Wind Beyond Shadows

Normale Version: Freedom isn't given, it is taken
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Akiharu Sasaki

》You are free to make whatever choice you want,
but you're not free from the consequences of the choice.《



"Ich warte dann nach Unterrichtsschluss bei den Umkleiden auf dich."

Unsicher, ob er wirklich dorthin gehen sollte, knabberte Akiharu in den restlichen Stunden, die noch vor ihm lagen, an seinen Fingernägeln, ohne sich sonderlich auf den Stoff, den ihnen die Lehrer beibringen sollten, konzentrieren zu können. Er wusste nicht, was sein Mitschüler von ihm wollte. Genau hatte er sich auch nicht darüber geäußert und ihm lediglich gesagt, dass er mit ihm unter vier Augen reden wolle und das im besten Fall ohne, dass sie von jemandem dabei gestört wurden. Genau dies war einer der Punkte, die ihn nervös machten.
Auf der einen Seite war er neugierig, doch auf der anderen saß ein äußerst ungutes Gefühl in seinem Bauch, das mit jeder Minute, die das Ende des Unterrichts näher rückte, schlimmer wurde, bis es wie ein schwerer Stein in seinem Magen lag. Hinzu kam, dass er sich für gewöhnlich von allen anderen fernhielt. Er hatte hier keine Freunde, traute sich nicht einmal, sich mit jemandem für längere Zeit zu unterhalten und oftmals war sein guten Morgen alles, was er während seines Aufenthalts in der Schule zu den anderen sagte. Sein Abstand ging so weit, dass er sich nicht einmal die Namen seiner Mitschüler merkte. Für ihn waren sie gesichts- und namenlos. Sein Kopf war dafür mit zu vielen anderen Dingen gefüllt, sodass er schon Probleme hatte, im Unterricht überhaupt mitzukommen. Lediglich das Shirt, das der andere trug und ihn als Teil des Footballteams auswies, sagte ihm, wo genau er ihn treffen wollte.
Aus all diesen Gründen kam es ihm seltsam vor, doch gleichzeitig saß die Neugier wie ein quengelndes Kind in seinem Hinterkopf und ließ ihm keine Ruhe. Als es nach einer gefühlten Ewigkeit am Nachmittag klingelte und damit das Ende des Schultages verkündet wurde, verließ er mitsamt seinem Rucksack erst den Raum und wenig später das Gebäude, wobei er am Eingang stehen blieb. Sein Blick wanderte noch immer unschlüssig über den Schulhof bis hin zum Schultor, auch wenn die anderen Schüler einen genauen Blick darauf versperrten. Er wusste allerdings auch so, dass Nazar bereits dort auf ihn wartete.
So wie jeden Tag.
Damit er nicht wieder weglief.
Dabei würde er dies nicht einmal mehr wagen, wenn sich ihm die Chance dazu bot. Dafür war seine Angst vor den Konsequenzen viel zu groß.
Akiharu lief ein Schauer über den Rücken, als er an den Grund dachte. An die Schläge und die anderen Strafen, die sich Xaldin nach seinem Fluchtversuch für ihn einfallen ließ. Er griff an seinen Pullover und nach der Kette, die darunter versteckt an seinem Hals hing. Sie war eins der Dinge, die sich sein Gönner überlegt hatte.
"Steh doch nicht im Weg rum!"
Bevor er die Worte komplett realisieren konnte, wurde er angerempelt, stolperte einige Schritte nach vorn, konnte sich aber rechtzeitig fangen, bevor er zu Boden ging. Verwirrt sah er dem Schüler nach, der missbilligend den Kopf schüttelte. Dieser Vorfall sorgte dafür, dass ihm bewusst wurde, dass er nicht direkt vor dem Ausgang stehen bleiben sollte und das nicht nur, weil er damit anderen im Weg stand. Auch wenn er grundsätzlich lange und weite Sachen trug, die alles darunterliegende - die Tatsache, dass er abgemagert war und die Narbe, die von seinem Bauch bis hin zu seinem linken Oberschenkel verlief - versteckten, war die Gefahr zu groß, von anderen berührt zu werden. Aus diesem Grund lief er weiter, um allen noch folgenden Schülern, die nach Hause wollten, Platz zu machen.
Nach Hause…
Wie er sie darum beneidete, eines zu besitzen. Er hatte zwar ein Dach über dem Kopf, aber ein wirkliches Zuhause, so wie man es definierte, besaß er nicht und wenn er ehrlich war, wollte er für den Moment dort auch noch nicht hin. Auch wenn die Angst vor einer Strafe unglaublich groß war, begehrte ein winzig kleiner Teil in ihm auf, wenn er daran dachte, jetzt zu Nazar zu gehen und sich von diesem zurück zu Xaldins Anwesen fahren zu lassen.
Akiharu löste seinen Blick vom Schultor, der automatisch wieder dorthin gewandert war, als er an seinen Fahrer dachte, und wandte sich von diesem ab, um doch weiter zu den Umkleiden des Footballteams zu laufen. So weit er wusste, fand heute kein Training statt, sodass sein Mitschüler wohl bekam, was er wollte: einen Ort, an dem sie nicht gestört wurden.
Alleine bei diesem Gedanken kehrte das ungute Gefühl mit voller Wucht zurück, doch es war zu spät, um umkehren zu können, denn der Blonde war bereits da und sah ihn. Er winkte ihn zu sich und er hatte keine andere Wahl, als weiterzugehen.
"Da bist du ja. Ich dachte schon, du kommst nicht mehr. Komm mit rein. Da sind wir ungestörter."
Mit einer Handbewegung forderte er ihn auf, ihm zu folgen.
Ungestörter…
Irgendwas an diesem Wort störte ihn, während er ihm ins Innere des kleinen Anbaus folgte, doch er konnte nicht genau sagen was. Vielleicht war es doch ein Fehler, ging es ihm durch den Kopf, doch auch diese Erkenntnis kam zu spät, wie Akiharu feststellen musste, als sie die Umkleiden erreichten, sich die Tür hinter ihm schloss und weitere Jungs aus seinem Jahrgang aus der Richtung der Duschen kamen, wo sie sich bis eben versteckt hatten. Sie verteilten sich in dem für sein Gefühl nun viel zu kleinen Raum und er sich zurück. Weit kam er nicht. Der Blonde, dessen Namen ihm noch immer nicht einfiel, stand hinter ihm und schubste ihn an den Schultern wieder leicht nach vorn.
"Du willst doch nicht etwa schon gehen. Dabei haben wir noch gar nicht geredet."
Er zuckte zusammen und sah sich um. Panik machte sich in ihm breit, als er das selbstsichere und selbstgefällige Grinsen jedes einzelnen Anwesenden sah und ihm klar wurde, dass er in eine Falle getappt war. Nur in welche wusste er nicht...

Nazar

Nachdem Nazar Akiharu am Morgen bei der Schule abgesetzt hatte, stieg er zurück ins Auto, wartete, bis der Junge in dem großen Gebäude verschwunden war und ließ den Motor des Wagens aufheulen.
Er fuhr die Straße entlang, erledigte einige Wege, die er für seinen Chef – Xaldin – erledigen musste.
Erst gegen Mittag, als alles erledigt war, stieg er wieder in den Wagen und legte die Papiertüte mit dem wichtigen Inhalt, den er organisieren sollte, aber sich nicht ansehen durfte, was es war. Xaldin hatte es ihm verboten und Nazar würde sich hüten, sich diesem Befehl zu widersetzen.
Er wusste, welche Strafen darauf folgten und wenn man sich Xaldin die Stirn bot, konnte dieser mehr als nur ein bisschen sauer werden. Mehr als einmal hatte er dies erlebt und mittlerweile wusste er, dass er nichts tun sollte, was Xaldin verärgerte.
Nachdem der dunkle Wagen sich wieder geschmeidig über die Straßen bewegte, hatte Nazar die Uhr im Blickfeld und hatte das Gefühl, er würde zu spät kommen, aber gerade als die Klingel das Unterrichtsende einläutete, parkte er das Auto vor der Schule, schaltete den Motor aus und zog den Schlüssel aus dem Zündschloss. Dann stieg er aus, strich sich das Jackett glatt und verschloss den Knopf, so dass man die darunter liegende Waffe nicht bemerkte.
Wie sah es bitte aus, wenn einer der Schüler oder die Schülerinnen ihn mit einer Waffe sahen? Sie würden doch sonst etwas denken! Und er hatte keine Lust, sich mit einer Massenpanik auseinanderzusetzen.
Als die ersten Schüler das Schulgebäude verließen, lehnte er mittlerweile lässig an der Motorhaube des Autos und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Ihm kamen allerlei verschiedener Personen entgegen… Mädchen mit buntgefärbten Haaren, kurzen Röcken, tiefen Ausschnitten… Jungs, die sich für cool hielten, die Hosen in den Kniekehlen trugen und er versuchte die Augenbrauen nicht nach oben zu ziehen, weil er sich über die verschiedenen Kleidungsstile wunderte. Nur schwer konnte er sich zusammenreißen, seine Gesichtsmuskeln halbwegs entspannt zu lassen.
Je mehr Schüler an ihm vorbei liefen und das Gebäude verließen, desto deutlicher sah er über die verschiedenen Köpfe hinweg und suchte nach dem Gesicht, welches für ihn am wichtigsten war. Doch das Gesicht tauchte nicht auf, auch wenn er schon längst hier sein sollte.
„Hey“, rief er einem Mitschüler zu, von dem er wusste, dass dieser mit Akiharu in einer Klasse war. „Wo ist er?“
Er machte sich nicht die Mühe, zu sagen, wen er meinte, weil man auch so schon wusste, auf wen er hier tagtäglich wartete. Man brachte Akiharu mit ihm in Verbindung und es interessierte ihn nicht, dass es so war.
Etwas hilflos sah der Schüler ihn verwirrt an und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, auch wenn kein Ton herauskam.
„Ich habe ihn seit dem Schulschluss nicht mehr gesehen!“, erwiderte der Schüler nach einigen Momenten. „Aber fragen Sie doch mal Mary, vielleicht weiß sie etwas!“
Nazar folgte dem Finger, mit dem der Schüler auf seine Klassenkameradin zeigte, mit seinem Blick und blieb an einer braunhaarigen jungen Frau hängen.
„Gut“, wies Nazar den Jungen an, gab ihm einen kleinen Stoß, so dass er merkte, dass er schnell verschwinden sollte, dann wandte er sich an die Mitschülerin. „Hey, weißt du, wo Akiharu ist?“
Mittlerweile machte er sich Gedanken darum, wo der Junge hin war und kurz nahm er das Smartphone aus der Hosentasche, sah über die App, die Xaldin entwickelt hatte, wo sich der Junge befand, aber er war noch immer auf dem Gelände der Schule. Das hieß, dass er immer noch die Chance hatte, ihn zu finden. Wenn Akiharu erneut weglaufen würde, so wie damals, würde er ihn finden, auch ohne diese Kette, die Xaldin ihm verpasst hatte.
„Also?“, hakte er nach, nachdem das Mädchen ihn perplex ansah.
„Er sollte zu den Umkleiden kommen“, sagte ein anderes Mädchen aus der Gruppe, weil die Angesprochene nicht reagierte. „Ich habe vorhin gehört, wie er dorthin bestellt wurde…“
„Zu den Umkleiden?“
„Ja, die sind da hinten“, wies dieses Mädchen ihm die Richtung und kaum hatte sie diesen Satz beendet, ließ Nazar sie stehen und ging dorthin.
Je näher er kam, desto langsamer lief er und griff an die Waffe an seiner Hüfte. Er hatte die Hand an dem Griff, zog diese aber nicht aus dem Halter. Aus dem Inneren des kleinen Gebäudes hörte er Stimmen und sie klangen nicht gerade … freundlich.
Leise stieß er die Tür auf, um ins Innere zu gelangen und sah das erschreckende Bild, was sich vor ihm auftat. Die Jungs, die Akiharu in den Hinterhalt gelockt hatten, standen um ihn herum und Nazar presste die Kiefer aufeinander.
„Sicher, dass ihr euch an ihm vergreifen wollt?“, fragte er und zog die Waffe aus dem Halter an seiner Hüfte. „Entweder ihr verschwindet oder ich verpasse jedem von euch eine Kugel in den Schädel.“
Die Augenpaare, die sich auf ihn richteten, waren geweitet, sie starrten auf die Waffe in seiner Hand und blickten immer wieder zwischen dieser und ihm hin und her. Als keiner sich in Bewegung setzte, sondern starr stehen blieben, sah er zu Akiharu.
„Steh auf und komm hierher“, wies er den Jungen an. „Wir werden hier verschwinden und niemand wird erfahren, was hier passiert ist. Wobei… Vielleicht sollte ich stattdessen mit euch ein kleines Spiel spielen, so wie ihr es gerade mit Akiharu vor hattet.“
Dabei fiel Nazars Blick auf Akiharu.
„Ist alles in Ordnung bei dir?“
Eigentlich hatte er keine Lust, sich wegen diesem Jungen mit den anderen anzulegen, aber Xaldin würde es definitiv nicht gerne sehen, wenn Akiharu etwas passierte. Nicht umsonst wurde er zum Leibwächter des Jungen abkommandiert. Also musste er dem Befehl folgen und ihn beschützen. Selbst wenn es bedeuten sollte, dass er die anderen Mitschüler ausschalten musste, um die Sicherheit von Akiharu zu gewährleisten.

Akiharu Sasaki

Ein Fehler…
Es war ein dummer Fehler…
Wie ein Mantra sagte sich Akiharu diese Worte immer und immer wieder vor, während er in der Mitte des Raums stand und in die Gesichter seiner Mitschüler blickte. Er war unfähig, sich zu bewegen oder auch nur einen anderen klaren Gedanken zu fassen. Viel zu sehr war sein Kopf damit beschäftigt, zu realisieren, dass er in eine Falle getappt war. Dass er auf sein ungutes Gefühl hätte hören sollen.
Wann hatte ihn sein Bauchgefühl einmal betrogen? Die letzten Jahre hatten ihm gelehrt, dass er sich darauf verlassen konnte. Dass tatsächlich etwas geschah, was ihm nicht gefiel, wenn sich dieser Knoten in seinem Magen bildete. Der einzige Unterschied zu der jetzigen Situation war der, dass er sich bei allen anderen nicht dagegen wehren konnte. Es war ihm nicht möglich, sich den Entscheidungen von Xaldin zu entziehen. Wenn er entschied, ihn einem seiner Geschäftspartner zu überlassen, gab es für ihn kein Entkommen. Er musste es über sich ergehen lassen - ganz egal, wie sehr alles in ihm dagegen rebellierte, weil es jedes Mal etwas in ihm zerstörte.
Hier jedoch war es anders. Er hatte eine Wahl. Er hätte einfach wie gewohnt zu Nazar gehen und sich von diesem zurückfahren lassen können. Er hätte es tun sollen. Doch die Neugier war zu groß. Das Bedürfnis danach, den Moment aufzuschieben, wenn sich die Tür seines goldenen Käfigs hinter ihm wieder schloss, war zu verlockend. Gleichzeitig fiel es ihm inzwischen schwer, eine Bitte abzulehnen, denn sollte er sich dies bei Xaldin trauen, wären die Konsequenzen verheerend.
Akiharu schluckte und versuchte sich nicht vorzustellen, was wohl passierte, wenn der Geschäftsmann davon erfuhr, dass er nicht sofort zu seinem Fahrer gelaufen war, denn es war ihm strikt verboten, mit anderen zu reden. Zumindest wenn er nicht riskieren wollte, dass die Personen zu Schaden kamen. Stattdessen konzentrierte er sich wieder auf das hier und jetzt und darauf, hoffentlich einen Ausweg aus dieser Situation zu finden - so schlecht seine Chancen auch standen.
"Was wollte ihr von mir?", fragte er zaghaft, während er die Jungs weiterhin ansah, froh darüber, dass sie sich bislang selbst nicht vom Fleck gerührt hatten.
"Tja, weißt du, Aki, Ben da drüben", begann der Blonde hinter ihm, als hätte er nur auf eine solche Frage gewartet und machte eine Pause, bis Akiharu sich herumgedreht hatte, um dem Fingerdeut zu einem schwarzhaarigen Jungen folgen zu können, der lässig am Türrahmen zu den Duschen lehnte und ihn wie ein Raubtier seine Beute musterte. "Er war letztens mit seiner Familie im Four Seasons Restaurant. Sein Vater wollte unbedingt seine Beförderung feiern. Was glaubst du, wie erstaunt Ben war, als er dich dort mit deinem Adoptivvater und einem anderen schmierigen alten Sack gesehen hat. Und noch sehr viel mehr, als du mit Letzterem weggegangen bist. Wobei er eher darüber verblüfft war, dass du scheinbar auf ältere Männer stehst und dich ihnen anbietest. Daher dachten wir, wir könnten von dem Spaß vielleicht auch ein bisschen was abhaben."
Akiharu lief es eiskalt den Rücken herunter, als er die Erklärung hörte. Sie wissen es, schoss es ihm durch den Kopf. Sie wussten, zu was er gezwungen wurde, auch wenn sie dachten, er würde es freiwillig tun. Er würde sich diesen Männern freiwillig anbieten. Übelkeit machte sich alleine bei dem Gedanken in seinem Magen breit, doch er war noch immer starr vor Schreck und Angst. Wie ein Reh, das auf der Fahrbahn von einem Auto angestrahlt wurde, starrte er besagten Ben an, auf dessen Lippen ein breites Grinsen lag.
Der Schwarzhaarige löste sich aus seiner Haltung und vom Türrahmen, um zu ihm zu laufen. Er wich wieder zurück, wurde aber erneut gestoßen. Dieses Mal so heftig, dass er zu Boden ging und auf allen Vieren vor Ben kniete, als dieser bei ihm ankam und sich zu ihm herunterbeugte. Finger krallten sich in seine Haare und sein Kopf wurde zurückgezogen, sodass er ihn statt den Boden ansehen musste. Als der andere noch näher kam und mit seinem Gesicht neben seinem Ohr stoppte, begann Akiharus Puls zu rasen und sein Atem ging stoßweise. Alles in ihm schrie danach, Abstand zu ihm aufzubauen, sich aus der Berührung zu lösen, doch er war wie angewurzelt und konnte sich keinen Millimeter rühren und auch Ben schien es nicht zu kümmern.
"Weißt du, was mich noch sehr viel mehr überrascht hat?", fragte er so leise, dass es kein anderer hören konnte, da er selbst bereits Probleme hatte, ihn über seinen Herzschlag hinweg zu verstehen. "Ich frage mich, warum ein Vampir einen schwachen Menschen wie dich an seine Geschäftspartner verhökert? Jemand wie er hätte das sicher nicht nötig. Aber für mich ist es gerade äußerst praktisch."
"W-was…", stammelte Akiharu, unfähig zu begreifen, was er ihm da gerade erzählt hatte und woher er dies wissen sollte, sodass er gar nicht wusste, was er genau fragen wollte.
Bevor er jedoch auch nur dazu kam, das Ganze zu verarbeiten, hörte er hinter sich eine Stimme, die ihm viel zu vertraut war und in diesem Moment ein seltsames Gefühl von Sicherheit in ihm auslöste. Sofort löste sich Ben von ihm und stand auf, den Blick genau auf Nazar gerichtet. Er selbst nutzte die Chance und rutschte ein gutes Stück von ihm weg, um Abstand zwischen sie zu bringen. Anschließend blickte er selbst über die Schulter zu seinem Fahrer und direkt zu der Waffe, die er gezogen hatte. Eine Gänsehaut breitete sich über seinen gesamten Körper aus, auch wenn er wusste, dass die Drohung nicht ihm galt. Er wusste einfach, dass Nazar und früher auch Rahim die Order hatten, jeden auszuschalten, der sich unbefugt an ihm vergriff. Ob diese Situation schon dazu zählte, konnte er nicht sagen, doch alleine die Tatsache, dass die Möglichkeit bestand, beförderte ihn wieder zu der Situation als die Geschäftspartnerin von Xaldin, die ihm helfen wollte, vor seinen Füßen verblutete.
Genau wie damals wäre der Tod der Jungs seine Schuld. Weil er hierher gekommen war.
"Habt keine Angst. Wahrscheinlich hat er da ganz normale Kugeln im Magazin und die können uns nichts mehr anhaben."
"Bist du dir da sicher?", fragte der Blonde prompt, nun nicht mehr ganz so selbstsicher wie noch wenige Minuten zuvor. Statt einer Antwort breitete sich ein Grinsen auf Bens Lippen aus.
"Pass lieber auf, dass wir nicht mit dir spielen, Alter."
Fassungslos sah Akiharu noch einmal zu Ben. Er wusste, zu was Nazar fähig war und es überraschte ihn, dass der Schwarzhaarige das alles so locker nahm. Da er jedoch nicht in der Schusslinie sitzen wollte, kam er Nazars Aufforderung sofort nach, stand auf und lief zu ihm, um sich hinter ihm in Sicherheit zu bringen.
Sicherheit…
Ein seltsames Wort, wenn er daran dachte, dass Nazar zwar in solchen Situationen auf sein Wohl achtete, aber Xaldins Geschäftspartner dennoch relativ freie Hand hatten, wenn es um ihn ging.
Im Moment traf es aber zu.
"Ja, alles okay…"
Es war gelogen, denn nichts war in Ordnung. Er war nur nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Es war zu viel auf einmal und er brauchte Ruhe, um über all das nachdenken zu können. Zudem war es Nazar vermutlich egal, solange er äußerlich unversehrt war. Wie es in ihm drinnen aussah, interessierte nur Milou, doch diese war nicht hier und für ihn im Moment nicht greifbar.
"Na komm schon. Ich dachte, du wolltest ein Spiel mit uns spielen. Dann solltest du vielleicht langsam mal anfangen, bevor ich mir doch selbst etwas überlege", provozierte Ben Nazar noch zusätzlich und Akiharu sah an dem Größeren vorbei und zurück in die Umkleide, in der sich der Schwarzhaarige selbstbewusst aufbaute und sich die anderen hinter ihm platzierten. Sie wirkten wie eine Wand und er hatte keine Ahnung, um wessen Leben er mehr fürchten musste. Er wollte nicht, dass jemand starb. Weder die Jungs noch Nazar. Nicht wegen ihm. Doch so wie die Situation aussah, würde sie unschön enden, wenn sich niemand zurückzog und gerade bei seinem Bodyguard konnte er sagen, dass dieser es nicht tun würde. Dennoch war er hin und hergerissen.
"Bitte…", flüsterte er nur so leise, dass nur Nazar es hören konnte, ohne zu wissen, wie er den Satz beenden sollte. Er wusste nicht, worum genau er bitten sollte. Ob darum, die anderen zu verschonen oder darum, selbst auf sich aufzupassen. Er war zerrissen.
"Bitte, lass uns gehen…"

Nazar

Nazar trat zur Umkleide, zog seine Waffe aus dem Halter und stieß leise er die Tür auf, um ins Innere zu gelangen und sah das erschreckende Bild, was sich vor ihm auftat. Die Stimmen der Jungen, die um Akiharu herum standen, drangen an sein Ohr und er presste die Kiefer aufeinander. Dass, was er da hörte, gefiel ihm überhaupt nicht. Sie wussten also, wozu Xaldin diesen Jungen zwangen? Wobei sie dachten, dass er es freiwillig tat und Nazar wusste, dass man so etwas nicht freiwillig tat. Zumindest nicht unter Xaldins Herrschaft. Anders konnte man es nicht formulieren.
Er richtete den Lauf der Waffe auf den Typen, der bis gerade noch gesprochen hatte, tat so, als wäre seine Waffe nur ein Spielzeug und konnte ihm nichts anhaben. Doch dem war nicht so. Er war bis zur Tür gekommen, hatte bemerkt, dass diese Typen nicht menschlich waren und hatte eine andere Waffe genommen.
Aber für den Moment würde er bei dem Spielchen mitspielen, was diese Jungs in die Wege leiten wollten.
„Bitte, dann tut es halt… Fangt an, aber beschwert euch nicht, wenn es böse für euch endet“, sagte Nazar mit ruhiger Stimme, ließ die Waffe in den Halter zurückgleiten und sorgte dafür, dass er Akiharu gleichzeitig aus der Umkleide drückte.
Er drückte ihn so lange aus der Umkleide, bis er sich sicher war, dass er aus der Reichweite dieser Typen war.
Der erste, der sich bewegte und somit sein Urteil gefällt hatte, kam auf Nazar zu, ohne auch nur ein Geräusch von sich zu geben, aber er nahm dennoch die Schwingungen war, die er von sich gab und mit einer schnellen Bewegung sorgte er dafür, dass er mit einem verdrehten Arm auf dem Rücken landete und es schmerzlich in der Schulter knackte. Dann trat Nazar ihm auf das Knie, so dass es brach und sich das Bein in einem ungesunden Winkel verdrehte.
Dann kam auch schon die nächsten beiden, die sich um Nazar kümmern wollten, aber auch diese schaltete er aus. Er hatte aus dem Ärmel ein Silbermesser hervorgebracht, schnitt dem einen die Brust auf, so dass dieser mit einem markerschütternden Geheul ebenfalls zu Boden ging.
Der dritte, der sich an ihn wandte, beobachtete ihn genau und Nazar musste alles abwiegen, um mögliche Gefahren für Akiharu zu verhindern. Er nahm das Messer in die andere Hand, umfing es fester und atmete tief durch. Er durfte sich auf jeden Fall nicht unterkriegen lassen. Er musste dafür sorgen, dass Akiharu ohne größeren Schaden hier herauskam. Wenn ihm auch nur ein Haar gekrümmt würde, würde Xaldin ihm die Hölle heiß machen und seine Wut an ihm auslassen.
„Verschwinde von ihr“, sagte Nazar um die Ecke herum, so dass Akiharu es hören konnte.
„Nicht so schnell! Wir haben da auch noch ein Wörtchen mitzusprechen!“, ertönte einer der männlichen Stimmen vor ihm.
Aber er konnte im ersten Moment nicht wahrnehmen, von wem diese kam. Allerdings war es ihm auch vollkommen gleichgültig, denn er würde auch die anderen drei ausschalten, denn sie stellten eine Bedrohung für Akiharu dar.
Auch wenn er sie jetzt nur kurz ausschaltete, würde er sich später um sie kümmern. Außerdem bestand jetzt die Gefahr, dass sie sich an Akiharu rächen würden, würde er sie davon kommen lassen.
„Ihr werdet ihn in Ruhe lassen. Es wird niemand erfahren, wieso und weshalb er mit diesem Mann mitgegangen ist. Und wenn ich euch die Zunge herausschneiden muss, um euch zum Schweigen zu bringen…“
Nazar kümmerte sich noch um die anderen beiden, die auf ihn zustürmten, um ihn niederzuringen, aber er wehrte auch diese Jungs ab, warf sie zu Boden und sorgte dafür, dass sie das Bewusstsein verloren. Dann stellte er sich aufrecht hin und sah den letzten Typen an, der noch übrig war. Er zog die Waffe wieder, die bis jetzt im Halter steckte und richtete sie auf den Anführer der Gruppe.
„Es wird am besten für dich sein, dass du vergisst, was du vor hattest und du gesehen hast oder was auch immer… Ich habe keine Lust darauf, mir mit deinem Blut die Hände schmutzig zu machen. Und den Anzug will ich mir deinetwegen auch nicht unbedingt versauen.“
Dabei kamen ihm die Worte wieder in den Kopf, die Akiharu an ihn gerichtet hatte, kurz bevor diese ganze Sache angefangen hatte. Doch der Typ baute sich zur wahren Größe auf, ballte die Hände zu Fäusten und ging in Angriffsstellung über. Kurz überlegte Nazar, wie er diesen Typen ausschalten konnte, ohne sich extrem anstrengen zu müssen. Aber er würde nicht um einen Kampf herum kommen. Zumindest sah es nicht danach aus, dass dieser Kerl sich ohne Probleme ergeben würde. Der Kampf, der darauf folgte, dauerte zwar nur wenige Augenblicke, aber für ihn fühlte es sich unendlich lang an.
Als auch der letzte Typ auf dem Boden lag, sich nicht mehr bewegte, zog Nazar sein Jackett glatt, versuchte die schlimmsten Falten aus diesem herauszubekommen und steckte die Waffe zurück in den Halter. Leicht außer Atem ging er vor den kleinen Raum, vor dem Akiharu immer noch stand, versuchte aber zu vertuschen, dass seine Lunge und sein Körper nach Ruhe schrien, er dies aber zu diesem Zeitpunkt nicht zulassen konnte.
„Lass uns gehen“, sagte er zu Akiharu. „Ist soweit bei dir alles in Ordnung? Egal, was gerade passiert ist… Ich lasse nicht noch einmal zu, dass diese Typen dich angehen oder sich an dir vergreifen wollen.“

Akiharu Sasaki

Zaghaft hob Akiharu seine Hand und näherte sich mit seinen Fingern Nazars Jackett. Er hatte das Gefühl und das dringende Bedürfnis, seiner Bitte noch ein wenig Nachdruck zu verleihen. Er wollte ihn auf sich aufmerksam machen, indem er an seinen Sachen zog, doch bereits wenige Zentimeter vor seinem Ziel stoppte er. Ein Zittern lief durch seinen Körper, von seinem Rücken über seine Arme bis hin zu seinen Fingerspitzen. Der Wind, der vom Eingang in den kurzen Flur wehte, in dem er stand, kroch ihm unter die Sachen. Dies war jedoch nicht der Grund für sein Zögern. Es war vielmehr die Frage, ob er es wirklich tun sollte? Er wusste nicht, wie Nazar reagieren würde. Ob er es gutheißen würde, wenn er ihn einfach berührte. So wie er ihn kannte, wäre er wenig begeistert, wenn er Falten in den Stoff machte, sollte er sich dort hineinkrallen, denn er war immer darauf bedacht, dass seine Kleidung akkurat saß.
Dieser Punkt war aber nicht das einzige, was ihn neben dem Zittern daran hinderte, seinen Arm weiter auszustrecken und sein Vorhaben umzusetzen. Akiharu wusste nicht, ob er es wirklich konnte. Ob er es schafft, Nazar anzufassen - und wenn es nur seine Kleidung war - auch wenn er wusste, dass womöglich das Leben mehrere Schüler auf dem Spiel stand. Sekundenlang starrte er auf seine Finger, die er nicht ruhig halten konnte und mit jeder verstreichenden Sekunde mehr begannen zu zittern.
Ich kann es nicht…
Ich kann es einfach nicht…
So stark das Bedürfnis in seinem Inneren auch war, Nazar davon abzuhalten, den Jungs etwas anzutun, seine Angst, ihn zu berühren und die Konsequenzen daraus zu spüren zu bekommen, war weit größer. Akiharu zog seine Hand zurück und ließ den Blick sinken, wodurch er nicht bemerkte, wie sein Fahrer rückwärts näher rückte, um ihn noch weiter in den Gang zu drängen. Erst als er den Stoff des Jacketts an seinen Fingerspitzen spürte, nahm er es wahr. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er es vollkommen realisierte. Er war wie erstarrt, wodurch Nazar so nah kam, dass er die Wärme durch die Kleidung spüren konnte. Dieses Gefühl holte ihn aus seiner Starre und als hätte er auf eine heiße Herdplatte gefasst, zog er die Hand noch weiter zurück und lief einige Schritte rückwärts.
Abgelenkt durch die widersprüchlichen Gefühle, die die Berührung in ihm ausgelöst hatten - die angenehme Wärme und die nun herrschende Kälte - stolperte er über seine eigenen Füße und ging unsanft Boden. Akiharu gab einen leisen schmerzverzerrten Laut von sich, als er auf seinem Steiß landete. Alle anderen schien dies jedoch nicht zu kümmern, denn als er den Kopf hob und zur Umkleide blickte, sah er, wie sich einer der Jungs auf Nazar zu bewegte. Bevor er den Kopf wegdrehen konnte, um nicht mit ansehen zu müssen, was nun folgen würde, bekam er noch mit, wie der Größere dem Schüler erst schmerzhaft den Arm verdrehte und ihm anschließend das Bein brach.
Das Geräusch des brechenden Knochens löste Übelkeit in ihm aus und er schlug beide Hände vor den Mund, um das Gefühl zurückzudrängen. Gleichzeitig rutschte er auf dem Boden noch weiter zurück, bis er die Wand in seinem Rücken spürte. Dort zog er die Beine an den Körper, versuchte sich so klein wie möglich zu machen und versteckte sein Gesicht hinter seinen Knien. Als er sich sicher glaubte, sein Essen im Magen zu behalten, löste er seine Hände von seinem Mund und schützte damit seine Ohren. Doch es brachte nichts. Das Geheul, das ihn an einen Wolf erinnerte, drang durch seinen Schutz und ließ ihn erneut zittern. Auch Nazars Anweisung, das er verschwinden sollte, war durch seine Hände hindurch zu hören, doch er war unfähig, sich vom Fleck zu rühren, sodass er an Ort und Stelle zusammengekauert sitzen blieb.
Die Hoffnung auf seine Bitte war verloren. Diese Situation würde nicht so enden, wie er es sich erhofft hatte, doch er wollte nicht mitbekommen, was nun passierte. Er wollte es weder sehen noch hören, selbst wenn das bedeutete, dass er nicht mitbekam, wer am Ende gewann. Auf wen er hoffen sollte, wusste er noch immer nicht, denn ihm wäre es lieber, es wäre gar nicht so weit gekommen.
Daran bist du selbst schuld, Aki, flüsterte ihm eine leise Stimme zu, die sich in seinen Ohren beinahe wie Xaldin anhörte. Aus Angst, er wäre es tatsächlich, blickte er auf und sah sich um, doch von dem Geschäftsmann war weit und breit nichts zu sehen. Wie hätte er auch wissen sollen, was hier vor sich ging? Mal davon abgesehen, dass er sich selten selbst die Hände schmutzig machte. Dafür hatte er immerhin seine Angestellten wie Nazar.
Als er wieder nach vorn und zu der Umkleide sah, bemerkte er die Schusswaffe in Nazars Händen, die er auf Ben gerichtet hatte - der einzige, der von den Jungs noch stand. Alle anderen lagen reglos auf dem Boden und eine böse Vermutung bildete sich in seinem Bauch, kroch bis hinauf zu seinem Hals und machte ihm das Atmen schwer. Starr blickte er auf die Körper, während sich wieder die Erinnerung an die Frau in seinen Kopf schob. Nur das Blut fehlte, das sich langsam unter ihrem Körper ausgebreitet hatte und seine Socken durchtränkte, als es bis zu ihm lief.
Akiharu spürte, wie sich Tränen in seinen Augen bildeten und ihm kurz darauf über die Wangen liefen. Kurz darauf änderte sich das undefinierbare Gefühl in seinem Magen erneut zu Übelkeit - dieses Mal jedoch so stark, dass er nicht dagegen ankämpfen konnte. Mühsam rappelte er sich auf, da er nicht dabei zusehen wollte, was nun geschah, und stolperte mehr oder weniger aus dem kleinen Anbau hinaus ins Freie. Dort brach er neben einem Busch zusammen, in dem er sich übergab.
Die Zeit danach zog sich wie Kaugummi. Dem Zwitschern der Vögel nach zu urteilen, waren es nur wenige Minuten, die vergingen, bis er Schritte hörte, doch für ihn fühlte es sich wie eine Ewigkeit an. Noch immer kniete er vor dem Gebüsch, starrte vor sich hin und wartete gespannt darauf, um wen es sich handelte, der aus dem Gebäude kam. Ein Teil von ihm hoffte, dass es sich nicht um Ben handelte. Nicht nachdem, was dieser ihm erzählt hatte.
Als er kurz darauf Nazars Stimme hörte, fiel ihm ein Stein vom Herzen und seine Schultern sackten leicht nach vorn, als die Anspannung aus ihm wich, auch wenn sie nicht ganz verschwand.
"Hast du sie-", versuchte er in Worte zu fassen, was er unbedingt wissen wollte, auch wenn er dabei die Frage überging, ob alles in Ordnung war. Dass dem nicht so war, war vermutlich offensichtlich. "S-sind sie... noch am Leben?"
Vorsichtig blickte er über die Schulter zu seinem Fahrer. Nazar stand vor ihm, als hätte er sich nicht gerade mit fünf seiner Mitschüler geprügelt. Sein Jackett saß wieder akkurat und er schien nicht einmal außer Atem zu sein. Und das obwohl sie in der Überzahl waren.
Habt keine Angst. Wahrscheinlich hat er da ganz normale Kugeln im Magazin und die können uns nichts mehr anhaben.
Bens Worte kamen ihm wieder in den Sinn. Bislang hatte er keine Zeit gehabt, um sich darüber Gedanken zu machen, doch nun, da die Gefahr offensichtlich gebannt war, sah die Sache anders aus. Wieso sollte eine normale Waffe keine Gefahr darstellen? Konnte es sein…?
"Was waren sie? Und… ist Xaldin wirklich… Ist er ein Vampir?", schob er nach und sah Nazar dabei ängstlich in die Augen - nicht wissend, ob dieser überhaupt über all das Bescheid wusste. All die Jahre hatte er keine Ahnung davon und er hatte auch nichts ungewöhnliches bemerkt, sodass er nicht wusste, ob Xaldin einfach nur verhindern wollte, dass er etwas erfuhr, oder ob Ben gelogen hatte. Doch was, wenn es die Wahrheit war…?

Nazar

Der Kampf mit diesen Kreaturen hatte Nazar vollkommen aus dem Konzept gebracht. Es hatte zwar nur wenige Minuten gedauert, um diese Typen bewusstlos zu schlagen, ihnen eine Handvoll Knochen zu brechen und sie außer Gefecht zu setzen, aber dennoch kam es ihm vor wie eine Ewigkeit.
Aus dem Augenwinkel hatte er mitbekommen, wie Akiharu sich mehr oder weniger nicht zurückzog, weswegen er ihn nach hinten gedrängt hatte. Dann hatte er das Schluchzen und Würgen hören. Dieser Anblick war zu viel für diesen Jungen. Schon oft hatte er mitbekommen, dass es Akiharu immer wieder schwer gefallen war, sich dem Wort von Xaldin hinzugeben und zu tun, was man von ihm verlangte.
Die Angst, bestraft zu werden, schien immer wieder größer. Und Nazar konnte diese Angst verstehen. Er selbst hatte immer noch Respekt, nein, keine Angst, nur großen Respekt davor, bestraft zu werden. In all den Jahren, die er nun für Xaldin arbeitete und all die Zeit, in denen er falsch gehandelt hatte, hatte ihn so geformt, wie er jetzt war.
Als er die reglosen Körper liegen ließ, dem Lauf der Zeit überlassen, atmete Nazar tief durch, ging den schmalen Gang entlang, um wieder nach draußen zu kommen. Auf dem Weg in die Nachmittagssonne versuchte er seinen Herzschlag zu beruhigen und die Falten aus dem Jackett zu bekommen. Kurz zog er am Saum, bevor er den ersten Schritt an die frische Luft machte.
Da Akiharu nicht mehr dort gehockt hatte, wo er auf den Boden gestolpert war, hatte er angenommen, er wäre nach draußen gegangen, um das Spektakel nicht anzusehen, aber was er dann vorfand, war nicht, was er sehen wollte.
"Alles in Ordnung?", fragte er und wusste nicht, ob er die Antwort wirklich hören wollte.
Er kniete sich neben den Jungen, berührte ihn allerdings nicht und sah ihm nur entgegen. Er nahm den Geruch von Erbrochenem wahr und schloss für wenige Sekunden die Augen. Als sich Akiharu langsam erhob, um ihn zu fragen, was er mit den Typen angestellt hatte, sah Nazar noch einmal in die Richtung des Eingangs.
"Noch leben sie", sagte er zur Erklärung, auch wenn er nicht wusste, ob es das war, was Akiharu wissen wollte.
Er würde sie umbringen, da sie Akiharu zu nahe gekommen waren und er würde dafür sorgen, dass es nicht nach einem Mord aussah. Vielleicht würde er sie einzeln umbringen, sie dann in ein Auto setzen und anschließend den Wagen irgendwo gegen ein Haus fahren, das Auto in Brand setzen und dafür sorgen, dass irgendwann die Leichen gefunden wurden... Natürlich würde niemand das Gift in ihren Venen finden... Irgendeine grausame Art und Weise würde er sich einfallen lassen. Immerhin hatten sie es nicht besser verdient.
Auf die nächste Frage, wollte Nazar nicht antworten, aber er wusste, ein gewisses Maß an Ehrlichkeit war er dem Jungen schuldig.
"Diese Typen gehören der Rasse der Werwölfe an", sagte er mit ruhiger Stimme, als wäre er nicht gerade in einem Kampf gegen fünf Typen gewesen, die somit in der Überzahl gewesen waren.
Nazar wusste außerdem nicht, ob er Akiharu die Frage, wer der Meister war, beantworten sollte. Aber im Moment war nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber nachzudenken. Sie waren schon viel zu lange auf diesem Gelände und Nazar musste den Jungen rasch zurückbringen, bevor Xaldin erwachte und den Jungen suchte.
"Er ist ein Vampir, ja", gab er schließlich von sich und schloss die Augen. "Aber genug davon, ich muss dich zum Anwesen von Xaldin bringen, bevor er irgendetwas von diesem Zwischenfall mitbekommt."
Er richtete sich auf, hielt Akiharu die Hand hin, um ihm aufzuhelfen, wusste aber nicht wirklich, wieso er dies tat. Er wollte nicht als freundlich gelten, also ließ er die Hand wieder sinken, bevor Akiharu nach dieser greifen konnte.
"Beeil dich, bevor ich wegen dir auch noch Ärger bekomme", sagte Nazar und wandte sich zum Haupttor der Schule, um in diese Richtung zu gehen.

Akiharu Sasaki

Alles in Ordnung?
In Akiharus Ohren klang diese Frage nach seinem Zustand und seinem Befinden wie ein schlechter Scherz. Als wollte man ihn dazu zwingen, zu offenbaren, dass es ihm alles andere als gut ging, obwohl bereits alles darauf hindeutete. Doch auch das fröhliche Zwitschern der Vögel und die Wärme der Sonne wirkten auf ihn gerade wie blanker Hohn, wenn er daran dachte, was gerade geschehen war. Zudem wusste er, dass Nazar ihn so etwas fragen musste, dass er wissen musste, ob bei ihm - zumindest körperlich gesehen - alles gut war. Wie es in ihm drin aussah, interessierte niemanden. Hauptsache er war noch immer einsatzfähig.
Bei dem Gedanken krallte er seine Finger in die Erde vor sich, die durch den Regen in der letzten Nacht noch feucht war und leicht nachgab. Sie fühlte sich im Gegensatz zur Wärme der Sonne auf seinem Rücken und seinem Gesicht, kühl an und gab einen willkommenen Kontrast dazu, da sie doch viel mehr das widerspiegelte, was gerade in ihm vorging. Genauso wie die Welt, in der er lebte und in der Wärme ein Fremdwort war. Auch Nazars Frage beinhaltete nichts davon und war rein formal, weshalb er nicht wusste, was er darauf antworten sollte. Er wollte sagen, dass nichts in Ordnung war. Wollte sich alles von der Seele reden, was in ihm vorging und was das eben Erlebte noch zusätzlich in ihm zum Vorschein brachte. Doch sein Fahrer war nicht die richtige Person dafür und er wusste auch nicht, wann er genau diese Person wiedersehen würde. Jedes Treffen mit Milou war ein Risiko für sie und so sehr er sie auch vermisste und mit ihr reden wollte, hoffte er doch, dass sie sich nicht allzu oft über den Weg liefen.
"Nein", murmelte er leise als Antwort, denn ein Ja hätte man nicht nur dann durchschaut, wenn er nicht gerade ein mieser Lügner wäre. "Aber es muss", fügte er noch hinzu und blickte zu Nazar, der mit geringem Abstand neben ihm hockte. Akiharu war froh, dass er ihn nicht berührte, sondern seine Privatsphäre in diesem Punkt respektierte. Andernfalls könnte er wohl nicht einmal versuchen, wenigstens halbwegs so zu wirken, als wäre alles in Ordnung, denn genau das musste er. Xaldin sollte keinen Verdacht schöpfen, was passiert war. Nicht bevor er es nicht einigermaßen selbst verarbeitet hatte, was auf dem Weg bis zum Anwesen unmöglich war. Nazar würde ihm vermutlich so oder so Bericht erstatten und es würde Ärger für ihn bedeuten, aber gerade würde er die Strafe für sein Vergehen noch weniger überstehen, als ohnehin schon.
Die Antwort auf seine Frage trug ebenfalls nicht dazu bei, dass sein Zustand besser wurde und er musste schlucken. Die Betonung von Nazars Worten lag eindeutig auf dem noch, sodass Akiharu keineswegs erleichtert darüber war, dass sie noch lebten. Das wäre er nur, wenn sie es auch bleiben würden. Seine Finger krallten sich noch tiefer in die Erde und er wandte den Blick erneut ab - unfähig dem Mann in die Augen zu sehen, der das Leben von Schülern in der Hand hatte.
"Bitte… bitte lass sie leben…", gab er zaghaft von sich und ein Kloß bildete sich in seinem Hals, als er an die Worte dachte, die ihm auf der Zunge lagen. Es war, als würde sich sein Körper dagegen sträuben, dass er sie aussprach, weshalb er sich kurz aber schmerzhaft auf die Unterlippe biss. Dabei spürte er, dass es leicht begann zu bluten, doch die Schmerzen, die dies hervorrief, waren nichts gegen das, was er unter Xaldin schon erleiden musste.
"Ich will nicht, dass sie sterben… Nicht meinetwegen. Nicht sie auch noch…"
Zum Ende hin wurde er immer leiser und er wusste nicht, ob Nazar überhaupt alles verstanden hatte, obwohl er noch immer nah bei ihm war. Ein Teil von ihm hoffte, dass dem nicht so war. Dieser Teil wollte nicht, dass jemand von Xaldins Angestellten, die für sein Leid genauso verantwortlich waren, wie der Geschäftsmann und dies duldeten, etwas von seinen inneren Qualen mitbekamen. Man hatte ihn schon genug in der Hand. Es brauchte nicht noch weitere Angriffspunkte.
Auch die Tatsache, dass es sich bei den Jungs um Werwölfe handeln sollte, änderte nichts an seinem Wunsch, das sie am Leben bleiben sollten. Was das für ihn bedeutete - auch das Xaldin ein Vampir war und er mehr übernatürliche Wesen in seiner unmittelbaren Nähe hatte, als er glaubte - wusste er nicht und für den Moment wollte und konnte er auch nicht darüber nachdenken. Es war nicht nur der falsche Ort dafür, es lenkte ihn auch etwas ganz anderes davon ab.
...bevor er irgendetwas von diesem Zwischenfall mitbekommt.
Überrascht sah Akiharu wieder zu ihm, unfähig ein Wort herauszubringen oder einen klaren Gedanken zu fassen, da er nicht sicher war, ob er sich nicht vielleicht verhört hatte. Hatte Nazar gerade wirklich angedeutet, dass er diese Situation unter den Teppich kehren wollte? Doch warum sollte er das tun? Er hatte noch keinen anderen auf dem Anwesen gesehen, der Xaldin so loyal gegenüber war wie es bei Nazar der Fall war. Es schien nichts zu geben, was daran etwas änderte. Hatte er sich also einfach verhört?
Bevor er danach fragen konnte, entfernte sich sein Fahrer jedoch bereits wieder von ihm und lief Richtung Auto. Er wusste, dass er ihm folgen musste, doch er war hin- und hergerissen. Noch immer existierte diese kleine Flamme der Gegenwehr in ihm, die ihn zögern ließ, obwohl er gleichzeitig bereits Xaldins kalten Griff spüren konnte, der ihn treffen würde, wenn er nicht zurückkam. Und letzteres war stärker. Viel stärker.
Mit tauben Beinen, in die erst beim Laufen langsam das Blut zurückfloss und die dadurch zu kribbeln begannen, lief er ihm nach. Auf dem Weg über das Geländer der Schule stolperte er beinahe, doch er fing sich rechtzeitig, bevor er ein weiteres mal zu Boden gehen konnte. Anderen Schülern begegnete er nicht mehr, worüber er wirklich froh war. Er wollte nicht, dass ihn jemand so sah. Er war ohnehin schon der stille Sonderling, der sich von allen abschottete.
Beim Auto angekommen wartete er anders als sonst nicht darauf, dass Nazar ihm die hintere Tür öffnete, sondern tat dies selbst und schlüpfte ins Innere. Dort empfing ihn sofort der bekannte Geruch, den er täglich in der Nase hatte. Eine Mischung aus dem Leder der Sitze und Nazars Aftershave und seltsamerweise gab es ihm zumindest für diesen Moment so etwas wie Sicherheit. In diesem Fahrzeug konnte ihm niemand etwas antun. Sein Blick glitt zu der Person, die dieses Gefühl heute bereits schon einmal in ihm ausgelöst hatte. Die Person, die Fragezeichen in ihm auslöste. Dass er selbst Ärger bekommen könnte, wenn er von dem Vorfall berichtete, glaubte er nicht. Er hatte nicht wissen können, was er vorhatte und hatte die Situation im Griff. Wenn jemand Ärger bekam, dann war er das.
Allerdings wusste Akiharu nicht, wie er danach fragen sollte und ob überhaupt. Daher beobachtete er den anderen, wie dieser ebenfalls einstieg, seinen Platz hinter dem Steuer einnahm und den Wagen startete, damit sie bald zurück im Anwesen waren. Seinem Gefängnis.
Die Minuten zogen sich in die Länge, während das Schweigen immer präsenter und greifbarer wurde. Wie eine dicke schwere Decke lag sie über ihm und drohte ihm die Luft zum Atmen zu nehmen. Die Fenster zu öffnen, um frische Luft hereinzulassen, war ihm allerdings nicht möglich, denn genau wie die Türen waren auch diese in der hinteren Reihe verriegelt. Eine Sicherheitsmaßnahme für den Fall, dass er auf die Idee kam, doch noch abzuhauen. Somit musste er sich mit dem Blick nach draußen und der Vorstellung begnügen, wie es dort sein würde. Und es half. Zumindest ein wenig. Wenige Momente später war das Gefühl der Luftnot so weit verschwunden, dass er seine Stimme wiederfand, um auszusprechen, was ihn beschäftigte.
"Wirst du es ihm sagen? Das, was… passiert ist?"
Das, was er getan hatte...

Nazar

Noch immer war Nazar damit beschäftigt, sich zu fragen, ob das, was er gerade getan oder eher nicht getan hatte, richtig war.
Diese Jungen, die sich an Akiharu vergehen wollten, weil sie wohl wussten, was er tat, wenn er nicht in der Schule war, hätten mehr verdient, als einfach verprügelt zu werden. Sie hätten es verdient, ihr Leben zu geben. Alleine deswegen schon, weil sie Werwölfe waren. Alleine, weil sie wussten, dass Akiharu zum Vergnügen anderer eingesetzt wurde. Alleine, weil Xaldin ein Vampir und somit der Feind dieser Kreaturen war.
Er selbst, also persönlich hatte nichts gegen Werwölfe, auch nicht gegen die einfachen Wölfe, die Tiere, die im Wald lebten, aber seitdem er unter Xaldins Befehl stand, hatte er sich eine gewisse Abneigung angeeignet.
Früher hatte er oft hinterfragt, wieso Xaldin solch eine Abneigung gegen diese Kreaturen hatte, aber mittlerweile, nach all den Jahren, die er nun schon für ihn arbeitete, hatte er eines gelernt: Er würde nie wieder hinterfragen und einfach nur den Befehlen folgen, die man ihm gab.
Nazar war aufgestanden, als es nicht den Anschein hatte, dass Akiharu ihm auf seine Frage antworten würde, also würde er sich mit der Tatsache, was er sah, begnügen müssen. Es war zu viel für den Jungen gewesen, weswegen es wohl gut war, dass sie diesen Ort jetzt verließen.
Er entfernte sich gerade von ihm, oder eher gesagt, wollte er den ersten Schritt machen, als er Akiharus leise Stimme vernahm. Die Antwort, die auf seine Frage, ob es ihm gut ging, kam, war genau das, was er angenommen hatte. Ihm ging es also nicht gut.
Gut, was sollte er also darauf hin erwidern? Also ließ er den Mund verschlossen, nickte nur kurz, aber man bekam es wohl nicht mit. Außerdem sah Akiharu auch nicht zu ihm, weswegen es ihm sowieso entgehen würde.
Gerade wollte er sich aufrichten, als erneut die Stimme des Jungen ertönte, auch wenn sie leise war und er Probleme hatte, sie zu verstehen, drang jedes noch so leises Wort an sein Ohr.
Er sollte diese Kreaturen leben lassen?
Wieso sollte er das tun?
Aber er wollte nicht nachfragen, denn er sah, wie schwer es ihm fiel, diese Worte auszusprechen, also wollte er nicht weiter Salz in diese Wunde streuen.
Diesen Punkt weiterhin skeptisch gegenüber, richtete sich Nazar schließlich auf und strich sich das Jackett glatt. Er atmete ruhig durch, weswegen sich sein Brustkorb weit hob und langsam wieder senkte. Dann nahm er die Tasche Akiharus, die neben ihm auf dem Boden stand und ging über das Gelände der Schule, immer weiter in die Richtung des Autos, was an der Straße geparkt war.
Er hatte die schwarze Limousine bereits ins Auge gefasst, als er merkte, dass Akiharu nur schleppend hinter ihm herkam, aber er sagte nichts, sondern wollte gerade die Tür des Wagens öffnen, als auch schon die Finger des Jüngeren am Griff waren und den Weg ins Innere offenbarten.
Kaum hatte sich sein Körper auf der Rückbank niedergelassen, schloss Nazar schweigend die Tür und ging zum Kofferraum, um den Rucksack dort abzulegen. Dann führte ihn sein Weg um den Wagen herum, stieg auf der Fahrerseite ein, platzierte sich hinter dem Lenkrad und startete den Motor. Dann lenkte er das Fahrzeug in den immer ruhiger werdenden Verkehr und beförderte sie zum Anwesen Xaldins.
Auf dem Weg dorthin drang leise Musik aus dem Radio, was er aber kaum wahrnahm. Immer wieder glitt sein Blick durch den Spiegel zurück zu Akiharu, der gedankenverloren aus dem Fenster sah.
Kurz war er versucht, die elektrischen Fensterheber zu entriegeln und Akiharu die Möglichkeit zu geben, das Fenster etwas zu öffnen, aber er besann sich darauf, es nicht zu tun, weil er eine leise Stimme in seinem Inneren hörte, dass Akiharu flüchten könnte und er dann nur wieder Ärger bekam, weil er nicht auf den Jungen aufgepasst hatte.
Der Wagen hielt an einer Ampel, so dass sie warten mussten und sich die Stille im Innenraum des Autos ausbreitete.
"Soll ich ihm denn irgendetwas erzählen?", konterte Nazar schließlich und dann traf sich sein Blick mit dem von Akiharu, als er in den Spiegel sah. "Er wird fragen, wieso wir so spät zurückkehren. Er will eine Aussage bekommen. Du weißt, er wartet nicht gerne."
Doch da schaltete die Ampel bereits um, so dass Nazar seinen Blick von Akiharu lösen musste, um wieder nach vorne zu sehen und sich auf die Straße zu konzentrieren.
Er lenkte den Wagen ohne Probleme durch das verwobene Netz der Straßen und führte sie immer weiter zum Anwesen des Vampirs.
Nach einiger Zeit setzte er den Blinker, fuhr durch die Einfahrt und einen langen Weg entlang, bis das Anwesen in Sichtweite kam. Kaum parkte er den Wagen an seinem angestimmten Platz, stieg er aus, lief zum Heck des Autos, holte den Rucksack aus dem Kofferraum und trat zur Beifahrerseite, um die hintere Tür für Akiharu zu öffnen.
Sie traten zum Haupteingang des Hauses und die Tür wurde ihnen geöffnet, als würde man sie bereits erwarten. Eine junge Bedienstete verbeugte sich vor ihnen, lächelte kurz, allerdings weniger der Höflichkeit, sondern der Pflicht wegen, richtete sich dann wieder auf und sah zu ihm und Akiharu.
"Xaldin erwartet euch bereits", sagte sie und verschloss die Tür hinter ihnen wieder.
Nazar nickte, ging voraus und zum Zimmer, welches als Büro und Aufenthaltsort für Xaldin diente.
Kurz klopfte er an die Tür, als sie dort angekommen waren und wartete auf das Zeichen, dass sie eintreten konnten. Als es kam, öffnete Nazar den Durchgang und ließ erst Akiharu eintreten, bevor er selbst in den Raum ging.
"Ihr seid spät", sagte Xaldin, sah von seinem Sessel aus zu ihnen.
"Verzeiht", begann Nazar, sah zu Akiharu und atmete schnell ruhig durch, ohne sich etwas anmerken zu lassen. "Akiharu hat mir im Auto erzählt, dass ein Lehrer ihn um Hilfe gebeten hatte. Lehrbücher für den nächsten Tag holen und das Klassenzimmer umzuräumen. Er hatte darauf bestanden, dass Akiharu ihm half, obwohl er mehrfach erwähnte, er müsste dringend weg."
Nazar hoffte, dass Xaldin ihm diese Lüge abkaufte, aber da er nichts weiter dazu sagte, schien es gewirkt zu haben und Xaldin schien sich damit abzufinden.
"Ein alter Freund kommt heute Abend zum Essen...", begann er schließlich, stand auf und lief auf Akiharu zu. "Es wäre mir eine Freude, würdest du uns Gesellschaft leisten und meinem Freund etwas ... umsorgen."
Nazar presste die Kiefer aufeinander, ließ sich aber nichts anmerken, so hoffte er zumindest. Dann sah er zu Akiharu, was dieser wohl dazu sagen würde.

Akiharu Sasaki

Seinen eigenen Gedanken nachhängend sah Akiharu die ganze Zeit aus den getönten Fenstern. Es war ein seltsames Gefühl, zu wissen, dass er die Leute draußen sehen konnte, während sie nichts von dem mitbekamen, was sich im Inneren eines solchen Wagens abspielen konnte. Es gab ihm eine gewisse Sicherheit, weil niemand wusste, dass er hier drin saß, aber gleichzeitig machte es ihm noch sehr viel mehr klar, dass er ein Gefangener war. So gut es auch war, dass keiner sah, wer im Auto saß oder was passierte, genauso schlecht war es auch. Sicherheit war immer ein zweischneidiges Schwert und seit sich sein Leben bei Xaldin so drastisch verändert hatte, war ihm das vollends bewusst.
Als sie an einer der zahllosen Ampeln hielten, die ihren Weg zum Anwesen säumten, fiel Akiharus Blick auf ein ihm bekanntes Gesicht. Automatisch setzte er sich ein wenig mehr auf, auch wenn ihn diese Bewegung bei Nazar womöglich verriet - es geschah völlig unbewusst. Auf der anderen Straßenseite entdeckte er, wie Anjali mit einem gut situierten älteren Pärchen sprach, während sich jemand anderes unauffällig an der Handtasche der Frau zu schaffen machte. Erst auf den zweiten Blick erkannte er den Jungen, mit dem er sie bei ihrem letzten Aufeinandertreffen gesehen hatte. Ein Tag, an dem ihn seine Vergangenheit von der Straße einzuholen schien, da er nur eine halbe Stunde zuvor auch Milou wieder getroffen hatte.
Dies jetzt zu beobachten, während Nazar darauf wartete, dass die Ampel umschaltete und sie weiterfahren konnten, füllte ihn mit einer Sehnsucht, die er kaum in Worte fassen konnte. Akiharu wusste, wie schwer das Leben auf der Straße war - immer auf der Suche nach etwas Geld, zu Essen oder einem geeigneten Schlafplatz oder gar auf der Flucht vor wütenden Ladenbesitzern oder der Polizei. Und doch sehnte er sich beinahe nach dieser Zeit, denn so wenig er damals im Gegensatz zu jetzt im materiellen Sinne auch besaß: Er war frei.
Mit einem Mal holte ihn Nazars Frage aus seinen Gedanken und der Betrachtung dessen, was draußen vor sich ging, und als er nach vorn sah, blickte er durch den Rückspiegel direkt in die Augen seines Fahrers. Und wenn es nicht schon die Frage getan hätte, wäre spätestens der Blick des anderen genug gewesen, um ihn vergessen zu lassen, was er sagen sollte. Er hatte keine Ahnung, wie lange der Schwarzhaarige ihn bereits ansah, doch er fühlte sich ertappt. Als wüsste Nazar ganz genau, woran er gerade gedacht hatte, doch das war vermutlich einfach nur seiner Angst geschuldet, mehr von dem preiszugeben, was in seinem Inneren vorging, als er wollte.
Mit zusammengepressten Lippen senkte er den Blick, um dem des anderen auszuweichen.
"Ja, ich weiß…", murmelte er leise, aber laut genug, um über die Musik hinweg gehört zu werden. Er wusste sehr gut, wie ungehalten Xaldin werden konnte, wenn jemand zu spät kam. Bei Geschäftspartnern versteckte er es hinter freundlichem Verhalten, doch bei seinen Angestellten konnte es durchaus vorkommen, dass man die Person das letzte mal gesehen hatte, wenn sie keinen triftigen Grund vorbringen konnte und nicht wichtig genug war, um darüber ausnahmsweise hinwegsehen zu können und nur eine - im Gegensatz dazu - harmlose Strafe zu verhängen.
"Aber-", begann er, verschloss seinen Mund aber wieder, bevor er die Frage komplett formulieren konnte. Nazar hatte selbst angedeutet, nichts zu verraten oder hatte er zu viel in dessen Worte hineininterpretiert? Akiharu wusste es nicht, aber er traute sich auch nicht, danach zu fragen oder ihn darum zu bitten, es nicht zu tun. Noch zu präsent war die Tatsache, dass er auch auf seine letzte Bitte keine Reaktion erhalten hatte und somit schwieg er den Rest des Weges.
Auch als der Wagen vor dem Anwesen hielt, rührte er sich nicht. Anders als zuvor in der Schule, öffnete er die Tür nicht selbst, denn im Grunde wollte er nicht ins Gebäude. Er wollte Xaldin nicht gegenübertreten, aber er wusste, dass er genau das tun musste. Nicht zuletzt, weil sie viel zu spät waren. Akiharus Blick wanderte bei diesem Gedanken zur Uhr des Autoradios, die ihm zeigte, dass sie über eine halbe Stunde überfällig waren - eine Zeit, die bei vielen anderen unentschuldbar war, ganz egal, welchen triftigen Grund man vorbrachte.
Eine andere Wahl als auszusteigen, hatte er allerdings nicht und das nicht nur, weil ihm Nazar nur wenige Augenblicke später die Tür öffnete und darauf wartete, dass er aus dem Auto kam. Nur zögerlich kam er dieser stummen Aufforderung nach und als er in Richtung der Haustür sah, bemerkte er, dass Elea sie bereits erwartete. Das Lächeln auf ihren Lippen wirkte falsch, doch einen wirklichen Grund zum Lächeln hatte niemand an diesem Ort. Die zierliche junge Frau, die noch nicht sehr lange für den reichen Geschäftsmann arbeitete, verbeugte sich vor ihnen, teilte ihnen mit, dass man sie bereits erwarte und schloss hinter ihnen die Tür, sobald sie diese durchquert hatten.
Akiharu sah noch einmal zu ihr und presste die Lippen aufeinander. Elea war jünger als er, so weit er das Gerede der anderen Angestellten richtig mitbekommen hatte. Vermutlich war sie im selben Alter wie Milou und er stellte sich die Frage, ob sie wohl eines Tages genau wie er enden würde. Hübsch genug war sie dafür...
Bevor er diesem Gedanken weiter nachhängen konnte, hörte er ein freudiges Bellen und er löste seinen Blick von Elea, die bereits wieder auf dem Weg war, ihrer Arbeit nachzugehen, und richtete ihn stattdessen auf die Hündin, die auf ihn zugelaufen kam, um ihn zu begrüßen. Obwohl ihm bewusst war, dass Xaldin auf ihn wartete und auch Nazar dessen Büro bereits ansteuerte, ging er in die Hocke und schlang seine Arme um die Akita Hündin.
"Gomen, Sayu-chan, dass du auf mich warten musstest", murmelte er und versteckte sein Gesicht für einen Moment in ihrem weichen Fell. Sie hielt still dabei, wusste inzwischen, dass er diese Augenblicke brauchte. Sayuri gab ihm die Wärme, die ihm keine Person in diesem Haus geben konnte, und er war ihr unglaublich dankbar dafür. Dass Xaldin ihm die Hündin am Anfang seines Aufenthaltes hier geschenkt hatte, war wohl das einzig wirklich Gute, was er je getan hatte. Wobei er nicht sicher war, ob der Ältere nicht auch hierbei Hintergedanken hatte, denn sie band ihn in gewisser Weise zusätzlich an diesen Ort.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, die für ihn aber dennoch viel zu kurz war, löste er sich wieder von ihr, um Nazar notgedrungen zu Xaldins Büro zu folgen. Sayuri blieb dabei an seiner Seite, warf seinem Fahrer einen misstrauischen Blick zu, und rückte noch ein wenig näher, als er seinem Gönner gegenüber stand.
Bereits dessen erste Worte ließen ihn unweigerlich zusammenzucken. Er wusste noch immer nicht, was er sagen sollte und er erwartete bereits, dass Nazar schildern würde, was passiert war. Was dieser anschließend von sich gab, überraschte ihn aber doch und er musste sich zusammenreißen, um dies nicht zu zeigen, da Xaldin sonst alles als Lüge, die es war, entlarven würde.
Lehrbücher für den nächsten Tag holen und das Klassenzimmer umräumen.
Akiharu wusste absolut nicht, was er dazu sagen sollte und vermutlich war dies auch besser so, da er sich sonst nur selbst verraten hätte. Doch er konnte nicht fassen, was der andere tat.
Er log für ihn…
Nazar log vor Xaldin…
Für ihn…
Von dem einen oder anderen in diesem Haus hätte es ihn wohl weniger überrascht, nur dass alle anderen zu viel Angst vor dem Mann vor ihm hatten. Bei Nazar hingegen… Seine Loyalität war mit kaum etwas zu vergleichen und bisher dachte er immer, dass er ihn niemals anlügen würde.
Oder versuchte er einfach nur seine eigene Haut zu retten, weil er glaubte, dass Xaldin auch ihn für sein Vergehen bestrafen würde?
Er kam nicht dazu, dieser Frage weiter auf den Grund zu gehen. Das Knarzen des Leders, als sich der Geschäftsmann erhob, zog seine Aufmerksamkeit in dessen Richtung. Nur wenige Schritte von ihm blieb er stehen und Akiharu begann augenblicklich leicht zu zittern. Als ahnte sein Unterbewusstsein, was nun kommen würde...
Ein alter Freund kommt heute Abend zum Essen…
Gesellschaft leisten…
Umsorgen…
Akiharu versteifte sich bei dem, was ihn an diesem Abend noch erwarten sollte. Er wollte das nicht. Heute - nachdem er seinen eigenen Klassenkameraden nur knapp entkommen war - noch sehr viel weniger, als ohnehin schon. Beinahe hilfesuchend huschte sein Blick für eine Sekunde zu Nazar, doch in diesem würde er dieses Mal keine Hilfe finden. Er würde lediglich aufpassen, dass ihm nicht zu viel geschah.
Daher wandte er seinen Blick wieder ab, sodass er selbst nicht mitbekam, dass auch der andere zu ihm sah, und starrte stattdessen auf den Boden.
"Ich denke, du weißt also, was du zu tun hast, Aki", fügte Xaldin zusätzlich hinzu, als von ihm keine weitere Reaktion kam und er wusste, dass er nun eine geben musste, wenn er nicht riskieren wollte, dass er ihm noch näher kam.
"Natürlich… Ich werde bereit sein…"
Wie aufs Stichwort gab Sayuri ein leises Knurren von sich, als hätte sie ganz genau verstanden, was sie gerade besprachen. Sofort ging Akiharu erneut in die Hocke, um sie zu beruhigen.
"Es ist alles gut, Sayu", murmelte er leise auf japanisch und sie beruhigte sich etwas. Die Anspannung in ihrem Körper war dennoch unter seinen Fingern zu spüren, als er diese auf ihren Rücken legte.
"Du solltest besser dafür sorgen, dass sie nicht noch einmal mein Büro betritt. Andernfalls könnte das unschön für sie enden."
Er schluckte, nickte aber als Bestätigung. Dass Xaldin die Hündin nicht besonders mochte, seit sie einen äußerst ausgeprägten Beschützerinstinkt ihm gegenüber zeigte, war ihm bewusst, doch nach den Geschehnissen in der Schule war er einfach nur froh, sie an seiner Seite zu haben, sodass er daran nicht gedacht hatte.
"Gut, dann mach dich fertig. Deine Sachen für heute Abend liegen bereits in deinem Zimmer. Ich erwarte, dass du pünktlich bist. Um dies zu gewährleisten, wird Nazar dich später abholen. Und dieses Mal gibt es keine Entschuldigungen für ein eventuelles zu-spät-kommen."
Xaldins Blick wanderte weiter zu seinem Angestellten, dem er nach Akiharus Eindruck mehr vertraute, als jedem anderen in diesem Anwesen. Wie Nazar dies geschafft hatte, wusste er nicht, aber es verwirrte ihn somit noch sehr viel mehr, dass dieser gelogen hatte.
"Du kannst nun gehen, Aki."
Mit diesen Worten warf er ihn regelrecht aus seinem Büro. Ein weiteres Mal gab er nur ein Nicken als Antwort, bevor er sich erhob und mit Sayuri an seiner Seite aus dem Raum verschwand. Kurz bevor er die Tür schloss, hörte er noch, wie Xaldin begann mit Nazar zu sprechen, doch er bekam nicht mehr mit, worum es ging. Er konnte nur hoffen, dass er wegen der Lüge nicht doch Verdacht geschöpft hatte.

Nazar

Kaum hatte Nazar die Worte ausgesprochen, weswegen sie angeblich zu spät kamen, bereute er sie. Er hatte Xaldin, in all der Zeit, in der er für ihn arbeitete, noch nie belogen. Er hatte ihn damals angegriffen, aber auch durch ihn die Chance bekommen, sein Leben von Grund auf zu verbessern.
Noch nie hatte er ihn angelogen und doch tat er es heute. Er hatte die Wahrheit bewusst verschwiegen, um Akiharu zu schützen und ihn vor schlimmen Dingen zu bewahren. Doch würde Xaldin herausfinden, dass er gelogen hatte, ihn hinterging, dann würde er die Strafe abbekommen. Allerdings musste er jetzt - auch wenn er nicht genau wusste, warum - Akiharu schützen und dafür sorgen, dass Xaldin nicht erfuhr, was wirklich in der Schule passiert war.
Wer wusste, was geschah, wenn der ältere Vampir es erfuhr? Was wären die Folgen am Ende? Nur der alte Vampir würde wissen und es definitiv von seiner Tagesform abhängig machen, wie die Strafe aussah. Seit vielen Jahren arbeitete er nun unter dem Wort von Xaldin, hatte ihm sein Leben zu verdanken, solange er ihm die Treue schwor. Und genau jetzt hatte er dieses Vertrauen gebrochen und log für einen Menschen, der Angst vor ihm und Xaldin hatte, am liebsten abhauen würde, um nie wieder mit ihnen zu tun zu haben.
Immer wieder erkannte Nazar den Wunsch des Jungen in dessen Augen, wenn er ihn zur Schule fuhr, sie an einer Ampel hielten und Akiharu aus dem Fenster sah. Er hatte diesen Blick, diese Sehnsucht, heute in seinen Augen gesehen, als sie kurz an der Ampel gewartet hatten und Akiharu in die Ferne blickte. Wenn er ehrlich war, dann wünschte er sich ebenfalls, manchmal in die Freiheit zurückzukehren. Aber er hatte Xaldin gegenüber geschworen, ihm treu zu sein, alles für ihn zu tun und im Gegensatz ein gutes Leben zu erhalten. Und daran würde sich auch heute nichts ändern. Der Beweis für seine Treue blitzte unter dem Kragen seines Hemdes hervor. Er trug das Tattoo an seinem Hals, um diesen 'Bund' zu besiegeln.
Xaldin erhob sich, kam mit geschmeidigen Bewegungen auf sie zu und blieb vor Akiharu stehen. Er sah diesen Jungen an, teilte ihm seine Aufgabe für den heutigen Abend mit und unweigerlich spannte Nazar seinen Körper an. Aber er versuchte, sich dies nicht anmerken zu lassen. Wie sollte er es auch erklären, wenn Xaldin es mitbekam?
"Natürlich… Ich werde bereit sein…"
Diese Worte brannten sich in seinen Kopf und sorgten dafür, dass er die Hände zu Fäusten ballte. Als der ältere Vampir dies mitbekam, zog dieser kurz eine Augenbraue nach oben, schwieg aber und wandte sich wieder seinem kleinen Liebling zu.
Dann aber ertönte das Knurren des Shiba Inus. Xaldin mochte sie nicht und jedes Mal, wenn Akiharu nicht zu Hause war und Sayuri und Xaldin sich begegneten, konnte man die gegenseitige Anfeindung erkennen.
Die tiefe Stimme des Vampirs drang durch den Raum, erfüllte ihn mit Dunkelheit und ließ keinen Zweifel aufkommen, dass Xaldin es ernst meinte. Er mochte diesen Hund nicht, duldete ihn allerdings, denn Akiharu würde dadurch hier bleiben und nicht verschwinden.
Auch die weiteren Ausführungen von Xaldin, ließen die Wichtigkeit dahinter nicht verbergen. Er würde kein weiteres Versagen oder in dem Fall zu-spät-kommen akzeptieren. Als Nazars Name fiel, um Akiharu später abzuholen, nickte dieser und blieb weiterhin an seinem Platz stehen, um die restliche Unterhaltung nicht zu unterbrechen. Akiharu durfte gehen… Er durfte den Raum verlassen und sein Hund folgte ihm. Am Ende blieb Nazar mit Xaldin alleine. Der junge Mann sah geradeaus und wartete ab, was Xaldin von sich geben würde.
“Wieso hast du mich eben angelogen?”, begann der Vampir direkt, als die Tür ins Schloss gefallen war.
Nazars Augen weiteten sich unmerklich, dann atmete er tief durch und richtete sich zu voller Größe auf.
“Es gab einen Zwischenfall und ich wollte nicht, dass es herauskommt. Aber da Sie es jetzt wissen, muss ich kein Geheimnis mehr daraus machen…”
Bei den letzten Worten ließ Nazar den Blick sinken, atmete ruhig durch, bevor er fortfuhr.
“So wie es aussah, haben wohl einige von Akiharus Mitschülern herausbekommen, wofür Sie ihn einsetzen… Sie waren der Meinung, dass sie sich Akiharu diesbezüglich auch einmal ausleihen können… Da es mir aber zu lange gedauert hatte, bis er zum Wagen kam, habe ich ihn gesucht und vor diesen Typen gerettet… Es ist zu keinem weiteren Vorfall gekommen. Verzeihen Sie mir, dass ich nicht direkt die Wahrheit gesagt habe.”
“Da du mein treuer Diener bist, werde ich ausnahmsweise mal ein Auge zudrücken, Nazar.”
Der ältere Vampir drehte sich weg, ging zurück zu seinem Ledersessel und ließ sich in das Polster sinken.
“Aber genug von diesem Thema… Wobei ich natürlich hoffe, du wirst diesen Kerlen heute Nacht ihre gerechte Strafe zukommen lassen… Ich mag es nicht, wenn meinem Besitz Leid zugefügt wird…”
“Selbstverständlich, werde ich es tun, Xaldin.”
Nazar verbeugte sich kurz, als Zeichen, dass er diesen Auftrag zu Ende bringen würde.
“Wie gerade gesagt, genug von diesem Thema. Du hast noch etwas für mich…”
Erneut nickte Nazar, trat zu ihm und überreichte ihm einen kleinen Umschlag, den er aus dem Jackett zog.
“Wie Sie es gewünscht haben, die Fotos, die sie für die nächste Verhandlung brauchen. Der Informant hat eine gute Arbeit gemacht, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf.”
“Natürlich darfst du. Sie ist mir sogar sehr wichtig. Aber jetzt gehe und sorge dafür, dass Akiharu nicht zu spät zum Treffen erscheint. Ansonsten werde ich mir doch noch eine Strafe für dich einfallen lassen.”
Ein finsteres Lächeln huschte über Xaldins Gesicht, bevor Nazar sich zum Abschied ein weiteres Mal verbeugte und den Raum verließ.
Er hatte nicht gedacht, dass Xaldin herausbekam, dass er gelogen hatte, aber nach all der Zeit, in der er bereits für ihn arbeitete, hätte er schon einiges lernen müssen. Das Vampirdasein von Xaldin übertraf immerhin alles, was er bis jetzt wusste. Wahrscheinlich merkte er es durch eine besondere Fähigkeit oder einen veränderten Geruch, wenn ein Mensch log. Oder es gab andere Hinweise, die ihn verraten hatte. Vielleicht die überraschte Haltung von Akiharu, der mit seiner Lüge nicht gerechnet hatte…
Er musste sich von diesem Gedanken lösen, solange er sich auf dem Flur vor dem Büro Xaldins war, denn jeder, der vorbeikam, könnte hinter seine Maske blicken. Also richtete er seinen Blick starr nach vorne und lief in sein eigenes Zimmer, um sich das Jackett auszuziehen und das weiße Hemd gegen ein schwarzes zu tauschen.
Als er das Jackett nach einiger Zeit wieder anzog, atmete er tief durch und versuchte sich nicht vorzustellen, was Akiharu an diesem Abend erwartete. Dennoch konnte er es nicht unterdrücken, die Hände zu Fäusten zu ballen und die Kiefer aufeinanderzupressen. Es widerstrebte ihm, dass Xaldin den Jungen missbrauchte und ihn für seine Zwecke sozusagen verkaufte. Aber er würde diesbezüglich nichts sagen und es wohl oder übel über sich ergehen lassen.
Immer wieder fragte er sich, wie es wohl in Akiharu aussah und wie es ihm wohl dabei ging. Wobei er sich vorstellen konnte, dass es ihm überhaupt nicht gefiel und er am liebsten das Weite suchen würde. Doch durch den Peilsender würde man ihn überall finden und … Nazar würde ihn sowieso finden. Also gab es für ihn keine Möglichkeit der Flucht und so ließ er es wohl einfach über sich ergehen und schwieg.
Bis zum Abend blieb noch ein bisschen Zeit, weswegen Nazar sich seinen Laptop schnappte und sich in das Netzwerk einloggte, welches Xaldin aufgebaut hatte, um Informationen über verschiedene Webseiten zu erlangen, wenn man etwas über eine Person wissen wollte. Dabei war es egal, ob Mensch, Vampir, Werwolf oder anderes Wesen… In all der Zeit, die Akiharu jetzt hier war, kannte er einige Namen von Mitschülern aus seiner Klasse, weswegen es ihm nicht schwer fiel, die Namen der fünf Typen herauszubekommen, die ihn in die Umkleide gezerrt hatten. Schnell waren die Namen auf der Seite eingegeben, Informationen gesammelt, die er für die kommende Aktion brauchte.
In der Nacht, wenn Akiharu schlief und sich auf den kommenden Tag vorbereitete, würde Nazar seinen Auftrag beenden. Doch er hielt inne, sah das Bild des am Boden kauernden Jungen vor sich und hörte, wie er bat, die Jungs leben zu lassen. Er müsste also einen Weg finden, den Typen eine gerechte Strafe zukommen zu lassen und dafür zu sorgen, dass sie dennoch am Leben blieben… Ihm würde schon etwas einfallen.
Nachdem er den tragbaren Computer wieder ausgeschaltet hatte, stellte er ihn zur Seite und überlegte sich, wie viel Zeit ihm wohl in dieser Nacht blieb, nachdem er Akiharu am Ende von dem Typen abgeholt hatte und ihn zurück in sein Zimmer gebracht hatte, wie lange es wohl dauerte, zu seinen Mitschülern zu fahren und sie zu bestrafen und wie lange es dann noch dauerte, bis er Akiharu zur Schule fahren musste… In dieser Nacht würde er wohl wenig bis gar keinen Schlaf bekommen, aber durfte sich diese Schwäche nicht anmerken lassen.
Als er sich auf den Weg zur Küche begab, um sich ein Sandwich zu machen, mieden ihn die anderen und er wusste genau warum. Sie taten es, weil sie Angst hatten, dass er Informationen, die er aufgriff, weitergeben würde. Er genoss fast schon die Ruhe, die ihm beim Essen umschloss und sah immer wieder auf die Uhr, bis es endlich soweit war, dass er Akiharu aus dem Zimmer holen musste. Er räumte den leeren Teller weg, stand auf und durchquerte das große Anwesen. Als er an der Tür ankam, hinter der Akiharu lebte, atmete er durch und klopfte an.
"Es wird Zeit", sprach er gegen das dunkle Holz und trat zurück, um zu warten, dass Akiharu herauskam.
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