzusehen, dass alles wieder gut werden würde und es einen plausiblen Grund, der nichts damit zu tun hatte, dass der andere ihn freiwillig verlassen hatte, gab, ein für alle mal zerstört waren. Er ließ zu, dass sie sich in seinem gesamten Körper ausbreitete und schlug einen Augenblick später seine Faust mit voller Wucht in den Spiegel, sodass dieser in unzählige Scherben zersprang. Dass sich einige Splitter dabei in seine Hand gruben, ihn verletzten, störte ihn nicht. Genau wie bei seiner aufgebissenen Lippe spürte er nichts davon, so als könnte nichts den Schmerz in seinem Inneren überdecken. Starr sah er auf seine Hände, als ihn ein plötzliches Klopfen an der Tür zusammenzucken und seinen Kopf in die Richtung drehen ließ.
“Cris? Ist alles okay bei dir?”
Cyrian… Der Lärm des zerbrechenden Spiegels musste ihn denken lassen, dass etwas passiert war. Was an sich auch stimmte, aber er war eine der letzten Personen, der er auch nur ansatzweise etwas verraten würde.
“Verpiss dich!”, fauchte er daher nur, in der Hoffnung, dass sein Bruder genau dies tun würde.
“Bist du sicher?”
Crispin ballte die Hände erneut zu Fäusten, bereit, ihm seinen Wunsch, dass er ihn alleine lassen sollte, auf andere Weise klar zu machen. Er besann sich dann aber doch eines Besseren und presste die Kiefer aufeinander.
“Bist du taub?! Verzieh dich und lass mich in Ruhe!”
Ein abfälliges Schnauben war zu hören, genau wie die Bemerkung, ihm wäre nicht mehr zu helfen, bevor er leise Schritte hörte, die sich entfernten, und die Tür zu Cyrians Zimmer geräuschvoll zugeschlagen wurde. Und in diesem Moment wurde Cris eins klar: Er musste hier weg. Raus aus diesem Käfig, der sich sein Zuhause nannte und wo ihn doch keiner verstand, und weg von seiner so genannten Familie. Mit dem Entschluss, seinen Frust und all die anderen Gefühle in seinem Inneren im Alkohol zu ertränken, befreite er seine Hand von den Scherben und verließ anschließend das Bad und nur wenig später auch das Haus.

Das nächste, das er mitbekam, war ein unangenehmes Kitzeln an seiner Nase. Crispin verzog das Gesicht, doch die Berührung ging einfach nicht weg. Auch als er danach schlug, änderte sich nichts daran, dass nach einem kurzen Moment, in dem das Kitzeln aufhörte, es von Neuem begann.
“Na, auch schon wach, Dornröschen?”
Er grummelte genervt und kniff die Augen zusammen, nur um sie im nächsten Augenblick erschrocken aufzureißen. Sein Blick ging direkt zur Seite, in die Richtung, aus der die Stimme kam, und als er in ein ihm völlig fremdes und amüsiert grinsendes Gesicht sah, setzte er sich abrupt auf und wich zurück - was jedoch kaum möglich war, da er bereits mit dem Kopf auf der seitlichen Sofalehne gelegen hatte Allerdings war die schnelle Bewegung alles andere als eine gute Idee, da sofort sein Kopf anfing, schmerzhaft zu pochen. Er verzog nur wieder das Gesicht und versuchte es ansonsten zu ignorieren, während er den unbekannten Mann starr ansah, der sich auf die Rückenlehne gestützt hatte und in einer Hand eine lange weiße Feder hielt. Sein Blick blieb kurz daran hängen und ihr Anblick erinnerte ihn unweigerlich an August, doch er verscheuchte diesen Gedanken, versuchte stattdessen, diese zu ordnen, um zu begreifen, in welch einer seltsamen Situation er steckte. Er wollte etwas sagen, aber er hatte keine Ahnung was.
“Du siehst aus wie ein verschrecktes Häschen”, amüsierte sich der andere weiter, während Crispin noch immer Probleme damit hatte, zu verstehen, was vor sich ging. Wer war der andere und noch viel wichtiger waren die Fragen, wo war er und was war überhaupt passiert? Dies alles schien man ihm regelrecht im Gesicht ablesen zu können, denn ohne auch nur einen Ton zu sagen - zu dem er sich ohnehin nicht fähig fühlte - erhielt er bereits kurz darauf die Antworten darauf, begleitet von einem tiefen Seufzen.
“Ihr Menschen seid so leicht durchschaubar. Du solltest deine Mimik besser kontrollieren.”
Der Unbekannte drehte die Feder in seinen Händen, bevor er ihm mit der Spitze in die Wange piekste und dabei grinste, als würde es ihm ungeheuer Spaß machen, ihn damit zu provozieren. Cris brummte leise, zog die Augenbrauen zusammen und schlug ein weiteres Mal nach der Hand, die er aber wieder verfehlte, wusste aber immer noch nicht, was er sagen sollte.
“Um dir aber die Fragen zu beantworten, die dir sicher durch den Kopf gehen: Ich bin Rixon und du bist hier in meinem bescheidenen Reich, weil du versucht hast, dich völlig betrunken mit mir anzulegen und ich dich deswegen bewusstlos geschlagen habe.”
Alleine die Erinnerung schien ihn köstlich zu amüsieren, denn das Grinsen auf seinen Lippen wurde noch eine Spur breiter. Er selbst hatte keine Erinnerung mehr an diesen Vorfall. Wenn er versuchte, daran zurückzudenken, war dort einfach nur ein schwarzes Loch - ein Zustand, den er sich für so viele andere Momente in seinem Leben ebenfalls wünschen würde und sie alle hingen mit August zusammen.
Der Gedanke an den Engel holte ihn aus seiner Starre und die Wut, die ihn aus dem Haus getrieben hatte, befiel ihn nun ein weiteres Mal. Er presste die Augen zusammen, wusste nicht, ob er diesem Gefühl erneut die Oberhand lassen sollte, doch Rixon nahm ihm diese Entscheidung unbewusst ab, als er ihm wieder mit der Feder in die Wange piekte.
“Jetzt mach mir aber nicht wieder schlapp, Häschen.”
Als Cris dieses Mal nach der Hand schlug, erwischte er sie endlich, schwang anschließend die Beine vom Sofa und stand schnell auf, um außerhalb der Reichweite des anderen zu kommen - zu schnell, denn bereits nach den ersten Schritten begann sich alles zu drehen. Bevor er das Gleichgewicht verlieren konnte, stützte er sich auf der Lehne des Sessels ab, der in der Nähe stand, und schloss ein weiteres Mal die Augen, um auch das Gefühl der Übelkeit unter Kontrolle zu bekommen. Er hatte tatsächlich zu viel getrunken. Es war also kein Wunder, dass er einen Filmriss hatte und sich elend fühlte. Vor Rixon wollte er diese Schwäche aber nicht allzu lange zeigen, weshalb er versuchte, sich zusammenzureißen.
Crispin öffnete die Augen wieder, schwankte ein paar Schritte weiter, bis er sicher war, weit genug entfernt von dem anderen zu sein. Anschließend wandte er sich zu ihm um und funkelte ihn wütend an.
“Nenn mich gefälligst nicht Häschen! Und wieso hast du mich überhaupt hierher geschleppt?! Nur weil ich auf dich losgegangen bin, ist das noch lange kein Grund oder bringst du ständig fremde Leute in deine Wohnung?!”
Dass sich der andere nicht einmal ansatzweise eingeschüchtert fühlte und stattdessen breit grinste, machte ihn noch wütender. Die Antwort, die er erhielt, rückte dieses Gefühl allerdings vollkommen in den Hintergrund und seine Augen weiteten sich ungläubig, bevor er die Augenbrauen zusammenzog.
“Du bist mir weniger fremd, als du glaubst.”
“Wie meinst du das?!”
Musternd ließ Cris seinen Blick über ihn wandern, wobei er das Gesicht des anderen genau unter die Lupe nahm. Durch seine Eskapaden und seine Streifzüge durch die Stadt begegnete er vielen Menschen, doch egal wie lange er ihn auch ansah und überlegte, ob er ihn kannte… da war einfach nichts. Er kannte ihn nicht. Das wissende Grinsen auf den Lippen des anderen ließ ihn jedoch sicher sein, dass es umgekehrt anders war.
“Ich hab dich schon eine ganze Weile im Auge behalten. Dich und deinen kleinen Schutzengel. Wobei du mir ohne den vermutlich gar nicht aufgefallen wärst, aber die Tatsache, dass er mich nicht einmal bemerkt hat, hat mich neugierig gemacht.”
Rixons Stimme klang, als gäbe es da noch einiges mehr, das er ihm sagen wollte, doch Crispin bemerkte es nicht. Sein Kopf war zu sehr mit der Information beschäftigt, dass sie beobachtet wurden und alleine die Tatsache, dass sein Gegenüber den Moment, der zu seiner größten Schmach führte, ebenfalls gesehen hatte, ließ ihn die Kiefer aufeinanderpressen, bis ihm etwas auffiel.
“Wieso hätte er dich bemerken sollen?! Und dein Leben muss echt langweilig sein, wenn du nichts Besseres zu tun hast, als anderen hinterherzuschnüffeln!”
In diesem Moment war er wirklich froh, dass sich die Wut in ihm unterschwellig immer noch bemerkbar machte und jederzeit bereit war, wieder die Oberhand zu übernehmen. Es war um Längen besser, sich dieser hinzugeben, als tatsächlich wie ein verschrecktes Kaninchen zu reagieren - unfähig, mit der ihm gegebenen Situation umzugehen.
“Weil Engel Dämonen bemerken sollten, genau wie anders herum. Hat er dir das nicht erzählt? Hat er dich nicht vor meinesgleichen gewarnt?”
Geschockt über diese neue Info, riss er die Augen etwas auf und sah Rixon einfach nur sprachlos an. Ein Dämon… Er war ein Dämon? Natürlich hatte August ihm von diesen Wesen erzählt und es war alles andere als gut, was er ihm über diese gesagt hatte. Dass er jemals einem gegenüber stehen würde, hatte er jedoch nie geglaubt, sodass er nun doch nicht wusste, wie er reagieren sollte. Der andere schien zu merken, dass er nicht fähig war, etwas zu erwidern, weshalb er munter weiter sprach.
“Und zu deiner anderen Frage… Ich wollte mir das Schauspiel deines kleinen Kampf-Chihuahuas nicht entgehen lassen. Er war wirklich talentiert, das muss man ihm zugute halten. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass er nur mit dir spielt, wäre ich wohl auch auf ihn hereingefallen. Aber es endete genauso, wie ich mir das gedacht hatte.”
Crispin schluckte, als er das hörte. Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, denn zu hören, dass ihm nun ein anderer sagte, der Engel hätte nur mit ihm gespielt, tat unglaublich weh. Ein kleiner Teil von ihm hatte immer noch gehofft, dass er sich irrte, dass es eine vernünftige Erklärung für alles gab, die ihm nicht das Herz brach. Und auch jetzt noch klammerte sich ein winziger Funken in ihm genau an diese Hoffnung.
“Wieso sollte ich dir das glauben?! Ich kenne dich nicht einmal!”
“Gegenfrage: Wieso solltest du ihm noch glauben, was er dir alles erzählt hat, nachdem er dir den Rücken zugekehrt hat? Kanntest du ihn denn wirklich, obwohl du so viel Zeit mit ihm verbracht hast?”
Zu seinem Leidwesen war diese Frage mehr als nur berechtigt. Was von dem, was August ihm während ihrer Zeit erzählt hatte, konnte er wirklich für bare Münze nehmen? Wann hatte er die Wahrheit gesagt und wo ihn vielleicht einfach nur schamlos angelogen? Er konnte es nicht sagen und diese Tatsache grub sich genauso schmerzhaft in sein Herz wie der Verlust der einzigen Person, der er voll und ganz vertraut hatte und auch das breite Grinsen in Rixons Gesicht machte das alles nicht besser.
“Deinem Schweigen entnehme ich, dass ich voll ins Schwarze getroffen habe. Er hat dich vermutlich die ganze Zeit belogen, ganz egal, was er gesagt hat, aber er war so überzeugend, dass du ihm alles geglaubt hast.”
Volltreffer… Nicht einen Moment lang hatte Crispin daran gezweifelt, dass August ihm die Wahrheit sagte, denn er war für ihn da, verstand ihn und sein Verhalten und das war mehr, als er je von jemand anderem bekommen hatte und aus diesem Grund hatte er nie einen Gedanken daran verschwendet, ihn und seine Absichten anzuzweifeln. Um genau zu sein, hatte er auch keinen Grund, Rixon nun zu glauben, doch dass er genau das aussprach, was er sich immer mehr dachte - vor allem seit er seinem neuen Schutzengel begegnet war - machte es ihm schwer, es nicht zu tun.
Verwirrt und völlig überfordert von all den Informationen, die er hörte, und den Gefühlen, die diese Situation in ihm auslösten, wandte er den Blick von Rixon ab. Er hatte das Gefühl, dass ihm das alles einfach viel zu viel wurde, als würde man ihm die Luft zum Atmen nehmen und bereits ein zweites Mal an diesem Tag hatte er das Bedürfnis, raus und weg zu müssen. Raus aus dieser Wohnung und weg von dem Dämon, der ihn durch seine Aussagen bestätigte und gleichzeitig unglaublich verwirrte. Nach einem kurzen Augenblick, den er noch brauchte, bis er sich rühren konnte, wandte er sich komplett von dem anderen ab und schwankte wortlos Richtung Flur und der Ausgangstür.
Crispin glaubte schon, dass Rixon ihn wirklich einfach gehen ließ, doch als er an der Tür ankam und sie öffnen wollte, legte sich eine Hand neben ihm auf diese und kurz darauf spürte er den warmen Atem des anderen an seinem Hals, der ihn unangenehm erschauern ließ.
“Im Grunde ist mir egal, ob du mir glaubst oder nicht, kleiner Cris, aber lass mich dir noch eins sagen:
Du solltest nichts von dem glauben, was ein Engel dir sagt und stattdessen alles hinterfragen, was er tut. Nach außen hin tun sie hilfsbereit, als würden sie nur dein Bestes wollen. Doch eigentlich wollen sie doch nur ihren Spaß haben. Für sie sind Menschen nichts weiter, als niedere Wesen und sie hassen jeden einzelnen, weil sie für euch da sein müssen. Und genau aus diesem Grund spielen sie Spielchen mit euch, doch sobald sie die Lust an ihrem Spielzeug verlieren oder es - wie in deinem Fall - an dem Punkt haben, wo ihr am verletzlichsten seid, werfen sie euch weg, wie ein benutztes Taschentuch. Es wird immer gesagt, die Dämonen wären Monster, aber die wahren Monster sind die Engel. Erst, wenn sie einem Dämon ihre Waffe ins Herz rammen, um ihn zu töten, tun sie etwas ohne Hintergedanken.”
Cris versuchte nicht einmal, diese neuen Infos zu verarbeiten. Er wusste, dass sein Kopf durch die noch immer vorhandenen Schmerzen und seinem insgesamten Zustand nicht dazu in der Lage war, weshalb er auch nicht darauf reagieren konnte, dass Rixon seinen Namen kannte, obwohl er ihm diesen nicht genannt hatte und es somit bedeutete, dass er ihn wohl wirklich beobachtet hatte. Anstatt jedoch darauf einzugehen, drehte er seinen Kopf ein wenig zur Seite, bis er ihn sehen und ihm einen giftigen Blick zuwerfen konnte.
“Bleib mir vom Leib und komm mir ja nicht zu nahe!”, fauchte er und zu seiner Überraschung nahm der andere mit einem Schmunzeln im Gesicht tatsächlich Abstand. Doch auch dies war etwas, worüber er nicht nachdenken wollte. Durch die kurze Nähe des anderen hatte er noch mehr das Gefühl bekommen, hier weg zu müssen und so riss er die Tür auf und trat aus der Wohnung. Die letzten Worte des Dämons bekam er allerdings noch mit, bevor sie hinter ihm wieder ins Schloss fiel.
“Ich weiß, dass du in ihn verliebt bist und solltest du dich rächen wollen und dabei Hilfe brauchen… Du weißt ja nun, wo ich wohne.”


Abrupt öffnete Crispin die Augen und setzte sich auf. Sein Herz raste und sein Atem ging schneller, während er einen Augenblick brauchte, um sich zu orientieren und zu begreifen, dass dies gerade alles nur ein Traum und nicht die Realität war. Mit beiden Händen fuhr er sich erst durchs Gesicht, um sie anschließend in seinen Haaren zu vergraben, in der Hoffnung, sich so wieder zu fangen. Sein Traum - oder viel mehr seine Erinnerung - war so intensiv, dass er kurz glaubte, er befände sich bei Rixon und alleine bei dem Gedanken spürte er ein beklemmendes Gefühl in der Brust. Und das Schlimme war, so abwegig war der Gedanke durch die Intensität nicht einmal. Nachdem er damals fluchtartig die Wohnung des Dämons verlassen hatte, schwor er sich, nie wieder dorthin zu gehen oder auch nur in die Nähe des anderen zu kommen. Das Ende vom Lied war, dass er keine 24 Stunden später doch wieder vor der Tür stand, um das Angebot der Hilfe für seine Rache anzunehmen. Dass diese Entscheidung eventuell die dümmste seines ganzen Lebens war, konnte er zu diesem Zeitpunkt nicht wissen und auch jetzt konnte er dies noch nicht mit absoluter Bestimmtheit sagen. Damals schien es allerdings der einzige Weg zu sein, den er hatte, um den Schmerz in seinem Inneren zu vertreiben: Indem er August genauso weh tat, wie dieser es bei ihm getan hatte. Die ganze Nacht war er immer wieder das Gespräch mit dem Dämon durchgegangen, um am Ende zu dem Schluss zu kommen, dass er recht hatte. Er hatte ihm geglaubt und auch jetzt noch beeinflusste einfach alles, was er ihm gesagt hatte, sein Handeln und seine Gedanken, wenn er doch wieder einmal darauf kam, dass der Engel vielleicht auch jetzt nur mit ihm spielte - auch wenn er noch immer hoffte, dass es völlig anders war und Rixon damals gelogen hatte. Selbst wenn das bedeutete, dass…
Vehement schüttelte er den Kopf, vertrieb auch nur den Ansatz dieses Gedankens, denn mit den Gefühlen, die dieser hervorrufen würde, wollte er sich gerade nicht beschäftigen. Es würde schlimm genug werden, wenn es stimmte und somit wollte er dies nicht schon jetzt fühlen. Um sich abzulenken, schaute er sich um und bemerkte dabei, dass er alleine war. Bisher hatte er dies nicht mitbekommen - zu sehr war er mit seiner Erinnerung beschäftigt, bei der er doch ein wenig froh war, dass August ihn gerade nicht sah und bei der er sich fragte, warum sein Unterbewusstsein ihn gerade jetzt damit konfrontierte?! War er der Wahrheit so nahe, dass es ihn noch einmal daran erinnern wollte, was er getan hatte?!
Bei diesem Gedanken ließ er seine Hände sinken, strich mit einer von ihnen über die Stelle, an der der andere gelegen hatte, und biss sich auf die Unterlippe. Er wollte nicht, dass dies vielleicht das letzte Mal war, dass er hier sein und neben dem Schwarzhaarigen hatte einschlafen können, dass er dessen Nähe genießen konnte.
“Ich will dich nicht verlieren…”, flüsterte er leise, obwohl er alleine war und ihn ohnehin niemand hören konnte. Sein Blick glitt zu seinem Laptop, der inzwischen auf dem Nachtschrank neben dem Bett stand. August musste ihn dorthin gestellt haben und langsam war er klar genug im Kopf, um sich zu fragen, wo der andere eigentlich war. Zuerst lehnte er sich jedoch näher an sein Gerät heran, um zu sehen, wie weit dieses mit dem Finden des Passwortes war - und wurde enttäuscht. Bisher hatte das Programm noch nichts gefunden und so musste er weiter warten und vor allem hoffen. Ein Seufzen kam ihm über die Lippen und da es nichts brachte, weiter auf dem Bett zu sitzen und zu warten, da ihn dies nur noch mehr fertig machen würde, als die ganze Situation, in der er mal wieder steckte, stand er auf, um nach August zu suchen. Im Haus war alles ruhig, aber das hieß nicht, dass er nicht da war. Nachdem er das Schlafzimmer verlassen hatte, warf er einen kurzen Blick ins Bad, dessen Tür nur angelehnt war, doch da er ihn dort nicht fand, lief er die Treppen hinunter, um sich dort weiter nach dem anderen umzusehen. Weit kam er dort allerdings nicht, denn als er sich gerade dem Wohnzimmer zuwenden wollte, sah er aus dem Augenwinkel etwas an der Tür hängen. Bei genauerem Hinsehen bemerkte er, dass es sich um einen Zettel handelte und schon von weitem erkannte er die feine Handschrift des Engels. Sofort ging er näher, um zu sehen, was es für eine Nachricht war und als er die Worte las, schlich sich ein Schmunzeln auf seine Lippen. So wie es aussah, wollte August verhindern, in der Küche etwas kaputt zu machen oder, dass die Zubereitung des Frühstücks wieder so endete, wie beim letzten Mal, als er für ihn gekocht hatte. Wie dieser Morgen allgemein ausgegangen war, daran wollte er nicht denken, weshalb er die Erinnerung wieder vertrieb. Stattdessen entschloss er sich, die Zeit zu nutzen, um ins Bad zu verschwinden. Zwar hatte er daran, dass er eventuell neue Sachen brauchte, wenn er hierher kam, nicht gedacht, aber das hieß nicht, dass er sich nicht dennoch ein wenig frisch machen und sich den Rest des Schlafs aus dem Gesicht waschen konnte.
Die Straßen waren menschenleer und am liebsten wäre er jeden Morgen eine Runde wie diese gegangen, um seinen Kopf frei zu bekommen. Es hatte etwas sehr Entspannendes leere Straßen und Gassen entlang zu gehen und alleine mit seinen Gedanken zu sein. Manchmal zwar nicht ganz praktisch, vor allem wenn man nicht mit seinen Problemen konfrontiert werden wollte, aber so wie heute, war es ihm ganz recht. Er brauchte diesen Spaziergang regelrecht um sich vieler Dinge klar zu werden und sich vor allem zu fragen, wie es mit ihm und Crispin weitergehen sollte. Dass er nach wie vor etwas für ihn empfand, konnte er zu diesem Zeitpunkt einfach nicht mehr abstreiten. Sein Herz gehörte schon immer ihm und würde es wahrscheinlich auch immer tun. Die Vorstellung jemand anderen zu finden, der ihn ersetzen könnte, war einfach nur absurd und so fern von der Realität, dass er gar nicht darüber nachdenken musste. Fakt war: Er liebte Crispin. Mehr als alles andere. Sein Lachen, das er so selten zeigte, sein Art, wie er dem Engel durch kleine Gesten Zuneigung zeigte und ihm Komplimente machte, seine Leidenschaft was Musik anging, aber auch seine negativen Seiten, wie zum Beispiel das rücksichtslose Verhalten… er liebte einfach alles an ihm und war nicht genau das das Wichtigste? In guten wie in schlechten Zeiten? Schlechte Zeiten konnte man nur überstehen, wenn es Hoffnung auf bessere Momente gab, auf einen Knackpunkt, wo sich alles wieder zum Guten wendete. Doch gab es diesen für sie? Selbst wenn sich herausstellte, dass Aspen nicht derjenige war, der er vorzugeben schien, was machte es dann für einen Unterschied für sie beide? August war ein Engel. Crispin ein Dämon. Engel und Dämonen gehörten nicht zusammen - es sprach einfach gegen ihre Natur. Sicher, er hielt nicht viel von Regeln, aber hier ging es um weitaus mehr. Er wurde hintergangen, verraten und auch wenn er vieles tolerierte, so war das einfach zu viel für ihn. Aspens möglicher Verrat würde zusätzlichen Schaden anrichten und was hatte er dann noch? Nichts, niemanden. Dieses ewige hin und her zwischen ihm und dem Dämon war etwas, dass ihn zwar einerseits glücklich machte, denn mit jedem Mal schienen sie sich besser zu verstehen und etwas wie Hoffnung stieg in ihm auf, jedoch wurde er bis jetzt jedes Mal am Ende enttäuscht und das konnte sein Herz nicht mehr lange mitmachen. Auch Cris litt darunter, das entging ihm keineswegs und er musste sich an diesem Punkt fragen, wie lange sie dieses Spiel noch weiterspielen wollten. Aus Angst daran kaputtzugehen fasste er einen Entschluss, der wahrscheinlich das Sinnvollste für sie beide war: Sie mussten Abstand nehmen. Die goldene Mitte zwischen dem Tod und der verbotenen Liebe - einfach nur Abstand. Sich nicht mehr über den Weg laufen und einfach vergessen was zwischen ihnen war. Auf diese Weise konnten sie sich gegenseitig nicht mehr verletzen, denn so langsam hatte er das Gefühl - egal wie sehr sie es versuchten - irgendetwas kam immer dazwischen und zerstörte alles was zwischen ihnen lag. Eine Beziehung wie diese konnte man nur bedingt belasten und sie hatten schon so viel durchgemacht, dass es vielleicht Zeit war das alles auf eine erwachsene Art und Weise - ohne Streit - zu beenden und ruhen zu lassen. Vielleicht waren sie doch nicht füreinander bestimmt… Der Gedanke bildete einen Kloß in seinem Hals und ließ seine Augen brennen. Das vergangene Jahr war wie eine Achterbahnfahrt der Gefühle gewesen und er wusste nicht, ob er für eine weitere Fahrt bereit war. Wann kam das Ende? Wann hörte es endlich auf? So langsam wusste er es nicht mehr und er musste die Notbremsung ziehen.
August klammerte sich an die Tüte mit den Muffins und dem Latte Macchiato, als er in der Gasse ankam, in der sein Haus lag. Irgendjemand würde ziemlich stolz für seine Entscheidung sein, ganz bestimmt. Er selbst nicht und Cris wahrscheinlich auch nicht, im ersten Moment. Aber er wusste, dass das das Richtige war, wenn sie beide unverletzt aus dieser Beziehung, die sie zueinander hatten, kommen wollten. Er tat es aus Selbstschutz und weil ihm der andere so viel bedeutete, dass er einfach nicht mehr wollte, dass er darunter leiden musste. Egal wie alles an dem Tag ausgehen sollte: Er musste es einfach beenden.
Sich seines Entschlusses sicher, betrat er leise das Haus. Ob der andere bereits wach war, wusste er nicht und er wollte nicht riskieren, ihn aufzuwecken. Die Nacht war anstrengend genug gewesen und wie viel Schlaf der Jüngere abbekommen hatte, wusste er auch nicht. Ihn alleine im Haus zu lassen, hätte unter Umständen sehr gefährlich sein können. Ein angezündetes Haus oder die Entwendung von wichtigen Gegenständen - die er nicht hatte - kamen ihm durchaus in den Sinn, aber genauso die Tatsache, dass Cris jemand war, der Probleme mit seinen Fäusten löste. Wenn er also Rache wollte, dann hätte er den Engel im Schlaf locker verprügeln können. Demnach bestand keine Sorge, dass er zu den verbrannten Trümmern seines Hauses zurückkehren musste.
Seine Schuhe zog er auf der Fußmatte im Vorraum aus und legte dabei seinen Schlüssel auf den Schuhkasten in eine kleine Schale. Manche Leute sprachen davon, dass sie ständig ihre Schlüssel verloren und sie nicht finden konnten, dabei musste man sie doch einfach immer nur auf denselben Platz legen. August verlor so gut wie gar nichts und er wusste auch immer wo sich alles befand. Bei seinem “Einzug” in das Haus hatte er sich viel Zeit genommen, um sich gründlich umzusehen und sich zu merken, wo alles lag. Dass er von manchen Dingen nicht wusste, was sie waren oder welche Funktion sie hatten, war dabei nebensächlich - hauptsache er wusste genau wo sich zum Beispiel das elektrische Gerät mit den zwei drehenden Stäben daran befand! Wozu es gebraucht wurde: Keine Ahnung, aber er vermisste es auch nicht in seinem bescheidenen Leben.
Sein Americano war schon fast leer und er exte den letzten Schluck, der nicht einmal halb so gut schmeckte, wie die ersten drei Schlücke am anfang, so wie bei fast jedem Getränk. Den Plastikbecher entsorgte er in der Küche, wo er auch gleich einen Teller nahm und darauf die zwei Schokomuffins für Crispin platzierte. Einem 5-Sterne-Frühstück glich das alles natürlich nicht, aber wenn er ungeschoren und mit einer sauberen Küche davonkommen wollte, dann musste er sich damit zufrieden geben. Mit dem Kaffee und der Süßsspeise ging er die Treppe hinauf und musste feststellen, dass der andere bereits wach war, denn das Bett war leer und verlassen. Erst dachte er, dass der Dämon einen Abgang gemacht hatte, aber nachdem der Laptop immer noch auf seinem Nachttisch stand, machte sich Erleichterung in seinem Herzen breit. Das Frühstück stellte er auf der Fensterbank ab und räumte den Rest gestrigen Abendessen weg, bevor er einen Blick zum Badezimmer warf, indem sich der andere befand. Er hörte das leise Rauschen des Wassers aus dem Wasserhahn und war sich demnach sicher, dass sich der andere dort befand. Unsicher spielte er mit den Armbändern an seinem Handgelenk, während er zugegeben etwas hilflos in seinem eigenen Schlafzimmer stand. Wie sollte er das ganze überhaupt ansprechen? Wie konnte er dem anderen seine Gedanken mitteilen, ohne dass er ihn zu sehr verletzte? Crispin würde natürlich gekränkt sein - August wäre es an seiner Stelle auch im ersten Moment - aber viel wichtiger war doch das Wesentliche zu sehen. So wie es jetzt war, waren sie einfach nicht glücklich miteinander und das musste aufhören. Der Engel stellte sich vor die Badezimmertür und klopfte leise, bevor er sie langsam öffnete und seinen Kopf durch den Spalt steckte. “Kann ich kurz stören?”, fragte er und sah dann zu dem anderen. Nachdem dieser zum Glück nicht baden und angezogen war, öffnete er die Tür ganz und lehnte sich an den Türrahmen. “Ich ähm… ich habe dir Frühstück mitgebracht.”, fing er an und suchte bereits nach den richtigen Worten, die das ernste Gespräch einleiten sollten, was alles andere als einfach war, denn plötzlich klang es so viel besser, einfach in einer Illusion zu leben, in der alles perfekt und keineswegs kompliziert zwischen ihnen war. “Am Weg hierher habe ich nachgedacht… über mich… über uns.” Die schwarzen Stirnfransen fielen ihm über die Augen, als er den Kopf senkte und wieder anfing mit seinem Schmuck zu spielen, der wie immer dazu diente, seiner Nervosität zu helfen. “Egal was heute noch geschehen mag… Es wäre vielleicht besser, wenn wir uns nicht-” Ein leises Geräusch unterbrach seinen Satz und es kam aus dem Schlafzimmer. August drehte sich um und konnte von dort aus den Laptop sehen, auf dessen Bildschirm ein neues Fenster geöffnet hatte. Sein Herz schlug mit einem Mal schneller. “W-was … Ist das Ding fertig? Hat es das Passwort geknackt?”, fragte er unsicher und sah in die braunen Augen des Jüngeren. Plötzlich so kurz vor der Antwort zu stehen, ließ seinen Puls in die Höhe wandern und jetzt gerade wusste er gar nicht, ob er bereit dafür war. Seinen angefangenen Satz von vorhin, hatte er bereits komplett vergessen, denn jetzt musste er sich mental darauf vorbereiten, dass sein Bruder ihn möglicherweise hintergangen hatte und wie er darauf reagieren würde, wusste er einfach nicht. Wieder im Schlafzimmer angekommen musterte er das Gerät und las irgendetwas von “Abgeschlossen”. “C-cris?”, fragte er und sah dann zum Handy. Wollte er die Wahrheit überhaupt wissen? Wollte er, dass ihm der Boden unter den Füßen weggezogen wurde? Mit einem Mal war er sich gar nicht mehr sicher und panisch sah er zu dem anderen, bevor er Abstand nahm und sich auf das Fensterbrett setzte. Er würde den anderen einfach machen lassen. “Sag mir, ob es geklappt hat…”

Crispin Cipriano

Die Stille, die ihn in dem kleinen Badezimmer umgab, war erdrückend. Im Grunde war er es von seinem Zuhause nicht anders gewohnt, alleine zu sein, doch hier war es irgendwie etwas anderes. Immer, wenn er früher hier war, war August ebenfalls da - in seiner Nähe und an seiner Seite. Jetzt jedoch war es anders und er konnte nicht behaupten, dass er dieses erdrückende Gefühl der Leere, angenehm fand - ganz im Gegenteil. Dass der Engel lediglich Frühstück holen wollte und somit bald wieder da war, spielte in dem Fall keine Rolle. Er fühlte sich dennoch alleine, verlassen. Genau wie damals, als er bei seinen Eltern Zuhause im Bad stand, nachdem er erfahren hatte, dass der andere ihn hatte fallen lassen.
Crispin biss die Zähne zusammen und ballte seine Hände zu Fäusten, während er es vermied in den Spiegel zu schauen, der direkt vor ihm war. Noch immer fragte er sich, warum ihn sein Unterbewusstsein ausgerechnet in dieser Nacht an diesen Tag erinnern musste und das auch noch so lebhaft, dass er das Gefühl hatte, als wäre es erst gestern gewesen. Er hatte versucht, diesen Tag zu verdrängen, auch wenn es der Tag war, der ihn auf den Weg brachte, der letztendlich zu der Situation führte, in der er sich gerade befand. Er hatte eine Entscheidung getroffen, die sein ganzes Leben verändert hatte und doch war es ein Tag, an den er ungern dachte. Umso schmerzhafter war es, ausgerechnet jetzt daran erinnert zu werden. Seit seinem Misstrauen Aspen gegenüber, das nicht nur darin begründet lag, das dieser nun mal ein Engel war, hatte er Hoffnung darauf, dass sich alles zum Guten wenden könnte. Und dann das… Dieser Traum, der ihm diese Hoffnung beinahe wieder nahm, weil er sie wie eine Seifenblase vor seinen Augen zerplatzen ließ.
Was bezweckte sein Unterbewusstsein nur damit? Wollte es ihm zeigen, welch großen Fehler er damals begangen hatte, jetzt, wo er vielleicht kurz davor stand, die Wahrheit herauszufinden? Wollte es ihm zeigen, dass er an all dem, was August und er seit fast zwei Jahren durchmachten, allein seine Schuld war? Alleine der Gedanke daran, schnürte ihm das Herz zusammen und machte ihm das Atmen schwer, denn wie sollte er dem anderen noch in die Augen sehen können, wenn dem tatsächlich so war? Das alles wäre vermeidbar gewesen. Der Schmerz, die Einsamkeit, der ständige Streit zwischen ihnen und dass sie sich gegenseitig verletzten. Ihre jetzige Situation, das hin und her zwischen zerbrechlichem Frieden und gegenseitigen Vorwürfen, zehrte sie beide aus. Und so sehr er August auch noch immer liebte - daran hatten auch die Kluft zwischen ihnen und die Unklarheiten nichts geändert - er wusste nicht, wie lange er das alles noch durchhielt, auch wenn ihn diese teilweise friedlichen Momente wie in der letzten Nacht immer wieder ein wenig für alles andere entschädigten. Sie waren wie Balsam für sein geschundenes Herz und seine zerrissene Seele, doch sobald sie sich wieder angifteten, war dies alles hinfällig - auch wenn sie nicht wieder bei null anfingen.
Aber vielleicht wollte es ihn auch daran erinnern, warum er diesen Weg beschritten hatte. Warum er die Entscheidung, ein Dämon zu werden, gefällt und somit das Band, das August und ihn verband, versucht hatte, zu durchtrennen. Vielleicht wollte es ihm noch einmal deutlich vor Augen führen, wie er sich damals gefühlt hatte und noch immer die Möglichkeit bestand, dass der Engel ihn die ganze Zeit über belogen und nur mit ihm gespielt hatte. Was war, wenn all seine Bemühungen der letzten Nacht, umsonst waren, weil es nichts bewies? Was, wenn er sich geirrt hatte und Aspen nicht so hinterhältig war, wie er dachte? Oder was, wenn er doch richtig lag? Was bewies das? Nichts - zumindest nicht, ob August nun ehrlich zu ihm war oder nicht, denn er hatte ihn verlassen. Das war eine Tatsache, die nicht von der Hand zu weisen war, egal, wie man es drehte und wendete...
All diese Gedanken kreisten in seinem Kopf und er spürte, wie sich ein leichter Schmerz an seiner Schläfe meldete. Das war gerade einfach zu viel für ihn. Zu viele Eventualitäten, auf die er keinen Einfluss hatte und das frustrierte ihn zutiefst und bei keiner einzigen wusste er, was er tun sollte, wenn sie eintraf. So schwer es ihm auch fiel, das zuzugeben, der Engel war noch immer alles für ihn. Seit er ihm begegnet war, war er derjenige, der ihn verstand. Das erste Mal in seinem Leben fühlte er sich vollkommen verstanden, aufgehoben und vor allem vollständig - ein Zustand, der zuvor niemals da war und auch jetzt fühlte er sich, als ob ein Teil von ihm fehlte. Egal, was er auf dem Handy auch fand, im Grunde wollte er August nicht verlieren, auch wenn er wusste, dass es ihn zerstören würde, herauszufinden, dass Rixon damals recht hatte und der Engel ihn sowohl damals als auch heute nur als Zeitvertreib ansah.
Völlig in diesen Gedanken versunken, die ihm das Atmen schwer machten und sein Herz noch immer schmerzhaft unklammerten, bemerkte er nicht, wie August nach Hause kam. Er löste seine verkrampften Hände, dehnte seine Finger, um sie anschließend auf seine Schläfen zu legen. Er hatte eindeutig zu viel nachgedacht und mehr als Kopfschmerzen hatte es ihm mal wieder einmal nichts gebracht. Ein leises Brummen entfuhr ihm und er schloss die Augen. Er sollte wirklich aufhören darüber nachzudenken, was er in den einzelnen Situationen machen sollte. Am Ende kam vielleicht sowieso alles ganz ander oder er handelte anders, als gedacht, da er was den anderen betraf, einfach unberechenbar und selbstzerstörerisch war.
Mit dem Entschluss, das alles in die Zukunft zu verlagern und es auf sich zukommen zu lassen, ließ er die Hände wieder sinken und öffnete die Augen. Seinen Blick richtete er nun doch auf sein Spiegelbild, dem man ansah, dass er trotz der erholsamen Stunden neben August zu wenig geschlafen hatte - was nicht zuletzt auch daran lag, dass er die Nächte kaum ein Auge zugetan hatte. Es war somit ein Wunder, dass er genug Konzentration aufbringen konnte, um alles zu versuchen, um in das Handy des anderen Engels zu kommen. Aber er hatte es immerhin für August und ihn getan - für eine eventuelle Zukunft, die dennoch komplett ungewiss war. Crispin seufzte und schüttelte den Kopf, um zu verhindern, dass er ein weiteres Mal an all das dachte. Anschließend drehte er den Wasserhahn auf und ließ das kalte Wasser erst über seine Hände laufen, bevor er es in ihnen sammelte und sich das Gesicht damit wusch - teilweise auch in der Hoffnung, dass die Rötungen seiner Augen von der viel zu kurzen Nacht ein wenig verschwanden.
Als er gerade nach einem Handtuch griff, hörte er das leise Klopfen an der Tür und zuckte zusammen. Er schaute in die Richtung und im nächsten Moment in das Gesicht des Schwarzhaarigen, der all seine Gedanken dominierte. Seine Frage irritierte ihn ein wenig, doch er schob sie darauf, dass er sich nun einmal gerade im Bad befand und ignorierte das leicht ungute Gefühl, das sich gleichzeitig in seinem Bauch ausbreitete.
“Natürlich, ich bin sowieso fertig”, erwiderte er, während er sich das Gesicht abtrocknete und das Handtuch anschließend wieder dorthin hängte, wo er es hergenommen hatte. Auf die darauffolgenden Worte, wollte er bereits etwas sagen, den anderen eventuell ein wenig damit aufziehen, dass es meist im Chaos endete, wenn er in der Küche stand, doch es blieb ihm im Halse stecken, als sich das ungute Gefühl wieder meldete und das so stark, dass er es nicht mehr ignorieren konnte, weil es sich im nächsten Augenblick bereits zu bewahrheiten schien.
Gespräche, die damit begannen, dass einer nachgedacht hätte - vor allem wenn es direkt auch eine zweite Person betraf - verlieren niemals gut. Als wäre es ein ungeschriebenes Gesetz, das so etwas unschön und schmerzhaft endete. Man konnte nun behaupten, dass dies nur in guten Büchern und schlechten Filmen so war, doch die Tatsache, dass dieses beklemmende Gefühl nun auch sein Herz erreichte und es zusammenschnürte, erzählte eine andere Geschichte.
Unfähig etwas zu sagen und mit einer Vorahnung, die ihm alles andere als gefiel, sah er den anderen einfach nur an, der nervös mit seinem Schmuck spielte. Er kannte dieses Verhalten so gut und es machte das alles nicht besser.
Es wäre vielleicht besser, wenn wir uns nicht-
Weiter kam der Engel nicht und Crispin wusste in diesem Moment auch nicht, ob er froh darüber sein sollte, dass er seinen Satz nicht beenden konnte. Denn was, wenn er ihm sagen wollte, dass es im Grunde egal war, was bei der Sache mit dem Handy herauskam und es niemals eine Chance für sie beide gab? Wieder biss er die Zähne zusammen. Er hatte keine Ahnung, wie er darauf reagieren würde, doch im Moment kam er auch nicht dazu, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, denn Augusts nächste Worte machten ihm bewusst, was ihn eigentlich unterbrochen hatte. Das leise Geräusch seines Laptops hatte er zwar gehört, aber es nicht vollkommen realisiert. Nun jedoch sah das anders aus. Alles, was ihm gerade durch den Kopf gegangen war, schob er in dieselbe Ecke, in der sich auch schon die Gedanken befanden, die er sich vor Augusts Erscheinen gemacht hatte. Im Moment waren sie auch vollkommen egal. Viel wichtiger war, was dieses Geräusch zu bedeuten hatte.
Ohne weiter zu zögern, lief er ebenfalls ins Schlafzimmer und blieb etwas hinter dem anderen stehen. Als er das Ergebnis auf dem Laptop sah, seufzte er erleichtert.
“Da haben wir wohl Glück gehabt, dass es so schnell ging. Nach dem ganzen Aufwand, den er betrieben hat, um sein Handy zu schützen, hab ich schon fast gedacht, er nutzt ein Passwort, das kompliziert ist.”
Schließlich hätte es somit auch Wochen dauern können, eh das Programm endlich das Richtige gefunden hätte und das hätten weder seine noch wahrscheinlich die Nerven des Schwarzhaarigen mitgemacht. Crispin schob sich an ihm vorbei, zog das Kabel vom Handy, über das es mit dem Notebook verbunden war, und setzte sich anschließend neben den Engel auf die Fensterbank. Doch obwohl er bis eben noch unbedingt wissen wollte, ob sich die ganze Arbeit gelohnt hatte, zögerte er nun und biss sich auf die Unterlippe, während er auf das im Moment schwarze Display blickte. Wieder kamen all die Zweifel in ihm hoch, auch wenn sie ihn durch Augusts Nähe nicht ganz so überrollten wie noch zuvor.
“Bist du bereit?”, fragte er und sah dabei kurz neben sich. Dem anderen war jedoch anzusehen, dass er auch nicht ganz wusste, wie er damit umgehen sollte und vermutlich alles andere als bereit war für das, was nun vielleicht heraus kam. Crispin konnte es ihm nicht verübeln, denn sollte sich herausstellen, dass Aspen ihn tatsächlich hintergangen hatte… Ein weiteres Mal schüttelte er leicht den Kopf und wandte den Blick wieder ab, um ihn auf das Handy zu heften. Er schloss die Augen, um sich zu sammeln und versuchte nicht daran zu denken, dass alles weitere womöglich daran hing, was auf dem Gerät war. Was nicht wirklich klappte, aber es weiter hinauszuzögern, brachte ebenfalls nichts und so schaltete er den Bildschirm ein. Die Sperre war inzwischen nicht mehr vorhanden und so kam er ohne Probleme hinein und navigierte direkt zu dem privaten Konto, das er gefunden hatte und dessen Passwort geknackt war.
Sein Herz schlug schneller und kurz überlegte er, wo er zuerst nachsehen sollte. Er entschied sich für die Telefonliste, in der Hoffnung die Nummer zu finden, mit der er telefoniert hatte. Und tatsächlich fand er sie - ein kurzer Anruf am heutigen Tag, genau zu dem Zeitpunkt, als er im Atelier war und dennoch leider nicht aussagekräftig genug.
“Da hätten wir schon mal den Anruf, von dem ich dir erzählt hab. Nur leider ohne Namen. Wäre wohl auch zu einfach gewesen”, seufzte er etwas frustriert, da ihm auch die Handynummer nichts sagte, die Aspen angerufen hatte.
Ohne weiter Zeit zu verschwenden oder sich darüber zu ärgern, sah er bei den Nachrichten nach, fand jedoch nichts. Das einzige, was nun also noch helfen würde, wären aussagekräftige Bilder. Crispin biss sich unbewusst auf die Unterlippe, merkte dabei nicht, dass sie leicht anfing zu bluten. Und er biss kaute noch weiter darauf herum, als er in die Bildergalerie sah. Als erstes öffnete er die Fotos, die mit dem Handy selbst gemacht wurden. Einige Selfies waren zu sehen, die ihm nun auch ein Gesicht zu der Stimme lieferten und ein unwohles Gefühl meldete sich, ähnlich dem, das er auch in der Nähe des Engels hatte. Ein paar Bilder weiter war er mit jemandem zusammen drauf und als er sah, um wen es sich dabei handelte, blieb ihm kurz das Herz stehen.
Rixon…
“Das ist unmöglich…”, sagte er leise vor sich hin.
Das konnte nicht sein… Das war ein Irrtum… Oder?
Leichte Gewissheit legte sich langsam um sein Herz, während er weiter auf das Bild starrte. Eher ungewollt, weil er mit dem Finger auf das Display kam, zeigte sich das nächste Bild, auf dem Aspen ebenfalls mit einer weiteren Person zu sehen war und genau dieses gab den Ausschlag dafür, dass er sich sicher war, dass es nur der Dämon sein konnte, der neben ihm stand und in die Kamera grinste. Während es sich bei dem ersten der beiden Bilder um den Körper handelte, den er besetzt hatte, während er noch ein Mensch war, steckte er auf dem zweiten in dem, nachdem er ihm ihn aus der Hölle heraus auf die Erde geholfen hatte. Welches Verhältnis Aspen und er zueinander hatten, war ebenfalls sehr deutlich zu sehen, da ihm der Engel gerade einen Kuss auf die Wange gab.
Crispin fühlte sich nicht fähig, sich zu regen, etwas zu sagen oder auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Sein Kopf fühlte sich leer und gleichzeitig viel zu voll dafür an, während er nur weiter auf die beiden Gestalten starrte, dabei völlig vergessend, dass August neben ihm saß und die Bilder ebenfalls sah. Doch er war nicht in der Lage zu ihm zu sehen und er war so erstarrt, dass er heftig zusammenzuckte, als das Handy in seiner Hand plötzlich vibrierte und eine neu eingegangene Nachricht von genau der Nummer anzeigte, die der Engel am Mittag angerufen hatte. Cris schluckte und warf nun doch einen vorsichtigen Blick zu dem anderen, doch er hielt es nicht aus, ihn lange anzusehen.
Er war sich unsicher. Sollte er die Nachricht öffnen, die nach den Bildern zu urteilen sehr gut möglich von Rixon sein könnte, oder sollte er es lassen? War er bereit dazu? Zudem musste er August auch noch sagen, wer das auf den Bildern war und auch da wusste er nicht, ob er dazu in der Lage war. Dabei war es genau das, warum er das alles gemacht hatte: Um Aspen des Verrats zu überführen.
Hin und hergerissen presste er die Kiefer aufeinander und sammelte all seinen Mut zusammen, den er gerade noch aufbringen konnte, um die Nachricht zu öffnen.

Ich glaube, dein Verdacht, was den kleinen Kampf-Chihuahua und das Häschen betrifft, hat sich bestätigt. Die Bilder wurden auf dem Ball vor ein paar Wochen gemacht.

Unter dem Text folgten zwei Fotos, auf denen August und er einmal in der Auktionshalle zu sehen waren, wie der andere ihm gerade die Hand entgegen hielt, um mit ihm zu verschwinden und das andere im Tanzsaal, als sie sich kurz darauf umarmten.
Das Handy rutschte ihm aus der Hand und fiel zu Boden, als ihn die Erkenntnis mit voller Wucht traf, dass sich genau das bestätigte, was er bereits insgeheim befürchtet hatte: Dass nicht nur August von dem anderen Engel verraten wurde, sondern, dass auch er manipuliert wurde. Die Fotos von Aspen und dem anderen hätten noch ein - zugegeben seltsamer - Zufall sein können, doch die Bezeichnungen Kampf-Chihuahua und Häschen waren mehr als eindeutig, da Rixon sie auch damals bei ihrer ersten Begegnung benutzte.
Auf einmal wurde ihm alles zu viel. Schuldgefühle gruben sich unbarmherzig und schmerzhaft in sein Herz und drohten es, zu zerquetschen. Er war Schuld… An allem, was in den ganzen letzten Monaten geschehen war… Dass es noch immer nicht vollkommen bewies, ob August es ernst mit ihm meinte, war in diesem Augenblick völlig egal, denn im Grunde hatte er alles kaputt gemacht, was zwischen ihnen war und er war daran Schuld, dass es mehr als nur kompliziert war.
Seine Augen brannten und er spürte, wie Tränen in ihm aufstiegen. Doch anders als damals hatte er gerade nicht die Kraft dazu, sich gegen sie zu wehren. Dennoch wollte er nicht, dass der andere ihn so sah. Etwas umständlich und wackelig auf den Beinen, da ihm wieder einmal der Boden unter den Füßen weggerissen wurde, stand er auf und flüchtete, so schnell er konnte, aus dem Schlafzimmer. Was August davon halten mochte, wusste er nicht, aber er hatte gerade auch keinen Kopf dafür, um sich darüber ernsthaft Gedanken zu machen. Sein Weg führte ihn wieder ins Bad, wo er mit dem Rücken an der Badewanne zusammenbrach, weil ihn seine Beine einfach nicht mehr aufrecht hielten. Er zog die Knie an den Körper, beugte sich darüber, während er seine Hände in den Haaren vergrub und den Tränen freien Lauf ließ.
Er hatte alles kaputt gemacht…
Noch nie hatte er sich so hilflos gefühlt wie in diesem Moment. Nichts, wirklich nichts konnte er tun, außer sich voll und ganz auf Crispin zu verlassen, der jetzt Kontrolle über das hatte, was die Zukunft beider bestimmen sollte. Ein Teil von ihm glaubte nicht daran, dass Aspen ihn tatsächlich verraten hatte, sondern dass es sich hierbei einfach nur um ein großes Missverständnis handelte, über das sie später herzlich lachen konnten. Aus Versehen einen Dämon kontaktiert, die falsche Nummer gewählt… so etwas konnte doch durchaus vorkommen oder nicht? Dinge wie diese, hatte er schon von seinen Kollegen an der Uni gehört. Man verwählte sich und erreichte jemand anderen als gewollt. Aber dieser Aufwand, wie der Jüngere ihn beschrieb, nur für eine falsch gewählte Nummer? Das konnte man nicht schönreden - auch nicht August, der darin ein Profi war. Das Handy so abzusichern war ziemlich verdächtig, wenn man doch eigentlich nichts zu verbergen hatte. Ob sie wirklich Glück gehabt hatten, dass Aspen kein schwieriges Passwort gewählt hatte, musste sich erst herausstellen und August war bereits jetzt so übel, dass er sich übergeben wollte. Sein Herz und sein Magen fühlten sich, als säße ein großer Stein auf ihnen, der sie sanft aber sicher mit jeder verstrichenen Minute erdrückte. Die Wahrheit zu erfahren war wichtig für sie beide und er hatte vorhin den Entschluss gefasst, sich endgültig von dem Dämonen zu trennen, allerdings im Guten, sofern das überhaupt möglich war, um endlich mit dieser Gefühlsachterbahn abschließen zu können. Das alles mussten sie nämlich nur durchmachen, weil sie sich nach wie vor nicht aus den Augen lassen konnten, obwohl es das Sinnvollste für beide gewesen wäre. Den Erwachsenen zu spielen machte ihm überhaupt keinen Spaß und wie sehr wünschte er sich, dass der andere diese Entscheidung treffen sollte anstatt es quasi an ihm hängen zu lassen, weil er der ältere von beiden war und demnach die Verantwortung für sie trug. Das hieß nicht dass Cris damit einverstanden war, geschweige denn, dass er überhaupt wusste, was der Engel vor hatte, aber es wäre trotzdem um so vieles leichter gewesen, wenn der Dämon ihm diese Entscheidung abnahm und er stattdessen der “Böse” von ihnen beiden war. August wollte nicht immer der Vernünftige von ihnen sein - jetzt erst recht nicht, denn es zerbrach ihm das Herz, mehr als man sich vorstellen konnte. Cris wäre vermutlich eingeknickt, hätte er die Entscheidung getroffen und vielleicht wollte er auch deshalb, dass sich dieser freiwillig dazu erklärte den Kontakt abzubrechen, in dem Wissen, dass er es sowieso nicht einhielt. Im Gegensatz zu August, der vermutlich in eine andere Stadt gezogen und nicht mehr wiedergekommen wäre, nur um nicht rückfällig zu werden. Und genau das war es, was ihm das Herz brach. Er hätte es durchgezogen, weil er der ältere und manchmal der vernünftigere war und weil ihm Cris so unendlich viel bedeutete, dass er ihn nicht länger verletzt sehen wollte, so weh es auch tun würde. Aber Zeit heilte bekanntlich alle Wunden, war er doch der beste Beweis dafür, wobei er nicht wusste, dass er mit Cris Auftauchen wieder rückfällig wurde und sich das Vergangene, dass er bereits vergessen hatte, wiederholte.
Schon vom ersten Moment an hegte er eine gewisse Faszination dem anderen gegenüber, die er nicht in Worte fassen konnte und er war die Motivation für seine Entscheidung gewesen, ein Schutzengel zu werden, nur damit vielleicht, möglicherweise die Chance bestand, dass August ihm zugeteilt wurde. Selbstverständlich unterbewusst, denn von außen schien ihn der andere komplett kalt zu lassen. Ein Teil von ihm wusste es damals schon besser und sehnte sich nach dem Jungen mit den schwarzen Haaren und dem Lächeln, das ihn vom ersten Moment an in seinen Bann zog…
Das alles endete mit dem heutigen Tag. Bereuen würde er seine Bemühungen nie, denn er hatte mit Cris die wunderschönste Zeit seines “Lebens” erlebt, die er um keinen Preis der Welt für etwas tauschen wollte.

Bist du bereit? August faltete die Hände vor seinem Mund zusammen und atmete tief durch. Danach folgte ein Nicken. “Bereit.” Anfangs hatte er die Augen geschlossen, wartete darauf, dass der andere etwas sagte, bevor er sie öffnete und einfach auf den Boden unter ihnen sah. Ja, er hatte von dem Anruf erzählt, aber dabei konnte es sich wie gesagt auch einfach nur um einen Zufall handeln. Nachdem kein Name bei der Nummer zu stehen schien, konnte sowieso nichts bewiesen werden, was Cris verzweifeln ließ. Er selbst wusste nicht, ob er Erleichterung oder ebenfalls Enttäuschung spüren sollte, denn er wollte beide glauben, aber nur einer von ihnen hatte recht. Tief in seinem Inneren wusste er es vielleicht bereits, aber ohne handfeste Beweise bestand immer noch die Möglichkeit, eine Chance darauf, dass er wenigstens weiterhin seinen Bruder an seiner Seite hatte, wenn er schon seine große Liebe aufgeben musste.
Die Stille zwischen ihnen war unerträglich und um zu sehen, was Cris gerade machte, musste er den Blick von seinem Parkettboden heben und auf ihn richten. Er sah sich gerade Fotos an. Der Winkel erlaubt es ihm zumindest die Hälfte des Handybildschirms zu sehen, was ausreichend dafür war, um Aspen mit jemand anderem auf den Fotos zu erkennen. Verwirrt beugte er sich näher zu dem Dämon, um sich diese Selfies genauer anzusehen. Nanu? Sein Bruder hatte ihm noch nie davon erzählt, dass er ebenfalls jemanden hatte… Dabei erzählten sie sich vieles. Gerade so etwas hätte er doch erwähnen müssen. August hätte ihn unterstützt, war er doch ebenfalls jemand, der durch die Liebe zu einem Menschen die Regeln gebrochen hatte. ”Wer zum Teufel ist das?”, sagte er leise und kniff dabei die Augen etwas zu. Irgendwie... Kannte er die Person etwa? Das Bild war verwackelt, aber das Gesicht der anderen Person kam ihm sehr bekannt vor… Als hätte er es schon einmal gesehen, wenn auch nur flüchtig. Sich weiter zu Crispin beugend, zuckte er ebenfalls zusammen, als das kleine Gerät anfing zu vibrieren und ein Textfeld über dem Bild erschien. Eine Nachricht. Den unsicheren Blick des anderen erwiderte er mit einem nervösen Räuspern und deutete dann mit dem Kinn zu dem Handy. “W-willst du sie nicht lesen?” Dass es sich bei dem Absender um dieselbe Person handelte, die Aspen zuvor angerufen hatte, wusste er nicht - so gut konnte er sich Zahlen nicht merken. Der Messenger öffnete sich und August las langsam, Wort für Wort die Nachricht, die sein Herz kurz aussetzen ließ. Wäre es eine andere Situation gewesen, so hätte ihn die Bezeichnung eines Kampf-Chihuahuas furchtbar aufgeregt, aber jetzt gerade fand er keine passenden Worte dafür, denn daneben stand Häschen und etwas von einem Ball. Unmöglich… Die zwei beigefügten Fotos sah er nur in der Vorschauansicht, aber sein damaliges grünes Haar und die Statur von Cris, deuteten eindeutig darauf hin, dass es sich dabei um sie beide handelte. Die Hitze schoss ihm ins Gesicht und seine Kehle schnürte sich zusammen. Aspen wusste von ihnen… jemand hatte sie gesehen und ihn darüber informiert. Der Ball lag bereits einige Wochen zurück und August hatte ihn in der Zwischenzeit mehrmals getroffen und ihm ins Gesicht gelogen, wenn es um den jungen Dämon ging. Und er wusste es… die ganze Zeit schon. Die Übelkeit wurde stärker und es mischte sich Panik darunter. Sein Bruder konnte ihn jederzeit verraten, ihn ausliefern… aber er hatte doch anscheinend selbst jemanden. Konnte er nicht einmal ansatzweise verstehen wie es war verliebt zu sein?
Der Aufprall des Handys riss ihn wieder aus seinen Gedanken und erschrocken sah er zu dem Jüngeren, der aufstand und beinahe aus dem Raum flüchtete. “C-cris?!”, rief er ihm nach und fragte sich, ob der andere einfach vor hatte zu gehen. Doch nicht jetzt. Nicht, wo er erfahren hatte, dass Aspen durchaus bescheid wusste und diese Informationen mit jemandem teilte. Er konnte ihn jetzt nicht alleine damit lassen. “Was ist los..?!” August klang verzweifelt und er klaubte das Handy vom Boden auf, um noch einmal die Nachricht zu lesen, um ganz sicher zu gehen. Hatte er etwas verpasst? Die Fotos waren eindeutig… Aber nicht genug, um den Jüngeren so aus der Bahn zu werfen. Unabsichtlich scrollte er weiter hinauf und las noch so viel mehr, dass sie zuvor nicht gesehen hatten. "Du solltest Crispin bei Gelegenheit wieder kontaktieren. Mir scheint, als würde er einknicken. Er verliert sein Ziel aus den Augen.”
“Lenke den Engel ab. Wecke seinen Hass gegenüber den Dämonen wieder.”
“Wenn du Crispin nicht dazu bringst ihn ebenfalls zu hassen, dann werde ich es selber tun!”
Seine Hände zitterten. Was hatte das alles zu bedeuten? Wer war diese Person? Wieso steckte sie mit Aspen unter eine Decke? Wieso unterhielten sie sich über Cris und ihn? Die Fragen schoben sich automatisch in seinen Hinterkopf, als er ein leises Schluchzen aus dem Bad hörte, das sein Herz automatisch noch schwerer machte. Cris. Wie konnte er ihn bloß vergessen? Er war noch hier und er ...weinte? Nein, nein, nein, das darf nicht sein. Als ob sich ein Schalter in seinem Kopf umlegte, stieg in ihm plötzlich etwas Altbekanntes auf. Ein Gefühl, dass früher schon Kontrolle über ihn nahm, wenn der andere traurig und einsam war. Sofort stand August auf und folgte dem leisen Wimmern, das aus dem Badezimmer kam, dessen Tür einen Spalt offen stand. Wie zuvor schon, öffnete er langsam die Tür und der Anblick, der sich ihm dort bot war sein Ende. Sein Cris saß zusammengekauert am Boden vor der Badewanne und vergoss Tränen und jede einzelne versetzte dem Engel einen Stich in seinem Herzen. Das war kein Schauspiel. Der Jüngere weinte so gut wie nie, hielt es stattdessen zurück, aber jetzt gerade war er an seinem verletzlichsten Punkt angekommen und August hatte keine Zweifel, dass es sich dabei um echte Tränen handelte.
“Cris…?”, fragte er sanft, während er auf ihn zuging und war selbst kurz davor in Tränen auszubrechen. Ihn so zu sehen war einfach zu viel für ihn. Wie konnte er ihn jetzt zurücklassen? Wie konnte er überhaupt darüber nachdenken sich für immer von diesem wunderschönen Menschen zu trennen, wenn er ihn doch so sehr liebte? Der Dämon brauchte ihn, mindestens genau so wie August ihn brauchte und das wurde ihm in diesem Moment klar, als er sich vor ihn setzte und seine Arme nach ihm ausstreckte. So stark und so zerbrechlich zugleich. Seine Fassade bröckelte und ließ ein nahezu verletztes Rehkitz zurück, dass man sorgfältig aber vor allem vorsichtig behandeln und aufpäppeln musste. Wusste er das nicht am besten? Hatte er das nicht schon immer gemacht? Ihn gesund gepflegt, wenn es ihm schlecht ging? War er nicht derjenige, der genau wusste, was der andere in Momenten wie diesen brauchte? Zuneigung, so viel Zuneigung und Liebe. All das wollte er ihm geben, die verlorene Zeit aufholen... Seine Finger legten sich um die Handgelenke des anderen, die er sanft aber bestimmend von seinen Haaren zog, ehe er mit den Fingerspitzen unter sein Kinn fuhr, um es anzuheben. Das verweinte Gesicht war einfach zu viel für ihn. Sofort wollte er ihm den ganzen Schmerz nehmen und beugte sich deshalb vor um seine Tränen aus den Augenwinkeln zu küssen. “Baby, mein Häschen… ich bin hier. Ich bin hier und bleibe es auch.”, versicherte er ihm, indem er die Worte an seine weiche Haut murmelte. Egal was auch immer angemessen gewesen wäre, eine Trennung hätte sein Herz nicht überlebt - nicht wenn er ihn so sah. Nicht, wenn alles in ihm danach schrie für immer bei ihm zu bleiben, komme was wolle. Sie beide gegen den Rest der Welt. Auch er hatte niemanden mehr, außer seinen Dämon, den er so aufrichtig und von ganzem Herzen liebte. Ihn zu verlassen mochte vorhin seine endgültige Entscheidung gewesen sein, aber sowohl sein Herz, als auch sein Verstand waren sich dieses mal einig: Er wollte bei Cris bleiben. In guten, sowie in schlechten Zeiten. Für immer.
“Komm her.”, flüsterte er und zog den Jüngeren auf seinen Schoß, bevor er sie umdrehte, sodass nun er derjenige war, der mit dem Rücken an der Badewanne lehnte. Mit einer Hand strich er ihm über den Hinterkopf, während die andere ihn sicher am Rücken hielt und näher an sich zog. “Es wird alles gut. Wir beide schaffen das schon. Du musst nicht weinen.” Der Engel übersäte seine Wange mit zärtlichen Küssen, um ihn zu beruhigen und die Finger in seinen Haaren kraulten ihn dabei liebevoll. Sein armes, armes Baby. Wieso Cris weinte, wusste er nicht, denn die Nachricht bewies lediglich, dass Aspen August verraten und Cris recht hatte. Es musste also einen anderen Auslöser gegeben haben, von dem er nichts ahnte. Durch die Dinge, die er gesehen und gelesen hatte, konnte er es noch nicht so wirklich zusammenschließen, hoffte allerdings dass der andere ihn aufklärte, wenn er sich beruhigt hatte. Mit der Nase fuhr er über das Kinn des anderen und verteilte etliche Küsse sein Kiefer entlang. “Nicht weinen, du bedeutest mir so viel… ich will dich nicht traurig sehen.” August hob die Hand, um eine weitere Träne wegzustreichen. Er musste stark bleiben, für sie beide. Cris hatte so lange durchgehalten, alles in sich hineingefressen, dass es jetzt aus ihm herausplatzte. Das alles verdiente er nicht...er war doch noch so jung. Der Engel hatte sich sein Herz geschnappt und er musste wegen seinem Egoismus so viel leiden. Jetzt war der kleinere von ihnen dran, das alles gut zu machen, Cris alles zu geben was er wollte und vor allem was er brauchte, damit sich sein Herz, das so viel durchgemacht hatte, ausruhen und endlich seinen Frieden finden konnte.
Der Himmel mochte das Paradies sein, aber für ihn war jede Sekunde ohne den Schwarzhaarigen die reinste Hölle und hätte man ihn jetzt gefragt, wofür er sich entschied, wäre die Antwort dieselbe gewesen wie vor mehr als einem Jahr, als er den Jungen mit den dunklen Augen und dem süßestem Lächeln das erste Mal gesehen hatte:
"Ich bleibe bei dir. Versprochen."

Crispin Cipriano

“Hör bitte auf zu weinen, Cyr… Wenn Mom und Dad dich so sehen, gibt es jede Menge Ärger.”
Etwas unbeholfen kniete Crispin vor seinem Bruder und wusste nicht so ganz, was er tun sollte, um ihn dazu zu bringen, mit dem Weinen aufzuhören. Ihre Eltern sahen es nicht gerne, wenn sie das taten. Sie sagten ihnen dann immer, dass Jungs nicht weinten, weil es sie nur schwach aussehen ließ. Zudem würde sie - und vor allem ihn - mehr als genug Ärger erwarten, sobald sie zu Hause waren. Schließlich hatten sie sich einfach von einem wichtigen Treffen ihres Vaters mit seinem neuen Chef geschlichen. Crispin mochte den Mann nicht. Er hatte ihn angesehen, als wäre er ein lästiges Insekt, als er ihn und seine Frau fragte, ob er der Katze, die sie besaßen, das Glöckchen vom Halsband abmachen konnte. Für ihn war es eine schreckliche Vorstellung, die ganze Zeit dieses Geklingel zu hören und so dachte er, dass es der Katze vielleicht genauso ging. Am Ende hatte er von seinem Vater gehört, er solle sich nicht einmischen, und wurde somit mundtot gemacht.
Dass er sich zusammen mit Cyrian weggeschlichen hatte, lag aber auch daran, dass es einfach unglaublich langweilig war und er in dem großen Garten einige Kirschbäume gesehen hatte, die bereits Früchte trugen. Raus durften sie natürlich nicht, denn das hätte ja ihre Sachen - maßgeschneiderte Anzüge, den er absolut unbequem fand und sich darin unwohl fühlte - ruiniert. Aus diesem Grund hatte ihn sein großer Bruder auch erst davon abhalten wollen. Doch Crispin wusste, wie er ihn um den Finger wickeln konnte und notfalls hätte er sich eben alleine rausgeschlichen und genau das zog. Cyrian war nur ein Jahr älter als er, fühlte sich aber trotzdem dafür verantwortlich, auf ihn aufzupassen und zu verhindern, dass er zu viel Blödsinn anstellte - was nicht immer wirklich klappte. So auch dieses Mal nicht. Irgendwann hatte ihn die Aussicht auf ein paar Kirschen genauso unvorsichtig wie Cris gemacht.
Den Salat hatten sie nun. Ihre Sachen waren an mehreren Stellen zerrissen, weil sie sich auf dem Weg nach draußen in einen der Büsche gerettet hatten, um nicht von einem der Angestellten - die Crispin liebevoll Pinguine getauft hatte - entdeckt zu werden. Zudem waren Cyrians Knie aufgeschlagen und auch seine Hände hatten einiges abbekommen, als er vom Baum gefallen war. Dies war auch der Grund für ihre derzeitige Situation, doch zu seinem Glück beruhigte sich sein Bruder langsam wieder und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, bevor er ihn direkt ansah.
“Ist bei dir alles in Ordnung?”
Da war er wieder: der Der große Bruder, der sich eher um ihn sorgte, obwohl er derjenige war, der mehr abbekommen hatte. Er selbst hatte nur ein paar Kratzer an den Händen und im Gesicht. Solche kleinen Verletzungen waren nichts Neues für ihn und so nickte er nur. Zu mehr kam er nicht, denn in dem Moment hörte er auch schon die besorgte und gleichzeitig aufgebrachte Stimme ihrer Mutter. Sein Blick ging in ihre Richtung und er verzog das Gesicht, da er ganz genau wusste, was nun auf ihn zukam.
“Da seid ihr beiden ja. Wir haben euch schon gesucht.”
Mit diesen Worten blieb sie nur ein paar Schritte von ihnen entfernt stehen, musterte sie eingehend, wobei der Ausdruck in ihrem Gesicht ziemlich schnell von Überraschung zu Ärger wechselte und ihn schlucken ließ. Ihr strenger Blick traf genau auf ihn und er spürte, wie leichter Trotz in ihm aufstieg und er sah sie seinerseits ein wenig bockig an.
“Crispin, was hast du wieder angestellt? Sieh dir an, was mit deinem Bruder passiert ist, und daran bist ganz gewiss wieder nur du Schuld.”
Er wollte etwas dazu sagen, auch wenn er nicht ganz wusste, was, da er nun einmal derjenige war, der den Plan gefasst und Cyrian überredet hatte. Dieser kam ihm allerdings zuvor.
“Nein, Mom. Cris hat keine Schuld. Das war alles meine Idee. Ich wollte so gerne ein paar der Kirschen haben. Also haben wir uns zusammen rausgeschlichen.”
Überrascht sah er zu seinem Bruder, der ihre Mutter glatt anlog und ihn in Schutz nahm. Dadurch wusste er noch weniger, was er sagen sollte - was aber vermutlich auch besser so war, um nicht alles kaputt zu machen. Ihre Mutter schien genauso überrascht zu sein, denn sie sah Cyrian ebenfalls ungläubig an.
“Du? Du bist doch der Vernünftigere von euch beiden. Aber selbst, wenn du auf diese Idee kamst, hat Cris einen schlechten Einfluss auf dich.”
Dass er ebenfalls noch anwesend war und hörte, was sie sagte, schien sie nicht zu interessieren und so hielt sie ihre Predigt, die aber vielleicht auch für ihn mit bestimmt war.

Am späten Abend - ihre Eltern hatten sich bereits in ihr Schlafzimmer zurückgezogen - tapste Crispin barfuß und mit seinem pinken Hasen im Arm zum Zimmer seines Bruders. Eigentlich war ihnen das, sobald sie zum Schlafen ins Bett gesteckt wurden, genauso verboten wie zu weinen, aber dennoch schlichen sie sich immer wieder mal zu dem anderen, wenn sie nicht schlafen konnten und heute war er an der Reihe. Er hatte einen Alptraum und brauchte gerade einfach die Nähe zu Cyrian, ohne die er sicher nicht wieder einschlafen konnte. Auf Zehenspitzen lief er an der Schlafzimmertür vorbei und noch ein Stück weiter bis er an seinem Ziel angekommen war. Leise und vorsichtig öffnete er die Tür und schlüpfte in das fast komplett dunkle Zimmer hinein. Das sanfte Licht des Mondes, das durchs Fenster hereinschien und die Tatsache, dass sich seine Augen an die Dunkelheit bereits gewöhnt hatten, ließen ihn alles zumindest so weit erkennen, dass er nirgendwo davor lief, als er sich seinen Weg zum Bett bahnte. Direkt davor blieb er stehen und biss sich unsicher auf die Unterlippe, während er das Plüschtier noch enger an sich drückte.
“Bist du noch wach?”, flüsterte er leise, aber laut genug, dass sein Bruder ihn hören konnte, sollte er tatsächlich noch nicht schlafen. Zu seinem Glück musste er auch nicht lange warten, bis sich Cyrian unter seiner Decke regte und seinen Kopf zu ihm drehte, da er mit dem Rücken zu ihm lag. Als er ihn sah, drehte er sich allerdings komplett zu ihm und hob die Decke an, was ihre stumme Aufforderung war, dass der andere zu einem ins Bett krabbeln sollte. Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen tat Cris auch genau das und schlüpfte zu ihm unter die Decke.
“Was ist los, Pino?”
Bei diesem Spitznamen musste er noch ein wenig mehr lächeln und der Grund, warum er hierher kam, war beinahe schon wieder vergessen. Cyrian war der einzige, der ihn so nannte. Für alle anderen war er immer nur Cris oder man ließ sich - wie die anderen Kinder in seiner Klasse - andere Spitznamen für ihn einfallen, die ihm alles andere als gefielen.
“Ich hab nur schlecht geträumt…”
“Willst du mir davon erzählen?”
Seine einzige Antwort war ein trotziges Kopfschütteln. Gleichzeitig drückte er seinen Hasen enger an sich und kuschelte sich an seinen Bruder. Er wollte nicht darüber reden, denn dann hätte er nur angefangen zu weinen und das wollte er auch nicht. Ihre Eltern würden es zwar nicht herausbekommen, aber er wollte es dennoch nicht.
“Danke, dass du mich vorhin in Schutz genommen hast”, murmelte er leise und schläfrig. Seine Augen fielen ihm zu und er sank in einen erholsamen Schlaf, als sich Cyrians Arme um ihn legten und seine Antwort bekam er somit gar nicht mehr mit.


Unaufhörlich rannen ihm die Tränen über die Wangen, während er versuchte, zumindest das Schluchzen zu unterdrücken. Doch selbst dafür fehlte ihm einfach die Kraft. Dabei war er selbst damals in der Lage gewesen, sich zusammenzureißen. Ganz egal, wie sehr ihn ein Alptraum oder auch das Verhalten seiner Eltern ihm gegenüber mitnahm und zu schaffen machte, er hielt die Tränen zurück, fraß lieber alles in sich rein, bis es irgendwann zu viel wurde und er nicht mehr anders konnte. Aus diesem Grund kam es so selten vor, dass er weinte. In diesem Punkt hatte die Erziehung seiner Eltern die erwünschten Spuren bei ihm hinterlassen, indem er sich tatsächlich daran hielt und inzwischen auch einfach nicht mehr anders konnte. Und auch jetzt ärgerte er sich über sich selbst, weil er zusammengebrochen war. Ausgerechnet vor Augusts Augen.
Ein leises Wimmern verließ seine Lippen, bevor er es verhindern konnte und er biss sich automatisch auf die Unterlippe, die bereits wund und offen war. Doch der Schmerz, der sich meldete, war nichts gegen den in seinem Inneren. Genau wie damals fühlte er sich vollkommen hilflos und wusste einfach nicht, was er machen sollte. Alles, was ihm etwas bedeutete, hatte er aufs Spiel gesetzt, weil er der falschen Person vertraute. Er hatte sich von seinen Gefühlen - dem Schmerz, der Wut und der Enttäuschung wegen Augusts Verschwinden - lenken lassen und den größten Fehler seines Lebens begangen. Dass der andere aufgebracht war und ihn hatte sitzen lassen, als er es erfuhr, war nur verständlich. Er hätte selbst nicht anders reagiert und wenn er ihn dafür hasste… Alleine bei dem Gedanken grub sich der Schmerz tiefer in ihn und er krallte seine Finger noch mehr in seine Haare. Das durfte einfach nicht sein, auch wenn er es vermutlich verdiente, nachdem, was er getan hatte. Der Engel war alles für ihn und schon damals der einzige, der ihn voll und ganz verstand und für ihn da war. Und er hatte das alles weggeworfen… Crispin hatte keine Ahnung, was er machen sollte, wenn sich August wirklich vollkommen von ihm abwandte.
In diesem Moment kam ihm wieder der Satz des anderen in den Sinn, den er nicht beenden konnte, weil ihn sein Laptop unterbrochen hatte. Was, wenn er ihm da wirklich hatte sagen wollen, dass es - egal, wie es ausging - keine Zukunft für sie gab? Jetzt, wo er vollkommen sicher war, dass er alles zerstört hatte, war es die einzige Erklärung, die er fand und zusammen mit dem Gedanken, dass er es verdient hätte, verstärkte sie den Schmerz noch um einiges mehr. Er war alleine… Wieder einmal und das nur, weil er die einzige Person, die immer alles für ihn getan hatte, so gesehen hintergangen und damit ebenfalls zutiefst verletzt hatte. Er hatte alles weggeworfen, was sie hatten und es gab keine Möglichkeit für ein zurück. Crispin konnte diesen Fehler nicht wieder gut machen, denn die Kluft zwischen ihnen, die es bereits zu seinen menschlichen Zeiten gab, war nun noch um einiges größer und ließ sich nicht einfach überwinden. Und schon gar nicht mit dem Wissen, was er getan hatte.
Mit einem Mal hörte er eine leise Stimme, die seinen Namen sagte, und sein Herz blieb einen Augenblick lang einfach stehen. August… Er hatte beinahe vergessen, dass er sich nebenan befand und absolut nicht daran gedacht, dass dieser ihm nachlaufen könnte, geschweige denn die Tür abzuschließen. Am liebsten hätte er ihm gesagt, dass er gehen sollte. Dass er ihn so sah, war das Letzte, was er wollte. Doch das einzige, was seine Lippen verließ, war ein weiteres Schluchzen, aber selbst wenn er in der Lage dazu gewesen wäre, etwas zu sagen, war er sich nicht sicher, ob ihm seine Stimme nicht den Dienst versagt und weggebrochen wäre. Ohne jegliche Gegenwehr ließ er seine Hände wegziehen, doch als der andere sein Gesicht anhob, wollte er es wegdrehen, auch wenn es keinen Sinn machte, da er bereits deutlich sah, was los war. Dennoch sah er zur Seite. Er ertrug es nicht, ihn anzusehen und wollte sich schon weiter von ihm lösen, als ihn die sanfte Berührung von Augusts Lippen auf seiner Haut innehalten ließ. Ob er wollte oder nicht: so wie der Engel gerade mit ihm umging, konnte er sich nicht dagegen wehren, dass doch wieder ein Funken Hoffnung in ihm keimte, dass vielleicht doch noch nicht alles verloren war. Dabei war er der Letzte, der es verdient hatte, dass er sich so um ihn kümmerte - ganz egal wie sehr er das trotz allem auch genoss und es ihn teilweise beruhigte, ihn dennoch in diesem Moment an seiner Seite zu wissen.
Aus diesem Grund wehrte er sich auch nicht dagegen, als ihn der Engel auf seinen Schoß zog und ihre Position änderte. Wenn es das letzte Mal sein sollte, dass er ihn bei sich haben und ihm so nah sein konnte, dann wollte er es voll und ganz ausnutzen. Nach Halt suchend krallte er sich in das Shirt des Schwarzhaarigen, als wäre er sein einziges Rettungsseil und wenn man es genau nahm, war er auch genau das. August war alles, was er hatte und ohne ihn hatte er nichts. Noch immer weinend versteckte er sein Gesicht so weit es ging an der Halsbeuge des anderen und spürte bereits nach einigen Minuten die beruhigende Wirkung. Die Wärme und Nähe des anderen, seine Berührungen und die leisen Worte, die jedes Mal aufs Neue sein Herz berührten und ihm ein weiteres Stück Hoffnung gaben… Das alles fühlte sich so vertraut an und er konnte nicht leugnen, dass er es vermisst hatte, sich einfach an ihn lehnen zu können, wenn es ihm nicht gut ging, auch wenn sich in ihm noch immer ein Teil dagegen sträubte, vor ihm so schwach zu wirken. Als Dämon sollte er dies einfach nicht mehr sein, doch der Engel kannte ihn so gut - auch diese Seite von ihm - dass er sich dennoch fallen und von ihm auffangen ließ.
Eine gefühlte Ewigkeit verging, bis er sich soweit wieder gefangen hatte, dass er nicht mehr zitterte und seine Tränen einigermaßen zurückkämpfen konnte. Und vor allem Augusts letzter Satz - sein Versprechen - dass er bei ihm bleiben würde, half ihm dabei und er hoffte so sehr, dass es nicht nur dahin gesagt sondern die Wahrheit war. Sollte er ihn dennoch verlassen, wäre dies sein Ende, denn im Grunde hatte ihn der Engel gerade vollkommen in der Hand.
Ein paar Mal atmete Crispin ein und aus, bis er einigermaßen sicher war, dass ihm seine Stimme nicht versagen würde, während er sein Gesicht noch immer am Hals des anderen verbarg, denn die nächsten Worte auszusprechen würde ihm unglaublich schwer fallen: sein Schuldeingeständnis, nachdem er so lange darauf beharrte, Recht zu haben.
“Ich habe alles aufs Spiel gesetzt und kaputt gemacht… E-es tut mir so leid…”
Rixon hatte ihn geschickt manipuliert, doch am Ende war es dennoch seine Schuld, dass er ihm geglaubt hatte, anstatt darauf zu vertrauen, dass August nicht mit ihm gespielt hatte und es eine vernünftige Erklärung dafür gab, dass er einfach verschwunden war. Dass er es ernst mit ihm meinte, war er sich gerade so sicher, denn würde er nur mit ihm spielen, wäre es gerade ein leichtes für ihn, ihn einfach fallen zu lassen und von Grund auf zu zerstören.
“Bitte verzeih mir und verlass mich nicht… Ich brauche dich…”
Erneut biss er sich auf die Unterlippe und drängte die Tränen zurück, die sich ein weiteres Mal in seinen Augen sammeln wollten. Gleichzeitig verstärkte er den Griff in den Stoff des T-Shirts noch, als wollte er so verhindern, dass der andere ihn verließ. Noch vor kurzem hätte er sich Gedanken darüber gemacht, dem Schwarzhaarigen so deutlich zu zeigen und zu sagen, wie sehr er ihn brauchte, doch gerade war er an einem Punkt angelangt, an dem er nichts mehr zu verlieren hatte, sollte August ihn ein weiteres Mal verlassen.
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