Blick in die Vergangenheit
Als Cyrian zur Welt kam, war das Familienleben für seine Eltern komplett. Er war ein Wunschkind und wurde zu Beginn mit Liebe überschüttet, auch wenn er sich diese ein Jahr später mit seinem Bruder Crispin teilen musste. Die Harmonie hielt jedoch nicht lange an. Bereits mit 3 Jahren wurde er das erste Mal an den großen Flügel im Haus gesetzt, um Klavier spielen zu lernen. Er war damals zu jung, um etwas dagegen zu sagen und so nahm er es hin. Schnell stellte sich heraus, dass er ein angeborenes Talent für dieses Instrument besaß, sodass seine Eltern ihn immer häufiger dazu drängten, zu üben und die Anforderungen an die Stücke, die er bald lernen und spielen sollte, wuchs.
Doch für ihn war es erträglich, vor allem als feststand, dass auch sein Bruder Klavier spielen sollte. Er liebte Crispin und in seinem kindlichen Denken gefiel es ihm, bald mit ihm gemeinsam am Flügel sitzen zu können - wären da nicht ihre Eltern gewesen, die ihnen dies untersagten, da es ihrer Meinung nach die Konzentration des anderen störe. Zudem zeigte sich, dass sein Bruder kein Talent dafür hatte, was ihn traurig machte. Er wollte ihn unterstützen und ihm helfen. Immer wieder versuchte er ihm das Lesen der Noten beizubringen, scheiterte allerdings, bis es Crispin vollständig aufgab.
Eher durch Zufall bemerkte er, dass sein kleiner Bruder vielleicht gar keine Noten für das Spielen auf dem Klavier brauchte, als er ihn während einer Veranstaltung, bei denen sich Crispin gerne eine ruhige Ecke suchte, wenn ihm die Sticheleien der Erwachsenen zu viel wurden, auf einer Fensterbank sitzend vorfand und ihn leise ein Lied summen hörte. Es war das Stück, welches er zu diesem Zeitpunkt übte, jedoch noch nicht sehr häufig gespielt hatte und dass es der andere woanders schon einmal gehört hatte, war unmöglich. Die Melodie war nicht ganz perfekt, hatte hier und da Fehler und doch brachte es ihn auf eine Idee. Heimlich übte er mit Crispin die verschiedenen Klänge des Klaviers und als er diese bereits nach kurzer Zeit konnte, spielte er ihm ein für seinen Bruder unbekanntes Lied vor. Schon nach dem dritten Hören, spielte Crispin es nach und Cyrian konnte gar nicht ausdrücken wie stolz er war - ganz besonders wenn er das glückliche Gesicht des anderen sah. Er hatte die Hoffnung, dass auch ihre Eltern sahen, dass nicht nur er Talent hatte und ihn sein Bruder eigentlich noch übertraf, doch für sie war dies nicht genug - für sie war Crispin nicht gut genug...
Ab diesem Zeitpunkt merkte Cyrian, wie der Druck auf ihn stieg, denn da sein Bruder die Erwartungen ihrer Eltern nicht erfüllen konnte, konzentrierten sie sich mehr auf ihn - und das betraf nicht nur ihre elterliche Liebe und Aufmerksamkeit, sondern auch ihre Erwartungen an seine Leistungen. Diese wurden über die Jahre immer höher und war er mit Crispin in ihren Kindertagen noch ein Herz und eine Seele, schwand seine Zeit, die er mit ihm verbringen konnte, denn auch seine schulischen Leistungen sollten nicht nur vorzeigbar sondern besonders gut sein. Somit musste er neben dem Klavierunterricht auch jede Menge für die Schule machen, worunter nicht nur seine Freundschaften sondern auch seine Beziehung zu Crispin litten.
Irgendwann bestand sein Leben nur noch aus Lernen und üben. Oft machte er die Nächte durch, um für die Schule lernen zu können, doch je länger dieser Zustand anhielt, umso schwerer fiel es ihm, da der Schlafmangel schlauchte. Cyrian traute sich allerdings nicht, etwas zu sagen. Er biss die Zähne zusammen und ertrug den Druck, unter dem er mit jedem Jahr mehr litt. Innerlich hoffte er, dass alles - vielleicht auch seine Beziehung zu seinem Bruder, die mit der Zeit komplett zerriss - einfacher und besser werden würde, sobald er alt genug war, um ausziehen zu können. Doch bevor es soweit kam, setzten seine Eltern zu seinen bisherigen Druck noch einen drauf, indem sie ihm eine Verlobte aussuchten. Auch in diesem Punkt traute er sich nicht, etwas zu sagen und da es sich bei Élody um eine Kindheitsfreundin handelte, war es erträglich. Sie liebten sich nicht, aber da sie ihn gut genug kannte, spielte sie das Spiel mit. Nachdem er seinen Abschluss als Jahrgangsbester in der Tasche hatte, stand auch endlich der Moment vor der Tür, in dem er die Möglichkeit hatte auszuziehen. Seine Eltern suchten ihm sogar ein eigenes Penthouse in einer der besten Lagen in Phoenix.